Reinhold Würth - Helge Timmerberg - E-Book
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Helge Timmerberg

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Beschreibung

Als sein Vater verstarb, da war er gerade neunzehn. Er übernahm die elterliche Schraubenhandlung und schuf daraus ein Weltunternehmen mit 13,6 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 77.000 Mitarbeitern (2018). Reinhold Würth hat es allen gezeigt: Künzelsau wurde zum Sitz eines Weltkonzerns. Wer ist dieser Mann, der durch Schrauben reich wurde und als vielleicht letzter Patriarch Deutschlands alle Entscheidungen in seinem Unternehmen kontrolliert bis ins letzte Detail? Wie waren seine Anfänge? Welche Rolle spielt seine Familie? Helge Timmerberg begibt sich auf die Spurensuche – und taucht tief ein in eine unglaubliche Geschichte von Macht und Milliarden …

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Inhalt

Cover & Impressum

Am Anfang war die Schraube

Das Mädchen aus dem Kirchenchor

Die erste Million

Das erste Flugzeug

Die Lehrer

Die Führungskultur

Die Schutzengel

Die Schwabenstreiche

Das Schanghai-Testament

Der Professor

Die Mächtigen und die Weisen

Good News in Indien

Bettina übernimmt

Bad News in Berlin

Und Markus?

In seinem Büro

Salzburg

Faro – Cartagena – Faro

Die Schraubenfabrik

Abschied in Vancouver

Abschied in Künzelsau-Gaisbach

Die Schlösser

Die Kunst vor den letzten Fragen

Die letzten Fragen

Bildteil

Das Mädchen aus dem Kirchenchor

Plötzlich machte es »klack, klack, klack« neben ihm und dann »klack, klack, klack« vor ihm, und dann war es um Reinhold Würth geschehen. Die Absätze gehörten seiner zukünftigen Frau. Sie hatte ihn an diesem Abend zwar noch nicht einmal gesehen, aber seine Blicke klebten an ihr, egal was sie sang.

Reinhold Würth hatte den Schraubengroßhandel das erste Jahr hindurch mechanisch weitergeführt. Alles, was der Vater getan hatte, das hatte Reinhold Würth genau so weitergetan und am Ende des Jahres eine Umsatzsteigerung von 16 Prozent hingelegt. Und weil seine Dienstreisen auch den Besuch von Gottesdiensten einschlossen, übernahm er nun ebenso das Beuteschema seines Vaters. Die besten Frauen sind im Kirchenchor.

Der Chor saß rechts vom Altar, in einem 90-Grad-Winkel zur Gemeinde, und die Gunst der Stunde bot ihm ihr Profil dar. Unheimlich hübsch und mit einem Selbstbewusstsein ausgestattet, das diese Hübschheit glatt ignorierte. Sie sang nicht mit Inbrunst, sondern fröhlich. Dazu trug sie eine knallgelbe Strickjacke mit Puffärmeln.

Von der Predigt, das gibt er gerne zu, bekam er aber nun nichts mehr mit. Wozu auch? Oder wird in Predigten mitgeteilt, dass Schüchternheit nicht zielführend ist? Er sprach sie nicht an, weder in der Kirche noch draußen vor der Tür, stattdessen schwelgte er während der Rückfahrt nach Künzelsau in den Nachwirkungen des Gottesdienstes. Fromme Lieder öffnen generell das Herz, und sieht man dazu ein Gesicht, das man aus seinen Träumen zu kennen glaubt, wird schnell ein Gefühl daraus, das Pläne zu machen beginnt.

Reinhold Würth hatte in Ulm einen guten Bekannten aus der Neuapostolischen Kirche, der zum Bischof für das südliche Württemberg ernannt worden war. Dem schrieb er am nächsten Tag einen Brief. Er habe im Friedrichshafener Kirchenchor eine junge Dame mit schwarzen, halblangen Haaren, einem Madonnen-Profil und einer extrem schlanken Taille gesehen. Und ob sich der Herr Bischof (herzlichen Glückwunsch zur Ernennung übrigens) vielleicht mal erkundigen könne, wer diese Frau sei und ob sie schon einen Freund habe? Drei Wochen später kam die bischöfliche Antwort: Ja, das Mädchen heiße Carmen Linhardt, lebe bei ihren Eltern in der Löwentaler Straße 105 in Friedrichshafen, und es sei nichts darüber bekannt, dass sie schon liiert sei.

Und wieder verließ ein Brief Künzelsau. Reinhold Würth bat darin die Tochter der Familie Linhardt um ein Date. Nach zwei Wochen kam die Antwort. Nicht ja, nicht nein, aber dass sie ein Foto von ihm sehen wollte, konnte man als ein Jein verstehen. Er schickte ihr das schönste Bild, das er von sich finden konnte, und daraufhin war dann erst einmal Sendepause. Das lag nicht nur an der Post, sondern auch und vor allem an dem Charakter der jungen Dame.

Ein Sonntagskind und im Sternzeichen des Krebses geboren. Eigentlich sollte sie Hannelore heißen, aber als sie im Gegensatz zu ihrem Bruder, der hellblond und blauäugig war, mit pechschwarzen Haaren und tiefbraunen Augen am 18. Juli 1937 in Pforzheim zur Welt kam, mussten sich die Eltern etwas anderes einfallen lassen. Ihr Vater, ein musikalischer Maschinenbauer, spielte in seiner Freizeit gern auf der Violine, und weil der französische Komponist Georges Bizet sein Lieblingskomponist war, wurde Hannelore halt Carmen genannt. Schöner Name. Aber nicht deutsch genug. Der völkisch gesinnte Standesbeamte weigerte sich, ihn ins Geburtsregister einzutragen. Wie ihn Vater Linhardt umstimmte, ist nicht überliefert, aber wenn Spekulationen erlaubt sind, könnte es folgendermaßen gewesen sein:

Standesbeamter: »Carmen kommt mir spanisch vor.«

Vater: »Na und? Seit wann haben Nazis etwas gegen die Franco-Diktatur?«

Standesbeamter: »Stimmt auch wieder.«

1942 wurde Carmens Vater zur Zahnradfabrik nach Friedrichshafen kriegsverpflichtet. Ein anderes Wort für Zwang, aber manchmal zwingt einen das Schicksal auch zum Glück, denn so entkam die Familie der Bombennacht, die im Februar 1945 über Pforzheim hereinbrach und 17 600 Menschen das Leben kostete, darunter sämtliche Verwandten von Carmen Linhardts Mutter. Den Bombenangriffen auf Friedrichshafen wiederum entkamen sie durch eine Annonce, die Mutter Linhardt in der Zeitung aufgegeben hatte. Sie suchte darin eine Anstellung auf dem Land. Es meldeten sich die Bauern des weit abgelegenen Hofes »Wildes Ried« im tiefen Oberschwaben.

Glückskind Carmen. Eine Waldlichtung des Friedens mitten im Krieg. Ihre Kindheitserlebnisse sind Erinnerungen an ein Paradies. Sie hat Pferde geputzt und Kühe gemolken, Blaubeeren gepflückt und »Frau Holle« gelesen, und wenn sie sich etwas wünschte, dann, einmal im Wald einem Wolf zu begegnen. Oder einem Fuchs. Von einem erfolgreichen Jungunternehmer wachgeküsst zu werden war dagegen nie ihr Wunsch. Auch nicht nach dem Krieg und wieder in Friedrichshafen, wo sie mit 17 Jahren jüngste Chefsekretärin bei der Zahnradfabrik Friedrichshafen wurde. Carmen machte Karriere, würde man heute sagen. Und ihre Leidenschaft gehörte, wie bei ihrem Vater, der Musik. Sie sang für ihr Leben gern im Kirchenchor. Das Foto von dem jungen Mann aus Künzelsau beeindruckte sie dagegen nicht so sehr.

Mit Spannung wartete Reinhold Würth jeden Morgen auf eine Antwort von ihr. Eine Woche, eine zweite, eine dritte, eine vierte Woche vergingen, und nichts außer dem üblichen Alltagsmist lag im Briefkasten. Er konnte nicht immer selbst nachsehen, dafür war er zu viel unterwegs, aber in solchen Fällen rief er einfach seine Mutter an: »Gibt es Post aus Friedrichshafen?« »Nein, nichts.« Das wurde langsam zur Dauerschleife.

In Lörrach, im Südwesten Baden-Württembergs, telefonierte er in dieser Sache ein letztes Mal ins Leere, dann wurde es ihm zu blöd, und er fuhr gen Osten, um 125 Kilometer weiter unangemeldet an Carmens Tür zu klopfen. Die Mutter öffnete.

»Guten Tag, mein Name ist Reinhold Würth. Ich komme aus Künzelsau und habe vor nunmehr zweieinhalb Monaten Ihre Tochter im Kirchenchor gesehen. Ich möchte sie gern einmal kennenlernen, und wenn sie mir gefällt, habe ich ernste Absichten, sie zu heiraten.«

War das normal in den Fünfzigerjahren, dass junge Männer noch vor dem ersten Kuss Planungssicherheit boten? Frau Linhardt reagierte weder belustigt noch misstrauisch, sondern so gelassen, als hätte er ihr ein paar Schrauben zum Verkauf angeboten. Ihre Tochter, sagte sie, arbeite um diese Zeit im Sekretariat des Direktors der Zahnradfabrik. Zehn Minuten später war Reinhold Würth vor deren Pförtnerhäuschen und ließ sich mit Carmen Linhardt verbinden, um sie für den Abend zum Essen einzuladen. Sie antwortete freundlich, aber reserviert, dass das nicht passe, weil sie am Abend singe, aber irgendwie passte es dann doch. Um 18 Uhr war er wieder in der Löwentaler Straße 105, versprach dem Vater, dass er seine Tochter pünktlich um 22 Uhr wieder zurückbringen werde, und hatte sie endlich in seinem Wagen.

Ende der Leseprobe