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Rechtfertigung und Neues Sein stellen zwei Stichworte dar, in denen sich die Theologie Paul Tillichs brennpunktartig verdichtet. Die Begriffe signalisieren einerseits den Anschluss an die protestantische Lehrtradition, andererseits deren Umformung vor dem Hintergrund der Moderne. Mit dem frühen Aufsatz "Rechtfertigung und Zweifel" (1924) sowie dem späten "Das Neue Sein als Zentralbegriff einer christlichen Theologie" (1955) werden in dem Band zwei Schlüsseltexte Tillichs kommentierend erschlossen, die ins Zentrum seiner Theologie führen und sein Ringen um eine modernegemäße Fassung des christlichen Glaubens sowie der Theologie dokumentieren. [Justification and New Being] Justification and New Being are two main concepts in Paul Tillich's theology. The concept of justification on the one side shows Tillich's theology against the background of the Lutheran theological tradition – the new being on the other side includes the horizon of problems in modernity. This book presents with the early article "Justification and Doubt" (1924) and the late essay "The Importance of New Being for Christian Theology" (1955) two main works from Tillich with a close interpretation. Both texts make clear how Tillich works on a modern interpretation of the Christian faith and a modern theology.
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Seitenzahl: 191
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Paul Tillich
Rechtfertigung und Neues Sein
Herausgegeben und kommentiert von Christian Danz
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <www.dnb.de> abrufbar.
© 2018 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig
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Cover: Makena Plangrafik, Leipzig
Satz: Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018
ISBN 978-3-374-05675-0
www.eva-leipzig.de
Rechtfertigung und Zweifel sowie Das Neue Sein als Zentralbegriff einer christlichen Theologie sind zwei grundlegende Texte Paul Tillichs. In ihnen bündelt sich brennpunktartig sein Verständnis von Theologie. Die hier vorgelegte Edition erläutert die beiden aus unterschiedlichen Werkphasen stammenden Aufsätze vor dem Hintergrund der werkgeschichtlichen Entwicklung von Tillichs Denken und ordnet sie sowohl problem- als auch debattengeschichtlich ein.
Ohne Unterstützung wäre der Band nicht zustande gekommen. Friedrich Schumann (Wien) danke ich für die Besorgung von Materialien aus dem Tillich Nachlass in Cambridge/Massachusetts. Jakob Lissy und Emil Lusser (beide Wien) haben dankenswerter Weise die Edition der beiden Texte an den Erstdrucken überprüft. Meiner Frau Uta-Marina habe ich für alle Hilfen und Unterstützungen bei der Ausarbeitung der Kommentierungen zu danken. Dietrich Korsch, einer der beiden Herausgeber der Großen Texte der Christenheit gab die Anregung zu diesem Band. Ihm danke ich ebenso wie der Evangelischen Verlagsanstalt für die gute Zusammenarbeit.
Christian Danz
Wien, Mai 2018
Paul Tillich 1944. © gettyimages -5049174.
Cover
Titel
Impressum
ADie Texte
A1 Rechtfertigung und Zweifel (1924)
I.Der Hervorgang des Zweifels aus der Rechtfertigung als Prinzip
II.Der Zweifler und seine Rechtfertigung
III.Theologische Umschau
IV.Die Konsequenzen der Rechtfertigung des Zweiflers
A2 Das Neue Sein als Zentralbegriff einer christlichen Theologie (1955)
BErläuterungen
B1 Zu »Rechtfertigung und Zweifel«
1. Zum Text
2. Zur Geschichte
3. Zur Erklärung
3.0Themenexposition: Die Bedeutung der Rechtfertigungslehre für die Theologie
3.1Der Hervorgang des Zweifels aus der Rechtfertigung als Prinzip
3.1.1Religion als Durchbruch und Realisierung
3.1.2Der Protestantismus und seine moderne Entwicklung
3.2Der Zweifler und seine Rechtfertigung
3.2.1Zweifel und moderne Kultur
3.2.2Kritik der Apologetik
3.2.3Die Struktur der Grundoffenbarung
3.3Theologische Umschau
3.3.1Christozentrische Fassungen des Offenbarungsbegriffs
3.3.2Universale Fassungen des Offenbarungsbegriffs
3.4Die Konsequenzen der Rechtfertigung des Zweiflers
3.4.1Der Wahrheitsglaube und seine Realisierung
3.4.2Grund- und Heilsoffenbarung
3.4.3Universaler Protestantismus
B2 Zu »Das Neue Sein als Zentralbegriff einer christlichen Theologie«
1. Zum Text
2. Zur Geschichte
3. Zur Erklärung
3.1Das Sein und das Neue
3.1.1Der theologische Zirkel
3.1.2Die Funktion des Seinsbegriffs
3.1.3Das Neue
3.2Theologie des Neuen Seins
3.2.1Gottesgedanke und Neues Sein
3.2.2Das Neue Sein der Erlösung
3.2.3Das Neue Sein der Wiederherstellung
3.2.4Das Neue Sein und die Gemeinschaft
3.2.5Das Neue Sein der Erfüllung
CAnhang
Literatur
Zeittafel
Die Frage, die unser Thema uns stellt, ist folgende: Welche Bedeutung hat die Rechtfertigung, das Durchbruchsprinzip des Protestantismus, gegenüber dem Zweifel an seinen Voraussetzungen? – Wenn unbestreitbar ist, daß unsere gesamte gegenwärtige Lage bestimmt ist durch diesen Zweifel, durch den Verlust der Voraussetzungen des Rechtfertigungsglaubens, so kann die Frage auch so gestellt werden: Was hat der articulus stantis et cadentis ecclesiae dem gegenwärtigen Protestantismus in seiner der Reformation gegenüber fundamental veränderten Lage zu sagen?
Die so gestellte Frage ist nicht identisch mit der von Holl aufgeworfenen, was die Rechtfertigung dem modernen Menschen zu sagen habe. Auf diese Frage können nur individuelle Antworten gefunden werden, und wohl nur selten positive. In der Verständnislosigkeit gegenüber der reformatorischen Fassung der Rechtfertigung sind Gebildete, Proletariat und Jugend einig. Die kirchlich pietistischen Kreise aber sind nicht für unsere Geisteslage, nicht einmal nach ihrer religiösen Seite hin maßgeblich. Das sind immer nur die vorwärtstreibenden, Ausdruck und Symbol schaffenden Kräfte. Außerdem steht gerade bei jenen Kreisen das Prinzip der Rechtfertigung nicht im Vordergrund.
Diese Bemerkung führt uns zu der eigentümlichen Tatsache, daß unsere Frage nicht eigentlich als Lebensfrage empfunden wird. Längst war ja neben das Durchbruchsprinzip des Protestantismus als »Formalprinzip« die Schrift getreten und darüber die Rechtfertigung mit dem späten Ehrennamen »Materialprinzip« beiseite geschoben. Denn es kann nicht zwei Prinzipien geben: Prinzipium ist Herrschaft. Die Herrschaft aber hatte unter uns die Schrift, und als der Widerspruch gegen die Schrift und Lehrautorität sich durchgesetzt hatte, die religiöse Autonomie, der entleerte Schatten der Rechtfertigung. Hier liegen die Wurzeln der gegenwärtigen communis opinio von der wesensmäßigen Unzulänglichkeit des Protestantismus. Es ist das Verdienst der wissenschaftlichen Lutherrenaissance, das protestantische Durchbruchsprinzip rein erfaßt zu haben. Aber das ist zunächst Wissenschaft. Religiös erheblich kann nur eine Verkündigung der Rechtfertigung sein, die das reformatorische Durchbruchsprinzip auch als Druchbruchsprinzip unserer Geisteslage kund tut. Diese aber ist bestimmt durch den Verlust der Voraussetzungen, die Mittelalter und Reformation gemeinsam hatten: der Gottesgewißheit, und damit der Gewißheit der Wahrheit und des Sinnes. Diese Frage führt uns in das Zentrum der gegenwärtigen theologischen Debatte.
I.Der Hervorgang des Zweifels aus der Rechtfertigung als Prinzip
Die Unmöglichkeit einer religiösen Lutherrenaissance ist darin begründet, daß der Weg von der Rechtfertigung zu dem Zweifel an ihren Voraussetzungen ein notwendiger war. Es handelt sich nicht einfach um einen Sündenfall des Protestantismus, wie es sich – das ist die Konsequenz, der wir endlich klar ins Auge sehen müssen – nicht einfach um einen Sündenfall des Christentums handelte, als es sich vom Paulinismus der Rechtfertigungslehre wegentwickelte. Zum mindesten müßte dann dieser Sündenfall schon bei Paulus selbst und erst recht im übrigen neuen Testament erfolgt sein. – In Wirklichkeit steht hinter dieser Entwicklung die innere Spannung der Religion selbst, die bei Paulus und Luther als Polarität von Gesetz und Evangelium erscheint und die gegenwärtig in der »dialektischen Theologie« als Gegensatz von Religion und Offenbarung bezeichnet wird. Bei den Genannten kam alles auf die Verkündigung des Gegensatzes an. Sehen wir aber genauer zu, so finden wir überall, daß der Gegensatz kein einfacher ist. Das negative Verhältnis wird dadurch zugleich positiv, daß das, was sich gegenübersteht, sich zugleich gegenseitig bedingt. Rechtfertigung, Gnade und Offenbarung sind Durchbruchsbegriffe, Begriffe, in denen ein Dennoch enthalten ist, in denen aber das, was durchbrochen ist, zugleich vorausgesetzt wird. Das Gesetz, d. h. die Religion als göttliche Forderung ist die ständige immanente Voraussetzung für die Offenbarung des Evangeliums. Nur derjenige kann die Botschaft von der Rechtfertigung gläubig aufnehmen, der die unbedingte Verpflichtung zur Gerechtigkeit vor Gott kennt. Es bedurfte aber Jahrhunderte jüdischer Gesetzesverkündigung, um in Paulus die Gewalt dieser Unbedingtheit zu schaffen. Und es bedurfte Jahrhunderte des Mönchstums und des Bußsakraments, um das gleiche in Luther zu wirken. Das Gesetz, die Predigt der Gerechtigkeit vor Gott, ist die Voraussetzung der Rechtfertigung, die Religion die Voraussetzung der Offenbarung, das Katholische als Prinzip ist die Voraussetzung des Evangelischen als Prinzip, und zwar die konstante immanente Voraussetzung.
Das führt nun aber sofort zu einer Umkehrung des Satzes: Die Gnade ist die ständige Ursache von Gesetz, das evangelische Prinzip von katholischer Wirklichkeit, die Offenbarung von Religion. Das ist nicht Sündenfall, sondern Realisierung, und hat nicht mehr, freilich auch nicht weniger Sünde in sich, als eben jede Realisierung. Was Gnade an der Realisierung ist, das ermöglicht alles Leben und Glauben und jede Schöpfung in Kultur und Religion. Was Sünde an der Realisierung ist, das wodurch sie bloß Gesetz, bloß Religion, bloß katholisch wird, das treibt zu neuen Durchbrüchen der Gnade. Die Sünde aber aller Realisierung ist die, daß das Aufnehmen der Gnade zu einem Bewirken der Gnade wird. In der gesamten Religionsgeschichte findet sich diese Mischung von Gnade und Gesetz, die die Gnade dem Gesetz unterordnet und um derentwillen es berechtigt ist, vom Standpunkt des Durchbruchs in Christo aus die gesamte Religionsgeschichte als Gesetz dem Evangelium entgegenzustellen. Denn hier allein ist keine Mischung, sondern die reine, das Gesetz und die Religion und den Katholizismus aufhebende Tat Gottes anschaubar.
Was für die Religionsgeschichte gilt, das gilt für die Kirchengeschichte. Sie ist Realisierung, und darum muß auch sie Gesetz und Religion und katholisch werden. Eine Betrachtung der Dogmengeschichte vom Neuen Testament an bis zur Gegenwart unter diesem doppelten Gesichtspunkt des Durchbruchs und der Realisierung würde die kleinliche und vielfach überhebliche Art der Dogmenhistorie überwinden, die anstatt die Realisierung zu verstehen in all ihren Spannungen, nur den Sündenfall sucht und ihn schon überall da findet, wo es sich um Realisierung handelt. Das gilt für das griechische Dogma so gut wie für die Scholastik, für Augustin, die machtvollste Einheit von Durchbruch und Realisierung, wie für Melanchton und Calvin. Die bisherige protestantische Dogmengeschichte ist wesentlich eine solche vom Standpunkt des Durchbruchs, wir brauchen aber eine solche vom Standpunkt der Spannung von Durchbruch und Realisierung.
Es besteht nun aber ein entscheidender Unterschied bezüglich dieser Spannung zwischen Urchristentum und Protestantismus. Jenes hat den entscheidenden Durchbruch der Gnade unmittelbar aufgenommen. Auch die Paulinische Antithese gegen das Gesetz hinderte nicht, daß die Gnade sofort religiös realisiert wurde in Christusmystik, Sakrament und Ethos. Das antigesetzliche Korrektiv war nicht das Ganze, im Neuen Testament nicht und vollends nicht in der Heidenchristenheit. Bei Luther erging der Widerspruch gegen die sich selbst unbedingt setzende katholische Realisierung, die durch ihre ahierarchischea Form jede Wirksamkeit des Korrektivs immer mehr unmöglich machte. Infolgedessen liegt im Protestantismus ein reflektiertes Verhältnis zur Realisierung überhaupt, zur Religion und zum katholischen Prinzip vor. Eben darum wurde die Überwindung des Gesetzes hier zum »Protestantismus«, d. h. aber zur Verneinung der Realisierung und damit zur grundsätzlichen Verneinung der eigenen Voraussetzung. Und doch konnte es nicht ausbleiben, daß auch hier die Realisierung versucht wurde; Melanchtons Lehrgesetz, sein autoritatives Lehramt und seine kirchlich geleitete humanistische Kultur, Luthers Sakramentslehre und Christusmystik, Calvins in der Schrift offenbartes Kirchengesetz, das alles sind die protestantischen Realisierungsformen, d. h. diejenigen Formen, durch die der Protestantismus als Religion, als Kirche, als Gesetz möglich wurde.
Aber der eigentliche Inhalt der Verkündigung bleibt trotz aller Nebenwirkungen im Luthertum die Rechtfertigung, im Calvinismus die Erwählung. Nun aber ist sie, die Durchbruch war, Lehre geworden, also ein Ding, ein Gegenstand, von dem man weiß, also das, was ihrem Charakter am meisten zuwider ist: Man weiß um das, was absolut die Überraschung, Paradoxie und Durchbruch ist. In der alten Kirche hörte man auf, darum zu wissen. Man ruhte in der Unmittelbarkeit des Gnadenbesitzes und ließ darum trotz alles gesetzlichen und katholischen Sündenfalls das Prinzip des Durchbruchs unintellektualisiert. Im Protestantismus aber wird es in dem Augenblick, wo es zur Lehre objektiviert wird, bei Seite gedrängt. In den Vordergrund rücken in wechselseitiger Bekämpfung Schrift und Autonomie. Gott und sein Handeln werden zum Regulativ des Weltbewußtseins, das jederzeit bereit liegt, die im Sündengefühl liegenden Hemmungen zu beseitigen. Mit der dadurch erreichten Schwächung der Sündenfurcht und des Schuldbewußtseins tritt der Vorsehungsgedanke hervor, der gleichfalls zu einem Regulativ des Weltverhältnisses wird. Gott war Regulativ und Grenzbegriff geworden, noch ehe Kant die Formulierungen gab, die dann von den Theologischen Kantianern in die Theologie eingeführt wurden.
Das autonome Bewußtsein, die Loslösung von der religiösen Unmittelbarkeit, von der gesamten Sphäre der Realisierung war da. Der Humanismus, die rationale, autonome und gesetzliche Form des Gottesgedankens, die Melanchton zur Basis gemacht hatte, wurde das Ganze. Sie konnte es aber nur werden, weil Gott durch die Objektivierung des Durchbruchsprinzips bei Seite gedrängt, zu einem Gegenstand, einer Grenze, einem Regulativ gemacht war. Reaktionen gegen diese Entleerung gingen von katholischen Elementen aus: Dem Pietismus, der die Sphäre der Furcht wieder schaffen will, und es doch nicht kann, weil er zu diesem Zweck das Prinzip, zu dem er hinführen will, die Gnade, zeitweise außer Kraft setzen muß, von der Mystik, die eine neue Unmittelbarkeit zu schaffen sucht und in der idealistisch-romantischen Reaktion weithin geschaffen hat, wenn auch ohne dauernden Erfolg.
Wo Gott zum Regulativ geworden ist, da kommt der Zweifel zu religionsgeschichtlicher Bedeutung. Er läuft nicht mehr nebenher als Zufallsache, die man sittlich bekämpfen kann, er tritt ins Zentrum, er ist der Ausdruck der zerrissenen Unmittelbarkeit des Religiösen, der völligen Unterdrückung des mystischen oder katholischen Prinzips. Der Weg der Autonomie aber ist dieser: Im ersten Stadium ist das Erbgut religiöser Unmittelbarkeit noch schöpferisch wirksam. Im zweiten Stadium sucht eine formale Autonomie die Wahrheit zu erweisen, im dritten Stadium ist die Unmöglichkeit dieses Weges erkannt, der Zweifel an Gott wird zum Zweifel an der Wahrheit selbst und damit in letzter Vertiefung zum Zweifel an dem Lebenssinn überhaupt. Diese Entwicklung aber bedeutet: Wird der Durchbruch statt zum Korrektiv zum Prinzip erhoben, unter Verneinung der Realisierung, so geht mit der Realisierung zuletzt auch das Prinzip verloren. Der articulus stantis et cadentis ecclesiae wird zum articulus stantis salutis et cadentis ecclesiae. Wie aber, wenn doch in einem Sinne Wahrheit ist, das: extra ecclesiam nulla salus?
II.Der Zweifler und seine Rechtfertigung
Der Zweifler im religiös bedeutungsvollen Sinn ist derjenige Mensch, der mit dem Verlust der religiösen Unmittelbarkeit Gott, die Wahrheit und den Lebenssinn verloren hat, oder auf irgend einem Punkte des Weges zu diesem Verlust steht, und doch nicht in diesem Verlust ausruhen kann, sondern getroffen ist von der Forderung, Sinn, Wahrheit und Gott zu finden. Der Zweifler ist also derjenige, den das Gesetz der Wahrheit mit seiner ganzen rücksichtslosen Gewalt gepackt hat, und der, da er dieses Gesetz nicht erfüllen kann, der Verzweiflung entgegengeht. Der Zweifler befindet sich also in der Lage dessen, der an seinem Heil verzweifelt, nur daß für ihn das Unheil nicht das Verwerfungsurteil Gottes, sondern der Abgrund der Sinnleere ist.
Der Versuch, den radikalen Zweifel in die ethische Sphäre abzuschieben, ihn als einen Versuch zu werten, Gott entrinnen zu wollen, ist durchaus irrig. Es ist ein Versuch, dem Zweifel seinen Ernst zu nehmen. Aber der Zweifel steht in der theoretischen Sphäre unter dem gleichen Ernst wie die Heilsungewißheit in der praktischen. Der Zweifel ist der Kampf um das Teilhaben an dem unbedingten Lebenssinn, an der unbedingten Wahrheit. Ein Kampf, der in sich selber durchgekämpft werden muß, soll er nicht zur Verzweiflung oder zum Kompromiß führen.
Der Name des Kompromisses aber ist: Unendlicher Fortschritt im Erkennen der Wahrheit. Man will die Wahrheit schaffen, aufbauen, verbessern, man begnügt sich mit einem Teil und weiß nicht, und merkt nicht, daß man damit die unbedingte Wahrheit verloren hat. Es ist noch nicht die letzte Tiefe des Zweifels, die sich mit solchem Kompromiß, mag er sich noch so vorsichtig und skeptisch darbieten, begnügt. Die Verheißung aber und die Kraft hat niemals der Kompromiß, sondern allein der radikale Durchbruch.
Der Kampf um die Wahrheit und den Lebenssinn hat noch zu keinem religiös entscheidenden Ergebnis geführt. Beide Kirchen haben ihm gegenüber in gleicher Weise versagt, wie das späte Mittelalter gegenüber der Frage der Heilsgewißheit. Der Erfolg war der, daß unsere Zeit in die Mystik floh. Diese neue Mystik ist keine Ersatzreligion, aber sie ist auch nicht Wiederaufnahme der alten Mystik, die immer zugleich Askese war, sondern sie ist der Ausdruck des Ringens um einen von allen Zweifeln befreiten völlig ungegenständlichen Sinngrund, um eine namenlose und darum dem Streit und dem Fortschritt enthobene Wahrheits- und Gottesanschauung. Mystik ist der Versuch, die verloren gegangene Unmittelbarkeit des Religiösen wiederzufinden, die die Basis für jeden Durchbruch zur Objektivität, zu Name und Form sein muß. Daher die Ablehnung Luthers durch den homo religiosus dubitans. Aber diese Flucht in die Mystik ist ja immer noch ein Festhalten an der Subjektivität und damit am Werk, wenn auch mit negativem bVorzeichenb. Die Majestät des Göttlichen wird nicht erreicht, der Sinngrund wird nicht gefunden, weil man das mystische Erlebnis auch wieder bei Seite schieben kann. Die Wahrheit, die nicht verzehrendes Feuer, sondern bloß wärmende Glut ist, überzeugt nicht, ihr kann eine andere Wahrheit gegenübergestellt cwerdenc. Soll aber die Wahrheit die Unbedingtheit des Göttlichen erreichen, so muß sie die Form der Gnade annehmen, die Form des Durchbruchs. Und das ist die entscheidende Frage: Wie kann die Gnade durchbrechen in der Sphäre der Wahrheit und des Sinnes?
Machen wir uns zuerst deutlich, was das Gesetz in der theoretischen Sphäre ist. Es ist die Forderung, unter den übrigen Gegenständen einen solchen zu erkennen, der die Qualität Gott hat. Es ist die Forderung, Gott zu beweisen, eine Forderung, die unendlich hinausgeht über die üblichen Beweise für das Dasein Gottes. Alle Apologetik ist solches Werk. Und es kann auf dreifachem Wege versucht werden. Zuerst durch Denken, das im Endlichen oder über dem Endlichen das Unbedingte, die lebendige Wahrheit, Gott und den Lebenssinn finden will, und doch nicht finden kann; denn jeder Schluß im Endlichen bleibt endlich und setzt Endliches voraus und so fort ins Unendliche, aber nicht ins Göttliche, Ewige, Wahre. Die Kritik jedes theoretischen Gottesbeweises, offenen und versteckten, ist das Gericht über dieses Werk im Theoretischen selbst. Demgegenüber kann versucht werden, Gott zu erreichen durch einen Willensakt, ein sogenanntes Wagnis, das in Wirklichkeit ein Experiment mit Gott und darum gotteslästerlich ist. Es ist nicht weniger unmöglich, die Gewißheit des Unbedingten auf einen bedingten Willensakt wie auf einen bedingten Denkakt zu gründen –, und eines scheitert so notwendig wie das andere. Ebenso unmöglich ist es, Gefühle zu erwecken, in denen sich das Göttliche anzeigen soll; auch das bleibt durchaus in der bedingten Sphäre und ist nicht tragfähig für eine unbedingte Gewißheit. Mit diesen drei Wegen aber sind die Mittel jeder Apologetik erschöpft. Der Versuch zum Werk im Gotteserkennen ist mißlungen. Erst wo diese Krisis alles apologetischen Tuns wirksam ist, kann der Punkt erreicht werden, den wir als radikalen Zweifel bezeichneten und an dem die Frage nach der Rechtfertigung des Zweiflers einsetzt.
Die Rechtfertigung des Zweiflers ist nur möglich als Durchbruch der unbedingten Gewißheit durch die Sphäre der Ungewißheiten und Irrungen; es ist der Durchbruch der Gewißheit, daß die Wahrheit, die der Zweifler sucht, der Lebenssinn, um den der Verzweifelte ringt, nicht das Ziel, sondern die Voraussetzung alles Zweifels bis zur Verzweiflung ist. Es ist das Erfassen der Wahrheit als Gericht an jeder Wahrheitserkenntnis. Es ist das Aufbrechen des Sinngrundes als unbedingter Gegenwärtigkeit und zugleich unbedingter Forderung, um ihn zu ringen, es ist die Gegenwart der lebendigen Wahrheit als unsagbarer und doch immer vom neuen zur Aussage drängenden Tiefe.
Für Luther ist der Unglaube die eigentliche Sünde. Der Unglaube ist auch die eigentliche Trennung von der Wahrheit und dem Lebenssinn. Dieser Unglaube ist identisch mit dem Willen, die unbedingte Wahrheit zu suchen, Gott zu erdenken, zu experimentieren, experiieren, und das heißt: der Wille, den eigenen, außerhalb des Sinngrundes stehenden Ausgangspunkt des Suchens absolut zu setzen, und diesem endlichen Standpunkt dadurch die Weihe zu geben, daß man Gott dazu findet, d. h. erfindet. Auch die Sünde des Zweiflers ist der Unglaube, nämlich das Nichtzweifeln an seinem eigenen Zweifel und der Versuch, von diesem grundsätzlich gottlosen Standpunkt Gott zu suchen.
Der Durchbruch dieser göttlichen Grundoffenbarung, die vor allem Zweifeln und Suchen steht, bringt die Befreiung, daß sie jedes Tun der Erkenntnis in zweite Linie rückt und die Gegenwärtigkeit Gottes vor der Gotteserkenntnis und des Sinnes vor der Sinneserkenntnis offenbart. Was hier offenbar wird, ist der Gott der Gottlosen, die Wahrheit der Wahrheitslosen, die Sinnfülle der Sinnentleerten. Das ist kein leeres Paradox, kein Gedankenkunststück, denn gerade auf das Denken als Werk ist ja verzichtet, sondern es ist der Durchbruch der Fülle und des Sinnes.
Der Moment des Durchbruchs ist in Bezug auf Inhalte völlig indifferent. Der Mensch hat kein Werk des Erkennens, keinen Gedankeninhalt vorzuweisen. Das Göttliche ist der Sinnabgrund und -grund, das Ende und der Anfang jedes möglichen Inhaltes. Nichts anderes ist darüber zu sagen. Es steht jenseits von Licht und Finsternis, von Natur und Persönlichkeit, von Göttlichem und Dämonischem. All dieses liegt in ihm zur Scheidung bereit, wie der Kampf gegen das Böse und die Werke der Liebe im Akt der Rechtfertigung. Aber es liegt verborgen in ihm, es ist die Geburtsstunde der Religion in jedem Menschen, der zur Tiefe der Verzweiflung aus Zweifel und Sinnentleerung gedrungen ist, der die dämonische Frage, sollte Gott sein, sollte Wahrheit sein, sollte Sinn sein, vernommen hat.
Dieses ist nicht Mystik, denn die Mystik ist Ende, dieses aber ist Anfang. Es ist die Stunde der Wiedergeburt, in der die Geburt des Menschen, nämlich des religiösen Wesens des Menschen sich wiederholt. Es ist der Rückgang in die Tiefe und den Anfang alles menschheitlich religiösen Schaffens und Sehens auf der Höhe der radikalen Kritik und des Verlustes der Sinntiefe. Es ist nicht die Flucht vor den Namen und vor dem Bewußtsein, wie in der Mystik, sondern es ist die neue Geburt der Namen aus dem schöpferischen Grunde. Nicht von Mystik, sondern von Grundoffenbarung sprechen wir. Es ist die Größe der Mystik, daß sie diese Geburtsstunde der Wahrheit, des Sinnes, des Menschen immer wieder in Erinnerung ruft. Darum ist sie unsterblich und es ist göttliche Offenbarung in ihr. Aber es ist ihre Grenze, daß sie aus Furcht vor der Welt der Wahrheiten, Namen, Sinnformen in Schweigen versinken will. Wie sie als Askese aus Furcht vor dem Werk nichts tun will, und dadurch doch wieder zu dem schwersten der Werke wird, so will sie aus Furcht vor den Namen nichts erkennen, und zwingt sich dadurch zu dem Werk des absoluten Schweigens. Aber darin wirkt noch Gesetz nach. Erst wenn der Zweifel auch hier zerstört hat, ist mit dem Durchbruch des Sinngrundes auch die Mystik, die am deutlichsten von ihm zeugt, überwunden.
III.Theologische Umschau
Es ist angebracht, den entwickelten Gedanken, ehe wir ihn näher ausführen, in Beziehung zur gegenwärtigen theologischen Diskussion zu stellen. Offenbar geht aus ihm hervor, daß jede theologische Richtung abgelehnt werden muß, in der die Offenbarung ausschließlich als Heilsoffenbarung, ausschließlich christologisch gefaßt wird. Die Offenbarung in Christus, der Durchbruch der göttlichen Unbedingtheit gegenüber allem Werk der Religion setzt eine breite Basis der menschheitlichen Religion und der göttlichen Grundoffenbarung voraus. Ohne eine solche Voraussetzung ist auf die Dauer die Aufnahme der im personalen Zentrum sich vollziehenden Offenbarung in Christus unmöglich. Heilsoffenbarung ohne Grundoffenbarung, Rechtfertigungsgewißheit ohne Gottesgewißheit ist unmöglich.
Ein Satz wie der, daß wir ohne Jesus Atheisten wären, ist in sich widerspruchsvoll, weil die Qualifizierung Jesu als Offenbarung Gottes nur möglich ist auf Grund eines entgegenkommenden Vermögens, eine Wirklichkeit als Offenbarung zu werten. Wären wir ohne Jesus Atheisten, so würde uns auch Jesus nicht vom Atheismus befreien können, denn es würde das Organ fehlen, ihn zu empfangen. Gemeint ist in dem angeführten Satz im Grunde auch gar nicht der Atheismus überhaupt, sondern lediglich die Unfähigkeit zur Behauptung des Gottesbewußtseins und der sittlichen Persönlichkeit gegenüber den aus dem Weltlauf stammenden Hemmungen. Der Satz stammt aus der Sphäre derjenigen Theologie, für die Gott im Sinne Kants regulativ geworden ist.
Von der sittlichen Persönlichkeit geht auch Hirsch aus, in seiner Schrift über den deutschen Idealismus. Er erkennt als berechtigt an, daß die idealistische Philosophie sich um eine ungegenständliche Fassung des Gottesgedankens bemüht, daß sie also in unserem Sinne Gott von der Grundoffenbarung her verstehen will. Aber er wirft ihr vor, daß sie diese Ungegenständlichkeit vermittels der intellektuellen Anschauung sucht und nicht durch Selbsterfassung der sittlichen Persönlichkeit. Nun steht aber im Idealismus die intellektuelle Anschauung freilich in religiös und philosophisch bedenklicher