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Die PROMET mit Peet Orell, Arn Borul, Vivien Raid und Jörn Callaghan befindet sich am Rand unseres Sonnensystems und macht dort eine unglaubliche Entdeckung. Eine fremde Raumstation gewaltigen Ausmaßes türmt sich vor ihnen auf.
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Seitenzahl: 158
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Oliver Müller
SPRUNG INS UNGEWISSE
In dieser Reihe bereits erschienen:
5001 Christian MontillonAufbruch
5002 Oliver MüllerSprung ins Ungewisse
5003 Vanessa BusseDunkle Energie
5004 Vanessa Busse
Oliver Müller
SPRUNG INS UNGEWISSE
Raumschiff Promet
Band 2
© 2014 by BLITZ-Verlag
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbildgestaltung: Mark Freier
Cover: Rudolf Sieber-Lonati
Satz: Winfried Brand
All rights reserved
www.BLITZ-Verlag.de
ISBN 978-3-95719-492-3
Poul Ederson saß wie zur Salzsäule erstarrt vor den Steuerkonsolen des kleinen Raumers der Space Police. Seine Hände ruhten auf den Oberschenkeln. Wenn er sie nicht abgelegt hätte, würden sie wahrscheinlich zittern. Es kostete ihn eine gewaltige Anstrengung, seine Beherrschung zu wahren. Um ihn herum war nichts als die endlose Weite des Weltalls. Noch nie war sie ihm so unendlich leer erschienen wie in diesen Augenblicken. Er fühlte sich einsam und von allen Menschen verlassen. Nicht einmal die Anwesenheit seines Assistenten Horwitz änderte etwas daran. Diesem ging es scheinbar nicht anders, denn auch er schwieg und starrte unbewegt vor sich hin. Einzig die Atemzüge der beiden Männer waren zu hören. Es war Horwitz, der das Schweigen brach.
„Chef?“ Seine Stimme vibrierte vor Anspannung.
Ederson antwortete nicht. Noch immer regte er sich nicht. Einzig sein linkes Augenlid zuckte leicht.
„Sie sind weg“, sagte Horwitz leise.
Er klang, als würde er selbst nicht glauben, was er sagte. Doch seine drei kurzen Worte entsprachen der Wahrheit. Auch wenn es nicht sein konnte. Fieberhaft suchte Ederson nach einer Erklärung für diesen Vorfall. Noch einmal ging er die ganze Geschichte, die immer seltsamer wurde, in seinem Kopf durch. Zumindest die wenigen Fakten, die ihnen bekannt waren. Vor einigen Wochen gab es einen unangemeldeten Flug, der vom Gelände der HTO-Corporation aus gestartet wurde. Ederson hatte daraufhin Harry T. Orell, den Besitzer der gigantischen Anlage, zur Rede stellen wollen. Doch dieser hatte sich nicht beeindrucken lassen und ihn und Horwitz sogar aus dem Büro geworfen. So etwas geschah ihnen selten. Kein normaler Mensch wagte es, sich so offen gegen die Space Police zu stellen. Allerdings war Harry T. Orell auch kein einfacher Mensch, der sich nicht zu wehren wusste.
Dazu hatten sie nicht viel in der Hand gehabt gegen ihn. Außer dass es Orells Sohn Peet gewesen war, der zur Feier seiner großen Lizenz seine neue Raumjacht testen wollte, hatten sie nichts herausgefunden. Zu der angemessenen Explosion, die kurz vor dem Start im All geschehen war, hatte sich der Finanzmagnat nicht geäußert. Ederson war sich sicher, dass der alte Fuchs mehr wusste, als er zugab. Warum sonst hätte Peet Orell seine Raumjacht genau in den Bereich des Unglücks steuern sollen? Da musste es einfach einen Zusammenhang geben. Verwertbare Trümmer hatten sie nicht gefunden und sie hatten nicht genug in der Hand, um Peet Orell verhaften zu lassen. Ein Umstand, der ihm sehr leidtat. Er konnte diesen Angeber, der wahrscheinlich von Beruf Sohn war, nicht leiden. Persönlich hatte er ihn nie kennengelernt. Das unangemeldete Fliegen von Raumschiffen reichte für ihn allerdings schon aus, um seine vorgefestigte Meinung zu bestätigen.
Horwitz’ Vorschlag, das Gelände der HTO-Corporation stärker zu überwachen, hatte sich ausgezahlt. Es war zu einem zweiten, nicht genehmigten Start gekommen und es war das gleiche Schiff – daher ging er davon aus, dass sich wieder Peet Orell an Bord befinden müsste. Auf ihre Anfrage hatte das Schiff nicht reagiert. Dann war es zu einer Situation gekommen, die Horwitz lapidar mit Sie sind weg beschrieben hatte. Und genau an diesem Punkt begann der Wahnsinn der ganzen Geschichte. Weg. Ein komplettes Raumschiff. Einfach verschwunden. Nicht explodiert. Weg. Nicht mehr zu sehen und nicht mehr anzumessen.
„Weg“, flüsterte er. Der Klang seiner eigenen Stimme erschien ihm fremd.
„Chef?“
Was wollte der Mann nur von ihm? Antworten? Sah er etwa so aus, als hätte er Antworten? Die Hände auf seinen Oberschenkeln ballten sich zu Fäusten.
„Was?“, zischte er.
„Wo sind sie hin?“
Er wollte tatsächlich Antworten. Er hatte keine. Er wusste ja nicht einmal, welche Fragen er stellen musste. Und an wen.
„Sie sind weg“, wiederholte sich sein Assistent.
Wie oft wollte er das jetzt noch sagen? Wut wallte in Ederson auf.
„Das sehe ich selbst!“
Sehen? Etwas, das nicht da ist? Fast hätte er über seinen eigenen Gedanken lachen müssen. Er konnte es sich gerade noch verkneifen.
Plötzlich erwachte Horwitz zu hektischer Betriebsamkeit.
„Ein Langwellenscan! Wir müssen sofort die Instrumente kalibrieren. Und Hilfe von der Mondstation anfordern. Ich werde …“
„Gar nichts werden Sie, Horwitz!“, wies Ederson den jüngeren Mann zurecht und wandte sich zu ihm um.
Der Blick des anderen zeigte Verständnislosigkeit.
„Aber …“
„Mann, hier ist ein komplettes Raumschiff verschwunden! Glauben Sie, ich will mich mit so einer Meldung lächerlich machen? Was denken Sie denn, was dann mit uns gemacht wird? Ein Gespräch beim Betriebspsychologen wird da noch das Harmloseste sein!“
Horwitz ließ die Hände sinken und starrte ihn an.
Ederson erkannte, dass in seinem Assistenten noch etwas von der ungestümen Energie der Jugend steckte, die er in den vielen Jahren der Dienstzeit nach und nach verloren und durch reifes Überlegen ersetzt hatte.
„Ich sage Ihnen, was wir machen. Wir fliegen jetzt einfach zurück, setzen uns in unser Büro und halten die Klappe über diesen Vorfall, kapiert?“
Er erntete ein zögerliches Nicken und gab sich damit zufrieden. Er wandte sich ab, atmete noch einmal tief durch und leitete dem Heimflug ein.
*
„… und daher ist es wichtig, gerade in diesen Zeiten weiter in dem Bereich der Mittelstreckenortung zu forschen und die Mittel dafür jährlich nominal um vier Prozent …“
Harry T. Orell wirkte unbeteiligt, als er dem Vortrag lauschte. Seine Augen waren nicht auf das Holo gerichtet, das über der Mitte der Tischplatte schwebte und dessen Daten gerade erläutert wurden. Dennoch hätte keiner der Anwesenden es gewagt, Harry T. Orell als teilnahmslos zu bezeichnen. Die sechs Männer und vier Frauen kannten ihn lange genug und gehörten nicht umsonst zu seinen engsten Mitarbeitern. Der Firmenmagnat bekam alles mit und filterte aus der Vielzahl an Informationen aus den unterschiedlichen Abteilungen seines Konzerns das heraus, was wirklich entscheidend war. Kaum jemand sonst hatte in der Wirtschaftswelt so einen Riecher wie er. Daran hatte auch sein Alter nichts geändert, im Gegenteil. Selbst mit über sechzig Jahren gehörte er noch lange nicht zum alten Eisen. Auch heute noch machte er den jungen Emporkömmlingen, die frisch von der Akademie kommend in einen Anzug gesteckt wurden, einiges vor. Als Bradley Cooper seinen Vortrag beendet hatte, nickte er ihm zu.
„Danke für Ihre Ausführungen, Mister Cooper. Ich werde Ihre Argumente berücksichtigen und Ihnen …“
Das Offnen der Tür zum Besprechungsraum unterbrach ihn. Sofort richtete er seine Aufmerksamkeit darauf. Niemand würde es wagen, ihn bei einer Unterredung mit seinen direkten Untergebenen zu stören, wenn es nicht wichtig wäre. Also ging er davon aus, dass es verdammt wichtig war. Der Gesichtsausdruck von Kelly, seiner langjährigen Sekretärin, unterstrich seine Annahme.
„Wir legen eine kurze Pause ein“, sagte er knapp und erhob sich, um Kelly entgegenzugehen. Was sie ihm mitteilen würde, war selbst in diesem illustren Kreis nicht für alle Ohren bestimmt. Er merkte, dass ihn alle mehr oder weniger heimlich ansahen. Niemand würde offene Neugier zeigen, dafür war man zu professionell. Aber wissen, was passiert war, wollte trotzdem jeder.
„Sir“, setzte Kelly an, als er sich neben sie stellte. Ihre Stimme zitterte.
„Was ist geschehen?“ Die Neugier hatte auch ihn im Griff. Er fasste Kelly an der Schulter und drehte sie leicht zur Seite. Gemeinsam mit ihr entfernte er sich ein paar Schritte vom Konferenztisch, sodass niemand hören konnte, was sie ihm mitzuteilen hatte.
„Also, Kelly, was ist passiert?“
Seine Sekretärin atmete tief durch und fasste sich ein Herz.
„Die Promet, Sir. Wir haben keinen Kontakt mehr zu ihr.“
*
Selbst der abgebrühte Harry T. Orell brauchte einen Moment, um diesen Satz zu verdauen. Die Promet, verschollen im Weltall. An Bord sein einziger Sohn. Peet. Dazu dessen Freunde Jörn Callaghan und Vivien Raid, der Moraner Arn Borul sowie der für die Kommunikation zuständige Gus Yonker, Pino Takkalainen und der Astronavigator Szer Ekka.
Sieben Menschen – er zögerte nicht, diesen Begriff auch auf Arn Borul anzuwenden – die vielleicht ihr Leben verloren hatten. Ohne einen Grund zu nennen, unterbrach er die Sitzung und verließ auf schnellstem Wege den Sitzungstrakt. Sein Weg führte ihn in sein Privatbüro. Kelly hatte sich bereits wieder im Vorzimmer eingefunden. Von ihr ließ er sich alle Daten, die aufgezeichnet worden waren, auf sein privates Tablet übertragen. Er überflog sie, doch sie verschwammen vor seinen Augen. Das Holo flackerte und er schaltete es ab. Dabei war es sein Blick, der unstet geworden war. Für einen Moment schloss er die Augen und atmete tief durch. Er musste sich beruhigen. Wenn er unvorbereitet handelte, konnte das nur zu noch schlimmeren Problemen führen. Warum ging er eigentlich schon von Problemen aus? Dafür, dass sich die Promet nicht meldete, konnte es schließlich dutzende harmlose Gründe geben. Seine eigenen Beruhigungsversuche scheiterten. Erst, als er sich aus der Minibar einen Drink geholt und den ersten Schluck eines teuren Cognacs genommen hatte, legte sich seine Anspannung ein wenig. Erneut öffnete er die Holodatei und las sich in die Fakten ein. Die Promet war planmäßig gestartet und mit dem Normalantrieb in Richtung Luna III unterwegs. Noch bevor der Erdtrabant passiert worden war, verschwand das Raumschiff von allen Ortungsschirmen. Es war, als hätte es die Promet nie gegeben. Natürlich war ihm klar, was das bedeutete. Sie hatten die Transition ausgelöst! Aber warum? Peet hatte ihm sein Wort gegeben, es nicht zu tun. Sein Junge mochte manchmal ein Heißsporn sein und ihm fehlte hin und wieder noch die Weitsichtigkeit, die man eben erst im Alter entwickelte, doch auf sein Wort hatte er sich stets verlassen können. Es musste einen guten Grund dafür geben, warum er sich für diesen Schritt entschieden hatte. Harry konnte sich einige vorstellen, doch er wollte nicht herumrätseln. Jetzt galt es, Wichtigeres zu regeln.
Über den internen Kanal kontaktierte er Kelly.
„Stellen Sie mir eine Verbindung zu HTO-234 her“, sagte er ohne Umschweife. Kelly wusste, um was es ging. Von seinem Schreibtisch aus war es ihm nicht möglich, die Besatzungen der Raumschiffe, die für die HTO tätig waren, direkt zu kontaktieren. Dies hatte den Hintergrund, dass er nicht von allen Angestellten, die glaubten, eine wichtige Nachricht zu haben, belästigt werden wollte. Jeder ein- und ausgehende Kontakt lief daher über Kelly, die gute Seele seiner Corporation.
„Ja, Sir.“
„Direkt zu Worner“, präzisierte er.
„Verstanden.“
Eric Worner war der Raumkapitän des größten Raumschiffs der HTO-Corporation. Die HTO-234 verfügte über insgesamt 52-Mann-Besatzung und war dazu das schnellste Schiff seiner Firma. Nach der Promet selbstverständlich. Worner war 33 Jahre alt und hatte schon fast sein halbes Leben in Diensten der HTO gestanden. Das und seine absolute Loyalität qualifizierten ihn für diesen Auftrag.
„Sir? Die Verbindung steht.“
„Danke, Kelly.“
Harry T. Orell räusperte sich. „Captain Worner, hören Sie mich?“
„Klar und deutlich, Sir.“ Die Stimme des Mannes war einwandfrei zu verstehen. Nichts wies daraufhin, dass er sich gerade im Weltall befand.
„Wie ist Ihre derzeitige Position?“
„Wir sind auf etwa halber Strecke zwischen Luna I und Luna II. Sir, bevor Sie weiterreden, wir haben vor Kurzem eine seltsame Energie angemessen, die allerdings nur zu einem fast unmessbaren Ausschlag auf den Anzeigen führte und sofort danach nicht mehr nachweisbar war, obwohl die Energiewerte gigantisch waren. Möglicherweise war es auch ein Fehler in unserem Bordsystem, wir prüfen dies zurzeit nach. Ich wollte Sie nur darüber in Kenntnis setzen.“
Das muss die Transition gewesen sein, schoss es dem grauhaarigen Mann durch den Kopf. „Vermutlich war es kein Fehler Ihrer Systeme, Captain Worner. Im Gegenteil, dieses … Vorkommnis ist der Grund, warum ich Sie kontaktiere. Mein Sohn ist zu einem Forschungsflug aufgebrochen. Es ging um den Test einer verbesserten Version des deGorm-Antriebs. In einem Langstreckenflug sollten Messwerte gesammelt werden. Jetzt haben wir den Kontakt zur Promet verloren.“
„Verstehe, Sir.“ Die Stimme des Raumkapitäns klang verständnisvoll. Worner kannte Peet recht gut.
„Unterbrechen Sie Ihren derzeitigen Flug und machen Sie sich auf die Suche nach der Promet.“
„Verstanden. Übermitteln Sie mir die geplante Flugroute?“
„Selbstverständlich.“ Mit wenigen Fingerbewegungen übersandte Orell die Daten an die HTO-234. Jetzt, da die Verbindung hergestellt war, war das Senden und Empfangen von Daten kein Problem.
„Bestätige den Eingang der Koordinaten, Sir.“
„Dann machen Sie sich an die Arbeit.“
„Sir?“
„Ja?“
„Wir werden Ihren Sohn finden, das verspreche ich Ihnen.“
Harry T. Orell seufzte auf. „Versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können, Worner“, sagte er und unterbrach die Verbindung. Der erste von zwei Anrufen war erledigt. Der zweite würde ihm deutlich schwerer fallen.
*
Bevor er diesen Anruf tätigen wollte, goss sich Orell einen weiteren Cognac ein. Der Alkohol brannte in seiner Kehle, aber in seinem Magen breitete er Wärme aus. Halb geleert stellte er das Glas auf seinem Schreibtisch ab. Schwer ließ er sich in seinen Ledersessel fallen. Wenn es um Geschäfte ging, konnte er knallhart sein. Doch in diesem Moment fühlte er sich hilflos wie ein Lehrjunge. Am liebsten hätte er die kommende Aufgabe Kelly überlassen, aber er wusste, dass er sie selbst erfüllen musste. Anderenfalls hätte er morgen beim Rasieren nicht mehr in den Spiegel sehen können. Zum zweiten Mal in kürzester Zeit bat er seine Sekretärin, eine Verbindung für ihn herzustellen. Ein Signalton meldete ihm, dass die Kontaktaufnahme gelungen war.
„Mister Orell? Hier spricht Clark Raid.“
In Gedanken sah er Vivien Raids Vater vor sich.
„Guten Abend, Mister Raid. Gut, dass ich Sie erreiche.“
„Ich befürchte, dass nichts Gutes dahintersteckt, wenn Sie sich direkt bei mir melden. Ansonsten hören wir doch eher selten voneinander.“
Harry T. Orell spürte die Anspannung in Clark Raids Stimme.
„Leider muss ich Ihnen recht geben.“
Pfeifend holte Raid Luft.
„Ist … ist … Vivien … ist sie …“
„Sie ist nicht tot, wenn Sie das fragen wollen.“
Er hörte den Mann aufatmen.
„Dennoch muss etwas geschehen sein“, hakte sein Gesprächspartner nach.
„Das stimmt. Ihre Tochter ist zusammen mit meinem Sohn und Jörn Callaghan sowie weiteren Besatzungsmitgliedern zu einem Testflug aufgebrochen. Vor etwa einer Stunde haben wir den Kontakt zur Promet verloren.“
„Den Kontakt verloren?“
„Ja.“
„Was soll das heißen?“
„Genau das, was ich Ihnen gesagt habe. Wir können zurzeit keine Verbindung zur Raumjacht meines Sohnes herstellen.“
„Gab es ein Unglück? Ist das Raumschiff zerstört worden? Oder …“
Er unterbrach Raid nicht gerne, aber es musste sein. „Das ist alles nur Spekulation. Natürlich habe ich bereits eine Suchexpedition ausgesandt, allerdings wird es eine Weile dauern, bis wir von ihr eine Antwort erwarten können. Dennoch …“
Dieses Mal war es Raid, der ihn unterbrach. „Moment! Wann, sagten Sie, ist der Kontakt abgebrochen?“
Er wiederholte den bereits genannten Zeitpunkt.
„Zu genau diesem Moment wurden seltsame Energieabstrahlungen gemessen. Diese Meldung wurde über die Newsletter verbreitet. Oh Gott, Mister Orell, was hat das zu bedeuten?“
Der Finanzmagnat antwortete nicht. Die Aussage von Viviens Vater hatte ihn alarmiert. Die Mehrheit der Menschen würde dieser Meldung höchstwahrscheinlich keine Aufmerksamkeit schenken. An manchen gewissen Stellen und Institutionen allerdings würde man sie ganz genau registrieren. Und dort würde man zwei und zwei zusammenzählen können. Wenn man dann noch die HTO-234 im entsprechenden Sektor antreffen würde, wäre das Ergebnis selbst für den begriffsstutzigsten Deppen offensichtlich. Er musste Worner gleich einen Ausweichkurs mitteilen und hoffen, dass man den ganzen Vorfall geheim halten konnte. Leider würde das zu einer Verzögerung der Suche führen. „Hören Sie, Mister Raid, ich kann Ihnen nicht sagen, was das zu bedeuten hat, weil ich es nicht weiß.“
Schließlich war es im Moment nur eine Theorie, dass die Messwerte etwas mit der Transition zu tun hatten. Auch, dass Peet und Arn sie ausgelöst hatten.
„Wir müssen einfach darauf vertrauen, dass unsere Kinder wohlbehalten zurückkehren.“
„Meine einzige Tochter und Ihr einziger Sohn, Mister Orell.“ Raids Stimme klang, als wären die beiden bereits tot.
„Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann. Sobald sich etwas ergibt, melde ich mich bei Ihnen.“
Nach einer kurzen Verabschiedung beendete Orell das Gespräch und ließ sich sofort wieder mit Captain Worner verbinden. Er bat ihn, das Gebiet so weit zu umfliegen, dass er zwar nach der Promet suchen, sein Aufenthalt dort aber keine Aufmerksamkeit erregen würde. Danach bat er Kelly, alle weiteren Termine für heute abzusagen und ihn bei eingehenden Meldungen von der HTO-234 sofort zu informieren, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit sie eingingen. Er verließ das Büro und flog zu seiner Privatvilla auf dem Firmengelände und versuchte, sich schlafen zu legen. Doch die Sorge um Peet und die anderen ließ ihn kein Auge zumachen.
*
Schmerzen. Ungeahnte Schmerzen riesigen Ausmaßes. Schmerzen, die sich so seltsam anfühlten, dass er sie mit nichts, was er in seinem bisherigen Leben gespürt hatte, vergleichen konnte. Es war, als würde er in seine Einzelteile zerlegt und danach wieder falsch zusammengesetzt werden. Die Moleküle seines Körpers schienen sich gegeneinander zu verschieben, um wieder an ihre gewohnte Stelle zu gelangen. Er hörte ein Stöhnen. Wer stöhnte da so mitleiderregend? War er es am Ende gar selbst? Bleierne Schwere lastete auf seinen Augen, als er sie öffnen wollte. Es gelang ihm nicht. Seine Hände schabten über den Boden. Er hörte das Geräusch überdeutlich. Laut wie eine startende Mondrakete des 20. Jahrhunderts. Tief sog er den Atem ein, seine Lungen stachen. Dann wieder dieses Stöhnen. Das war doch nicht seine Stimme.
Bin ich nicht allein? Wo bin ich überhaupt?
Es gelang ihm nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Mit einem Kopfschütteln wollte er das Durcheinander in seinem Kopf ordnen. Die einzige Reaktion seines Körpers darauf waren neue Schmerzen. Eine Sonne schien unter seiner Schädeldecke zu explodieren. Das nächste Stöhnen kam eindeutig wieder von ihm. Der folgende Schrei allerdings nicht. Er klang so grausam, dass er die Augen aufriss. Im ersten Moment sah er nichts. Zuerst war alles blendend hell, dann dunkelte sein Blickfeld ein und es blieb nur ein graues, verschwommenes Nichts vor ihm. War er blind? Verdammt, das war der Boden! Er lag direkt darauf. Mit unglaublicher Mühe gelang es Peet, die Arme unter seinen Körper zu ziehen. Als er sich aufstützen wollte, erwischte ihn ein Tritt an der Schulter. Sofort waren die Schmerzen wieder da. Der Treffer warf ihn zur Seite und auf den Rücken. Zumindest konnte er mehr sehen, wenn auch immer noch verschwommen. Ein Körper ragte etwa zwei Meter neben ihm auf. Er konnte nicht erkennen, wer es war. Nur, dass es ein Mann sein musste. Und der stürmte jetzt auf ihn zu.