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Die Promet bricht zu einem Testflug in die Weiten des Alls auf. Der Borul-Antrieb muss auf seine Leistungsfähigkeit getestet werden. Doch es kommt zu einem unvorhergesehenen Zwischenfall. Die Mannschaft der Promet trifft auf Zegastos Kinder.Die Printausgabe umfasst 160 Buchseiten.
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Seitenzahl: 160
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Ben B. Black
ZEGASTOS KINDER
In dieser Reihe bisher erschienen:
5001 Christian Montillon Aufbruch
5002 Oliver Müller Sprung ins Ungewisse
5003 Vanessa Busse Dunkle Energie
5004 Vanessa Busse Angriff aus dem Nichts
5005 Oliver Müller Gefangene der Doppelsonne
5006 Achim Mehnert Das Vermächtnis der Moraner
5007 Rainer Schorm Jedermanns Feind
5008 H. W. Stein & Oliver Müller Die Sklavenwelt
5009 Achim Mehnert Todesdrohung Schwarzer Raumer
5010 Vanessa Busse Entscheidung: Risiko
5011 Ben B. Black Zegastos Kinder
5012 Michael Edelbrock Fremde Seelen
5013 Achim Mehnert
Ben B. Black
Zegastos Kinder
© 2016 BLITZ-Verlag
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Exposé: Oliver Müller und Michael Edelbrock
Zeittafel: Ralf Locke
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mark Freier
Satz: Winfried Brand
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-571-5
Das Triebwerk des Gleiters surrte leise, als das Fahrzeug vollends zum Stehen kam, gleich darauf erstarb es ganz. Durch die abgedunkelten Scheiben zeichneten sich vage die Konturen einer einzelnen Person am Steuer ab. Es war früher Vormittag, und obwohl in den Geschäftsvierteln bereits reges Treiben herrschte, lag über diesem Teil der Stadt immer noch eine beinahe gespenstisch wirkende Ruhe, die den noch jungen Tag fast unberührt erscheinen ließ. Der sich nur langsam verflüchtigende Nebel, der den Umrissen der nahen Bäume etwas Geisterhaftes verlieh, verstärkte diesen Eindruck zusätzlich.
Der Fahrer des Gleiters saß eine Zeit lang einfach nur da, so als handele es sich bei ihm gar nicht um ein lebendes Wesen. Schließlich begann er, sich doch zu bewegen. Seine Hand fuhr ein paar Mal übers Gesicht, dann betätigte er mit einer entschlossen wirkenden Geste den Kontakt, der den Einstieg des Fahrzeugs auffahren ließ, und kletterte heraus.
Während sich die Gleitertür mit einem leisen Zischen wieder schloss, sah sich Harry T. Orell suchend um. Wie es schien, war er der Erste, doch er würde sicherlich nicht der Letzte sein. Rasch blickte er auf seine Uhr, dann rieb er sich fröstelnd mit den Händen über die Oberarme. Dieser Tag im Juli des Jahres 2090 war verhältnismäßig kalt für die Jahreszeit, sodass er heute einen langen Mantel trug, um sich zu wärmen.
Mit langsamen Schritten ging Harry T. Orell auf den Eingang des vor ihm liegenden Geländes zu. Seine Körperhaltung ließ im Moment all das vermissen, was ihn in den vergangenen Jahren zum erfolgreichen Inhaber der HTO-Corporation gemacht hatte. Nichts verriet die Entschlossenheit, mit der er üblicherweise agierte, stattdessen wirkte er beinahe wie ein gebrochener Mann, dem die Bürde der Jahre schwer auf den Schultern lastete. Körpersprache und Gang verrieten deutlich, dass vor ihm etwas lag, von dem er gehofft hatte, dass es niemals eintreten würde: Er war im Begriff, der Beerdigung seines besten Freundes beiwohnen zu müssen.
Seufzend beschleunigte Orell seinen Schritt ein wenig und passierte das Haupttor des Zentralfriedhofs. Auch im Leben eines Firmenmagnaten gab es äußerst unangenehme Pflichten, die er weder vermeiden noch aufschieben konnte. Der Tod machte alle Menschen gleich, ob es ihnen nun gefiel oder nicht.
*
Zum wiederholten Male blickte Harry T. Orell auf seine Uhr. Er stand inzwischen fast eine Viertelstunde in der Nähe der Stelle, die Norman Gants letzte Ruhestätte sein würde. Viel zu früh war Orell hier erschienen. Wie er sich selbst eingestehen musste, lag das bloß zum Teil daran, dass er vergangene Nacht nur wenig Schlaf gefunden hatte. Zu viel war die letzten Tage und Wochen geschehen, und einiges davon hatte sich sogar als äußerst bedrohlich entpuppt. Die Umstände, die zum Tod Norman Gants geführt hatten, lagen weit abseits dessen, was zu den üblichen Reibereien gehörte, die zwischen konkurrierenden Unternehmen immer wieder einmal vorkamen. Freilich, diesmal gingen die Probleme keineswegs von der Space Rocket Company, dem härtesten Mitbewerber der HTO, aus, sondern kamen aus einer völlig anderen – vor allem unerwarteten – Richtung. Mit der Terra States, einer Organisation, die meist nur kurz TST genannt wurde und von deren Existenz Harry T. Orell erst vor Kurzem überhaupt erfahren hatte, war eine Macht aus dem Schatten getreten, deren Ziele sich nur schwer erkennen ließen und die es ungeachtet dessen nicht zu unterschätzen galt.
Das Geräusch von Schritten ließ Orell den Kopf drehen. Vom Ende des Weges her näherten sich ihm zwei Männer. Der eine war sein Sohn Peet, der sich in Begleitung eines Fremden befand. Orell stutzte, denn die Art, wie sich der Unbekannte bewegte, kam ihm merkwürdig vertraut vor. Dann begriff er und schüttelte einen Augenblick über sich selbst den Kopf, wobei auf seinem Gesicht ein Lächeln entstand, welches jedoch sofort wieder einer ernsten Miene wich. Bei Peets Begleiter handelte es sich um niemand anderen als den Moraner Arn Borul, der seine silbernen Haare unter einer gut sitzenden Perücke und die schockgrünen, ungewöhnlich schräg stehenden Augen hinter einer getönten Brille verbarg. Selbst die Kleidung des Außerirdischen war so gewählt, dass sie seiner durchaus sportlichen Figur etwas Pummeliges verlieh.
Die Begrüßung zwischen Vater und Sohn fiel kurz, aber herzlich aus. Zumindest im Moment war nichts davon zu spüren, dass sich Peet erst tags zuvor brüsk abgewandt und den Raum verlassen hatte, nachdem Doktor Hellbrook ihm eine unglaubliche Eröffnung bezüglich seiner Geburt gemacht hatte. Seither herrschte Funkstille zwischen dem jungen Mann und seinem Vater.
Es ist wohl ein Treppenwitz des Lebens, dass es oft gerade die tragischen Ereignisse sind, die dabei helfen, die eine oder andere Kluft zu überbrücken, ging es Orell unwillkürlich durch den Kopf. Doch der Gedanke hielt sich nicht lange, denn Orell kannte seinen Sohn gut genug, um zu wissen, dass dieses Thema beileibe noch nicht vom Tisch war.
Arn Borul gab dem HTO-Chef zur Begrüßung nach Art der Menschen die Hand und nickte ihm dabei kurz zu. Dann standen die drei einfach nur schweigend da. Orell war das im Moment recht, denn er hätte ohnehin nicht gewusst, über was er sich mit den beiden unterhalten sollte, ohne dabei zwangsweise auf das eine oder andere Thema zu kommen, das hier und jetzt nichts zu suchen hatte.
Als das Schweigen fast schon begann, peinlich zu werden, näherte sich eine weitere Gruppe der Grabstelle. Orell erkannte Peets ältesten und besten Freund Jörn Callaghan, der sich in Begleitung von Vivien Raid befand. Direkt hinter den beiden gingen Gus Yonker, Szer Ekka sowie Pino Takkalainen. Damit war die Mannschaft der Promet beinahe komplett, nur der Bordarzt Benjamin Ridgers fehlte noch, würde jedoch vermutlich ebenfalls nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Nach und nach trafen weitere Trauergäste ein. Es waren überwiegend Mitarbeiter der HTO sowie einige Männer und Frauen, die Harry T. Orell noch nie zuvor gesehen hatte. Zumindest konnte er sich an deren Gesichter nicht mehr erinnern, was eigentlich nur äußerst selten vorkam. Vielleicht handelte es sich dabei um entfernte Angehörige von Norman Gant, von denen dieser jedoch zu Lebzeiten nie gesprochen hatte. Generell war es Orells engstem Freund und Vertrauten nicht vergönnt gewesen, eine eigene Familie zu gründen. Natürlich hatte es die eine oder andere Frau in Normans Leben gegeben, allerdings war nie etwas Dauerhaftes daraus geworden.
Für einen Augenblick flackerte Misstrauen in Orell auf. Was, wenn sich Leute der TST unter den Anwesenden befanden? Nach dem, wie diese Organisation ihm und den Seinen in den zurückliegenden Tagen auf die Pelle gerückt war, wäre es geradezu unlogisch, dass sie ihn auf einmal aus den Augen ließ. Orell spürte, wie sich sein Puls unwillkürlich beschleunigte. Der Blick seiner Augen glitt hektisch über die unbekannten Gesichter, doch er zwang sich zur Ruhe. Eine mächtige Organisation wie die Terra States verfügte über Mittel und Wege, eine Beerdigung zu observieren, ohne dass einer ihrer Leute dabei in Erscheinung treten musste. Der einzige Grund für das Auftauchen eines ihrer Agenten läge also darin, Präsenz zu zeigen, doch seit Orells Gespräch mit diesem Mister Kronjevc, bei dem es sich nach eigenem Bekunden um einen Agenten der TST handelte, herrschte an dieser Stelle Ruhe, auch wenn der HTO-Chef dem plötzlichen Frieden immer noch nicht traute.
Das Eintreffen des Geistlichen verscheuchte diese Gedanken fürs Erste. Dem Mann in dem schwarzen Gewand folgten zwei Bedienstete des Friedhofs, die zwischen sich eine Antigrav-Plattform führten, auf der sich ein Sarg aus hellem Holz und mit silbernen Beschlägen befand.
Orell spürte, wie sich ein Kloß in seinem Hals breitmachte, und er schluckte mehrfach, um ihn wieder zu vertreiben, allerdings ohne Erfolg. Dann begann der Geistliche zu sprechen, und Orell zwang sich mit Gewalt, sich auf dessen Worte zu konzentrieren, um das Gefühlschaos, das mit einem Mal in ihm tobte, halbwegs im Zaum halten zu können.
*
Nach dem Ende der Beisetzung zerstreuten sich die Trauergäste relativ rasch. Es versetzte Harry T. Orell einen Stich, dass die Crew der Promet es ebenfalls vorzog, den Friedhof schnell wieder zu verlassen. Er konnte es seinem Sohn nicht verübeln, und die anderen folgten ihm mehr oder weniger automatisch. Orell wollte gerade ebenfalls zu seinem Gleiter zurückzukehren, als ein Mann in sein Blickfeld trat, den er nicht erwartet hatte.
Kronjevc, verdammt! Was will der denn hier?
Kurz überlegte Orell, ob er gehen sollte, dann beschloss er abzuwarten, was der Chef der TST tun würde. Welchen Grund mochte er haben, Norman Gant die letzte Ehre zu erweisen? Oder war Kronjevc nur gekommen, um Orell schmerzhaft an die Existenz der Terra States zu erinnern? Warum schickte er dann nicht einfach einen seiner Männer? Wollte er sich womöglich über ihn lustig machen?
Orell spürte, dass er innerlich aufgewühlt war, was es seinen Gedanken an der sonst üblichen Klarheit mangeln ließ. Ein Mann wie Kronjevc erledigte die Drecksarbeit nicht persönlich, außerdem widersprach das dem Stil, den der TST-Chef bislang an den Tag gelegt hatte. Was also hatte das hier zu bedeuten?
Langsam kam Kronjevc näher, hielt dabei unverkennbar auf Orell zu. Schließlich blieb er einen guten Meter entfernt von ihm stehen. »Mein Beileid, Mister Orell. Der Tod Ihres Freundes muss für Sie ein großer Verlust gewesen sein.«
»Sparen Sie sich diese Plattheiten, Kronjevc!«, zischte Orell. »Sind Sie gekommen, um mich zu verhöhnen? Sie wissen doch ganz genau, wer Norman auf dem Gewissen hat.«
»Sie erkennen mich also, dann hat Mr. Crook doch ein Bild von mir gefunden. Eigentlich hatte ich ja alles beseitigt, was auf meine Existenz hindeutet. Aber ich wusste ja, dass sie fähige Mitarbeiter haben. In der Tat wollte ich mit Ihnen darüber reden. Und seien Sie versichert, dass mir nichts ferner liegt, als Sie zu verhöhnen oder auch nur zu provozieren. Mister Orell, uns verbindet mehr, als Sie sich vermutlich vorstellen können, und ich empfinde Mister Gants Tod ebenfalls als äußerst tragisch, auch wenn ich nie die Freude hatte, ihn persönlich kennenlernen zu dürfen.«
»Sie reden um den heißen Brei herum!« Orell spürte, wie sich der Ärger in ihm weiter verstärkte. Was wollte der Kerl von ihm? »Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann heraus damit! Ich halte die direkte Nachbarschaft zum noch frischen Grab eines geschätzten Menschen nicht gerade für einen guten Ort, um ein wenig zu plauschen.«
»Sie haben recht. Bitte verzeihen Sie mir meine Taktlosigkeit. Aber ich muss einfach mit Ihnen sprechen, und wer weiß, wann mich Ihre Vorzimmerdame das nächste Mal zu Ihnen durchstellt.« Über Kronjevcs Züge huschte ein kurzes Lächeln, das zu Orells Überraschung offen und keinesfalls hinterhältig wirkte. »Was halten Sie davon, wenn wir ein paar Schritte gehen?«
Kurz rang Orell mit sich, dann nickte er. »Einverstanden.«
Gemächlich setzten sich die beiden Männer in Bewegung. Dabei folgten Sie dem breiten Hauptweg, der zum Zentrum des Friedhofs führte. Die ersten Meter legten sie schweigend zurück, bevor Kronjevc das Gespräch wieder aufnahm. »Ich kann nachvollziehen, dass Sie die TST in dieser Angelegenheit für schuldig halten, auch wenn ich Ihnen versichere, mit den Übergriffen auf Sie, Mister Gant oder Ihren Sohn nicht das Geringste zu tun zu haben.«
»Das soll ich Ihnen einfach so glauben, Kronjevc?«
»Ich kann Ihre Zweifel verstehen, aber ich habe es sogar ernsthaft in Betracht gezogen, dass es innerhalb der TST Kräfte geben könnte, die zu solchen Handlungen willens und fähig sind, und entsprechende Nachforschungen angestellt.«
Orell wurde hellhörig. »Mit welchem Ergebnis?«
»Noch mit keinem konkreten, leider.« Kronjevc seufzte. »Wer auch immer dafür verantwortlich ist, versteht sein Handwerk.«
»Also kommt so gut wie jeder Ihrer Leute infrage«, stellte Orell mit sarkastischem Unterton fest. »So wie ich Ihren Laden einschätze, beschäftigen Sie keine Nieten.«
»Das sehen Sie richtig. Wir halten es damit also genau so wie die HTO.« Wieder huschte ein Lächeln über Kronjevcs Gesicht, und wieder konnte Orell keine Falschheit darin erkennen. »Was ich damit sagen wollte, ist jedoch etwas anderes. Der oder die Täter sind selbst für die Verhältnisse der TST überdurchschnittlich gut, was den Kreis der Verdächtigen zwar einerseits einschränkt, die Verfolgung des Ganzen andererseits aber auch erheblich erschwert.«
»Klingt, als seien Sie nicht weiter als zu Beginn Ihrer Nachforschungen.« Harry T. Orell konnte sich diese Spitze nicht verkneifen. »Und um mir das zu erzählen, haben Sie den Weg hierher auf sich genommen?«
»Mister Orell, ich verstehe, dass Sie im Moment nicht gut auf mich und meine Organisation zu sprechen sind. Das wäre ich an Ihrer Stelle ebenfalls nicht. Ich verspreche Ihnen jedoch, dass ich nicht eher ruhen werde, bis die Verantwortlichen ausfindig gemacht und zur Rechenschaft gezogen worden sind.«
Abrupt blieb Orell stehen, und der Agent der TST tat es ihm gleich. Für ein paar Sekunden sahen sich die Männer an, bevor Orell das Wort ergriff. »Sehen Sie mir in die Augen und wiederholen Sie, was Sie zuletzt gesagt haben.«
»Ich verspreche Ihnen, dass ich nicht eher ruhen werde, bis die Verantwortlichen ausfindig gemacht und zur Rechenschaft gezogen worden sind«, antwortete Kronjevc ohne zu zögern, während er den Blick des Firmenmagnaten offen erwiderte. »Die TST ist keine Unrechtsorganisation, auch wenn Ihnen das im Moment so erscheinen mag. Es liegt also auch in meinem Interesse, für rückhaltlose Aufklärung in dieser Angelegenheit zu sorgen.«
Orell nickte bedächtig. »Ich bin geneigt, Ihnen zu glauben, allerdings nur unter einer Bedingung. Ich will, dass Sie mir die wahren Schuldigen liefern!«
»Ich werde tun, was in meiner Macht steht. Vielen Dank, Mister Orell, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.« Kronjevc nickte seinem Gegenüber noch einmal zu, dann wandte er sich um und ging gemessenen Schritts davon.
Orell sah dem Mann noch eine ganze Weile nach, bevor er sich ebenfalls in Bewegung setzte und dabei auf die Stelle zuhielt, wo sein Gleiter stand. Kronjevcs Auftritt beschäftigte ihn dabei mehr, als er sich eingestehen wollte. Der Mann wirkte so verdammt ehrlich – oder er war einfach nur ein äußerst guter Schauspieler, vielleicht sogar eine Art Psychopath, der mit den Gefühlen und Gedanken seiner Mitmenschen nach Belieben spielte? Orell vermochte es nicht zu sagen, auch wenn er zugeben musste, dass er wirklich geneigt war, dem anderen Glauben zu schenken. Falls es tatsächlich zutraf, dass Kronjevc nichts von all dem wusste, dann dürfte der auch ein ureigenes Interesse daran haben, der Sache nachzugehen, um seine eigene Machtbasis innerhalb der TST wieder herzustellen.
Mit solchen und ähnlichen Gedanken im Kopf erreichte Orell schließlich sein Fahrzeug und ließ dessen Tür aufschwingen. Er nahm hinter dem Steuer Platz und verscheuchte diese Überlegungen fürs Erste. Kronjevc sollte die Chance erhalten, seine Unschuld zu beweisen. Und bis dahin würde Orell weiter auf der Hut sein – was blieb ihm auch groß anderes übrig?
*
Einige Wochen zuvor
Er spürte, wie sich ein langsam bohrender Schmerz in seinen Verstand grub und diesen nach und nach in den Zustand des Wachseins überführte. Das Ziehen hinter seinen Schläfen schien dabei unerträglich zu sein, und als sei das nicht genug, fror er erbärmlich. Ein Kribbeln von solcher Intensität, dass eine Zeit lang kein geordneter Gedanke mehr möglich schien, setzte in seinen Gliedmaßen ein, drohte ihm das Bisschen seines Gehirns, das der bohrende Schmerz übrig gelassen hatte, vollends in den Wahnsinn zu treiben.
Endlich, nach schier endlos scheinender Dauer, zeigten seine Peiniger ein Einsehen und zogen sich langsam aus seinem Körper zurück. Das Denken wurde wieder möglich, auch wenn es sich im Moment noch chaotisch und ein gutes Stück weit schemenhaft gestaltete.
Lorn Jaci ...
Die Worte wehten durch seinen Verstand, schienen von der Innenseite seines Schädels zurückgeworfen zu werden und bildeten ein verzerrtes Echo.
Lorn Jaci ... Lorn Jaci ... Lorn Jaci ...
Mit einem Mal wurde ihm klar, dass das sein Name sein musste. Natürlich, er war Lorn Jaci! Doch warum fiel es ihm so schwer, sich zu erinnern? Es musste etwas Unvorhergesehenes passiert sein, auch wenn er noch nicht darauf kam, um was es sich dabei handeln könnte, selbst wenn er noch so angestrengt darüber nachdachte.
Lorn atmete tief ein und wieder aus, versuchte dabei, seine rasenden Gedanken zu beruhigen, Ordnung in das Chaos seines Kopfes zu bringen. Er konzentrierte sich auf die einfachste geometrische Form, die das Universum kannte: eine Kugel.
Langsam zeigten Lorns Bemühungen erste Erfolge. Weitere Worte tauchten in seinem Geist auf: Sternenreise, Raumschiff, Cryostase.
Natürlich, das war es! Lorn erwachte in einer Cryo-Kammer. Das erklärte auch das merkwürdige Kribbeln sowie den stechenden Schmerz, die er vorhin wahrgenommen hatte. Aber sollte sein Kopf nicht besser funktionieren? Es kam ihm eigenartig vor, dass er sich so schwer damit tat, einen klaren Gedanken zu fassen. Wie lange lag er denn schon hier?
Lorn versuchte, seine Glieder zu bewegen. In den Muskeln spürte er ein leichtes Ziehen, er schien jedoch unverletzt zu sein, auch wenn seine Gelenke sich den Bewegungen widersetzten.
Irgendetwas – oder jemand? – schien auf Lorns Anstrengungen zu reagieren, denn plötzlich entstand ein leises Zischen, und das Etwas, das bis eben seine Sicht behindert hatte, fuhr langsam nach oben. Nahezu gleichzeitig tauchte in seinem Kopf die Erkenntnis auf, dass es sich dabei um den Deckel der Cryo-Kammer handeln musste.
Blinzelnd versuchte er, die Umgebung außerhalb der Kammer genauer zu erfassen. In seinen Gedanken blitzten immer wieder Bilder auf, die er nicht zuzuordnen vermochte und die ihn mehr verwirrten, als dass sie ihm halfen, sich zu erinnern. Seine gereizten Augen füllten sich mit Tränenflüssigkeit, die Lorns Blick zusätzlich verschleierte. Instinktiv wischte er sich durchs Auge, bereute die schnelle Bewegung jedoch sofort, als ein stechender Schmerz seine Schulter heimsuchte.
Aufseufzend ergab sich Lorn Jaci für mehrere Minuten in sein Schicksal, saß mit geschlossenen Augen einfach nur da, versuchte dabei, tief und gleichmäßig zu atmen, um seinem Körper die Möglichkeit zu geben, sich von den Nachwirkungen der Stase zu erholen.
Schließlich entschied er, dass es nun genug damit sei, und stemmte sich ächzend hoch. Mit wackeligen Beinen stand er neben der Cryo-Kammer und stützte sich mit einer Hand an deren Deckel ab. Er spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann, das Blut durch seinen Körper pumpte und damit auch die Lebensgeister vollends zu ihm zurückbrachte.
Zusammen mit den Vitalfunktionen kehrte auch mehr und mehr von seinen Erinnerungen wieder. Ihm wurde klar, dass er sich in einem Raumschiff – seinem Raumschiff – befand. Schmerzlich ereilte ihn die Erkenntnis, dass es wahrscheinlich nie wieder fliegen würde, denn er hatte damit eine Notlandung machen müssen, weil etliche Systeme irreparabel beschädigt waren.
Vorsichtig ging Lorn die paar Schritte zum Kommandositz und ließ sich hineinfallen. Der Kontursessel fühlte sich angenehm an, verlieh ihm für kurze Zeit ein Gefühl von Sicherheit und Stärke. Ohne darüber nachzudenken, ließ Lorn seine Finger über das Bedienfeld vor ihm gleiten, weckte Teile des Schiffs aus dem Schlaf. Erst als der Hauptkontrollschirm vor ihm aufflammte, erkannte er, wie dunkel es hier drinnen eigentlich war, doch offensichtlich hatte ihm das spärliche Licht weniger Dioden genügt, um sich ausreichend zurechtzufinden.