RACHE FÜR DEBORAH - Frances Keinzley - E-Book

RACHE FÜR DEBORAH E-Book

Frances Keinzley

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Beschreibung

Verzweifelt steht Eloise Blassing am Grab ihrer Tochter Deborah und schwört, den Tod des Mädchens zu rächen.

Schon ein halbes Jahr später fährt Miss Blassing nach Neuseeland, um einen raffinierten Plan in die Tat umzusetzen. Mit ihr an Bord befindet sich jener Mann, den sie für Deborahs Mörder hält...

Frances Keinzley (1922 - 2006) war eine neuseeländische Kriminal-Schriftstellerin.

Der Roman Rache für Deborah erschien erstmals im Jahr 1970; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Sammlungen



 

 

 

 

Frances Keinzley

 

 

Rache für Deborah

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 134

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

RACHE FÜR DEBORAH 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Verzweifelt steht Eloise Blassing am Grab ihrer Tochter Deborah und schwört, den Tod des Mädchens zu rächen.

Schon ein halbes Jahr später fährt Miss Blassing nach Neuseeland, um einen raffinierten Plan in die Tat umzusetzen. Mit ihr an Bord befindet sich jener Mann, den sie für Deborahs Mörder hält...

 

Frances Keinzley (1922 - 2006) war eine neuseeländische Kriminal-Schriftstellerin.

Der Roman Rache für Deborah erschien erstmals im Jahr 1970; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  RACHE FÜR DEBORAH

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Der leichte Regen fiel so gleichmäßig, dass die wenigen Menschen auf dem Friedhof schon nach kurzer Zeit durchnässt waren. Er ließ die Grabsteine feucht schimmern und tropfte von den ausgebreiteten Schwingen eines versteinerten Engels. Die hellbraunen Schollen des frischausgehobenen Grabes wurden im Regen zu lehmigem Brei. Selbst die Streben des Schirms, den der Pastor über sich hielt, setzten sich als silbrige Wasserfäden fort, so dass er wie ein seltsamer Vogel in diesem vom Himmel geschmiedeten Käfig zu stehen schien.

Eloise Blassing stand groß, schlank und aufrecht am offenen Grab, ohne ihre Haltung während der langen Zeremonie im geringsten zu verändern. Ihr aufmerksamer Blick verriet nicht, wie unbehaglich ihr in dieser Umgebung zumute war - und welchen Schmerz sie empfand.

Sie dachte an den Pastor, dessen Stimme wie eine Orgel klang. Warum bemühen sie sich am Grab um diesen sonoren Tonfall? fragte sie sich. Glauben sie wirklich, dadurch Trauer ausdrücken zu können? Wen wollen sie beeindrucken - die Trauernden, Gott oder sich selbst? Dabei hätte es doch genügt, einfach zu sagen: »Wir sind hier versammelt, um ein Mädchen zu begraben, das zu jung gestorben ist. Wir trauern um einen jungen Menschen von achtzehn Jahren, aber wir wollen versuchen, uns mit dem Bewusstsein zu trösten, dass Deborahs früher Tod ihr die Leiden eines langen Lebens erspart hat. Und nun erbitte ich den Segen des Herrn - nicht für Deborah, sondern für die trauernden Hinterbliebenen. Gehet hin in Frieden.«

Eloise merkte, dass sie geistesabwesend den Steinengel angestarrt hatte; sie senkte den Kopf und betrachtete stattdessen ihre Schwester - ihre Zwillingsschwester, die ihr in allen Punkten glich, obwohl sie natürlich weniger intelligent war. Anastasia stand mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen neben ihr. Eloise seufzte. Selbst wenn Anastasia ehrlich trauerte, schien sie nur eine Rolle zu spielen, als passe sie sich aus Mangel an eigenem Charakter auch diesen Umständen bereitwillig an.

Der Gottesdienst ging zu Ende. Eine Schaufel Erde war bereits auf den teuren Eichensarg mit den Silbergriffen hinabgepoltert. Der Pastor klappte sein dickes Buch zu, dessen rote Einlegebänder die häufig benötigten Texte kennzeichneten. Eloise wandte sich ab; sie war praktisch genug veranlagt, um dafür dankbar zu sein, dass alle Beteiligten jetzt nicht mehr lange im Regen zu stehen brauchten. Der Pastor begleitete die beiden Schwestern zum Friedhofstor, wo der große alte Bentley auf sie wartete, und Eloise atmete erleichtert auf, als er schwieg, anstatt weitere Ungereimtheiten von sich zu geben.

Eloise ließ ihre Schwester auf dem engen Pfad vorausgehen und stellte dann erstaunt fest, dass Anastasia unter ihrem langen Trauerkleid schwarze Seidenstrümpfe trug. Zu ihrer Verblüffung musste sie zugeben, dass Anastasia schöne Knöchel hatte und sich elegant bewegte. Sie fragte sich bei diesem Anblick, weshalb sie an Schönheit denken konnte, wo es um ihre unschöne Schwester ging. In Zukunft würde es schwierig sein, etwas Schönes zu sehen und nicht an Deborah zu denken.

An der Autotür schüttelte der Pastor den beiden Schwestern die Hand. Eloise akzeptierte diese Verabschiedung als weiteren unangenehmen Bestandteil des Gottesdienstes, nahm im Wagen Platz und zog sofort die Vorhänge zu, um den Pastor nicht länger sehen zu müssen.

Die Entfernung zur Villa am Dorfrand war nicht groß, aber der Chauffeur hielt sich an seinen Auftrag, stets würdevoll zu fahren, und brauchte für diese Strecke kaum länger als ein Fußgänger. Eloise lehnte sich in die Polster zurück und starrte geradeaus. Sie schien ihre Umgebung nicht mehr wahrzunehmen.

Sie dachte an Anastasia, die so empfindsam neben ihr saß, und an die schuldbewusste Freude, die sie in Anastasias Augen beobachtet hatte, als ein Mann ihr die Hand gab - auch wenn er nur der Dorfpastor war. Mann blieb Mann, und obwohl Anastasia diesen Vorwurf bestritt, war Eloise sich darüber im Klaren, dass ihre Schwester Tag und Nacht davon träumte, umworben, entführt und bis an ihr seliges Ende geliebt zu werden. Bei dem Gedanken daran schlug Eloises Herz rascher, aber sie wusste, dass ihr Ärger sich nicht gegen Anastasia oder den harmlosen Pastor richtete, sondern gegen Männer überhaupt.

Sie selbst war einst verwundbar gewesen; sie selbst hatte in ihrer Jugend an Liebe und das große Happy-End geglaubt. Die erste Enttäuschung war über sie hereingebrochen, als sie merkte, dass Liebe nicht die Verschmelzung zweier Menschen in paradiesischer Umgebung und bei zauberhafter Musik bedeutete; stattdessen war alles deprimierend gewesen, obwohl sie sich bemüht hatte, auch daran etwas Schönes zu finden. Die zweite Enttäuschung war die Entdeckung gewesen, dass es für sie kein Happy-End geben würde, weil ihr Liebhaber nichts mehr von ihr wissen wollte, als sie ihm erklärte, sie erwarte ein Kind von ihm. Sie hatte sterben wollen und war zum Leben verurteilt worden; Deborah hatte leben wollen und war zum Tod verurteilt worden.

Arme Deborah. Jung, schön und lebenslustig. Ihr früher Tod hatte immerhin verhindert, dass sie alt und vertrocknet wie Anastasia und Eloise wurde, und diese beiden würden jetzt noch rascher altern, wenn Deborah nicht mehr jedes dritte Wochenende aus London auf Besuch kam, um achtundvierzig herrliche Stunden bei meinen lieben Tanten zu verbringen. Liebste Tante Stasia! Du musst die Luft für mich gereinigt haben - sie hat noch nie so sauber gerochen. Und du, meine allerliebste Tante Eloise, du schaust so trübselig drein, als wäre der Himmel grau. Warum bleibe ich nicht bei euch in Wintonbrook?

Aber sie fuhr montags um halb sieben wieder nach London zurück. Zuerst erwies sich die Anziehungskraft der Großstadt als stärker, aber dann wollte Deborah vor allem dorthin, wo ihr Geliebter war.

Aber Deborahs Liebhaber war kein junger Mann gewesen; Deborah, die als Waise aufgewachsen war, hatte sich unbewusst nach einem Vater gesehnt und war die Geliebte eines wesentlich älteren Mannes geworden, dem ihre Verehrung schmeichelte. Er hatte das Leben mit ihr genossen, und als dann feststand, dass Deborah schwanger war und bald nicht mehr sein Bett würde teilen können, war es für ihn selbstverständlich gewesen, mit ihr zu einem Arzt zu gehen, der heimlich Abtreibungen vornahm.

Steven Maddren! Eloise stellte sich ihn vor und sagte ihm ins Gesicht: Ich weiß, wer Sie sind. Deborah hat oft von Ihnen gesprochen, weil sie in Sie verliebt war. Sie hat Ihren Namen so eigenartig ausgesprochen, dass ich misstrauisch geworden bin. Und sie hat Sie Steven genannt, was selbst heutzutage zwischen Chef und Sekretärin ungewöhnlich sein dürfte. Kein Beweis? Doch - in der Nacht vor ihrem Tod hat Deborah immer wieder versucht, Sie in London zu erreichen, und ist schließlich am Telefon zusammengebrochen. Am nächsten Morgen ist sie an den Folgen einer Abtreibung gestorben, und als ich mich ans Telefon gesetzt habe, war der ganze Notizblock vollgekritzelt: Steven, liebster Steven... hilf mir doch!... morgen ist es zu spät... ich habe Angst, Steven... Angst. Angst!... bitte, hilf mir, die Schmerzen sind so unerträglich - und dann kam zehn- oder zwölfmal Ihre Nummer in verschiedener Anordnung, liebster Steven. 

Vermutlich hätte ich auch am Telefon gesessen, wenn ich damals, als ich in gleicher Lage war, eine Nummer hätte wählen können; aber auf Befehl meines Vaters wurde ich nach Frankreich geschieht, bis ich mein Kind auf die Welt gebracht hatte. Deborah wurde von verarmten Verwandten aufgezogen, um schließlich als Waise zu mir zurückzukehren. Wären Sie nicht gewesen, Steven Maddren, hätte Deborah ihr Kind auf die Welt bringen und sich daran freuen können; sie hätte es behalten wollen, denn sie war noch ein halbes Kind, das Freude an allem Lebendigen hatte.

Ich werfe Ihnen nicht vor, mein Kind verführt zu haben - dagegen muss jedes Mädchen sich selbst wehren können -, aber ich klage Sie an, mein Kind ermordet zu haben. Ich denke seit zwei Tagen darüber nach und wäre einmal beinahe nach London gefahren, um Deborah zu rächen. Aber ein Mord aus Rache würde mich nicht zufriedenstellen und wäre moralisch anfechtbar. Sie müssen als Verbrecher bestraft werden. Und wie soll ich die Welt von Ihrem Verbrechen überzeugen? Gar nicht, mein lieber Mr. Maddren - je weniger die Welt davon weiß, desto lieber ist es mir. Ich habe Sie für schuldig befunden und werde nun dafür sorgen, dass Sie Ihrer Strafe nicht entgehen.

Der Wagen rollte die kiesbestreute Auffahrt entlang und hielt vor der Villa, die von der Straße aus nicht zu sehen war. Der Chauffeur stieg aus, spannte nacheinander zwei große schwarze Schirme auf und gab sie den Damen, die darunter zur Haustür schritten. Ein ältliches Dienstmädchen öffnete ihnen die Tür.

Anastasia wollte die Treppe hinaufgehen, aber Eloise hielt sie am Arm zurück. Anastasia sah sie aus rotgeweinten Augen an. »Ja, Eloise?«

»Deine Knöchel, Anastasia!«

Anastasia senkte schuldbewusst den Kopf. »Ja, ich weiß, Schwester - das kommt vom Regen, der Saum muss eingegangen sein, ich ziehe mich gleich um.«

Eloise nickte. »Hoffentlich! Schwarze Seidenstrümpfe sind immer gewagt, aber zu Trauerkleidung sind sie geradezu unanständig. Zieh sie aus und bring sie mir, damit ich sie verbrennen kann.«

»Ja, Eloise.« Anastasia hatte Tränen in den Augen, als sie an die wunderschönen Seidenstrümpfe dachte, die Deborah ihr mitgebracht hatte.

Eloise hielt die Tränen für ein Zeichen der Trauer und behandelte ihre einfältige Schwester deshalb nachsichtiger als sonst. Während das Dienstmädchen ihr den Mantel abnahm, rief sie Anastasia nach: »Sobald du wieder unten bist, trinken wir ein Glas Sherry. Beeil dich also und wisch dir die Tränen ab!«

Anastasia strahlte. »Oh, vielen Dank, Schwester, das ist nett!« Als sie die Treppe hinauf eilte, hatte sie ihren Kummer bereits vergessen.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Identische Zwillinge heißen eineiig, weil sie aus dem gleichen Ei hervorgegangen sind. Sie sind einander so ähnlich, wie es Menschen überhaupt sein können; Körperbau, Haare, Augen und Gesichtszüge entsprechen sich in allen Einzelheiten. Hat das eine Kind eine verkürzte Zehe, weist das andere die gleiche Missbildung auf; hat das erste einen Leberfleck mit drei Millimeter Durchmesser, ist der gleiche Fleck in gleicher Größe auch bei dem zweiten zu finden. Ihr geistiges Potential ist zu Anfang ebenfalls gleich, obwohl es selbstverständlich durch Umwelteinflüsse in seiner Entwicklung gefördert oder auch gehemmt werden kann.

Für Außenstehende mag es schwierig und oft sogar unmöglich sein, eineiige Zwillinge zu unterscheiden; ihren Eltern fällt das leicht, weil sie die individuelle Entwicklung der Kinder verfolgen können. Obwohl manchmal behauptet wird, eineiige Zwillinge seien nur zwei Ausgaben des gleichen Menschen, sind Zwillingseltern anderer Meinung, und als Lord Blassing, der bekannte Reeder, Bankier und Hotelbesitzer, die Nachricht erhielt, seine Frau habe Zwillinge geboren, fühlte er sich durchaus als zweifacher Vater. Dass die Zwillinge Mädchen waren, störte ihn allerdings; er hätte einen Sohn zwei Töchtern vorgezogen, aber er war vernünftig genug, lieber zwei Mädchen als gar keine Nachkommen haben zu wollen.

Eloise, die zuerst geboren wurde, bekam eine wunderschöne goldene Uhr mit der Inschrift Meinem ersten Sohn in die winzigen Finger gedrückt. Als Anastasia zweiundzwanzig Minuten später auf die Welt kam, nahm der enttäuschte Lord Blassing die Uhr wieder an sich. Er musste erst drei Kognaks in seinem Klub trinken, um sich darüber klarzuwerden, was es bedeutete, mit achtundfünfzig Jahren der Vater von zwei gesunden Kindern zu werden.

Lord Blassings Hoffnungen waren enttäuscht worden; er gab jedoch trotzdem nicht auf und bemühte sich, seine Töchter so zu erziehen, dass sie das Vermögen, das sie eines Tages erben würden, selbst verwalten konnten. Damit hatte er nur bei Eloise Erfolg, denn Anastasia war von Anfang an damit zufrieden, ein Parasitendasein zu führen und ihrer älteren Schwester zu gehorchen. Diese Veranlagung Anastasias machte das Zusammenleben der beiden Mädchen überhaupt erst möglich - wenn auch nicht immer angenehm.

Bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr war Eloise so verwundbar, wie es ein Mädchen in ihrem Alter sein konnte, und sie genoss die harmlosen Flirts mit wohlerzogenen jungen Männern, die sie bei gesellschaftlichen Veranstaltungen kennenlernte. Erst nach ihrer großen Enttäuschung zog sie sich nach Wintonbrook zurück, um ein Einsiedlerleben zu führen, und nahm Anastasia mit. Obwohl die Uhren in dem großen Haus weitertickten, schien die Zeit für die beiden Schwestern stillzustehen.

Eloise und Anastasia empfingen keine Besucher, und der einzige Außenstehende, der gelegentlich zu ihnen kam, war ihr Arzt. Sie aßen bescheiden, kleideten sich unauffällig, trugen keinerlei Makeup und rafften ihre Haare im Nacken zu einem schlichten Knoten zusammen. Ihre Kleidung, ihre Aufmachung und ihr ganzer Lebensstil sollten nicht nur als Tarnung dienen, sondern waren darauf ausgerichtet, Fremde abzuschrecken und die beiden Schwestern vor Belästigungen zu schützen. Das galt allerdings mehr für Eloise; Anastasia hätte sich gern mit Männern abgegeben, so dass ihre Schwester sich verpflichtet fühlte, auf diese Weise dafür zu sorgen, dass Männer sie nicht attraktiv finden konnten. Mit achtunddreißig Jahren sahen die beiden Schwestern wie fünfzig aus.

Ihre Dienstboten waren schon seit Jahren im Haus: ein Torwächter, ein Gärtner, der Chauffeur, eine Köchin und drei Dienstmädchen, die sich alle bemühten, ihre Pflichten so unauffällig wie möglich zu erfüllen. Das Hauspersonal aß besser als die Schwestern, aber doch nicht so gut, wie man es in diesem finanziell gesicherten Haushalt hätte erwarten können. Aber Eloise blieb ihrem Prinzip treu: Mehr als ausreichend ist schon zu viel. Sie sorgte dafür, dass das Personal genug zu essen bekam; aber sie sorgte auch dafür, dass die Mahlzeiten nicht zu reichlich ausfielen. Die Dienstboten waren den Schwestern treu ergeben, denn Eloise hatte ihnen durch ihren Anwalt erklären lassen, ihre Altersversorgung sei gesichert, wenn sie sich verpflichteten, eine gewisse Anzahl von Jahren im Haus zu bleiben; diese Ankündigung hatte das Personal mit vielem versöhnt und beflügelte noch jetzt seinen Diensteifer.

 

Eloise war im Umgang mit ihrer Schwester und den Hausangestellten nie redselig gewesen; nach der Beerdigung schien sie noch weniger zu sagen zu haben und überließ es Anastasia, die weniger bedeutsamen Entscheidungen zu treffen. Anastasia genoss dieses Machtgefühl sichtlich, und die Dienstboten fanden die Abwechslung erfreulich - sie wussten zwar, dass Anastasia nur befehlen durfte, solange Eloise anderweitig beschäftigt war, aber sie waren wohlerzogen genug, um auch ihre Anweisungen pünktlich zu befolgen.

Eloise Blassing hatte keine Zeit, sich um den Haushalt zu kümmern; sie konzentrierte sich auf ein Ziel, das ihr seit Deborahs Tod vorschwebte: Steven Maddren musste bestraft und hingerichtet werden. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass dieses Vorhaben durchführbar war, aber sie wusste auch, dass sie ihre ganze beachtliche Intelligenz dabei würde einsetzen müssen.

Sie ließ sich juristische Fachbücher aus London schicken und studierte sie eingehend, um selbst festzustellen, wie schuldig Steven Maddren sich nach dem Buchstaben des Gesetzes gemacht hatte. Aber nach dreitägiger Suche hatte sie erst einige Zeilen entdeckt, die auf diesen Fall zuzutreffen schienen; das Kapitel behandelte Nichtausgeführte Verbrechen und enthielt den Absatz Anstiftung.

 

»...wer eine Person dazu auffordert oder anstiftet, eine Straftat zu begehen, oder wenn zwei oder mehr Personen die Begehung einer Straftat verabreden...«

 

Abtreibung war eine Straftat; Deborah war dazu angestiftet worden, sich an dieser strafbaren Handlung zu beteiligen; Steven Maddren hatte gemeinsam mit ihr und dem Arzt die Begehung einer Straftat verabredet. Eloise notierte sich die entsprechende Seite und las weiter.

In einem anderen Band wurden Gemeinsam begangene Verbrechen kommentiert:

 

»Als Haupttäter wird jemand bezeichnet, der eine Straftat verübt oder von einer anderen Person ausführen lässt, die nicht imstande ist, das Unrecht dieser Tat zu erkennen. In schweren Fällen sind die Mittäter gleichschuldig und haben mit der gleichen Strafe zu rechnen...«

 

Deborahs Strafe war der Tod gewesen, deshalb kam für Steven Maddren nur die Todesstrafe in Frage. Er hatte ein Verbrechen von einer anderen Person, der das Unrechtsbewusstsein fehlte, begehen lassen und war deshalb als Haupttäter anzusehen; das besagte dieser Kommentar ganz eindeutig.

Aber Eloise suchte weiter und entdeckte unter der Überschrift Strafrechtliche Verantwortung folgende Ausführungen:

»...dadurch wird sichergestellt, dass ein Täter, der den Tod eines anderen Menschen verursacht (oder als Mittäter verursacht), nicht als Mörder verurteilt wird, wenn er zum Tatzeitpunkt in seinem Urteilsvermögen behindert und deshalb nur beschränkt zurechnungsfähig war...«

Beschränkt zurechnungsfähige Täter mordeten blindlings, ohne Überlegung und ohne Rücksicht auf die Folgen; sie trafen keine heimlichen Vorbereitungen und vereinbarten kein Honorar - das waren typische Kennzeichen einer sorgfältig überlegten Tat. Steve Maddren war sich darüber im Klaren gewesen, dass er ein Verbrechen vorbereitete; er hatte sich als Mittäter schuldig gemacht und konnte sich nicht darauf hinausreden, nur beschränkt zurechnungsfähig gewesen zu sein. Folglich verdiente er seine Strafe: Gott und das Gesetz waren auf Eloise Blassings Seite.

Damit blieb nur noch seine Entlarvung und Verurteilung als Mörder zu planen. Nur ein Mord würde Steven Maddren die Todesstrafe einbringen, und Eloise war sich darüber im Klaren, dass handfeste Beweise vorliegen mussten, bevor jemand wegen Mordes angeklagt und verurteilt wurde. Sie überlegte sogar, ob sie sich selbst aufopfern sollte, um dieses Ziel zu erreichen, aber der Gedanke an Anastasia, die in diesem Fall allein und hilflos Zurückbleiben würde, hielt sie davon ab. Ihr blieb keine andere Wahl: Sie musste weiterleben - oder Anastasia musste gemeinsam mit ihr sterben.

Dieser Gedanke hatte sogar etwas für sich. Der Tod einer einzelnen Frau in einem alleinstehenden Haus konnte aus irgendwelchen Gründen nicht überzeugend genug sein, um dem vermutlichen Täter die Höchststrafe einzubringen. Aber wenn zwei ältere Damen ermordet wurden, hatten die Geschworenen keine andere Wahl mehr, als auf die Todesstrafe zu erkennen. Eloise war davon überzeugt, dass dieses Verbrechen sich arrangieren ließe... und es würde arrangiert werden, falls sich keine andere Möglichkeit anbot.

 

 

 

 

  Drittes Kapitel

 

 

Eine Woche nach der Beerdigung fuhr Eloise zum ersten Mal seit neunzehn Jahren wieder nach London und nahm Anastasia mit, was sie im Lauf des Vormittags hundertmal bedauerte. Anastasia, die von Natur aus neugieriger war, blieb vor jedem zweiten Schaufenster stehen, um die darin ausgestellten herrlichen Dinge zu bewundern. Und während die beiden Schwestern feststellten, wie sehr London sich verändert hatte, betrachtete London sie seinerseits erstaunt und schien nicht recht zu wissen, ob es lächeln oder fragend die Augenbrauen hochziehen sollte.

Auf einem Postamt im West End schlug Eloise im Telefonbuch Steven Maddrens Adresse nach und notierte sie sorgfältig. Dann ging sie mit Anastasia im Schlepptau die Chafing Cross Road entlang, bog in die New Oxford Street ab, überquerte die Gower Street und erreichte endlich die kleine Straße in Euston, in der Steven Maddren sein Büro hatte. Sie fand es im ersten Stock eines Bürogebäudes und blieb vor der Tür stehen, auf der protzige Goldlettern verkündeten:

 

Steve Maddren - Geschäftsagent Übernahme von Aufträgen An jedem Ort - Zu jeder Zeit

 

Eloise betrat Maddrens Büro nicht, sondern blieb nur lange genug davor stehen, um diesen Text abzuschreiben; dann ging sie wieder auf die Straße hinab, wo Anastasia gehorsam vor dem Schaufenster eines kleinen Geschäfts für Haushaltswaren auf sie wartete. Die beiden Schwestern erreichten wenig später die Tottenham Court Road, wo sie endlich eine hübsche kleine Teestube fanden. Dort bestellte Eloise zwei Portionen Tee und lächelte nachsichtig, als Anastasia sich zwei Stück Kuchen bestellte.

Sie kehrten mit dem frühen Abendzug nach Wintonbrook zurück, stiegen bei Einbruch der Dunkelheit dort aus und wurden von Bleecher empfangen, der neben dem Bentley stand und sich die respektvolle Bemerkung gestattete: »Ich hoffe sehr, dass heute alles nach Wunsch gegangen ist, Miss Eloise.«

»Danke, Bleecher, ich bin zufrieden. Sie könnten heute Abend etwas schneller als sonst fahren - Miss Anastasia und ich sind ziemlich müde.«

 

Seit der Beerdigung waren fast acht Wochen vergangen, bevor Eloise endlich davon überzeugt war, eine Möglichkeit entdeckt zu haben, wie Steve Maddren auf völlig legale Weise vom Leben zum Tode gebracht werden konnte.

Eloise war sich darüber im Klaren, dass ihr gewagter Plan beinahe undurchführbar war - aber sie wusste auch, dass er gerade wegen seiner Gewagtheit Erfolg versprach, weil niemand auf die Idee kommen würde, es handle sich dabei um ein sorgfältig vorbereitetes Unternehmen. Ihr Plan war weder schnell noch leicht zu verwirklichen. Sie würde mindestens ein halbes Jahr für die unzähligen Vorbereitungen brauchen; sie würde sich wieder unter Menschen begeben müssen, um ihre Rolle überzeugend spielen zu können; sie würde vor allem dafür sorgen müssen, dass Steven Maddren den Auftrag annahm, der ihn um die halbe Welt führen würde - und sie und ihre Schwester um die ganze.