RAG MEN - Rocky Alexander - E-Book

RAG MEN E-Book

Rocky Alexander

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Beschreibung

So könnte der Anfang vom Ende aussehen … Sie nennen es das Qilu Virus. Es kam aus dem Osten, von irgendwo entlang des Gelben Flusses in China. Es fegte innerhalb weniger Wochen über die ganze Welt und verwandelte normale Menschen in wilde Verrückte. Es gibt nichts, was es stoppen kann. Der ehemalige Boxer Colin Ross ist entschlossen, aus der kleinen Stadt Wenatchee zu fliehen, bevor sie durch das Virus überrannt wird. Dabei muss er überforderte und schießwütige Polizisten, Horden von Infizierten und den brutalen Wintereinbruch überleben. Im verseuchten Seattle hinterlässt ein Mann namens Rooster einen Pfad sadistischer Gewalt und Mord auf seinem Rachefeldzug gegen einen Feind, der noch gefährlicher als das Virus zu sein scheint. Ein spannender Hard-Boiled Thriller im Endzeit-Gewand … -------------------------------------------------------------------------- "Ich finde die Story einfach nur stark, sehr lesenswert!" [Lesermeinung] "Ich kann dieses Buch sowohl Zombie-Liebhabern als auch Thriller-Lesern empfehlen!" [Lesermeinung] Durch seine tiefgründigen und wiederum profanen Wendungen ist Rag Men eine sowohl spannungsgeladene als auch chillige Tour de Force. Rocky Alexander schreibt mit Herzblut und hat ein Händchen für die Orchestrierung des Chaos der Apokalypse, die einfach atemberaubend ist. Ein erstklassiger Blick auf das Ende der Welt. [Joe McKinney, Autor, Bram Stoker Award-Gewinner mit The Savage Dead und Dog Days]

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Inhalte

Titel

Copyright

Impressum

Widmung

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Der Autor

Leseprobe

Der LUZIFER Verlag

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com

Title: RAG MEN. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2013. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

Impressum

überarbeitete AusgabeOriginaltitel: RAG MEN

Copyright Gesamtausgabe © 2024LUZIFER-Verlag

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael SchubertÜbersetzung: Andreas Schiffmann

eISBN: 978-3-95835-005-2

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Jerry und Idgie

1

»Die Welt stirbt wieder und wieder, doch das Gerippe steht abermals auf und geht weiter.«

Henry Miller

Colin Ross saß auf der Kante des Bettes und zog seinen Revolver aus dem schwarzen Lederhalfter auf dem Nachttisch. Er schwenkte die Trommel heraus, nahm eine rechteckige Schachtel mit Hochdruck-Spezialmunition vom Kaliber .38 zur Hand und entnahm ihr fünf Patronen, die er in die Lager steckte. Während der folgenden Minute starrte er nur auf den Edelstahlrahmen der Waffe und wog sie, wobei er sich fragte, ob es wehtun würde, wenn er es wirklich fertigbrachte, und falls ja, wie lange. Bestimmt ging es schnell; ja, sehr wahrscheinlich starb er, noch bevor er den Schuss hörte.

Als er den Revolver hochhob und sich den zwei Zoll langen Lauf in den Mund steckte, zuckte er vor der Kälte an seinen Lippen zusammen. Vielleicht gab es doch einen besseren Weg.

Er erinnerte sich an seine Zeit als Teenager, in der er zum Spaß auf die verrostete Karosserie eines alten Mercury Cougar gefeuert hatte, der am Bauernhof seines Großvaters auf Betonblöcken im Gestrüpp hinter dem Heuschober aufgebockt gewesen war, und zwar ebenfalls mit einem .38er, einem ähnlichen Modell wie diesem. Er entsann sich des ersten Schusses, der von der Windschutzscheibe abgeprallt war und wenig mehr als einen Sprung im Glas hinterlassen hatte. Für einen Selbstmord schien dieses Kaliber nicht unbedingt das verlässlichste zu sein; dass er sich in den Kopf schießen würde, ohne dass die Kugel etwas Lebenswichtiges traf, dafür aber einen unvorhersehbar schweren Hirnschaden verursachte, war durchaus möglich, und das Mündungsfeuer zwischen seinen Kiefern zog vermutlich eine üble Entstellung des Gesichts nach sich. Wenn er eines nicht wollte, dann für den Rest seines Lebens als hässliches, stumpfsinniges Etwas dahinzudämmern, das von irgendeinem fetten, haarigen Typen in einem Pflegeheim mit Haferschleim und Gemüsebrei gefüttert wurde.

Also zog er den Lauf wieder aus dem Mund und hielt ihn sich hinters rechte Ohr. Seine Hand fing an zu zittern, als er den Hahn zurückzog.Tu es, elender Feigling, tu es einfach.Er schloss die Augen, atmete tief ein und spannte den Finger am Abzug an. Als er sie lächeln sah und lachen hörte, wollte er sie so unheimlich gern festhalten, wie er sich in seinem gesamten Dasein nichts anderes je gewünscht hatte. Er glaubte nicht an Gott, einen Himmel oder ein Leben nach dem Tod, machte sich also keine Illusionen dahingehend, vielleicht wieder in einem Jenseits mit ihr zusammenzukommen. Wovon er aber überzeugt war? Dass er nicht ohne sie leben konnte und selbst wenn, es nicht gewollt hätte.Hier gibt es nichts mehr für dich. Beende es. Alles kann innerhalb eines Augenblicks verschwinden, genauso sein wie zuvor, als noch überhaupt nichts war.

Da die Hand, mit der er die Waffe hielt, noch unruhiger wurde, legte er sie fest auf seine Brust. Aus der Tiefe seines Unterbewusstseins drang ihr Flüstern:Ich liebe dich, Colin, und dort spürte er sie auch – in sich. So kam er auf den Gedanken, dass sie, sollte er am Leben bleiben, ebenfalls weiterexistieren mochte, sozusagen als Teil von ihm.

Aber das ist sie doch nicht, es sind nur Erinnerungen an sie.

Nun ja, vielleicht war das besser als gar nichts.

Beschissene Ausflüchte.

Er schrie in den dunklen, leeren Raum hinein, holte mit der Pistole aus, um sie zu werfen, besann sich dann aber, sie zuerst zu sichern, und steckte sie zurück in den Halfter. Danach saß er lange still da und hielt sich beide Hände an die Stirn, bevor er aufstand, sein Handy sowie den Autoschlüssel von der Kommode nahm und hinaus zu seinem Van ging, der in der Auffahrt stand.

Fünf Minuten später fuhr er an einem Ziegelsteingebäude vor, dessen der Straße zugewandte Fassade in großen, weißen Lettern mitBOXCLUB ROSSbemalt worden war. Nachdem er aufgeschlossen hatte, trat er ein, ging durch den dunklen Vorsaal, um die Neonröhren an der Decke hinter dem Empfangstisch einzuschalten, und dann die Treppe hinauf zu seinem Büro. Jeder Schritt verursachte stechende Schmerzen in seinen Knien. Mit 40 war er zwar noch gut in Form, doch jahrelanges, intensives Krafttraining und Sportwettkämpfe forderten allmählich ihren Tribut. Jeder Gang die Stufen hinauf – es waren Hunderte, falls nicht gar Tausende gewesen, seitdem er das Studio sechs Jahre zuvor eröffnet hatte – rief ihm ins Gedächtnis, dass auch er nicht vom Altern unberührt blieb, egal wie verbissen er dagegen ankämpfte.

Er drückte auf den Lichtschalter neben der Tür und blieb einen Moment lang stehen, um sich das Zimmer anzusehen. Am Holzfußboden verstreut lagen Pappschachteln und Verpackungen aus Plastikfolie, auf mehreren Ablageflächen standen halbvolle Getränkebehälter, und die beiden Abfalleimer quollen über. Er trat ein paar Schachteln aus dem Weg, ging zum Kühlschrank und nahm eine Flasche Wasser heraus. Es war 00:01 Uhr am 4.2. und so kalt im Büro, dass Ross seinen Atemhauch sah. Deshalb drehte er das Thermostat auf und zog sich einen elektrischen Radiator an den Schreibtisch, ehe er sich hinsetzte, um mit einer Einweggabel Dosenthunfisch zu essen, wobei er am Wasser nippte und sich an seinem PC-Monitor durch Internetnachrichten klickte. Angesichts der neusten Meldungen bedauerte er es, den Auslöser seiner Handfeuerwaffe doch nicht betätigt zu haben, als er sich die Waffe an den Kopf hielt.

Die Ausschreitungen waren schlimmer geworden, die Berichterstattung geprägt von Fotos und Videomaterial über Polizeistreitkräfte und Nationalgardisten in Ganzkörper-Schutzanzügen gegen biologische Gefahrstoffe, die Gesichtsschirme aus Polycarbonatglas beziehungsweise Gasmasken trugen und Zivilisten mit Schlagstöcken oder Gewehrkolben verprügelten. Tränengas gegen Molotowcocktails, blutende Verletzte auf der Straße oder wie Schlachtvieh zusammengepfercht in Militärlastern und Gefängniswagen, zum Schreien aufgerissene Münder, auf Geländewagen montierte Maschinengewehre, ganze Bezirke der Stadt abgeriegelt mit zweieinhalb Meter hohen Maschendrahtzäunen, an deren Spitzen sich Bandstacheldraht entlang zog. Qualm und Feuer, Gewalt und Chaos biblischen Ausmaßes wie aus dem Buch der Offenbarungen.

Ross lud eine Website mit einer größenveränderbaren Karte der USA, die gespickt war mit kleinen, roten Punkten und beschriftet mit dem Titel: AUSBREITUNG DES QILU-VIRUS. Jede Markierung bedeutete eine labormäßig bestätigte Infektion. Am 14. Januar waren 13 Punkte auf der Karte gewesen, sieben für Los Angeles und zwei für San Francisco sowie je einer über den Städten Seattle, Las Vegas und Chicago. Jetzt – nur drei Wochen später – konnte man sie gar nicht mehr zählen. Rote Anhäufungen in fast allen Bundesstaaten und am dichtesten an der Westküste. Nord- und Süddakota sowie ein paar der kleineren Neuengland-Staaten waren bislang verschont geblieben, doch Ross glaubte nicht, dass dies noch lange so bleiben würde. Das Virus verbreitete sich wie ein Lauffeuer bei heißem Sommerwind, und anscheinend konnte niemand irgendetwas unternehmen, um es aufzuhalten.

Er bewegte den Cursor über die Karte und zoomte den zentralen Bereich des Staates Washington heran. Es erleichterte ihn, dass Wenatchee und das Umland sauber waren – zumindest fürs Erste, denn die Lage änderte sich andauernd. Er spielte mit dem Gedanken, seinen Van mit Lebensmitteln vollzuladen und die Stadt zu verlassen, um die Sache an einem abgeschiedenen Ort auszusitzen, konnte sich aber nicht so recht vorstellen, wo dieser sein mochte. Wohin sollte man sich zurückziehen, wenn die ganze Welt vor die Hunde ging? Sein Onkel Charlie besaß eine Sommerhütte an einem kleinen Angelsee in der Nähe von Eatonville, 300 Kilometer weiter westlich, doch dorthin zu gelangen, erwies sich womöglich als Herausforderung. Die Strecke führte über die Cascade Mountains und durch die Vororte von Seattle – eine Stadt, die man momentan mit der Hölle gleichsetzen konnte. Auch falls er sich dazu durchrang, dieses Wagnis einzugehen, blieben die Zu- und Ausfahrten in diesem Bereich unter Ausnahme des notwendigsten Verkehrs abgesperrt.

Sich nicht vom Fleck zu rühren war vermutlich das Beste. Im Lager des Studios standen kistenweise Wasser und isotonische Getränke, Proteinpulver und Energieriegel, im Erdgeschoss ein Kühlschrank voller Sojamilch und Tiefkühlwurst im Gefrierfach sowie eine Palette Thunfisch obendrauf. Zu Hause hatte er ebenfalls noch Vorräte, obwohl er nicht beabsichtigte, dort zu bleiben, weil es ihn an sie erinnerte. Er nahm sich vor, seiner Waffe wegen zurückzukehren und zusammenzupacken, was er vielleicht sonst noch brauchte, bevor er wieder herfuhr und abwartete, wie sich die Situation entwickeln würde. Das Schlimmste, was ihm passieren konnte, war zu sterben. Doch als Problem erachtete er dies beileibe nicht; ein wenig Glück, und er brauchte sich nicht selbst zu richten.

Ross legte sich aufs Sofa im hinteren Teil des Büros, zog sich eine dicke Decke unters Kinn und schloss die Augen. Bald sank er in einen tiefen, tröstlichen Schlaf. Er träumte von ihr und weinte – jedenfalls in diesem Traum.

2

Rooster stand auf der Terrasse des ebenerdigen Bungalows im Craftsman-Stil auf der 57th Avenue im Bezirk Rainier Beach von Seattle. Während der Monate, die seit seinem letzten Besuch hier vergangen waren, hatte sich überhaupt nichts verändert: derselbe größer werdende Haufen Zigarettenstummel am Fuß der Treppenstufen, dieselbe verblasste, von den Wänden abblätternde Farbe, unter der sich altersgraues Holz zeigte, derselbe verdammte Müll im Vorgarten. Nachdem er seine noch glühende Marlboro auf den Haufen geschnippt hatte, klopfte er an.

Ein Schwarzer, den er als ungefähr so groß wie King Kong empfand, öffnete die Tür.

»Was wollen Sie?«

»Ich möchte Timbo sprechen.«

»Wer sind Sie überhaupt?«

»Rooster.«

»Rooster? Was ist das denn bitte für ein Name?«

»Sagen Sie ihm einfach Bescheid.«

Kong musterte ihn argwöhnisch, ehe er die Tür wieder zumachte. Wenige Sekunden später jedoch kam er zurück und ließ Rooster hinein.

Im Haus roch es, als sei ewig nicht gelüftet worden, dazu nach Marihuana, Methamphetamin und Frito-Chips. An die Fensterrahmen im Wohnzimmer hatte man mehr schlecht als recht Decken getackert, in den Wänden klafften faustgroße Löcher, teils behelfsmäßig repariert und überstrichen mit Farbe, die nicht zum ursprünglichen Ton passte. Das Wasser in einem Aquarium in der Ecke war so schmutzig, dass sich Rooster nicht vorstellen konnte, etwas darin lebe noch, und auf einem Fernsehtisch vor dem nicht benutzten Kamin stand ein 42-Zoll-LCD-Monitor, der nur ein blaues Bild zeigte. Auf dem fleckigen Teppichboden lagen überall Essensverpackungen, Bierdosen und weiß Gott was sonst.

Timbo saß in einem orangen Lehnsessel gegenüber einer Sofagarnitur, die rings um einen großen Couchtisch in der Mitte des Zimmers stand. Seinen Bademantel aus rot-weißem Flanell hatte er nicht zugebunden, weshalb man sein dreckiges, ehemals weißes T-Shirt und schwarze Shorts darunter sah. Auf dem Sofa hatten drei dünne, tätowierte Frauen Platz genommen. Rooster kannte Christie und Timbos Frau Susan, allerdings nicht die Schwarze mit den blondgefärbten Dreadlocks. Sie musste zu King Kong gehören, wie er annahm. Zwischen ihr und Christie hockte ein Langhaariger mit aberwitzig buschigen Koteletten. Er war ihm ebenfalls ein Begriff: Mark Rogers, einer der intelligentesten Menschen, die er je kennengelernt hatte, zugleich durchgeknallt, von Selbsthass zerfressen und ein drogenabhängiger Einsiedler. Rooster konnte ihn nicht ausstehen.

»Hey, Rooster!«, grüßte Timbo, ohne aufzustehen. »Hätte nicht vor dem Sommer oder so wieder mit dir gerechnet, falls überhaupt.«

»Einige von uns, die nur kurze Haftstrafen abbüßen, lassen sie früh wieder raus, um Platz für die Randalierer zu schaffen.«

»Na dann kannst du ja von Glück reden! Schätze, es gibt immer noch Lichtblicke. Freut mich, dich zu sehen.« Er wandte sich an King Kong: »Jamel, sei so gut und hol Rooster was zum Sitzen aus der Küche, ja?«

Der Mann grunzte, trottete hinaus und brachte einen Stuhl mit rissigem Polsterbezug aus rotem Vinyl, den er neben das Sofa stellte, wo die Frau mit den Dreads saß. Nachdem sich Rooster allen vorgestellt hatte, hob Timbo eine aufgeschlagene Zeitschrift vom Tisch, unter der eine Glaspfeife und ein Beutel mit feinen Meth-Kristallen lagen. Erstere und ein Zigarettenanzünder gab er seinem Gast. »Probiere mal.«

Rooster nahm die Pfeife entgegen und zog daran. Er genoss die Wärme, die sich umgehend vom Hals über die Schultern ausbreitete und auch seine Kopfhaut kribbeln ließ.Oh Mann, das tut gut.Die anschließende Euphorie war derart eindrücklich, dass er, wenn er die Augen schloss, das Gefühl hatte, der leiseste Windzug könne den Geist von seinem matten Körper befreien und an einen weit entlegenen Ort, in ein verzückendes Arkadien tragen. Er bezweifelte, es gebe irgendeine schönere Empfindung als diese. Timbo bot ihm an, noch einmal zu ziehen, was er dann auch tat.

»Wann bist du rausgekommen, Rooster?«, fragte Susan.

»Um zehn, gestern Morgen«, antwortete er beim Ausatmen des übelriechenden, chemischen Rauchs. »Die haben mir nicht mal vorher Bescheid gesagt, dass sie mich freilassen, sondern kamen einfach zur Tür rein und meinten, ich solle meine Sachen packen und so. Eine Stunde später ging ich die Straße hinunter.«

»Gott, Alter«, stöhnte Mark. »Die haben dich einfach so mitten in dieser Anarchie ausgesetzt? Hätten dir wenigstens ein Taxi spendieren können.«

Rooster nahm ein Päckchen Zigaretten aus seiner Jackentasche und tippte mit der flachen Hand dagegen. »Im Moment kriegst du nirgends mehr ein Taxi, und genaugenommen fährt so gut wie niemand mehr westlich der Interstate 5 herum; jedenfalls hab ich bisher kein Schwein gesehen. Viele Straßen wurden von Soldaten oder Cops abgesperrt, und die anderen stehen voller Wracks und Trümmer, ganz zu schweigen von den angepissten Leuten, die aussehen, als wollten sie dich kaltmachen, nur um herauszufinden, welche Farbe dein Blut hat.« Er steckte sich die nächste Marlboro an und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Und ihr spielt hier Verstecken, oder wie?«

»Ja, wir verlassen das Haus selten«, bestätigte Timbo. »Was wir brauchen, beschränkt sich ja eigentlich nur auf Stoff, Zigaretten und ein bisschen Futter. Wenn wir sparsam damit umgehen, haben wir genug, um es eine Weile hier auszuhalten. Wenn uns die Vorräte ausgehen … na ja, dann müssen wir eben schauen, wo wir bleiben. So läuft es ohnehin auf der Welt, in der wir jetzt leben, Rooster: Jeder ist sich selbst der Nächste. Durch die Gegend zu ziehen bedeutet, sich womöglich was einzufangen, und Mann, ich hab die Bilder, die ganzen Videos gesehen. Wenn ich eines nicht will, dann so enden. Es ist angeblich wie die Tollwut: Man kriegt Schaum vor den Mund, frisst sich selbst die Finger ab und wird völlig bescheuert. Gerade neulich gab es diesen Typen in Spokane, der auf einen Busbahnhof kam – wohlgemerkt splitterfasernackt – und vier Leute anfiel, indem er sich in ihren Gesichtern und Hälsen festbiss. Zwei starben, nachdem er sie wie ein tollwütiger Köter gerissen hatte, und was mit den anderen beiden passierte, weiß ich nicht. Der Kerl hätte wohl noch andere gekillt, wäre er nicht an Ort und Stelle von den Bullen erschossen worden. Es heißt, der Bastard habe zehn Kugeln gefangen, bis er Ruhe gab. So will ich mein Leben nicht lassen, keine Chance – und, meine Fresse, wärst du jemand anders gewesen, hätte ich die Tür gar nicht erst aufgemacht. Man kann nicht vorsichtig genug sein, aber was fällt dir überhaupt ein, mitten in der Nacht herumzustreunen?«

»Im Dunkeln kannst du dich besser fortbewegen«, antwortete Rooster. »Man bleibt im Schatten und zieht niemandes Aufmerksamkeit auf sich.«

Nachdem Timbo an der Pfeife gezogen hatte, reichte er sie weiter an Susan. »Woher kommst du?«

»Ich bin bei 'nem Kumpel oben in Beacon Hill aufgeschlagen und wollte einfach mal vorbeischneien, um zu sehen, wie es euch allen geht.«

»Beacon Hill, das sind doch bestimmt 10 Kilometer von hier aus, bist du komplett irre?«

»Ehrlich gesagt habe ich mir die Karre meines Freundes geborgt, aber nördlich von Cloverdale geparkt. Dort in der Nähe gibt es ein großes Armeelager mit Hubschraubern und allem drum und dran. Ich wollte vermeiden, angehalten zu werden, weil sie diese Ausgangssperre verhängt haben, also stellte ich die Kiste eben am Straßenrand ab und ging den Rest zu Fuß. War nicht sonderlich weit von dort aus.«

Timbo nickte. »Die haben die Schule dort zu einer Art Krankenhaus umfunktioniert oder so. Zumindest hab ich gehört, dass dort eine Menge Soldaten Wache schieben, aber wer weiß, was da wirklich vor sich geht! Der Knast soll ja auch vom Militär bewacht werden, stimmt das?«

»Ja, im gesamten Bereich um Pioneer Square wimmelt es vor Soldaten, die das Gefängnis, den Gerichtshof und die öffentlichen Gesundheitseinrichtungen verteidigen sollen, eben alle wichtigen Gebäude dort. Harborview Hospital befindet sich ja auch in der Gegend, gleich auf der anderen Seite der I-5. Jede Wette, dass es vor Leuten, die sich mit diesem Qilu-Virus infiziert haben, aus allen Nähten platzt.«

»Tschi-lu«, berichtigte Mark. »Du sprichst es Ki-Lu aus, aber richtig heißt es Tschi. Das Wort stammt aus dem Chinesischen. Man munkelt, es sei irgendwo am Gelben Fluss in der Provinz Shandong ausgebrochen, weshalb es mancher auch Gelbfluss-Virus nennt. Qilu ist aber ein Kosename für Shandong, daher die Bezeichnung.«

Na besten Dank, Mr. Klugscheißer, dachte Rooster verächtlich. »Ich weiß, woher das Virus kommt, schließlich verfolge ich die verdammten Nachrichten. Tschi-Lu, Ki-Lu, Methaqualon, Tequila … scheißegal, wie man's nennt, es ist eine Seuche, und ich bezweifle sehr stark, dass sich jemand, der auf seinem Totenbett liegt, den Kopf über die richtige Aussprache zerbricht.«

»Ich wollte es ja nur gesagt haben, Mann«, entschuldigte sich Mark.

»Alle Krankenhäuser sind überfüllt«, warf Christie ein. »Die Schulen werden benutzt, um dem Andrang gerecht zu werden, das erzählen sie im Radio.«

»Die Welt geht wirklich vor die Hunde«, sagte Timbo. »Schätze, uns bleibt nichts weiter übrig, als zu versuchen, es durchzustehen.« Er rollte den Beutel Meth sorgfältig zusammen und schob ihn in die Tasche seiner Shorts. »Ich würde dir ja noch 'nen Hit von dem Zeug geben, Rooster, aber wie ich schon sagte: Wir müssen sparsam sein.«

»Schon in Ordnung«, versicherte Rooster. »Ich bin high genug. Nach der Zeit im Knast komme ich mir ein wenig vor wie ein Leichtgewicht.«

»Meine Rede, Mann. Ist bestimmt schon 'ne Zeitlang her, seit du das letzte Mal Spaß hattest.« Timbos Blick wanderte von Rooster zu Christie und wieder zurück. »Alter, warum gehst du nicht mit ihr ins Hinterzimmer und lässt dich ein bisschen liebhaben?«

Rooster schaute Christie an, dann wieder Timbo, und lachte auf. »Im Ernst?«

»Todernst. Wie lang hast du eingesessen – sechs Monate?«

»Sieben.«

»Also das ist 'ne lange Zeit ohne Frau. Nur zu, aber mach kein Durcheinander.«

Rooster besah Christies bleiche Haut und dürre Figur, den Wust von Meth-Narben in ihrem Gesicht und an den Unterarmen. Beim Lächeln zeigte sie faule Zähne. Er ließ sich das Angebot ein paar Sekunden lang durch den Kopf gehen, zuckte dann mit den Schultern und sagte: »Warum eigentlich nicht?« Sieben Monate waren zu lang, da hatte Timbo Recht. »Macht aber in der Zwischenzeit Musik an, damit ich weiß, dass ihr nicht hier herumsitzt, um uns beim Stöhnen und so zu belauschen.«

Er führte das Mädchen in das Schlafzimmer und nahm sie von hinten, während man nebenan Pink Floyd in die Stereoanlage warf. Nach wenigen Minuten streckte er sich zur Seite aus, um eine Keramiklampe von einer Kommode dicht neben dem Bett zu nehmen, riss sie aus der Steckdose und schlug Christie das Ding so fest er konnte auf den Hinterkopf, ehe er sie mit dem Kabel strangulierte. Er setzte den Sex mit ihr fort, nachdem sie tot war. Als er von ihr abließ, blieb er noch neben ihr stehen und betrachtete das Schmetterlings-Tattoo in ihrem Kreuz. »Arschgeweih, eins zwei.«Fly away little butterfly,sang er in Gedanken.Fly away.

Dann zog er seine Hose an, hob die Jacke vom Boden auf und nahm die Sig Sauer .380 aus einer Innentasche mit Reißverschluss. In einer anderen hatte er einen vier Zoll langen Schalldämpfer verstaut, den er nun geruhsam auf den Lauf schraubte. Zuletzt prüfte er das Magazin, in dem sieben Patronen Platz fanden, und zog ein zweites aus der Jacke, dem er noch eine Kugel entnahm, um sie in die Pistole zu stecken. Indem er die Jacke über die Waffe hielt, öffnete er leise die Tür und ging über den schmalen Flur zum Wohnzimmer.

Die sechs dort blickten durch wabernden Zigarettenqualm zu ihm auf und grinsten hämisch mit großen, glasigen Augen. »Na, wie war's so nach sieben Monaten?«, fragte Timbo neckisch.

»Tat gut«, entgegnete Rooster. Er ging zur Stereoanlage, die auf einem Regal neben dem Flachbildfernseher stand. Gerade polterte ein altes Led-Zeppelin-Stück durch die Boxen, dessen Titel ihm nicht einfiel. Er ließ sein Becken im Rhythmus kreisen. »Ich liebe diesen Song.« Das war gelogen. »Was dagegen, wenn ich lauter mache?« Er wartete nicht auf die Erlaubnis, sondern drehte den Regler etwas weiter nach rechts, bevor er sich dem Sofa zukehrte, wobei sein Körper fast komisch im Einklang mit der Musik schwankte.

Sie prusteten und johlten, während er zum Sofa tänzelte. Timbo meinte: »Was treibt Christie noch nebenan? Erholt sie sich? Hoffentlich warst du nicht zu anstrengend für sie. Ich hab Jamel und Candace gerade erklärt, woher du deinen Spitznamen hast.«

Rooster ließ die Jacke auf den Boden fallen. Da verging ihnen das Lachen. Er erkannte, wie es ihnen wie Schuppen von den benebelten Augen fiel: Sie wussten, was nun folgte. Er stand Susan und Mark am nächsten, also erschoss er sie zuerst – eine Kugel pro Kopf. Bamm! Bamm! Trotz des Schalldämpfers knallte es laut wie ein Vorschlaghammer auf Beton. King Kong sprang sofort auf, da verpasste ihm Rooster zwei Treffer, doch der große Mann drehte sich um, nahezu ohne mit der Wimper zu zucken, und rannte auf die Tür zu. Zwei weitere Schüsse in den Rücken, und er brach zusammen, bevor er entkommen konnte. Als nächstes war die Frau mit den blonden Dreadlocks dran.Wie hatte Timbo sie noch gleich genannt? Ach ja, Candace.»Mach's gut, Candace.« Sie kreischte, während sie die Hände nach vorne ausstreckte, und Rooster schoss ihr zwischen die Augen. Schließlich kehrte er sich Timbo zu, der von seinem Sessel untergetaucht war und auf allen Vieren zur Tür kroch, durch die Rooster gerade gekommen war. Dieser ging zu ihm hinüber und zielte auf seinen Hinterkopf. »Wohin willst du, Arschloch?«

Timbo erstarrte und fing an zu wimmern. »Rooster, b-b-bitte … bitte bring mich nicht um, ich bin dein Freund.«

»Nein, da irrst du dich, Timbo, du bist nicht mein verschissener Freund. Ich will, dass du dich jetzt dort hinüberschaffst und die Musik ausmachst, damit ich nicht schreien muss.«

»Okay, okay … was auch immer du willst, Rooster. Ich tu alles für dich, aber bitte erschieß mich nicht, Mann.«

Timbo hastete wie eine Krabbe über den schmutzigen Wohnzimmerboden, dicht gefolgt von Rooster, der das leere Magazin seiner Sig gegen das volle aus seiner Gesäßtasche austauschte. Sobald die Anlage abgestellt war, hörte er ein Stöhnen von der anderen Seite des Raumes nicht weit entfernt von der Haustür. »Na ist es denn zu fassen?«, fragte er erheitert. »Sieht so aus, als sei dein Kumpel Jamel noch am Leben. Wie wär's? Schleichen wir uns zu ihm und schauen, wie es ihm geht?«

Timbo gehorchte.

Jamel lag auf den Fliesen vor dem Eingang. Blut, das aus Wunden an seinem Rücken, Hals und der rechten Schulter strömte, breitete sich in einer Lache rings um ihn aus. Seine Augen waren halb geöffnet, und sein Atem wurde von einem leisen Gurgeln begleitet. »Hilf mir«, flehte er angestrengt und kaum lauter als im Flüsterton. »Oh Gott,hilf mir.Ich brauche einen Krankenwagen.«

Rooster suchte den Raum nach etwas ab, mit dem er Jamels Schädel zertrümmern konnte, hob aber letztlich, da er nichts entdeckte, was er für schwer genug hielt, das rechte Bein an und trat ihm mit dem Stiefelabsatz ins Genick. Immer wieder ließ er den Fuß mit aller Gewalt auf den Mann niedergehen, bis er außer Atem war. Dann – quasi sicherheitshalber – sprang er hoch und stampfte mit beiden Füßen auf Jamels Kopf, wobei er abrutschte und gegen die Wand stürzte. Rasch richtete er sich wieder auf und hielt Timbo die Waffe vor, der dicht vor ihm auf Knien ausharrte und schluchzte. Als er auf Jamel hinabschaute, überraschte es ihn, dass sich die breite Brust weiterhin hob und senkte, obwohl der Kerl in der nunmehr rapide größer werdenden Blutlache zappelte und schauderte.Un-glaub-lich, dieser Typ.Rooster beobachtete ihn fasziniert, bis Kong seinen letzten rasselnden Atem aushauchte und aufhörte, mit den Beinen zu zucken. Zuletzt drehte er sich wieder zu Timbo um und fragte mit dem Gleichmut eines Wahnsinnigen: »Was hast du zum Essen im Haus?«

3

Er ließ sich entspannt am klapprigen Küchentisch nieder und aß Ramen-Nudeln mit faden Käsebällchen, während Timbo im Schneidersitz neben ihm am Boden kauerte. Er hatte ihm die Hände mit Klebeband auf dem Rücken verschränkt. Der süßsaure Geruch von Blut vereinte sich mit dem ekelhaften Gestank im Haus, der die Luft verpestete wie überfahrene Tiere, die in der Sommersonne verwesten, doch dies verdarb Rooster nicht im Geringsten den Appetit.

»Warum hast du ihn nicht einfach erschossen«, fragte Timbo beklommen.

Rooster kaute weiter, ohne zu antworten. Beim Fesseln hatte er Timbos Meth-Beutel konfisziert, jetzt hielt er ihn gegen das Küchenlicht, um den Inhalt zu untersuchen. Die dreckig gelben Rocks erinnerten ihn an ausgeschiedene Gallensteine.

»Im Ernst, Mann, warum musstest du ihm den Kopf eintreten? Jamel war ein ziemlich cooler Junge und hatte keinen solchen Tod verdient.«

Rooster steckte den Beutel ein und seufzte beschwerlich. »Erstens war der Wichser keine weitere Kugel wert; immerhin hatte er schon vier in seinem fetten Arsch stecken, und im Augenblick ist es nicht leicht, an Munition zu gelangen. Zweitens wohnen die Nachbarn jeweils 10 Meter links und rechts neben dir, die wahrscheinlich keine Schüsse bemerkt haben wegen der lauten Anlage, aber ohne Musik klingt eine Pistole ziemlich genau so – wie eine Pistole, selbst mit einem Schalldämpfer, der eigentlich rein gar nichts dämpft.«

Timbo schwieg eine Minute lang, bevor er den Kopf hängenließ und zu weinen anfing. »Was wirst du jetzt mit mir anstellen, Mann? Ich kann dir helfen, weißt du? Was auch immer du verlangst, ich besorg's dir. Ich hab eine Scheißangst, du machst mich echt irre. Was soll ich machen? Sag's mir einfach, Rooster. Ich tu alles, ich bin einfach … ich hab furchtbar Schiss, Mann.« Er flennte wie ein verschrecktes Kind. Ein Rotzfaden baumelte aus seiner Nase, und Speichel floss in Rinnsalen an seinem Kinn hinunter, ehe er auf seinen Schoß tropfte

Rooster konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. »Hör auf zu weinen, du blödes Weichei! Wie kann man sich nur so würdelos verhalten?« Er rückte den Stuhl vom Tisch zurück, stand auf und bückte sich, um Timbo in die Augen zu schauen. »Hör zu«, begann er mit sanfter Stimme. »Es gibt da etwas, das du nicht über mich weißt. Traust du es dir zu, damit klarzukommen, wenn ich es dir erzähle?«

Timbo nickte eifrig mit bebenden Lippen. »J-j-ja, Mann, ich komm klar damit; egal was es ist, es macht mir nichts aus.«

»Gut.« Rooster starrte ihn eindringlich an und rückte noch näher. »Ich bin ein Vampir. Das einzige, was ich von dir will, ist dein Blut.«

Timbo wurde leichenblass. Er öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, brachte aber nichts weiter hervor als ein leises Quieken. Rooster weidete sich ein paar Sekunden lang an der Bestürzung und Unsicherheit des Mannes, bevor er die Zähne bleckte und mit einem fiesen Knurren nach seinem Hals schnappte. Timbo kreischte panisch auf und kippte rücklings um, wohingegen Rooster in schallendes Gelächter ausbrach.

»Du Idiot, ich verarsche dich bloß«, grölte er. »Wäre ich tatsächlich ein Vampir, läge mir nichts ferner, als dein widerliches Blut zu saufen. Was ich allerdings mitnehmen werde, sind dein Drogenbestand und dein Geld, jegliche Waffen, die du im Haus hast, und die Schlüssel zu den Wagen, die draußen stehen.«

»S-sicher, sicher, Rooster«, stammelte Timbo. »Du kriegst alles, was du willst. Ich will dir nur behilflich sein, Mann, du bist wie ein Bruder für mich.«

»Dann beweg deinen armseligen Arsch und zeig mir, wo du deinen Shit versteckst.«

Timbo raffte sich hastig auf und führte Rooster in sein Schlafzimmer. »Im Schrank am Boden steht eine Schließkassette«, gab er an, »versteckt unter ein paar zusammengelegten Laken. Der Schlüssel zu meinem Jeep liegt auf der Garderobe, aber wo der von Jamels Impala ist, weiß ich nicht, bestimmt in seiner Tasche.«

Rooster stieß ihn aufs Bett und befahl ihm, sich auf den Bauch umzudrehen. Timbo tat es ohne Zögern, während sein Peiniger die Schlüssel von der Garderobe nahm und den Kleiderschrank durchstöberte.

»Wie lautet die Kombination für das Schloss?«, fragte er, nachdem er die Metallkassette gefunden hatte. Timbo nannte sie ihm, und als Rooster den Deckel hochklappte, fiel ihm eine geladene, vernickelte .357er Magnum Marke Smith & Wesson mit kurzem Lauf in die Hände, dazu eine Schachtel mit 50 Hohlspitzpatronen, drei zusammengerollte Beutel Marihuana und einer voller Crystal Meth sowie 127 Dollar Bares. Außerdem waren drei verschlossene Röhrchen Tabletten enthalten, mehrere leere Spritzen und etwas Kleingeld. »Was sind das für Pillen?«, wollte er wissen.

»Oh, ein wenig Oxycodon, Vicodin und äh … ein bisschen Rohypnol.«

»Was zum Geier ist Rohypnol?«

»So etwas wie Tranquilizer; kannst du mit Valium vergleichen.«

»Welche von denen sind Rohypnol? Du hättest den Kram mal beschriften können.«

»Hinten auf der Packung steht ›ROCHE‹. Das Oxycodon ist gelb, die langen Kapseln sind Vicodin.«

Rooster steckte die Magnum in seinen Hosenbund und schüttete den übrigen Inhalt der Kassette in einen fleckigen Kissenbezug. Davon abgesehen nahm er auch eine Zwölfkaliber-Flinte und eine lange Metalltaschenlampe aus dem Schrank. Um die Waffe zu prüfen, zog er den Verschluss bis zur Hälfte zurück. Sie war geladen. »Wo sind noch Patronen für das Ding?«

»Oberes Fach, rechte Ecke.«

Er warf das Kästchen mit den Kugeln ebenfalls in den Bezug und verlangte den Rest von Timbos Geld.

»Das ist alles, was ich habe, Rooster, ich schwöre.«

»Falls ich dich noch einmal fragen muss, werde ich dir nacheinander die Finger abschneiden.«

Als Timbo nichts entgegnete, beugte sich Rooster übers Bett, packte seinen Daumen und knickte ihn um, bis er mit einem hörbaren Knacks brach.

Timbo brüllte vor Schmerz. »Schon gut, schon gut! Meine Brieftasche liegt in der obersten Garderobenschublade. Sind ungefähr 100 Kröten drin, hab ichvergessen– wirklich, total vergessen! Bitte tu mir nicht noch mehr weh.«

Rooster fand die Geldbörse und nahm die Scheine heraus. Nachdem er die anderen Schubladen durchsucht und unters Bett geschaut hatte, kramte er in einer Handtasche, die an einem Haken an der Schlafzimmertür hing. Da er nichts von Interesse entdeckte, wies er Timbo an, vom Bett aufzustehen und in die Küche zu gehen. Dort musste er niederknien, woraufhin Rooster ein Fleischmesser aus einem Holzblock auf der Arbeitsfläche zog. »Tja, sieht ganz so aus, als seist du am Ende angelangt«, sagte er im kalten Ton. »Irgendwelche letzten Worte?«

Timbo blickte flehentlich hinter einem Tränenschleier zu ihm auf. »Was …«

Rooster fuhr mit der Klinge über die Kehle des Mannes, bevor dieser etwas sagen konnte. Timbo zuckte am Boden und trat aus, während sich Rooster einen großen Müllsack schnappte und mit Nahrungsmitteln von den Küchenregalen und mehreren Halbliterflaschen Pepsi aus dem Kühlschrank füllte. Nachdem er alles zusammengetragen hatte, was in den Sack passte, zog er seine Jacke an und stopfte deren Taschen mit weiteren Lebensmitteln voll. Zuletzt ging er ins Wohnzimmer zurück und tastete die Leichen ab. Bis er sie ausgenommen hatte, vergingen ein paar Minuten, doch der Aufwand wurde mit weiteren 27 Dollar in Scheinen und Jamels Autoschlüsseln belohnt. Ein rot gefärbter Hasenfuß baumelte daran.So viel zu deinem Glück, dachte Rooster.

Er legte den Sack, den Kissenbezug und die Flinte in der Diele ab, ehe er hinausging und nachsah, wie voll die Tanks der Fahrzeuge noch waren. Beim Öffnen schlug die Tür gegen Jamels angeschwollenen, blutüberströmten Kopf, aber Rooster konnte sie weit genug aufziehen, um seinen hochaufgeschossenen Körper ohne allzu große Mühe hindurchzuzwängen. Die Tankanzeige von Timbos Jeep Cherokee stand knapp unter einem Viertel, was wahrscheinlich ausreichte, um Rooster zu seinem gewünschten Ziel zu bringen, doch weil Treibstoff in diesen Tagen rasch zu einem seltenen und wertvollen Gut wurde, hätte er Jamels Impala ungern zurückgelassen, falls dessen Tank voll war. Als er feststellte, dass die Nadel ebenfalls nur ein Viertel anzeigte, war er milde enttäuscht. Wenn es an der Zeit zum Aufbrechen war, so entschied er, würde er den Jeep nehmen. Was oder wen er auf dem Weg zu seinem Bestimmungsort überfahren musste, konnte er nicht voraussehen, doch in jedem Fall war dieser Wagen besser dazu geeignet.

Er schaute auf seine Uhr: Neun Minuten vor zwei. Die im gesamten Gebiet geltende Ausgangssperre galt von Sonnenuntergang bis zum Morgengrauen. Jeden, der nachts auf den Straßen ertappt wurde, nahm man fest – oder stellte Schlimmeres mit ihm an. Gerüchten zufolge führten Soldaten und Polizeibeamte Hinrichtungen durch. Er wusste nicht, ob sie der Wahrheit entsprachen, hatte es aber bereits selbst eines Nachts riskiert und war noch nicht gewillt, es weiter auf die Spitze zu treiben. Die Sonne ging schätzungsweise um 07:30 Uhr auf, also in etwa fünfeinhalb Stunden.Dann kann ich es mir genauso gut noch eine Weile gemütlich machen, fand er, kehrte ins Haus zurück, schloss die Eingangstür ab und wartete darauf, dass es hell wurde.

4

Der kleine Junge steht mit seinem Stiefvater in der Schlange. Er ist acht Jahre alt und kann es kaum erwarten, seine zweite Baseball-Saison in der Little League anzutreten. Er hat im Laufe des letzten Jahres hart trainiert, um sich zu verbessern, und möchte unbedingt jedermann zeigen, wie viel dabei herausgekommen ist. Seine Mutter betet ihm ständig vor, er könne, wenn er weiter an sich arbeitet, sogar gut genug werden, um irgendwann einmal mit den Profis zu spielen. Er glaubt ihr, weil er weiß, dass sie ihn liebt und ihn niemals belügen würde. »Ja, Mom, ich werde eines Tages zu den Profis gehören«, sagt er zu ihr. »Ich weiß, dass ich werden kann, was ich will, wenn ich gute Noten schreibe und mich anstrenge, nicht wahr?« »Richtig, mein Sohn, ganz richtig.«

Sie kommen nur langsam voran, weshalb Lyle, sein Stiefvater, ungeduldig wird. Er fängt an, leise vor sich hin zu fluchen. Der kleine Junge betet, Gott möge Bewegung in die Schlange bringen, bevor Lyle ausfallend wird, doch mehrere Minuten vergehen, und die Anmeldung sieht immer noch unheimlich weit entfernt aus. Einige der anderen Eltern unterhalten sich und lachen miteinander, wohingegen Lyle auf der Stelle trippelt, sich über die Stirn fährt und so leise mit sich selbst spricht, dass der Knabe nicht versteht, was er sagt. Letzten Endes packt der Erwachsene ihn am Arm und kündigt an, dass sie aufbrechen werden. Der Kleine möchte aber nicht gehen. Falls sie das tun, ohne die Formulare auszufüllen, darf er nicht in der Little League spielen, was Lyle aber egal ist. »Du kannst nächstes Jahr mitmachen«, behauptet er.

Der Junge weint, während der Stiefvater ihn nach draußen auf den Parkplatz schleift. Überall stehen Leute, und ihm fallen ein paar seiner Klassenkameraden auf, die auf dem Gehweg Fangen spielen. Einer von ihnen fragt, ob er sich für die Little League eingetragen hat, und als er verneint, dreht er den Kopf zur Seite, um seine Tränen zu verbergen. Er bettelt Lyle an, nur noch ein bisschen länger zu warten; doch der Mann hört ihm nicht zu. Dem Knaben ist klar, dass seine Mutter, wäre er mit ihr hier, so lange ausharren würde, wie es sein muss, aber leider ist sie nicht da, und er sehnt sich nach der Zeit zurück, als er noch keinen Stiefvater hatte – früher, als alles besser war.

»Ich hasse dich«, bekennt er. Lyle schlägt ihm vor allen Augen mit der Faust gegen die Wange, was den Jungen benommen macht, und das einzige, was ihn am Zusammenbrechen hindert, ist die schmerzhaft zudrückende Hand des Mannes an seinem Arm. Er schaut sich unter all den glotzenden Gesichtern um und fragt sich, warum keiner der Erwachsenen hilft. Einige tun so, als bekämen sie nichts mit, aber der Kleine erkennt anhand ihrer Mienen, wie unangenehm es ihnen ist. Er lässt beschämt den Kopf hängen, während Lyle ihn zum Wagen zerrt. »Sag nie wieder, dass du mich hasst«, droht er mit zusammengebissenen Zähnen.

Auf dem Nachhauseweg herrscht vollkommenes Schweigen. Als er ins Haus läuft, fragt seine Mom, warum er weint. Er schildert ihr, was geschehen ist, und bemerkt dabei, wie rot sie vor Zorn wird. »Keine Bange, ich fahre mit dir zurück und melde dich für die Little League an.« Sie tut es wirklich, und der Junge ist ganz hingerissen, doch als sie wieder daheim ankommen, fängt Lyle sie auf dem Hausflur ab und schlägt seiner Mutter ins Gesicht. Als sie zu Boden geht, tritt er wieder und wieder auf sie ein, während sie schreit. Zuletzt zieht er sie hoch und versetzt ihr einen weiteren Fausthieb. Blut rinnt von ihrem Kinn, während Lyle sie dafür verantwortlich macht, dass er ihr dies antun muss. Der Junge schaut abseits dastehend zu und wünscht sich, er könne seiner Mom helfen, weiß aber zugleich, dass er bei dem Versuch, sich einzumischen, ebenso verdroschen wird. Er schließt die Augen, hält sich die Ohren zu und träumt vom Baseballspielen in der Little League.

***

Ross fuhr aus einem Albtraum hoch, in welchem er über das aufgesprungene Pflaster einer Straße in einer längst verlassenen Stadt am Fuß eines Gebirges gegangen war, während sich Dutzende von geisterhaften Armen durch die Fenster zerfallener Gebäude zu beiden Seiten des Wegs nach ihm ausgestreckt hatten.

Rums!Das Geräusch rührte von dem großen Panoramafenster neben dem Sofa her, auf dem er schweißgebadet trotz der Kälte lag. Es stand im rechten Winkel zu der Wand, und nachdem sich der Knall noch zweimal wiederholt hatte, zwang sich Ross zum Aufstehen, weil er wissen wollte, was los war. Er glaubte, jemand habe irgendetwas hoch gegen das Fenster im Obergeschoss geworfen, um ihn aufmerksam zu machen, sah aber dann, dass es sich um einen Vogel handelte – einen kleinen braunen Spatz, der mit dem Kopf gegen eine der Scheiben flog.

Rums!

»Hau ab!«, rief Ross heiser. »Es ist zu früh für diesen Scheiß.«

Rums!Abermals prallte das Tier vom Fenster ab und hinterließ einen Blutfleck. Ross beobachtete verwirrt, wie die kleine Kreatur weiterhin alle paar Sekunden gegen dieselbe Stelle am Glas schlug und jedes Mal mehr Blut, mehr glibberige Masse zurückließ, bis sie außer Sicht abstürzte und nicht mehr wiederkehrte. Einen Moment lang fragte sich Ross, was um alles in der Welt dort draußen den Vogel dazu bewog, so dringlich zu versuchen, ins Gebäude zu gelangen, dann glaubte er, die Antwort wohl zu kennen:Es ist das verdammte Ende der Welt.

Er biss von einem Protein-Schokoriegel ab, der annähernd so hart war wie ein Backstein, während er die Treppe hinunter in die Trainingshalle ging. Gewohnheitsmäßig schnappte er sich einen Kehrbesen aus dem Putzschrank und fing an, die 2.000 Quadratmeter Betonboden des Raumes zu fegen, besann sich dann jedoch eines Besseren. Der Club war seit einer Woche geschlossen, und wie lange es dauern würde, bis Ross ihn wieder öffnen konnte – falls überhaupt – ließ sich nicht abschätzen. Niemand außer ihm selbst machte sich einen Kopf über Staub am Boden.

Er stellte den Besen beiseite und nahm ein Springseil sowie je ein Paar schwarze Bandagen und schwarz-weiße Grant-Boxhandschuhe aus seinem Spind im Duschraum. Nachdem er letztere mit dem Seil auf eine Bank zum Gewichtheben gelegt hatte, verband er sich die Hände, stellte eine Stoppuhr auf drei Minuten ein und begann sein tägliches Trainingsritual. Obwohl er vor über sechs Jahren zum letzten Mal professionell geboxt hatte, waren solche Work-outs schon seit seiner Zeit als Teenager eine Konstante in seinem Leben – genaugenommen die einzige überhaupt, zumindest bis er Monica kennengelernt hatte.

Er wusste noch genau, wie es war, als er sie vor acht Jahren zum ersten Mal gesehen hatte. Damals trainierte er regelmäßig im BoxclubCam'sin Seattle, wo er sechs Tage die Woche drei bis vier Stunden zur Vorbereitung auf seine Kämpfe verbracht hatte. Eines Abends war sie hereingekommen, um sich für ein paar Boxstunden anzumelden, die ihr Cam zu einem unschlagbaren Preis anbot. Er hatte sich ständig beschwert, nicht genügend Frauen im Verein zu haben, und eine hübschere Person als Monika war noch nie durch die Eingangstür gekommen. Allein ihr Aussehen zog gewiss mehr männliche Mitglieder an, und sie versprach, ihre Freundinnen zu ermutigen, es ebenfalls einmal zu versuchen. Ross hatte nicht erwartet, dass sie weitere Frauen mitbringen würde, doch nach ein paar Tagen erkannte er stets, wenn sie zugegen war, weil fast jeder der anwesenden Kerle sie umschwärmte wie Bienen eine Honigwabe. Ross selbst, ein üblicherweise sehr fokussierter und disziplinierter Mensch, ließ sich einmal von ihr ablenken, während er gegen einen schlagfertigen Profi aus einem anderen Club antrat. Im Nu schlug ihn ihr Anblick in den Bann, als sie etwa drei Meter neben dem Ring auf einen Sandsack einschlug. Sie hatte ihr blondes Haar zum Pferdeschwanz zusammengebunden, sodass man die sexy Linien ihres Halses sah, und ihre strahlend blauen Augen funkelten vor Entschlossenheit, die helle Haut glänzend vor Schweiß …

Dann war alles schwarz geworden.

Ross hatte den linken Haken nicht gespürt, der sein Kinn erschütterte, genauso wenig wie den Aufprall seines Schädels am Boden des Rings. Nur die Stimme von Big Al, seinem Coach, hörte er, der schrie: »Was machst du da, verdammt nochmal, du Trottel? Sieh zu, dass du den Arsch von der Matte kriegst und dich auf dieSiegesprämiekonzentrierst!« Dies war einer von Big Als Lieblingssprüchen – die Siegesprämie im Auge zu behalten, aber Monica war viel begehrenswerter, weshalb Ross den Blick nicht von ihr abwenden konnte. Mit der Zeit bemerkte er mit Freude, dass auch sie ihn immer wieder beäugte.