Racheteufel - Christian Boochs - E-Book

Racheteufel E-Book

Christian Boochs

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Beschreibung

Ein Serienkiller verübt Selbstjustiz und Ermittler Torsten Demski geht erneut an seine Grenzen. Der neue Thriller von Christian Boochs. Gute sechs Monate sind vergangen, seit Mordermittler Torsten Demski den Frauenmörder Jan Rieper geschnappt hat. Demskis ehemalige Geliebte Bine liegt im Koma, schwanger mit dem gemeinsamen Kind. Auch Demskis Ehefrau Kathrin ist hochschwanger. Und auch beruflich geht es für Demski erneut ums Ganze. Denn wieder treibt ein Serienmörder sein Unwesen und stellt die grausam gefolterten Opfer zur Schau. Nur dieses Mal ist alles anders. Offenbar hat es der Mörder auf Kriminelle abgesehen und wird dafür von Medien und Öffentlichkeit gefeiert. Demski hat deswegen die Vermutung, dass der Täter in den eigenen Reihen der Polizei zu suchen ist. Und tatsächlich versucht der Killer schon bald, den Verdacht auf Demski zu lenken. Wem kann Demski noch trauen? »Racheteufel« von Christian Boochs ist ein eBook von Topkrimi – exciting eBooks. Das Zuhause für spannende, aufregende, nervenzerreißende Krimis und Thriller. Mehr eBooks findest du auf Facebook. Werde Teil unserer Community und entdecke jede Woche neue Fälle, Crime und Nervenkitzel zum Top-Preis!

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Christian Boochs

Racheteufel

Thriller

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Über dieses Buch

Ein Serienkiller verübt Selbstjustiz und Ermittler Torsten Demski geht erneut an seine Grenzen. Der neue Thriller von Christian Boochs.

Gute sechs Monate sind vergangen, seit Mordermittler Torsten Demski den Frauenmörder Jan Rieper geschnappt hat. Demskis ehemalige Geliebte Bine liegt im Koma, schwanger mit dem gemeinsamen Kind. Auch Demskis Ehefrau Kathrin ist hochschwanger.

Und auch beruflich geht es für Demski erneut ums Ganze. Denn wieder treibt ein Serienmörder sein Unwesen und stellt die grausam gefolterten Opfer zur Schau.

Nur dieses Mal ist alles anders.

Offenbar hat es der Mörder auf Kriminelle abgesehen und wird dafür von Medien und Öffentlichkeit gefeiert.

Demski hat deswegen die Vermutung, dass der Täter in den eigenen Reihen der Polizei zu suchen ist. Und tatsächlich versucht der Killer schon bald, den Verdacht auf Demski zu lenken. Wem kann Demski noch trauen?

Inhaltsübersicht

Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51Kapitel 52Kapitel 53Kapitel 54Kapitel 55Kapitel 56Kapitel 57Kapitel 58Kapitel 59Kapitel 60Kapitel 61Kapitel 62Kapitel 63
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Kapitel 1

Es stimmt nicht, was man sagt. Dass das Leben an einem vorüberzieht, wenn man stirbt. Aber vielleicht stirbt er noch nicht genug. Vielleicht ist es noch gar nicht so weit.

Noch lebt er.

Die Frage ist nur: Wie lange lassen sie ihn leben?

Er ist nicht gefesselt. Nicht im eigentlichen Sinn. Bewegen kann er sich dennoch nicht. Wenn er es tut, schmerzt es. Höllisch. Jedes Zucken. Jede noch so kleine Bewegung. Das bedeutet Schmerzen. Man hat ihn im Rangersitz an einen Pfahl gesetzt. Seine Beine sind ein einziges Durcheinander. Es ist, als wären sie mit sich selbst verknotet. Das Blut staut sich. Sie fühlen sich taub an. Tot. Völlig nutzlos.

Bis auf den Schmerz.

Ganz klar, wer für das hier verantwortlich ist, weiß, was er tut. Das sind Profis.

Die Frage ist nur: Wem hat er ans Bein gepinkelt? Wen hat er so verärgert?

Er hat seine Schulden bezahlt. Seine Jobs erledigt. Für sein Vergnügen hat er gesorgt. Sicher. Aber dabei war er vorsichtig. Sorgsam. Hat nicht in fremden Revieren gewildert.

Oder doch?

Hat er es nur nicht gewusst?

Seine Augen sind verbunden. Wenn er sie öffnet, starrt er in die Dunkelheit des groben Stoffes. Seine Lippen sind spröde. Er leckt mit der Zunge darüber. Aber das macht es nicht besser. Sein ganzer Körper ist Taubheit und Schmerz.

Er weiß nicht, wie er hierhergekommen ist. Er weiß nicht einmal, wo dieses Hier überhaupt ist.

Manchmal hört er Schritte oder Geräusche, die von Tieren stammen müssen. Leises Rascheln. Etwas huscht herum. Ratten? Das wäre möglich. Es riecht ein wenig danach. Nach Dreck und abgestandener Luft.

Wieder hört er Schritte. Leichter Hall. Wie in einer Lagerhalle.

Abgelegen. Wahrscheinlich.

Von hier gibt es kein Entkommen.

Er weiß das. Aber aus irgendeinem Grund verspürt er keine Angst. Andere nässen sich ein in dieser Situation. Auch das weiß er.

Er hat es gesehen. Hat es erlebt.

Das hier wird er nicht überleben.

Keine Angst.

Er hockt nur da, an diesem verdammten Pfahl.

Unbeweglich. Unabänderlich.

Die Schritte kommen näher. Langsam. Stetig. Katzenhaft.

Kein niedliches, flauschiges Kuschelwesen.

Nein.

Es ist eher ein großes, garstiges Raubtier.

Der Jäger, der sich seiner Beute sicher ist.

Wie konnte er zur Beute werden? So war das nicht geplant.

Er spürt die Blicke der fremden Person auf sich, starrt nur in die Augenbinde. Seine Wimpern reiben sich an dem Stoff.

Aber er kann die Augen nicht schließen. Auch wenn das besser wäre. Vielleicht.

Jemand steht vor ihm, sieht auf ihn herab. Er saugt die Luft ein. Tief. Versucht, etwas zu riechen.

Aber da ist nichts. Nichts. Nur Mensch.

Leises Rascheln. Jemand greift in eine Tasche. Klicken.

Dann drückt etwas Hartes gegen seine Lippen, zwängt sich in seinen Mund. Metall, das klackernd gegen seine Zähne drückt.

Diese Person schiebt ihm eine Pistole in den Mund.

Er wehrt sich nicht. Nicht mehr.

Wozu auch?

Es fühlt sich unnatürlich an. Der Lauf an seinen Zähnen. Gnadenlos und kalt. Und dann dieser Geschmack. Metallisch. Und Waffenöl.

Auf diese Erfahrung hätte er verzichten können.

Es ist still. Er hört nur den Ruf einer Krähe. Weiter weg, als er es sich vorstellen kann. Seine Welt ist geschrumpft. Es gibt nur noch diesen Ort für ihn. An diesem Pfahl. Unter der Augenbinde. Mit der Waffe in seinem Mund.

Alles andere hat die Bedeutung verloren.

Er hört das Atmen. Wer immer vor ihm steht, ist ein Mensch aus Fleisch und Blut. Natürlich. Was sonst?

Er muss dehydriert sein. Seine Gedanken schlagen Purzelbäume, laufen in wirren Bahnen.

Er könnte diesen Menschen töten. Könnte ihn umbringen. Wenn er nur imstande wäre, sich zu bewegen.

Dann hört er die Stimme. Die Worte. Schrill, verzerrt. Nicht unverständlich. Aber irgendwie seltsam. Weder männlich noch weiblich. Nicht einmal menschlich.

Elektronisch. Wie durch einen Verzerrer gejagt.

Er hat immer geglaubt, so etwas gebe es nur in Horrorfilmen oder schlechten Fernsehkrimis. Hirngespinste übereifriger Drehbuchautoren. Aber offenbar gibt es diese Dinger wirklich.

Die Stimme klingt nicht professionell, passt nicht zu allem anderen. Da ist etwas anderes im Spiel. Etwas Emotionales. Das kann auch das Elektronikding nicht verstecken.

Das hier ist keine Angelegenheit unter Kriminellen. Auch wenn es keine Ehre unter Dieben gibt. Aber er hat angenommen, es sei etwas Berufliches.

Die Stimme sagt etwas anderes.

Das hier ist persönlich.

»Bereust du, was du getan hast?«, fragt sie.

Er schweigt.

Stille und Atmen.

Sein Atmen und das der Stimme.

Er denkt darüber nach. Offenbar zu lange.

»Ich möchte das wirklich wissen, bevor du stirbst. Denn du wirst sterben.«

Das weiß er selbst. Er weiß es seit dem Moment, da er an dem beschissenen Pfahl zu sich gekommen ist und den Schmerz in seinen Beinen gespürt hat.

Er weiß es, und doch ist es seltsam. Er hat sich das anders vorgestellt. Irgendwie dramatischer. Hat mit diesem Film vor dem inneren Auge gerechnet.

Eigentlich ist er ganz froh, dass sein Leben nicht an ihm vorbeizieht. Er braucht das nicht.

Er will das alles nicht noch einmal sehen. Den ganzen Mist. Den ganzen Scheiß. Alles, was er getan hat.

Ist er stolz auf sein Leben? Seine Taten? Nein, nicht unbedingt. Aber Reue?

Scheiße, nein. Wieso auch?

Er hat getan, was er tun musste. So war es immer. So wird es immer sein. Wobei, vermutlich nicht.

Jedenfalls würde er dieser verdammten Person mit der verdammten Knarre liebend gern die Finger um den Hals legen und ihr den Kehlkopf mit bloßen Händen zerquetschen. Das Leben ganz langsam aus ihr herauspressen. Wie den Saft aus einer überreifen Orange.

Ja, das würde er tun. Wenn er nur könnte.

Ist das Reue? Das Einzige, was er im Augenblick bereut, ist, dass er sich nicht bewegen kann. Sich kein bisschen rühren kann. Und wenn er es versucht, tut es verdammt weh. Vor allem ist es sinnlos.

Diese Person erwartet keine Reue. Nicht wirklich, jedenfalls. Sie erwartet auch keine Antwort. Wieso sonst würde sie ihn fragen, während er den Lauf der verfluchten Pistole im Mund hat?

Das ergibt doch keinen Sinn.

Das alles hier ergibt einfach keinen Sinn.

Er erinnert sich noch an den Abend. Ein paar Drinks in einer Bar. Nichts Wildes jedenfalls.

Und dann?

Schwärze.

Und im nächsten Moment hockt er hier in diesem schmerzhaften Fesselsitz mit einer Knarre im Mund, und eine völlig durchgeknallte Person stellt ihm Fragen, auf die es keine Antworten gibt.

Nicht geben kann.

Dann zieht jemand die Augenbinde weg. Reißt sie fort mit einem Ruck. Wie ein Pflaster.

Er kann sehen. Er kann wirklich sehen.

Es ist, wie er gedacht hat. Eine Halle, alt und verdreckt. Er hockt am Boden im Dreck und Mäusekot. Mehrere Pfähle. Hohe Decke und Fenster. Manche Scheiben sind zerschlagen.

Baustellenscheinwerfer sind auf ihn gerichtet. Grelles Licht und die Person im Gegenlicht. Versteckt sich im Schatten. Erkennen kann er nichts. Niemanden.

Aber er kann sehen, und das ist nicht gut.

Er weiß es. Jeder weiß es. Er hat es selbst so praktiziert. Wenn die Opfer sehen können, wissen sie es.

Sie wissen es. Immer.

So wie er es jetzt weiß. Wenn er irgendwo noch einen Funken Hoffnung verspürt hat, ist der nun erloschen.

Er wird diesen Ort nicht lebend verlassen.

Das war es. Ende. Amen. Tot. Begraben.

Vielleicht nicht einmal das.

Wahrscheinlich lässt man ihn ja einfach hier in dieser Lagerhalle. Lässt ihn verrotten. Vielleicht fressen ihm dann die Ratten das Fleisch von den Knochen, und irgendwann in ein paar Jahren findet dann irgendwer sein Skelett und fragt sich, wer dieser arme Teufel war, den man hier hat verwesen lassen.

»Du weißt, dass du sterben wirst, oder?«

Er schielt auf den Lauf der Pistole.

»Ich weiß, dass du nicht sprechen kannst«, sagt die Person. Ihre Stimme ist nun ruhiger. »Es genügt, wenn du nickst oder den Kopf schüttelst. Mehr verlange ich nicht.«

Er rührt sich nicht.

»Also, spürst du Reue?«

Er zuckt nicht, bewegt sich nicht. Diesen Gefallen tut er seinem Peiniger nicht. Wozu auch? Es rettet ihn nicht. Nichts kann ihn retten. Nichts und niemand. Es gab immer nur ihn.

Sein ganzes beschissenes Leben lang.

Und so wird es auch enden.

»Schade«, sagt die Stimme. »Dann bringen wir es eben so zu Ende.«

Der Daumen bewegt sich. Das charakteristische Klicken ertönt und hallt überlaut durch die vergammelte Halle.

Der Hahn der Pistole ist gespannt, und es hat etwas von Endgültigkeit.

Er heftet seinen Blick auf diese Augen hinter den Sehschlitzen. Das ist alles, was er tun kann. Mehr bleibt nicht.

Den Schuss wird er nicht hören. Das Echo, das dann für den Bruchteil eines Augenblicks in der Lagerhalle hängt, erst recht nicht.

Er wird nichts mehr spüren. Dort, wo er hingeht, ist nichts. Nichts außer Schwärze.

Das Letzte, was er hört, ist das Klicken des Abzugs. Ihm bleibt nicht einmal die Zeit, darüber nachzudenken.

Alles, was bleibt, ist Dunkelheit.

[home]

Kapitel 2

»Sieht nach Suizid aus«, sagt Frank Theißen.

Demskis langjähriger Kollege hat heute seinen üblichen Gebrauchtwagenhändlerlook gegen das Aussehen eines Grundschullehrers eingetauscht. In Weste, Hemd und brauner Jeans wirkt er irgendwie noch länger und schmaler als ohnehin.

»Ja«, antwortet Demski, und das tut es.

Es handelt sich um einen Mann, etwa Anfang vierzig. Er hängt an einem Strick am Treppengeländer im Flur eines Einfamilienhauses. Ein älteres Haus, aber gut in Schuss. Der Mann ist das Erste, was man sieht. Wie eine Botschaft.

Er trägt ein weißes Hemd, am Kragen aufgeknöpft, eine schwarze Hose, die zu einem Anzug gehört. Gebügelt, ordentlich. Schwarze Socken. Die Lederschuhe sind ihm von den Füßen gerutscht.

Seine Augen sind halb geschlossen und sehen aus, als wollten sie aus dem Schädel springen. Das Gesicht ist angelaufen, aufgedunsen.

Man neigt dazu, zu denken, Tod durch Erhängen sei ein schneller Tod. Schmerzfrei. Sauber.

Das kann stimmen, wenn man es richtig macht. Dann geht es schnell. Nur ist es dennoch kein schöner Anblick.

Schmerzhaft ist Sterben jedoch immer. Auf die eine oder andere Art.

Wenigstens kam der Tod für diesen Mann wahrscheinlich schnell. Wie er vorher gelitten haben muss, vermag Demski sich nicht vorzustellen.

»Was wissen wir über ihn?«, fragt er.

Theißen zieht einen Notizblock hervor. Demskis Partner war vor ihm am Fundort. Wie immer. Und natürlich hat er sich Notizen gemacht. Auch das ist wie immer.

Theißen überfliegt ein paar Seiten mit raschen Augenbewegungen. »Nicht viel«, sagt er dann. »Michael Brenner, gerade einundvierzig Jahre alt geworden, Finanzberater. Keine Schulden, keine dunklen Flecken auf der weißen Weste. Er hat keinen Dreck am Stecken. Jedenfalls nicht, soweit wir bisher wissen und wenn man von ein paar Strafzetteln absieht.«

»Familie?«

»Eine Frau, Tochter, acht Jahre alt. Das Haus ist abbezahlt. Er hat an den Wochenenden viel Zeit und Mühe investiert. Das sagt zumindest der Nachbar. Ein ruhiger Kerl. Freundlich. Im Job scheint alles okay. Auch sonst nichts. Nichts, was nach außen hin auf so etwas hindeutet.«

»Ja«, sagt Demski. Nach außen hin. Das ist der Punkt. Die meisten leiden still. Im Inneren.

Das sieht niemand. Erst wenn es zu spät ist.

Für Brenner ist es zu spät. Aber es ist nicht Demskis Job, sich darüber Gedanken zu machen. Er muss nur klären, ob diese Selbsttötung das ist, wonach sie aussieht.

Die offenen Fragen bleiben. Damit muss sich die Familie auseinandersetzen.

Tauschen will Demski nicht.

Trotz aller Widrigkeiten ist es ein ganz normaler Morgen in der Abteilung Todesermittlung. Es gibt kein Blutbad, keine frei laufenden Serienmörder, keine Medienschelte.

Nur einen Mann, der zu verzweifelt, zu verloren, zu was auch immer gewesen ist, um am Leben festzuhalten, und sich für den Tod entschieden hat.

Trauriger Alltag.

»Die Spurensicherung meint, es gibt keine Einbruchspuren. Keine Hinweise auf Fremdeinwirkung«, sagt Theißen. »Frau und Kind waren über das Wochenende bei den Großeltern.«

»Haben sie ihn entdeckt?«

Theißen schüttelt den Kopf. »Der Nachbar. Er hatte geklingelt, und als niemand öffnete, hat er durch das Fenster geschaut. Dann hat er uns gerufen.«

»Haben wir eine Notiz gefunden?«

»Eine Notiz?«

Demski nickt. »Einen Abschiedsbrief oder etwas in der Art.«

»Nein«, antwortet Theißen. »Bisher jedenfalls nicht.«

»Hmm, sieht dennoch nach einem klaren Fall aus, oder?«

»Schon«, meint Theißen. »Warum tut jemand so etwas?«

Demski zuckt mit den Schultern. »Verzweiflung?«

»Aber …«, setzt Theißen an, dann schweigt er eine oder zwei Sekunden lang. »Aber es gibt doch immer etwas, was man tun kann.«

»Vielleicht«, sagt Demski. Aber er denkt: Manchen bleibt eben nur noch das. Suizid. Keine Lösung. Nur der letzte Ausweg. Irgendwo in irgendeinem dunklen Fleck seines Verstandes kann er das verstehen. Nicht begreifen, aber verstehen.

»Guten Morgen, die Herren.« Was die kleine, eher rundliche Statur der Rechtsmedizinerin Nicola Adriano nicht schafft, gelingt ihr mit Stimme und Präsenz mühelos. Sie füllt den Raum aus. »Alle frisch und munter?«

»Wir schon. Aber Herr Brenner hier leider nicht mehr«, antwortet Theißen.

»Hmm«, macht Adriano, »aber Demski sieht auch aus, als könnte er noch einen Kaffee vertragen.«

»Der sieht immer so aus«, sagt Theißen, und damit hat er vermutlich recht.

Die Rechtsmedizinerin stellt ihren Koffer ab, zieht Latexhandschuhe hervor und über ihre Hände. »Die Spurensicherung ist fertig?«

»Ja«, antwortet Demski. »Alle warten nur auf Sie.«

»Sie wissen doch, wie das mit Magiern und Rechtsmedizinern ist, oder?«

»Nein, eigentlich nicht«, sagt er.

Sie lächelt breit, was die weißen Zähne in ihrem dunklen Gesicht betont. »Wir kommen immer zum richtigen Zeitpunkt.«

Die Rechtsmedizinerin macht sich an die Arbeit, begutachtet den Leichnam von allen Seiten und murmelt dabei ihr mehr oder weniger verständliches, fachliches Kauderwelsch.

Demski beobachtet sie. Er ist auch nach all den Jahren immer noch fasziniert von der Routine, der Sicherheit und der Art und Weise, wie Doktor Adriano an ihre Arbeit herangeht.

»Das Gesicht ist aufgedunsen«, sagt sie. »Verfärbungen der Haut. Die Zunge quillt hervor. Erste Verwesungszeichen. Ich schätze, er ist bereits einen Tag lang tot. Aber genau kann ich es natürlich erst sagen, wenn er …«

»… auf Ihrem Tisch liegt?«, fragt Demski mit einem verlegenen Schmunzeln.

Adriano hält einen Augenblick lang inne und mustert Demski. »Richtig. Woher wissen Sie das bloß, Sie Genie?«

»Tja«, antwortet er. »Sonst noch etwas?«

»Es gibt ein paar Einblutungen an den Lippen. Das Hilfsmittel hat vorn am Hals eingeschnitten. Die Kraft hat nicht ausgereicht, das Genick zu brechen. Er ist erstickt. Aber nach dreißig Sekunden dürfte er davon nichts mehr mitbekommen haben.« Sie verzieht flüchtig das Gesicht, zeigt einen Ausdruck des Bedauerns, den Demski selten an der Frau sieht. »Genaueres dann später.«

»Danke, Sie …«, Demski hebt einen Finger. »Moment, bitte.«

Demskis Handy vibriert in seiner Tasche. Auch das ist Alltag. Gefühlt tut es das hundertmal. Und meistens unterbricht es ihn bei irgendetwas.

Er zieht es hervor, starrt auf das Display.

»Willst du nicht abnehmen?«, fragt Theißen.

Demski seufzt. »Es ist ein neues Gerät. Ich muss mich erst einfinden.«

Theißen lacht leise. »Es ist der grüne Knopf, Demski, immer der grüne.«

»Ja, ich weiß. Der Chef ist dran«, antwortet Demski und nimmt den Anruf an.

Ruggiero spricht mit ruhiger Stimme. Es scheint also keinen neuen, dramatischen Fall zu geben.

Das ist die gute Nachricht.

»Demski?«, fragt Ruggiero. »Ich habe eben einen Anruf erhalten. Man hat versucht, Sie zu erreichen.«

»Ich habe ein neues Handy.«

»Ja, schön«, entgegnet Ruggiero. »Übergeben Sie Ihren Fall an Theißen. Der kann das allein. Bei Bedarf kann ihn Kessler unterstützen.«

»Was ist denn los, Chef?«

Einen Moment lang herrscht Stille in der Leitung. »Es ist das Krankenhaus«, sagt Ruggiero dann. »Sie sollen hinfahren.«

Demskis Herz setzt einen Schlag lang aus. »Was ist los?«, fragt er dann gepresst.

»Ich weiß es nicht«, antwortet Ruggiero. »Man hat mir nichts gesagt. Nur dass es um Frau Schulert geht und Sie hinfahren sollen. Also machen Sie das einfach, in Ordnung?«

»Okay«, sagt Demski leise und legt auf.

Einige Sekunden lang steht er nur da, starrt abwesend auf das verlöschende Display seines Telefons.

»Was ist denn?«, fragt Theißen schließlich. »Du bist bleich wie die Wand.«

Demski blinzelt, schüttelt den Kopf. »Ich muss los.«

»Wohin?«

»Ins Krankenhaus. Der Chef hat gesagt, ich soll hinfahren.«

Theißen legt die Stirn in Falten. »Ist etwas mit Bine?«

»Keine Ahnung«, antwortet Demski. »Ruggiero wusste nichts. Kommst du hier zurecht?«

»Klar.«

[home]

Kapitel 3

Es ist ein anderes Zimmer als noch vor ein paar Monaten. Heller. Freundlicher. Es gibt weniger Geräte. Das Piepen hat man abgestellt. Bald wird man das auch mit den verbliebenen Maschinen tun. Das Einzige, was Demski hört, ist Bines ruhiges, gleichmäßiges Atmen.

Das ist auch das Einzige, was sie tut. Sie sieht aus, als würde sie schlafen, und auf eine Weise tut sie das auch.

Auf eine ungute Weise. Denn es gibt kaum Hoffnung. Kaum Anhaltspunkte, dass sie jemals wieder aufwacht.

Es bräuchte ein Wunder, und an Wunder glaubt hier niemand mehr.

Ihr Bauch wölbt sich unter der Bettdecke. Es gibt solche Fälle. Es gab sie, und es wird sie wieder geben.

Für viele ist es ein moralischer Grenzfall. Die Medien sprechen despektierlich von menschlichen Brutkästen. So sie denn berichten, und meist tun sie das nur, wenn es gerade ein Sommerloch zu füllen gibt.

Man mag davon halten, was man will. Wenn man mit der Situation konfrontiert wird, arrangiert man sich damit. Demski hat das getan. Er genießt den Luxus, es tun zu können. Denn Bine hat niemand gefragt. Niemand hat sie fragen können.

Es war Bines schicksalhaftes Zusammentreffen mit dem Frauenmörder Rieper, das sie in dieses Bett und in diesen Zustand gebracht hat. Auch da hat Bine niemand gefragt. Es war Demski. Er und seine Verbindung zu ihr hat Bine ins Visier des Serientäters gebracht – und dann in dieses Bett.

Es sind stille Momente, in denen Demski an diesem Bett, in diesem Zimmer sitzt und sich fragt: Was wäre, wenn?

Das hat er monatelang getan und ist zu keinem Ergebnis gekommen. Weil es kein Ergebnis gibt. Kein anderes jedenfalls. Nur die Realität.

Am Anfang war er oft hier. Beinahe jeden Tag. Dann jede Woche. Es lag nicht an ihm. Nicht nur. Es liegt auch an ihrer Mutter, die nun die Dinge für Bine regelt.

Zu Demskis Glück ist sie gerade nicht hier.

Die Tür des Krankenzimmers öffnet und schließt sich beinahe lautlos. Demski bemerkt sie, spürt die Anwesenheit, auch ohne hinzusehen.

»Doktor Wessler«, sagt er leise. Es ist eine Vertrautheit entstanden in den letzten Monaten, seit sie ihn nach seinem eigenen Zusammenstoß mit Rieper wieder zusammengeflickt hat, die weit über das übliche Engagement hinausgeht. Sie sieht auch nach Bine, immer wieder, obwohl das eigentlich nicht ihr Job ist.

»Ich habe Sie in der Eingangshalle gesehen«, sagt die Ärztin. »Als ich mir einen Kaffee geholt habe. Und da dachte ich, Sie könnten auch einen vertragen.«

Demski greift nach dem Becher, den sie ihm hinhält. Er ist heiß. Er klammert sich mit beiden Händen daran fest und nickt ihr dankbar zu. »Sie wissen, warum man mich angerufen hat, oder?«

»Ja«, antwortet sie. »Es gab Komplikationen, aber die hat man in den Griff gekriegt. Ich habe nachgeschaut, halte mich stets auf dem Laufenden in diesem Fall.«

Demski lächelt. »Wieso eigentlich?«

Doktor Wessler zuckt mit den Schultern. »Ich schätze, es berührt mich irgendwie. Es kommt nicht alle Tage vor, dass so etwas geschieht.«

»So etwas?«

»Eine Patientin in diesem Zustand, die ein Kind austrägt. Es ist schon ein spezielles Wunder der Medizin, dass es möglich ist, nicht?«

Demski nickt. »Andere finden weniger schmeichelhafte Bezeichnungen dafür.«

»Ich weiß. Aber das sollte Sie nicht kümmern.«

»Tut es auch nicht. Nicht wirklich jedenfalls. Es ist nur …«

»Der Termin ist beinahe da, nicht?«

»Ja«, sagt Demski. »Ja, und das bedeutet letztlich, dass man die Maschinen abstellt, nicht wahr?«

Die Ärztin nickt. »Es gibt keine andere Möglichkeit. Nicht wirklich jedenfalls. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie aufwacht, ist beinahe nicht gegeben.«

»Beinahe.«

Doktor Wessler lächelt, aber in ihrem Blick schwingt eine spezielle Art von Traurigkeit. Ein Glitzern, das man bei Ärzten selten, wenn überhaupt sieht. »Es ist letztlich ihre Mutter, die diese Entscheidung trifft. Treffen muss.«

»Ich weiß«, sagt Demski und seufzt. »Mich fragt niemand, und das ist auch in Ordnung. Ich habe keine Rechte.«

»Streng genommen dürften Sie nicht mal hier sein. Aber wir halten auch Sie auf dem Laufenden, weil Sie am Ende auch involviert sind.«

»Weil ich der Vater bin.«

Sie nickt. »Wissen Sie schon, wie es weitergeht?«

Demski schüttelt den Kopf und nippt an dem Kaffee. »Ich schätze, das entscheidet auch ihre Mutter. Oder die Anwälte.«

»Wie geht es Ihrer Frau?«

Demski zuckt unwillkürlich zusammen. Der Kaffee ist viel zu heiß. Er schluckt, fasst sich an die Lippe. »Sie ist okay«, sagt er dann. »Es läuft alles nach Plan, wenn man so will. Die Untersuchungen und alles. Aber ich traue dem Ganzen nicht. Es ist schon zu oft und zu viel schiefgegangen.«

»Ich verstehe das«, antwortet die Ärztin. »Das ist nur menschlich. Aber es wird alles gut gehen. Bestimmt.«

»Das wissen Sie nicht.«

Sie lächelt. »Niemand weiß das. Nie. Aber hoffen darf man. Muss man.«

Wieder öffnet sich die Tür. Ein leichter Luftzug dringt ins Zimmer. Dieses Mal schaut Demski hin, und er ist wie jedes Mal verblüfft über die Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter. Es ist das gleiche blonde Haar, die gleichen Gesichtszüge, die Demski von Bine kennt. Nur fünfundzwanzig Jahre älter – und um einiges härter.

»Oh«, sagt sie, und es ist kein Ausdruck der Verwunderung. Vielmehr klingt der Ärger unter der bemühten, vermutlich anerzogenen Schale aus Höflichkeit und Anstand durch. »Ich wusste nicht, dass Sie hier sind.«

Doktor Wessler wirft Demski einen raschen Blick zu. »Ich lasse Sie besser allein.«

Demski bemüht ein gezwungenes Lächeln. »Ja, Sie haben bestimmt zu tun.«

Sie winkt ab, nickt Bines Mutter zu, verlässt das Zimmer und schließt die Tür hinter sich.

Augenblicklich befällt Demski das Gefühl, allein zu sein. Allein in einem Käfig. Gefangen mit einem hungrigen Tiger.

Bines Mutter geht an ihm vorbei, beachtet ihn kaum. Zumindest tut sie so. Aber es ist ihre Geste. Die sagt alles. Sie stellt sich zwischen den Stuhl, auf dem Demski sitzt, und Bines Bett. Nicht frontal, nicht so, dass es irgendwie peinlich wirken könnte. Aber deutlich genug.

»Wie gesagt«, setzt sie an. »Ich wusste nicht, dass Sie hier sind. Sonst wäre ich später gekommen.«

»Man hat mich angerufen, weil es Komplikationen gab. Aber es war wohl falscher Alarm.«

Sie nickt. »Ich weiß. Bis zum Termin ist noch Zeit. Aber mein Gefühl sagt etwas anderes. Es kann sich nur um Tage handeln. Vielleicht Stunden. Eine Mutter fühlt so etwas. Aber davon verstehen Sie ja nichts. Mich wundert, dass man Sie überhaupt anruft.«

»Ich bin der Vater«, entgegnet Demski, und der Satz fühlt sich immer noch seltsam an. Vor etwas mehr als einem halben Jahr war Demski weiter weg von der lange ersehnten Vaterschaft, als man sich vorstellen konnte, und nun, wenige Monate später, wird er wohl bald zweifacher Vater sein. Von zwei verschiedenen Frauen. Es klingt so falsch, wie es sich anfühlt, aber es ist seine Realität, der er ins Auge blicken muss.

Ein Leben ist ein Leben, aber diese beiden neuen Leben sind teuer erkauft.

Für das eine zahlt Bine den Preis. Sie bezahlt mit ihrem Leben. Kathrin, Demskis Frau, tut das in anderer Währung.

Schmerz. Auf die eine oder auf die andere Art.

»Schlimm genug. Soweit es mich angeht, haben Sie hier keine Rechte. Sie sollten das wissen. Sie sollten sich ohnehin schämen.«

Demski antwortet nicht. Er schweigt. Er weiß das alles. Aber er kann es nicht ändern. Er kann die Zeit nicht zurückdrehen.

»Ich dulde Ihre Anwesenheit nur, weil sie es so gewollt hätte. Auch wenn ich nicht verstehe, wie sie sich überhaupt mit Ihnen einlassen konnte. Ein verheirateter Mann.«

Demski atmet tief ein und wieder aus. Er hat das alles durchgekaut. Immer wieder. Zur Genüge. »Sie ist erwachsen. Sie weiß, was sie tut. Oder was sie will.«

Bines Mutter schnaubt leise. »Dank Ihnen nun nicht mehr.«

Demski sieht sie an, er holt Luft und hält inne. Da ist nicht nur Wut in ihrem Blick. Da ist auch etwas anderes. Etwas, das er von Kathrin viel zu gut kennt. Diese schmerzliche Verletztheit, die sich in die Wut mischt. Wie eine andere Art von Gift.

»Wissen Sie eigentlich, wie sie an Ihnen hing?«, fragt die Frau. »Ich glaube, Sie können sich das nicht vorstellen. Ich habe meine Tochter noch nie so erlebt. Sie hat Sie wirklich geliebt.«

Demski blickt zu Boden, sucht auf den weißen Fliesen nach den Worten, die ihm gerade fehlen.

Die Beziehung zu Bine war kurz. Heftig und auf eine Art schön, aber ihm erschien sie auch immer zwanglos. Unkompliziert.

Es scheint, er hat sich geirrt. Einmal mehr. Wieder kann er daran nichts ändern. Es gibt zu viel Schmerz in seinem Leben. Und zu viel Tod.

»Sabine war so unglücklich, weil Sie verheiratet waren und nicht den Mumm hatten, Ihre Frau zu verlassen. Sie haben sie einfach nur betrogen. Alle beide.«

»Glauben Sie, ich weiß das nicht?«, platzt es aus Demski heraus. »Glauben Sie, es hilft, wenn Sie weiter Salz in diese Wunden streuen?«

»Vielleicht ist das manchmal notwendig.«

»Es hilft niemandem«, sagt Demski. »Und vor allem hilft es Bine nicht.«

»Nein«, entgegnet ihre Mutter, und ihre Blicke treffen ihn wie kleine Dolche. »Dafür haben Sie ja gesorgt.«

Demskis Schultern sacken nach vorn, er beugt sich auf dem Stuhl vor, ignoriert den viel zu vertrauten Schmerz in seinem Rückgrat.

»Glauben Sie nur nicht, ich lasse zu, dass Sie das mit dem Kind genauso machen. Ich werde nicht erlauben, dass Sie es ins Unglück stürzen. Ich habe bereits ein Kind an Sie verloren. Ein zweites Mal wird das nicht geschehen.«

»Das klären wir ein anderes Mal«, antwortet Demski und erhebt sich langsam von dem Stuhl.

»Ja, klären Sie nur. Kommen Sie nur mit Ihrem Anwalt, Demski. Ich habe auch einen guten. Das werden Sie sehen.«

»Bitte«, sagt Demski und hebt müde und abwehrend die Hände. »Nicht hier. Nicht heute.«

Bines Mutter holt Luft. Sie öffnet den Mund, schweigt aber, als er sich abwendet, nach der Türklinke fasst, sie nach unten drückt.

Er schlüpft aus dem Zimmer. So rasch und leise, wie es nur möglich ist.

Er geht wenige Schritte den Gang hinunter, entdeckt Doktor Wessler. »Haben Sie auf mich gewartet?«

Sie zuckt mit den Schultern. »Was macht Ihr Rücken?«

»Der tut weh«, antwortet er. »Wie immer.«

»Haben Sie es überlebt?«

Jetzt ist er es, der mit den Schultern zuckt. »Sie schützt nur ihre Tochter, schätze ich. Aber es ist auch mein Kind, das in Bine heranwächst.«

»Das sie auch beschützen will«, antwortet die Ärztin. »Es ist eine schwierige Situation, und in solchen werden Mütter schnell zu Bestien. Glauben Sie mir, Demski, ich weiß das.«

Er nickt. »Ich allerdings auch, und wenn ich ehrlich bin, ich bin müde und habe von diesem ganzen Mutterding erst mal genug.«

Sie lächelt. »Verständlich. Fahren Sie nach Hause. Ich sorge dafür, dass man Sie weiterhin informiert, wenn hier etwas geschieht.«

»Danke.«

Sie winkt ab. »Nicht dafür.«

»Vielleicht fahre ich wirklich nach Hause. Wer weiß, wann das Telefon wieder klingelt.« Er hätte es wissen sollen und weiß es, als es just in diesem Moment geschieht. Es klingelt zwar nicht, aber es vibriert. Er zieht es hervor, hält es hoch. »Sehen Sie?«

Die Ärztin schüttelt lächelnd den Kopf.

Er nickt ihr zu, nimmt dann den Anruf entgegen.

Das Telefonat ist kurz, Demski hört zu, und für Wessler muss es aussehen wie eine Aneinanderreihung von Mhms und Ähs und ja und nein.

»Und?«, fragt die Ärztin, als Demski das Gespräch beendet. »Ist es dringend?«

Demski schüttelt den Kopf, lächelt verlegen und schiebt das Telefon in die Tasche. »Gewissermaßen. Das war meine Frau. Sie will offenbar eine Vermisstenanzeige aufgeben, wenn ich nicht bald nach Hause komme. Mir scheint, sie hat sich mehr an diese geregelten Dienstzeiten gewöhnt als ich.«

»Das wird vermutlich kein Dauerzustand, oder? Die geregelten Zeiten, meine ich.«

Demski seufzt leise. »Nein, das befürchte ich auch.«

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Kapitel 4

Demski lenkt seinen Mondeo in die Auffahrt, stellt den Motor ab, öffnet die Tür.

Der laue Abendwind schlägt ihm entgegen. Irgendwo wird gegrillt, und in einiger Entfernung hört Demski das Johlen von Kinderstimmen.

Normalität in der Siedlung.

Oft ist das ein Kontrast zu seiner üblichen Arbeit, aber im Augenblick kann Demski sich kaum beklagen.

Meist ist er früh zu Hause. Er könnte noch früher da sein, aber die Besuche bei Bine sieht er als seine Pflicht an, und oft genug vergisst er darüber die Zeit.

Er steigt aus dem Wagen, streckt seinen Rücken durch.

Das Knacken wird mit der Zeit nicht leiser, und das Sitzen im Auto und die routinemäßige Büroarbeit sind nicht eben hilfreich.

Gegenüber steht Axel im Vorgarten und kann nicht verhindern, dass Demski ihn sieht.

Auf dessen Winken reagiert der Nachbar mit einem zaghaften Gruß, ehe er die Hand wieder sinken lässt.

Man hat sich nicht mehr viel zu sagen. Hatte man vielleicht nie, aber gefühlt ist es im letzten halben Jahr noch weniger geworden.

»Komischer Typ«, murmelt Demski leise, nur für sich, und er kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass Axel so auch über ihn denkt.

Der Grillgeruch ist wirklich aufdringlich. Für einen Moment fragt Demski sich, ob Axel der Verursacher ist, und früher hätte das vielleicht auch gestimmt.

Aber inzwischen ist Axel irgendwie auf einem Gesundheitstrip. Diät. Nur weißes Fleisch. All dieses Zeug.

Hat Demski gehört, von einer, die es gehört hat.

Axel wirkt deutlich dünner – und irgendwie nicht gesund.

Demski schließt sein Auto ab, geht langsam den schmalen Weg zum Haus. Die Pflanzen im Vorgarten haben den Sommer gut überstanden. Die große Hitze hielt nur wenige Tage an. Ansonsten nur Regen.

Regen, Regen und immerzu Regen. Wenn es etwas gibt, was diesen Sommer geprägt hat, sind es Gewitterdonner und das Prasseln des fortwährenden Regens.

Ein Wunder, dass es heute Abend einmal nicht regnet.

Die Pflanzen gießen muss Demski dennoch nicht.

Gott sei Dank.

Im Moment gibt es wirklich genug Spießerkram in seinem Leben. Aber so ist das vielleicht, wenn man, wie er, endlich erwachsen werden muss. Vater wird. Papa. All diese Dinge.

Demski steckt den Schlüssel ins Schloss, öffnet die Tür.

Dunkelheit und Kühle.

Im Sommer ist das alte Haus ein wahrer Segen.

Der Grillgeruch hat Demski daran erinnert, dass er noch nicht viel gegessen hat.

Langsam tritt er über die Schwelle, wirft noch einen Blick über die Schulter.

Eine Angewohnheit, die im letzten Halbjahr zugenommen hat.

Demski drückt die Haustür hinter sich ins Schloss, steckt den Schlüssel hinein, dreht ihn zweimal um.

Dann streift er seine Schuhe ab, kickt sie in die Ecke.

Er atmet ein und in einem langen Zug aus.

Demski hängt die Jacke an einen Haken, schlendert den Gang entlang und biegt schließlich ins Wohnzimmer ab.

Alles leer. Still.

Kathrin wird oben sein. Sicher arbeitet sie wieder. Arbeitet noch.

Es ist nicht so, dass es ihn stört, dass seine Frau wieder voll und ganz in den Beruf eingestiegen ist – trotz Schwangerschaft.

Sie macht das Ganze freiberuflich, von zu Hause aus. So gesehen, hat sich nichts geändert.

Er macht sich nur Gedanken, ob sie sich zu viel zumutet. Und dann macht er sich Gedanken, ob er die nur vorschiebt, weil es ihn eigentlich doch ein klein wenig stört. Nur ein wenig. Nicht viel.

Nur gerade so viel, dass es die empfindliche Männlichkeit etwas aus dem Gleichgewicht bringt.

Er legt die Hände auf die Rückenlehne eines leeren Stuhls, schmunzelt und schüttelt den Kopf.

Eigentlich sollte er es besser wissen. Das Leben ist zu kurz für diese verdammten kleinen Eitelkeiten.

Kathrin bereitet ihr Job Spaß, und sie erledigt ihn verdammt gut.

Wenn sie so weitermacht, verdient sie bald mehr als er.

Wenigstens müssen sie dann im Winter, wenn die Kühle im Haus nicht mehr angenehm ist, nicht frieren.

Vor allem, wenn sie dann zu dritt sind. Hoffentlich.

Er stößt sich vom Stuhl ab, geht hinüber zur Küche, öffnet die Tür des Kühlschranks und nimmt eine kleine Flasche Wasser heraus.

Einen Moment lang steht Demski unschlüssig da, umschließt die Kühle der Flasche mit seiner Hand und überlegt, ob sein Körper nur behauptet, dass er Hunger hat.

Dann dreht Demski den Verschluss auf, hebt die Flasche an die Lippen und stürzt das Wasser in einem Zug hinunter.

Von Kathrin hört und sieht er weiterhin nichts. Sie wird nicht nur wieder arbeiten. Sicher ist sie völlig vertieft.

Manchmal, wenn er die Zeit findet, beobachtet er sie. Ihre Detailversessenheit, die Hingabe, dieser Fluss. Diese Dinge faszinieren ihn.

Andererseits: Geht es ihm bei seiner Arbeit anders? Bei der richtigen Arbeit, nicht den faden Routineaufgaben der letzten Zeit.

Allerdings wird das noch eine Weile so gehen müssen.

Immerhin hat er es versprochen. Ein Wagnis, sicher. Aber auch ihm hat man eine Art von Versprechen gegeben, ihn, soweit es geht, aus den Dingen herauszuhalten, die lange Dienstzeiten, nächtliches Ausrücken oder den Kampf mit durchgeknallten Serienmördern auf maroden Dachstühlen beinhalten.

Und bis jetzt hat das funktioniert.

Demski seufzt, wirft die leere Flasche in die dafür vorgesehene Plastiktasche und geht zurück ins Wohnzimmer, dann in den Flur.

Langsam schleppt er sich die Treppe nach oben. Für einen Augenblick runzelt er die Stirn. Selbst jetzt, ein gutes halbes Jahr später, hat er immer noch Flashbacks.

Der Moment, als Kathrin mit dem Baseballschläger in der Hand auf der Treppe stand. Er selbst mit der Dienstwaffe in der Hand. Sein Herz wild pochend – und das tut es auch jetzt wieder, nur durch die Erinnerung.

Die Erinnerung an die Angst, die er hatte, als ihm bewusst wurde, welcher Fehler ihm möglicherweise unterlaufen war. Dass er Rieper unterschätzt hatte.

Jäger und Gejagter. Das verdammte alte Spiel.

Aber es war nicht Kathrin, die damals in Gefahr geraten war, sondern die andere Frau in seinem Leben.

Was würde Demski geben, den Namen Jan Rieper nie wieder hören zu müssen.

Manchmal passieren diese Momente wochenlang nicht und dann jedes Mal, wenn er diese Treppe erklimmt.

Dann ist alles wieder da. Schlagartig. Auch die Kopfschmerzen. Die verschwommene Sicht. Wacklige Knie. Alles. Auch jetzt.

Am Kopf der Treppe bleibt Demski stehen.

Er muss etwas ändern. An dieser Treppe, diesem Haus.

In seinem Leben.

Vielleicht wird er bald ein Kindergitter installieren. Genau hier. Hier oben am Treppenkopf.

Auch wenn es vielleicht ein wenig zu früh ist, an solche Anschaffungen zu denken, sieht Demski es als ein Zeichen an.

Ein Zeichen für sich, für Kathrin. Von ihm aus für Gott, das Universum. Für wen auch immer. Wenn nur alles gut wird.

Das ist alles, was er braucht: Es muss nur alles gut werden.

Die Tür zu Kathrins Arbeitszimmer ist halb geschlossen oder halb geöffnet. Je nachdem, von welchem Standpunkt aus man es betrachtet. Es ist wie die Nummer mit dem Wasserglas: halb leer oder halb voll.

Demski ist weder der eine noch der andere Typ. Nicht konstant, nicht festgelegt. Es variiert.

Er bemüht sich. Die halb leeren Tage sind weniger geworden in den letzten Wochen. Immer häufiger gibt es auch halb volle.

Immer öfter, aber nicht immer.

Er weiß nicht, welchem Umstand er den Sinneswandel zu verdanken hat. Der Schwangerschaft, den Schwangerschaften?

Rieper?

Oder ist es nur das irrationale Klammern an die Hoffnung auf ein Wunder, das nicht geschehen wird.

Oder die Hoffnung auf ein Wunder – das Wunder überhaupt –, das er und Kathrin hoffentlich bald erleben werden.

»Willst du auf dem Flur stehen bleiben, Torsten?«, fragt Kathrin über die Schulter.

Demski hebt den Blick, löst den Klammergriff seiner Hände um das Treppengeländer. Erst jetzt wird ihm bewusst, wie sehr er sich daran festgehalten hat.

Er streckt die Finger aus, dehnt die Fingergelenke vorsichtig.

»Nein«, antwortet er schließlich. »Ich wollte dich nur nicht stören.«

Sie lacht leise. »Du störst mich nicht, wenn du mich nach der Arbeit begrüßt.«

Demski drückt sich von der Wand ab, tut die wenigen Schritte bis zur Tür des Arbeitszimmers und lehnt sich gegen das Türblatt.

Kathrin blickt auf den Bildschirm vor sich. Der Mauszeiger flippt zügig wie eh und je darüber. Ein leiser Klick hier, einer da. Kathrin hat so weit hineingezoomt in ihr Werk, dass Demski nicht erkennen kann, worum es sich handelt.

Mit dem rechten Zeigefinger kratzt er sich an der Schläfe. »Ich komme nicht von der Arbeit.«

»Mhm«, macht Kathrin nur, und Demski kennt diesen Ausdruck.

Es ist Ende August, und auch wenn das ein ziemlich verregneter Sommer war, ist es immer noch warm.

Aber hier und jetzt, in diesem Raum, erscheint es schlagartig kühler. Nicht viel, drei bis fünf Grad vielleicht. Gerade so, dass man es spürt.

»Du warst wieder im Krankenhaus«, sagt Kathrin.

Es ist keine Frage, nicht mal ein Vorwurf. Nur eine Feststellung.

Aber Demski spürt, was dahintersteckt, und er fragt sich, wie das erst werden soll, wenn das Kind auf der Welt ist.

Und Bine tot …

Aber diesen Gedanken erlaubt Demski sich nicht. Er darf es nicht. Kann es nicht.

Noch nicht.

»Gibt es etwas Neues?«, fragt Kathrin schließlich und zerreißt die bedrückende Stille, die sich in Demskis Gedanken gepresst hat.

»Nein«, antwortet er. »Ihre Mutter war da.«

»Mhm.« Wieder dieses Wort, dieser Ton, dieser Ausdruck.

»Was ist los?«, fragt er, offenkundig unfähig, auf diesem Planeten eine noch dämlichere Frage zu finden, die er stellen könnte.

Kathrin seufzt leise. Unentwegt bewegt sie Trackball und Cursor weiter. »Ich schätze ja deine neue Art, Torsten. Diese neu entdeckte Ehrlichkeit. Aufrichtig, kompromisslos. Wirklich. Es ist gut so. Aber manchmal wäre es mir lieber, nichts zu wissen, glaube ich.«

»Ich dachte, es hilft dir. Uns.«

»Mhm, das tut es auch. Denke ich. Nur nicht immer. Nicht an jedem Tag.«

»Ich kann nicht riechen, was für ein Tag heute ist. Ich bemühe mich. Was soll ich sonst tun?«, sagt Demski. »Eigentlich war ich nie unehrlich zu dir. Ich habe immer mit offenen Karten gespielt. Dich nie belogen.«

»Selten«, sagt sie, lässt den Trackball los und dreht sich langsam zu ihm herum. »Nehme ich jedenfalls an.«

»Hmm«, macht er und lässt Schultern und Mundwinkel gleichermaßen hängen.

Kathrin bemüht ein flüchtiges Lächeln. »Immerhin bist du in den letzten Monaten immer früh zu Hause. Das weiß ich zu schätzen.«

Demski blickt auf ihren Bauch. Unwillkürlich. Und er stellt die Frage, die er jeden Tag stellt. Die Frage, die ihm jeden Tag unter den Nägeln brennt.

Es muss nur alles gut werden.

»Wie geht es dir heute?«

Kathrin legt eine Hand auf ihren Bauch. »Mein Nacken bringt mich um, glaube ich, aber wenn du das meinst. Damit ist alles in Ordnung.«

»Gut«, sagt er und grinst.

»Gut? Dass mein Nacken mich umbringt?« Sie lächelt.

Er neigt den Kopf. »Nein, das …«

Draußen, in einiger Entfernung, erklingt dumpfes Grollen. Ein Gewitter. Demski hat die Wolken schon auf der Bundesstraße gesehen.

»Was ist?«, fragt Kathrin.

»Es kommt ein Gewitter.«

»Und? Was hast du eigentlich gegen Gewitter?«

»Habe ich dir das noch nie erzählt?«, fragt er.

Sie schüttelt den Kopf.

»Ich war mal in den Ferien im Hochsauerland. Mit meiner Schwester. Ich muss da neun oder zehn gewesen sein. Na, jedenfalls hat es vierzehn Tage nur geschüttet und gewittert, und wir saßen in dieser Hütte fest. Und es war so verdammt laut.«

»Mhm«, macht Kathrin. »Und das ist alles?«

»Es war laut! Und nass und verdammt kalt.«

Sie lacht leise. »Hast du Angst?«

»Nein.«

Sie legt den Kopf schief, lächelt schelmisch. »Doch. Hast du.«

»Nein.« Demski streckt die Hände aus, bewegt die Finger wie ein durchgeknallter Pianist und versucht, an Kathrins allmählich runden Bauch zu fassen. »Na warte.«

»Hey«, sagt sie und lacht leise. »Lass das.«

»Schade«, entgegnet Demski. »Du weißt, wie gern ich diesen Bauch habe.«

»Ich weiß«, sagt sie. »Aber jeder ist immer so scharf darauf, meinen schwangeren Bauch anzufassen. Ich hasse es inzwischen.«

»Den Bauch?«

»Das Grapschen, du Depp.«

Er lächelt. »Wie wäre es mit einer Nackenmassage? Hm? Ja? Nein? Vielleicht?«

Kathrins Mundwinkel zucken. »Ich weiß nicht.«

»Es könnte dir guttun.«

Kathrin neigt den Kopf zur Seite und blickt ihn an. »Hmmm. Das ist vielleicht keine schlechte …«

Aber weiter kommt sie nicht.

Es passiert, was passieren muss. Weil es immer passiert, wenn es gerade nicht passieren soll.

Demskis verfluchtes Telefon klingelt.

Er greift in die Hosentasche, holt das Ding hervor, blickt auf die Nummer, die scheinbar zunehmend energischer auf dem Display aufblinkt.

»Moment«, sagt Demski und drückt auf den virtuellen Knopf, um das Gespräch anzunehmen.

»Chef?«

Ruggiero kommt direkt auf den Punkt. »Ich habe ein bisschen ein schlechtes Gewissen, weil ich Sie eben erst fortgeschickt habe. Ist alles in Ordnung im Krankenhaus?«

Demski zögert einen Augenblick lang.

»Demski?«

»Es ist nichts«, antwortet der. »Falscher Alarm. Ich bin bereits wieder zu Hause. Was gibt es denn?«

»Probleme, Demski, wie immer halt.«

»Bei dem Suizidfall? Das wundert mich. Das sah alles recht klar aus. Theißen sollte das allein schaffen.«

»Das ist es auch nicht«, antwortet Ruggiero. »Der Suizid muss warten. Es wurde eine weitere Leiche gefunden. Gerade erst.«

Demski hört nur zu, sein Ohr hängt am Telefon, aber seine Blicke an seiner Frau, die ihn ihrerseits mustert.

Ruggiero fährt fort: »Ich wurde benachrichtigt. Der Tote befindet sich wohl in einer alten Lagerhalle. Draußen in diesem Industriegebiet, das die Stadt seit Jahren wieder in Schwung bringen will. Sie wissen schon.«

»Ja«, sagt Demski. »Ja, klar. Wo ist das Problem?«

Ruggiero gibt einen undefinierbaren Laut, irgendwo zwischen Stöhnen und Seufzen, von sich. »Schwer zu sagen. Dort ist etwas seltsam. Das sagen jedenfalls die Beamten, die zuerst am Fundort eingetroffen sind. Ich denke, es ist besser, wenn Sie sich das mal ansehen. Kessler und Kara unterstützen Sie, ebenso Theißen, den ich vom Brenner-Fall abgezogen habe.«

Demski nickt, als ihm klar wird, dass sein Chef ihn nicht sehen kann. Er stößt einen leisen Seufzer aus.

»Demski, hören Sie, ich hätte Sie lieber in Ruhe gelassen. Aber …«

Demski hört nur zu, weiß, was er gerade gesagt bekommt, ändert alles. Macht alles schwieriger.

Gerade jetzt.

»Kein Ding, Chef«, entgegnet Demski – und das ist gelogen. »Meine Frau wird sicherlich Verständnis haben.«

»Danke.« Demski hört die Erleichterung in Ruggieros Stimme. »Dann fahren Sie dahin. Ich schicke Ihnen die Adresse gleich in einer Nachricht. Wir sehen uns dort.«

»In Ordnung«, sagt Demski.

Es ist, wie es ist. Wie es immer war.

Es gibt zu viel Tod in seinem Leben, und es sieht nicht so aus, als würde sich das bald ändern.

Demski drückt das Gespräch weg und lässt die Hand mit dem Telefon sinken.

Er seufzt leise, weil ihm nichts Besseres einfällt.

Er sieht Kathrin an, weiß, dass sie es bereits weiß.

Sie sind lange genug verheiratet. Sie liest ihn wie er – mehr oder weniger heimlich – seine Liebesromane.

»Du musst weg«, sagt sie.

Er schweigt nur.

Was sollte er auch sagen? Dass es ihm leidtut? Denn das tut es. Aber es ändert nichts. Verdammt noch mal, es ändert einfach nichts an der Situation.

»Wie passend«, sagt sie. »Egal, was ist, es klingelt dein Telefon, und dann musst du weg.«

»Bist du sauer?«

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Kapitel 5

Es ist ein dunkler Ort, an dem Demski seinen Ford in eine Parklücke zwischen zwei reguläre Dienstwagen quetscht und aussteigt.

Inzwischen ist es spät. Dunkelheit zieht auf. Schummriges Laternenlicht. Die Tage werden allmählich spürbar kürzer. Zwar ist es immer noch warm, aber der Sommer stirbt. Unweigerlich.

Demski spürt das, und aus irgendeinem Grund gefällt es ihm nicht. Von Jahr zu Jahr weniger.

Überall stehen Streifenwagen und zivile Fahrzeuge der Kollegen herum. Alles scheint chaotisch und folgt doch einer seltsamen, inneren Ordnung.

Der alte Schrottplatz wirkt verlassen. Demski erinnert sich daran, wie es gewesen ist, als hier mehr los war. Aber das ist lange her. Den Laden hat man vor Jahren dichtgemacht, den Platz geräumt.

Was bleibt, ist eine heruntergekommene Lagerhalle, deren Tore weit offen stehen. Das Innere ist hell erleuchtet.

Demski betrachtet aus der kurzen Entfernung das emsige Treiben in der Halle.