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Zwei Jahrzehnte Motorsport-Geschichte: Ein Blick hinter die Kulissen von Red Bull Racing "No Risk, No Fun" lautet einer der Leitsätze von Teamchef Christian Horner für das Red Bull Racing Team. Das beschreibt sehr gut die Motivation und den Weg zum Erfolg der Rennfahrer aus diesem Stall. Dieses Motorsport-Buch gibt einen Einblick in die Red Bull-Geschichte und die der Formel 1: Von den turbulenten Anfängen bis zu den Seriensiegen, von Rivalitäten und Kontroversen: - Ein eindrucksvolles Zeugnis des Strebens nach Erfolg: Die Chronik des Rennstalls - Red Bull-Gründer Dietrich Mateschitz: Wie aus einer Idee eines der erfolgreichsten Formel 1-Teams wurde - Von David Coulthard über Sebastian Vettel zu Max Verstappen: Die berühmten Rennfahrer von Red Bull Racing - Ein inspirierendes Geschenk für Formel 1-Fans - Formel 1-Weltmeister: Was mit den richtigen Leuten, dem richtigen Spirit und der richtigen Einstellung möglich ist Legenden der Formel 1: Wie sich das Team an die Spitze kämpfte Die "Tochtergesellschaft eines Softdrinkherstellers" wurde vor allem in der Anfangszeit von der Konkurrenz auf der Rennstrecke nicht immer ernst genommen. Doch nach zwei Jahrzehnten steht fest: Red Bull Racing ist ein voller Erfolg! F1-Journalist und Autor Ben Hunt zeichnet die Geschichte dieses recht jungen Formel 1-Teams nach: Er hat unzählige Interviews geführt, gibt spannende Einblicke in die faszinierenden Persönlichkeiten, die Motorsport-Geschichte geschrieben haben, und fasst die vielen Formel 1-Rekorde noch einmal zusammen, die Red Bull Racing bisher eingefahren hat. Die Betonung liegt auf "bisher" – denn eines ist klar: Die Erfolgsgeschichte dieses Teams ist noch lange nicht zu Ende erzählt!
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BEN HUNT
DIE GESCHICHTE HINTER DEM ERFOLG
Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren beziehungsweise Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.
1. Auflage
© 2024 Benevento Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – Wien, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Gesetzt aus der Palatino, Stolzl
Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:
Red Bull Media House GmbH
Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15
5071 Wals bei Salzburg, Österreich
Copyright © Ben Hunt
2024 First published as GROWING WINGS in 2024 by EBURY SPOTLIGHT, an imprint of EBURY. EBURY is part of the Penguin Random House group of companies.
Coverdesign: Two Associates
Coverfotos:Paul Gilham/Getty Images (vorne oben), Clive Mason/Getty Images
(vorne unten), Mark Thompson/Getty Images (Buchrückseite)
Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT
Übersetzung: Christian Domke-Seidel
Lektorat: Werner Jessner, Sophia Angerer
Bildnachweis Innenteil: Mark Thompson/Staff, außer folgende Bilder von Getty Images: Clive Rose/Staff (Seite 50), Bryn Lennon/Staff (Seite 63), Peter Parks/Staff (Seite 96), Paul Gilham/Staff (Seite 99), Fred Dufour/Staff (Seite 118), Manan Vatsyayana/Stringer (Seite 129), Philippe Lopez/Staff (Seite 148), Darren Heath Photographer/Contributor (Seite 166), Peter J Fox/Contributor (Seiten 183, 201), Getty Images/Stringer (Seite 242), Dan Istitene - Formula 1/Contributor (Seite 277), NurPhoto/Contributor (Seite 290)
Printed in Slovakia by Neografia
ISBN: 978-3-7109-0199-7
e-ISBN: 978-3-7109-5164-0
Für meine Kinder Teddy und Rose
VORWORT VON CHRISTIAN HORNER
1 »NO RISK, NO FUN« 2004
2 EIN HORN(ER) FÜR DIE BULLEN 2005
3 FLIEGENDER START 2005
4 ZUM ERSTEN MAL AUF DEM TREPPCHEN 2006
5 ALS WEBBER KAM 2007
6 ALLES ÄNDERT SICH 2008
7 EINE NEUE ÄRA 2009
8 VETTEL KRÖNT SICH 2010
9 DAS VOLLE PROGRAMM 2011
10 TRIPLE-CHAMPIONS 2012
11 BIS ZUR UNENDLICHKEIT UND NOCH VIEL WEITER 2013
12 RÜCKKEHR ZUM RED BULL RING 2014
13 DAS LEBEN NACH SEB 2015
14 MAX HINTERLÄSST SEINE SPUREN 2016
15 DAS GESICHT DER FORMEL 1 VERÄNDERT SICH 2017
16 TURBULENTE ZEITEN 2018
17 WETTEN AUF HONDA 2019
18 RÜCKKEHR NACH DER PANDEMIE 2020
19 MAX IST WELTMEISTER 2021
20 EIN ERFOLG JAGT DEN NÄCHSTEN 2022
21 TOTALE DOMINANZ 2023
Es ist unglaublich, dass schon über 20 Jahre vergangen sind, seit ich mich mit Dietrich Mateschitz erstmals über die Gründung dieses Teams unterhalten habe. Und es passt irgendwie, dass das 20-jährige Jubiläum des Rennstalls auf die phänomenale Saison 2023 fiel, in der wir unseren 100. Sieg errungen und Rekorde aufgestellt haben, von denen wir nie gedacht hätten, dass sie gebrochen werden könnten, und Rekorde überboten haben, die alle für in Stein gemeißelt hielten.
Rekorde wie die spektakuläre Saison von McLaren im Jahr 1988 mit ihren fantastischen Fahrern Ayrton Senna und Alain Prost, die 15 von 16 Rennen gewannen. Das zu übertreffen, indem man insgesamt 21 von 22 Siege einfährt, ist einfach unglaublich, eine Leistung jenseits jeder Erwartung. Angeführt wird die Liste von Max Verstappen, der 19 dieser Rennen gewann, was ihm 2023 seinen dritten Weltmeistertitel einbrachte. Sergio Pérez machte mit seinem zweiten Platz in der Fahrerwertung den ersten Doppelsieg in der WM-Gesamtwertung für Red Bull Racing perfekt.
Wenn ich über meine Zeit bei Red Bull Racing nachdenke, fällt mir auf, welch bemerkenswerte Entwicklung wir in relativ kurzer Zeit hingelegt haben. In vielerlei Hinsicht kommt es mir so vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich zum ersten Mal durch die Eingangstür der Fabrik in Milton Keynes ging, die damals noch ganz anders aussah als heute. In diesen 20 Jahren stieg das Team aus den Trümmern des ehemaligen Jaguar Racing zu dem empor, was Red Bull Racing heute ist. Als wir in die Formel 1 kamen, wurden wir als Partyteam wahrgenommen, das die Aufgabe eventuell nicht ganz so ernst nahm wie einige unserer Kollegen. Aber wir entwickelten uns, begannen 2009 zu gewinnen und seit 2010 holen wir WM-Titel. Sie sind ein Zeichen für den Teamgeist, auf dem Red Bull Racing basiert und auf den wir bis heute großen Wert legen. Alle Rekorde, alle Siege und alle Auszeichnungen sind der Beweis für die harte Arbeit jedes Einzelnen auf der Rennstrecke und hinter den Kulissen in der Fabrik. Jedes Teammitglied kann unglaublich stolz auf seine Rolle sein, die es bei dieser spektakulären Erfolgsserie gespielt hat. Der Einsatz für die Sache war unerschütterlich, wir haben stets unser Ziel im Auge behalten, immer daran geglaubt und niemals aufgegeben. Diese Leidenschaft durchdringt die gesamte Belegschaft.
Wenn die Menschen sehen, dass sich bei den Führungskräften Selbstzweifel oder Unsicherheiten einschleichen, hat das Auswirkungen auf das gesamte Team. Von der Spitze der Mannschaft zu führen, den Teamgeist zu bewahren, nie Angst zu haben, eine Herausforderung anzunehmen, ein Außenseiter zu sein, der sich nicht scheut, das Establishment infrage zu stellen – all das sind Kernwerte in unserem Team, die von unserem Gründer Dietrich Mateschitz vorgelebt wurden. Ohne Dietrich wäre all das nicht möglich gewesen. Es war seine Vision, die das Team hervorbrachte, sein Glaube, der uns getragen hat. Mit großem Respekt und Dankbarkeit tragen wir diese Fackel weiter.
Dietrich genoss, was wir taten, und war stolz darauf. Als »Tochtergesellschaft eines Softdrinkherstellers«, wie wir einmal von einem Gegner bezeichnet wurden, haben wir es mit den anderen Teams aufgenommen. Wir haben gezeigt, was möglich ist, wenn man die richtigen Leute, den richtigen Spirit, die richtige Kultur und die richtige Einstellung hat. Dietrich hat dieser Mannschaft so viel gegeben. Dieser Geist ist ein Bestandteil dessen, was wir geworden sind. Ab 2026 werden wir seine Initialen auf den Motoren unserer Autos tragen. Der erste wird den Namen »DM01« tragen, der nächste »DM02« – und so weiter. So wird Dietrich immer im Herzen unserer Autos sein.
In unserer recht kurzen Geschichte haben wir eine Reihe unglaublicher Höhepunkte erlebt – aber auch Phasen, in denen wir nicht so erfolgreich waren. Unseren Ehrgeiz haben wir aber nie verloren. Wir haben uns immer wieder aufgerappelt und nie unser Ziel aus den Augen verloren: wieder an die Spitze zu kommen.
Das haben wir im Laufe unserer Geschichte auf verschiedene Arten geschafft. Als Max Verstappen im Jahr 2021, beim letzten Rennen der Saison in Abu Dhabi, entgegen aller Wahrscheinlichkeit in der letzten Runde seinen ersten Weltmeistertitel gewann, war das so ein großer Moment. Es war der intensivste Kampf in der Geschichte der Formel 1. Ein weiterer Moment, übrigens auch in Abu Dhabi, war der Titelgewinn von Sebastian Vettel im Jahr 2010, der erste Fahrertitel des Teams. Und wieder war es ein dramatischer Sieg gegen alle Widrigkeiten im letzten Rennen der Saison, ein weiterer Moment, den ich nie vergessen werde.
Ich war bei allen Rennen dabei – bei allen Siegen und bei allen Niederlagen –, und ich genieße jedes so sehr wie am ersten Tag. Die Formel 1 war schon immer mein Ziel und meine Motivation. Mein Ziel war von Anfang an, dort erfolgreich zu sein. Mit zunehmender Erfahrung lernt man, mit einigen der Emotionen umzugehen. Man wird reifer. Aber der Reiz der Rennen, die Leidenschaft und der Kampfgeist altern nie – für mich fühlt es sich heute noch so an wie vor 20 Jahren.
Ich bin mir absolut sicher, dass wir später im Leben, wenn wir auf das zurückblicken, was wir in unseren Jahren erreicht haben, alle sagen werden: »Junge, das war verdammt viel in kurzer Zeit.« Vor allem, wenn man sieht, wo wir im Vergleich mit den großen Namen und Teams in diesem Sport rein statistisch stehen. Das ist etwas, worauf jeder sehr stolz sein kann.
Wirklich aufregend ist jedoch das, was noch vor uns liegt. Das neue Motorenreglement im Jahr 2026 stellt uns vor eine gewaltige Aufgabe. Eine, an der das Team hinter den Kulissen rund um Red Bull Powertrains und unsere Partner von Ford schon fokussiert arbeiten.
Red Bull Racing wächst weiter. Und ich bin sicher, dass Dietrich von seinem Platz aus auf uns herabblickt und sich über das freut, was wir gemeinsam erreicht haben. Vielen Dank, Didi.
Christian Horner, Teamchef von Red Bull Racing, sitzt an einem Tisch im obersten Stockwerk des »Holzhauses« – dem größten Motorhome im Formel-1-Fahrerlager. Er ist umringt von Journalisten, die ihre Diktiergeräte auf dem Tisch ausbreiten, um seine Worte aufzuzeichnen. Sein Fahrer Max Verstappen hat gerade den Großen Preis von Österreich 2023 gewonnen.
Draußen auf einem Grünstreifen ist ein zweimotoriger Hubschrauber gelandet, in den VIP-Gäste einsteigen, die den Red Bull Ring schnell verlassen wollen. Das Geräusch der Motoren wird lauter, als der Pilot den Gashebel für den Abflug betätigt, und es ist fast unmöglich, Horners Antworten zu hören. Kaum ist der Helikopter abgehoben, wird es ruhiger und ein Kommentar ist deutlich zu hören, der den Geist von Red Bull Racing perfekt auf den Punkt bringt: »No risk, no fun«, antwortet Horner auf die Frage, warum das Team darauf gesetzt habe, Verstappen in der vorletzten Runde an die Box zu bringen – und das aus einer komfortablen Führung heraus. Verstappen lag zu diesem Zeitpunkt fast 25 Sekunden vor Charles Leclerc. Der Zeitverlust durch den Boxenstopp beträgt rund 20 Sekunden – mögliche Fehler der Boxencrew außer Acht gelassen. Dank der frischen Reifen konnte Verstappen jedoch die schnellste Rennrunde fahren und den Bonuspunkt dafür kassieren. Am Ende des Rennens hatte er immer noch knapp über fünf Sekunden Vorsprung vor Leclerc. Der riskante Plan war aufgegangen.
»Ein atemberaubendes Wochenende von Max«, sagte Horner. »Und das erste Mal, dass wir seit Dietrichs [Mateschitz’] Tod wieder hier [am Red Bull Ring in Österreich] sind. Es war sehr ergreifend, bei dieser Gelegenheit eine solch großartige Teamleistung zu sehen. Wir haben uns entschieden, in der letzten Runde die schnellste Runde zu fahren, trotz des Risikos, das ein verpatzter Boxenstopp mit sich bringt. Und ich hatte Dietrichs Mantra ›No risk, no fun‹ im Hinterkopf.« Wenn ein Kommentar den Geist, für den Red Bull Racing steht, auf den Punkt bringt, dann ist es dieser.
Neue Formel-1-Teams starten selten bei null; sie machen eine Evolution durch. Das Personal, die Fabriken, die Ausrüstung und die Autos bleiben bestehen. Lediglich die Eigentümer wechseln. Doch am Deal, mit dem Dietrich Mateschitz am 15. November 2004 das angeschlagene Jaguar-Team kaufte, war etwas anders. Die Energydrink-Firma des österreichischen Milliardärs versprach, dem Sport, der bisher von Automobil-, Öl- und Zigarettenfirmen dominiert wurde, neue Frische zu verleihen.
Red Bull war eine spannende Marke, die mit den Eigentümer-Traditionen in der Formel 1 brach. Die Teams wurden in der Regel von einem Hersteller finanziert oder durch einen enormen Sponsorenpool unterstützt. Nichts davon traf auf Red Bull zu.
Dietrich Mateschitz wurde am 20. Mai 1944 in Sankt Marein im Mürztal geboren, einer Gemeinde in der Steiermark (Österreich). Seine Mutter stammte aus der Region, während die Familie seines Vaters aus Maribor (heute Slowenien) stammte. Seine Eltern waren beide Lehrer. Dietrich besuchte die Wirtschaftsuniversität Wien, damals »Universität für Welthandel« genannt, wo er 1972 ein Marketingstudium abschloss. Seinen ersten Job bekam er bei Unilever, wo er Waschmittel vermarktete. Danach wechselte er zum deutschen Kosmetikunternehmen Blendax, das heute dem amerikanischen multinationalen Konsumgüterkonzern Procter & Gamble gehört.
Eines der Produkte, für das Mateschitz Marketing machte, war Zahnpasta. Sie war es auch, die ihn nach Asien führte, wo er auf ein Getränk namens »Krating Daeng« stieß, dem die Einheimischen eine belebende Wirkung nachsagten. Der Journalist David Tremayne schreibt auf F1.com: »Er entdeckte das Getränk, weil es von einem Unternehmen vermarktet wurde, das zufällig auch die gleiche Zahnpastamarke vertreibt. Nachdem er Krating Daeng selbst probiert hatte, stellte Mateschitz fest, dass es ihm bei seinem Jetlag half, und wurde neugierig.«
Das bei den thailändischen Arbeitern beliebte Krating Daeng wurde in den 70er-Jahren von Chaleo Yoovidhya, dem Eigentümer von T. C. Pharmaceutical, erfunden. Yoovidhya stammte aus einer armen thailändisch-chinesischen Familie und war mit seinem eigenen Pharmaunternehmen sehr erfolgreich. Als Mateschitz das Potenzial des Produktes auf dem westlichen Markt erkannte, vereinbarte er mit Yoovidhya ein Geschäft: Jeder sollte 500.000 Dollar investieren und im Gegenzug 49 Prozent der Geschäftsanteile erhalten. Die restlichen zwei Prozent gingen an den Sohn von Yoovidhya, sodass die Familie die Kontrolle behielt, während Mateschitz das Unternehmen leitete.
Das neue Unternehmen wurde 1984 als »Red Bull« gegründet – eine Übersetzung von »Krating Daeng« ins Englische. Mateschitz verbrachte drei Jahre damit, das Getränk an den europäischen Geschmack anzupassen, bevor er es 1987 in Österreich einführte. Das Image von Red Bull orientierte sich an Extremsportarten und konzentrierte sich darauf, mit dem Slogan »Red Bull verleiht Flügel« den belebenden Effekt auf Körper und Geist zu kommunizieren. Das Produkt wurde in erster Linie in österreichischen Skigebieten als Premium-Marke angeboten – ganz im Gegensatz zum ursprünglichen Krating Daeng, das preisgünstig blieb und in Bangkok hergestellt wurde. Im Lauf der kommenden Jahre wurde Red Bull auch im Rest Europas eingeführt, wo es in Nachtclubs auch als Mixgetränk mit Alkohol beliebt wurde.
Die Verbindung von Red Bull und dem Motorsport begann tatsächlich nicht erst mit dem Einstieg von Mateschitz in das Formel-1-Team in der Saison 2005. Die Wurzeln reichen zurück bis ins Jahr 1989. Damals steckte die Marke Red Bull zwar noch in den Kinderschuhen, doch Mateschitz schloss einen Sponsorenvertrag mit seinem österreichischen Landsmann Gerhard Berger ab, der damals für Ferrari fuhr.
Berger war eine Bereicherung für Red Bull und passte zur Marke. Er war extrem ehrgeizig, hatte aber eine lockere Art und jede Menge Charisma. Berger war eine Rückkehr zur guten, alten Zeit des Grand-Prix-Rennsports. Jemand, der die schnelllebige Welt der Formel 1 nicht allzu ernst nahm und, besonders wichtig, gerne Scherze machte. Einmal ließ er im Schlafzimmer seines Teamkollegen Ayrton Senna lebende Frösche frei. Ein anderes Mal warf er die Aktentasche des Brasilianers aus einem Hubschrauber – mitten im Flug. Berger wurde der erste von Red Bull gesponserte Rennfahrer im Rahmen des Red-Bull-Athletenprogramms – ein Vertrag, der sich als wegweisend entpuppen sollte. Mittlerweile umfasst dieser Pool rund 850 Sportlerinnen und Sportler in verschiedenen Disziplinen.
Ein anderer Österreicher, mit dem Mateschitz eine entscheidende Partnerschaft eingehen sollte, hatte den Vertrag mit Berger vermittelt: Helmut Marko. Marko wurde Mateschitz’ rechte Hand im Motorsportgeschäft, fungierte als Berater für die Formel-1-Teams der Red Bull GmbH und leitete das Fahrerentwicklungsprogramm von Red Bull.
Marko wurde in Graz geboren und war Teil der verschworenen österreichischen Rennsportszene der frühen 70er-Jahre. Er war mit Jochen Rindt befreundet, der 1970 beim Training zum Großen Preis von Italien tödlich verunglückte und als einziger Fahrer posthum die Formel-1-Weltmeisterschaft gewann. Marko selbst bestritt in den Jahren 1971 und 1972 zehn Grands Prix, auch wenn er dabei keinen Punkt holte. Mehr Erfolg hatte er bei Langstreckenrennen. 1971 gewann er die 24 Stunden von Le Mans auf einem Martini Porsche 917K. Seine Rennfahrerkarriere endete jedoch 1972 beim Großen Preis von Frankreich in Clermont-Ferrand vorzeitig: Ronnie Peterson fuhr vor ihm und wirbelte mit seinem March 712G Ford einen Stein auf, der Markos Visier durchschlug, wodurch sein linkes Auge dauerhaft erblindete. Nach dem Ende seiner Fahrerkarriere wandte sich Marko zunächst dem Fahrermanagement zu, bevor er im Jahr 1989 sein eigenes Rennteam – RSM Marko – gründete, das unter anderem in der FIA Formel 3000 (heute Formel 2) antrat, der Einstiegsserie zur Formel 1.
Marko, der unter anderem Gerhard Bergers Manager gewesen war, kümmerte sich später um das Red Bull-Sponsoringgeschäft mit Mateschitz. Ein Jahrzehnt nach Bergers erstem Auftritt mit blau-silberner Dose, nämlich im Jahr 1999, erklärte sich Mateschitz bereit, RSM Marko zu sponsern. Das Team firmierte fortan als »Red Bull Junior Team«. In einem Interview mit Richard Williams vom britischen Observer im November 2010 betonte Marko, wie wichtig die gemeinsamen österreichischen Wurzeln für die Beziehung zu Mateschitz waren: »Ich komme aus Graz in der Steiermark und er aus dem Mürztal, 60 oder 70 Kilometer entfernt. Er war immer rennsportbegeistert. Als wir uns das erste Mal trafen, hatte er kein Budget, um irgendetwas zu unternehmen, aber Red Bull wurde immer größer und es schien vorbestimmt, dass wir zusammenkommen würden.«
Zwischen diesen beiden von Marko eingefädelten Deals hatte Mateschitz 1995 noch einen weiteren – weniger erfolgreichen – Vorstoß in die Formel 1 unternommen: Er ging eine Partnerschaft zwischen Red Bull und Sauber ein und erwarb einen Anteil am Sauber-F1-Team. Im Gegenzug war das Red Bull-Branding auf den Autos und Overalls der Fahrer zu sehen.
Sauber ist ein Motorsport-Engineering-Unternehmen aus der benachbarten Schweiz, das zahlreiche Rennteams in verschiedenen Serien hatte. Der vielleicht bedeutendste Moment der Partnerschaft zwischen Red Bull und Sauber war der Start von Kimi Räikkönen in der Formel 1 im Jahr 2001. Der Finne gehörte nicht zum Junior Team von Red Bull. Red Bull hatte gehofft, dass Sauber seinen gesponserten Schützling, den Brasilianer Enrique Bernoldi, auswählen würde. Sauber entschied sich jedoch für Räikkönen, und Bernoldi landete bei Arrows, einem kleinen britischen Team, das in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren 394 Rennen ohne einen einzigen Sieg bestritt. Räikkönen, der später mit Ferrari den Formel-1-Titel 2007 gewinnen sollte, verhalf Sauber 2001 zum vierten Platz in der Konstrukteurswertung – jener Rangliste, die die Gesamtleistung der zehn Formel-1-Teams misst. Die Entscheidung von Sauber, Räikkönen Bernoldi vorzuziehen, hatte sich als richtig erwiesen. Doch für Red Bull markierte das den Beginn einer Klima-Krise zwischen Schweiz und Österreich und führte dazu, dass sie ihren Anteil am Team 2002 an die Credit Suisse verkauften.
Nun aber, im Jahr 2004, eröffnete Mateschitz ein neues Kapitel, das den Sport für immer verändern sollte. Mateschitz’ Chance für den Einstieg in die Formel 1 hatte sich durch Ford ergeben, den damaligen Mutterkonzern von Jaguar, der sich schwertat, das Team erfolgreich zu machen. Nach einigen schlechten Geschäftsergebnissen drosselte Ford das Budget für Jaguars F1-Projekt. Zudem reifte langsam die Erkenntnis, dass es Jahre an Investitionen erfordern würde, bis das Team regelmäßig gewinnen konnte. In Summe tat sich der Automobilriese also schwer, den Luxus seines F1-Engagements zu rechtfertigen. Vereinfacht gesagt: Ford war besorgt über das Risiko eines erfolglosen F1-Teams für die Bilanz und bot das Team im September 2004 öffentlich zum Verkauf an.
»Ford hat entschieden, dass es für keine seiner Marken mehr wirtschaftlich sinnvoll ist, in der Formel 1 anzutreten«, sagte Joe Greenwell, der Vorsitzende von Jaguar, damals. »Nachdem wir diese Entscheidung getroffen haben, konzentrieren wir uns darauf, die beste Zukunft für unser F1-Engagement und unsere Mitarbeiter in diesen Geschäftsbereichen zu sichern. Die Präsenz von Jaguar in der Formel 1 war eine wertvolle Plattform für Marketing und Markenbekanntheit, insbesondere außerhalb unserer Hauptmärkte USA und Großbritannien. Wir waren jedoch gemeinsam der Meinung, dass es für Jaguar Cars an der Zeit ist, sich zu 100 Prozent auf das Kerngeschäft zu konzentrieren.«
Der 15. November 2004 war der letzte Tag, an dem der Verkauf abgeschlossen werden konnte. Nach diesem Termin hätte ein neuer Käufer nicht mehr an der Formel-1-Saison 2005 teilnehmen dürfen. Wenn kein neuer Käufer gefunden würde, müssten laut Reglement einige der bestehenden Teams ein drittes Auto einsetzen, um die Startaufstellung zu füllen, was ihnen zusätzliche Kosten verursachen würde.
Jaguar war in der Saison 2000 in die Formel 1 eingestiegen, nachdem Ford das vom dreimaligen Weltmeister Sir Jackie Stewart gegründete Team »Stewart Grand Prix« gekauft und nach seiner Luxusautomarke benannt hatte. Doch trotz erheblicher Investitionen hatte Jaguar kein einziges Rennen gewonnen und beendete die Saison 2004 mit nur zehn Punkten auf dem siebten Platz in der Konstrukteurswertung. In insgesamt 85 Rennen hatte Jaguar gerade einmal 49 Punkte geholt, wobei zwei dritte Plätze in Monaco (2001) und Italien (2002) die besten Ergebnisse überhaupt waren.
»Es war kein wirklicher Schock für mich«, zitierte die BBC F1-Chef Bernie Ecclestone an dem Tag, an dem der Ford-Verkauf öffentlich wurde. »Sie konnten es sich nicht leisten, neben Teams wie Jordan am Ende des Feldes zu stehen.«
Ecclestones Äußerungen wurden von Richard Parry-Jones, dem Vizepräsidenten von Ford, bestätigt, der sich außerdem beschwerte, die Preisgelder würden nicht gleichmäßig unter allen Teams verteilt werden. »Die derzeitige Struktur der Formel 1 ermutigt kleinere Teilnehmer nicht zu Investitionen«, sagte Parry-Jones. »Ich denke, der Rückzug von Jaguar wird das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Veränderungen schärfen.«
Nur wenige Stunden vor Ablauf der Frist für die Meldung zur Formel 1 gab Red Bull die Übernahme von Jaguar Racing offiziell bekannt. Die Pressemitteilungen, die den Last-Minute-Deal verkündeten, enthielten jedoch kaum finanzielle Details. Die BBC berichtete, Ford habe »einen symbolischen Betrag von 1 Dollar verlangt, wenn die neuen Eigentümer garantieren, in den nächsten drei Jahren 400 Millionen Dollar in das Team zu investieren«. Ford ging es in erster Linie darum, das Team zum Wohle der Belegschaft in gute Hände zu übergeben. Entscheidend war, dass auch die 340 Arbeitsplätze am Hauptsitz des Teams in Milton Keynes in der Grafschaft Buckinghamshire, auf halbem Weg zwischen London und Birmingham, sowie die kürzlich erworbenen und renovierten Testeinrichtungen samt Windkanal in den benachbarten Orten Bicester und Bedford erhalten blieben.
Am selben Tag gab Ford auch den Verkauf von Cosworth bekannt. Das Unternehmen, das die Motoren für das Jaguar-Racing-Team herstellte, ging an Kevin Kalkhoven und Gerald Forsythe, die Eigentümer der US-amerikanischen Champ-Car-Serie. Cosworth würde das nunmehrige Red Bull Racing Team in der Saison 2005 weiterhin mit Motoren beliefern. Im selben BBC-Artikel sagte Kalkhoven: »Wir sind fest entschlossen, die große F1-Tradition bei Cosworth fortzusetzen und dieses äußerst erfolgreiche Erbe in die Zukunft zu tragen.«
Die Motorsportwelt begrüßte den Red Bull-Deal im Allgemeinen. Der Verkauf des Jaguar-Teams war jedoch alles andere als einfach, vor allem nicht für jenen Mann, der damit beauftragt worden war: Tony Purnell, den Teamchef von Jaguar Racing.
Purnell hatte 2002 die Leitung des Jaguar-Teams übernommen, nachdem es unter seinen Vorgängern – Wolfgang Reitzle, Neil Ressler, Bobby Rahal und dann Niki Lauda – die Erwartungen nicht erfüllen konnte. Der Engländer hatte zuvor eine akademische Laufbahn in England und den Vereinigten Staaten eingeschlagen. Außerdem hatte er ein Unternehmen für Fahrzeug-Telemetrie gegründet, das 1999 von Ford übernommen worden war. Sein Engagement für das F1-Team machte ihn zum logischen Lauda-Nachfolger, was sich bald als bittere Pille erwies, nachdem Ford beschlossen hatte, das Team zu verkaufen und Purnell mit dieser Aufgabe betraute.
»Ich erinnere mich noch sehr gut daran«, erinnert sich Purnell, der heute Gastprofessor an der Universität Cambridge ist, als wir bei einem Zoom-Anruf über die Ursprünge von Red Bull sprechen: »Es war wahrscheinlich das traumatischste Jahr in meinem Leben. Der R5 war ein halbwegs brauchbarer Rennwagen und es gab große Fortschritte, vor allem bei der Aerodynamik. Wir hatten den Bedford-Windkanal gekauft, was ein großer Schritt für das Team war, und wir waren voll einsatzfähig. Parry-Jones schien sehr glücklich zu sein, aber dann wurde ich Anfang 2004 zur Seite genommen und mir wurde gesagt, dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass Ford mit dem Formel-1-Projekt fortfahren würde. Ich wurde zur Verschwiegenheit verpflichtet, aber aufgefordert, einen Käufer oder Partner für das Team zu suchen. Etwa sechs Monate lang musste ich im Stillen versuchen, einen Abnehmer zu finden. Ich schaute mich um und dachte, dass Red Bull am ehesten infrage käme, denn sie waren Miteigentümer von Sauber und hatten eine Vorstellung davon, was die Formel 1 mit sich bringt. Ich begann, mit ihnen zu verhandeln, und kam langsam voran. Mitte des Jahres waren wir so weit, dass wir eine Art Absichtserklärung zwischen Red Bull und Ford vereinbaren konnten. Beide Firmen würden 50 Prozent der Anteile halten, wobei Red Bull sich um das Auto und Ford um den Motor kümmern würde. Ich war wirklich begeistert davon, und ich erinnere mich, dass ich der Presse sagte, die Aussichten für das Team seien wirklich sehr gut. Wir waren so weit, dass wir eines der Windkanalmodelle in den Farben von Red Bull und Ford lackieren ließen. Ich habe dieses Modell immer noch; es steht im Engineering Department in Cambridge. Wir trafen uns irgendwo in der Nähe von Coventry, sie enthüllten das Modell mit einem kleinen Stofftuch, und das Geschäft war abgeschlossen.«
Der Freude über den Abschluss dieses Deals war jedoch nur von kurzer Dauer. »Etwa zwei Wochen später wurde ich nach Detroit beordert und musste in den fünften Stock, um den Ford-Vorstand zu treffen. In dem Moment, in dem ich den Raum betrat, konnte ich riechen, dass etwas nicht stimmte. Sie sagten im Wesentlichen: ›Hören Sie, wir haben über alles nachgedacht, und wir wollen nicht weitermachen.‹« Es schien, als wolle Ford komplett aussteigen und den 50-Prozent-Anteil nicht behalten. Purnell fährt fort: »Ich hatte die Aufgabe, bei Red Bull anzurufen und es ihnen zu sagen. Mein Ansprechpartner war Dany Bahar, zu diesem Zeitpunkt die rechte Hand von Mateschitz, und er war wenig erfreut. Er und ich hatten viele Stunden damit verbracht, diesen Deal zu vereinbaren. Dany erzählte es Dietrich, der sehr gelassen reagierte: ›Nun, weißt du, wenn es nicht passieren soll, dann soll es nicht passieren.‹ Ich war sehr, sehr traurig.«
Dietrich Mateschitz mit Team-Manager Tony Purnell bei Testfahrten im November 2004 in Barcelona. Im Cockpit: Vitantonio Liuzzi.
Trotz seiner Enttäuschung versuchte Purnell, einen Käufer für Jaguar Racing zu finden, die Zukunft der Mitarbeiter hing immerhin davon ab. Ford habe potenzielle Angebote aus China und Russland abgelehnt, und er hoffte währenddessen immer noch, Red Bull wieder an den Verhandlungstisch zu locken – diesmal mit dem Ziel, sie als Vollkäufer und nicht als 50:50-Partner zu gewinnen. »Ich kehrte zu Red Bull zurück«, erzählt er, »aber die Beziehung zwischen mir, Dany und Dietrich war zerrüttet. Ich streckte ihnen immer wieder einen Ölzweig entgegen und brachte verschiedene Ideen ein. Eine davon war, dass sie zwei Teams kaufen sollten – Jordan und Jaguar –, weil es wirtschaftlich sinnvoll erschien. Am Ende habe ich jedenfalls viele Reisen nach Salzburg unternommen.« Der Firmensitz von Red Bull ist in Fuschl am See, in den Ausläufern der Alpen, eine 30-minütige Fahrt von der barocken Architektur und dem Pralinen-Charme Salzburgs entfernt. »Ich erinnere mich, dass ich einmal mit dem Auto dorthin gefahren bin, vor der Tür geparkt und verlangt habe, sie zu sehen«, so Purnell weiter. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich bemüht habe. Es gab ein Treffen, bei dem Dietrich immer wieder auf den Tisch schlug und sagte: ›Tony, Tony, Tony, du musst das verstehen. Wir werden auf keinen Fall mehr als 60 Millionen Euro pro Jahr für das Abenteuer Formel 1 ausgeben.‹«
Purnells Hartnäckigkeit wurde belohnt – allerdings erst, nachdem Marko beim Kauf des Jaguar-Teams ein Wörtchen mitzureden hatte. »Normalerweise lässt sich Helmut nicht in die Karten schauen, denn er ist ein gewiefter Geschäftsmann«, sagt Purnell. »Aber dieses Mal sagte Helmut zu Dietrich: ›Das ist ein gutes Team. Es hat alle Voraussetzungen, die man braucht, um in der Formel 1 einen guten Job zu machen. Der Deal, den Ford vorschlägt, ist gut.‹ Es war zwar nicht das angekündigte Geschenk, aber es war immer noch ein Schnäppchen. Helmut erinnerte Dietrich, dass er schon sein ganzes Leben lang ein Formel-1-Team haben wollte und dass es nie eine bessere Gelegenheit als diese geben würde. Entweder er zog es durch oder machte einen Schlussstrich. An Dietrichs Reaktion erkannte ich, dass es beschlossene Sache war; ein bisschen kurzfristig, aber wir haben es über die Bühne gebracht. Wir unterschrieben in den frühen Morgenstunden bei den Anwälten von Red Bull. Seltsamerweise schickte mir sogar während dieser Zeit eine der Firmen, die Ford schon abgelehnt hatte, weiterhin Nachrichten, in denen sie versicherten, dass sie jedes Angebot überbieten würden. Aber Ford wollte den Red Bull-Deal, weil sie ein verlässlicher Partner waren.«
Nachdem der Deal abgeschlossen war, gingen sofort die Spekulationen los, wer für das Team fahren würde. Angesichts der großen Rolle, die er später in der Geschichte von Red Bull Racing spielen sollte, war es eine Ironie des Schicksals, dass Mark Webber Jaguar mit Saisonende verließ und zu Williams wechselte. Der Australier galt nach drei Saisonen in der Formel 1 als kommender Star. Allerdings hatte er mit der Zuverlässigkeit seiner Fahrzeuge zu kämpfen gehabt, sowohl bei Jaguar als auch bei seinem vorherigen Team Minardi. Er hatte die technische Entwicklung bei Jaguar vorangetrieben und seinen Teamkollegen, den ehemaligen Red Bull-Junior Christian Klien, häufig überflügelt. Die Saison 2004 beendete er dennoch mit acht Ausfällen in 18 Rennen nur auf Platz 13 der Fahrerwertung.
Webbers Wechsel war schon lange vor der Übernahme durch Red Bull vereinbart worden. Ron Dennis, der Teamchef von McLaren, hatte bei Webber angefragt, ob er verfügbar sei. Der Vertrag mit Jaguar enthielt eine Reihe von Leistungsklauseln, die ihm einen vorzeitigen Ausstieg ermöglichten, falls es ein besseres Angebot gab. Solche Klauseln sind in Formel-1-Verträgen üblich und lassen beiden Seiten Spielraum bei der Vertragsgestaltung. So können die Teams zum Beispiel Verträge mit Fahrern kündigen, die keine guten Leistungen bringen.
Verständlicherweise fühlte sich Webber von Williams’ Interesse geschmeichelt. In einem Artikel von Adam Cooper in Autosport im Juli 2004 stellte Webber klar, dass Sir Frank Williams schon seit 2003 mit ihm in Kontakt gestanden war, nachdem er erfahren hatte, dass sein Fahrer Juan Pablo Montoya, der seit 1997 bei seinem Team unter Vertrag stand, sich um einen Platz bei McLaren bemühte. Webber erinnert sich, wie er nach dem Großen Preis von Großbritannien 2003 erstmals einen Anruf von Williams erhielt, woraufhin sich die Gespräche »intensivierten«. Williams war ein etabliertes Team und hatte GP-Siegerautos – etwas, an das Webber nie zuvor herangekommen war. Webber sagte: »Frank war sehr interessiert, und ich auch. Wenn man von jemandem wie Frank oft angerufen wird, ist das schmeichelhaft.« Das war die Chance für Webber, seine Karriere auf die nächste Stufe zu heben und um Siege zu kämpfen.
Webber beendete die Saison bei Jaguar, danach endete sein Vertrag. Anschließend fuhr er zu Tests bei Williams und absolvierte ein Fitnesstraining mit Radsportler Lance Armstrong. Sein Abgang hinterließ eine Lücke im Fahreraufgebot von Red Bull Racing. Da Klien aufgrund seiner Beziehungen zu Red Bull wahrscheinlich seinen Platz behalten würde, richtete sich die Aufmerksamkeit auf den italienischen Youngster Vitantonio Liuzzi, der Red Bull 2004 zum Formel-3000-Titel geführt hatte. Auch der Deutsche Nick Heidfeld und der Brite Anthony Davidson waren im Rennen. Diese Entscheidung wurde jedoch vorerst aufgeschoben.
Eine Position, die nicht zur Debatte stand, war die des Teamchefs. Mateschitz bat Purnell, das neue Team in der Anfangsphase zu leiten, obwohl es dazu keinen offiziellen Kommentar gab – weder vom Österreicher noch von Ford.
Für Mateschitz war der Zeitpunkt des Kaufs perfekt. Im Jahr 2004 rangierte er in der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt auf Platz 406 und wurde auf ein Vermögen von rund 1,4 Milliarden Dollar geschätzt. Im Jahr zuvor hatte er mit dem Kauf der Insel Laucala auf den Fidjis für Schlagzeilen gesorgt. Im Allgemeinen hielt sich Mateschitz aber eher zurück. Doch sein Unternehmen befand sich an einem Scheideweg.
Red Bull hatte einen weltweiten Marktanteil von 70 Prozent im Segment der Energydrinks, dessen Wert damals auf etwa 3 Milliarden Euro geschätzt wurde. Trotz begrenzter Produktpalette hatte Red Bull durch gekonntes Marketing, dezentralen Vertrieb und Sponsoring von Extremsportarten und Popkultur die Fantasie der Menschen beflügelt. Der offensichtliche Erfolg des Unternehmens weckte das Interesse von Giganten der Getränkeindustrie wie Coca-Cola und Pepsi, die ihrerseits Energydrinks auf den Markt bringen wollten. Red Bull musste reagieren, um die Nase vorn zu behalten, und nutzte Mateschitz’ Leidenschaft für den Motorsport.
Aus Marketingperspektive ergab der Wechsel in die Königsklasse des Motorsports für Mateschitz absolut Sinn. Das Engagement versprach globales Wachstumspotenzial, bot aber gleichzeitig eine Anti-Establishment-Haltung, die auch das Produkt auszeichnete. Außerdem hatte er Gefallen daran gefunden. Nach anfänglicher Zurückhaltung fühlte er sich bald wohl und erzählte Autosport am Tag des Kaufs: »Unser Schritt, einen Formel-1-Rennstall vollständig zu übernehmen, ergibt für Red Bull wirtschaftlich Sinn. Wenn man dann noch die Möglichkeit sieht, direkt in einen Sport involviert zu sein, der mir persönlich sehr viel Freude bereitet, dann ist es leicht, zu verstehen, wie sehr ich mich über diesen Kauf freue. Es ist der logische und letzte Schritt in dem Prozess, den wir mit dem Red Bull Junior-Programm begonnen haben, indem wir junge Talente suchen, beraten und fördern, und zwar über die verschiedenen Rennserien vom Kartsport bis hin zur Spitze – der Formel 1.«
In den Monaten nach der Übernahme von Jaguar Racing durch Red Bull schlug die anfängliche Erleichterung Purnells über die Rettung der Arbeitsplätze bald in Unsicherheit um. Er hatte eng mit seinem Geschäftsführer Dave Pitchforth zusammengearbeitet, um den Rennwagen für 2005 fertig zu bekommen: das erste blau-silberne Auto, das auf den Namen »RB1« getauft werden sollte, der erste Rennwagen von Red Bull Racing. Während Purnell über den Winter den Betrieb in der Fabrik überwachte, stellten er und Pitchforth schnell fest, dass sie mit einigen von Markos Ideen nicht einverstanden waren. Es kam zu Spannungen zwischen Milton Keynes und Salzburg.
Purnell sagt, er habe in jenen Monaten Ende 2004 gespürt, dass die Zusammenarbeit zwischen ihm, Pitchforth und Red Bull nicht funktionierte. »Die Beziehung hat sich nie vom Scheitern des 50:50-Deals erholt«, erzählt er mir. »Von der Übernahme waren wir begeistert. Damit war die Zukunft des Teams gesichert, das lag mir sehr am Herzen. Und sie luden mich ein, als Teamchef weiterzumachen. Aber Red Bull war eine Marketingfirma, und zwar eine wirklich gute Marketingfirma – aber sie wussten zu diesem Zeitpunkt nichts über Technik oder den Bau eines Rennwagens. Und sie verstanden nicht, wie man ein F1-Team leitet. Wir hatten einige echte Unstimmigkeiten. Eine war die Frage nach den Fahrern. Es wurden einige Namen genannt, von denen wir dachten, dass sie der Herausforderung nicht gewachsen waren. Aber das war nur ein kleiner Punkt. Das große Problem war, dass sie diese verrückten Ideen hatten, wie man ein Rennauto baut. Sie wollten, dass wir keine E-Mails benutzen, sondern nur Mobiltelefone. Es gab keinen Prozess. Wir hingegen waren der Meinung, dass Formel-1-Teams eine wirklich große Sache sind und eine Menge Disziplin und strenge Regeln brauchen. Vor allem aber ein klares Budget, mit dem man arbeiten kann. Red Bull hat einige Dinge getan, von denen ich und Dave gar nichts wussten, bis die Rechnungen eintrafen. Sie gaben enorme Summen für Dinge wie das Motorhome aus [das dreistöckige Fahrerlagergebäude aus Glas und Stahl, in dem Gäste bewirtet werden und in dem auch die Mitarbeiter ihre Mahlzeiten einnehmen können, wenn sie an der Rennstrecke sind], und das führte zu ernsten Spannungen.«
Außerdem wurden personelle Änderungen verlangt, die Purnell für inakzeptabel hielt. »Dave Pitchforth war der beste technische Manager, der mir je begegnet ist. Er war ein absoluter Megastar, der später einmal Präsident von Boeing Defence werden sollte. Marko mochte ihn nicht, weil er immer widersprach, wenn er der Meinung war, eine Maßnahme wäre falsch oder schlecht gehandhabt worden. Red Bull bat mich, ihn zu entlassen, was ich für völlig indiskutabel hielt. Ich war ziemlich wütend darüber, denn ich dachte, wir hätten etwas aufgebaut, mit dem man etwas erreichen konnte. Das Auto wurde in der ersten Saison komplett nach den Plänen von Jaguar gebaut, und es kam ziemlich gut aus der Box und fuhr in den ersten paar Rennen unter den ersten sechs. Ein großer Sprung nach vorn im Vergleich zum R5, dem Vorgängermodell. Aber sie haben nicht an uns geglaubt. Die Beziehung funktionierte nicht.«
Trotz der Warnzeichen war das Ende, als es kam, immer noch unerwartet. »Es gab keine Warnzeichen, dass sie uns entlassen würden. Es war ein Schock, als ich zur Arbeit kam und Marko mit einigen Anwälten am Schreibtisch vorfand.«
Purnells Abgang war brutal und schnell. Einige Jahre später nahm er in Frankreich an einer Zeremonie teil, bei der der ehemalige FIA-Präsident Max Mosley mit dem Orden der Ehrenlegion (Légion d’Honneur) ausgezeichnet wurde. Purnell erinnert sich, Mateschitz getroffen zu haben, der, wie er sagt, »sehr verlegen« über seine kurze Amtszeit bei Red Bull war, aber freundlich und gesprächsbereit. »Ich habe nie wirklich einen großen Groll gegen Dietrich verspürt«, sagt Purnell. »Er war ein fantastischer Geschäftsmann und sehr vernünftig. Er war immer stolz auf die Rendite, die er durch die Unterstützung von Skateboardern erzielte. Aber ich glaube, er litt unter dem Problem, das alle Menschen haben, wenn sie Benzin riechen: Sie werden als Geschäftsleute völlig irrational. Ich glaube nicht, dass der Einstieg in die Formel 1 unter diesem Gesichtspunkt zu ihm passte. Es fühlte sich für mich wie eine irrationale, gefühlsgeleitete, nicht geschäftliche Entscheidung an, selbst wenn es die Verwirklichung eines Kindheitstraums war. Die Ironie ist, dass sich die Entscheidung aus wirtschaftlicher Sicht als ziemlich gut für Red Bull erwies. Ich ziehe meinen Hut vor ihnen. Sie haben eine beeindruckende Arbeit geleistet.«
Christian Horner wurde am 7. Januar 2005 zum neuen Teamchef von Red Bull Racing ernannt. Mit 31 Jahren wurde er der jüngste Manager eines F1-Teams. Drei Monate vor dem ersten Rennen der Saison in Australien war Horner von der Leitung eines Formel-3000-Teams – jetzt Formel 2 genannt – zum F1-Teamchef aufgestiegen. Plötzlich maß er sich mit Größen wie Ron Dennis bei McLaren, Jean Todt bei Ferrari oder Flavio Briatore bei Renault. Und er bekam die Rücksichtslosigkeit der Formel 1 sofort ungefiltert zu spüren, wie er bei unserem Gespräch in seinem Büro bei Red Bull Racing in Milton Keynes erzählt:
»Es war vereinbart, dass ich auf dem Parkplatz warte, während [Red Bull-Manager] Dany Bahar ins Büro geht, um Purnell und Pitchforth zu treffen und sie zu feuern«, sagt Horner über seinen ersten Tag als Chef. »Und sie wurden angewiesen, das Gebäude sofort zu verlassen. Ich saß auf dem Parkplatz und sah, wie sie mit Pappkartons herauskamen, in denen ihre Sachen waren. Ich dachte mir: ›Die Formel 1 ist ziemlich brutal.‹ Und dann wurde ich hereingebracht und alle Mitarbeiter waren versammelt. Dany sagte: ›Oh, wir haben einen Wechsel im Management und hier ist euer neuer Teamchef!‹ Die einzige Person, die ich kannte, als ich durch die Gruppe ging, war Ole Schack, der jetzt der Frontmechaniker an Max Verstappens Auto ist. Unsere Wege hatten sich in der F3000 gekreuzt. Ich glaube, er war die einzige Person, die sich freute, mich zu sehen! Die Belegschaft war fassungslos. Sie hatten eine Menge Veränderungen durchgemacht. Ich erklärte, dass ich in den ersten Wochen hier sei, um zuzuhören und zu lernen. Aber ich stellte auch klar, dass das Ziel des Teams der Sieg sei. So einfach war das. Die Leute von Red Bull fuhren also zurück zum Flughafen, und ich ging nach oben ins Büro. Dort weinte eine Sekretärin, weil sie gerade ihren Chef verloren hatte. Ich setzte mich an den Schreibtisch, wo noch Weihnachtskarten lagen und eine halb ausgetrunkene Tasse Kaffee stand. Ich dachte mir: ›Wo sollen wir anfangen?‹ Also bat ich darum, alle leitenden Angestellten nacheinander zu sehen. Dabei war auch Graham Saunders, der Leiter der Produktion. Ich fragte: ›Würden Sie mich durch die Fabrik führen?‹ Ich war zuvor nur einmal dort gewesen. Also gab er mir eine Tour durch die Fabrik, damit ich sehen konnte, was dort passierte.«
Bei diesem ersten Rundgang wurde Horner schnell klar, dass das Team zwar Potenzial besaß, es ihm aber an Struktur und technischer Disziplin mangelte. Es gab keine wirkliche Vorstellung davon, was Red Bull erreichen wollte. Er hatte viel zu tun, und die Uhr tickte. Es waren nur noch zwei Monate Zeit bis zum ersten Rennen der Saison 2005. Horner musste schnell arbeiten, um seine neuen Kollegen kennenzulernen, und diese wiederum mussten sich mit dem Mann vertraut machen, der das Gesicht ihres Teams in der Öffentlichkeit werden sollte.
Horner, der heute durch seine Rolle bei Red Bull Racing und seine Auftritte in der Netflix-Serie Drive to Survive bekannt ist, wuchs bescheiden auf. Er wurde 1973 in Leamington Spa in England in eine Familie geboren, die in der Automobilbranche tätig war. Sein Großvater arbeitete bei der Standard Motor Company in Coventry als Einkaufsleiter, bevor er sein eigenes Unternehmen gründete. »Als Kind wollte ich unbedingt ein Kart haben, bloß um damit im Garten herumzufahren«, sagte Horner im Januar 2012 dem Motorsport-Magazin. »Und meine Mutter fand eines in der Lokalzeitung für 25 Pfund. Mit der Zeit konnte ich mir etwas Besseres besorgen und fuhr schließlich in einer Serie namens ›Junior Booster‹. 1991 bot Renault Stipendien an, um Kindern zu helfen, vom Kart in die Formel Renault aufzusteigen, und ich ergatterte eines. Ich gewann eine Meisterschaft, holte einige Polepositions und die F3-Teams riefen an. Also fuhr ich 1993 in der F3-Klasse B mit Roly Vincinis P1 Engineering. Ich holte fünf Siege und wurde Zweiter in der Gesamtwertung.«
Christian Horner im Januar 2005 vor dem Hauptquartier von Red Bull Racing in Milton Keynes.
Er überredete seine Eltern, nach dem Abitur ein Jahr Pause machen zu dürfen, in der Hoffnung, eine Karriere im Rennsport zu starten. Der Deal war, dass er sich im Jahr darauf um einen Studienplatz bewerben würde, falls es mit dem Motorsport nicht klappen sollte. Nach eigenem Bekunden war er nie an einem Studium interessiert und behauptet, sich nicht einmal daran erinnern zu können, wo er sich beworben hatte. Aber die Chancen, es an die Spitze des Rennsports zu schaffen, waren schlecht. Auch in finanzieller Hinsicht: Heute schätzt man, dass es etwa 10 Millionen Euro kostet, sich durch die unteren Ligen bis in die Formel 1 vorzuarbeiten. Meist stammen diese Mittel von der Familie, einer Gruppe von Investoren, die ihr Geld zurückbekommen, wenn ihr Fahrer einen lukrativen F1-Vertrag erhält, oder von einem Sponsor – beispielsweise einem Autohersteller oder einer Firma in deren Dunstkreis. Horner musste Geld auftreiben, um die Teile – Kraftstoff, Reifen, Chassis – zu kaufen, um Rennen fahren zu können. Er wechselte 1994 mit Fortec in die internationale Britische F3-Serie. Ein Aufstieg, der ihn zwar bis auf zwei Ebenen unterhalb der Formel 1 heranbrachte, aber sein Budget erschöpfte.
Im folgenden Jahr war er entschlossen, seine Rennkarriere entscheidend voranzutreiben. Erklärtes Ziel war es, in die Formel 1 aufzusteigen, jedoch war er nicht in der Lage, einen Platz in einem führenden Formel-3000-Team (jetzt F2) zu finanzieren. Das hätte ihn einen letzten Schritt an die Formel 1 herangebracht. Damals wusste er es noch nicht, aber diese finanzielle Hürde sollte seinen Karriereweg vorbestimmen und zu einer zufälligen Begegnung mit einem gewissen Dr. Marko führen (Helmut Marko promovierte 1967 zum Doktor der Rechtswissenschaften). »Ich beschloss, ein F3000-Auto zu kaufen und selbst zu fahren, damit ich am Ende der Saison wenigstens noch das Auto hätte und etwas vorweisen konnte«, erinnert sich Horner in demselben Interview mit dem Motorsport-Magazin. »Es war ein bisschen mutig, aber ich dachte, ich probiere es aus. Ich verkaufte alles, was ich besaß, lieh mir so viel wie möglich von der Bank und von meinem Vater – der mir unter der Bedingung half, dass ich es ihm irgendwann zurückzahle. Ich war Teammanager, Geldeintreiber, Sekretär, Koch und Reinigungskraft, erledigte den ganzen Papierkram und kümmerte mich um allen sonstigen Ärger. Als Mechaniker hatten wir einen Teilzeitmitarbeiter, der im örtlichen Getränkemarkt Threshers arbeitete. Wir brauchten einen Trailer, und das beste Angebot fand ich in Österreich. Ich nahm einen Billigflug nach Graz, um ihn zu besichtigen. Der Besitzer, ein Typ namens Dr. Marko, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, verhandelte hart, und ich sagte, ich würde ihn kaufen, wenn er ihn mir nach Calais bringen könnte. Als ich meinem Vater erzählte, dass ich das Geld einem völlig Fremden in Österreich per Handschlag gegeben und den Anhänger noch nicht einmal bekommen hatte, erklärte er mich für verrückt. Aber auf den Handschlag von Dr. Marko konnte man sich verlassen, denn der Trailer tauchte tatsächlich in Calais auf. Inzwischen hatte ich herausgefunden, dass es sich um den ehemaligen F1-Fahrer Helmut Marko handelte, der zwei F3000-Autos für Juan Pablo Montoya und Craig Lowndes betrieb. Also lernte ich ihn bald besser kennen.«
Horner gründete gemeinsam mit seinem Vater Garry 1997 das Team Arden – benannt nach der Gegend in Warwickshire, in der er geboren wurde. Sie arbeiteten mit einem knappen Budget, das keinen Spielraum für Fehler ließ. Horner konnte sich die Fahrzeugteile kaum leisten, von Ersatzteilen ganz zu schweigen. Im Falle eines Unfalls würde er sich entscheiden müssen, ob er seine Rechnungen bezahlte oder das Geld für den Wiederaufbau des Autos ausgab. Eine weitere Schwierigkeit bestand darin, dass er sowohl als Teamchef als auch als Fahrer fungierte. Er konnte es sich nicht leisten, für längere Zeit außer Gefecht zu sein. Und was vielleicht noch schwerer wog als all das, war die schmerzliche Erkenntnis, dass sein Talent nicht reichte, um mit den anderen Fahrern im Feld mitzuhalten – darunter Namen wie Juan Pablo Montoya und die Le-Mans-Legende Tom Kristensen. Diese Enttäuschung, nicht gut genug zu sein, ließ ihn am Boden zerstört zurück. Er zog sich 1998 aus dem Rennsport zurück und gab seinen Traum, in der Formel 1 zu fahren, auf. Trotzdem hatte sein Team viel Anerkennung gewonnen.
Arden hatte das Interesse von Dave Richards geweckt, dem Gründer und Manager von Prodrive – einer britischen Motorsport- und Maschinenbaugruppe mit Sitz in Banbury, Oxfordshire. Richards verfügte über große Erfahrung im Motorsport und hatte auch das erfolgreiche BAR F1-Team sowie das Subaru World Rally Team geleitet. Horner stimmte einer 50:50-Teilung des Teams mit Richards zu und erhielt im Gegenzug dringend benötigte Finanzmittel, was den Druck auf den jungen Teamchef verringerte.
Nach einer unspektakulären ersten gemeinsamen Saison kaufte Horner rechtzeitig für die Saison 2002 das Team vollständig zurück. Als Fahrerpaarung wählte er den tschechischen Rennfahrer Tomáš Enge und den Schweden Björn Wirdheim. Der Rückkauf zahlte sich aus: Arden war nicht nur konkurrenzfähig, sondern holte den Konstrukteurstitel, wobei Enge außerdem die Fahrerwertung gewann. In der folgenden Saison konnte Arden den F3000-Titel verteidigen. Diesmal sicherte sich Wirdheim den Fahrertitel (zweiter Fahrer des Teams war in dieser Saison der Amerikaner Townsend Bell).
Durch diesen Erfolg wurde Marko auf das Team aufmerksam. Er trat an Horner heran, um ihm den italienischen Fahrer Vitantonio Liuzzi für die Saison 2004 anzubieten, dessen Manager er war. Obwohl Liuzzis Leistungen in der Formel 3000 für das Junior Team von Red Bull eher durchschnittlich gewesen waren, traute Marko ihm viel zu. Für Horner war es ein weiteres Wagnis. Doch nach seinem Teamwechsel lieferte Liuzzi ab, gewann sieben von zehn Rennen, holte sich den F3000-Titel und Arden abermals die Konstrukteurswertung.
Drei Meistertitel als Teamchef waren ein überzeugendes Argument für einen Aufstieg Horners in die Formel 1. Wenn er es nicht als Fahrer schaffen würde, dann eben als Teamchef. Er erinnert sich an seine ersten Gespräche mit dem F1-Chef Bernie Ecclestone, der ihm helfen wollte, es in die Königsklasse des Motorsports zu schaffen. Ecclestone versuchte, Horner zum Kauf des Jordan-F1-Teams zu bewegen, aber die Übernahme gestaltete sich als schwierig. »Ich wollte das Arden-Team in die Formel 1 bringen. Bernie drängte mich und sagte: ›Wir brauchen neues, frisches Blut in der Formel 1. Ich will diesen Eddie Jordan loswerden, er treibt mich in den Wahnsinn – warum kaufst du nicht sein Team? Ich werde dir helfen‹«, berichtet Horner dem High Performance Podcast. »Also habe ich versucht, ein Geschäft zum Kauf des damaligen Jordan-Teams einzufädeln. Aber die Übernahme wurde immer komplizierter. Zur gleichen Zeit versuchte Red Bull, das damalige Jaguar-F1-Team zu erwerben. Sie kauften es im November 2004, und noch im selben Monat rief mich Helmut an und sagte: ›Dietrich würde dich gerne sehen.‹ Ich fuhr nach Salzburg, es war Anfang Dezember, und Dietrich sagte: ›Ich möchte das Management wechseln. Ich habe große Ambitionen mit diesem Team.‹ Das war so unwiderstehlich. Er sagte: ›Ich möchte, dass es anders wird, ich möchte, dass es eine andere Energie hat, wir werden nicht wie ein Konzern sein, wir werden die Dinge auf die Red Bull-Art machen. Und ich bin bereit, mit dir ein Risiko einzugehen.‹
Mit meinen 31 Jahren musste ich nicht lange darüber nachdenken. Dietrich sagte: ›Hör zu, weil ich dir in deinen jungen Jahren diese Chance gebe, zahle ich dir nur ein Grundgehalt. Aber für jeden Punkt, den du erzielst, gibt es einen üppigen Bonus. Jaguar hat letztes Jahr zehn Punkte geholt, wenn du also elf oder zwölf Punkte holst, wäre das schon ein Erfolg im ersten Jahr.‹ Im ersten Rennen erzielten wir neun Punkte. In der ersten Saison 34 Punkte. Gott sei Dank haben wir das geschafft, sonst hätte ich meine Hypothek nicht bezahlen können!«
Nach der Rekrutierung von Horner bei Red Bull Racing berichtete der Reuters-Journalist Alan Baldwin: »Horner wird Red Bull Racing gemeinsam mit einem neuen technischen Direktor leiten, dessen Ernennung innerhalb der nächsten Woche bekannt gegeben wird.« Es kursierten Meldungen, dass dafür der deutschsprachige Italiener Günther Steiner in die Formel 1 zurückkehren würde. Er war Geschäftsführer bei Jaguar Racing gewesen, als dort noch der Österreicher Niki Lauda das Team leitete. Später sollte Steiner Teamchef bei Haas werden (bis er im Januar 2024 entlassen wurde) und durch seine unverblümte Ausdrucksweise in der Netflix-Serie Drive to Survive Berühmtheit erlangen.
Red Bull Racing bestätigte Steiners Ernennung zum technischen Direktor am 13. Januar 2005. Nach den enormen Umwälzungen durch den Weggang von Purnell und Pitchforth erwies er sich als Ruhepol. Steiner hatte einen Motorsport-Engineering-Hintergrund und in der Rallye-WM an der Seite von Größen wie Colin McRae und Carlos Sainz gearbeitet. 2001 wechselte er in die Formel 1. Lauda hatte ihn abgeworben, und Ford machte ihn zum Geschäftsführer von Jaguar Racing. Steiner reorganisierte das Team damals schnell und reduzierte die Kosten. Weil es dem Team aber immer noch an Performance fehlte, entließ der US-Autogigant Lauda und Steiner im Jahr 2003.
Nach einiger Zeit bei Opel in der DTM kehrte Steiner also in das Werk in Milton Keynes zurück, das einst die Heimat von Jaguar gewesen und nun vom Red Bull Team übernommen worden war. Die Situation, die er hier nach zwei Jahren Abwesenheit vorfand, überraschte ihn. Geändert hatte sich nur wenig. Überall war noch die grüne Farbe von Jaguar zu sehen, und Sir Jackie Stewarts Sponsoring durch die Luxusuhrenmarke Rolex hatte dazu geführt, dass noch immer große Reproduktionen der berühmten Uhren an den Wänden hingen, die bei seiner Ankunft gerade entfernt wurden.
Steiner sollte ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Werk in Milton Keynes und der Red Bull-Zentrale in Österreich werden. Ganz allgemein war es nützlich, dass er sowohl Deutsch als auch Englisch sprach, aber noch wichtiger war, dass er von seiner früheren Verbindung zu Red Bull profitierte, die bis in die Zeit zurückreichte, als er im Rallyesport tätig war. Bei einem Treffen des Teams im Hospitality-Gebäude auf der Rennstrecke Spa-Francorchamps an einem trüben Tag im Juli 2023 erzählt er mir, dass es für ihn eine logische Entscheidung war, zu seinen ehemaligen Teamkollegen zurückzukehren und mit Mateschitz und Marko an ihrem ehrgeizigen neuen F1-Projekt zu arbeiten. »Ich kannte Dietrich und Dr. Marko schon seit Langem«, berichtet er. »Ich traf Dietrich zum ersten Mal, als wir ein Rallye-Programm in Österreich mit Raimund Baumschlager, dem 14-fachen österreichischen Rallye-Meister, durchführten. Dietrich war bereits wohlhabend – nicht so, wie er es später geworden ist, aber sehr reich –, und er wollte sich in die Formel 1 einkaufen. Als sie mich fragten, war die Entscheidung nicht schwer: Ich lebte in England und arbeitete zu dieser Zeit in Deutschland – sie mussten mir den Deal nicht groß verkaufen. Doch als ich zurückkam, war alles seltsam. Nichts hatte sich verändert. Die Leute waren dieselben, die Einrichtung auch. In den zwei Jahren hatte sich nichts verändert. Es gab immer noch nur zwei Gebäude. Ich habe nicht viel darüber nachgedacht, und es war schön, wieder da zu sein. Ich hatte in den Jahren, in denen ich weg war, viel Kontakt mit dem Personal gehabt. Christian hatte eine Woche früher angefangen. Er war viel jünger und weniger reif, aber ich hatte keine Probleme, mit ihm zu arbeiten.«
Steiner war nicht der einzige Neuzugang im wachsenden Team von Red Bull Racing. Wenige Wochen vor der Beförderung von Horner und Steiner hatte man sich die Dienste des erfahrenen Rennfahrers David Coulthard gesichert. McLaren hatte den Schotten zugunsten des Kolumbianers Juan Pablo Montoya gehen lassen. Coulthard begann im Alter von elf Jahren seine Karriere im Kartsport und setzte sie über die britische Formel Ford und die Formel 3000 fort, wo er sich in denselben Kreisen wie Horner bewegt hatte. Seine Chance zum Durchbruch in der Formel 1 hatte er, als Williams ihm 1994 anbot, den tödlich verunglückten Ayrton Senna zu ersetzen. Seinen ersten F1-Sieg errang Coulthard 1995 beim Großen Preis von Portugal, bevor er für die Saison 1996 zu McLaren wechselte. Im Jahr 2001 wurde er hinter Michael Schumacher Zweiter in der Fahrerwertung, konnte aber 2002 und 2003 nicht an diesen Erfolg anknüpfen, was McLaren dazu veranlasste, sich neu aufzustellen. Das Angebot von Red Bull kam beiden Parteien entgegen. Für Coulthard bedeutete es eine Perspektive in der F1 mit wenig Druck. Red Bull Racing bekam dafür einen sehr erfahrenen Piloten, der wusste, wie die großen, erfolgreichen Teams arbeiten.
Coulthard unterzeichnete einen Einjahresvertrag, den Red Bull Racing am 17. Dezember 2004 offiziell machte. Er war damals 33 Jahre alt und hatte in seinen elf Jahren in der Formel 1 insgesamt 13 Rennen gewonnen. »Nachdem ich mit dem Teambesitzer Dietrich Mateschitz gesprochen hatte, war ich von den Zukunftsplänen von Red Bull Racing beeindruckt. Das ist definitiv ein spannendes neues Team«, sagte Coulthard damals der österreichischen Nachrichtenagentur APA.