Reckless - Aurora Rose Reynolds - E-Book

Reckless E-Book

Aurora Rose Reynolds

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Beschreibung

Die neue Abenteuer-Reihe der New York Times und USA Today Bestsellerautorin Aurora Rose Reynolds. Reckless. Eine heiße Romanze über die Folgen davon, sich immer an Regeln halten zu wollen ... Jade war schon immer eine Draufgängerin. Manche würden sie leichtsinnig nennen, und vielleicht stimmt das sogar. Nachdem sowohl ihre Beziehung als auch ihr Unternehmen grandios gescheitert sind, sehnt sie sich nach einem Neustart. Montana klingt genau nach dem richtigen Ort für dieses Vorhaben. Bis sie auf Maverick trifft. Allein sein Name berührt Jades wilde Seite, und obwohl sie Versuchungen wie ihm abgeschworen hat, möchte sie diesem Mann nahe sein. Nur will er das auch? Maverick ist schon lange klar, dass die Liebe nicht für ihn bestimmt ist. Dafür hat ihm das Leben nicht die richtigen Karten ausgeteilt. Zumindest glaubte er das, bis diese kesse und schöne Rothaarige in seiner Heimatstadt auftaucht. Wenn er nicht aufpasst, verliert er an diese Frau noch sein Herz, und langsam fragt er sich, ob er das wirklich verhindern möchte ...

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Seitenzahl: 328

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Aurora Rose Reynolds

© Die Originalausgabe wurde 2022 unter dem

Titel Reckless (Adventures in Love Book 3) von Aurora Rose Reynolds veröffentlicht. Diese Ausgabe wird im Rahmen einer Lizenzvereinbarung ermöglicht, die von Amazon Publishing, www.apub.com, in Zusammenarbeit mit der Agentur Hoffmann stammt.

© 2023 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH

8700 Leoben, Austria

Aus dem Amerikanischen von Jennifer Kager

Covergestaltung: © Sturmmöwen

Titelabbildung: © Vadymvdrobot (depositphotos)

Redaktion & Korrektorat: Romance Edition

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903413-39-9

ISBN-EPUB:978-3-903413-40-5

www.romance-edition.com

1. Kapitel

Jade

Es ist dunkel. Dicke Schneeflocken fallen vom Himmel. Den Blick auf die Straße gerichtet, konzentriere ich mich auf die Fahrbahnmarkierung, die kaum zu erkennen ist.

»Ich war so dumm«, murmle ich vor mich hin. Wenn ich unterwegs nicht angehalten hätte, um etwas zu essen, und anschließend so viel Zeit in einem Antiquariat vergeudet hätte, müsste ich jetzt nicht durch dieses Wetterchaos fahren.

Andererseits wusste ich, als ich von Oregon nach Montana aufbrach, dass die Nachrichtensender einen Schneesturm angekündigt hatten. Ein Sturm, vor dem mich nicht nur mein Dad, sondern auch Cybil, meine beste Freundin, und ihr Mann Tanner mehrfach gewarnt hatten.

Nicht, dass ich auf einen von ihnen gehört hätte. Warum sollte ich den guten Rat von Leuten annehmen, denen ich vertraue? Das tue ich nie, weil ich manchmal wirklich stur sein kann. Deshalb stecke ich nicht nur mitten in einem Schneesturm, sondern muss mein ganzes Leben neu ausrichten, weil mein Buchladen geschlossen wurde und damit alles aus den Fugen geraten ist.

Okay, mein Geschäft hat nicht geschlossen, weil ich den Rat anderer nicht befolgt habe, sondern weil Mag McGregor entschieden hat, dass es absolut unheilig ist, in einem Buchladen in ihrer Stadt Bücher und zugleich Sexspielzeug anzubieten. Sie hat dafür gesorgt, dass sich sogar die Kunden unangenehm fühlten, die nur einen Ratgeber für die Gartenarbeit kaufen wollten.

Wie die Frau von dem versteckten Raum im hinteren Teil meines Ladens erfahren hat, in dem die Regale mit Sexspielzeug standen, weiß ich nicht. Aber ich würde meinen letzten Dollar darauf wetten, dass sie viel glücklicher wäre, wenn sie sich etwas ausgesucht und es ab und zu benutzt hätte.

Mein Leben geht auch in die Brüche, weil ich den Rat meiner besten Freundin nicht befolgt hatte. Sie meinte, ich solle mich nicht mehr mit Carl verabreden. Vor einer gefühlten Ewigkeit war ich mit ihm zusammen und trennte mich, nachdem er mich betrogen hatte. Als ich nun wieder Kontakt zu ihm hatte, nahm mich sogar meine Mom beiseite und redete mir ins Gewissen, ihm kein Geld zu leihen, damit er ein Malergeschäft eröffnen kann. Hätte ich auf Cybil oder meine Mom gehört, wäre ich jetzt vielleicht nicht arbeitslos, obdachlos, männerlos, pleite und würde vermutlich nicht mitten durch einen Schneesturm fahren.

Ein entgegenkommender Sattelschlepper blendet mich. Die hellen Scheinwerfer machen es noch schwieriger, auch nur ein paar Meter der Fahrbahn zu erkennen. Seufzend nehme ich den Fuß vom Gas, umklammere das Lenkrad etwas stärker und halte den Atem an, als der Sattelschlepper an mir vorbeifährt. Im Luftzug und wegen der schlechten Straßenverhältnisse haben die Reifen meines Autos kaum Halt auf der Fahrbahn. Doch auch ohne Gegenverkehr kann ich kaum die Spur halten, während ich einen Hügel hinauffahre.

Oben angekommen, atme ich tief durch und überlege, ob ich nicht einfach irgendwo anhalten und warten sollte, bis zumindest der Schneesturm vorübergezogen ist. Laut Routenplaner könnte ich in etwas mehr als einer Stunde bei Cybil und Tanner sein. Allerdings lässt das Schneetreiben nicht nach, um ehrlich zu sein, wird es von Minute zu Minute schlimmer.

Als hätte meine beste Freundin meine Gedanken erraten, unterbricht das Klingeln meines Handys das Lied im Autoradio, das gerade läuft. Ich drücke einen Knopf am Lenkrad, um das Gespräch anzunehmen. »Hey«, zwitschere ich, in der Hoffnung, nicht so besorgt zu klingen, wie ich mich im Moment fühle.

»Bist du noch weit weg?«, fragt sie besorgt. »Bei uns schaffen es die Räumfahrzeuge nicht, die Straßen freizuhalten.«

»Ich brauche noch etwa eine Stunde. Die Sicht ist schlecht und die Straße kaum zu erkennen.« Ich schnaufe, als mein Auto ins Schlingern gerät.

»Jade? Was ist passiert? Alles okay?«

»Mir geht es gut. Es scheint auch an einigen Stellen glatt zu sein.« Ich halte das Lenkrad fester und wünschte, ich hätte den Rat meines Dads befolgt und nicht nur Winterreifen aufgezogen, sondern auch Schneeketten eingepackt.

»Halt irgendwo an. Ich komme dich holen.« Bevor ich ihr sagen kann, dass ich es allein schaffe, sind ein Rauschen und dann Tanners Stimme zu hören. Er scheint ihr zu erklären, dass er sie bei dem Sturm nicht allein vor die Tür lassen wird. Es knackt in der Leitung. Wie ich Cybil kenne, will sie nicht, dass ich ihre Auseinandersetzung mitbekomme, aber ich höre noch, wie sie darauf besteht, mich abzuholen, und er sie nicht fahren lassen will. Dann scheint sie den Ton vollständig abgestellt zu haben, und ich warte einfach ab. Kurze Zeit später höre ich ein Kussgeräusch und dann Cybils Stimme. »Also.« Sie räuspert sich und klingt ein bisschen verwirrt, was mich zum Lächeln bringt. »Tanner sagt, dass er Maverick anrufen wird. Er holt dich mit seinem Truck ab.

»Maverick?«

»Tanners bester Freund. Du kennst ihn doch.« Natürlich weiß ich, wer er ist, aber wir haben bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen wir zusammen an einem Ort warnen, kaum ein Wort gewechselt. Ich habe mich immer für jemanden gehalten, der Menschen gut einschätzen kann. Bei ihm versagen meine Instinkte, und ich habe keine Ahnung, wie er tickt. Ich weiß, dass er mit Tanner, dem Mann meiner besten Freundin, befreundet ist, seit sie zusammen bei der Navy waren. Natürlich habe ich bemerkt, dass er ausgesprochen attraktiv ist, insbesondere, wenn er lächelt. Und Cybil sagt, er kann gut mit meiner Nichte Claire umgehen, der Tochter von Cybil und Tanner.

»Ich schaffe das schon. Falls es noch glatter wird, parke ich irgendwo und warte, bis die Schneepflüge und Streuwagen kommen.«

»Jade, bitte sei jetzt nicht so schwierig. Ich weiß, dass du in den meisten Situationen auf dich selbst aufpassen kannst, aber wir reden hier davon, dass du mitten in einem Schneesturm allein mit dem Auto unterwegs bist.«

»Okay, du hast recht.« Obwohl ich mich umstimmen lasse, ärgere ich mich, weil ich nicht gerne nachgebe. »Ich nehme die nächste Ausfahrt und suche mir einen Platz für die Nacht.«

»Wo bist du genau? Gibt es da eine Abzweigung?«, fragt sie, und in diesem Moment erscheint in der Ferne ein grünes Schild.

»Ja, oder ich glaube schon. Da kommt ein Schild.«

»Perfekt.« Sie klingt erleichtert. »Was steht auf dem Schild?«

»Ähm, das ist für einen Rastplatz. Ich fahre da ab und parke.«

»Wie lautet die Nummer der Ausfahrt?«

»Cybil, bitte, ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn Tanner seinen Freund bittet, mich zu retten.«

»Das ist schade, denn ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn du dein Leben aufs Spiel setzt und mitten im Schneesturm auf einem Rastplatz in deinem Auto übernachtest«, schnauzt sie.

»In Ordnung, beruhige dich.« Ich verfluche im Stillen mein Pech in letzter Zeit und nenne ihr die Nummer der Ausfahrt, die sie sofort an Tanner weitergibt, der vermutlich gerade mit Maverick telefoniert.

»Okay, Mav weiß, wo du bist, und er hat gesagt, dass er sich gleich auf den Weg macht.«

»Klingt gut«, behaupte ich, als ich von der Autobahn abfahre und mich in eine lange Schlange mit Sattelschleppern und Autos an der Einfahrt zum Rastplatz einreihe.

»Wie geht es Pebbles?«, fragt sie, als ich eine Lücke finde und meinen Wagen parke, den Motor aber wegen der Standheizung laufen lasse. Nur die Scheinwerfer schalte ich aus. Ich schaue zu meinem Begleiter in seinem Hundebett hinüber, der sich seit meinem Stopp im Antiquariat kaum gerührt hat.

»Er schläft.« Ich streiche mit den Fingern über Pebbles’ Kopf, und er öffnet kaum die Augen. Immerhin wedelt er mit seinem Schwanz. »Da wir schon mal angehalten haben, schaue ich mal, ob er pinkeln muss.«

»Okay, ruf mich an, sobald du wieder im Auto sitzt.«

»Klar, Mom«, entgegne ich spöttisch und höre ihr Lachen, das mich zum Schmunzeln bringt. Dann verabschiede ich mich mit dem Versprechen, mich in ein paar Minuten wieder zu melden. Nachdem wir aufgelegt haben, stecke ich Pebbles in seinen Pullover, schlüpfe in meine Jacke und setze meine Mütze auf.

Ich befestige Pebbles’ Leine an seinem Halsband und nehme ihn auf den Arm. Dann öffne ich die Fahrertür und bereue die Entscheidung fast sofort. Trotz Wintermantel, Stiefeln und Mütze raubt mir die kalte Luft den Atem und lässt mich von innen heraus frieren, während Pebbles an meiner Brust von Kopf bis zum Schwanz zu zittern beginnt.

Zielstrebig gehe ich vorbei an einem großen Gebäude, das in goldenes, warmes Licht getaucht ist, zum Hundeplatz. Als ich die Stelle erreiche, an der ich Pebbles freilassen kann, bin ich komplett durchgefroren. Pebbles scheint es ebenso zu gehen. Er war der Kleinste seines Wurfes und wiegt nicht einmal zwei Kilogramm. Aber er ist mein Baby, neben meinem Dad der einzige Mann, um den ich mich kümmern kann.

Ich schiebe die Schneeschicht weg, die sich auf dem Gras angesammelt hat, küsse seine Nase und setze ihn ab. »Töpfchen«, sage ich zu ihm, ein Kommando, dass er immer ohne zu zögern befolgt. Und im Moment weiß er genau, dass wir danach wieder in die Wärme des Autos steigen werden.

Sobald er fertig ist, nehme ich ihn auf den Arm und gehe mit gesenktem Kopf zurück zu meinem Auto. Unter der Schneedecke hat sich eine Eisschicht gebildet, dass ich selbst mit meinen Stiefeln nur schwer vorankomme. Eine Minute später sitze ich hinter dem Lenkrad, starte mein Auto, nehme meine Mütze ab und werfe sie auf das Armaturenbrett. Dann befreie ich Pebbles von seinem durchnässten Pullover. Ich setze ihn auf das Hundebett und breite eine Decke über ihm aus.

Nachdem ich mich aus meinem Mantel geschält habe, halte ich meine Hände vor den Lüftungsschlitz der Heizung und bete, dass meine Fingerspitzen warm werden. Auch in Oregon ist es oft sehr kalt. Aber hier fühlt sich die Kälte viel intensiver an.

Nach wenigen Minuten sind meine Finger so weit aufgetaut, dass ich Cybil eine kurze Nachricht schicken kann. Ich informiere sie, dass ich nicht entführt wurde. Dann schreibe ich meinen Eltern, dass es mir gut geht und ich von Maverick gerettet werde, bevor Cybil mir zuvorkommen kann. Eine Minute später piepst mein Handy mit einer Mitteilung von Cybil mit einem einfachen Herz. Eine Sekunde später antwortet mein Dad. Er schreibt, dass er mich lieb hat und ich ihn und Mom auf dem Laufenden halten soll.

Als ich meinem Dad geantwortet habe, atme ich tief durch, betrachte das Gebäude vor mir und frage mich zum millionsten Mal, ob es die richtige Entscheidung ist, nach Montana zu ziehen und meine Eltern in Oregon zurückzulassen. Intuitiv spüre ich, dass ein Neuanfang das Beste für mich ist. Trotzdem fühlt es sich nicht richtig an. Nachdem ich bei meinen Eltern auszog, habe ich eine Wohnung gefunden, die nur fünf Minuten entfernt lag. Und jetzt werden wir einen ganzen Tag fahren müssen, um uns sehen zu können. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ich noch keinen Job habe und vorerst bei Cybil und Tanner wohnen werde – etwas, worauf ich mich nicht unbedingt freue.

Einerseits bin ich froh, viel Zeit mit Cybil verbringen zu können. Ich habe sie wahnsinnig vermisst. Einige meiner schönsten Erinnerungen stammen aus der Zeit, als wir uns ein Zimmer teilten, nachdem ihre Mom an Krebs gestorben war und sie bei uns einzog. Seither sind wir wie Schwestern.

Ich freue mich auch darauf, meiner Nichte näher zu sein, die so bezaubernd ist, und auf Tanner, der ein wirklich guter Kerl ist.

Andererseits wird es schwierig werden, mit meiner besten Freundin und ihrem Mann unter einem Dach zu leben, weil sie so schwer verliebt sind. Obwohl ihr Haus ziemlich groß ist, wird es kaum eine Möglichkeit geben, ihnen aus dem Weg zu gehen. Ich freue mich für Cybil, dass sie jemanden gefunden hat, der perfekt zu ihr passt. Aber sie so glücklich und verliebt zu sehen, erinnert mich in jeder Sekunde daran, was ich nicht habe und wahrscheinlich nie haben werde.

Falls ich nach der ewigen Pechsträhne nicht endlich mal etwas mehr Glück haben sollte.

Ich schüttle den Kopf und verdränge die deprimierenden Gedanken. Stattdessen schalte ich einen meiner Lieblings-Krimi-Podcasts ein, neige den Sitz in eine bequemere Position und breite meine Jacke als Decke über mich. Während ich der Sendung lausche, beobachte ich, wie der Schnee die Windschutzscheibe bedeckt und hoffe, dass Maverick bald kommt.

2. Kapitel

Jade

Ich öffne die Augen, als Pebbles winselnd auf meine Brust klettert und seine kleinen Pfoten in meine Haut gräbt. »Ist schon gut, Baby«, versuche ich, ihn zu beruhigen. Draußen heult der Sturm. Ich setze mich auf und schaue mich um. Die Autoscheiben sind mit einer dicken Schneeschicht bedeckt, sodass ich nicht raussehen kann. Ich greife nach meinem Handy, weil ich keine Ahnung habe, wie lange ich schon auf diesem Parkplatz stehe. Meine Augen weiten sich, als ich sehe, dass es fast ein Uhr morgens ist.

Es ist vier Stunden her, seit ich mit Cybil gesprochen habe, vier Stunden, seit Maverick auf dem Weg zu mir sein sollte. Ich wähle Cybils Nummer und fluche, als mein Telefon anzeigt, dass ich keinen Empfang habe. Keinen einzigen Balken. Wie kann das sein? Vorhin konnte ich doch auch telefonieren.

Ich lege mein Handy in den Becherhalter und setze Pebbles zurück auf sein Bett. Dann ziehe ich meinen Mantel an und greife nach meiner Mütze. Als ich hier ankam, standen schon einige andere Autos auf dem Parkplatz. Wenn mein Auto jetzt komplett mit Schnee bedeckt ist, kann Maverick es unmöglich zwischen all den anderen entdecken. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob er weiß, welches Auto ich fahre, aber wie ich Cybil kenne, hat sie es ihm haargenau beschrieben.

Ich will die Tür öffnen, doch der Sturm drückt von außen dagegen. Immerhin rutscht der Schnee vom Fahrerfenster, und ich kann nach draußen sehen. Allerdings erkenne ich nicht viel, denn sämtliche Straßenlampen, die den Rastplatz beleuchtet haben, sind jetzt dunkel. Da ist nur Schnee und noch mehr Schnee, der stetig vom Himmel fällt. Obwohl ich überhaupt keine Lust habe, das halbwegs warme Innere meines Wagens zu verlassen, schiebe ich die Tür so weit auf, bis ich aussteigen kann.

Ich schließe die Tür und ziehe meine Mütze so weit wie möglich über die Ohren. Der Schnee reicht mir bis zu den Waden. Mit vorsichtigen Schritten umrunde ich mein Auto. Ich weiß zwar nicht viel über Autos, aber immerhin so viel, dass ein blockiertes Auspuffrohr unter keinen Umständen eine gute Sache ist.

Der Schnee drum herum ist größtenteils geschmolzen. Ich schiebe ihn mit dem Fuß noch weiter weg und sehe mich dann um. Nicht weit entfernt stehen Sattelschlepper mit laufenden Motoren. Das Standlicht beleuchtet den Platz und die Zufahrt. Ich kann erkennen, dass längere Zeit kein Auto vorbeigefahren ist. Demnach ist Maverick noch nicht hier.

Ich atme tief durch und spüre, wie mir die Kälte in die Knochen kriecht. Mit einer Hand in der Manteltasche beginne ich, mein Auto vom Schnee zu befreien. Die Bürste, die ich dafür immer im Kofferraum aufbewahre, ist unter all den Kisten und Taschen begraben. Nach wenigen Minuten bin ich komplett durchgefroren, woran nicht zuletzt meine vom Schnee durchweiten Klamotten und meine nassen Stiefel schuld sind. Immerhin ist mein Wagen einigermaßen vom Schnee befreit, sodass mich Maverick finden kann.

Ich ziehe meinen Mantel aus und setze mich wieder hinters Lenkrad. Mit Entsetzen bemerke ich, dass ich kaum noch Benzin habe. Mein Tank war etwa halb voll, als ich von der Autobahn abfuhr, aber jetzt steht die Anzeige kurz vor null. Das bedeutet, dass der Motor bald ausgehen wird und damit auch die Standheizung. Ich werde in einem Schneesturm gefangen sein und kann nicht einmal telefonieren.

Pebbles winselt neben mir. Gedankenverloren streichle ich ihn und überlege, was ich tun soll. Ich habe keine Ahnung, wie lange mein Auto noch im Leerlauf läuft, und ich kann es nicht riskieren, es auszuschalten. Wenn ich das tue, weiß ich nicht, ob es wieder anspringt. Ich drehe mich um und betrachte meine Koffer auf dem Rücksitz. Bevor der letzte Rest Benzin verbraucht ist, sollte ich mir noch mehr anziehen. Und sobald der Morgen anbricht, werde ich mich zu einem der Lastwagen durchschlagen und hoffen, dass einer der Fahrer ein funktionierendes Telefon hat oder dass es eine andere Möglichkeit gibt, jemanden zu erreichen, der mir hilft.

Ich bin mir sicher, dass sich Cybil inzwischen große Sorgen macht. Wie ich sie kenne, hat sie mit meinen Eltern gesprochen. Demnach werden auch sie eine schlaflose Nacht haben. Ich schiebe meinen Sitz ganz nach hinten, ziehe meine Stiefel aus und kämpfe mich aus meinen nassen Jeans, was durch den Platzmangel nur noch komplizierter wird. Schwer atmend beginne ich anschließend, mir eine schwarze Leggings anzuziehen, bis ich eine dunkle, schattenhafte Gestalt vor meinem Fenster stehen sehe und laut aufschreie.

»Jade.« Eine tiefe Stimme überlagert das Geräusch meines pochenden Herzens. Ich konzentriere mich auf das Gesicht, oder das, was davon unter dem Hut und zwischen den Ecken des Jackenkragens zu erkennen ist. Maverick. Natürlich taucht er genau dann auf, wenn ich mit heruntergelassenen Hosen im Auto sitze.

»Ich ziehe mich nur um«, rufe ich, als er näher ans Fenster tritt, damit ich ihn besser sehen kann, und versuche, meine Leggings so schnell wie möglich über meine Oberschenkel zu ziehen, was in dem engen Raum gar nicht so einfach ist.

»Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe.«

»Ach, ist schon okay.« Ich hebe meine Hüften an, um die Leggings über meinen Hintern zu zerren, dann öffne ich das Fenster einen Spalt. »Hey«, keuche ich. Obwohl ich Maverick nicht gut sehen kann, erkenne ich sein Lächeln.

»Hey.« Seine Stimme ist sanft. »Bist du bereit, von hier zu verschwinden?«

»Ja, ich muss nur noch meine Schuhe anziehen.« Ich lehne mich zurück, um Platz für Pebbles zu machen, der auf meinen Schoß gewandert ist, um Maverick zu begrüßen.

»Was willst du alles mitnehmen?«, fragt er. Pebbles streckt sich, stellt seine Vorderpfoten auf den Fensterrahmen und lässt sich vom Maverick den Kopf kraulen. »Du wirst vielleicht ein paar Tage bei mir bleiben müssen.«

»Was? Warum?« Obwohl sich mein Puls mittlerweile wieder beruhigt hatte, rast mein Herz nun erneut, allerdings aus einem anderen Grund. Ja, ich binMaverick schon mehrmals begegnet, aber ich kenne ihn nicht wirklich. Und außerdem sieht er so unglaublich gut aus.

»Die Straßen sind eingeschneit, und die Räumfahrzeuge können bei dem starken Wind nur wenig ausrichten. Laut Wetterbericht soll es nach dem Sturm gefrieren.«

»Ich werde es also nicht zu Cybil schaffen?«

»Heute nicht und morgen auch nicht.«

»Oh.« Ich werfe einen Blick auf meinen offenen Koffer, aus dem die Kleidung quillt. »Ich musste meine nassen Klamotten wechseln und wollte dann noch ein paar Schichten anziehen, weil mein Tank fast leer ist«, erkläre ich ihm. Er lächelt wieder, diesmal aus nächster Nähe. Verdammt, ist der Mann attraktiv.

»Während du das Nötigste einpackst, fülle ich deinen Tank auf, damit die Benzinleitung in den nächsten Tagen nicht einfriert.«

»Okay, klar«, stimme ich zu, weil ich denke, dass er weiß, wovon er spricht.

»Schließ das Fenster«, fordert er mich auf, nimmt seine Finger von Pebbles’ Kopf und tritt einen Schritt zurück. Ich tue, was er mir sagt, obwohl mich die kalte Luft zur Genüge daran erinnert.

Ich beobachte in meinem Seitenspiegel, wie Maverick zu einem riesigen Pickup geht, der hinter mir im Leerlauf dröhnt, bevor ich Pebbles auf sein Bett lege. Dann beginne ich den Kampf mit meinem Koffer, den ich zu Hause nur schließen konnte, weil ich mich draufgekniet habe. Als ich in ein trockenes Exemplar Stiefel geschlüpft bin, steht meine Tankanzeige wieder auf halbvoll.Maverick parkt seinen Truck direkt neben meinem Wagen, steigt aus und öffnet mir die Tür meines Autos.

»Danke für deine Hilfe«, sage ich ihm, als ich mit meinem Handy und Pebbles im Arm aussteige.

»Das ist keine große Sache.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass es eine große Sache ist, mitten in einem Schneesturm zu fahren, um eine Tussi zu retten, die du nicht kennst.« Er grinst nur und öffnet mir die Beifahrertür des Trucks, um mich einsteigen zu lassen. Stattdessen setze ich Pebbles auf den Sitz und drehe mich um, weil ich Maverick mit meinem Gepäck helfen will. Zumindest war das mein Plan. In Wirklichkeit stoße ich mit dem Gesicht gegen seine breite Brust und halte mich instinktiv an ihm fest, weil meine Stiefel auf dem Eis keinen Halt finden und ich wegrutsche.

»Ich hab dich.« Seine Arme legen sich um mich, während der Duft von Kiefer und Moschus all meine Sinne erfüllt. Ich lehne meinen Kopf weit zurück, schaue zu ihm hoch und stelle fest, wie groß er ist. Nebenbei kommt mir der Gedanke, dass er aus diesem Blickwinkel noch viel besser aussieht. Sein Kiefer ist noch markanter, seine Lippen sind voller und seine Wangenknochen ausgeprägter. Normalerweise würde ich das Wort schön nicht verwenden, wenn ich einen Mann beschreibe, aber er ist auf eine sehr maskuline Art schön.

»Danke.«

»Kein Problem.« Ich registriere, dass seine Hände zu meinen Schultern hinauf und dann meine Arme hinunter wandern. »Wie wäre es, wenn du es mir überlässt, deinen Kram aus dem Auto zu holen, und du bei deinem Hund bleibst?«

»Das ist kein Kram«, entgegne ich. Er verringert den Abstand zwischen uns und lässt mir keine andere Wahl, als zurückzuweichen, wenn ich mich nicht an ihn drücken will.

»Na gut, dein Gepäck.« Er rückt noch näher, und ich lehne mich so weit es geht nach hinten in die offene Beifahrerseite.

»Ich kann dir helfen«, biete ich an.

»Oder du setzt dich in meinen Truck.« Er schüttelt den Kopf. Ehe ich mich versehe, hebt er mich an der Taille hoch und platziert mich neben Pebbles auf dem Sitz.

»Du ... du hast mich gerade einfach so ...«, stottere ich, jetzt Auge in Auge mit ihm. Ich stelle erneut fest, wie groß dieser Mann wirklich ist.

»Willst du nur deinen Koffer, oder brauchst du noch etwas anderes?«, fragt er.

Ich schaue mich im Inneren seines Trucks um und nehme auch hier Mavericks Duft wahr. »Du hast mich einfach so ...« Immer noch verblüfft darüber, dass er mich einfach so hochgehoben und auf den Sitz verfrachtet hat, drehe ich mich wieder zu ihm um. Ich würde nicht von mir behaupten, dass ich großgewachsen bin, aber ich bin definitiv kein zartes Wesen.

»Pippi, was willst du nun aus deinem Auto mitnehmen?«

»Pippi?«

»Langstrumpf.« Er zupft an einem meiner roten Zöpfe, und ich blinzle ihn irritiert an. »Das ist eine alte Fernsehserie.«

»Oh.«

»Also, was willst du noch aus deinem Auto?«

»Meinen Koffer, mein Portemonnaie und die Tasche hinter dem Beifahrersitz. Da sind Pebbles’ Sachen drin.«

»Okay. Und jetzt zieh deine Füße ein.« Er macht einen Schritt zurück, und ich schwinge meine Beine in den Truck, bevor er die Tür schließt und zu meinem Auto geht. Anstatt ihm beim Umladen zuzusehen, suche ich nach meinem Welpen. Er liegt zusammengerollt auf dem Fahrersitz und schläft tief und fest. Ich lasse ihn vorerst in Ruhe, ziehe meinen immer noch nassen Mantel und meine Mütze aus und drehe die Heizung höher.

»Brauchst du noch irgendetwas aus deinem Auto?«, fragt Maverick, als er mein Gepäck auf den Rücksitz legt.

»Nicht, dass ich wüsste.« Ich drehe mich um und schaue ihn fragend über die Schulter hinweg an. »Glaubst du, dass meine Sachen sicher sind, bis ich mein Auto abholen kann?«

»Hast du etwas Wertvolles da drin?«

»Mein ganzes Leben oder zumindest die wichtigsten Dinge«, gebe ich zu. Ohne ein weiteres Wort geht er zurück zu meinem Auto und öffnet den Kofferraum. Ich will ihm gerade sagen, dass er nicht alles einladen muss, doch ich weiß, dass ich am Boden zerstört wäre, wenn meinen Habseligkeiten etwas zustoßen würde. Alles, was in meinem Auto ist, hat für mich einen sentimentalen Wert. Meine Möbel, den Hausrat und die größeren Dinge habe ich in der Garage meiner Eltern eingelagert, bis ich einen Job und eine eigene Wohnung gefunden habe. Während Maverick meine Kisten in seinen Kofferraum stapelt und auch die wenigen Taschen daneben stellt, überprüfe ich, ob mein Telefon Empfang hat. Nichts. Kein Netz.

Maverick verriegelt mein Auto und schlägt die Heckklappe seines Trucks zu, bevor er seine Fahrertür öffnet. »Alles klar?«, fragt er mich. Ich nicke und nehme Pebbles auf den Schoß, der sich nicht über den Umzug zu freuen scheint.

»Ja, und nochmals vielen Dank.«

»Das ist keine große Sache.« Maverick nimmt seinen Hut ab, der mit Schnee bedeckt ist, und wirft ihn zusammen mit seiner Jacke auf die Rückbank. Ich stelle fest, dass die Fließjacke, die jetzt zum Vorschein kommt, seinen muskulösen Oberkörper betont. Pebbles’ Versuche, auf Mavericks Schoß zu gelangen, unterbrechen meine seltsamen Gedanken, und ich halte ihn fester.

»Ich habe keinen Handyempfang, du etwa?«, frage ich, als wir losfahren.

»Keine Ahnung. Vorhin auf dem Berg gab es jedenfalls kein Netz.« Er reicht mir sein Handy aus dem Becherhalter, und ich starre es an. »Du kannst nachsehen. Der Code ist eins zwei drei vier.«

Ich entsperre sein Handy und sehe zumindest einen halbwegs stabilen Balken. »Hast du Cybils Nummer?«

»Nein, aber sie ist garantiert bei Tanner. Ruf ihn an.« Ich öffne die Kontakte und drücke auf den von Tanner. Statt eines Klingeltons höre ich nur ein Piepsen.

»Vermutlich ist ein Sendemast ausgefallen.« Ich lege sein Telefon zurück in den Becherhalter zwischen uns. »Hoffentlich flippt Cybil nicht aus, weil ich mich nicht melde.«

»Du kannst sie anrufen, wenn wir bei mir sind«, sagt er, und ich presse eine Hand gegen meinen Bauch, der bei der Erwähnung seiner Wohnung vor Nervosität flattert.

»Wie weit ist es bis zu dir?«, frage ich, als er auf den völlig leeren Highway fährt.

»An einem normalen Tag dreißig Minuten. Ich weiß nicht, wie lange es jetzt dauert, aber hoffentlich nicht wieder drei Stunden, die ich gebraucht habe, um zu dir zu kommen.«

»Drei Stunden.«

»Auf der Gegenfahrbahn gibt es keine Abfahrt zu dem Parkplatz, auf dem du gehalten hast. Deshalb musste ich bis zur nächsten Abfahrt weiterfahren und dann umkehren.«

»Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.«

»Du musst mir nicht danken. Ich helfe dir gern«, versichert er mir leise, bevor er das Radio aufdreht. Vermutlich ist das seine Art, mir mitzuteilen, dass alles gesagt ist. Ich versuche, mich auf die Fahrbahn zu konzentrieren und das beunruhigend warme Gefühl in meiner Magengegend zu ignorieren, das seine Anwesenheit in mir auslöst.

3. Kapitel

Maverick

Nachdem ich vor meinem Haus geparkt habe, stelle ich den Motor ab und betrachte Jade. Vor etwa einer Stunde ist sie mit ihrem dösenden Hund auf dem Schoß eingeschlafen. Bisher habe ich nie bemerkt, wie hübsch sie ist. Aber ich habe auch nur ein paar Stunden in Gesellschaft anderer mit ihr verbracht, und wir hatten nie Zeit zum Reden. Ich greife nach ihrem Oberarm und drücke ihn sanft. Ihre Lider öffnen sich, bevor sie ihren Kopf zu mir dreht.

»Wir sind da.«

»Ich bin wohl eingeschlafen«, sagt sie und setzt sich schläfrig auf. »Wie spät ist es?«

»Kurz nach drei.« Ich löse meinen Gurt und greife nach ihrem Mantel auf dem Rücksitz. »Du musst erschöpft sein.«

»Mir geht’s gut.«

Ich ziehe meine Jacke an und warte, bis sie ihren Mantel angezogen hat, bevor ich die Tür öffne, um auszusteigen. In der offenen Tür bleibe ich stehen und schaue sie an. »Brauchst du heute Abend noch etwas anderes als deinen Koffer und die Tasche mit dem Hundefutter?«

»Nein, die anderen Sachen sind nicht so wichtig.« Sie gähnt, als ich meine Tür zuwerfe und zur Beifahrerseite gehe, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Sie ist gerade dabei, ihrem Hund einen lindgrünen Rollkragenpullover anzuziehen. Der Anblick bringt mich zum Lächeln. »Hey, sieh ihn nicht so an. Er kriegt sonst Komplexe.«

»Ich grinse nicht über ihn, sondern über dich«, entgegne ich und helfe ihr, als sie lacht.

»Er würde erfrieren, wenn ich ihm nicht etwas anziehe.«

»Was haben Hunde gemacht, bevor es Menschen gab?«

»Früher gab es nur Wölfe. Die waren es gewohnt, draußen zu leben. Aber Pebbles ist kein Wolf, und er hat zu wenig Fell, um sich warm zu halten. Dafür braucht er mich und den Pulli.« Sie nimmt den Kleinen auf den Arm und setzt ihn ein paar Meter weiter auf eine weitgehend schneefreie Fläche. Dann sagt sie etwas, das wie Töpfchen klingt, und er pinkelt auf ihr Kommando. »Hier wohnst du also?«, will sie wissen und zieht sich mit einer Hand die Mütze tiefer in die Stirn, während ich ihren Koffer und die Tasche vom Rücksitz nehme.

»Ja, das ist mein Haus.« Ich gehe voran auf die Veranda meines kleinen Blockhauses, wo sich durch meine Bewegung die Türbeleuchtung einschaltet. »Es ist nicht sehr groß, aber im Moment reicht mir der Platz. In den nächsten drei Jahren möchte ich ein zweites Haus weiter hinten auf dem Grundstück bauen und diese Hütte für Freunde und Familie nutzen, wenn sie zu Besuch kommen.«

»Wie viel Land hast du denn?«

»Etwas mehr als vier Hektar.« Ich lasse sie zur Vordertür rein und folge ihr ins Haus. Sie bleibt stehen, um ihre Stiefel und ihren Mantel auszuziehen, was sie problemlos schafft, ohne ihren Hund abzusetzen. »Eigentlich wollte ich ein größeres Grundstück haben, aber dann würde ich jetzt so weit außerhalb der Stadt wohnen, dass es mühsam wäre, am Samstagmorgen Milch zu holen.«

»Meine Eltern leben auf dreißig Hektar Land etwa dreißig Minuten außerhalb der Stadt. Es ist immer ein Abenteuer, wenn sie etwas einkaufen müssen.« Sie wartet, bis ich ihren Mantel neben meine Jacke gehängt habe, ehe sie mir durch den kurzen Flur in die Küche folgt.

»Da sind wir.« Ich deute auf die Küche und das angrenzende Wohnzimmer. »Wie ich schon sagte, es ist nicht sehr groß.«

»Aber gemütlich.« Sie schaut sich um und bleibt dann am Panoramafenster im Wohnzimmer stehen, wo man mit Hilfe der von mir installierten Scheinwerfer auch nachts rüber zum Wald hinter dem Haus sehen kann. »Ich wette, der Blick aus diesem Fenster ist tagsüber wunderschön.«

»Die Aussicht hier ist nicht so schön wie von dort, wo ich das andere Haus bauen will. Falls es morgen nicht zu kalt ist, könnten wir mit dem Schneemobil dorthin fahren«, schlage ich spontan vor und wundere mich über mich selbst. Niemandem, nicht einmal Tanner oder Blake, habe ich die Stelle gezeigt.

»Das würde mir gefallen.« Sie lächelt, bis Pebbles einen kurzen Laut von sich gibt. Zuerst schaut sie auf ihn und dann auf ihre Füße hinunter. Ich bin überrascht, dass sich Caz an ihre Knöchel geschmiegt hat und den Hund kaum zu beachten scheint. »Du hast eine Katze?«

»Nein.«

»Nein?« Sie wirft mir einen liebenswert verwirrten Blick zu, während Caz auf die Rückenlehne der Couch springt, um Jade näher zu kommen.

»Dieses Haus gehörte Caz, bevor ich es gekauft habe. Ich bekam sie zusammen mit dem Haus.«

»Im Doppelpack?« Jade lacht und tritt näher an die Couch, um Caz zu streicheln.

»Sei vorsichtig. Sie mag keine Fremden und schon gar keine Hunde.«

»Sie ist süß.« Jade lässt ihre freie Hand über den Rücken der Katze gleiten. Caz schnurrt und reibt sich an Jades Hand.

»Sie scheint dich zu mögen. Zu mir kommt sie nur, wenn sie Hunger hat.«

»Das liegt daran, dass sie ein kluges Mädchen ist.« Sie krault Caz hinter den Ohren. »Sie weiß, dass sie dir nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken sollte, weil du das als selbstverständlich hinnimmst und dann vergisst, dass du ihr auch etwas zurückgeben musst.«

»Das klingt, als würdest du aus Erfahrung sprechen«, sage ich, und Jade zuckt mit den Schultern, bevor sie meinen Blick erwidert.

»Stört es dich, wenn ich Pebbles frei herumlaufen lasse?«, fragt sie gähnend und hält sich den Mund zu.

»Von mir aus gern. Caz scheint er auch nicht zu stören.« Verwundert betrachte ich noch einen Moment meine Katze, bevor ich zur Tür des Gästezimmers gehe, das ans Wohnzimmer grenzt. »Ich habe leider nur zwei Etagenbetten in meinem Gästezimmer. Ich hoffe, das ist in Ordnung.«

»Ich würde notfalls auch im Stehen schlafen«, behauptet sie und sieht mich mit müden Augen an. Ich stelle ihre Tasche in das Zimmer, das auch meine Neffen nutzen, wenn sie mich besuchen.

»Das Badezimmer findest du den Flur runter, gleich neben der Haustür. Handtücher sind im Schrank, falls du duschen willst. Ich glaube, eine neue Zahnbürste ist auch da, aber ich bin mir nicht sicher.«

»Kein Problem, ich habe meine eigene dabei.« Sie klopft auf den Deckel ihres Koffers. »Nochmals vielen Dank. Ich werde dir ein Dutzend Kekse backen, sobald ich die Gelegenheit dazu habe.«

»Du kannst backen?«

»Nein.« Sie lacht und bringt mich auch zum Lachen. »Aber ich kann hervorragend mit gekauftem Teig umgehen.«

»Dann freue ich mich schon darauf, das zu erleben.« Ich lächle und schüttle den Kopf, als sie wieder gähnt. »Geh schlafen. Wir sehen uns morgen Früh.«

»Ich sollte noch Cybil anrufen. Sie macht sich bestimmt große Sorgen.«

»Das Haustelefon ist in der Küche an der Wand. Wir haben leider immer noch keinen Handyempfang.« Ich gehe zur Tür, bleibe dann stehen und drehe mich zu Jade um. »Wenn du Morgen vor mir aufwachst, mach es dir gemütlich. Der Kaffee steht im Schrank über der Espressomaschine, und im Kühlschrank gibt es Eier und ein paar andere Dinge. Mit etwas Glück bleiben wir von dem angekündigten Glatteis verschont. Dann kann ich dich zu Cybil und Tanner bringen.«

»Okay, danke. Wir sehen uns dann morgen Früh.«

»Ich lasse die kleine Lampe in der Küche an, falls du nachts rausmusst. Dann findest du dich besser zurecht.« Ich schalte die anderen Lichter aus und wünsche ihr eine gute Nacht, bevor ich in mein Zimmer gehe und leise die Tür hinter mir schließe. Nur mit Boxershorts bekleidet, lege ich mich ins Bett. Ich weiß nicht, wie lange ich wach liege, komme aber erst zur Ruhe, nachdem Jade telefoniert hat, die Dusche zu hören war und die Tür zum Gästezimmer mit einem leisen Quietschen geschlossen wurde.

»Pebbles, hör auf!« Jades Stimme und das Kläffen eines Hundes dringen an meine Ohren, und ich bin sofort wach. »Oh mein Gott, du wirst dich noch umbringen, du Idiot! Das ist ein Bär!«

»Was zum Teufel?« Ich knipse die Lampe neben meinem Bett an, stehe auf und ziehe mir eine Jogginghose an. Nachdem ich meine Pistole aus der obersten Schublade meiner Kommode geholt habe, laufe ich den Flur entlang zur Vorderseite des Hauses, wo ich Jade aus vollem Halse schreien und ihren Hund bellen höre.

Ich schiebe die Haustür auf und fluche. Jade, nur mit einem langen T-Shirt und einem übergroßen Flanellhemd bekleidet, läuft ihrem Hund hinterher, der einen Schwarzbären auf einem Baum anbellt. Der Bär klammert sich an einen der oberen Äste und ist so groß, dass er den Hund und Jade mit einem Hieb seiner Krallen erledigen könnte, wenn er die Chance dazu hätte.

Ohne nachzudenken, stürme ich durch den Schnee, lege einen Arm um Jades Taille und hebe sie vom Boden auf. Obwohl sie schreit und strampelt, trage ich sie zur Veranda. »Bleib hier«, fordere ich sie auf. Ihre Augen weiten sich, doch sie bleibt stehen. Ich drehe mich um und gehe ein paar Schritte auf den Baum mit dem Bären zu. »Pebbles«, rufe ich. Augenblicklich verstummt der Hund und lässt sich in den Schnee fallen, seinen Blick konzentriert auf mich gerichtet. »Komm.« Als wüsste er nicht, wofür er sich entscheiden soll, schwankt sein Blick zwischen dem Bären und mir hin und her. »Jetzt«, rufe ich schärfer. Mit gesenktem Kopf trottet er mir entgegen. Der Schnee liegt so hoch, dass er nur mühsam vorwärts kommt. Sobald er mich erreicht, hebe ich ihn hoch. Mit möglichst gleichmäßigen Bewegungen gehe ich zur Veranda und übergebe Pebbles an Jade, bevor ich sie ins Haus dränge und die Tür hinter uns schließe.

»Das hat er noch nie gemacht«, flüstert sie und drückt den Welpen an ihre Brust. Ihr Körper zittert, entweder von der Kälte oder vom Adrenalin. Wahrscheinlich beides.

»Was hast du dir dabei gedacht, halb bekleidet ohne Schuhe draußen rumzulaufen?«, frage ich, während ich meine Waffe auf das Regal über der Garderobe lege. Dann betrachte ich Jade prüfend.

»Mir geht es gut.«

»Du bist völlig durchgefroren«, stelle ich fest und genieße für einen Moment den Anblick ihrer Beine. Die Haut ist von der Kälte gerötet, und ihre Füße müssen eiskalt sein.

»Mir geht’s gut«, wiederholt sie. Ich erwidere ihren Blick und spüre eine Wut, wie ich sie noch nie zuvor gespürt habe. Vielleicht ist es irrational, vielleicht aber auch nicht; wer weiß, was passiert wäre, wenn ich ihre Rufe nicht gehört hätte.

»Da draußen sitzt ein Bär im Baum, Jade. Was zum Teufel ist passiert?«, frage ich vorwurfsvoll und deute auf sie.

»Ich wusste nicht, dass es da draußen Bären gibt, Maverick, sonst hätte ich meinen Hund nicht rausgelassen«, schreit sie zurück und schlägt meinen Finger weg. »Und zeig nicht auf mich.«

»Benutz dein Gehirn.«

»Was hast du gerade gesagt?« Sie macht einen Schritt auf mich zu und bohrt einen Finger in meine nackte Brust. »Ich habe dich nicht darum gebeten, rauszukommen. Und du musst dich deswegen nicht wie ein Idiot aufführen. Glaubst du, ich wäre rausgerannt, wenn ich geahnt hätte, dass da draußen ein verdammter Bär wartet?« Sie schüttelt ihren Kopf, sodass ihre wilden roten Locken hin und her schwingen. »Natürlich nicht, aber ich wollte auch nicht, dass der Bär meinen Hund frisst.« Ihre Stimme bricht, und Tränen füllen ihre Augen. »Na toll, jetzt bringst du mich auch noch zum Weinen.«

Innerlich fluchend ziehe ich sie an meine Brust und schlinge meine Arme um sie. Ich ignoriere den Drang, meine Hand in ihr langes Haar zu schieben, ihren Kopf nach hinten zu beugen und sie zu küssen. »Es ist okay. Du bist in Sicherheit. Und Pebbles auch.«

»Da war ein Bär«, sagt sie mehr zu sich selbst, während sie ihr Gesicht an meiner Brust vergräbt. »Sollten die nicht Winterschlaf halten?«

»Erst in ein paar Wochen. Meist beginnen sie ihren Winterschlaf Ende November oder Anfang Dezember.«

»Oh.« Sie lehnt sich zurück und wischt sich die Tränen von den Wangen, dann bleibt ihr Blick kurz an meinen Bauchmuskeln hängen und wandert dann hinunter zu meinen nackten Füßen. »Du bist auch ohne Schuhe rausgekommen.«

»Ich hatte keine Zeit, mir noch etwas anzuziehen. Du hast mich zu Tode erschreckt.«

»Das tut mir leid.« Sie tritt einen Schritt zurück, ihr Blick wandert erneut zu meinen Bauchmuskeln und dann zu meiner Brust, bevor er auf meinen trifft. Sie fummelt etwas unsicher am Saum ihres T-Shirts herum. »Ich glaube ... ich glaube, ich gehe duschen. Dann wird mir schneller wärmer.«

»Hast du schon gefrühstückt?«

»Nein.« Sie schüttelt den Kopf und blickt sich um. »Noch nicht. Ich bin gerade erst aufgestanden.«

»Ich mache uns Kaffee und etwas zu essen. Hast du gestern Abend mit Cybil gesprochen?«

»Ja, sie will einen Abschleppdienst beauftragen, mein Auto zu ihr zu bringen.«

»Okay, das klingt gut. Ich versuche mal, herauszufinden, wie die Wetterlage ist und ob die Straßen inzwischen geräumt sind.«

»Oh ... äh, fantastisch.« Sie befeuchtet ihre Lippen und tritt von einem Fuß auf den anderen. »Ich hole mir ein paar Klamotten, bevor ich ins Bad gehe.«

»Klar.« Ich beobachte, wie sie sich eilig entfernt, und beiße mir auf die Unterlippe, um nicht zu lachen. Verdammt, sie ist echt süß, wenn sie aufgeregt ist. Trotzdem werde ich ihr auf keinen Fall näherkommen.

4. Kapitel

Jade