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Raumschiff Rubikon Großband 10 - Vier Romane der Weltraumserie von Manfred Weinland Über diesen Band: Dieser Band enthält folgende Romane: Manfred Weinland: Kristallarium Manfred Weinland: Das letzte Zeitalter Manfred Weinland: Neue Herren Manfred Weinland: Sterbendes Universum Am Morgen einer neuen Zeit. Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen. Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung. Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten. Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden.
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Raumschiff Rubikon Großband 10 - Vier Romane der Weltraumserie
von Manfred Weinland
Über diesen Band:
Dieser Band enthält folgende Romane:
Manfred Weinland: Kristallarium
Manfred Weinland: Das letzte Zeitalter
Manfred Weinland: Neue Herren
Manfred Weinland: Sterbendes Universum
Titelseite
Raumschiff Rubikon Großband 10 - Vier Romane der Weltraumserie
Raumschiff Rubikon 37 Kristallarium
Raumschiff Rubikon 38 Das letzte Zeitalter
Raumschiff Rubikon 39 Neue Herren
Raumschiff Rubikon 40 Sterbendes Universum
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Am Morgen einer neuen Zeit.
Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.
Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.
Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.
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Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden.
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Manfred Weinland
Raumschiff Rubikon 37 Kristallarium
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Raumschiff Rubikon 37 Kristallarium
Manfred Weinland
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Am Morgen einer neuen Zeit.
Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.
Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.
Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.
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Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden ...
Prolog
Er hatte sein Schicksal immer beklagt. Er hatte nie aufgehört, sich nach einem einfachen Leben im Kreis seiner Lieben zu sehnen. Seinen Kindern und Kindeskindern, Freunden und Bekannten dabei zuzusehen, wie sie Arrankor für sich eroberten – eroberten auf die friedlichste Weise, die man sich nur denken konnte. Ackerbau und Viehzucht. Fischfang. Die Ozeane der Angkwelt waren überreich an Ressourcen. Und nie hatten Menschen bei der Erschließung neuer Lebensräume mehr Unterstützung erfahren als auf den über Energiestraßen miteinander verbundenen Welten im Reich der ERBAUER.
Wer auf Arrankor leben durfte, galt als besonders gesegnet. Über den ganzen Planeten verstreut befanden sich sogenannte »Depots«, wie hingeschüttet aussehende Haufen aus Nanomaterie, die man zwar im Schweiße seines Angesichts an vorgesehene Plätze schaffen musste, die sich danach aber mental geäußerten Wünschen, so sie nur intensiv genug vorgebracht wurden, fügten und selbsttätig aus ihrer Substanz die verwegensten Bauten formten, die anschließend nur noch – ebenfalls auf geistigem Weg – versiegelt werden mussten, sodass sie ihre Struktur über Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte oder länger bewahrten. Veränderungen konnten dennoch vorgenommen werden; allerdings nur, wenn sämtliche Bewohner des betreffenden Hauses sich einhellig darauf einigten.
Wie all das funktionierte, hatte Prosper Mérimée nie herausgefunden. Aber wenn er ehrlich war, hatte er es auch gar nicht ergründen wollen. Arrankor war auch deshalb der Inbegriff eines Paradieses für ihn geworden, weil es seine großen Geheimnisse wahrte. Prosper hatte den Alltag dort schätzen gelernt, und nur einmal war er in eine Sinnkrise gefallen: als die Liebe seines Lebens gestorben war und ihn mit seinen Kindern allein gelassen hatte. Es hatte lange gedauert, bis er dem Schicksal auch diesen Schlag verzeihen konnte. Aber vergessen hatte er Sara nie.
Genau genommen hatte er rein gar nichts vergessen. Weder die guten noch die schlechten Zeiten, die weit über das Leben, das sie auf Arrankor geführt hatten, hinaus reichten. Nach Arrankor waren sie verschleppt worden. Von einem Wesen, das sich Kargor genannt hatte und zu den ERBAUERN gehörte. Auf Kargor waren sie im Zentrum der Milchstraße, hinter dem Ereignishorizont des dortigen Super Black Holes, getroffen. Dass irgendetwas in der Singularität eines Schwarzen Loches existieren oder ihren abnormen Kräften trotzen könnte, hatte vor der Entdeckung der darin verankerten Stationen niemand für möglich halten wollen. Und doch waren die CHARDHIN-Perlen eine unumstößliche Realität – mit jener Spezies eng verknüpft, der Kargor angehörte.
Mit seiner Hilfe hatten sie Darnoks Wahnsinn stoppen und die Milchstraße wieder in den Zeitfluss zurückführen können, der auch im übrigen Universum herrschte. Quasi als Lohn für diese Hilfe hatte Kargor dann aber Prosper und die restlichen Mitglieder seiner »Zirkustruppe« von der RUBIKON entführt. Dass er sie nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich von den Freunden dort getrennt hatte, wusste Prosper erst, seit das GREMIUM zu ihm gesprochen und ihm die wichtigsten Zusammenhänge und Hintergründe erklärt hatte. Das GREMIUM bestand nicht Mitgliedern der wahren ERBAUER, nicht jener, die sich zwar selbst dafür hielten, letztlich aber nur ihre Strohmänner waren. Denn nicht die Bractonen, sondern die Ganf – schneckenartige Intelligenzen – hatten nicht nur das Erste Reich mit seinen sieben auf identischer Bahn das Muttergestirn umlaufenden Planeten erschaffen, sondern im Grunde alles, was im Kosmos existierte. Oder noch genauer: Sie hatten den Kosmos erschaffen.
Damit entzogen sie sich eigentlich jedem echten Begreifen. Und doch war es Prosper über die Zeiten, die er in ihren Diensten stand, gelungen, sich so weit geistig mit ihnen auseinanderzusetzen, dass er sie trotz ihres gottähnlichen Status auch als Lebewesen betrachten konnte, die leiden, lieben und hassen konnten wie Menschen auch.
Ach, Roddy, wenn du geahnt hättest, wohin es führt, dass du mich damals abgeholt und nach Portas gebracht hast – womöglich hättest du mir mein Schicksal ersparen wollen. Nur: Hattest du denn eine Wahl? Wenn nicht du mich geholt hättest, wäre ein anderer gekommen.
Davon war er längst überzeugt. Denn für die Ganf barg er einen einzigartigen Schatz in sich. Etwas, das sie, aus welchem Grund auch immer, bei all ihrem Können, all ihrer Macht, nicht imstande waren, künstlich herzustellen: die Anomalie in meinem Kopf. Die Anomalie, die seit den Jahren im Getto mit mir verschmolzen war. Ich war gestraft – glaubte ich. Doch das GREMIUM machte mir klar, dass die Gefahr, die den Angkwelten drohte, mit meiner Hilfe abgewehrt werden könne.
Die Gefahr...
Das Tor, in dem ich mich nun befinde. Von dem ich ein Teil geworden bin. Und das die Strecke blockiert, über die die Ganf vor Urzeiten hierher kamen. Auf der Flucht vor ihren unbarmherzigen Verfolgern, die nie müde wurden, auch andere Wege zu suchen, um in die Zuflucht dieser Überwesen zu gelangen.
Den URFEIND nennen die wahren ERBAUER sie. Mithilfe der Anomalie in mir und indem ich mit dem bestehenden Tor verschmolz, blieb dieser Weg dem Feind verschlossen, um ins Angksystem zu gelangen.
Doch nun hat er eine andere Möglichkeit gefunden. Nach so langer Zeit, die ich nicht nur die ERBAUER, sondern jedes Lebewesen ihrer Sphäre (all die Generationen von Menschen, die seither kamen und gingen) schützen konnte, ist diese Ära nun zu Ende.
Der Schutzwall, der um das Angksystem herum errichtet wurde, um Raumschiffe daran zu hindern, einzufallen, war sabotiert worden. Eine riesige Flotte von Raumschiffen war dabei, wie Heuschrecken über die Planeten herzufallen, ganz besonders über den einen, auf dem Prosper und das Tor sich befanden – weil hier auch sämtliche Ganf ihr Dasein fristeten.
Schwärme von Ring- und anderen Schiffskonstruktionen senkten sich aus dem All herab und begannen mit dem flächendeckenden Beschuss von Portas.
Kurz bevor auch die archaischen Torpfeiler, zwischen denen sich die Energie spannte, in der Prosper seit Jahrtausenden »lebte« und wirkte, zerstört wurden, beobachtete der ehemalige Zirkusdirektor und Mitbegründer der Angkmenschheit noch, wie ein ihm wohlbekanntes rochenförmiges Raumschiff auf das Tor zuhielt, um es zu durchdringen. Dass es daran zerschellen würde, schien der Besatzung nicht in den Sinn zu kommen – oder sie dachte, nur zwischen zwei Todesarten wählen zu können: dieser – oder dem feindlichen Feuer.
Prosper hatte auch in seiner neuen Existenzform nicht vergessen, was Loyalität und Freundschaft bedeuteten. Werte, die ihn ewig mit der RUBIKON-Crew verbinden würden.
Und deshalb öffnete er die von ihm errichtete Schranke, das von ihm gestärkte Siegel, für einen Sekundenbruchteil, der genügte, die RUBIKON passieren und dem Feind hier entkommen zu lassen, aber sie zugleich auch einem ungewissen Schicksal entgegenzutragen.
Prosper glaubte einen Hauch der Gedanken zu erhaschen, die dem Schiff innewohnten – dann war es auch schon vorbei. Die RUBIKON war verschwunden und die Ringschiffe setzten ihr Zerstörungswerk fort. Die ersten schweren Treffer erschütterten das Tor in seinen Grundfesten. Als die Generatoren getroffen wurden, erlosch nicht nur die Barriere, die es über all die Zeiten verschlossen hatte, sondern auch...
... ICH!
Prosper fühlte sich hinweggefegt. Zerschmettert. In alle Winde zerstreut.
Aber er irrte, als er glaubte, dies sei das unumstößliche Ende für ihn.
Denn er fand auch im Tod nicht die verdiente Ruhe...
1.
Angksystem
––––––––
Das rötliche Pulsieren, das im Herzen des Modells der EWIGEN KETTE begonnen hatte, vereinnahmte nun schon Dutzende von Miniaturperlen in der unmittelbaren Nachbarschaft des zentralen Kugelgebildes. Und ein Ende der Ausbreitung war nicht abzusehen.
Die anfängliche Hoffnung, dem Auruunen-Wunsch nach das ganze Universum umspannender Zerstörung im letzten Moment doch noch einen Riegel vorschieben zu können, hatte damit einen empfindlichen Dämpfer erhalten. Auch wenn sich noch niemand einen wirklichen Reim auf die Bedeutung des beobachteten Effekts machen konnte. Ebenso wenig wie auf das merkwürdige und völlige atypische Verhalten der auruunischen Ringschiffe, die zunächst einen Kollisions- und Angriffskurs auf die RUBIKON geflogen waren, dann aber – nach einem entsprechenden Ausweichmanöver Seshas – ohne jede Kurskorrektur an ihnen vorbei gejagt waren und den einmal eingeschlagenen Kurs auch jetzt noch, Minuten nach dem Geschehen, beibehielten.
»Sie stoßen in die Tiefe des Raumes vor«, übersetzte Scobee das physikalische Kauderwelsch, mit dem die KI das Verhalten der Ringe kommentierte. »Die Geschwindigkeit potenziert sich in nachvollziehbarer Weise, ohne dass die Triebwerksleistung erhöht wird, allein aufgrund des permanenten Ausstoßes von Antriebsenergie. Die eingeschlagene Richtung erfährt keinerlei Modifikation«, redete Scobee weiter. »Es ist, als wären sämtliche Systeme auf Autopilot gegangen. Was wiederum die Frage aufwirft: Warum? Warum griffen die Auruunen uns zunächst an, obwohl wir hofften, dass unsere Maßnahmen keine Ortung zulassen, aber setzten ihre Einmalattacke dann nicht weiter fort? Sie scheinen uns regelrecht vergessen zu haben. Und das ist nicht das einzige Rätsel.«
Sie wies Sesha an, eine bestimmte Aufzeichnungssequenz in der Holosäule anzuspielen. Daraufhin konnten alle auf dem Kommandostand noch einmal beobachten, wie etliche der um das EK-Modell herum stationierten Auruunenringe die Kontrolle über ihre Position verloren und mit Teilen des Modells kollidierten. Dabei wurden sowohl die Kugeln als auch die Ringe in heftigen Explosionen zerrissen.
John Cloud nickte ihr zu. »Das ist ein echtes Rätsel. Aber im Grunde müssen wir dankbar sein, dass sie uns aus dem Visier genommen haben. Ich bezweifle, dass wir ihrer Übermacht auch nur das Geringste entgegenzusetzen gehabt hätten. Nehmen wir es als das, was es ist...«
»Ein Wunder?«, spöttelte Jarvis.
»Ein Wunder«, bestätigte Cloud. »Allerdings bräuchten wir offenbar noch ein zweites, um wirklich aufatmen zu können – und das scheint uns nicht vergönnt zu sein.« Er zeigte auf die Holoregion, in der immer noch die Livebilder der Vorgänge innerhalb des EK-Modells zu sehen waren. »Dieses rötliche Glosen könnte bedeuten, dass es Raiconn gelungen ist, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Ich will hier nicht schwarzmalen und weiß auch ebenso wenig wie ihr, wie sich die Manipulation der EWIGEN KETTE, die sein erklärtes Ziel ist, im Detail äußern würde. Aber was hier zu sehen ist, strahlt meines Erachtens so viel Bedrohlichkeit aus, dass wir mit dem Schlimmsten rechnen müssen.«
Mit dieser Aussage blies er ins gleiche Horn wie kurz zuvor schon Jiim, der seinen Sprössling Yael für immer verloren glaubte. Und der jetzt ächzte: »Sie haben ihn dazu missbraucht, dieses uralte technische Wunder der Ganf zu sabotieren – wahrscheinlich musste er dafür sterben. Diese schrecklichen Tyrannen! Ein lebendes Wesen als Schlüssel zu missbrauchen, der es ihnen gestattet, ein ganzes Universum in den Untergang zu stürzen... Mir... mir fehlen die Worte, um meine Abscheu auszudrücken!«
Cloud suchte nach Worten, um den Freund zu trösten, doch der Narge hatte sich wieder gefangen und wartete auf die Entscheidung, die Cloud über das weitere Vorgehen treffen würde.
»Sesha?«
»Commander?«
»Lokalisiere für mich ein Ringschiff, das in einer undramatischen Lage ist – will heißen: das nicht Gefahr läuft, so bald mit einem anderen Objekt zusammenzustoßen.«
Die KI bestätigte den Befehl.
»Was hast du vor?«, fragte Jarvis, dessen Näschen für bevorstehende Einsätze offenbar unverändert gut funktionierte.
»Ich will wissen, was passiert ist. Warum uns die Auruunen nicht nur ignorieren, sondern völlig durch den Wind sind. Möglicherweise hat es mit der von ihnen selbst ausgeführten Sabotage zu tun. Vielleicht hat sie die Umsetzung ihres Plans sogar das Leben gekostet.«
»Wie meinst du das?«, fragte Scobee. »Müssten wir dann nicht auch – tot sein?«
»Sie sind anders mit diesem Kosmos verzahnt als wir. Möglicherweise waren ihnen die tatsächlichen Folgen ihres Eingriffs in das System der EWIGEN KETTE gar nicht bewusst. Ich sage: Es könnte sie dahin gerafft haben. Es muss nicht so sein. Aber was immer auch passiert ist, wir sollten es herausfinden. Weil es uns über kurz oder lang ebenfalls drohen könnte.«
Scobee nickte und Jarvis sagte: »Guter Einwand. Soll ich springen?«
Cloud mahnte mit einem Blick mehr Geduld an. »Sesha? Bist du fündig geworden?«
»Dann hätte sie sich gemeldet«, flüsterte Scobee ihm augenzwinkernd zu.
Er verbuchte es mit Erstaunen, wie entspannt sie schon wieder wirkte, nachdem das Schicksal des ganzen Schiffes noch vor wenigen Minuten auf Messers Schneide gestanden hatte. Aber in Sachen Gefahren und deren Meisterung hatten sie inzwischen ein gerüttelt Maß an Routine gesammelt. Auch ihm selbst fiel es zusehends leichter, sich auf sich verändernde Situationen einzustellen.
Wobei er einräumen musste, dass das Szenario, in dem sie aktuell gelandet waren, alles an Bedrohungspotenzial übertraf, was sie jemals durchlitten hatten. Der Kollaps des gesamten Universums schwebte als Damoklesschwert über ihren Köpfen. Und momentan sah es eher danach aus, als wäre er bereits unabwendbar in Gang gesetzt worden, als dass sie ihn noch verhindern konnten.
Was das in der Praxis bedeutete, vermochte niemand zu sagen. Niemand, der sich auf ihrem intellektuellen Level befand, jedenfalls.
Für die Ganf wie für die Auruunen sind wir Primitive. Sie scheinen uns geistig um Jahrtausende, wenn nicht um Jahrmillionen überlegen zu sein. Und das lassen sie auch immer wieder gerne heraushängen.
»Die Selektion wurde soeben abgeschlossen. Ich habe das nächstgelegene Objekt herausgesucht und lege es in die Holosäule. Gibt es dazu einen Folgebefehl?«
»Entfernung?«, fragte Cloud, als ein Auruunenring aus der Masse heraus gezoomt wurde?
»Drei Millionen Kilometer.«
Cloud wandte sich an Jarvis. »Ist das ein Problem für dich? Sollen wir näher ran?«
Jarvis schüttelte den Kopf. »Das ist ein Klacks. Aber heißt das, ich darf...?«
Cloud seufzte. »Kindskopf.« Eine detailliertere Antwort brauchte es nicht. »Sesha wird dich mit den genauen Koordinaten versorgen. Brauchst du Vorbereitungszeit?«
»Wozu?« Jarvis grinste jungenhaft von einem Ohr zum anderen. Weniger denn je war er von einem lebendigen Menschen aus Fleisch und Blut zu unterscheiden. Seit der letzten Modifikation in der Scharan-Perle war er nicht mehr nur in der Lage, sich holografisch zu maskieren und so darüber hinwegzutäuschen, dass es sich bei seinem Körper nur um ein Konstrukt aus foronischer Nanomaterie handelte, nein, die nun verwendete Holotechnik arbeitete »sinnesgekoppelt« – das hieß, wer immer Jarvis berührte, konnte auch über seinen Tastsinn keinen Unterschied mehr zu einem wahrhaftigen Lebewesen erkennen. Für Jarvis selbst, aber auch für seine langjährigen Gefährten, war das ein Quantensprung.
»Na dann. Du weißt, worauf es mir ankommt?«
»Du willst wissen, was die Auruunen geritten hat, uns so mir nichts, dir nichts die kalte Schulter zu zeigen.«
»Ich hätte es nicht klarer formulieren können.« Cloud sagte es todernst.
Jarvis gluckste, verband sich mit der Bord-KI und übernahm deren exakte Datenvorgabe, um das Ziel anzuvisieren.
Sekunden später war der Platz, auf dem er gesessen hatte, leer.
»Plopp!«, machte es, als die einströmende Luft das entstandene Vakuum füllte.
Jarvis materialisierte in feindlicher Umgebung. Nach wie vor haftete allem, was mit den Auruunen zusammenhing, etwas zutiefst Verstörendes, Aggressives an. Jedes dieser Wesen war von einer Aura umgeben, die allein schon ausreichte, psychisch labile Gegenüber zu knechten. Und obwohl sich Jarvis nicht zu dieser Kategorie zählte (seine diversen Sinnkrisen sah er in einem anderen Licht), konnte er sich nicht ganz davon freimachen, dass ihn das »feindliche Territorium«, in das er sich versetzt hatte, auf mehr als nur unterschwelliger Ebene beeindruckte. Fast war es, als würde selbst der Stahl, aus dem der Ring geformt war, die Dominanz jener Spezies ausatmen, die, wie sich inzwischen herausgestellt hatte, der gleichen Spezies entstammte wie die Ganf. Nur dass die Auruunen nicht in der Lage gewesen war, körperlich in dieses Universum einzubrechen. Lediglich ihren Bewusstseinsinhalten war dies gelungen, und bevor sie hier so handlungsfähig hatten werden können, wie sie es sich vorstellten, hatten sie Bewohner des Kosmos in ihre Gewalt bringen müssen, deren Hüllen sie übernahmen. Jene Ur-Auruunen hatte die RUBIKON-Besatzung auf einem der Anomalie-Planeten Scharans entdeckt, sich damals aber noch keinen rechten Reim auf die wahren Zusammenhänge machen können. Erst später war es ihnen gelungen, Teil um Teil des Puzzles stimmig zusammenzusetzen. Und letzte Gewissheit hatte schließlich Assur gebracht, die lange Zeit in der Gefangenschaft der Auruunen verbrachte.
Das Erscheinen der Ganf-Auruunen in diesem Universum lag etwa 300.000 Standardjahre zurück. Und seither versuchten sie, der Artgenossen habhaft zu werden, die einst federführend das EXPERIMENT betreut hatten, in dessen Zuge dieser Kosmos »gezündet« worden war.
Jarvis hatte immer noch seine Probleme, die Vorstellung zu verarbeiten, dass sein Universum – und das aller hier entstandener Spezies und Individuen – letztlich eine Schöpfung der Ganf war, die dieses »Projekt« in ihrem Kontinuum initiiert hatten – so wie irdische Wissenschaftler schon seit der Verfügbarkeit erster leistungsstarker Computer immer wieder versucht hatten, Welten künstlich zu simulieren – nur eben mit einer für den menschlichen Verstand kaum fassbaren Perfektion.
Die Krux dabei war, dass das EXPERIMENT früh aus dem Ruder gelaufen war. Diejenigen Ganf, die in den Entstehungsprozess des Kunstkosmos involviert gewesen waren, hatten sich nach dessen gelungener Generierung darin eingesperrt und keine Möglichkeit mehr gefunden, sich daraus zu befreien, um in ihr eigentliches Kontinuum zurückzukehren. Dort, in ihrem Heimatkosmos, wo das EXPERIMENT ebenfalls nicht gestoppt werden konnte, hatte sich über Äonen aus ihm eine Bedrohung entwickelt, von der die Auruunen behaupteten, sie würde den Urkosmos, also die Gefilde, aus denen sie stammten, existenziell gefährden.
Wie ernst diese Drohung zu nehmen war und worin genau sie sich äußerte, hatte Raiconn Assur gegenüber nicht spezifiziert. Fakt aber schien, dass die Ganf »der anderen Seite« überzeugt waren, dass nur die Auslöschung des hiesigen Universums sie retten konnte.
Davon aber hatten sich ihre Artgenossen, die das EXPERIMENT einst betreuten, nicht überzeugen lassen. Zumal es nach wie vor keinen Weg zu geben schien, einen Rücktransfer in ihr angestammtes Kontinuum auszuführen. Sie alle, Ganf wie Auruunen-Ganf, würden mit der Auslöschung dieses Universums ebenso zugrunde gehen wie sämtliche hier gebürtigen Bewohner.
Die Vorstellung eines so umfassenden Genozids musste jedes moralisch normal tickende Geschöpf mit Entsetzen erfüllen – und mit völligem Unverständnis. Und doch schien es, als wäre es den Auruunen unter Raiconn gelungen, diesen Mord an allem Leben des Kosmos bereits in die Wege zu leiten. Niemand, der es gesehen hatte, interpretierte das Glosen innerhalb des EK-Modells anders. Zumindest niemand, den Jarvis kannte.
Er schob die wenig produktiven Gedanken beiseite und scannte seine Umgebung. Doch die Wände des Korridors, in dem er materialisiert war, stellten ein unüberwindliches Hindernis für jegliche Ortungsstrahlung dar, über die sein Kunstkörper verfügte.
Na dann eben auf die altmodische Weise...
Er bewegte sich entlang des Korridors, der einer permanenten leichten Biegung folgte, was offenbar der Röhrenform des Schiffes geschuldet war. Wo genau an Bord sich die Steuerzentrale befand, wusste Jarvis nicht. Aber fürs Erste hätte er sich auch mit kleineren Fischen begnügt, beispielsweise –
Unmittelbar vor ihm öffnete sich lautlos ein Schott. Jarvis aktivierte augenblicklich die Chamäleonfunktion seines Körpers und verschmolz optisch perfekt mit der Umgebung. Ein flüchtiger Blick genügte nun nicht mehr, ihn zu erkennen. Jemand musste schon ein verdammt gutes Auge haben und sich auf die Stelle konzentrieren, an der er etwas Verdächtiges bemerkt zu haben glaubte und wo Jarvis tatsächlich verweilte, um die Mimikrytarnung zu durchschauen.
Solches war aber von dem Treymor, der sichtbar wurde, nicht zu befürchten. Er schenkte seiner Umgebung offenbar nur gerade so viel Aufmerksamkeit, wie nötig war, um nach links abzuschwenken – weg von Jarvis also – und den Gang hinunter zu hetzen und in einem anderen Raum, der sich vor ihm öffnete, verschwinden.
Es war nicht Jarvis’ erste Begegnung mit einem dieser Käferartigen, die in enger Beziehung zu den Auruunen standen, wahrscheinlich ihr bevorzugtes Hilfsvolk waren. Aber selten, vielleicht noch nie, hatte Jarvis einen Angehörigen dieses Volkes so hektisch und konfus erlebt wie hier. Der Treymor vermittelte den Eindruck, als hätte er den Schock seines Lebens zu verdauen und sei deshalb auf der überstürzten Suche nach jemandem, der ihm dabei helfen sollte.
Dass Treymor und Auruunen eng zusammenarbeiteten, war nichts Neues, die Verfassung, in der Jarvis den Käferartigen erlebte, schon.
Aber was immer ihn so fertig macht, er selbst scheint noch genauso handlungsfähig wie immer zu sein. Völlig Banane, aber weit davon entfernt, den Löffel abzugeben.
Wie genau die Aufgabenverteilung auf Schiffen mit gemischter Besatzung war, konnte Jarvis nicht sagen. Aber wenn den Treymor auch navigatorische Pflichten oblagen, war nach diesem Auftritt mysteriöser denn je, warum die Ringschiffe keine vernünftigen Manöver mehr ausführten. Hektik allein war dafür keine Erklärung, selbst wenn man davon ausging, dass sie nicht nur die Treymor, sondern auch deren Herren befallen hatte.
Jarvis versuchte, eine Funkverbindung zur RUBIKON herzustellen. Wider Erwarten klappte es.
»John?«
»Ich höre dich. Sehr gut sogar. Wo genau bist du? Hast du schon etwas herausfinden können?«
»Negativ. Aber ich fange auch gerade erst an, mich umzusehen. Gerade bin ich fast über einen Treymor gestolpert.«
»Und? Wie war sein Zustand?«
Jarvis schilderte seine Eindrücke und schränkte ein: »Ich sehe zu, dass ich irgendwo Auruunen finde. Wenn, dann dürfte deren Befindlichkeit Antworten auf das Verhalten der Ringe liefern. Der Treymor eben wirkte jedenfalls ziemlich geschockt. Leider hatte ich keine Gelegenheit, ihn zu fragen, weshalb.«
»Vielleicht solltest du ihm hinterher.«
Jarvis verneinte. »Ich seh mir lieber die Räumlichkeit an, aus der er so aufgelöst kam. Nach Adam Riese müsste dort die Ursache seiner Aufregung zu finden sein.«
»Viel Glück. Und vergiss nicht: Beim geringsten Anzeichen, dass du von einer Situation überfordert bist, transitierst du unverzüglich zu uns zurück!«
»Entschuldige, John, aber die Verbindung hat sich rapide verschlechtert. Das klang gerade so, als hättest du ›überfordert‹ gesagt... Ich melde mich, sobald es Neues gibt.« Er kappte die Funkverbindung. Als Nächstes nahm er sich das Schott vor, aus dem der Treymor gekommen war. Es ignorierte Jarvis geflissentlich, wovon er sich aber nicht aufhalten ließ.
In einem Auruunenring, entschied er, kam man mit dezenten Mitteln nicht weit. Deshalb eröffnete er, ohne zu zögern, das Feuer aus einem seiner Armgeschütze, die unter der Holotünche verborgen lagen.
Die Wucht der Explosion hätte einen echten Menschen meterweit durch den Gang gedroschen. Jarvis hingegen stand unbeeindruckt wie ein Fels in der Brandung, bevor er durch die entstandene Öffnung stiefelte.
Immer noch im Chamäleon-Modus.
Und mit keinerlei Skrupeln behaftet, seine Wumme sofort wieder einzusetzen.
»Guma Tschonk!«
»Ja, Jiim?« Cloud drehte sich dem Nargen zu, der linker Hand von Scobee saß und Mühe hatte, seine Flügel im Zaum zu halten.
»Vergiss bitte nicht, nach Yael zu suchen. Gut und schön, dass Guma Tscharwis sich in einem x-beliebigen Ringschiff umsieht – aber sind wir nicht gekommen, um meinen Jungen zu retten? Sind wir nicht gekommen, um –«
Cloud streckte beruhigend die Hand nach Jiim aus. Sein Arm hätte fünfmal so lang sein müssen, um bis zu dem geflügelten Humanoiden zu reichen, auf dessen Heimatwelt Kalser es vor einer gefühlten Ewigkeit Cloud, Scobee und Jarvis verschlagen hatte und wo sie sich angefreundet hatten. Danach waren sie einige Zeit voneinander getrennt gewesen, aber das Schicksal hatte eigentümliche Wege gefunden, sie schließlich außerhalb der Milchstraße, in der Großen Magellanschen Wolke, wieder zusammenzuführen. Seither waren sie unzertrennlich. Hier an Bord hatte Jiim das Ei gelegt, aus dem sein Spross Yael geschlüpft war – ein in jeder Hinsicht besonderes Kind. Zeitrafferschnell war Yael herangereift und hatte dabei offenkundig von der goldenen Rüstung profitiert, mit der Jiim einst auf Kalser von einem der legendären Ganf beschenkt worden war. Mit der Zeit war dieses Nabiss regelrecht mit Jiims Körper verschmolzen, und als der Narge schließlich seinen Nachwuchs zeugte – er allein, wie es bei seiner Spezies Usus war -, hatte das Geschenk der Ganf offenbar die Finger mit im Spiel. Zumindest, was die guten Gaben anging, die Yael in die Wiege gelegt wurden.
Der ganze Vorgang erinnerte Cloud an ein irdisches Märchen namens »Dornröschen«. Nach der Geburt der Königstochter waren gute Feen aus allen Teilen des Reiches erschienen, um dem Neugeborenen ihre Aufwartung und jeweils eine Eigenschaft oder ein Talent zum Geschenk zu machen. Die Ganf mit Feen zu vergleichen, erschien Cloud zwar abenteuerlich, aber vom Prinzip her gab es durchaus Übereinstimmungen. Denn wie sich herausgestellt hatte, war Yael von den Extrauniversellen in einem Langzeitplan zu einem Element umgeformt worden, in dem sie, als die Jäger aus der Urheimat schon bedrohlich nahe gekommen waren, etwas versteckt hatten, was die Auruunen »den Schlüssel« nannten. Offenbar handelte es sich dabei um etwas, das nötig war, um die Sicherheitssperre innerhalb des Systems, das die CHARDHIN-Perlen universumweit miteinander verband, zu überwinden. Die Perlen waren der Garant für den Erhalt jenes Kosmos, der im Zuge des EXPERIMENTS entstanden war. Mehr noch: Sie hatten das Universum einst generiert und wachten mit ihren Systemen über die Einhaltung der einmal festgelegten physikalischen Gesetze.
Außer dass sie Yael zum »Schlüssel« gemacht hatten, waren dem jungen Nargen aber auch unfassbare Kräfte zugebilligt worden, die er erst nach und nach für sich erschlossen hatte. So war er in der Lage, Projektionen zu erschaffen, die genauso funktionierten wie das technische Transportsystem, das die Auruunen aufgebaut hatten, das Weltennetz , das es über Avatar-Stationen ermöglichte, selbst Entfernungen über Jahrmilliarden Lichtjahre ohne messbaren Zeitverlust zu überbrücken.
Yael beherrschte die »Biovariante« dieser Fortbewegungsart. Aber auch das hatte ihn nicht davor bewahren können, in die Gewalt der Auruunen zu geraten und von ihnen aus Scharan in die ferne Milchstraße und dort ins Angksystem entführt zu werden. Hier, im Ersten Reich der Ganf, liefen alle Fäden zusammen. Hier hatten die Auruunen ganz offensichtlich das Steuerungsmodell der EWIGEN KETTE über all die Zeiten in der Kruste des Planeten Portas verwahrt und verborgen gehalten.
Für die Auruunen nach erfolgreicher Eroberung des Angksystems offenbar kein Problem. Irgendwie hatten sie es geschafft, Portas um das EK-Modell herum zu entfernen und das Steuermodul auf diese Weise herauszuschälen und zugänglich zu machen.
Cloud tippte darauf, dass sich das zentrale Element der Steuerung dort befand, von wo das rote Glühen seinen Ursprung hatte, das nach und nach weitere Bereiche des Modells erfasste – und vermutlich nur markierte, was zeitgleich »im Großen«, also in den dazugehörigen echten CHARDHIN-Perlen geschah. Möglicherweise hatte Raiconn ein Programm der Vernichtung gestartet, das nun das ursprüngliche überschrieb und in einem Dominoeffekt von einer Perle auf die nächste übergriff.
In einer Vision sah er, wie das ihnen vertraute Universum in der Folge von einem neuen, nicht länger expandierenden, sondern dem Untergang entgegenstrebenden ersetzt wurde.
Ihn schauderte, erst recht, als er merkte, dass Jiim ihn immer noch anstarrte, immer noch eine Antwort von ihm einforderte. Eine Entscheidung.
»Ja«, sagte Cloud. »Du hast vollkommen recht. Wir sind wegen Yael gekommen. Und dass wir so weit gekommen sind, dass wir den Abgrund zwischen Eleyson und der Milchstraße mithilfe der Gloriden überwinden konnten, grenzt bereits an ein Wunder. Es entbehrt jeglicher Logik, warum wir nicht auch noch das finale Wunder erzwingen sollten. Sesha?« Er blickte in alter Angewohnheit zur Decke der Zentrale, als wäre dort etwas von der KI zu erspähen, die die Geschicke des Schiffes koordinierte.
So wie in früheren Zeiten Menschen zum Himmel geschaut haben, wenn sie Zwiesprache mit Gott hielten , dachte Cloud. Und als Nächstes: Blasphemie! In den dunklen Zeitaltern der Erde wäre ich für solche Vergleiche auf dem Scheiterhaufen gelandet.
Er seufzte, und mitten in diesen Seufzer hinein, fragte Sesha: »Commander?«
»Während Jiim sich in dem Ring umsieht, möchte ich, dass du mit allen verfügbaren Mitteln herausfindest, was hier vor sich geht und gegangen ist. Zieh dabei auch die Möglichkeiten zurate, die dir über herkömmliche astronomische Beobachtungen zur Verfügung stehen. Ich weiß nicht, ob du verstehst, was ich damit meine, deshalb will ich es dir erklären.« Er nickte Jiim zu, der an seinen Lippen klebte und jedes seiner Worte wie ein trockener Schwamm Wassertropfen in sich aufsog. »Entsende überlichtschnelle Sonden und platziere sie weit genug von der ehemaligen Portas-Position entfernt, um mit normaloptischen Sensoren festzustellen, wo das Glosen, das das EK-Modell befallen hat, exakt begonnen hat.«
»Ich verstehe die Aufgabe sehr wohl, Commander.« Die KI klang regelrecht pikiert. »Ich muss die Beobachter nur weit genug stationieren, dass sie den Moment erreichen, als die rötliche Verfärbung noch keine der Perlen-Miniaturen befallen hatte. Auf diese Weise lässt sich ermitteln, wo es beginnt... beziehungsweise begonnen hat.«
»Perfekt, Sesha. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
»Sonden wurden gestartet«, sagte die KI.
Cloud nickte und wandte sich wieder Jiim zu. »Ein erster Schritt. Damit kannst du nicht zufrieden sein, ich weiß. Das bin ich auch nicht. Aber sobald wir die Urzelle lokalisiert haben, von der die Veränderung ausging, ist es uns vielleicht möglich, den Hebel anzusetzen.«
»Hebel?«
Abwarten , antworteten Clouds Augen. Hab Vertrauen, Freund. Lass uns Schritt für Schritt vorgehen. Alles andere führt zu nichts.
Laut fragte er: »Sesha? Gibt es schon neue Nachrichten von Jarvis?«
»Negativ«, sagte die KI. »Soll ich ihn anfunken?«
»Nein. Geben wir ihm noch ein wenig Zeit.« Ein kleines Déjà-vu zuckte vor seinem geistigen Auge auf, weil er sich unwillkürlich an die noch gar nicht lange zurückliegende Situation bei der Gigastation der Auruunen nahe der Scharan-Negaperle erinnert fühlte. Damals hatte er Jarvis und Jarvis auf eine Außenmission geschickt, von der am Ende nur einer der beiden Zeitzwillinge wieder die RUBIKON erreicht hatte. Den anderen, der absolut identisch mit dem war, der jetzt den Auruunenring erforschte, hatten sie aufgeben müssen. Aufgeben!
Cloud hatte das Gefühl, in Phantomschweiß gebadet zu werden. Kalten Phantomschweiß, der ihm ins Gedächtnis rief, welche Opfer es gekostet hatte, bis hierher, an diesen Punkt, zu gelangen, immer in der Hoffnung, die Mega-Katastrophe doch noch verhindern zu können.
Davon sind wir immer noch so weit entfernt, als würden wir uns unverändert in Scharan befinden. Wir sind am Ort des Geschehens, wo sich offenbar alles entscheidet, aber wir haben keine Möglichkeit, konstruktiv einzugreifen. Wir treiben vor einem Filz aus Hightech, einem Geflecht von atemberaubendem Ausmaß und undurchschaubarer Zusammensetzung – und uns sind die Hände gebunden. Wir beobachten, während Handeln angesagt wäre. Wer weiß, wie lange wir noch haben.
Er hatte eine Heidenangst, sich zu verzetteln und mit dem Befehl an Jarvis, sich den Ring vorzunehmen, falsche Prioritäten gesetzt zu haben.
Die Zerstörung des Schotts konnte nicht unbemerkt geblieben sein, dennoch wartete Jarvis vergeblich darauf, dass sich ihm feindliche Kräfte entgegenwarfen. Wenn schon die RUBIKON eine in einem festgelegten Rahmen eigeninitiativ handelnde Künstliche Intelligenz hatte, musste ein Raumschiff, das von Mächten erbaut worden war, die auf der Evolutionsleiter um gleich mehrere Sprossen höher angesiedelt waren als die Foronen (als ursprüngliche Erbauer des Rochenschiffes), dann nicht nahezu eine Fabeltechnik vorweisen können?
Vielleicht haben wir und all die anderen, die unter ihnen zu leiden haben, sie einfach überschätzt. Vielleicht kochen auch sie nur mit Wasser...
Ein Gedanke wie ein Streiflicht. Mehr an Abschweifung gestattete sich Jarvis nicht. Dafür war er zu sehr Profi.
Mit dem ersten Schritt hinter das Schott und in den sich öffnenden Raum hinein hatte er das Gefühl, in einer Klapsmühle gelandet zu sein. Denn er sah sich umgeben von Gestalten, die allenfalls wie Karikaturen der so unbesiegbar und mächtig eingestuften Auruunen wirkten. Wohin er auch blickte, er entdeckte ausschließlich Auruunen, keinen einzigen Treymor. Der, der bei ihnen gewesen war, schien vom Verhalten seiner Herren so schockiert gewesen zu sein, dass er Hals über Kopf aus dem Raum geflohen war.
Welche Funktion der Bereich, in den Jarvis eindrang, innerhalb der Bordhierarchie hatte, war schwer zu sagen. Die Wände waren gepflastert mit technischen Gimmicks, durch die Luft trieben Holotafeln wie eigenwillige Seifenblasen-Kreationen. Und inmitten dieser Kulisse torkelten, wälzten, zuckten, strampelten etwa ein Dutzend Auruunen, als hätte der Ätherwahn sie befallen. Jarvis zählte auch zwei, drei der pechschwarzen Gestalten mit den kaum definierten Gesichtern, die einfach nur völlig reglos am Boden lagen, wie tot – und vielleicht waren sie das sogar. Vielleicht hatten Artgenossen sie in einem Gewaltexzess niedergerungen und erschlagen.
Angesichts der Bilder, die Jarvis in sich aufnahm, schloss er nichts dergleichen kategorisch aus. Auch nicht, dass der Treymor, den er gesehen hatte, die Hand in einer Kurzschlusshandlung gegen die Herren erhoben haben könnte.
Was zur Hölle geht hier vor? Stimmt Johns Verdacht, dass die Manipulation an der EWIGEN KETTE ihnen den Verstand geraubt hat? Sind sie, die Saboteure, die Ersten, die die Wirkung ihrer Tat zu spüren bekommen?
Falls ja, hätte man es schon als Ironie des Schicksals bezeichnen können. Nur würde niemand etwas davon haben, dass sich unter den Henkern des Universums die Falltür zuerst geöffnet hatte.
Als Jarvis sich entschied, sich nicht mit diesem Momenteindruck zufriedengeben zu wollen, leitete er eine Kurztransition ein, die ihn in entferntere Bereiche des Rings brachte. Seine optischen Systeme vermittelten ihm noch, dass just in dem Moment, als er entstofflichte, bewaffnete Treymor durch das zerschossene Schott drangen und das Feuer auf ihn eröffneten – aber keiner der Hochenergiestrahlen erreichte ihn mehr.
Er materialisierte ungeschoren auf einem weiteren Korridor. Über wie viele Decks ein Auruunenring verfügte, war unbekannt. Aber es war auch nicht wichtig. Nicht auf dieser Mission.
Zunächst wirkte der Gang wieder verlassen. Aber Jarvis’ Sensoren fingen Geräusche auf, denen er folgte. Stimmen. Seltsam verzerrt und so durchdringend, dass er schon ahnte, wem sie gehörten.
Aber er täuschte sich. Statt weiterer orientierungslos umherirrender Auruunen sah er sich bei Betreten eines Raumes einer Gruppe von Treymor gegenüber, die sich kreisförmig am Boden kauerten und Laute von sich gaben, die entfernt religiösen Riten ähnelten, die er noch in seinen Jahren auf der Erde, nachdem er geklont worden war, anhand von Trivideo-Aufzeichnungen vermittelt bekommen hatte. Seine Ausbilder hatten offenbar geglaubt, dass es ihm in bestimmten Situationen, auf bestimmten Missionen, nützen könnte, sich in solchen Dingen wenigstens rudimentär auszukennen. Da als sein Einsatzziel aber schon damals der Mars festgestanden hatte, fragte er sich im Nachhinein, ob man allen Ernstes angenommen hatte, auf dem Roten Planeten auf Außerirdische zu treffen, die vergleichbare Zeremonien pflegten.
Aber er hatte in jener Zeit so viel Widersprüchliches über sich ergehen lassen müssen, dass es im Grunde gleichgültig war, ob es logischen Grundsätzen folgte oder einfach den Hirngespinsten eines Drill Sergeants entsprungen war.
Jarvis wollte im Moment der Materialisation seinen Chamäleon-Modus nachjustieren, den er zuvor offenbar vernachlässigt hatte, sonst hätte er den eindringenden Treymor kein so offensichtliches Ziel geboten. Zu seiner Verwunderung arbeiteten die entsprechenden Module aber bereits mit Höchstleistung.
Komisch. Sind die Augen der Käfer etwa besser als die anderer Spezies? Wenn ja, sollte ich mich schon mal darauf einstellen, dass hier gleich die Luft brennt.
Aber keiner der versammelten Treymor schenkte ihm auch nur die geringste Beachtung. Sie wirkten wie in Trance, als hätten sie sich gemeinschaftlich in einen Geisteszustand versetzt, der mit dem eines Junkies vergleichbar, der sich gerade einen Trip eingeworfen hatte.
Jarvis wollte sich wieder abwenden und Ausschau nach Auruunen halten – um sie ging es tatsächlich; nicht um irgendwelche stammelnden Käfer –, als die Treymor doch noch nach ihren bereitliegenden Waffen griffen. Er registrierte die Bewegung über seine Module, die es ihm ermöglichten, gleichzeitig nach allen Richtungen zu blicken. Sofort reagierte er und richtete beide Waffenarme auf die Gruppe. Dass er nicht feuerte, lag an der Erkenntnis, die er einen Moment später erlangte: Die Treymor richtete ihre Blaster gar nicht gegen ihn, sondern...
... gegen sich selbst!
Das außerirdische Äquivalent eines Harakiri , dachte Jarvis, als die Treymor sich reihum selbst die Schädel wegbliesen.
Während er den Raum verließ und die Leichen hinter ihm zurückblieben, fragte er sich, wie verzweifelt und hoffnungslos die Käfer die Lage an Bord empfinden mussten, dass sie sich zu einer solchen Tat hinreißen ließen. Selbst wenn tatsächlich sämtliche Auruunen an Bord zu lallenden Irren geworden waren – hatten die Treymor denn keine Möglichkeit, das Kommando an sich zu reißen, wollten sie es nicht einmal versuchen , sondern wählten stattdessen lieber den Freitod?
Ihre Mentalität musste sich grundlegend von der menschlichen unterscheiden.
Wir würden es versuchen. Wir würden alles daran setzen, uns in die fremde Technik hineinzudenken – das haben wir damals nicht anders auf der RUBIKON gehandhabt, als wir sie fanden und sie unsere letzte Chance war.
Er hatte die Harakiri-Szene aufgezeichnet und wollte sie nach Rückkehr zu den Gefährten vorführen, um auch ihnen einen drastischen Eindruck des hier regierenden Wahnsinns zu verschaffen.
Eine erneute Kurztransition brachte ihn in einen Raum, der an eine Kabine mit fast schon privatem Charakter erinnerte. Ein einzelner Auruune befand sich darin. Er lag auf einem Antigravbett und starrte ganz ruhig zur Decke. Die Kabine war von ein paar Gegenständen geprägt, die ihr eine durchaus persönliche Note verliehen, unter anderem Skulpturen aus einem unbekannten, kreideartigen Material, die auf einem Tischchen standen, der voller weißem Staub war. Außer den Skulpturen, von denen keine größer als etwa zwanzig Zentimeter war, lag auch Werkzeug auf der Platte.
Für einen Moment war Jarvis mehr bestürzt, als wenn er ein Massenvernichtungsmittel entdeckt hätte. Wenige, fast schon banale Gegenstände genügten, ein ganz neues Bild der Auruunen zu zeichnen. Wenn sie neben all ihren Verbrechen auch noch einen Hang zur Kunst hatten... konnten sie dann überhaupt so erzböse und skrupellos sein, wie es bislang den Anschein gehabt hatte.
Jarvis merkte, wie die Entdeckung einen Bruch in seinem bisherigen Bild der Auruunen hervorrief. Kopfschüttelnd nahm er eine Figur auf, die schon fertiggestellt zu sein schien, und verstaute sie in seinem Körper. Dann wandte er sich dem immer noch wie in Meditation versunkenen Auruunen zu, der das Eindringen eines Fremden eigentlich bemerkt haben musste, dies aber mit keiner Regung zu erkennen gab. Anders als die meisten seiner Artgenossen irrte er nicht brabbelnd durch das Schiff oder wälzte sich in spasmischen Zuckungen, sondern wirkte beinahe zufrieden mit seinem Los, von dem Jarvis nach wie vor nicht sicher sagen konnte, woraus es eigentlich bestand. Irgendetwas hatte, so schien es zumindest, sämtliche Auruunen an Bord in desorientierte Geschöpfe verwandelt, die ohne fremde Hilfe dem Untergang geweiht waren. Und nach Hilfe sah es, gegenwärtig zumindest, nicht aus. Die Treymor hatten genug mit sich selbst zu tun, und manch einer von ihnen wusste sich schon jetzt nicht anders zu helfen, als sich in den Suizid zu flüchten.
Hätte jemand Jarvis eine solche Entwicklung noch vor einem Tag prognostiziert, er hätte ihn für verrückt erklärt. Aber im ganzen Ring schien es keinen Ort der Normalität mehr zu geben, wo die vormaligen Befehlsstrukturen noch Bestand hatten und Auruunen Herr der Lage waren.
Kopfschüttelnd ging Jarvis auf den schwebenden Feind zu. Er musste ihn nicht einmal betäuben, denn auch, als er ihn anhob, leistete der Auruune keinerlei Gegenwehr.
Jarvis’ Gefühlslage drohte, endgültig zu kippen, als ihm bewusst wurde, dass der Feind auf seinen Armen nur eines in ihm auslöste: ein tiefes Gefühl von Mitleid.
Er fühlte sich von der unerwarteten Regung überfahren und hätte den Auruunen am liebsten wieder abgelegt. Aber dann setzte sich sein Pflichtbewusstsein durch, und er sprang .
2.
Erde
––––––––
Reuben Cronenberg war irritiert. Vrongk hatte angedroht, ihn für seinen Verrat in einem Maße büßen zu lassen, wie »er es sich nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen« vorstellen könne. Von dieser ebenso einschüchternden wie starken Aussage war bislang jedoch wenig – nichts! – umgesetzt worden. Nicht dass Cronenberg sich darum gerissen hätte, körperlicher wie psychischer Folter ausgesetzt zu werden. Aber dass rein gar nichts die Gleichförmigkeit seiner Tage unterbrach... nun, irritierte ihn eben. Und es hätte auch jeden anderen irritiert.
Oder ist genau das die Folter?, überlegte er ein ums andere Mal, während der Servo die nächste Mahlzeit verfügbar machte, indem sich ein Wandfach der Zelle öffnete. Cronenberg musste nur hineingreifen und das Tablett herausholen, auf dem ein Teller mit leidlich wohlschmeckender, ganz gewiss aber energiereicher Nahrung und ein Dreiliterbehälter mit frischem Wasser standen, dazu Besteck und Becher.
Nein, Hungers oder Dursts sterben lassen wollte Vrongk ihn offenkundig auch nicht, obwohl es Cronenberg nicht wirklich verwundert oder gar schockiert hätte, wenn dies geschehen wäre. Sogar eine kleine Hygienezelle, in der er sich waschen und seine Notdurft verrichten konnte (alles war auf menschliche Bedürfnisse abgestimmt), hatte man dem Gefangenen zugebilligt.
Noch immer ging Cronenberg davon aus, dass der Frieden, den man ihm zubilligte, nur die Ruhe vor dem großen Knall sein konnte. Aber mit zunehmender Dauer, die er unbehelligt blieb, erwachten auch Zweifel, die es für möglich hielten, dass Vrongk ihn tatsächlich aus seinem Gedächtnis gelöscht hatte und die »lebenserhaltenden Maßnahmen«, mit denen er sich versorgt sah, einzig und allein auf dem Mist irgendeines automatischen Systems wuchsen, das seine Aufgabe bis in die Ewigkeit erfüllen würde.
Ewigkeit. So lange werde ich es hier nicht aushalten.
Wann immer er an diesem Punkt seiner Gedanken angekommen war, fragte er sich, wie es mit seiner Lebenserwartung überhaupt bestellt war.
Als er noch als loyaler Diener gegolten hatte, war ihm von den Auruunen die Gunst gewährt worden, von ihren Medikern aus dem entarteten Zellklumpen befreit zu werden, in dem er zuvor die Jahrtausende überdauert hatte. Und damit nicht genug war sein aufgedunsener Körper sogar adonisgleich neu modelliert und mit einem Geschenk veredelt worden, von dem Croxgk – Vrongks Vorgänger – durchklingen ließ, dass es die relative Unsterblichkeit sei. Relativ deshalb, weil auch ein Unsterblicher nicht gegen gewaltsamen Tod, sei es durch Unfall oder Waffeneinsatz, gefeit war.
Und so verging wieder ein Tag, den Cronenberg nur anhand des Hell-Dunkel-Wechsels in seiner Zelle festmachen konnte.
Ein Tag war wie der andere.
Wenn die Auruunen es nicht zuerst taten, würde ihn irgendwann die Untätigkeit, zu der er verdammt war, umbringen!
Auch wenn das Wesen, das eine andere Zelle des Komplexes bewohnte, kein Mensch war, sondern ein Geschöpf, wie es nur ein einziges Mal im ganzen Universum vorkam, litt auch es unter dem Eingesperrtsein. Taurt hatte eine andere Beziehung zur Zeit als Cronenberg. Er empfand Zeit anders, nicht so quälend. Immerhin konnte er sich, wenn er es denn wollte, in eine Art Winterschlaf versetzen, aus dem er in regelmäßigen Abständen erwachte, um herauszufinden, ob sich an seiner Lage etwas geändert hatte. Oder um anderen vorzugaukeln, er hätte sein Leben ausgehaucht.
Darauf hatte er bislang jedoch noch nicht zurückgegriffen. Dafür war er zu kurz eingekerkert. Außerdem musste er befürchten, dass die Auruunen kurzen Prozess mit ihm machten und ihn entsorgten, wenn sie zu der Überzeugung gelangten, er sei tot.
Keine Ahnung, wie sie ticken. Vielleicht wissen sie es selbst nicht.
Er war noch nie einer Spezies begegnet, die so viele Widersprüche in sich vereinte wie die Tyrannen, die nicht nur Tovah’Zara, sondern offenbar auch ganze Sonnensysteme und Galaxien erobert hatten.
Im Nachhinein verwünschte er sich, weil er geglaubt hatte, dass er das Bündnis mit Cronenberg suchen sollte, um die eigene Effizienz im Kampf gegen die Eroberer zu erhöhen. Letztlich hatte genau diese Allianz dazu geführt, dass sie aufgeflogen waren, beide. Was aus Cronenberg, dem ehemaligen Statthalter der Auruunen im Solaren System, geworden war, vermochte Taurt nicht zu sagen. Bei dem überfallartigen Einsatz der System-Schergen waren sie voneinander getrennt worden. Seither schmachtete Taurt in diesem Raum. Der letzte Kontakt zu einem Auruunen lag bereits länger zurück; bei dieser Gelegenheit war ihm angedroht worden, dass er bis auf Zellebene seziert und ausgewertet werden sollte. Und dass nicht nur seine Körperstruktur analysiert und auseinandergenommen werden würde, sondern mehr noch sein Verstand, sein Geist, seine Persönlichkeit.
Bei jeder anderen Spezies hätte er dies als Säbelgerassel und leere Drohung abgetan. Die Auruunen hatten jedoch in der Vergangenheit bewiesen, wie skrupellos und zugleich konsequent sie gegen jedermann vorgingen, der aus ihrer Sicht ein Hindernis in ihren Plänen darstellte. Manch ein Bewohner des Aquakubus hatte das leidvoll erfahren müssen; zuletzt war Taurt mit einigen wenigen Rebellen, die seine Einschätzung und Ziele teilten, in den tiefsten Untergrund gezwungen worden. Sie hatten gehofft, dass sich die Lage – vor allem die Hatz nach ihnen – wieder beruhigen würde. Stattdessen war eine nie für möglich gehaltene Katastrophe eingetreten. Irgendjemand, aller Wahrscheinlichkeit nach die Auruunen oder ihre Handlanger, die Treymor, hatten sturzflutartig Wassermassen aus dem Kubus gezogen. Von der dabei entstehenden Strömung war auch das Versteck der Rebellen betroffen gewesen. Niemand wusste, wie ihm geschah, als der Sog sie mitriss – und niemand außer Taurt überlebte den schrecklichen Akt, der – wie er im Nachhinein erfuhr – einem einzigen Zweck diente: die Becken eines Riesenplaneten, der zuvor von den Auruunen künstlich modelliert worden, aber zu diesem Zeitpunkt noch eine Steinwüste gewesen war, aufzufüllen und Meere und Ozeane zu bilden.
In einem dieser Ozeane hatte Taurt sich wiedergefunden. Nur sein besonderer und einzigartiger Metabolismus hatte dazu geführt, dass er nicht das Schicksal der anderen Kubusbewohner teilen musste, die mit ihm aus der Heimat geschwemmt worden waren. Niemand sonst hatte den Schock überlebt, der mit dem Transfer der Wassermassen einherging. Niemand!
Ob Tovah’Zara überhaupt noch existierte, wusste er nicht mit Sicherheit, auch wenn Cronenberg diese Meinung vertreten hatte. Aber Taurt hatte keine Zweifel, dass die Auruunen auch ihren menschlichen Vasallen täuschten, wo und wann immer sie sich einen Vorteil davon versprachen. Deshalb war diese Behauptung mit Vorsicht zu genießen.
Aber selbst wenn Tovah’Zara noch existierte, standen die Chancen einer Rückkehr schlechter denn je. Einmal in die Fänge der Tyrannen geraten, würden sie ihn nicht wieder loslassen.
Wie an jedem anderen Tag seit seiner Einkerkerung schritt Taurt die Wände seiner Zelle ab und sann unentwegt darüber nach, warum sich niemand mehr um ihn kümmerte. Warum niemand die Drohung wahr machte, die gegen ihn ausgesprochen worden war.
Was hielt die Auruunen davon ab, ihn in seine kleinsten Einzelteile zu zerlegen und sein Bewusstsein inklusive Gedächtnis durch tausend Filter zu leiten, um auch noch den letzten Krümel Wissen, der daran haftete, zu destillieren und für ihre Zwecke auszuwerten?
Je länger der Status quo andauerte, desto klarer wurde Taurt, dass etwas passiert sein musste, das die Prioritäten der Auruunen schlagartig verlagert hatte oder ihre ganze Aufmerksamkeit beanspruchte, sodass für den Gefangenen keine Zeit und keine Kapazitäten mehr blieben.
Aber was?
Er fand keine Antwort. Und irgendwann war er überzeugt, dass er noch tausend Jahre im Kreis hätte gehen können und trotzdem keine Antwort auf die drängendste aller Fragen finden würde.
Nicht, solange ich hier drinnen eingesperrt bin.
Und vom Moment dieser Erkenntnis an bis zu dem, dass er aktiv wurde, um an seinem Los etwas zu ändern, war es nur ein klitzekleiner Schritt.
Taurt entschied, dass, wenn sein qualvoller Tod beschlossene Sache zu sein schien, er im Grunde nichts zu verlieren hatte. Und so zermarterte er sich das Gehirn – das bei ihm anders als etwa bei Auruunen oder Menschen nicht im Schädel saß, sondern über jedes Protopartikel seines Körper verteilt war –, um einen Weg aus der Gefangenschaft heraus zu finden.
Letztlich kam ihm der Zufall zu Hilfe. Aber das hielt Taurt nicht davon ab, die erste sich bietende Gelegenheit beim Schopf zu packen.
Die Tür glitt auf. Taurt wurde davon völlig überrascht, weil es nicht das kleinste Vorzeichen gegeben hatte. Statt des erwarteten Auruunen trat jedoch ein insektoides Wesen ein, ein Treymor.
Der Treymor orientierte sich sofort in Taurts Richtung, machte aber alles in allem einen höchst seltsamen Eindruck. Schon seine bloße Gangart unterschied sich von allem, was Taurt bei dieser Spezies bis dato beobachtet hatte. Er humpelte und wiegte dabei den Oberkörper hin und her, als wäre er ein Halm, der sich in ständig wechselnden Winden bog. Als er zu sprechen anfing, benutzte er das Idiom, das auch die Auruunen im Umgang mit ihren Untergebenen verwendeten.
»Du!«, knirschte es aus seinem Mund. »Was hast du gemacht ?!«
Für einen Moment überlegte Taurt, ob er überhaupt antworten sollte. Derweil wankte der Treymor näher, und erst jetzt fiel Taurt der stabartige Gegenstand auf, den er in einer seiner Gliedmaßen hielt. Er war klein und unscheinbar, und es war mehr ein Gefühl denn Wissen, das Taurt verriet, dass es sich dabei um eine Waffe handelte.
»Gemacht?«, erwiderte er schließlich. »Du meinst, warum ich deinen geliebten Herren Schaden zufügen wollte?«
Der Treymor blieb zwei Schritte von Taurt entfernt stehen und gestikulierte in einer Weise, die Taurt wie eine Verneinung vorkam. Dazu passten die folgenden Worte: »Nicht zufügen wolltest – zugefügt hast ! Mach das rückgängig. Sofort! Sonst...«
Obwohl Taurt nicht wusste, worauf der Besucher anspielte, überkam ihn wilde Hoffnung als Vorstufe noch wilderer Genugtuung. Sollte die Saat, die er ausgebracht hatte, doch noch gefruchtet haben? Die winzigen, sporenartigen Ableger seiner selbst, mit denen er eine große Zahl von Fraktalen »geimpft« hatte, um sie quasi zu konditionieren – sie in Schläfer zu verwandeln, die irgendwann erwachen und gegen die Besatzer dieses Planeten (und des Kubus!) vorgehen würden.
War das geschehen, während er hier isoliert gehalten worden war? Er hatte die in den Protosporen verankerten Befehle so gehalten, dass die davon Betroffenen als autarke Einheiten handeln konnten und sollten. So unkonkret wie möglich hatte er ihnen einfach nur eingegeben, den Auruunen situationsbedingt den größtmöglichen Schaden zuzufügen.
Nachdem das KRISTALLARIUM der Auruunen scheinbar einem Anschlag zum Opfer gefallen war, hatte Cronenberg ihn aufgesucht und geglaubt, dass die von Taurt präparierten Fraktalen dafür verantwortlich seien. Leider hatte sich dies als List der Auruunen erwiesen, beziehungsweise ihres Anführers Vrongk.
Haben ihn unsere Vorkehrungen doch noch eingeholt? Taurt versuchte, sich vorzustellen, was die Fraktalen, bei denen die Spore aktiviert worden war, angerichtet haben könnten. Doch ihm fehlte bislang jeglicher Hinweis, auf dessen Basis eine Spekulation möglich gewesen wäre.
»Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Lüge!«
Der Treymor tänzelte vor ihm hin und her. Immer wieder richtete der Vasall der Auruunen den Stab, den er festhielt, mit der vorderen Spitze auf Taurt, sodass der ehemalige Tovah’Zara-Bewohner jederzeit damit rechnete, dass sich ein wie auch immer gearteter Schuss daraus löste.
»Du irrst«, versuchte er, den Insektoiden zu beruhigen. »Wie sollte ich deinen Herren etwas angetan haben? Ich bin hier seit Tagen eingesperrt. Du musst mir schon sagen, was du mir vorwirfst, damit ich dazu Stellung beziehen kann.«
Ein fauchendes Geräusch löste sich aus dem Rachen des Treymor. »Ich töte dich. Wenn du tot bist, wird alles gut...«
Taurt wurde bewusst, dass er nicht einfach nur einen höchst erregten Vertreter dieser Spezies vor sich hatte, sondern höchstwahrscheinlich einen, dem irgendetwas den Verstand geraubt hatte. Vielleicht war irgendeine Art von Droge im Spiel. Aber warum schritten die Auruunen nicht ein? Oder war alles nur gespielt, ein Test?
Taurt blickte unwillkürlich zu der immer noch offenen Tür. Würden gleich Auruunen hereinkommen, um alles aufzuklären?
Tatsächlich drangen von draußen Laute herein – allerdings keine, die Taurt hätte zuordnen können.
Als der Treymor vor ihm erbebte und auch noch eine zweite Gliedmaße zu Hilfe nahm, um die mutmaßliche Waffe in den Klauen zu halten – so, als wollte er ein Übergreifen seines Zitterns auf den Stab unterbinden -, ahnte Taurt, dass die Zeit leerer Drohungen vorbei war. Der Treymor würde schießen. In spätestens...
Taurt handelte. Er hatte nur eine Chance, wenn er dem Insektoiden zuvorkam . In Kniehöhe bildete er einen Protoableger aus. Zunächst nur einen Faden, der mit dem bloßen Auge kaum erkennbar, aber dennoch hoch robust war. Und diesen Faden...
... ließ er wie eine Peitschenschnur nach oben schnellen, wickelte ihn um den Stab...
... und entriss ihn dem verdutzten Insektoiden.
Mit einem Ruck beförderte er die eroberte Waffe in eine seiner Hände und richtete das Ende, das zuvor auf ihn gezeigt hatte, nun auf den Treymor. »Da staunst du, was? So schnell ändern sich Positionen... Und jetzt reden wir Klartext. Ich will wissen, was in dich gefahren ist – warum du mich umbringen wolltest.« Er machte eine kurze Pause, ehe er hinzufügte: »Natürlich weiß ich, dass ich für deine Herren mein Leben verwirkt habe, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass du in offiziellem Auftrag gehandelt hast. So stümperhaft, wie du hier hereingekommen bist...«
Der Treymor ließ keinen Zweifel daran, dass ihm an einer Aufklärung der Lage nicht gelegen war. Mit einem gutturalen Schrei warf er sich Taurt entgegen, der den reflexartig auf den Sensor drückte, über dem während seiner Drohgebärden permanent eine Gliedmaße des Insektoiden geschwebt hatte.
Etwas zuckte aus dem Abstrahlpol des Stabs hervor und prallte gegen den Treymor. Es sah aus wie ein schattenhaftes Gespinst, das auseinanderfächerte und sich um den kompletten Körper des Insektoiden legte. Der Schatten überwucherte alles. Vor Taurts Augen blitzte es schwarz auf – und nach der Verpuffung war weder von dem, was die Waffe verlassen hatte, noch von dem Treymor auch nur das Geringste zu sehen. Nicht einmal Ascheflocken. Dafür schwebte das Echo eines verzweifelten Schreis im Raum.
Taurt ließ den Stab fallen – eine irrationale Reaktion, aber darüber machte er sich keine Gedanken. Die Sorge, die Tür seines Gefängnisses könnte sich nach dem Auflösungsprozess, der den Treymor befallen hatte, wieder schließen, drängte ihn zur überstürzten Flucht.
Als er auf den Korridor stürmte, prallte er fast mit einem Auruunen zusammen, der jedoch keinerlei Anstalten machte, etwas gegen Taurt zu unternehmen. Er krabbelte auf allen vieren über den Boden und gab jene Geräusche von sich, die Taurt schon von drinnen gehört hatte, aber nicht zuordnen konnte. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass der Auruune noch unerklärlicher agierte als der gerade getötete Treymor.
»Steh auf!«, herrschte Taurt den Auruunen an. »Was geht hier vor sich? Warum benehmt ihr euch so...« Er suchte nach dem passenden Wort.
Als er hinter sich blickte, stand die Tür, durch die er geflohen war, immer noch offen. Unmittelbar daneben gab es ein Tableau, in das eine Bildfläche integriert war, durch die der Blick in die Zelle wie durch ein Fenster möglich war. Von der Zellenseite her war davon nichts zu bemerken gewesen.
Der Angesprochene reagierte nicht auf seine Aufforderung. Aber die Überzeugung in Taurt wuchs, dass dies keine Farce, sondern wundersame Wirklichkeit war: Dem Auruunen ging es schlecht. Und vielleicht nicht nur diesem einen, denn von fern drangen Laute zu ihm, die denen dieses Tyrannen stark ähnelten. Ein seltsamer Gedanke blitzte in Taurt auf : Er benimmt sich wie ein Tier. Ein angeschlagenes Tier, das nicht weiß, wie es sich in dieser Umgebung, in dieser Situation verhalten soll.
Aber das war verrückt. Es gab Krankheiten, die aus denkenden Wesen hilflose Kreaturen machten. Meist neuronale Erkrankungen. Ein wenig kannte Taurt sich damit aus. Auch die Völker Tovah’Zaras, als deren Hüter er sich stets verstanden hatte, waren gegen solcherlei Schicksalsschläge nicht gefeit. Aber dass es auch Auruunen treffen könnte, hätte Taurt bis vor einer Minute noch für undenkbar gehalten.
Auruunen!
Nach allem, was er an Großleistungen von ihnen gesehen hatte - nur hier schon, auf dieser seltsamen Steinkugel, die von ihnen in eine vor Leben strotzende Biosphäre verwandelt worden war -, traf ihn der Anblick des kriechenden, hilflosen Tyrannen wie ein Keulenhieb, obwohl es ihm auch eine unbeschreibliche Genugtuung bereitete. Nach allem, was sie Unschuldigen angetan hatten. Nach all den Gräueln, die sie ihre Schergen (die Treymor!) im Kubus hatten begehen lassen!
»Bist du wirklich so hilflos, oder...?«
Taurt entschied sich für den ultimativen Test, ob nicht doch nur ein perfider Test all dies für ihn inszenierte. Wieder bildete sein Körper Ableger aus, begnügte sich aber nicht mehr mit fadendünnen Strängen, sondern daumendicken, die zudem an den Enden dolchspitz ausliefen. Und diese Spitzen drosch er förmlich ins Fleisch des sinnlos brabbelnden Auruunen, bohrte sie tief in den Leib des Tyrannen und wühlte darin, ohne Rücksicht auf den Schaden, den er anrichtete.
Der Auruune bäumte sich brüllend auf und versuchte, die tentakelartigen Stränge aus seinem Fleisch zu reißen, aber dazu reichten seine Kräfte nicht. Zumal sie rasend schnell erlahmten. Aus etlichen Wunden quoll zähes, grünlich schimmerndes Blut, während Taurt nicht müde wurde, ihn für alles büßen zu lassen, was er und sein Volk dem einst stolzen Tovah’Zara angetan hatten. Schließlich sackte der Auruune in sich zusammen und starb. Und erst als das geschehen war – als Taurt felsenfest davon überzeugt war, mit seinen vielen Ausläufern nurmehr in einem Leichnam zu stecken, zog er sich aus ihm zurück.
Noch eine ganze Weile verharrte er neben dem Toten, als erwarte er, dass dem Tod des Tyrannen eine Reaktion folgen müsste . Doch nichts geschah.
Und so setzte Taurt seinen Weg schließlich entlang des Korridors fort. Lauschte den Tönen, die Musik in seinen Ohren waren, weil sie bezeugten, dass etwas geschehen war, was sich die Auruunen nie hätten träumen lassen.
Es hat lange gedauert, aber vielleicht hat euch nun doch die gerechte Strafe ereilt.
Cronenberg staunte nicht schlecht, als sich das Schott seiner Zelle in die Wand schob und eine Gestalt in der Öffnung erschien, mit der er als Allerletztes gerechnet hätte.
»Taurt?«
»Du wirkst überrascht.«
»Mach keine blöden Witze! Sollst du mir in der Zelle Gesellschaft leisten?«
»Willst du denn hier bleiben?«
Cronenberg war launige Kommentare vonseiten des Protowesens gewohnt. Aber hier trieben sie ihn zur Weißglut. Er wartete darauf, dass sich die Zellentür wieder schloss – oder dass Taurt wenigstens jemand folgte, der ihnen eine Erklärung lieferte, warum sie wieder zusammengeführt worden –
Cronenbergs Gedanken kamen jäh ins Stocken. Hier stimmt was nicht . Die Tür war immer noch offen, und nach Taurt betrat niemand mehr den Raum. Zudem hatte das Protowesen nur zwei, drei Schritte in die Zelle gemacht. Es hatte fast den Anschein, als hätte es nur kurz Hallo sagen wollen und wäre bereits wieder dabei, sich aus der Zelle heraus zu orientieren.
»Was geht hier vor?«, fragte Cronenberg heiser. »Schickt Vrongk dich?«
Taurt ahmte menschliche Verhaltensmuster nach und schüttelte den Kopf. »Niemand schickt mich.«
»Und wie kommst du herein?«
»Ich sah dich im Vorbeigehen und war der Meinung, dass du nicht abgeneigt wärst, dich mir anzuschließen.«
Cronenberg beäugte Taurt misstrauisch. »Wie ich schon sagte: Mach keine blöden Witze! Du bist mal eben so vorbeigekommen... Auf den Arm nehmen kann ich mich allein!«
»Komm mit.« Taurt verließ die Zelle und winkte ihm dabei, ihm zu folgen. »Ich zeige dir etwas, das dich interessieren wird.«
Cronenberg war so baff, dass er Taurt tatsächlich folgte – wobei er jeden Moment damit rechnete, von einem herbeieilenden Wächter auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt zu werden.
3.
Scharan, Zentrum
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Was für eine schreckliche Wunde , dachte das Hologramm und fragte sich, ob die Mittel der Tridentischen Kugel denn wirklich ausreichen würden, sie zu schließen oder gar so verheilen zu lassen, dass die vergewaltigte Galaxie, in deren Zentrum sie schwärte, allmählich wieder in den Zustand vor der Heimsuchung zurückfinden würde.
Rogar – beziehungsweise die Perlen-KI, die wie ein stetes Echo in ihm und den anderen holografischen Bractonen pochte – war so innig mit der maschinellen Seele der Perle vernetzt, dass er keinen Bildschirm benötigte, um die grausig schöne Verletzung sehen zu können, die die Jenseitigen dem Diesseitigen zugefügt hatten.
Rogar hätte selbst nicht zu sagen vermocht, welche Notwendigkeit hinter seiner Erschaffung stand. Im Grunde hätte die SEELE die Aufgabe, die vor ihnen lag, auch ohne seine und die Hilfe der anderen Scheinbractonen bewältigen können. Aber er befürwortete die Entscheidung von dem Moment an, da er sich seines Seins bewusst wurde.
Dass er über sich selbst reflektieren konnte, verwunderte ihn nicht weiter, weil er es für selbstverständlich nahm. Und auch, weil etwas in ihm davon ausging, dass auch die SEELE in der Lage war, sich selbst zu hinterfragen und über die rein logischen Denkprozesse hinaus auch Faktoren mit einzubeziehen wie Emotion, Erfahrungswerte, Irrationalität und sich abzeichnende Entwicklungen.