Rechtspsychologie - Barbara Bergmann - E-Book

Rechtspsychologie E-Book

Barbara Bergmann

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Beschreibung

Dieses Lehrbuch bietet einen anwendungsorientierten Einblick in die wesentlichen Tätigkeits- und Aufgabenfelder der Rechtspsychologie. Insbesondere werden die Themen Schuldfähigkeit, Gefährlichkeitseinschätzung/Prognosebeurteilung, die strafrechtliche Verantwortlichkeit und die Aussagepsychologie (bzw. Glaubhaftigkeit von Zeugen) sowie familienrechtspsychologische Fragestellungen betrachtet. Darüber hinaus geben die Autorin und der Autor einen umfassenden Überblick über die gängigsten Methoden der rechtspsychologischen Diagnostik, gehen auf grundlegende Aspekte der rechtspsychologischen Begutachtung ein und erläutern die Kriminalprävention wie auch die Straftäterbehandlung. In der Neuauflage berücksichtigen sie den aktuellen Stand der Forschung, verweisen auf neuere Literatur zur Themenvertiefung und geben einen ausführlichen Einblick in Glaubhaftigkeitsbeurteilung und Identifizierung von Tatverdächtigen.

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Inhalt

Cover

Titelei

Geleitwort

1 Rechtspsychologie gestern und heute

1.1 Definition und Begriffsklärung

1.2 Zur Geschichte der Rechtspsychologie in Deutschland

1.3 Rechtspsychologie im Studium und in der Weiterbildung

1.3.1 Rechtspsychologie im Studium

1.3.2 Postgraduale (berufliche) Qualifikation von Rechtspsychologinnen oder wie wird man Rechtspsychologin?

1.4 Ethische und rechtliche Grundlagen

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen und Internetquellen

2 Kriminalpsychologie

2.1 Definition und Abgrenzungen

2.2 Häufigkeit und Entwicklung von straffälligem Verhalten

2.3 Entstehung von straffälligem Verhalten und Delinquenz

2.3.1 Kriminalitätstheorien

2.3.2 Prototypische Entwicklungspfade

2.3.3 Aggression und Gewalt

2.3.4 Sexualdelinquenz

2.3.5 Kriminelle Persönlichkeit?

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

3 Forensische Psychologie: Definition, Fragestellungen und juristische Aspekte

3.1 Definition und Abgrenzungen

3.2 Forensisch-psychologische Fragestellungen und Begutachtungsanlässe

3.3 Juristische Aspekte

3.3.1 Strafverfahren

3.3.2 Das Gerichtsverfahren

3.3.3 Unterschiede von Jugend- und Erwachsenenstraf- und Maßregelvollzug

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

4 Forensische Psychologie im Familienrecht

4.1 Die Sachverständigentätigkeit am Familiengericht

4.2 Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

5 Forensische Psychologie der Aussage und der Glaubhaftigkeitsbeurteilung von Zeugenaussagen

5.1 Aussagepsychologie und Glaubhaftigkeitsbeurteilung

5.2 Begutachtung der Glaubhaftigkeit

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

6 Identifizierung von Tatverdächtigen

6.1 Situations-‍, Zeugen- und Täterfaktoren

6.2 Der Prozess der Identifizierung

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

7 Forensische Psychologie im Jugendgerichtsverfahren

7.1 Strafrechtliche Verantwortlichkeit (§ 3 JGG)

7.2 Strafreifebeurteilung nach § 105 JGG

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

8 Forensische Psychologie im Strafverfahren (Schuldfähigkeit)

8.1 Schuldfähigkeit

8.2 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bzw. einer Entziehungsanstalt

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

9 Forensische Psychologie der Gefährlichkeitseinschätzung und der Prognosebeurteilung von Straftäterinnen

9.1 Einführung

9.2 Rechtliche Grundlagen

9.3 Hintergrund und Geschichte

9.4 Grundlagen der Prognosebegutachtung

9.5 Das »klassische« prognostische Vorgehen

9.6 Aktuelle Praxis der Prognosebegutachtung

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

10 Rechtspsychologische Diagnostik

10.1 Definition und psychologische Grundlagen

10.2 Aktenanalyse und Fremdbefunde

10.3 Exploration und Interviewverfahren

10.4 Verhaltensbeobachtung und psychischer Eindruck

10.5 Leistungs- bzw. Intelligenzdiagnostik

10.6 Persönlichkeitsdiagnostik unter besonderer Berücksichtigung psychometrischer Testverfahren

10.7 Interaktions- und Beziehungsdiagnostik

10.8 Psychophysiologische und objektive Verfahren

10.8.1 Polygraphie oder »Lügendetektor«

10.8.2 Messung zentralnervöser Aktivierung

10.8.3 Objektive diagnostische Methoden

10.9 Rechtspsychologische Checklisten und Instrumente

10.10 Tathergangsanalyse

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

11 Rechtspsychologische Begutachtung

11.1 Grundlegende Aspekte der Begutachtung

11.2 Ablauf des Begutachtungsprozesses

11.3 Aufbau und Struktur von rechtspsychologischen Gutachten

11.3.1 Definition von psychologischen Gutachten und die Rolle als Sachverständige

11.3.2 Aufbau von schriftlichen Gutachten

11.3.3 Wichtige Aspekte der schriftlichen und/oder mündlichen Gutachtenerstattung

11.4 Qualitätsstandards

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

12 Kriminalprävention

12.1 Grundlagen von Prävention und Intervention

12.2 Modelle der Prävention

12.3 Präventionsprogramme

12.4 Wirksamkeit psychologisch- pädagogischer Präventionsprogramme

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

13 Interventionen und Straftäterinnenbehandlung

13.1 Grundlagen und wissenschaftlich fundierte Behandlungsansätze

13.1.1 Lerntheorie und Verhaltenstherapie

13.1.2 Psychodynamische/psychoanalytische Ansätze

13.1.3 Systemische-/Familientherapie

13.1.4 Good-Lives-Modell

13.1.5 Behandlungsmotivation

13.1.6 Faktoren der Wirksamkeit nach Andrews und Bonta (2003)

13.1.7 Krank und/oder kriminell oder beides?

13.2 Formen: Einzel- und Gruppenbehandlung

13.2.1 Einzelbehandlung

13.2.2 Gruppenprogramme und Trainings

13.3 Wirksamkeit der Straftäterinnenbehandlung

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

14 Schlusswort und berufliche Perspektiven von Rechtspsychologen und Rechtspsychologinnen

Literatur

Stichwortverzeichnis

Grundriss der Psychologie

Herausgegeben von Bernd Leplow und Maria von Salisch

Begründet von Herbert Selg und Dieter Ulich

Diese Taschenbuchreihe orientiert sich konsequent an den Erfordernissen des Bachelorstudiums, in dem die Grundlagen psychologischen Fachwissens gelegt werden. Jeder Band präsentiert sein Gebiet knapp, übersichtlich und verständlich!

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/grundriss-psychologie

Die Autorin und der Autor

Dr. Barbara Bergmann, Dipl.-Psych., arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Sozial- und Rechtspsychologie des Instituts für Psychologie an der Universtiät Bonn. Hier forscht sie zur Prävention und Prognose von Delinquenz im Kindes- und Jugendalter. Sie ist seit 2023 in der Sprechergruppe der Fachgruppe Rechtspsychologie der DGPs.

Prof. Dr. Denis Köhler, Dipl.-Psych., lehrt u. a. Rechtspsychologie, psychologische Diagnostik und Differentielle Psychologie an der Hochschule Düsseldorf. Zudem ist er Systemischer Berater, Therapeut und Supervisor (SG). Seit 2000 ist er als rechtspsychologischer Sachverständiger u. a. für die folgenden Fragestellungen tätig: Strafrechtliche Verantwortlichkeit (§ 3 JGG), Reife (§ 105 JGG), Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) und Prognose/Gefährlichkeit.

Barbara BergmannDenis Köhler

Rechtspsychologie

2., erweiterte und überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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2., erweiterte und überarbeitete Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-042350-3

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-042351-0epub:ISBN 978-3-17-042352-7

Geleitwort

Erkenntnisse der Psychologie werden täglich in den Medien transportiert. Junge Erwachsene drängeln sich um einen Studienplatz in diesem Fach. Denn die meisten Fragen der Gesellschaft von Morgen sind nicht ohne die Erkenntnisse dieser Wissenschaft des menschlichen »Erlebens und Verhaltens« zu beantworten. Großbaustellen wie der Umgang mit Pandemien und Kriegsereignissen, die Bewältigung von Digitalisierung und Globalisierung oder der gesellschaftliche Umbau in Richtung Nachhaltigkeit lassen sich im Grunde nur mit dem Wissen über die individuellen und sozialen Mechanismen des Verhaltens und Erlebens, der Analyse ihrer Entstehungsbedingungen und der Entwicklung von Veränderungen auf individueller und Gruppenebene sinnvoll bearbeiten. Psychologie ist zugleich – so eine Analyse der Zitiermuster in über 7000 natur- und sozialwissenschaftlichen Fachzeitschriften – eine von sieben »hub sciences« (in etwa »Schlüsselwissenschaften«), welche die Debatte zur Gewinnung wissenschaftlicher Einsichten bereichert und enge Verbindungen zu einer Vielzahl von Nachbardisziplinen unterhält: Dazu zählen u. a. die Neurowissenschaft mit der Neuropsychopharmakologie, Psychiatrie, Gerontologie und die anderen Gebiete der Medizin ebenso wie die Gesundheitswissenschaft (»Public Health«), Konfliktforschung, die Sozial-‍, Bildungs-‍, Kommunikations-‍, Sport-‍, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, die Forensik sowie Marktforschung. Oft übersehen, aber nicht weniger von Bedeutung, sind die eher technisch orientierten Fächer wie beispielsweise die Ingenieurs-‍, Luft- und Raumfahrt-‍, Verkehrs- und Arbeitspsychologie (mit »Mensch-Maschine-Systemen«/»Human Factors«). Auch die Umwelt- und Architekturpsychologie, Raum- und Stadtplanung sowie die methodischen Anwendungsfelder der Diagnostik, Intervention, Evaluation und Sozialforschung kommen nicht ohne spezifisch psychologisches Wissen aus.

Das Studium der Psychologie erfolgt in Bachelor- und Masterstudiengängen, die auf Modulen basieren. Diese sind in sich abgeschlossen und bauen oft aufeinander auf. Sie sind jeweils mit Lehr- und Lernzielen versehen und spezifizieren, welche Themen und Methoden in ihnen zu behandeln sind. Aus diesen Angaben leiten sich Art, Umfang und Thematik der Modulprüfungen ab. Die Bände der Reihe Grundriss der Psychologie orientieren sich stark am Lehrgebiet des Bachelorstudiums Psychologie. Seit Einführung der Bachelor-Masterstudiengänge sind jedoch eine Fülle von eigenständigen Bachelor- und Masterausbildungen mit Psychologiebezug hinzugekommen. Auch für diese Wissensgebiete stellt die Grundrissreihe das notwendige psychologische Basiswissen zur Verfügung.

Da im Bachelorstudium die Grundlagen des psychologischen Fachwissens gelegt werden, ist es uns ein Anliegen, dass sich jeder Band der Reihe Grundriss der Psychologie ohne Rückgriff auf Wissen aus anderen Teilgebieten der Psychologie lesen lässt. Jeder Band der Grundrissreihe orientiert sich an einem der Module, welche die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) für die Psychologieausbildung ausgearbeitet hat. Damit steht den Studierenden ein breites Grundwissen zur Verfügung, welches die wichtigsten Gebiete aus dem vielfältigen Spektrum der Psychologie verlässlich abdeckt. Dieses ermöglicht den Übergang u. a. auf den darauf aufbauenden Masterstudiengang der Psychologie und den neuen »Psychotherapiemaster«.

Zugleich können Angehörige anderer Berufe, in denen menschliches Verhalten und Erleben Entscheidungsabläufe beeinflusst, von einem fundierten Grundwissen in Psychologie profitieren. Neben Tätigkeiten in den bereits genannten Gebieten betrifft das eine vom Fachjournalismus und allen Medienberufen über den Erziehungs- und Gesundheitsbereich, die Wirtschaft, Produktgestaltung und das Marketing bis hin zu den Angehörigen des Justizsystems, der Polizei und des Militärs, allen Managementfunktionen und Führungskräften der Politik reichende Bandbreite. Bei ethisch vertretbarer Anwendung stellt die wissenschaftliche Psychologie mithin Methoden und Erkenntnisse zur Verfügung, über die sich gesellschaftliche Entwicklungen positiv verändern lassen. Damit kann in einer enormen Zahl auch nicht-klassisch psychologischer Studiengänge und Anwendungsfelder vom Wissen eines Bachelors in Psychologie profitiert werden. Deshalb auch sind die einzelnen Bände so gestaltet, dass sie psychologisches Grundlagenwissen voraussetzungsfrei vermitteln.

So wünschen wir den Leserinnen und Lesern dieser Bände der Reihe Grundriss der Psychologie vielfältige Einsichten und Erfolge in der praktischen Umsetzung psychologischen Wissens!

Maria von SalischBernd Leplow

1 Rechtspsychologie gestern und heute

Immer, wenn eine schwerwiegende Gewalttat geschieht, z. B. ein Sexualmord oder eine Kindesentführung, eine Vergewaltigung oder ein »Amoklauf«, ist die Öffentlichkeit schockiert und die Medien greifen diese Vorfälle meist spektakulär auf. Ganz nach dem Motto »sex and crime sells« werden, wenn möglich, die Betroffenen, die Opfer und die Täterinnen1 befragt, teilweise sogar vor der Kamera gezeigt. Fachleute werden interviewt und sollen die Ursachen erklären. Häufig gestellte Fragen sind u. a., wie man so etwas verhindern kann oder warum Menschen so eine Tat begehen. Ebenso findet sich in fast jedem »guten« Kriminalroman oder in fast jeder spannenden Fernsehserie eine »Profilerin«, also eine Polizei- oder Kriminalpsychologin, die Täterprofile erstellt oder spektakuläre Fälle löst. Wer sind diese Fachleute? Sind es forensische Psychiaterinnen, Rechtspsychologinnen oder -medizinerinnen? Wie kann man diese voneinander unterscheiden? Was sind Profiler? Lösen Psychologinnen wirklich Kriminalfälle? All diese Fragen werden im vorliegenden Buch einführend behandelt.

Im ersten Kapitel lernen Sie zunächst die Definition und den Gegenstandsbereich der Rechtspsychologie kennen. In diesem Zusammenhang betrachten Sie auch die unterschiedlichen in der Forensik tätigen Professionen (▸ Kap. 1.1). Darüber hinaus erhalten Sie eine kurze Einführung in die geschichtliche Entwicklung der Rechtspsychologie (▸ Kap. 1.2) sowie in die neuen Studienabschlüsse (Bachelor und Master) und die Möglichkeiten einer postgradualen Weiterbildung zur »Rechtspsychologin« (▸ Kap. 1.3). Zudem können Sie sich einen Überblick über die grundlegenden ethischen und rechtlichen Aspekte verschaffen (▸ Kap. 1.4).

1.1 Definition und Begriffsklärung

Beschäftigt man sich mit dem Begriff Rechtspsychologie und recherchiert beispielsweise dazu im Internet, so stößt man auf viele Begriffe und Definitionen, die einen oftmals eher ratlos oder verwirrt zurücklassen, als dass sie Klärung bringen. Daher wird zunächst eine terminologische Ordnung geschaffen und eine Übersicht hergestellt. Weiter werden wichtige Unterscheidungs- oder Überschneidungsmerkmale der Begriffe herausgearbeitet und eine Definition erstellt, was unter Rechtspsychologie zu verstehen ist.

In der älteren Literatur zur Rechtspsychologie trifft man meist auf die Begriffe Forensische Psychologie oder Gerichtspsychologie (vgl. Lösel & Bender, 2000; Wegener, 1992; Undeutsch, 1967).

Erklärung

Das Wort Forensik kommt in seiner inhaltlichen Bedeutung aus dem Lateinischen und bedeutet vereinfacht gesprochen so viel wie Marktplatz. Es geht auf die öffentlich auf Marktplätzen abgehaltenen Gerichtsverhandlungen im antiken Rom zurück.

Unter »Forensik« werden alle wissenschaftlichen Disziplinen und Arbeitsgebiete abstrakt zusammengefasst, die systematisch kriminelle Handlungen im Kontext der Gerichtsbarkeit oder des Rechtswesens identifizieren, analysieren und rekonstruieren oder ermittlungstechnisch »aufklären«. In Bezug auf das Ermittlungsverfahren liegt beispielsweise ein eher sehr eng gefasster Begriff von »Forensik« vor (→ alles, was zur Aufklärung krimineller Handlungen dient). Hingegen kann für den beruflichen Kontext ein weiter gefasstes Verständnis des Begriffs »Forensik« konstatiert werden, beispielsweise für Fachbereiche, die man in forensischen Einrichtungen finden könnte (z. B. Sozialarbeiterinnen, Kriminologinnen). Die »Forensik« ist originär interdisziplinär ausgelegt und beinhaltet unter anderem die folgenden Bereiche bzw. Disziplinen:

Rechtswissenschaften,

Kriminologie,

Kriminalistik (nutzt die im Rahmen der Forensik gewonnenen Erkenntnisse),

Polizeiwissenschaften,

Psychologie,

Medizin (z. B. Psychiatrie und Rechtsmedizin),

Biologie,

Soziologie,

Soziale Arbeit.

Jede Disziplin hat im aufgezeigten Kontext spezifische Gegenstands- und Aufgabenbereiche. Allen ist jedoch gemein, dass sie in der wissenschaftlichen Ausrichtung anwendungsbezogen sind. Sie sollen wichtigen gesellschaftlichen und politischen Aufgaben gerecht werden, z. B. kriminelle oder abweichende/dissoziale Handlungen erklären und/oder verhindern. Ebenso werden sie in manchen Fällen unterstützend tätig, um kriminelle oder dissoziale Verhaltensweisen im Zuge der strafrechtlichen Ermittlung aufzuklären. Darüber hinaus stellen fast alle genannten forensischen Disziplinen der Gerichtsbarkeit bzw. dem Rechtswesen ihre Sachkunde zur Verfügung. Einige »Forensikerinnen« arbeiten auch präventiv und behandlerisch, um kriminelle Verhaltensweisen zu verhindern oder bestimmten Personen und Tätergruppen dabei zu helfen, zukünftig ein straffreies Leben zu führen (im Sinne der Resozialisierung). Andere »Forensikerinnen« hingegen haben ihren Arbeitsschwerpunkt stärker im Ermittlungsverfahren (z. B. Kriminalbiologinnen). Nachdem die Rechtspsychologie definiert und die Aufgabengebiete dargestellt wurde, folgt die fachliche Abgrenzung zu anderen forensischen Disziplinen.

Definition

Die Rechtspsychologie (in Englisch: »Legal Psychology« oder »Psychology and Law«) ist ein Anwendungsfach der Psychologie (vgl. Lösel & Bender, 2000), in das die verschiedenen psychologischen Grundlagen- und Methodenfächer eingehen (z. B. Allgemeine, Sozial-‍, Entwicklungs-‍, Klinische Psychologie und Diagnostik sowie Methodenlehre und Statistik).

Abb. 1.1:Recht und Psychologie im Verhältnis sowie im Bezug zur Wissenschaft und Praxis (in Anlehnung an Sporer, 1985)

Das Verhältnis der Begriffe Recht und Psychologie im Zusammenhang zu den psychologischen Fächern hat bereits Sporer (1985, S. 404) aufgearbeitet. Aus Abbildung 1.1 ist ersichtlich, dass trotz des Versuches, die Begriffe klar zu definieren, viele terminologische und inhaltliche Überschneidungen bestehen. Das muss aber nicht irritieren. In der Wissenschaft ist es üblich, zunächst Begriffe zu definieren und Überlappungen herauszuarbeiten. Auf dieser Basis gewinnt man Übersicht und Gewissheit für die wissenschaftliche und praktische Arbeit. Man findet sich quasi im begrifflichen Geflecht besser zurecht und kann Untersuchungsgegenstände genauer herausarbeiten.

Merke

Gegenstand der Rechtspsychologie ist also die Anwendung psychologischer Theorien, Methoden und Erkenntnisse auf Probleme des Rechtssystems.

In der Rechtspsychologie wird sich dabei insbesondere mit Verhalten, Erleben, Kognitionen, Emotionen und Motivationen von Menschen beschäftigt, die im sozialen Kontext abweichendes oder kriminelles Verhalten zeigen oder zeigen könnten. Ebenso spielen Theorien zur Verhaltensentstehung und -kontrolle (Prävention und Intervention) eine bedeutsame Rolle.

Abb. 1.2:Rechtspsychologie als Oberbegriff

Noch 1967 hat Udo Undeutsch in seinem Vorwort zum Handbuch der Forensischen Psychologie festgestellt, dass es zu wenig Beiträge aus der Psychologie zur Kriminalpsychologie gebe, um sie in einem Handbuch aufnehmen zu können. Der Forschungs- und Publikationsstand hat sich seit den 1960er Jahren aber deutlich erhöht. Daher wird die Rechtspsychologie heutzutage in die Bereiche Kriminalpsychologie und Forensische Psychologie aufgeteilt (▸ Abb. 1.2; vgl. u. a. Lösel & Bender, 2000; von Buch et al., 2022).

Definition

Die Kriminalpsychologie beschäftigt sich in Abgrenzung zur Forensischen Psychologie mit Theorien und empirischen Befunden zur Entstehung und Aufrechterhaltung von dissozialem und kriminellem Verhalten sowie der Prävention derselben (vgl. u. a. Howitt, 2009).

Definition

Die Forensische Psychologie hingegen ist die Psychologie im Bereich der Gerichtsbarkeit bzw. des Rechtswesens oder der Rechtspflege, z. B. der Begutachtung im Familien-‍, Sozial-‍, Zivil- und Strafrecht, Glaubhaftigkeit, Aussage- und Zeugenpsychologie, der Prognose- und Gefährlichkeitseinschätzung sowie der Behandlung von straffälligen Menschen und deren Angehörigen mit dem Ziel der Legalbewährung (sie sollen nicht wieder straffällig werden).

Es handelt sich bei der Einteilung in Kriminal- und Forensische Psychologie allerdings um eine wissenschaftliche Trennung innerhalb der Rechtspsychologie. Praktisch gibt es eine Vielzahl inhaltlicher und praktischer Überschneidungen zwischen den beiden Teilbereichen. Tabelle 1.1 gibt einen Überblick über die Vielfältigkeit der Rechtspsychologie.

Tab. 1.1:Beispiele für Themen der Rechtspsychologie (in Anlehnung an Lösel & Bender, 2000)

Rechtspsychologie

Erklärung

Prognose

Intervention

Annahmen und Bedingungen von Rechtsnormen

Grundannahmen zur Schuldfähigkeit

Psychologie der Generalprävention

Strafprozess und Gerechtigkeitserleben

Altersgrenzen im Zivilprozess

Bevölkerungsein-stellungen zum Asylrecht

Psychologie des Sorgerechts

Verhalten gegenüber Rechtsnormen

Moralisches Denken und Straftat

Prognosen »krimineller Karrieren«

Kriminalprävention durch Umweltgestaltung

Risikoabwägung im Zivilprozess

Wiedererteilen der Fahrerlaubnis

Compliance bei Steuerzahlern

Anwendung von Rechtsnormen im Rechtssystem

Richterliche Strafzumessung

Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen

Wirksamkeit des Behandlungsvollzugs

Interaktion Bürger–Polizei

Anwaltsprognosen von Prozessergebnissen

Trainingsmaßnahmen für die Justiz

Strafrecht, Zivilrecht, Familienrecht, Verkehrsrecht, Sozialrecht etc.

Im Weiteren sind kurz die wichtigsten Aufgaben- und Inhaltsbereiche der Rechtspsychologie aufgeführt (u. a.):

Bereitstellung psychologischer Sachkunde im Rechtswesen, z. B. im Familien- und Umgangsrecht, Strafrecht und anderen Fragestellungen,

Förderung und Erhaltung von Gesundheit im Zusammenhang mit Delinquenz und Förderung der Resozialisierung dissozialer Menschen,

Verhütung bzw. Prävention von abweichendem Verhalten und die Behandlung von Straftätern,

Bestimmung von Risikoverhaltensweisen und darauf abgestimmten Interventions- und Präventionsprogrammen,

Diagnostik und Ursachenbestimmung von dissozialen, abweichenden und kriminellen Verhaltensweisen oder bei bestimmten familienrechtlichen Fragestellungen eine familien- und bindungspsychologische Einschätzung zum Wohle des Kindes,

Rehabilitation und gesellschaftliche Integration von Menschen mit einem kriminellen oder von abweichendem Verhalten geprägten Hintergrund.

Wie bereits eingangs beschrieben, werden die Arbeitsgebiete der Rechtspsychologinnen in den Printmedien, in Fernsehserien oder Romanen nicht realistisch dargestellt. Häufig handelt es sich um eine Mischung aus den Tätigkeiten verschiedener forensischer Disziplinen, um den Protagonisten möglichst kompetent und umfassend auszustatten. Denken Sie nur an die US-amerikanische Serie »CSI«, in der die dargestellten »Forensikerinnen« sowohl in die Spurensicherung und -auswertung einbezogen werden als auch an der Ermittlungstätigkeit sowie der Täterprofilerstellung beteiligt sind. Manchmal nehmen die Hauptdarstellerinnen sogar die Tatverdächtigen fest und vernehmen Zeugen. Für die Zuschauerinnen mag solch eine Darstellung viel Spannung erzeugen, leider hat sie nur sehr wenig mit der Realität zu tun. Es handelt sich vielmehr um eine fiktive Zusammenführung getrennter Aufgaben und forensischer Kompetenzen.

Im folgenden Abschnitt wird die Rechtspsychologie von ihren Nachbarwissenschaften abgegrenzt. Dafür finden Sie zu Beginn im nächsten Kasten eine exemplarische Aufführung unterschiedlicher (forensischer) Professionen, mit denen die Rechtspsychologie in der Praxis und der Forschung zusammenarbeitet. Jede Disziplin betrachtet bzw. bearbeitet entlang ihrer eigenen Forschungstradition die jeweiligen forensischen Fragestellungen (z. B. Schuldfähigkeitsbeurteilung). Alle Disziplinen nehmen also eine unterschiedliche Perspektive ein.

Lassen Sie uns das anhand eines vereinfachten Beispiels näher betrachten. Bei einer schweren Straftat (z. B. versuchter Mord und Vergewaltigung) analysieren und sichern z. B. Rechtsmedizinerinnen mit forensischen Biologinnen und der Polizei objektive Spuren (z. B. Verletzungen beim Opfer, biologische Spuren von der Täterin am Tatort). Die Kriminalistinnen (Kriminalpolizei) ermitteln die Täterin und bekommen dabei von operativen Fallanalytikerinnen der Polizei (diese werden in den Medien oftmals fälschlicherweise als »Profiler« bezeichnet) Unterstützung. Die Kriminologinnen erforschen die Entwicklung der Häufigkeit von Vergewaltigungsdelikten in den letzten 20 Jahren. Die Rechtspsychologinnen und forensischen Psychiaterinnen beurteilen möglicherweise die Schuldfähigkeit oder Gefährlichkeit der Straftäterin. Ebenso können Rechtspsychologinnen auch die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage des Opfers einschätzen. Schließlich behandeln die letzten beiden Disziplinen gemeinsam mit Psychotherapeutinnen die Täterinnen und Opfer hinsichtlich psychischer Störungen, wobei es beim Opfer um die Verarbeitung von Traumata im Zusammenhang mit der erlittenen Tat geht, während die Therapie bei der Täterin eine langfristige Verhaltensänderung erzielen soll, um einer Rückfälligkeit vorzubeugen.

Dieses Beispiel bezieht sich auf den Tätigkeitsbereich von Rechtspsychologinnen im Strafrecht und ist hier stark vereinfacht dargestellt. In den anderen Kapiteln lernen Sie darüber hinaus auch andere Aufgaben und Vorgehensweisen von Rechtspsychologinnen kennen (z. B. im Bereich Familienrecht). An dieser Stelle sollte das Beispiel nur dazu dienen, die Realität von der fiktiven Darstellung abzugrenzen.

Was unterscheidet Rechtspsychologinnen in der Hochschulausbildung von anderen forensischen Disziplinen?

Die Forensische Psychiaterin studiert Medizin und kann nach erfolgreicher Facharztausbildung (für Psychiatrie und Psychotherapie) und forensischer Berufserfahrung (z. B. im Maßregelvollzug) ein Zusatzzertifikat in Forensischer Psychiatrie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) erwerben. Meist sind Medizinerinnen promoviert und tragen den akademischen Titel Dr. med.

Die Rechtsmedizinerin studiert ebenfalls Medizin und absolviert eine Facharztausbildung in Rechtsmedizin. Sie ist fast immer in Medizin promoviert (Dr. med.). Ihre Tätigkeit besteht unter anderem in der Obduktion von Leichen und der biologischen Spurenauswertung.

Die Kriminologin studiert meist als Hauptfach Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt Kriminologie. In letzter Zeit kann man aber auch ein Masterstudium in Kriminologie absolvieren, welches Sozialwissenschaftlerinnen den Zugang zur Kriminologie ermöglicht. In Kriminologie kann man ebenfalls promovieren. Die Abschlüsse sind aber je nach Fakultätsanbindung unterschiedlich, z. B. Dr. jur. oder Dr. rer. pol. oder Dr. phil. Kriminologinnen können in unterschiedlichen Bereichen arbeiten, z. B. in der Wissenschaft oder der Kriminalprävention.

Die Forensische Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin hat einen Hochschulabschluss in Sozialer Arbeit/Sozialpädagogik. Sie arbeitet beispielsweise in der Bewährungshilfe, bei der Jugendgerichtshilfe, in der Kriminalprävention oder ist im Maß- und Strafvollzug tätig.

Die »Profilerin«, die korrekte Bezeichnung ist »Operative Fallanalytikerin«, ist meist Polizistin mit einem Bachelor oder Diplom (FH) in Verwaltungswesen oder Polizeivollzug (an einer Fachhochschule für Polizei) und hat eine Zusatzausbildung in operativer Fallanalyse sowie meist eine langjährige Diensterfahrung im Bereich Sexual- und Gewaltverbrechen. Ihre Aufgaben sind u. a. die Ermittlungsunterstützung, das Erstellen von Täterprofilen, einer Tathergangsanalyse oder eines geographischen Täterprofils. In der Operativen Fallanalyse (OFA) werden Psychologinnen ebenfalls eingesetzt.

Eine Psychologische Psychotherapeutin hat nach dem Psychologiestudium eine dreijährige psychotherapeutische Ausbildung in Vollzeit (oder eine fünfjährige berufsbegleitende) oder seit dem Jahr 2023 ein Masterstudium Psychotherapie mit Approbation absolviert. Manchmal haben Psychologische Psychotherapeutinnen auch eine rechtspsychologische Zusatzausbildung. Psychologische Psychotherapeutinnen arbeiten in der Regel mit psychisch gestörten Menschen.

Forensische Biologinnen haben Biologie studiert, sind oftmals ebenfalls promoviert und arbeiten meist in Forschungsinstituten, an Hochschulen, in der Rechtsmedizin oder bei der Polizei. Ihre Aufgabe ist u. a. die Spurenauswertung am Tatort.

1.2 Zur Geschichte der Rechtspsychologie in Deutschland

Die Psychologie wurde erst 1879 von Wilhelm Wundt als eigenständige Wissenschaftsdisziplin durch die Eröffnung eines psychologischen Instituts an der Universität Leipzig gegründet (Meischner, 1999, S. 35 – 40). Zunächst finanzierte Wundt das Institut sogar selbst. Erst im Jahre 1883/84 ist es offiziell in die Universitätsinstitute eingereiht worden. Dennoch haben psychologische Fragestellungen und Erklärungen eine lange Tradition. Bereits seit der Antike werden sie in der Literatur zitiert. Allerdings wurden diese Inhalte von der Philosophie, der Theologie, der Medizin (v. a. Psychiatrie) und anderen Wissenschaften (z. B. Rechtswissenschaften) bearbeitet (vgl. u. a. Lück & Miller, 1999). Man könnte fast sagen, dass sich bis 1879 Fachfremde mit psychologischen Themen beschäftigt haben. Seit Wundt hat sich dieses Bild stark verändert. Die Psychologie etablierte sich schnell als selbständige und forschungsstarke Wissenschaft, die zahlreiche Beiträge im Kontext des Rechtssystems publizierte.

Bereits im 18. Jahrhundert, also lange Zeit vor der Gründung der akademischen Psychologie von Wundt, finden sich kriminalpsychologische Beiträge aus der gerichtlichen Medizin. Es ist interessant, dass zu dieser Zeit von den Autoren der Begriff Kriminalpsychologie verwendet wurde. Anscheinend ist die Bezeichnung Forensische Psychologie und Rechtspsychologie wesentlich später entstanden.

Im 19. Jahrhundert ist ein deutlicher Anstieg der Publikationen zum Themenbereich der Rechtspsychologie festzustellen. Allerdings sind die Verfasser dieser Werke zumeist Mediziner, Juristen, Anthropologen oder Philosophen. Nach Howitt (2009) war der erste richtige forensische Psychologe Albert von Schrenk-Nortzing (ca. 1897). Dieser trat als Sachverständiger vor ein Leipziger Gericht. Eine ausführliche Darstellung der Geschichte der Rechtspsychologie findet man bei Köhler und Scharmach (2013).

Die Entwicklung der Rechtspsychologie wurde in Deutschland jedoch maßgeblich durch den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg unterbrochen (vgl. Lösel & Bender, 2000). Bekanntermaßen mussten viele Wissenschaftlerinnen ins Ausland fliehen, wurden getötet oder inhaftiert, wichtige Werke wurden verbrannt und die Nationalsozialisten2 haben eine seriöse Wissenschaft nicht zugelassen. Die ideologisch verbrämte und geradezu pervertierte Kriminalbiologie des Dritten Reiches wird hier nicht dargestellt.

Die Zeit der Rechtspsychologie nach dem Zweiten Weltkrieg war eng mit den Rechtswissenschaften verbunden (vgl. Lösel & Bender, 2000). Wichtige Personen waren Friedrich Arntzen, Elisabeth Müller-Luckmann, Hans Thomae und Udo Undeutsch. Letzterer hat auch den bedeutsamen Band »Forensische Psychologie« des Handbuchs Psychologie herausgegeben, das erstmals 1967 erschienen ist. Durch die Verknüpfung mit den Rechtswissenschaften haben die eben genannten rechtspsychologischen Expertinnen sogar auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen können und u. a. die Anerkennung der tiefgreifenden Bewusstseinsstörung als ein Eingangskriterium für die Frage der Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) bewirkt (vgl. Thomae & Schmidt, 1967). Insgesamt betrachtet hat sich die Psychologie in dieser Zeit wohl eher als eine Hilfs- oder Bezugswissenschaft für die Rechtswissenschaften verstanden und war stark anwendungsorientiert.

Anhand der Anzahl von Publikationen in Fachzeitschriften ist zu erkennen, dass sich die deutsche Rechtspsychologie erst ab den 1970er Jahren wieder verstärkt der empirischen Forschung zugewandt hat. In Deutschland wurde 1978 die Sektion Rechtspsychologie (zunächst hieß sie noch Forensische Psychologie) im Berufsverband Deutscher Psychologen und Mitte der 1980er Jahre die Fachgruppe Rechtspsychologie innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Psychologie gegründet. Damit entstand ein gemeinsames Dach für die Forensische Psychologie und die Kriminalpsychologie. In anderen Ländern gab es ungefähr zeitgleich eine ähnliche Entwicklung im Bereich »Psychology and Law«. So wurde 1992 in Oxford die European Association of Psychology and Law (EAPL) gegründet, der europäische Verband der Rechtspsychologen.

1.3 Rechtspsychologie im Studium und in der Weiterbildung

1.3.1 Rechtspsychologie im Studium

An deutschen Universitäten und Hochschulen ist die Rechtspsychologie in unterschiedlichem Ausmaß verankert. Während an vielen Universitäten einzelne rechtspsychologische Veranstaltungen angeboten werden, entwickelten sich seit 2013 Masterstudiengänge in Rechtspsychologie. Beispielsweise bieten die Universität Bonn, die Psychologische Hochschule Berlin und die Medical School Berlin sowie Hamburg entsprechende Masterprogramme an.

Andere Länder, wie z. B. die Niederlande, Litauen oder Großbritannien, waren akademisch betrachtet in diesem Feld wesentlich weiter und haben bereits viel früher verschiedene eigenständige rechtspsychologische Studienangebote unter den Namen »Forensic Psychology«, »Legal Psychology« oder »Psychology and Law« angeboten. Meist kann dort ein Masterabschluss erreicht werden (z. B. an der Universität Maastricht in den Niederlanden).

Wer im Studium einen rechtspsychologischen Schwerpunkt sucht, sollte sich immer an den Internet-Auftritten der Hochschulen/Universitäten über den aktuellen Stand im jeweiligen Vorlesungsverzeichnis informieren. Ebenfalls bietet es sich an, auf den Homepages der Sektion Rechtspsychologie des BDPs oder der Fachgruppe Rechtspsychologie der DGPs nach Studienangeboten zu recherchieren. Inwieweit die Rechtspsychologie aber in den Bachelor- und Masterstudiengängen in Zukunft weiter fest verankert wird, bleibt abzuwarten.

1.3.2 Postgraduale (berufliche) Qualifikation von Rechtspsychologinnen oder wie wird man Rechtspsychologin?

In Deutschland konnte man also lange Zeit keinen akademischen Abschluss (M. Sc.) in Rechtspsychologie erwerben. Aber wie wird man nun Rechtspsychologin? Und wie sind die zurzeit rechtspsychologisch tätigen Psychologinnen denn ausgebildet?

Bislang gibt es in Deutschland fast ausschließlich Psychologinnen mit einem allgemeinen Diplom- oder Masterabschluss (es sei denn, sie haben einen rechtspsychologischen Master im Ausland erworben), die eine oder mehrere postgraduale rechtspsychologische Weiterbildungen und/oder eine psychotherapeutischen Ausbildung aufweisen. Sie arbeiten in rechtspsychologischen Tätigkeitsfeldern, d. h., sie haben einschlägige Praxiserfahrung (u. a. im Strafvollzug oder bei der Polizei). Erst aus dieser Kombination ergab sich die Qualifikation für die Rechtspsychologie. Nur einige wenige deutsche Rechtspsychologinnen haben im Ausland studiert (z. B. Psychology and Law an der Universität Maastricht) und einen Masterabschluss in dem Fach erworben.

Die meisten rechtspsychologisch tätigen Psychologinnen haben eine oder mehrere postgraduale Weiterbildungen absolviert, z. B. beim Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP e. V.) bzw. der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs). Die Psychologischen Psychotherapeutinnen haben die Möglichkeit, bei den Landespsychotherapeutenkammern Fortbildungen zu besuchen und eine Zertifizierung als Sachverständige zu erlangen. Alle diese rechtspsychologischen Weiterbildungen schließen jedoch »nur« mit einem Zertifikat ab und stellen keinen akademischen Grad dar. Zudem sind die Weiterbildungsangebote unterschiedlich umfangreich und hinsichtlich der Kosten sehr verschieden. Jede Interessierte an der Rechtspsychologie sollte sich daher genau überlegen, ob sie eine Weiterbildung absolvieren möchte oder lieber ein Masterstudium mit akademischen Grad (z. B. Master of Science Rechtspsychologie oder Master of Science Psychology and Law) vorzieht.

Aufgrund des weitgehenden Alleinstellungsmerkmals auf dem postgradualen Weiterbildungsmarkt wird im Folgenden das zuvor genannte Angebot des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) und der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) vorgestellt. Beide Verbände haben sich unter dem gemeinsamen Dach der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen auf ein gemeinsames Curriculum geeinigt. Die von den Psychotherapeutenkammern der Länder für approbierte Psychologische Psychotherapeutinnen angebotene Zertifizierung zur Sachverständigen ist zwar inhaltlich an den Inhalten des BDP/DGPs-Curriculums orientiert, dennoch liegt es vom Umfang her deutlich unter deren Anforderungen. Der Weiterbildungsmarkt wird also zunehmend unübersichtlich in diesem Bereich.

Lassen Sie uns kurz zum ursprünglichen Thema zurückkommen. Die berufsbegleitende Weiterbildung zur Fachpsychologin in Rechtspsychologie (BDP/DGPs) richtet sich an Absolventen der Psychologie (Diplom- und Masterabschluss). Für die administrative Abwicklung, Qualitätssicherung und Durchführung ist die TransMit verantwortlich (https://zwpd.transmit.de/zwpd-dienstleistungen/zwpd-rechtspsychologie). Auf deren Homepage findet man die spezifischen Details und die Weiterbildungsverordnung. Über die Deutsche Psychologen Akademie (https://www.psychologenakademie.de/) werden zu den Weiterbildungsinhalten die Seminare angeboten. Selbstverständlich können auch andere Seminare und Fortbildung nach Antrag bei der TransMit angerechnet werden. Die Weiterbildung dauert mindestens drei Jahre. Sie umfasst 400 Unterrichtsstunden (Seminare, supervidierte Fallarbeit und Einzelsupervision) und wird mit einer Prüfung abgeschlossen. Die bestandene Fortbildung wird mit dem Zertifikat »Fachpsychologin für Rechtspsychologie (DGPs/BDP)« beurkundet. Leider sind sie Kosten für die Weiterbildung individuell sehr unterschiedlich und liegen wahrscheinlich zwischen ca. 6 000,– und 12 000,– Euro. Allerdings kann man sich Inhalte aus einem grundständigen Psychologiestudium in einem gewissen Umfang anerkennen lassen. Weitere und aktuelle Informationen zu den Inhalten, der Struktur und den Kosten kann man unter den genannten Internetadressen abrufen.

1.4 Ethische und rechtliche Grundlagen

Im folgenden Abschnitt wird zunächst den ethischen Grundlagen der Arbeit von Rechtspsychologinnen nachgegangen. Dabei werden vor allem die Richtlinien und die Verfahrensweisen der deutschen Psychologievereinigungen einführend betrachtet. Im Anschluss werden die wesentlichen rechtlichen Gesichtspunkte für Rechtspsychologinnen behandelt. Sie werden allerdings feststellen, dass die genannten Inhalte zumeist für alle Psychologinnen gelten und lediglich sehr wenige Aspekte nur für Rechtspsychologinnen Bestand haben.

Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) und die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) haben gemeinsame ethische Richtlinien erstellt. Diese können unter https://www.bdp-verband.de/profession/berufsethik aus dem Internet heruntergeladen werden. In dieser Leitlinie werden die wichtigsten Prinzipien des psychologischen Denkens und Handelns dargestellt.

Durch die Mitgliedschaft in einem der Verbände verpflichtet man sich als Psychologin, diese Regeln einzuhalten. Aufgrund des Umfangs werden nur einige ausgewählte Teile näher betrachtet. In den allgemeinen Bestimmungen werden Themen wie die rechtmäßige Führung von Titeln und die Stellung und der Umgang mit Kolleginnen und anderen Berufsgruppen geklärt. Weiter ist für Rechtspsychologinnen relevant, dass der Umgang mit Daten und der Schweigepflicht präzisiert wird. Psychologinnen sind nämlich nach § 203 StGB in Ausübung ihrer Berufstätigkeit zur Vertraulichkeit und Schweigepflicht verpflichtet. Allerdings nur soweit, wie nicht das Gesetz Ausnahmen vorsieht oder ein bedrohtes Rechtsgut überwiegt (z. B. Gefahr für Leib und Leben anderer Personen). Ebenso dürfen die der Schweigepflicht unterliegenden Daten (z. B. Tatsachen, Befunde oder Beratungs- sowie Behandlungsergebnisse) nur in anonymisierter Weise weitergegeben werden, wobei ein Rückschluss auf Einzelpersonen ausgeschlossen werden muss.

Ebenfalls bestehen für die Aufzeichnung, Erhebung und Speicherung von Daten besondere ethische Verpflichtungen. So darf dies beispielsweise nur nach vorheriger (schriftlicher) Einwilligung der betroffenen Personen geschehen. Jedoch gelten für angestellte Psychologinnen, z. B. bei Krankenhäusern oder Justizvollzugsanstalten, meist andere entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen. Die erhobenen Daten müssen zudem gegen unrechtmäßige Verwendung gesichert und je nach rechtlichen oder arbeitsbezogenen Festlegungen zumeist zehn Jahre aufbewahrt werden. Insbesondere ist der Teil B. IV. der ethischen Richtlinien über die Gutachten und Untersuchungsberichte wichtig. Je nach Gutachtenauftrag und relevantem rechtlichen Hintergrund (z. B. Strafrecht oder Zivil- und Familienrecht) sind Psychologinnen zur Sorgfalt und Transparenz verpflichtet. Des Weiteren bestehen Regeln zur Einsichtnahme, insbesondere wenn Auftraggeberin (z. B. Gericht) und Begutachtete (z. B. Straftäterin) nicht identisch sind. Prinzipiell gilt, dass Gefälligkeitsgutachten nicht zulässig sind und bei Stellungnahmen zu Gutachten von Kolleginnen die ethischen Richtlinien besonders zu beachten sind.

Es ist ersichtlich, dass für Psychologinnen eine ganze Anzahl von ethischen Regeln und Verfahrensweisen besteht und dass Rechtspsychologinnen sich in ihrem Anwendungsbereich gezielt damit beschäftigen müssen. Sie arbeiten nämlich in einem sehr verantwortungsvollen Beruf, der oftmals im Spannungsfeld zwischen Klientin/Patientin, Rechtspsychologin, Justiz und Gesellschaft liegt.

Gesetzliche Rahmenbedingungen überschneiden sich in Teilen mit ethischen Aspekten der Berufstätigkeit von Psychologinnen. Je nach Arbeitskontext und Anwendungsbereich gibt es für Rechtspsychologinnen unterschiedlich relevante gesetzliche Bestimmungen. Im nächsten Kasten sind einige davon aufgelistet. Im Folgenden werden nur einige ausgewählte Bereiche vertieft, da das Themenfeld insgesamt sehr weit ist.

Neben den betrachteten ethischen Richtlinien zum Datenschutz müssen sich Rechtspsychologinnen selbstverständlich in ihrer Arbeit am bestehenden Datenschutzgesetz orientieren und sich entsprechend verhalten. Darüber hinaus gilt unter Umständen als weitere gesetzliche Bestimmung das Betriebsverfassungsgesetz, z. B. für angestellte Psychologinnen. Einen wesentlich direkteren Bezug zur alltäglichen Praxis hat das Psychotherapeutengesetz, in dem alle psychotherapierelevanten Sachverhalte (auch Titelführung) geregelt sind. Insbesondere für psychotherapeutisch tätige Rechtspsychologinnen sind dort wichtige Sachverhalte aufgeführt.

In der Praxis weisen viele Rechtspsychologinnen zusätzlich eine Approbation als Psychologische Psychotherapeutin oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin auf. Ebenfalls sind sonstige therapeutische (z. B. Systemische oder Familientherapie) oder beraterische Weiterbildungen sowie Trainerqualifikationen gängig. Allerdings ist es weithin fraglich, inwieweit die rechtspsychologische Tätigkeit (z. B. Diagnostik und Begutachtung) und Behandlung beispielsweise im Strafvollzug oder Jugendstrafvollzug unter dem Psychotherapeutengesetz zu fassen ist. Hier gibt es sehr weit auseinandergehende Meinungen. Selbstverständlich qualifiziert eine Approbation allein nicht zu einer rechtspsychologischen Begutachtung oder Tätigkeit, sie kann allerdings ein zusätzliches Qualifikationsmerkmal sein. Zudem merken Höffler und Schöch (2006) an, dass der Begriff Behandlung im Strafvollzug nicht mit einer heilkundlichen psychotherapeutischen Behandlung von psychischen Störungen gleichzusetzen ist. Vielmehr werden unter Behandlung in diesem Sinne auch beispielsweise Trainingsmaßnahmen (z. B. Antigewalt oder soziale Kompetenzen) oder eine berufliche Qualifizierung gefasst. Wahrscheinlich sind diese Divergenzen auch eher primär auf berufspolitische Gründe (u. a. Psychotherapeutenkammer vs. Rechtspsychologinnen) und das Abstecken von »Jagdgründen« zurückzuführen. In diesem Zusammenhang sind die weitere Entwicklung und die Stärkung der Rechtspsychologie durch eigenständige Masterabschlüsse, die wahrscheinlich in Zukunft entstehen werden, abzuwarten.

Ein weiteres Gebiet der gesetzlichen Regelung ist beispielsweise der Bereich des Strafvollzugs. Im Zuge des Föderalismus gibt es allerdings kein bundesweit einheitliches Gesetz und Sie sollten spezifisch für Ihr Bundesland die rechtliche Grundlage als Rechtspsychologin überprüfen. In den genannten Landesstrafvollzugsgesetzen ist beispielsweise geregelt, inwiefern für die im Vollzug tätigen Psychologinnen eine Offenbarungspflicht gegenüber der Anstaltsleitung besteht und welches die rechtlichen Hintergründe für die Tätigkeit sind.

Für Rechtspsychologinnen wichtige gesetzliche Bestimmungen (Auswahl)

Strafgesetzbuch (StGB):

§ 203 (Verletzung von Privatgeheimnissen; sogenannte »Schweigepflicht«)

§ 53 (Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen)

§ 132a (Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen)

Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

Straf- und Zivilprozessordnung (StPO, ZPO)

Psychotherapeutengesetz (PsychThG)

Strafvollzugsgesetze der Länder (StVollzG)

Zusammenfassung

»Rechtspsychologie« ist der Oberbegriff für die Teildisziplinen Kriminal- und Forensische Psychologie. Der Gegenstandsbereich ist die Anwendung psychologischer Theorien, Methoden und Erkenntnisse auf Probleme des Rechtssystems. Die Praxis der Rechtspsychologinnen stimmt allerdings nur sehr wenig mit der von den Medien gezeichneten Tätigkeit überein. Die meisten Rechtspsychologinnen sind im Bereich Justizvollzug und Forensischer Psychiatrie oder als Gutachterin tätig. Nur sehr wenige arbeiten als Polizeipsychologinnen oder »Profilerinnen«. Obwohl die Rechtspsychologie eine beeindruckende Geschichte und Entwicklung sowie Professionalisierung aufweist, gibt es in Deutschland erst seit dem Jahr 2013 an den Hochschulen verankerte Masterprogramme in Rechtspsychologie.

Literaturempfehlungen und Internetquellen

Kury, H. & Obergfell-Fuchs, J. (2012). Rechtspsychologie – Forensische Grundlagen und Begutachtung. Ein Lehrbuch für Studium und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer.

Bliesener, T., Dahle, K.-P. & Lösel, F. (2023). Lehrbuch Rechtspsychologie. Göttingen: Hogrefe.

www.bdp-rechtspsychologie.de

https://www.dgps.de/fachgruppen/rechtspsychologie

Aufgaben und Fragen zur Selbstüberprüfung

In welche Bereiche wird die Rechtspsychologie aufgeteilt?

Grenzen Sie Rechtspsychologinnen von anderen forensischen Professionen ab!

Wie wird man Rechtspsychologin?

Nennen Sie die ethischen Richtlinien nach BDP/DGPs!

Endnoten

1An dieser Stelle möchten wir noch eine Bemerkung zum Sprachgebrauch vorwegnehmen. Wir verwenden kapitelweise abwechselnd das generische Femininum und das generische Maskulinum, schließen dabei aber selbstverständlich jegliches Geschlecht mit ein.

2Hier wird abweichend vom generischen Femininum in diesem Kapitel das Maskulinum verwendet, da die Funktionsträger im politischen Apparat alle Männer waren.

2 Kriminalpsychologie

Bereits in Kapitel 1 wurde aufgezeigt, dass die Rechtspsychologie in zwei Bereiche aufgegliedert werden kann. Im Folgenden wird zunächst die Kriminalpsychologie betrachtet, um in den anschließenden Kapiteln 3 bis 8 auf die Forensische Psychologie näher einzugehen.

In diesem Kapitel lernen Sie die Definition und den Gegenstandsbereich der Kriminalpsychologie kennen (▸ Kap. 2.1). Sie bekommen einen Überblick über die Häufigkeit und die Entwicklung von straffälligem Verhalten (▸ Kap. 2.2). Des Weiteren erhalten Sie eine Einführung in die wichtigsten Kriminalitätstheorien aus der Kriminologie, Soziologie, Medizin und Psychologie sowie in die Entwicklungspfade dissozialen Verhaltens. Darüber hinaus werden die Theorien zur Entstehung von Aggression, Gewalt und Sexualdelinquenz erläutert. Abschließend erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit der »kriminellen Persönlichkeit« (▸ Kap. 2.3).

2.1 Definition und Abgrenzungen

Definition

Die Kriminalpsychologie beschäftigt sich mit Theorien und empirischen Befunden zur Entstehung und Aufrechterhaltung von dissozialem und kriminellem Verhalten.

Die Aspekte der Kriminalprävention, die auch der Kriminalpsychologie zuzuordnen ist, werden in Kapitel 11 gesondert vertieft. Bevor eine ausführliche Auseinandersetzung mit den genannten kriminalpsychologischen Feldern stattfindet, betrachtet der nächste Abschnitt die Häufigkeit und die Entwicklung von Kriminalität.

2.2 Häufigkeit und Entwicklung von straffälligem Verhalten

Verfolgt man die Medienberichterstattung, so scheint die Kriminalität in den letzten Jahren stark zugenommen zu haben. Insbesondere kann man den Eindruck gewinnen, dass Sexual- und Gewaltkriminalität deutlich häufiger vorkommt als noch im letzten Jahrtausend. Lassen Sie uns gemeinsam schauen, ob das wirklich der Fall ist. Dafür werden vor allem statistische Erhebungen und Dunkelfeldanalysen geprüft. Jedes Jahr wird die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) herausgegeben. Diese können Sie einfach im Internet recherchieren und sich herunterladen (z. B. www.bka.de).

In der PKS finden sich Daten der letzten Jahre über das sogenannte »Hellfeld« (▸ Abb. 2.1). Es werden strafrechtlich relevante Taten oder Verhaltensweisen aufgenommen bzw. erfasst, die offiziell gemeldet, zur Anzeige gebracht oder ermittelt wurden. Unterschieden werden kann in der PKS zwischen der Anzahl der offiziell bei der Polizei gemeldeten Fälle, der ermittelten Tatverdächtigen und der aufgeklärten Fälle (durch die Polizei). Die Anzahl der rechtskräftig verurteilten Personen sind in der PKS nicht enthalten. Bosinski hat bereits 2002 darauf aufmerksam gemacht, dass in dieser Reihenfolge (gemeldete Fälle → ermittelte Tatverdächtige → verurteilte Personen) die Zahl der Fälle sehr deutlich sinkt. Das bedeutet, dass von den gemeldeten Fällen oftmals (je nach Deliktbereich unterschiedlich) nur ein Bruchteil abgeurteilt wird. Entsprechend müssen einzelne Statistiken unterschiedlich interpretiert werden und die Zahlen können erheblich variieren.

Abb. 2.1:Dunkel- und Hellfeld der Kriminalität (Darstellung in Anlehnung an die PKS)

In das relative Dunkelfeld fallen all jene Verhaltensweisen, die als Kriminalität zu bezeichnen sind (also gegen das Strafgesetzbuch verstoßen; ▸ Abb. 2.1), aber offiziell nicht erscheinen. Beispielsweise wenn häusliche Gewalt vorliegt (ein Mann schlägt seine Ehefrau), aber keine Anzeige erfolgt. Das relative Dunkelfeld wird wesentlich größer sein als das sich in der PKS widerspiegelnde Hellfeld. Untersuchungen (z. B. Wetzels, 1997) haben ergeben, dass beispielsweise irgendein erlebter sexueller Missbrauch im Leben bei Frauen in der Größenordnung von ca. 18 % liegt. Eine »erschreckend« hohe Zahl, die weit über den offiziellen Zahlen der PKS (also dem Hellfeld) liegt. Ähnliche Zahlen ergeben sich für den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (vgl. u. a. Bieneck & Stadler, 2012; Stadler et al., 2012) sowie für die Kindesmisshandlung (vgl. Stadler, 2012). Allerdings gibt es darüber hinaus auch das absolute Dunkelfeld, das man weder mit der Hell- noch mit der Dunkelfeldforschung erfassen kann (▸ Abb. 2.1). Daraus lässt sich schließen, dass viel über die Häufigkeit von kriminellem Verhalten und seine Veränderung über die Zeit bekannt ist; aber dennoch gibt es einen »blinden« Fleck. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Forschung und schränkt die Aussagekraft von offiziellen Statistiken deutlich ein. So weiß man beispielsweise nicht sicher, ob bei einem Absinken der Zahlen in der PKS die Kriminalität wirklich weniger geworden ist oder ob die Verringerung lediglich u. a. durch ein verändertes Anzeigeverhalten zustande gekommen ist (bei gleichbleibendem Dunkelfeld).

Abb. 2.2:Kriminalitätsentwicklung allgemein (PKS)

Sehen Sie sich jetzt die Kriminalitätsentwicklung (PKS) über die letzten Jahre und Jahrzehnte an. Die Abbildung 2.2 zeigt, dass sich die Kriminalität allgemein weitgehend konstant gehalten hat (unter Berücksichtigung der Einwohnerzahl), mit leichter Tendenz nach unten (▸ Abb. 2.2). Allerdings hat sich die Anzahl der erfassten Straftaten in den Jahren 2015 und 2016 leicht erhöht. In den folgenden Jahren 2017 bis 2021 haben sich die Zahlen deutlich reduziert. Zu beachten ist, dass in diese Spanne die Corona-Pandemie gefallen ist. In den Jahren 2022 und 2023 ist hingegen eine deutliche Erhöhung der allgemeinen Kriminalitätsrate festzustellen.

Abb. 2.3:Kriminalitätsentwicklung Raub- und Körperverletzungsdelikte (PKS); »Gefährliche und schwere Körperverletzung«

Ein ähnlicher Verlauf hat sich für die Raubdelikte gezeigt. Von 2000 bis 2021 hat eine Abnahme der Straftaten stattgefunden. Erst für die Jahre 2022 und 2023 ergibt sich ein deutlicher Anstieg. Indes hat sich in den letzten 20 Jahren das Hellfeld der Köperverletzungsdelikte stärker wellenförmig entwickelt (▸Abb. 2.3). Im Jahr 2007 konnte ein sehr hoher Wert festgestellt werden, der erst wieder in ähnlicher Form im Jahr 2023 erreicht wurde.

Der Blick auf die Zahlen der Tötungsdelikte (Mord und Totschlag) offenbart, dass die Zahlen von Mord und Totschlag mit leichter Tendenz zur Abnahme über die Jahre weitgehend ähnlich geblieben sind. Allerdings ist ein erheblicher Sprung für die Jahre 2022 und 2023 zu verzeichnen, welcher schließlich den höchsten Punkt seit über 20 Jahren markiert. Die Abbildung 2.4 fasst die Entwicklung (auch der versuchten Taten) zusammen (▸Abb. 2.4).

Abb. 2.4:Kriminalitätsentwicklung Tötungsdelikte (PKS)

Wenn man sich mit den Sexualdelikten beschäftigt, ist zwischen den Jahren 2000 bis 2015 (mit leichten Schwankungen) eine Abnahme für die Deliktbereiche Sexueller Missbrauch von Kindern, Exhibitionistische Handlungen und Erregung öffentlichen Ärgernisses sowie für Vergewaltigung und sexuelle Nötigung zu verzeichnen. Diese positive Entwicklung hat aber ab ca. 2015 einen ungünstigen Trend erhalten. Es ist für alle Kategorien eine erhebliche Zunahme der Fallzahlen festzustellen. Den negativen Höhepunkt stellt das Jahr 2023 dar (▸Abb. 2.5). In diesem Jahr