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Erste Erzählung: Der Handlungsreisende Reiner Scholten ist stark frustriert. Er hat keine Freunde, und in seiner Verwandtschaft findet er nur wenig Anerkennung. Auch hat er in seinem Job nur geringe Erfolge vorzuweisen. Die Verwandten machen sich vor allem über Reiners Ehefrau Rita lustig, die sie als „einfaches Gemüt“ bezeichnen, weil sie immer still und in sich gekehrt ist. Reiner hofft jetzt, durch die Vermittlung seines Bruders Walter, eines Diplomingenieurs, in dessen Freundeskreis Freunde, zumindest einen Freund, zu finden. Während einer Soiree bei einem Rechtsanwalt lernt Scholten in der Tat nette Leute kennen, und er hofft, er könnte in diesem Kreis der Freunde Walters eine Art Heimat finden. Während des Gesellschaftsabends wird viel über literarische Themen diskutiert, unter anderem auch über Goethes Humanitätsideal. Reiner freut sich, dass er von allen so freundlich aufgenommen wurde, und er diskutiert eifrig mit.
Zweite Erzählung: Der Volksschullehrer Joachim Kissler, auf dem Friedhof vor einem Grabstein sitzend, erregt das Interesse des Schülers Christoph H., der unterwegs zu seinem Freund ist, mit dem er eine Kirmes besuchen möchte. Er hatte Kissler früher einmal in der Volksschule als Lehrer gehabt. Jetzt läuft ein Scheidungsverfahren gegen den Lehrer, und die Ehefrau Kisslers wird von Christophs Vater, einem scharfen Rechtsanwalt, vertreten. Christoph hat mehrmals eine Unterredung seines Vaters mit seiner Mutter belauscht, in welcher der Charakter des Lehrers erörtert wurde. Kissler sei ein sanfter Mensch; von seiner Frau werde er als Waschlappen angesehen, hatte Christoph, an der nur angelehnten Tür lauschend, erfahren. Der Junge, unterwegs also zu seinem Freund, hofft, auf dem Juxplatz ein Mädchen namens Elvira anzutreffen, in die er sich verliebt hat. Während er dem Ausgang des Friedhofs entgegeneilt, fallen ihm noch andere Bemerkungen seines Vaters über den Volksschullehrer ein. Auf dem Kirmesplatz besuchen die Freunde mehrere Karussells, dabei sehen sie auch Elvira mit einer Freundin, die beide den Autoskootern eines Autodroms zuschauen. Die Mädchen sind aber bald verschwunden. Nachdem die Freunde noch mit einer Geisterbahn gefahren sind, suchen sie weiter nach den beiden Mädchen.
Dritte Erzählung: Der Kriegsheimkehrer J. Winkelmann versucht in der Nachkriegszeit einen Koffer voll Edelmetall, den er an einer bestimmten Stelle vergraben hat, nach Hause zu schaffen. In einem Bahnhof liest er auf einem Plakat von einem Schwerverbrecher, der sich in Verkleidung an seine Opfer heranschleiche. In dem Abteil des Zuges, das sich während der Fahrt allmählich leert, sitzt Winkelmann mit einem Pfarrer zusammen. Als der Koffer während eines abrupten Halts des Zuges aus der Gepäckablage stürzt, erfährt der Mitreisende von dem Inhalt des Koffers. Zunehmend glaubt der Protagonist nun, es handele sich bei dem Pfarrer um den gesuchten Mörder.
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Veröffentlichungsjahr: 2018
und gerät in einen Kreis „gestandener“ Leute.
Eine Erzählung (und zwei andere Geschichten)
Auflage Oktober 2018
Covergestaltung: Heinz-Jürgen Schönhals
Autor: Heinz-Jürgen Schönhals
Erste Erzählung: Reiner Scholten sucht Freunde
Der Handlungsreisende Reiner Scholten ist stark frustriert. Er hat keine Freunde, und in seiner Verwandtschaft findet er nur wenig Anerkennung. Auch hat er in seinem Job nur geringe Erfolge vorzuweisen. Die Verwandten machen sich vor allem über Reiners Ehefrau Rita lustig, die sie als „einfaches Gemüt“ bezeichnen, weil sie immer still und in sich gekehrt ist. Reiner hofft jetzt, durch die Vermittlung seines Bruders Walter, eines Diplomingenieurs, in dessen Freundeskreis Freunde, zumindest einen Freund, zu finden. Während einer Soiree bei einem Rechtsanwalt lernt Scholten in der Tat nette Leute kennen, und er hofft, er könnte in diesem Kreis der Freunde Walters eine Art Heimat finden. Während des Gesellschaftsabends wird viel über literarische Themen diskutiert, unter anderem auch über Goethes Humanitätsideal. Reiner freut sich, dass er von allen so freundlich aufgenommen wurde, und er diskutiert eifrig mit.
Zweite Erzählung: Der sanfte Herr Kissler
Der Volksschullehrer Joachim Kissler, auf dem Friedhof vor einem Grabstein sitzend, erregt das Interesse des Schülers Christoph H., der unterwegs zu seinem Freund ist, mit dem er eine Kirmes besuchen möchte. Er hatte Kissler früher einmal in der Volksschule als Lehrer gehabt. Jetzt läuft ein Scheidungsverfahren gegen den Lehrer, und die Ehefrau Kisslers wird von Christophs Vater, einem scharfen Rechtsanwalt, vertreten. Christoph hat mehrmals eine Unterredung seines Vaters mit seiner Mutter belauscht, in welcher der Charakter des Lehrers erörtert wurde. Kissler sei ein sanfter Mensch; von seiner Frau werde er als Waschlappen angesehen, hatte Christoph, an der nur angelehnten Tür zuhörend, erfahren. Der Junge, unterwegs also zu seinem Freund, hofft, auf dem Juxplatz ein Mädchen namens Elvira anzutreffen, in die er sich etwas verliebt hat. Während er dem Ausgang des Friedhofs entgegeneilt, fallen ihm noch andere Bemerkungen seines Vaters über den Volksschullehrer ein. Auf dem Kirmesplatz besuchen die Freunde mehrere Karussells, dabei sehen sie auch Elvira mit einer Freundin, die beide den Autoskootern eines Autodroms zuschauen. Die Mädchen sind aber bald verschwunden. Nachdem die Freunde noch mit einer Geisterbahn gefahren sind, suchen sie weiter nach den beiden Mädchen.
Dritte Erzählung: Gefahrvolles Reisen nach dem Kriege:
Der Kriegsheimkehrer Jakob Winkelmann versucht in der schwierigen Nachkriegszeit einen Koffer voll Edelmetall, den er während des Krieges an einer bestimmten Stelle vergraben hat, nach Hause zu schaffen. In einem Hauptstadtbahnhof liest er auf einem Plakat von einem Schwerverbrecher, der sich in raffinierter Verkleidung an seine Opfer heranschleiche. In dem Abteil des Zuges, das sich während der Fahrt allmählich leert, sitzt Winkelmann mit einem Pfarrer zusammen. Als der Koffer während eines abrupten Halts des Zuges aus der Gepäckablage stürzt, erfährt der Mitreisende von dem wertvollen Inhalt des Koffers. Zunehmend glaubt der Protagonist nun, es handele sich bei dem Pfarrer um den gesuchten Verbrecher. Während der Zug einmal auf freien Strecke hält, steigt der Mitreisende aus, um bei der herrschenden Dürre einen glimmenden Zigarettenstummel, den Jakob Winkelmann aus dem Fenster geworfen hat, auszutreten. Dieser erwartet nur endgültig einen Angriff des Mitreisenden.
Reiner Scholten sucht Freunde und gerät in einen Kreis „gestandener“ Leute
Niemand könnte den Handlungsreisenden Reiner Scholten einen zufriedenen Menschen nennen. Zwar führte er mit Rita eine gute Ehe, aber als Reisender für Herrenhemden und Unterwäsche verdiente er nicht viel, und Freunde hat er auch keine. In den Jahren, da er mit seiner Frau noch in einer anderen Stadt lebte, hatte er mehrmals versucht, Freundschaften zu schließen. Auch Rita sah sich mehrmals nach einem geeigneten Ehepaar um, mit dem sie sich öfter treffen könnten. Doch über einige flüchtige Bekanntschaften mit Nachbarsleuten waren sie nicht hinausgekommen. Oft fragte er sich, warum sie sich so schwer taten, gute Freunde zu finden. Wirkten sie auf andere langweilig? Fehlte es ihm, fehlte es Rita an Humor, an Witz? An irgendetwas musste es ja liegen, aber so richtig erklären konnte es sich Reiner nicht.
Um nicht weiter ihre Tage so isoliert und melancholisch gestimmt in einer fremden Stadt zu verbringen, beschlossen die Eheleute eines Tages, sich in Reiners Geburtsstadt niederzulassen. Dort, in A., lebte sein Bruder mitsamt seiner Familie, auch alte Freundschaften ließen sich vielleicht wieder erneuern. Zwei seiner Jugendfreunde sollen dort mit ihren Ehefrauen noch wohnen, hatte er von seinem Bruder gehört. Außerdem verknüpfte er mit jeder Straße in A., mit jedem Gassenwinkel, beinah mit jedem Haus Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend. Mit Hilfe solcher beglückender Rückblicke hoffte er das trostlose Bild seiner gegenwärtigen Lage, gleichsam durch einige fröhliche Farbtupfer, ein wenig aufzuhellen. Ja, er war einst glücklich gewesen in A., glücklich und zufrieden im Kreis einer intakten Familie. Und hatte er sich nicht auch in einem großen Kreis liebenswerter Freunde immer wohlgefühlt?
Doch nachdem er sich so voller Hoffnung mit seiner Frau in der Heimat niedergelassen hatte, sah er sich unerwartet mit Ereignissen konfrontiert, die ihn stark ernüchterten: Die alten Freundschaften ließen sich nicht mehr beleben; die beiden Jugendfreunde nahmen ihn zwar freundlich auf und tauschten mit ihm manche glückliche Erinnerung an gemeinsam erlebte Zeiten aus, doch sie verkündeten ihm zu seiner großen Enttäuschung, dass sie nicht mehr lange in A. bleiben würden; sie säßen beide schon auf gepackten Koffern und beabsichtigten, bald in eine andere Stadt ziehen, der eine, um sich beruflich zu verändern, der andere, um im Hause seiner Schwiegereltern eine komfortablere Bleibe zu finden. Auch von seinem Bruder, dem Diplomingenieur Walter Scholten, konnte Reiner leider nicht das erwarten, was er sich durch seine Rückkehr in die alte Heimat vorgestellt hatte. Zwar wohnte Walter in Reiners Nähe, nur ein paar Straßen weiter, aber der vielbeschäftigte Diplomingenieur hatte für den Bruder nur selten Zeit. Manchmal saßen sie sonntags zusammen, tranken Kaffee, gemeinsam mit ihren Ehefrauen, und erzählten sich Neuigkeiten aus der Verwandtschaft. Das reichte Walter dann für die nächsten fünfzehn bis zwanzig Wochen. Nur Reiner war das zu wenig.
Über alle diese Missgeschicke hinaus fehlte Reiner auch in seinem Beruf das Glück. Zwar arbeitete er als Reisender der Kirow-Tex-KG in einem festen Bezirk, doch seine Begeisterung für diesen Job, so er je eine empfunden, war längst in Ernüchterung umgeschlagen, zumal, wenn er an seine mageren Verkaufserfolge dachte. Ehefrau Rita, die in A. einen Halbtagsjob bei der Telsea - Handelskette gefunden hatte, konnte wohl die gemeinsame Haushaltskasse geringfügig aufbessern; dennoch blieb das Gesamteinkommen der Eheleute bescheiden.
Rita stammte aus einfacher Familie und war hübsch, aber im Umgang wenig gesprächig, ein stiller Mensch! In Gesellschaft fiel sie durch beharrliches Schweigen auf, weshalb ein Cousin von Reiner ihr den Spitznamen ‚einfaches Gemüt’ verpasst hatte. Dieser wenig schmeichelhafte Name war dann von der gesamten Scholten-Verwandtschaft übernommen worden, worüber sich Reiner maßlos ärgerte.
„Diese Scholtens!“ empörte sich Reiner, als er davon erfuhr; „und am schlimmsten sind die Promovierten! Der Spitzname ist natürlich ihre Erfindung!“
Reiner sah in dem Benehmen seiner Verwandten gegenüber Rita, überhaupt in der Verachtung, die ihr bei manchem der Scholtens entgegenschlug, eine scholten-spezifische Arroganz.
„Auch mich verschont ihre Anmaßung nicht!“, ereiferte er sich einmal, als er von einem Verwandten-Treff entnervt zurückkehrte und seiner Frau davon erzählte; „ich habe es ja nur bis zum Reisenden gebracht - und nicht wenigstens zum Generalvertreter. Das hätten die Herren Promovierten vielleicht noch respektiert, sozusagen als Untergrenze des Akzeptablen! Aber als Reisender bist du bei denen eine Null! Und wenn du überhaupt wagst, den Mund bei ihnen aufzumachen, fahren sie dir sofort darüber oder quittieren deine völlig unmaßgebliche Meinung mit spöttischen Blicken.“
Ja, wenn es um seine Ehre und um die Würde seiner Frau ging, verstand er keinen Spaß; er konnte da leicht die Beherrschung verlieren. Da er kräftig war und mit seinen Fäusten hart zuschlagen konnte, musste man sich vor ihm in Acht nehmen, vor allem, wenn er wütend wurde. Dann zogen sich seine Augenbrauen zusammen und in seinen Augen funkelte es gefährlich, während der ohnehin schmallippige Mund zu einem dünnen Strich verkümmerte. Spätestens jetzt trat jeder, der seinen Jähzorn kannte, rasch den Rückzug an. Nicht so ein Bekannter. Der hatte Rita mal ein ‘unbedarftes Dummchen’ genannt und dabei nicht bemerkt, dass Reiner es hörte. Schon streckte ihn dieser mit einem Schwinger zu Boden. Der Mann zeigte ihn an, nahm aber die Anzeige wieder zurück, nachdem Reiner sich entschuldigt und ein kleines Schmerzensgeld gezahlt hatte.
Doch warum gingen Glück und Erfolg dem Handlungsreisenden, abgesehen vom Gelingen seiner Ehe, so beharrlich aus dem Wege? Immerhin hatte ihm seine Firma einen großen Verkaufsbezirk zugeteilt. Ohne Not konnte er hier Interessenten für seine Kirow-Sachen finden: jede Menge gutgehender Textilgeschäfte, viele ebenfalls nicht schlecht florierende Supermärkte und vor allem - Kaufhäuser; Kaufhäuser mit riesigen Textilabteilungen. Was stapelte sich da nicht alles an Textilware oder hing an großen Ständern herum: Sport- und Freizeitjacken aus Baumwolle oder Polyester, Oberhemden aus Popeline- oder Batiststoffen, mit oder ohne Polyester-Beimischung; daneben Sporthemden in Perkal und Flanell, farbig gewebt oder bedruckt oder mit Lidokragen und so weiter. Unersättlich auch der Bedarf an Damen- und Herrentrikotagen in Netz- oder Knüpftrikot und im Winter Feinripp- und Interlockware. Auch Schlafanzüge aus Batist oder Satin, mit kurzem oder langem Arm lagen immer sichtbar in den breiten Schaukästen des Kaufhauses aus.