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In seinem Buch 'Rasputin' wirft der Autor Klabund einen faszinierenden Blick auf das Leben und die mysteriöse Persönlichkeit von Rasputin, dem berühmten sibirischen Mystiker und Vertrauten der Zarenfamilie. Der literarische Stil von Klabund ist geprägt von einer eindringlichen und bildhaften Sprache, die den Leser in die düstere Welt des zaristischen Russlands des frühen 20. Jahrhunderts entführt. Das Buch kombiniert Fakten und Fiktion, um ein eindringliches Porträt eines der kontroversesten Figuren der russischen Geschichte zu zeichnen. Der literarische Kontext des Buches zeigt Klabunds Fähigkeit, historische Ereignisse mit literarischer Virtuosität zu verweben, was 'Rasputin' zu einem unvergesslichen Leseerlebnis macht. Klabund's intensive Recherche und sein Talent für die Darstellung komplexer Charaktere spiegeln sich auf jeder Seite dieses meisterhaft geschriebenen Werkes wider. Das Buch 'Rasputin' von Klabund ist ein Muss für alle Leser, die sich für Geschichte, Literatur und die dunklen Seiten der menschlichen Psyche interessieren. Es bietet ein tiefgründiges und packendes Porträt eines Mannes, der das Schicksal eines ganzen Imperiums beeinflusst hat und dessen Legende bis heute nachhallt.
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Seitenzahl: 52
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Hehe, da war ein Mensch, wir wollen ihn Jefim nennen.
Er trug keinen richtigen adretten Namen, wie ihn Adlige und Bürger trugen, keinen Eigennamen, der ihm zu eigen war und ihm allein gehörte. Er war ein Bauer, ein Muschik, sein Vater hatte den Namen in einem alten, vergilbten und zerfetzten Kalender aufgelesen. »Er soll Jefim heißen«, sagte der Vater verdrossen und mürrisch, denn das Buchstabieren im Kalender hatte ihn angestrengt.
»Schön«, sagte der Pope und schrieb den Namen ins Kirchenbuch.
»Gut«, sagte der Kommissar und schrieb ihn später in seinen Paß, den er ordnungsgemäß bei sich trug.
Nein, nein, man konnte ihm nichts nachsagen. Da wollte wohl mal einer kommen, ein Gendarm oder so, und ihm was Böses oder Gesetzwidriges zutrauen. Alsbald zog er seinen schmierigen Paß aus der grünen Wolljoppe, Tabakblätter und rosige, klebrige Himbeerbonbons fielen dabei auf die Erde. Nun, Euer Wohlgeboren, alles in Ordnung, wie? und er zwinkerte mit seinen listigen Iltisaugen und sein graugrüner Strohbart sträubte sich wie der Schwanz eines gereizten Katers.
Niemand konnte ihm etwas anhaben. Kein Gendarm, kein Polizist – nicht einmal der Zar selbst.
Wenn der Zar des Weges käme und ihn stellte: He, du da, wie heißt du? – er bräuchte nicht zu zittern. Keine Wimper bräuchte er bewegen. Er präsentierte dem Zaren mit einer leichten, kavaliersmäßgen Verbeugung den Paß:
Hier, Väterchen, alles in Ordnung, mein Name ist Jefim Alexandrowitsch, geboren da und da, dann und dann, bitte sich zu überzeugen –
Und der Zar salutierte und bat um Entschuldigung:
Verzeihen Sie die Belästigung, mein lieber Jefim Alexandrowitsch –
trat zurück und gab den Weg frei. Dann schritt Jefim frank und selbstbewußt. Er schnaufte ein wenig, denn er litt an Fettherz und Asthma.
Aber das würde sich in dem gesunden sibirischen Klima schon geben. Trotz seiner dicken Füße hupfte er leicht wie ein Vogel in einen Waggon der Eisenbahnlinie Petersburg–Tjumeny.
Die listigen Iltisaugen blinzelten ihr Gegenüber, eine junge Bäuerin aus dem Gouvernement Tobolsk, unternehmungslustig an. Man hatte sieben Stunden zusammen zu fahren – hehe – da konnte allerlei sich ereignen – eine Freundschaft wurde geschlossen – fürs ganze Leben oder was man dafür hielt – vielleicht fiel auch etwas Liebe ab für ihn, Jefim Alexandrowitsch, dreiunddreißig Jahre alt, recht rüstig und, abgesehen von ein paar verfaulten Zähnen, in prächtiger Form, seines Wesens Postknecht, kaiserlich russischer Postknecht, versetzt nach Pokrowskoje, gelegen am Tobol im Gouvernement Tobolsk. Aber Jefim Alexandrowitsch war ermüdet von der langen Reise.
Er schlief ein, träumte von einem schwarzen eisernen Hengst und einer silbernen Stute, und als er aufwachte, war die Bäuerin verschwunden und ein Soldat mit einem Gesicht wie eine Tomate saß ihm gegenüber. Seine Augen waren überhaupt nicht zu sehen. Aber er stank übel aus dem Maul nach Zwiebelsuppe und schlechtem Wodka.
Jefim Alexandrowitsch bekam Appetit und packte aus Zeitungspapier eine halbe Blutwurst und ein tüchtiges Stück Roggenbrot. Das hatte er sich selber einpacken müssen; er, Jefim Alexandrowitsch, stand ganz allein auf der Welt. Er hatte keine Mutter, keinen Vater, kein Weib, nur einen alten schwerhörigen Onkel in Nishni-Nowgorod, mit dem kein Staat zu machen war.
Eine Träne fiel in Jefim Alexandrowitsch’ graugrünen Bart.
Der Soldat hatte plötzlich, unerfindlich woher, Augen, die wie kleine Schießscheiben aussahen. »Dir ist wohl wer gestorben? Na, tröste dich man. Tot ist tot. Unsereiner kann auch täglich sterben. Ich bin ein Krieger, und das ist ein harter Beruf. Gott schütze den Zaren.«
»Er schütze ihn«, sagte Jefim Alexandrowitsch und nahm die Mütze ab.
Er wunderte sich über den Soldaten, daß er »Krieger« gesagt hatte. Was für ein hochtrabendes Wort für einen so niedrigen Beruf. Krieger! Dann mußte er sich wohl Postrat nennen oder Roßwart, hehe. Aber dann fing er an, dem Soldaten weitschweifig von dem Trauerfall zu erzählen, den er in seiner nächsten Verwandtschaft erlitten. Er log sich derartig hinein, bis er selbst an die Wahrheit seiner Lügen glaubte. Ob der Herr Unteroffizier Petersburg kenne? Nein, er kenne es nicht. Dagegen seien ihm Moskau, Riga, Lodz, Warschau – –
»Schon gut«, Jefim Alexandrowitsch unterbrach ihn unwirsch, »ich habe zu erzählen. Ist dir deine Nichte Feodorowna gestorben oder mir? Feodorowna, das weizenblondhaarige, engelschöne Gotteskind? Im zarten Alter von vierzehn Jahren wurde es auf dem Newki Prospekt von einem feinen, aber brutalen Herrn in eine dunkle Seitengasse gelockt und dort –«
»Und dort?« – das Tomatengesicht des Soldaten rötete sich vor Aufregung noch dunkler.
»Na ja«, sagte Jefim Alexandrowitsch, »das kannst du dir ja denken, was dort geschah –«
»Nicht möglich«, erstaunte das Tomatengesicht – »und daran ist sie gestorben?«
»Sie war so zart wie eine Lymphe«, die Tränen perlten Jefim Alexandrowitsch aus den Wimpern –
»Wie eine Lymphe«, echote die Tomate. »Das habe ich auch noch nicht gehört. Und der feine Herr?« forschte sie wißbegierig.
»Er hat sich mit seinem Stockdegen stantepe erdolcht –«
»Stockdegen?«
»Ja: ein Spazierstock mit einem Degen drin.«
»Was es nicht alles gibt!«
»Das unglückliche Geschöpf!«
»Das arme Wurm!«
Sie begannen kameradschaftlich beide zu weinen, erhoben sich plötzlich und lagen sich in den Armen. Schmatzend küßten sie sich auf die Wangen und Mund.
»Gottes Segen über dir, Bruder!«
»Gottes Gnade, Brüderchen!«
Der Zug lief in Tjumeny qualmend ein.
Jefim Alexandrowitsch verabschiedete sich gerührt von dem Soldaten, dem er den Rest seiner Blutwurst aufdrang.
»Nimm, nimm, Brüderchen, bist ein braver, ordentlicher Mensch, mußt dich sattessen, bist ein Krieger, jaja, friß, friß, Brüderchen.« Und er stopfte ihm die Blutwurst zwischen die Zähne.
Dann plumpste er mit seinen kurzen dicken Beinen auf den Perron. Er hatte das Gefühl, daß er abgeholt würde – aber das war ein unsinniges, albernes Gefühl. Wer würde sich wohl bemühen, ihn, den Postknecht Jefim Alexandrowitsch, versetzt nach Pokrowskoje, abzuholen?
Vielleicht der Herr Gouverneur in eigener Person?
Oder hatte man ihm eine Kalesche entgegengeschickt ?
Er sah sich auf dem schmutzigen Bahnhofsplatz um. Es hatte geregnet. Eine alte, rumplige Mietkutsche stak seitwärts im Schlamm. Ein paar Kinder hatten eine Ratte aufgescheucht, die quiekend in den Bahnhofsabort lief.
»Wie weit der Weg nach Pokrowskoje?« schrie Jefim Alexandrowitsch zum Kutscher herüber.
Der Kutscher nahm eine Tonpfeife aus dem schiefen Mund: »Wollen Euer Hochwohlgeboren sich meines Gefährtes bedienen?«
Jefim Alexandrowitsch lachte.
»Haha, bin selbst ein Kutscher, bin der neue Postknecht von Pokrowskoje.«
Der Kutscher steckte enttäuscht die Pfeife wieder zwischen die Lippen.