Rache auf Italienisch - Elisa Corti - E-Book
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Elisa Corti

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Beschreibung

Es ist Sommer am Comer See, und die Hitze lässt die Luft auf den Straßen flirren, als Commissaria Giovanna Ruggieri von der Polizei in Como Nachricht über einen Mordfall erhält: Auf Comacina, der einzigen Insel des Sees, wurde der angesehene und beliebte Arzt Simone Fabrizio aus Menaggio erschossen aufgefunden. Beinahe zeitgleich bekommt es Ispettrice Maria di Bartolomeo im am Seeufer gelegenen Städtchen Bellano mit einem Verkehrstoten zu tun, der anscheinend nachts die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte. Die Spuren führen Giovanna und Maria schon bald an einen Ort, wo beide Männer vor zwanzig Jahren in ein weitreichendes dunkles Geheimnis verwickelt waren ...

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Seitenzahl: 364

Veröffentlichungsjahr: 2025

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INHALT

CoverÜber das BuchÜber die AutorinTitelImpressumProlog1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel

ÜBER DAS BUCH

Es ist Sommer am Comer See, und die Hitze lässt die Luft auf den Straßen flirren, als Commissaria Giovanna Ruggieri von der Polizei in Como Nachricht über einen Mordfall erhält: Auf Comacina, der einzigen Insel des Sees, wurde der angesehene und beliebte Arzt Simone Fabrizio aus Menaggio erschossen aufgefunden. Beinahe zeitgleich bekommt es Ispettrice Maria di Bartolomeo im am Seeufer gelegenen Städtchen Bellano mit einem Verkehrstoten zu tun, der anscheinend nachts die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte. Die Spuren führen Giovanna und Maria schon bald an einen Ort, wo beide Männer vor zwanzig Jahren in ein weitreichendes dunkles Geheimnis verwickelt waren …

ÜBER DIE AUTORIN

Elisa Corti ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Autorin, die sich schon als Kind in Italien verliebt hat. Während ihres Studiums verbrachte sie eine längere Zeit in Triest, und heute lebt sie als freie Autorin in Stuttgart. Elisa Corti ist Mitglied der MÖRDERISCHEN SCHWESTERN und seit 2017 regelmäßig bei der Lesebühne GET SHORTIES dabei.

ELISA CORTI

RACHEAUFITALIENISCH

EIN LOMBARDEI-KRIMI

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

  

Originalausgabe

  

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur

Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

  

Copyright © 2025 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20,

51063 Köln, Deutschland

  

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und

Data-Mining bleiben vorbehalten.

  

Textredaktion: Marion Labonte, Wachtberg

Umschlaggestaltung: © SO YEAH DESIGN, Gabi Braun

Umschlagmotiv: © shutterstock: mervas | Amelia Design Art | Frogella

und © Arcangel Images: Evelina Kremsdorf

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

  

ISBN 978-3-7517-7473-4

luebbe.de

lesejury.de

PROLOG

Es war einer jener Sommer, in denen die Hitze die Luft auf den Straßen flirren ließ. In denen die Menschen an die Strände flüchteten, um sich die Füße von den leichten Wellen des Comer Sees umspielen zu lassen. Einer jener Sommer, in denen die jungen Leute hauptsächlich von Gelato und eisgekühltem Lemon Soda lebten und die älteren Herren ihren Espresso im Schatten tranken. Wer nicht am Lido di Argegno liegen konnte, verweilte länger als notwendig vor der Tiefkühltheke im Supermarkt. In den Abendstunden wurde es erträglicher, jetzt im August ging die Sonne früher unter, und ein Aperol in einem der zahlreichen Cafés am Seeufer oder auf dem eigenen Balkon war für viele der krönende Abschluss des Tages. Nachts ließen die Menschen die Fenster weit geöffnet, erst am Morgen wurden die Läden wieder fest geschlossen, um die Wärme draußenzuhalten.

Antonio Marchesis weißes Hemd war durchgeschwitzt. Die Klimaanlage in seinem Auto war kaputt, obwohl es gerade erst in der Werkstatt gewesen war. Marcello, der Mechaniker, war ein netter Kerl, aber er taugte nichts. Antonio durfte nicht vergessen, den T-Roc gleich morgen woandershin zu geben. Mit der linken Hand fuhr er sich über die Stirn, auf der sich Schweißtropfen gesammelt hatten. Es war kurz nach Mitternacht und dennoch … Hoffentlich kam der ersehnte Regen bald. Und tatsächlich klatschten in diesem Augenblick erste Tropfen auf der Windschutzscheibe auf. Meno male, zum Glück!

Antonio fuhr schnell, die kurvigen Straßen kannte er in- und auswendig. Ob Francesca noch wach war, auf ihn wartete? Hoffentlich nicht.

Der Regen prasselte jetzt in Strömen vom Himmel, und Antonio erhöhte noch einmal den Takt der Wischer. Etwas blitzte auf im Wald, zwei Augen, die seine Scheinwerfer reflektierten, dann war er daran vorbei. Ein Reh wahrscheinlich, hier in der Gegend kam es hin und wieder zu Wildunfällen. Die nächste Kurve war scharf, ohne Leitplanken vor dem Abgrund, das wusste er. Wenn man sich nicht auskannte, konnte es schnell gefährlich werden. Antonio jedoch gab noch einmal Gas, er wollte jetzt wirklich nach Hause.

Die dunkle Gestalt, die hinter der Kurve mitten auf der Straße stand, sah er viel zu spät. Er riss hastig das Lenkrad herum, die Bremsen griffen nicht, und er raste mit unverminderter Geschwindigkeit auf den Abhang zu.

1. KAPITEL

Como«, schallte als Fahrtrichtung blechern aus dem Lautsprecher am Hafen von Bellagio, während Giovanna über die Promenade zur Anlegestelle hastete. Und noch einmal: »Como!« Die letzten Passagiere betraten schon die frühe Personenfähre, die an das Südende des Comer Sees fuhr. Nur Giovanna war immer noch gut achtzig Meter vom Schiff entfernt.

»Signori!« Sie winkte den beiden uniformierten Männern zu, die jetzt den Übergang zur Fähre schließen wollten. »Warten Sie, bitte!«

Tatsächlich hielten die beiden inne und ließen sie – ausnahmsweise, wie der Ältere betonte – das Schiff noch besteigen. »Aber nur, weil wir es uns mit der Polizei nicht verscherzen wollen«, ergänzte der Jüngere, ein attraktiver sportlicher Mann Mitte dreißig in einem leuchtend blauen Hemd, mit Sonnenbrille und etwas zu viel Gel in den Haaren.

Normalerweise war Giovanna die Pünktlichkeit in Person, aber heute hatte ein amerikanisches Touristenpärchen sie aufgehalten, das in der Bar in der Schlange vor ihr zwei Tassen Cappuccino unbedingt auf Italienisch hatte bestellen wollen, obwohl die Besitzerin perfekt Englisch sprach. Giovanna hatte ihren eigenen Caffè nur noch hinunterstürzen können, bevor sie sich im Laufschritt auf den Weg zum Hafen machen musste.

»Signora Commissaria, wenn Sie einen Wecker benötigen, ich könnte …«

Sie ignorierte wie üblich den Flirtversuch des jungen Mannes, versuchte sich im Vorbeigehen aber immerhin an einem Lächeln. Schließlich hatten er und der andere ihr heute einen Gefallen getan, die nächste Fähre kam erst in einer Dreiviertelstunde.

Giovanna stellte sich an die Reling und atmete tief durch, während sie ihr Gesicht in die Sonne hielt und ihre dunklen Haare schüttelte, damit ihr der Wind die Locken nicht ins Gesicht wehte. Zu dieser Uhrzeit war die Luft noch angenehm, später würde es unerträglich heiß werden.

Seit einem halben Jahr lebte sie nun hier und nahm jeden Werktag um 06:46 Uhr die Fähre nach Como. Schon am dritten Morgen hatte der gut aussehende Mitarbeiter von Navigazione del Lago herausbekommen, dass sie dort als Commissaria bei der Polizia di Stato arbeitete. Neuigkeiten sprachen sich schnell herum, Bellagio war einfach klein. Es gab zu wenig Platz und zu viele Touristen, und dennoch liebte Giovanna den Ort und ihre gemütliche Wohnung mit Garten heiß und innig. Sie hatte früher ihrer Großmutter gehört, Nonna Maura, der Mutter ihres Vaters, bei der Giovanna einige Zeit gelebt hatte, bevor diese sehr krank geworden war.

Die Fahrt dauerte eine Dreiviertelstunde, und als Giovanna der Wind um die Nase wehte und sie die feuchte Alpenluft einsog, entspannte sie sich ein wenig. Sie genoss die ruhige Zeit auf der Fähre jeden Morgen und Abend. Die Straßen um den See waren fast immer verstopft, man stand hupend und fluchend im Stau, vor allem auf ihrem Heimweg – wie viel angenehmer war es da, an Deck in der Sonne zu sitzen. Sie hatte sogar wieder angefangen zu lesen. Im Augenblick versuchte sie es mit I promessi sposi, einem Liebesroman aus dem 19. Jahrhundert von Alessandro Manzoni, der lange am Comer See gelebt hatte. Nachdem sie das umfangreiche Buch damals in der Schule nur mit großem Widerwillen gelesen hatte, war sie inzwischen bereit, sich erneut darauf einzulassen. Doch sie wurde abgelenkt von den Geräuschen auf der Fähre und sah sich immer wieder um. Inzwischen kannte sie die meisten hier auf dem Boot, die wie sie zur Arbeit pendelten: der Anzugträger, der die gesamte Fahrt über telefonierte, die zwei Frauen in langen Kleidern, die gern mit den meist männlichen Mitarbeitern an den Fährhäfen ein paar scherzhafte Worte wechselten, und der Radler, vermutlich der einzige Passagier hier, der nicht zur Arbeit fuhr. Der Mann schien für den Giro d’Italia zu trainieren, so oft, wie sie ihn hier antraf. Giovanna ließ ihren Blick über die Umgebung schweifen und genoss die Aussicht: Der Hafen von Bellagio, den sie verließen, wirkte im Morgenlicht besonders romantisch. Gelbe und orangefarbene Häuser mit bunten Fensterläden schlängelten sich am sanften Hügel der grünen Halbinsel hinauf, die den See in Richtung Lecco und Como in zwei Arme teilte. Nach Westen zog sich die von Oleander gesäumte Promenade hin, und das blaue Wasser des Sees glitzerte in der Morgensonne.

Als Teenager hatte Giovanna hier einige Jahre verbracht, Jahre, an die sie sich gerne erinnerte, vor allem an Nonna Mauras Wärme und das Plätschern der Wellen ans Ufer beim Einschlafen. Jetzt war sie zurück. Allein.

Um halb acht erreichte die Fähre schließlich ihr Ziel, und Giovanna hoffte, die Woche würde so friedlich beginnen, wie die letzte geendet hatte. Am Freitag hatte sie nur noch die letzte Zeugin einer Einbruchsserie befragt, und auch wenn Signora Maravallo ziemlich gerne und viel redete und Giovanna damit auf die Nerven gegangen war, so hatte sie zumindest Licht ins Dunkel des Falls gebracht. Sie war das erste Opfer, das den Einbrecher gesehen hatte und ihn somit beschreiben konnte. Sogar die Haarfarbe hatte sie ihnen nennen können, Signora Maravallo entging wirklich nichts, jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie den Mann fassen würden.

Giovanna beschloss, einen zweiten Espresso zu trinken, und kaufte noch ein Cornetto, das sie mit ins Büro nahm. Um kurz vor acht betrat sie das graubraune Gebäude der Questura, der Dienststelle der Polizia di Stato in der Nähe des Bahnhofs.

»Buongiorno, Commissaria Ruggieri!«, grüßte der ältere Kollege, der ihr entgegenkam.

Giovanna quittierte den Gruß mit einem Nicken, Small Talk war noch nie ihre Sache gewesen. Effizienz schon eher, und so hatte sie sich mit Mitte dreißig bereits zur Commissaria heraufgearbeitet. Ihre Kolleginnen und Kollegen schätzten sie, denn auch wenn Giovanna nicht die Herzlichkeit in Person sein mochte, so bearbeitete sie ihre Fälle gewissenhaft und hartnäckig. Gerechtigkeit war ihr nicht nur bei der Arbeit wichtig, sondern auch im Umgang auf der Questura, und so stellte sie sich bei Kritik gerne schützend vor ihre Mitarbeiter, was ihr Respekt eingebracht hatte. Sie scheute sich nicht, ihre Hartnäckigkeit auch bei höhergestellten Personen anzubringen, und so wurde sie von ihren Vorgesetzten gleichermaßen geschätzt und auf Abstand gehalten.

Gut, Questore Aliverti, ihr neuer Chef in Como, war anders. Der Polizeipräsident ließ ihr Freiheiten, vertraute auf ihr Urteil und, womit sie noch nicht ganz klarkam, lud sie gern zum Mittagessen ein, was sie bisher jedoch meist abgelehnt hatte. Private Gespräche waren ihre Sache nicht, schon gar nicht mit Menschen, mit denen sie zusammenarbeitete. Die längsten Unterhaltungen führte sie mit Bruno, und Bruno antwortete meist nur mit einem in Zeitlupe gehobenen Kopf – wenn er überhaupt reagierte. Aber so war das mit Schildkröten.

»Ruggieri!« Daniele Aliverti stand in der Bürotür und sah sie auffordernd an. Trotz der Hitze, die in spätestens zwei Stunden über sie hineinbrechen würde, trug der Questore auch heute eine Krawatte und ein weißes Hemd unter einem hellgrauen Jackett. Sein Modegeschmack war einwandfrei, seine Fähigkeit, sich dem Wetter anzupassen, eher gering.

Giovanna hatte gerade eben den Computer angeworfen und nicht einmal einen Bissen von ihrem Cornetto nehmen können. Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte sie zu ihrem Chef, dann auf ihr Gebäckstück. Doch Aliverti bedeutete ihr nur ungeduldig, Cornetto Cornetto sein zu lassen, und scheuchte sie in sein Büro.

»Es gibt eine Beschwerde«, eröffnete er ohne Umschweife das Gespräch, und vielleicht war gerade das einer der Gründe, warum er ihrer Versetzung von Bergamo nach Como sofort zugestimmt hatte: Sie machten beide nicht viele Worte.

»Über mich?«

Nun war er es, der die Augenbrauen hochzog. »Nein, Giovanna, über die Sekretärin der Speditionsfirma drei Straßen weiter, ich wollte dir nur den neuesten Klatsch und Tratsch erzählen«, antwortete er sarkastisch. »Also ja, natürlich über dich.« Das »wieder einmal« dahinter verkniff er sich, es hallte dennoch laut und deutlich in Giovannas Kopf nach.

Seufzend nahm sie auf dem altmodischen Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz. Das Gespräch würde länger dauern. »Um was geht es heute?«, fragte sie.

»Signora Maravallo, die alte Dame mit der Katze, die du als Zeugin in dieser Einbruchsserie vernommen hast.«

Giovanna dachte angestrengt nach, versuchte sich an ein Fehlverhalten zu erinnern, konnte aber keines erkennen. »Ich habe bei ihr einen schauderhaften Caffè getrunken, hat es was damit zu tun?« Vielleicht war der Dame aufgefallen, dass sie dabei kurz das Gesicht verzogen hatte?

»Nun ja.« Aliverti hatte eine entschiedene Abneigung gegen schlechten Caffè. »Du hast dich auf jeden Fall geweigert, ihre Katze zu streicheln. Obwohl Papillon mehrfach um deine Beine gestrichen sei.«

»Das ist nicht ihr Ernst.« Ungläubig blickte Giovanna ihren Chef an. »Das ist nicht dein Ernst.«

»Giovanna, würde es dich umbringen, Menschen ein kleines bisschen freundlicher zu begegnen?« Aliverti hob die Arme, um sein Unverständnis auszudrücken.

»Ich glaube nicht, dass in meinem Arbeitsvertrag etwas über das Streicheln von Katzen steht«, antwortete sie steif. Nicht, dass sie Katzen nicht mochte, im Gegenteil, sie fand die Fellknäuel durchaus knuffig. Aber Bruno hatte Angst vor ihnen, und wenn Giovanna nach einer Katze roch, verkroch er sich ins hinterste Eck seines Geheges. Es war eine Frage der Abwägung, und Bruno siegte über Signora Maravallo. Auch über eine Beschwerde beim Polizeipräsidenten. Aliverti selbst hätte aus Angst vor weißen Haaren auf seiner grauen Anzughose einen großen Bogen um die Perserkatze gemacht.

Seine nächsten Worte jedoch überraschten sie: »Ich möchte, dass du dich bei Signora Maravallo entschuldigst.«

So perplex war Giovanna, dass sie nicht einmal etwas Sarkastisches erwidern konnte.

»Du könntest ihr vielleicht ein Macaron vorbeibringen«, schlug er jetzt vor. »Oder eine andere Kleinigkeit, und für den Kater Sardellen. Signora Maravallo ist die Mutter von …« Glücklicherweise entband sie in diesem Moment das Klingeln des Telefons von seinen weiteren Ausführungen. Sonst hätte Giovanna nicht dafür garantieren können, dass diese Woche tatsächlich so friedlich begann, wie sie gehofft hatte.

»Pronto«, beschied Aliverti zackig, nachdem er den Hörer abgenommen hatte. Für einige Augenblicke hörte er einfach nur zu, doch als Giovanna langsam aufstand, hob er eine Hand in die Höhe als Mahnung, dass sie sich nicht aus seinem Büro schlich. Also ließ sie sich zurück in den Stuhl sinken und wartete. Aliverti stellte ein paar knappe Fragen, dann beendete er das Gespräch, ohne sich zu verabschieden. Er blickte Giovanna an. »Wir haben eine Leiche.«

Sie nickte bedächtig. »Um die kann ich mich ja dann auf dem Rückweg von Signora Maravallo kümmern«, sagte sie geradeheraus, bevor sie flink dem Bleistift auswich, den Aliverti nach ihr warf.

*

Die Leiche war auf der Isola Comacina gefunden worden, der einzigen Insel im Comer See. Am Westufer gelegen und gerade einmal fünfhundert Meter lang, befand sie sich etwas unterhalb von Bellagio, wo sich der See in zwei Arme teilte.

Zunächst waren die Carabinieri gerufen worden, die jedoch offenbar schnell festgestellt hatten, dass es sich um Mord handelte, und deshalb Aliverti informiert hatten: In diesem Fall übernahmen die Commissari der Polizia di Stato.

Eine Reisegruppe hatte den Toten entdeckt, bei einem Schiffsausflug von Menaggio zu der kleinen Insel, um dort Überreste aus der Römerzeit zu besichtigen. Man konnte sich auf der Insel kaum verlaufen, sodass die Touristen auf ihrem Weg geradezu über die Leiche gestolpert waren.

Eine ganze Reisegruppe – allein bei dem Gedanken hatte Giovanna aufgestöhnt, Menschenmengen waren etwas, von dem sie sich fernhielt. Genau aus dem Grund hatte Aliverti ihr wohl auch Alberto Fini zur Seite gestellt. Der Ispettore war deutlich älter als Giovanna, Ehrgeiz war ihm fremd, doch mit seiner gemütlichen Art machte er sich Freunde, wo er ging und stand, und es fiel ihm nie schwer, die richtigen Worte zu finden. Oder, wie Giovanna es ausdrückte, es fiel ihm schwer, seine Worte auch einmal abzustellen. Jetzt, auf dem Weg zur Fundstelle jedoch, war er auffallend ruhig. »Comacina«, sagte er nur einmal ungläubig. »Da lebt doch noch nicht einmal jemand!«

Er hatte recht. Die meisten Gebäude waren nur noch Ruinen, nachts lag die Insel verlassen da, das Restaurant war geschlossen. Es war ein Rätsel, was ihr Mordopfer dort zu suchen gehabt hatte – oder wie die Leiche dort hingekommen war.

»Vielleicht war er mit seinem Mörder verabredet«, begann Giovanna eine erste Theorie zu formen, bevor sie den Fundort oder die Leiche gesehen hatte. Noch waren sie unterwegs auf der Via Regina Nuova, kurz vor Argegno, und Giovanna trat fluchend auf die Bremse, als ein Laster vor ihr abrupt stehen blieb. Der Fahrer hatte offenbar etwas auszuladen, doch durch den ständig strömenden Gegenverkehr gab es auf der engen Straße keine Möglichkeit zu überholen. Ein Eiscafé lockte mit seiner bunten Auslage, und langsam wurde die Sonne stärker. Fini hatte die Klimaanlage schon aufgedreht. Giovanna seufzte und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Sie überlegte, die Sirene aufs Dach zu stellen, um schneller voranzukommen, aber das würde sicherlich eine weitere Strafpredigt von Aliverti nach sich ziehen, dieses Mal zum Thema »Weshalb das Blaulicht nur im Notfall eingeschaltet wird«.

Hinter ihnen hupte es. Die typische Kausalkette, dachte sie, bevor sie ihre Hand hob, um im Rückspiegel deutlich zu machen, dass sie ebenfalls nicht weiterfahren konnte und der Fahrer Geduld haben musste.

Fini schnalzte mit der Zunge. »Ich kann ihm einen Strafzettel verpassen«, bot er an, und wider Willen musste Giovanna grinsen. Dann endlich ging es weiter, und nach einem erneuten kurzen Blick in den Rückspiegel sagte sie: »Vielleicht sollten wir den Carabinieri mal den Tipp geben, hier eine Radarfalle aufzustellen. Wenn das sein täglicher Weg zur Arbeit ist …«

Fini lachte, dann umklammerte er den Haltegriff fest, als Giovanna aufs Gaspedal drückte. Kurz darauf murmelte er erneut: »Comacina, die Insel der Verdammten«, und sie wusste, worauf er hinauswollte, bevor er die Worte über die Lippen brachte: »Es werden niemals mehr die Glocken läuten, niemand wird mehr einen Stein auf den anderen setzen«, zitierte er den Anfang des Fluchs, den Bischof Vidulfo im Jahre 1169 über der Insel ausgesprochen hatte. Und wirklich, die Isola Comacina war seitdem jahrhundertelang unbewohnt gewesen, zerstört in einem Krieg zwischen Como und Mailand, an dessen Ende der Bischof sie schließlich mit einem Fluch belegte, der denen, die sich dort niederlassen wollten, mit dem Tode drohte.

»Niemand wird hier mehr Wirt sein unter der Strafe eines qualvollen Todes«, zitierte Giovanna den Bischof weiter, während sie einen Radfahrer überholte. »Aber der Fluch ist gebannt. Das Restaurant dort floriert seit Jahrzehnten.«

»Das ist nur wegen des Rituals.«

Giovanna schnaubte. Bei diesem magischen Ritual, das den Fluch vertreiben sollte, wurden am Ende jedes Abends unter großem Brimborium hochprozentiger Likör und Kaffee mit Zauberformeln beschworen und flambiert. Für Giovanna, die weder an den Fluch noch an Rituale glaubte, sah das alles ganz nach Hokuspokus aus und nach einer hervorragenden Ausrede, um Alkohol zu trinken, aber es war ziemlich sicher auch gutes Marketing.

»Nein, der Fluch ist nämlich ganz und gar nicht gebannt. Im Jahre 1947 wollten drei Männer ein Restaurant eröffnen«, begann Fini, »doch lange bevor es so weit war, kamen zwei von ihnen ums Leben. Einer starb bei einem Unfall mit einem Motorboot – der See holte sich zurück, was er ihm schuldete. Der andere wurde von seiner Verlobten aus Eifersucht ermordet.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn das nicht nach der Strafe eines qualvollen Todes klingt.«

Giovanna zog es vor, nicht darauf zu antworten, schließlich hatte der dritte sein Restaurant erfolgreich eröffnet. Ohnehin kamen sie kurz darauf am kleinen Hafen von Sala Comacina an, wo bereits ein Carabiniere mit einem örtlichen Fischer auf sie wartete, um sie zur Insel zu bringen. Der Polizist war etwa in ihrem Alter, trug eine verspiegelte Sonnenbrille und raspelkurz geschnittene Haare. Die Carabinieri, die den italienischen Streitkräften angehörten, wirkten schon in ihrem Aussehen und der Uniform militärisch, im Gegensatz zu ihr und Fini. Sie waren beide in Zivil unterwegs, und Fini schien sich gerade ernsthafte Sorgen um seine eleganten Lederschuhe zu machen.

Als der Carabiniere sie kommen sah, unterbrach er ein hitziges Telefongespräch. »Commissario«, wandte er sich sofort an Fini, der das Gesicht verzog.

Kein guter Start. Und leider musste Giovanna zugeben, dass sie in diesen Dingen nachtragend war. »Ich bin Commissaria Ruggieri, das ist mein Kollege, Ispettore Fini«, unterbrach sie den Carabiniere, der diese Information lediglich schulterzuckend zur Kenntnis nahm.

»Die Spurensicherung ist schon vor Ort«, sagte er und bestieg als Erster das Boot.

Das Boot war deutlich schneller als die morgendliche Fähre, aber auch die wenigen Minuten genügten, um Giovannas Locken durcheinanderzubringen.

Sie blickte zur Insel. Grün war es hier, wie eigentlich überall am Comer See, selbst im Hochsommer noch. Trotz der Hitze war die Vegetation am Ufer üppig, gespeist von vielen Quellen. Geschützt vor den Nordwinden durch die Alpen wuchsen hier mediterrane Pflanzen: Zypressen, Magnolien oder Palmen, stellenweise auch Kamelien, Orangenbäume und Zedern. Nicht umsonst war die Region auch für ihre wunderbaren Parks und Gärten bekannt, darunter die der Villa Carlotta in Tremezzo, deren Parkanlage in verschiedene Abschnitte wie den Rhododendron- oder Azaleengarten unterteilt war.

Kurz vor der Anlegestelle verlangsamte der Steuermann das Tempo. Ein Motorboot, dem Aussehen nach recht neu, lag vertäut am Ufer. Gehörte das dem Toten? »Können wir das Boot schon zuordnen?«, fragte sie den Carabiniere, der unschlüssig den Mund verzog.

»Vielleicht ist das Mordopfer damit gekommen. Aber das dürfen alles Sie herausfinden«, sagte er dann missmutig.

Giovanna nickte Fini zu, der sich daraufhin Namen, Modell und Kennzeichen notierte.

»Aliverti sagte mir, die Leiche ist männlich?«, fragte Giovanna, nachdem sie ausgestiegen waren.

»Männlich, Anfang vierzig, Schusswunden in der Brust«, bestätigte der Carabiniere und führte sie und Fini quer über die Insel zur Ruine von Sant’Eufemia, der vormaligen Basilika, die im zwölften Jahrhundert im Krieg zwischen Como und Mailand zerstört worden war.

Das Mordopfer war schon von Weitem zu sehen, umringt von den Beamten der Spurensicherung in ihren Anzügen. Aber der Tatort wäre Giovanna auch ohne sie gleich ins Auge gefallen: Inmitten der hellen Ruinen lag die Leiche wie drapiert auf den Treppen vor den wenigen verbliebenen Säulen da.

»Wie eine Opferdarbietung«, erklärte Fini düster. »Der Fluch hat einen weiteren Toten gefordert.«

»Dann wäre er kaum erschossen worden«, entgegnete Giovanna. »Für ein satanistisches Ritual hätte man ihm wohl die Kehle durchschneiden müssen.« Aber sie verstand durchaus, was ihr Kollege meinte: Dunkles Blut hatte den hellen Stein verfärbt, und die Leiche wirkte wie hingegossen. Er war vermutlich hier getötet worden, die Muster, die das Blut gezeichnet hatte, sprachen dafür.

Mit der Sonne, die durch die Bäume neben der Ruine schien, sah die Szenerie beinahe friedlich aus. Für einen Moment ließ Giovanna alles auf sich wirken: das Grün der Pflanzen, das Blau des Sees, das Ufer, das nicht weit entfernt lag. Von hier aus hatte man einen Blick nach Sala Comacina mit seinen hellen Häusern und dem verschnörkelten Turm der Chiesa San Bartolomeo.

Sie straffte die Schultern und machte sich bereit für das Gespräch mit den Forensikern. Kurz ging ihr durch den Kopf, dass sie den Namen des Carabiniere nicht wusste, der sie begleitet hatte. Sie hoffte, Fini würde ihn danach fragen und auch seine Kontaktdaten aufnehmen. Außerdem musste jemand mit den Touristen sprechen, die den Toten gefunden hatten, und dabei hoffte sie ebenfalls auf Fini. Er war einfach besser im Umgang mit Menschen. Der Carabiniere hatte gesagt, dass sie im Restaurant warteten, wo ihnen Caffè und Wasser angeboten wurden, nachdem die geplante Besichtigung ja nun ausfiel.

Eine junge Frau, aschblond mit Stirnfransen, blickte auf, als Giovanna näher kam, erhob sich und schob die Kapuze ihres Anzugs von der Spurensicherung etwas zurück.

»Können Sie mir schon mehr zu seinem Tod sagen?«, fragte Giovanna sofort.

Die Forensikerin, die sich als Paola Trevisani vorstellte, nickte. »Er wurde hier ermordet, schauen Sie mal.« Sie deutete auf versprenkelte dunkle Blutflecken, die auch Giovanna schon an den Steinen aufgefallen waren. »Wie es aussieht, wurde er von vorn erschossen, zwei Schüsse in den Oberkörper. Ich schätze in der Nacht, Genaueres erfahren Sie von der Rechtsmedizin.« Sie zuckte die Schultern. »Wir haben Papiere bei ihm gefunden«, sagte sie dann. »Dottor Simone Fabrizio, wohnhaft in Menaggio, Via IV Novembre. Das ist direkt am Ufer, soweit ich weiß.«

Giovanna horchte auf. Eine Villa mit Seezugang, dafür musste man wirklich sehr gut verdienen – oder geerbt haben. »Wissen Sie, was er studiert hat?« Der Titel Dottore wurde schließlich jedem Akademiker verliehen, ganz gleich, welche Fachrichtung er studiert hatte. Man musste keinen PhD vorweisen oder gar Arzt sein, um sich Dottore zu nennen.

Trevisani schüttelte den Kopf. »Aber Sie können seine Papiere und sein Portemonnaie heute noch bekommen«, bot sie an.

»Danke, bis dahin versuche ich es mal mit Google.« Vielleicht wurde sie fündig, allzu viele Dottor Simone Fabrizio aus Menaggio sollte es nicht geben. »Wie ist er hergekommen? Mit dem Boot an der Anlegestelle?«, fragte sie. Fini würde den Halter sicher schnell ausfindig machen.

Die Forensikerin zuckte mit den Schulten. Mit einer unbestimmten Geste zu einem der Männer in Schutzanzügen, die hinter ihr die Ruinen nach Patronenhülsen und weiteren Spuren absuchten, sagte sie: »Meine Kollegen haben einen Schlüssel gefunden, wenn Sie möchten, können Sie ausprobieren, ob er passt.«

Giovanna winkte Fini, damit er sich den Schlüssel ansah. Die Forensikerin schwieg einen Moment, blickte auf die Markenschuhe des Toten. »Kein armer Mann«, kommentierte sie schließlich.

Vielleicht war er ja tatsächlich Arzt. Oder Anwalt. »Darf ich?« Giovanna trat einen Schritt vor, um den Toten aus der Nähe zu betrachten.

Erneut nickte die Forensikerin, und Giovanna kniete sich neben den toten Dottore. Grau melierte Haare, die erst kürzlich geschnitten worden waren, ein scharfkantiges Gesicht, ganz leicht zeichneten sich erste Bartstoppeln ab, wahrscheinlich hatte er sich noch am gestrigen Morgen rasiert. Fabrizio war gut aussehend, von schlanker Gestalt, etwa Anfang vierzig, mit feingliedrigen langen Händen. Am linken Ringfinger trug er einen schmalen Ring, er schien verheiratet zu sein. Ein teurer blauer Anzug, maßgeschneidert, sein vormals weißes Hemd war mit Blut getränkt. Zwei Schüsse in den Oberkörper, von vorn, hatte die Kollegin gesagt, einer etwas unterhalb des Brustbeins, einer oberhalb, als hätte der Täter aufs Herz gezielt, es jedoch nicht getroffen. Kein besonders guter Schütze, dachte Giovanna. Oder er war zu weit entfernt, überlegte sie. Sie entschied sich, ihrem ersten instinktiven Gedanken zu folgen: Sie hatten es nicht mit einem erfahrenen Schützen zu tun. Doch sein Ziel hatte er erreicht – bei diesen Verletzungen hatte es für Dottor Fabrizio keine Chance zu überleben gegeben. Ihr Blick wanderte tiefer zur Hose und den Füßen des Mordopfers. Die Sohlen seiner hellbraunen Schuhe waren matschig vom Gras und der Erde auf der Insel. Es hatte in der Nacht geregnet, das leise Trommeln auf dem Dach hatte Giovanna kurz vor dem Einschlafen gehört. Sein Hosensaum war zerknittert, möglicherweise aber nicht wegen des Regens, vielleicht war er beim Anlegen nicht sauber an Land gelangt, sodass Schuhe und Hose nass geworden waren.

Langsam stand Giovanna auf, drehte sich einmal um die Achse. »Hinweise auf den Täter?«, fragte sie Paola Trevisani, die jedoch den Kopf schüttelte.

»Augenzeugen?« Erneutes Kopfschütteln. Sie würden in Sala Comacina und in Ossuccio nachfragen müssen, die beiden Orte lagen nahe genug, dass jemand etwas gesehen oder gehört haben könnte.

Sie nickte Fini zu, der abseits stand und sie ansah, als erwartete er weitere Instruktionen. Giovanna unterdrückte ein Seufzen, mit Eigeninitiative hatte Fini sich noch nie hervorgetan – aber deshalb war er auch von Aliverti nicht mit ihr mitgeschickt worden. Er hatte andere Qualitäten.

»Die Touristen«, sagte Giovanna zu ihm und setzte sich schon Richtung Restaurant in Bewegung. »Das musst du übernehmen, wenn wir Aliverti keine weitere Beschwerde wegen Unhöflichkeit zumuten wollen.«

2. KAPITEL

Ihr habt was?Dio mio, ihr zwei bringt mich noch um den Verstand!« Das bisschen, was ihr mir noch gelassen habt, ergänzte Maria in Gedanken. Ispettrice Maria di Bartolomeo liebte ihre Söhne, doch mit ihren sechzehn und siebzehn Jahren hatten Luca und Michele nur Flausen im Kopf. Das haben sie von ihrem Vater, dachte Maria verärgert. Mit dem musste sie mal ein Wörtchen reden, denn nun hatte er sie angespornt und ihnen geholfen, sich Geld für einen Roller zusammenzusparen, den er offenbar für sie frisiert hatte. Und was taten die beiden? Seit Mai verging kaum eine Woche, in der Maria nicht von den Kollegen bei den Carabinieri angerufen wurde, die ihre Söhne beim Rasen erwischt hatten. Sie wollten die Mädchen beeindrucken, die auf der Strandpromenade von Bellano flanierten oder sich am Lido in der Sonne bräunten, die einheimischen und die Touristinnen. So wie heute: Eben hatte Gabriele sie darüber informiert, am Lido di Bellano zwei jugendliche Raser angehalten zu haben, zudem ohne Helm. Der Carabiniere würde großzügig darüber hinwegsehen, hatte er verkündet, und Maria hatte ihm im Gegenzug versprochen, ein Wörtchen mit ihren Söhnen zu reden. Jetzt standen sie neben dem Carabiniere schuldbewusst vor ihr. Beide überragten sie mittlerweile um ein ganzes Stück, und trotz der hängenden Köpfe musste sie zu ihnen aufsehen. Micheles Locken fielen ihm wie üblich in die Augen, der Junge musste dringend zum Friseur, und Luca hatte seine Sonnenbrille in seine kurz geschnittenen Haare geschoben. Immerhin baumelten zwei Helme am Lenker des Rollers. Maria vermutete, es war Micheles Angst um seine Haarpracht, die ihn zum wiederholten Male davon abgehalten hatte, den Helm aufzusetzen.

Aber egal, welche Strafpredigt Maria ihnen hielt, in wenigen Tagen würden sie wieder hier stehen. Sie selbst arbeitete bei der Polizia Locale, wo es hauptsächlich darum ging, den Verkehr in Bellano zu überwachen oder Taschendiebe abzuschrecken, ein eher geruhsamer Job, doch es gab genug Berührungspunkte mit den Carabinieri in der Via Denti, sodass sie auch dort die meisten Kollegen kannte. Der Ort war nicht sehr groß, wenn man die Touristen abzog, blieben etwas über dreitausend Einwohner. Mit vielen davon war Maria persönlich bekannt, entweder durch ihre Arbeit bei der Polizei oder durch das Restaurant, das ihre Mutter Rosa und ihre Tante Domenica betrieben und in dem sich Urlauber und Einheimische gleichermaßen tummelten. Daher wusste auch jeder, dass diese beiden Unfugtreiber zu ihr gehörten.

»Kommt nicht wieder vor.« Michele nickte ernsthaft. Als eine Gruppe junger Mädchen kichernd mit ihren Strandtaschen und Eisbechern in der Hand an ihnen vorbeischlenderte, schüttelte er seine Locken.

Maria seufzte. »Verpass ihnen einen Strafzettel«, sagte sie an den Carabiniere gewandt. »Einen saftigen.«

»Mamma!« Entsetzt hoben beide ihre Hände in die Höhe.

»Und wenn ich euch noch einmal ohne Helm erwische«, begann sie, wurde jedoch vom Klingeln ihres Handys unterbrochen. Der Anruf kam von einer unbekannten Nummer, doch gleich nach den ersten Worten erkannte sie die Stimme von Vicente, dem Bauern aus Vendrogno, der das Restaurant ihrer Tante hin und wieder mit Käse belieferte.

»Ciao, Maria, entschuldige, dass ich dich damit so überrumple, aber ein Unfall …«

»Unfall?« Sie warf ihren Söhnen einen eindringlichen Blick zu. Strafzettel waren nicht das Schlimmste, was bei zu schnellem Fahren passieren konnte. Und gerade auf einem Roller konnte ein Zusammenstoß mit einem Auto böse enden. Zumal es auch noch so viele Tunnel gab, in denen … Schluss jetzt, Maria verbot sich jeden weiteren Gedanken in diese Richtung. »Strafzettel!«, rief sie Gabriele noch einmal zu, bevor sie sich mit ihrem Handy ein Stück abseits stellte.

»Was ist los?«, fragte sie dann Vicente. »Ist dir etwas passiert?«

»Nein, nein, mir geht es gut. Ich wollte gerade meine Schwägerin in Margno besuchen, aber … ach, Maria, kannst du bitte herkommen?«

*

Der Wagen war von der Straße abgekommen und einen Abhang hinuntergestürzt. Bremsspuren waren keine zu sehen, aber die Straße war nass gewesen vom Regen in der Nacht.

»Aquaplaning. Und zu hohe Geschwindigkeit«, vermuteten die Carabinieri, die den Unfall aufnahmen. Schon während des Telefonats mit Vicente war Maria klar gewesen, dass es um mehr als einen kleinen Kratzer ging, der Bauer hatte sich vollkommen aufgelöst an sie gewandt, und sie hatte sofort sowohl die Carabinieri als auch einen Rettungswagen informiert.

Der Unfall musste schon vor ein paar Stunden passiert sein – hier oben in den Wäldern auf der Landstraße von Casargo nach Vendrogno, dem Ort, der erst seit ein paar Jahren überhaupt zu Bellano gehörte. Niemand hatte den Wagen bisher bemerkt, nachdem er in die Tiefe gestürzt war und die meisten, die hier oben entlangfuhren, den Blick in den engen Kurven auf die Straße gerichtet hielten.

Maria war so schnell hergekommen, wie es ihr möglich war, und keiner der anderen Offiziellen – Carabinieri, die Feuerwehr und ein Krankenwagen – hatte beim Anblick ihres weißen Dienstwagens mit dem grünen Streifen auch nur mit der Wimper gezuckt, obwohl die Polizia Locale bei solch einem Unfall nicht zuständig war. Maria war bekannt und beliebt, und eine zusätzliche helfende Hand war immer willkommen. Das Unfallauto, ein weißer SUV, war durch den Sturz vollkommen zerstört worden. Es hatte sich allem Anschein nach mehrfach überschlagen, die Windschutzscheibe war zersplittert, Blut auf deren Innenseite zu sehen.

Während das Auto geborgen und der Tote schließlich hinausgezogen wurde, um ihn in einen Leichenwagen zu betten, stand Vicente unsicher am Straßenrand, seine graue Schiebermütze in den Händen. Offensichtlich hatte keiner der Kollegen Zeit, sich um den bedauernswerten Mann zu kümmern. Doch genau das war der eigentliche Grund, warum Maria Polizistin geworden war: Sicher, sie war schon einmal die erste Beamtin an einem Unfallort gewesen, hatte sich auch durchaus schon mit dem Tod konfrontiert gesehen, doch ihren Beruf gewählt hatte sie, um den Menschen zu helfen, ihnen Mut zuzusprechen und die kleinen Dinge am Laufen zu halten. Und das konnte sie wirklich gut: mit Menschen reden. Daher stellte sie sich nun neben Vicente und drückte tröstend seine Hand. »Du hast also den Wagen entdeckt?«, fragte sie.

»Ja. Ja … Das ist Marchesi«, stotterte Vicente. »Antonio Marchesi, mein Nachbar.« Er war blass und konnte den Blick kaum von dem Leichenwagen abwenden. »Ich wollte nur schnell pinkeln, habe am Straßenrand angehalten, und dann habe ich etwas gesehen, dort unten. Oddio, der arme Antonio!«

Der Name Marchesi sagte Maria etwas. »Der Unternehmer?« Wenn sie sich recht erinnerte, war er mit Brillen reich geworden, die Optiker-Filialen rund um den See hießen Marchesi & Morelli, nach den Namen der beiden Firmengründer.

Vicente nickte, sichtlich erschüttert.

»Kanntet ihr euch gut?«, fragte sie mitfühlend.

»Er war immer im Stress, viel zu tun, oft kurz angebunden, aber …« Der Bauer sah sie an. »Ich mochte ihn. Kannte ihn schon ewig. Hat als Kind in Vendrogno gewohnt, seine Familie ist dann weggezogen, aber vor fünfzehn Jahren ist er zurückgekommen.«

»Heimat«, sagte Maria schlicht. Der Ort, an dem man aufwuchs, blieb für immer im Herzen. Auch wenn man die große weite Welt kennen- und vielleicht lieben lernte, die Kindheit und Jugend waren etwas Besonderes, dort würde man sich immer zu Hause fühlen. Sie selbst hatte sich nie vorstellen können wegzuziehen, zu tief verwurzelt war sie in Bellano, dem Uferstädtchen am See, mit den Alpen im Hintergrund und der Sonne am Abend. Die kleinen Bergdörfer, die oberhalb in den Wäldern rund um den Comer See lagen, besaßen einen Charme, der schwer zu fassen war. Sie konnte verstehen, weshalb es Marchesi dorthin zurückgezogen hatte.

»Weißt du, was er hier in der Nacht gewollt haben könnte?«, fragte sie dann.

»Keine Ahnung. Er war doch immer unterwegs. Hierhin und dorthin. Er wollte ja der nächste Bürgermeister werden.«

Das wird Castelnuovo aber gar nicht gefallen, dachte Maria. Das Büro des Bürgermeisters befand sich, wie auch die Polizia Locale, im Rathaus. Der Mann stand mehr als nur einmal pro Woche vor ihrem Schreibtisch.

Vicente verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Und dann drehte er sich plötzlich zu ihr um und fragte zu ihrer Überraschung: »Glaubst du, jemand hat ihm etwas angetan?«

*

»Auf nach Menaggio«, sagte Giovanna zu Fini, nachdem sie die gefürchteten Gespräche mit den Touristen hinter sich gebracht hatte. Natürlich waren die Urlauber nicht in der Lage gewesen, auch nur ein Wort Italienisch zu sprechen, weshalb Fini sich mit bedauerndem Blick an Giovanna gewandt und sie wohl oder übel die Befragung hatte übernehmen müssen. Ihr Englisch war leidlich, hatte aber gereicht, die Zeugenaussagen aufzunehmen. Die Amerikaner waren außerordentlich höflich, leise und rücksichtsvoll gewesen, hatten in präzisen Worten ihre Ankunft auf der Insel und den Spaziergang – die »Wanderung«, wie sie es nannten – zu den Ruinen von Sant’Eufemia beschrieben und alle Fragen, die Giovanna hatte, klar beantwortet. Falls noch weitere Fragen auftauchten, würde sie im Hotel anrufen, in dem die Touristengruppe untergebracht war, aber sie glaubte nicht, dass das nötig sein würde. Die Amerikaner waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Außer dem Toten hatten sie nichts bemerkt, und wie die Forensikerin Trevisani ging auch Giovanna davon aus, dass Dottor Fabrizio schon viele Stunden vor ihrem Eintreffen erschossen worden war, letzte Gewissheit über den Todeszeitpunkt würde die Rechtsmedizin geben. Vielleicht, dachte Giovanna, war die Insel doch ganz klug gewählt worden, aus dieser Entfernung hätte man in Sala Comacina oder Ossuccio einen Schuss für eine Fehlzündung eines Motors gehalten, erst vorletzte Nacht war Giovanna bei offenem Fenster auf diese Weise geweckt worden.

Während sie die Zeugenaussagen aufgenommen hatte, hatte Fini sich nützlich gemacht und den Dottore gegoogelt. Oder wahrscheinlich vielmehr in Como angerufen und jemand anderen googeln lassen, Fini kam mit seinem Smartphone nicht sehr gut zurecht. Das Ergebnis jedenfalls konnte sich sehen lassen: Nicht nur, dass das Boot an der Anlegestelle auf Dottor Simone Fabrizio zugelassen war, der Mann arbeitete tatsächlich als Hausarzt, einer der wenigen in der Stadt. Seine Praxis befand sich an der gleichen Adresse wie sein Wohnort, und er hatte eine Frau, die Apothekerin war, und zwei Kinder. Ursprünglich in Monza beheimatet, hatte er in Mailand studiert und lebte inzwischen mit seiner Familie in Menaggio. Und dorthin waren sie nun auf dem Weg.

Die Bootsfahrt zurück nach Sala Comacina war ebenso kurz wie die Hinfahrt, und Fini bedankte sich überschwänglich bei dem Fischer. Dem Carabiniere reichte er wortreich die Hand, während Giovanna beiden zunickte und schon einmal den Dienstwagen öffnete.

Nach Menaggio war es nicht weit, sie kannte das kleine Städtchen mit dem hübschen Marktplatz am Ufer gut, auch hier war es touristisch, jedoch nicht ganz so überlaufen wie in ihrer Heimat Bellagio, wo man in den Sommermonaten in den schmalen Gassen der Innenstadt oft kaum vorankam. Giovanna nannte Menaggio insgeheim die »gelbe Stadt«, auch hier waren die Häuser im typischen Comer-See-Stil in hellen warmen Farben gestrichen, doch am Hafen, der von der Fähre aus in ihrem Blickfeld lag, dominierte das Gelb. Sie mochte die Farbe, vor allem in der Kombination mit den grünen Fensterläden, wie man sie hier oft sah.

»Todesnachrichten überbringen«, sagte Fini düster. »Gibt es etwas Schlimmeres?«

»Nicht viel«, musste sie zugeben. Vor allem, wenn kleine Kinder im Spiel waren: Fabrizios Tochter besuchte noch die Grundschule, der Sohn war gerade aufs Liceo gekommen. Aber es half nichts, und so startete sie den Motor, um zur angegebenen Adresse in der Via IV Novembre zu fahren.

Das Anwesen – ein anderes Wort fiel Giovanna nicht ein – wirkte wie aus einem Werbeprospekt für Luxusapartments am Comer See entsprungen: Hinter dem hohen Torbogen lag ein blühender Garten, Zypressen und Palmen säumten einen säuberlich gepflegten Rasen, und das cremefarbene Haus mit den grünen Fensterläden zierte ein gusseiserner Balkon. Ohne Zweifel befand sich auf der Rückseite eine Terrasse mit Privatzugang zum See.

»Kranke gibt es immer«, kommentierte Fini den feudal anmutenden Bau, und Giovanna drückte auf den Klingelknopf an der Toreinfahrt. Lautes Hundegebell war die Antwort, und ein schwarz-weißer Mischling sprang über das Gras auf sie zu. Unwillkürlich trat Fini einen Schritt zurück, als sich gleichzeitig automatisch das Tor öffnete, doch Giovanna hatte bemerkt, dass der Hund vor Freude wild mit dem Schwanz wedelte. Das Tier stürmte auf sie zu, strich ihr um die Beine, und nachdem sie ihn ausgiebig hinter den Ohren gekrault hatte, schmiegte er seinen Kopf an ihr Knie.

»Pimpa, aus!«, rief jetzt eine Frau, die ihnen mit hochrotem Kopf entgegenhastete, und nun traute sich auch Fini wieder aus der Deckung der Gartenmauer.

»Pimpa, wie diese Comic-Hündin?«, fragte er erleichtert.

»Ja. Entschuldigen Sie bitte vielmals«, sagte die Signora, als sie die Hündin an ihrem Halsband von Giovanna wegzog. »Sie ist immer so aufgeregt, wenn wir Besuch bekommen.«

»Das macht nichts, Bruno hat kein Problem mit Hunden«, antwortete Giovanna freundlich. »Nur Katzen mag er nicht. Sind Sie Emilia Fabrizio?«

Die Frau, die höchstens fünf Jahre älter sein mochte als Giovanna und ihr rötlich-braunes Haar bis knapp über die Schultern trug, nickte, auch wenn sie die Bemerkung über Bruno ganz offensichtlich nicht einordnen konnte.

Giovanna atmete tief durch. Was jetzt kam … Die Nachricht vom Tod eines geliebten Angehörigen zu überbringen war ein Teil ihrer Arbeit, an den sie sich nie würde gewöhnen können. Der Schmerz in den Augen der Hinterbliebenen schnitt ihr jedes Mal ins Herz. Vielleicht, so hatte sie schon öfter gedacht, versah sie ihre Arbeit deshalb so hartnäckig, weil das Einzige, was sie tun konnte, um den Menschen zu helfen, war, die Täter zu finden, die mit ihrem Verbrechen für diesen Schmerz verantwortlich waren.

»Wir sind von der Polizei. Dürfen wir hereinkommen?«, begann sie.

Doch Signora Fabrizio hatte schon verstanden: Vielleicht war es etwas an Giovannas Tonfall gewesen, höchstwahrscheinlich war ihr auch das Fehlen ihres Ehemannes bereits aufgefallen, jedenfalls wurde sie blass, und wenn Fini ihr nicht augenblicklich seinen Arm gereicht hätte, wäre sie womöglich gestürzt.

»Dann ist er … Er ist … Simone ist … tot?«

*

Die Kinder waren noch in der Schule, und Fini organisierte, nachdem Emilia Fabrizio ihm fahrig ihr entsperrtes Smartphone in die Hand gedrückt hatte, dass die Großeltern, die in der Nähe wohnten, die beiden abholten. Bis zu ihrer Ankunft würden Giovanna und er bei Emilia bleiben, das hatte Fini ihr versprochen.

Vor allem wird Pimpa bei ihr bleiben, dachte Giovanna gerührt, als sie sah, wie die Hündin tröstend ihren Kopf in den Schoß der trauernden Witwe legte. Sie hatten die Signora ins Haus begleitet, wo sie sich, immer noch leichenblass, im hellen Wohnzimmer auf ein ledernes Sofa gesetzt hatte. Fürsorglich war Fini eine Decke holen gegangen, die Giovanna jedoch anschließend zur Seite gelegt hatte – Schock hin oder her, die Temperatur war mittlerweile auf dreißig Grad gestiegen, und die Sonne, die durch die Verandafenster schien, wärmte auch hier.

»Ich koche einen Caffè«, sagte Fini, der offenbar nach Beschäftigung suchte. Emilia Fabrizio blickte ihn teilnahmslos an, was er als Zustimmung auffasste, denn kurz darauf hörte Giovanna ihn in der angrenzenden Küche Schränke und Schubladen öffnen.

»Signora Fabrizio«, begann Giovanna ruhig. »Sie müssen uns jetzt keine Fragen beantworten.« Vermutlich war sie dazu auch gar nicht in der Lage. Denn obwohl Giovanna selbst diese Erinnerung gern aus ihrem Gehirn verbannt hätte, so sah sie noch so deutlich, als ob es gestern gewesen wäre, vor sich, wie zwei Polizisten ihrer Großmutter und ihr die Nachricht vom Unfalltod ihrer Eltern überbracht hatten. Nie und nimmer hätte Nonna – oder sie selbst mit ihren zwölf Jahren – den Beamten in diesem Moment irgendwelche Fragen beantworten können. Es war schon schwer genug gewesen, in den folgenden Tagen die Kraft aufzubringen, überhaupt aufzustehen.

»Nein, ich möchte.« Bleich, mit leiser Stimme, blickte Emilia Fabrizio sie an. »Es war kein Unfall?«

Sie ist klug, diese Signora, fuhr es Giovanna durch den Kopf. Und auch wenn sie nur Mitgefühl mit ihr haben wollte, nichts als Mitgefühl für diese junge Witwe, so konnte sie als ermittelnde Beamtin nicht anders, als diese Information zu hinterfragen. Fini und sie hatten noch nichts zu den Umständen seines Todes gesagt, wäre es ein Unfall gewesen, so hätten sie zweifellos mit dieser Information begonnen – Emilia Fabrizio entgingen diese kleinen Dinge nicht.

»Er ist erschossen worden«, beantwortete Giovanna ihre Frage.

Ein Muskel zuckte in Emilias Wange, sie sagte aber nichts.

»Wann haben Sie Ihren Mann zum letzten Mal gesehen?«

Signora Fabrizio beschrieb stockend, wie sie gemeinsam zu Abend gegessen hatten. Anschließend hatte sie die Kinder ins Bett gebracht, während er sich in den Anbau zurückgezogen hatte, um »Papierkram zu erledigen«. Den Anbau hatte Giovanna bei ihrem Eintreffen für die Garage gehalten, aber offenbar befand sich dort Dottor Fabrizios Hausarzt-Praxis.

»Haben Sie ihn später noch einmal gesehen?«

Stumm schüttelte Emilia den Kopf.

Sie hat entweder einen sehr festen Schlaf, oder die Eheleute schlafen getrennt, dachte Giovanna.

Jetzt fuhr die Witwe sich über die Augen. »Meine letzten Worte waren: ›Nimm bitte den Müll mit raus.‹ Die letzten Worte, die ich je zu meinem Mann gesagt haben werde, drehen sich um den verdammten Müll!« Alarmiert hob Pimpa den Kopf, als sie ihr Frauchen mit erhobener Stimme sprechen hörte.