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Im Jahr 1842 unternahm A. Th. Von Middendorff eine Reise in den äußersten Norden Sibiriens und an die russisch-chinesische Grenze. Seine Aufzeichnungen sind nicht nur zu ihrer Zeit ein länder- und völkerkundliches Standardwerk geworden. Als Arzt erwirbt sich Middendorff das Vertrauen der sibirischen Völker, hilft ihnen in ihren Notlagen und fügt sich langsam in ihre Lebensweise ein. Es sind ganz unmittelbare und oft humorvolle Berichte, in denen er die Mühsal des Vorwärtskommens auf dem vereisten Jenissei, in der unwegsamen Tundra, in den reißenden Strömungen wildbewegter Gewässer des Ochotskischen Meeres und im schneereichen Stanowoischen Gebirge schildert. Mehrmals ist der Reisende allein in menschenleerer Wildnis, von allen Beleitern verlassen, und bekommt oft tagelang keine Menschenseele zu sehen.
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Seitenzahl: 430
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Alexander Theodor von Middendorff (1815-1894)wurde in Sankt Petersburg geboren. Middendorff war ab 1839 Professor der Zoologie in Kiew. Nach ersten Expeditionen nach Lappland bereiste der deutsch-baltische Entdecker im Auftrag der Russischen Akademie der Wissenschaften ab 1842 den hohen Norden Sibiriens. Danach wurde er zum Mitglied der Akademie und unternahm noch zahlreiche weitere Expeditionen. Im Jahr 1894 starb er auf seinem Gut Hellenorm in Estland.
Wieland Hintzsche (geb. 1948)ist seit über 20 Jahren auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte tätig. Sein Arbeitsgebiet umfaßt die Geschichte der deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen und die Geschichte der wissenschaftlichen Expeditionen nach Sibirien im 18. Jahrhundert. Er ist Herausgeber der vom Archiv der Russischen Akademie der Wissenschaften Sankt Petersburg und den Franckeschen Stiftungen zu Halle publizierten Reihe Quellen zur Geschichte Sibiriens und Alaskas aus russischen Archiven. Wieland Hintzsche lebt in Halle a.d. Saale.
Im Jahr 1842 unternahm Alexander Theodor von Middendorff eine Reise in den äußersten Norden Sibiriens und an die russisch-chinesische Grenze. Seine Aufzeichnungen sind nicht nur zu ihrer Zeit ein länder- und völkerkundliches Standardwerk geworden. Middendorff erwirbt sich das Vertrauen der sibirischen Völker, hilft ihnen in ihren Notlagen und fügt sich langsam in ihre Lebensweise ein. Es sind ganz unmittelbare und oft humorvolle Berichte, in denen er die Mühsal des Vorwärtskommens auf dem vereisten Jenissei, in der unwegsamen Tundra, in den reißenden Strömungen wildbewegter Gewässer des Ochotskischen Meeres und im schneereichen Stanowoischen Gebirge schildert. Mehrmals ist der Reisende in menschenleerer Wildnis, von allen Begleitern verlassen und bekommt oft tagelang keine Menschenseele zu sehen …
„Wir waren 23 Stunden abwesend und unablässig auf den Beinen gewesen, ja größtenteils im Sturmschritt gerannt. Rentiergespanne waren ausgefahren, uns zu suchen, hatten uns aber verfehlt. Man sieht, es sind die Nebel an und für sich schon verderblich genug in der hilflosen Öde!“Alexander Theodor von Middendorff
Alexander Theodor von Middendorff bereiste im Auftrag der Russischen Akademie der Wissenschaften den hohen Norden Sibiriens mit dem Auftrag, die Aufzeichnungen von Georg Wilhelm Steller und Vitus Bering zu überprüfen und zu vervollständigen. So gelangte er auf seiner entbehrungsreichen und gefährlichen Reise in das Taimyr-Land, in der Region von Krasnojarsk und an den Oberlauf des Amur und erreichte schließlich das Ochotskische Meer im äußersten Osten des Landes.
DIE 100 BEDEUTENDSTEN ENTDECKER
Alexander Theodor von Middendorff
Alexander Theodorvon Middendorff
Auf Schlitten, Bootund Rentierrücken
1842 – 1845
Herausgegeben vonWieland Hintzsche
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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Alle Rechte vorbehalten
Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2013Der Text basiert auf der Ausgabe Edition Erdmann, Wiesbaden 2013Lektorat: Dietmar Urmes, BottropCovergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbHnach der Gestaltung von Nele Schütz Design, MünchenBildnachweis: Saporoger Kosaken (Gemälde von Ilja Repin)eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0349-6
www.marixverlag.de
Einleitung
Aus Middendorffs Reisebericht
Die Taimyrreise
Erste Eindrücke
Auf der Eisdecke des mittleren Jenissei
Hunde im Anspann
Mit Rentier und Narte weiter nach Norden
Über den Polarkreis
Entlang der Waldgrenze
Dolganen und Jakuten
An der Chatanga
Abschied vom Wald
Tierleben in der verschneiten Tundra
Irrlichtereien
Das Völkchen der Horde Assja
In der Karawane Toitschums
Sitten und Sünden bei den Assja
Ausflüge am Taimyrfluss
Tundrasommer am Taimyrsee
Die Assja an ihren Sommerplätzen
Im Boot zur Küste
Am Eismeer
Das harte Zurück
Verlassen – begraben
Die Samojeden als Jäger
Glückliche Rückkehr
Die Ochotskische und die Amurreise
Dem Kältepol entgegen
Das Steckenpferd des Kaufmanns Newerow
Jakutsker Studien
Über Äcker der Zukunft
Im Zauber der Gebirgswildnis
Verhacke im Wald
»Am Rande der Welt«
Zobel! Zobel!
Aufenthalt im Anblick des Meeres
Wallfahrten der Wale
Seefahrt mit Hindernissen
Mücken – ein Schmauchfeuerchen – ein Riesenwaldbrand
Auf den Inseln
Zwischen Felsen und Meer
Die Reitrentiere
Herbstliches Wohlleben der Südtungusen
Im Gebiet der Giljaken
Den Tugurfluss aufwärts
Die Nigidal, ein Völkchen in der Waldeinsamkeit
Und wieder wird es Winter
Durch dick und dünn zum Pass hinan
Beschwörung der Berggeister
Unsere Nöte mit den Rentieren
Von Wasserscheide zu Wasserscheide
Der Winter auf seinem Höhepunkt
Zum Amur
Heimwärts durch Transbaikalien
Erläuternde Anmerkungen zum Text
Im vorliegenden Band werden Auszüge aus den Berichten des Naturforschers und Forschungsreisenden Alexander Theodor von Middendorff (1815–1894) vorgestellt, der in den Jahren 1842 bis 1845 im Auftrag der Petersburger Akademie der Wissenschaften eine Expedition durchführte, die ihn nach Sibirien auf die östlich von der Mündung des Flusses Jenissei am Eismeer gelegenen Halbinsel Taimyr, anschließend nach Jakutsk und schließlich an die Küsten des Ochotskischen Meeres, einen Teil des Pazifischen Ozeans, führte. Die Rückreise verlief durch das Gebiet nördlich des Flusses Amur und auf dem Fluss Amur bis nach Irkutsk nördlich des Baikalsees sowie von dort weiter nach Sankt Petersburg. Als Grundlage für die Erstellung dieses Bandes diente die von Gerolf Alschner bearbeitete, 1956 in Leipzig erschienene Ausgabe »Auf Schlitten, Boot und Rentierrücken« der Reiseberichte von Middendorff.
Sibirien, der nördliche Teil Asiens, umfasst physisch-geographisch ein Gebiet von ca. 10 Millionen km2, das im Westen vom Ural, dem Eismeer im Norden, dem Pazifik im Osten und dem Altai-Sajan-Gebirgskomplex im Süden begrenzt wird. Die Ost-West-Entfernung beträgt ca. 7000 km. Das Westsibirische Tiefland mit den Stromgebieten von Ob und Irtysch geht im Süden in das Tiefland von Turan über. Weiter östlich folgen die Schollengebirge und Hochebenen des Mittelsibirischen und Ostsibirischen Gebirgslands. Diese werden von den Flusssystemen des Jenissei und der Lena entwässert. Den nordöstlichen Abschluss bilden Hochgebirge mit Höhen bis zu 3000 Metern, an die sich die vulkanisch aktive Halbinsel Kamtschatka anschließt. Zwischen der Arktis im Norden und der mongolischen Grenze liegen ca. 3500 km.
Verschiedene Vegetationszonen prägen die Landschaften Sibiriens. Die nördlichste Zone mit langen harten Wintern und kurzen Sommerperioden wird von der baumlosen Tundra mit Moosen, Flechten und Beerengewächsen beherrscht. Daran schließt sich die Taiga an, der größte geschlossene Waldgürtel der Erde, der im Osten bis an die innerasiatischen Gebirge reicht. Südlich geht die Taiga bei stetig geringer werdenden Niederschlägen allmählich in Steppe, Halbwüste und Wüste über.
Ende des 16. Jahrhunderts begann mit den Feldzügen des Kosaken Jermak Timofeew die Eroberung und Erschließung Sibiriens. Nachdem durch Jermak die Tatarenherrschaft entscheidend geschwächt wurde, setzte im 17. Jahrhundert eine systematische Kolonisation durch Kosaken, Pelztierhändler und Abenteurer ein. Die breit verzweigten Flusssysteme von Ob, Jenissei und Lena boten Wasserwege an, die, durch kurze Landstrecken untereinander verbunden, Reisen bis zum Ochotskischen Meer ermöglichten. Von dort erreichten die Eroberer die Halbinsel Kamtschatka. Der Zeitpunkt der Gründung der auch heute noch bedeutendsten Städte Sibiriens spiegelt den Fortgang der Expansion wider: 1587 wurde Tobolsk am Irtysch gegründet, 1604 Tomsk am Tom, einem Nebenfluss des Ob, 1619 Jenisseisk und 1628 Krasnojarsk am Jenissei, 1632 Jakutsk an der Lena sowie 1649 Ochotsk am Ochotskischen Meer. Relativ spät wurde der Baikalsees 1643 durch Iwan Kurbatow entdeckt. Die Gründung der Stadt Irkutsk in der Nähe des Baikal erfolgte 1652. Die erste Phase der russischen Eroberung Sibiriens vom Ural bis zum Stillen Ozean durch die Russen war somit bereits nach 60 Jahren abgeschlossen.
Nachrichten über Russland und Sibirien aus dieser Zeit gelangten vor allem durch die Berichte von Reisenden (Sigismund von Herberstein, Nicolaas Witsen, Adam Brand, Ewert Isbrand-Ides und andere) nach Westeuropa. Diese Berichte wurden vorwiegend von Nichtwissenschaftlern verfasst, beruhten in vielen Teilen auf Hörensagen und enthielten zahlreiche Fehler und Ungenauigkeiten.
Eine systematische Erkundung Sibiriens wurde vom Zaren Peter I. eingeleitet, der Anfang des 18. Jahrhunderts Geodäten zur Kartographierung der nördlichen und östlichen Gegenden entsandte und kurz vor seinem Tod Vitus Bering (1681–1741) mit einer Expedition, der 1. Kamtschatkaexpedition (1725–1730), beauftragte, deren Hauptaufgabe die Erkundung einer möglichen Landverbindung zwischen Asien und Amerika war.
Etwa zur gleichen Zeit begann mit der Forschungsreise des Arztes Daniel Gottlieb Messerschmidt (1685–1735), die diesen von 1720 bis 1727 bis nahe an das Eismeer, zum Fluss Lena und in die transbaikalischen Gebiete an der chinesischen Grenze führte, die wissenschaftliche Erforschung Sibiriens.
Unter der Leitung von Vitus Bering wurde von 1733 bis 1743 mit über 3000 Teilnehmern eine der größten Expeditionen in der bisherigen Geschichte ausgerichtet, die 2. Kamtschatkaexpedition oder Große Nordische Expedition. Ihre Hauptaufgaben waren die vollständige Erkundung und Kartographierung der nördlichen und östlichen Küsten Russlands und Sibiriens sowie die Erkundung von Seewegen nach Amerika und Japan, um die Möglichkeit zu schaffen, neue Handelswege nach Japan, China und Indien aufzubauen, aber auch, um die Grenzen des Russischen Reichs besser gegen fremde Mächte absichern zu können.
Eine von der Petersburger Akademie der Wissenschaften zur 2. Kamtschatkaexpedition entsandte Gruppe hatte die Aufgabe, in umfassender Weise die Flora und Fauna, die Geographie und die Geologie der bereisten Gebiete zu untersuchen und die dort lebenden Völker, ihre Geschichte und ihre Sitten einschließlich ihrer Sprachen zu beschreiben. Ihre Hauptvertreter waren der Arzt und Naturforscher Johann Georg Gmelin (1709–1755), der Historiker Gerhard Friedrich Müller (1705–1783), der Astronom Louis De l’Isle de la Croyère (vor 1688 –1741) und die Adjunkten Georg Wilhelm Steller (1709–1746) sowie Johann Eberhard Fischer (1697–1771). In einem Zeitraum von ca. 15 Jahren entstand eine immense Anzahl wissenschaftlicher Arbeiten über Sibirien und seine Völker, von denen bis heute nur ein kleiner Teil veröffentlicht wurde.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann eine neue Phase der wissenschaftlichen Erkundung des Landes. Unter Leitung der Akademie der Wissenschaften wurden zwischen 1768 und 1774 die »Akademischen Expeditionen« in mehreren Gruppen ausgerichtet. Dazu wurden Gelehrte zu astronomischen Beobachtungen in verschiedene Orte des Reichs gesandt. Samuel Gottlieb Gmelin (1744–1774) und unabhängig von ihm Johann Anton Güldenstädt (1745–1781) erforschten das Kaspische Meer und die Steppe zwischen Wolga und Don, Güldenstädt auch den Kaukasus. In Fortführung der bereits 1733 initiierten Orenburgischen Expedition reiste Iwan Iwanowitsch Lepjochin (1740–1802) in den Ural und zum Nördlichen Eismeer, und Johann Peter Falk (1727–1774) bereiste, zeitweilig in Begleitung von Johann Gottlieb Georgi (1729–1802), das Gebiet um Astrachan und Westsibirien. Peter Simon Pallas (1741–1811) erforschte die Steppen um Astrachan, den Ural, das Altaigebirge und das Baikalgebiet.
Es folgte eine unter der Leitung von Joseph Billing (geb. um 1758) stehende Expedition in den Jahren 1785 bis 1794, die die Aufgabe hatte, die Tschuktschenhalbinsel, den Verlauf des Flusses Kolyma und die Inseln zwischen Asien und Nordamerika genauer zu erkunden. Gleichzeitig sollten Wissenschaftler die bereisten Gegenden geographisch, naturwissenschaftlich und völkerkundlich beschreiben. Von Ochotsk aus erforschten die Expeditionsteilnehmer in verschiedenen Gruppen die Tschuktschenhalbinsel, die Küsten des Ochotskischen Meeres sowie von Kamtschatka aus die Inselkette der Aleuten bis Alaska. Im Ergebnis der Expedition wurden wichtige Abschnitte der Küsten und Teile des Nordpazifiks kartographisch erfasst, neue ozeanographische und geographische Erkenntnisse gewonnen und besonders durch Carl Heinrich Merck (1761–1799) und Gawriil Sarytschew (1763–1830) zahlreiche naturkundliche und ethnographische Beobachtungen durchgeführt.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert wurden 28 russische Weltumseglungen durchgeführt, bei denen meist auch die östlichen Küsten Russlands, für Kamtschatka und Alaska angelaufen wurden. Genannt werden sollen hier nur die Reisen von Johann Adam von Krusenstern (1770–1846) in den Jahren 1803 bis 1806 und von Otto von Kotzebue (1787–1846) in den Jahren 1815 bis 1818, an denen auch Naturforscher teilnahmen, die umfangreiche naturkundliche und ethnographische Beobachtungen (auch in Sibirien) durchführten und zahlreiche Sammlungsobjekte mitbrachten.
Trotz des bis Anfang des 19. Jahrhunderts zusammengetragenen gewaltigen Wissens über die östlichen Teile des Russischen Reiches gab es noch zahlreiche »weiße Flecken« hinsichtlich der wissenschaftlichen Erkundung vieler Gebiete in Sibirien, auch waren im Laufe der Zeit durch die Aufspaltung der herkömmlichen Wissenschaftsgebiete in immer mehr Teildisziplinen zahlreiche neue Fragestellungen entstanden, zu deren Lösung neue Expeditionen wie die von Middendorff bedeutende Beiträge leisten konnten.
Alexander Theodor von Middendorff wurde 1815 in Sankt Petersburg als Sohn eines Professors und späteren Direktors des Pädagogischen Hauptinstituts geboren. Seine deutschstämmige Familie war bereits seit etlichen Generationen im Baltikum ansässig. Nach einer Schulausbildung in Sankt Petersburg und Reval studierte er von 1832 bis 1837 Medizin an der Universität zu Dorpat. Weitere Studien (insbesondere zur Zoologie) führten ihn 1837/38 nach Berlin, Erlangen, Breslau und Wien, um im Jahr 1839 eine Stelle als Adjunkt für Zoologie in Kiew anzunehmen. Er verließ diese Stelle aber bereits im folgenden Jahr, als ihn der Zoologen Karl Ernst von Baer (1792–1876) einlud, an seiner Expedition nach Russisch-Lappland (Halbinsel Kola) im Jahr 1840 teilzunehmen, bei der sich Middendorff insbesondere durch seine ornithologischen Untersuchungen Verdienste erwarb. Auf Empfehlung von Baers wurde er mit der Leitung der Expedition zur Taimyrhalbinsel betraut. Bereits bei seiner Rückkehr (1845) waren viele seiner Forschungsergebnisse von der Expedition bekannt geworden und hatten ihm hohe Achtung verschafft. Er wurde noch im gleichen Jahr zum Adjunkten für Zoologie an der Akademie der Wissenschaften ernannt und im Jahr 1852 zum ordentlichen Mitglied der Akademie. Im Jahr 1850 hatte er Hedwig Elisabeth von Hippius (1825–1868) geheiratet. Aus dieser Ehe gingen sechs Kinder hervor, von denen zwei seiner Söhne später in seine Fußstapfen treten sollten. In der Akademie der Wissenschaften war Middendorff außerordentlich produktiv, quittierte jedoch 1860 aus Gesundheitsgründen (und vermutlich auch wegen Streitereien innerhalb der Akademie) den Staatsdienst und zog sich auf seine Güter in Livland zurück. Er betätigte sich hier als Landwirt und Agrartheoretiker, bekleidete aber auch zahlreiche Ehrenämter und setzte sich nachdrücklich für landwirtschaftliche Reformen ein. Bis Ende der siebziger Jahre nahm er noch an weiteren Forschungsreisen teil z. B. auf die Insel Nowaja Semlja, in die westsibirische Barabasteppe und nach Russisch-Turkestan in das Ferganabecken. Er entfaltete in dieser Zeit eine umfangreiche Publikationstätigkeit, erhielt viele Auszeichnungen und konnte die Ehrenmitgliedschaft zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften im In- und Ausland entgegennehmen. In seinen letzten Lebensjahren, bevor er im Jahr 1894 auf seinem Gut in Livland starb, war Middendorff oft durch Krankheit an das Bett gefesselt.
Die ersten Vorschläge für die Ausrichtung einer Expedition zur Taimyrhalbinsel stammen aus dem Jahr 1737. In der Folge wurde eine Kommission von Akademikern zur Prüfung und Vorbereitung gebildet, der auch Karl Ernst von Baer angehörte. Diese empfahl trotz zu erwartender Schwierigkeiten die Durchführung der Expedition, mit der A. Th. von Middendorff betraut werden sollte. Um Versorgungsprobleme gering zu halten, sollte ihm aber nur ein Diener zugeordnet werden. Nach Bestätigung des Plans durch die Akademie und den Hof verfasste die Kommission drei Instruktionen für Middendorff. Die erste umfasste die allgemeinen Zielstellungen und benannte die Forschungsgebiete. Es sollten umfangreiche geographische, physikalische, ethnographische und naturhistorische Untersuchungen ab Turuchansk am Jenissei nach Norden zu bis zum Fluss Chatanga einschließlich der Sammlung von Naturalien ausgeführt werden. Eingeschlossen waren auch meteorologische Beobachtungen, magnetische Messung, kartographische Aufgaben und thermometrische Messungen bezüglich des Bodeneises (Permafrostboden) im sogenannten Schergin-Schacht in Jakutsk und an anderen Orten. Die zweite Instruktion betraf die botanischen Untersuchungen einschließlich der Verbreitungsgebiete von Sträuchern und Bäumen, und die dritte Instruktion umfasste die zoologischen Beobachtungen. Middendorff konnte durchsetzen, dass ihm noch der dänische Forstexperte Thor Branth, der auch Zeichnungen anfertigen sollte, der Geodät Wassili Waganow und als Diener Michael Fuhrmann, dem auch das Anfertigen zoologischer Präparate oblag, zugeordnet wurde.
Die Abreise aus Sankt Petersburg erfolgte im November 1842 und führte über verschiedene Zwischenstationen nach Krasnojarsk, von wo aus er größtenteils auf dem gefrorenen Fluss Jenissei über Jenisseisk bis nach Turuchansk (Ankunft: Februar 1843) reiste. Von dort aus ging es, oft mit Rentiergespannen, nach Norden weiter zur Taimyrhalbinsel. Bis zu seiner Rückkehr nach Turuchansk im November 1843 führte er zahlreiche Untersuchungen am Pjassinosee, den Flüssen Pjassina, Boganida, Chatanga und Taimyr sowie am Taimyrsee und an der Küste des Eismeers durch. Unter anderem fand er dort auch die Reste eines Bootes von Chariton Laptew, das dieser etwa 100 Jahre zuvor im Rahmen der 2. Kamtschatkaexpedition aufgeben musste. Oft dem Tod nahe, kämpfte er während dieser Zeit gegen die Widrigkeiten des Klimas, Krankheiten und extremen Proviantmangel. Überleben konnte er nur auf Grund der Hilfe einheimischer Nomaden, von Tungusen (Ewenken), Jakuten, Dolganen und Samojeden.
Von Turuchansk ging die Reise im Dezember 1843 weiter über Krasnojarsk und Irkutsk nach Jakutsk, wo er im Februar 1844 eintraf. Die Hauptaufgabe hier waren thermometrische Messungen am Schergin-Schacht, einem Brunnen, den der Kaufmann Fjodor Schergin auf eigene Kosten hatte graben lassen, um eine bessere Wasserversorgung für Jakutsk zu schaffen. Der Brunnen hatte eine Tiefe von 117 m erreicht, es wurde jedoch kein Wasser gefunden. Die Wissenschaftler der Akademie sahen hier eine geeignete Möglichkeit, die Tiefe des Bodeneises (d. h. des Permafrostbodens) und die Temperaturveränderungen mit der Tiefe zu studieren. Mit großer Akribie widmete sich Middendorff dieser Tätigkeit und sorgte dafür, dass die Messungen nach seiner Abreise (Mitte April 1844) von geeigneten Personen über einen längeren Zeitraum weitergeführt wurden. Ebenso organisierte er Temperaturmessungen in Schächten der weiteren Umgebung von Jakutsk sowie in eigens dafür angefertigten Bohrlöchern.
Vor der Expedition war Middendorff freigestellt worden, von Jakutsk aus nach Ochotsk oder Udskoi Ostrog zur Untersuchung der südlichen Küsten des Ochotskischen Meeres weiterzureisen. Er hatte sich bereits in Turuchansk zu einer Reise nach Udskoi Ostrog entschieden, wofür er im Februar 1844 noch eine weitere Instruktion der Akademie erhielt. Er trat diese Reise im April an und erreichte in südöstlicher Richtung über Amginsk am Fluss Amga nach Überquerung der Flüsse Aldan und Utschur sowie des Stanowoigebirges im Juni 1844 den Ort Udskoi Ostrog am Fluss Ud. Ende des Monats reiste Middendorff mit einem selbstgebauten Lederboot bis Mündung des Flusses Ud ins Ochotskische Meer. Die Zeit bis Mitte September 1844 war der Erforschung der Küste in südlicher Richtung gewidmet, bei der er sich bis auf etwa drei Tagereisen der Mündung des Flusses Amur näherte. Besonders intensiv untersuchte er die Gegenden am Tugurmeerbusen und dem von ihm so benannten Busen der Akademie. Aufgrund schlechter Wetterverhältnisse blieb im August nur etwa eine Woche Zeit, um die Große Schantar-Insel zu erkunden. Middendorff konnte in diesem Reiseabschnitt zahlreiche Nachrichten über die dort lebenden Völker einholen, insbesondere über die Jakuten, die dort siedelnden Tungusen (Ewenen) und über das an der Küste nomadisierende Volk der Giljaken, über das man bis zu dieser Zeit nur wenige Kenntnisse besaß. Als Herbststürme und schlechtes Wetter sein weiteres Vordringen nach Süden stark erschwerten, trat Middendorff Ende September 1844 die Rückreise an. Er wählte dabei aus eigenem Entschluss einen Weg den Fluss Tugur aufwärts und an den südlichen Ausläufern des Stanowoigebirges nach Westen, wobei er zahlreiche von Norden in den Amur einfallende Flüsse überquerte. Die Reise gestaltete sich dadurch schwierig, dass das ihm zur Verfügung stehende Kartenmaterial nur sehr ungenügend die tatsächlichen geographischen Verhältnisse wiedergab. Unklarheiten bestanden in diesem östlichen Teil der Amurregion auch über den Verlauf der Grenze zu China und ob die dort lebenden Völkergruppen China oder Russland tributpflichtig waren. Middendorff erreichte schließlich den Amur selbst, an dem entlang er nach Osten bis zu dessen Quellflüssen Argun und Schilka über Tschitinsk und das Jablonnoigebirge nach Irkutsk reiste. Auf den seinerzeit üblichen Wegen kehrte er schließlich wieder nach Sankt Petersburg zurück, wo er im März 1845 eintraf. Dort wurde ihm ein begeisterter Empfang zuteil, und er wurde mit Ehrungen überhäuft. Nicht zuletzt aufgrund der erfolgreichen Reise Middendorffs kam es im September 1845 zur Gründung der Russischen Geographischen Gesellschaft, die es sich zum Ziel setzte, die Kenntnisse zur Geographie und Ethnographie Russlands und Sibiriens zu vertiefen und die Ausrichtung von Expeditionen in bisher nur ungenügend bekannte Regionen zu organisieren, auch um damit die wirtschaftliche Entwicklung jener Regionen zu fördern.
Insbesondere die Tatsache, dass nur unzureichende Kenntnisse über die Transbaikalgegend und die östliche Amurregion bestanden, gab Anregungen dazu, diese Gebiete in den kommenden Jahren und Jahrzehnten genauer zu untersuchen. Bereits früh gab es zahlreiche Pläne, den Fluss Amur als wichtigen Handelsweg zwischen Russland und dem Pazifik zu nutzen, der auch eine wichtige militärstrategische Rolle spielen konnte. Dem stand entgegen, dass sich bereits seit dem 17. Jahrhundert große Spannungen einschließlich militärischer Auseinandersetzungen zwischen China und Russland entwickelt hatten, da beide Mächte Ansprüche auf die genannten Regionen erhoben. Diese Spannungen wurden zwar gemildert, nachdem 1689 zwischen den beiden Mächten die Grenzverträge von Nertschinsk und im Jahr 1727 die von Burinsk und Kjachta abgeschlossen waren, blieben aber latent bestehen. Dies lag auch daran, dass zwar der Grenzverlauf zu China in diesen Verträgen festgelegt wurde, die entsprechenden geographischen Kenntnisse über die östlichen Gebiete jedoch sehr fehlerhaft war. Man tat vieles, um die Gebietsansprüche durch historische Fakten zu untermauern. So beauftragte zum Beispiel die Zarin 1740 den bei der 2. Kamtschatkaexpedition weilenden Gerhard Friedrich Müller, die historischen Kenntnisse über die Besiedlung der Amurregion in einem Bericht zusammenzufassen. Dieser Bericht wurde in dessen »Sammlung Russischer Geschichte« im Jahr 1758 unter dem Titel »Geschichte der Gegenden an dem Flusse Amur …« veröffentlicht. Eine weitere Arbeit Müllers »Historie des Selenginskischen und Nertschinskischen Gebiethes in der Irkuzkischen Provintz von Sibirien« von 1736 greift auf frühe Dokumente der Archive in Nertschinsk und Selenginsk zurück, wurde aber bis heute nicht publiziert. Um das Jahr 1740 wurden im Rahmen der 2. Kamtschatkaexpedition die Geodäten Petr Skobelzyn und Wassili Schetilow in das Transbaikalgebiet entsandt, um einen möglichen kürzeren Weg zum Pazifik zu finden. Auch wenn ihre Ergebnisse für die genannte Zielstellung nicht sehr erfolgversprechend schienen, lieferten sie mit ihren Berichten ein wertvolles Datenmaterial, das bis heute in russischen Archiven schlummert.
Middendorff war ein Wissenschaftler, der bei der Vorbereitung und während seiner Expedition oft auf Ergebnisse früherer Forscher zurückgriff, die er in den Archiven fand. Trotzdem ist festzustellen, dass, wie die oben angegebenen Fälle zeigen, viele Erkenntnisse auch wieder in Vergessenheit geraten können.
Gleich nach Beendigung seiner Expedition begann Middendorff mit der Auswertung der umfangreichen Forschungsergebnisse. Dazu war auch die Begutachtung der zahllosen für die Sammlungen der Akademie der Wissenschaften bestimmten Naturalien (Pflanzen, Tiere, Minerale, Fossilien) und der ethnographischen Objekte erforderlich. Da viele davon noch während seiner Reise in Sankt Petersburg eingetroffen waren und zahlreiche Teilergebnisse seiner Forschungen auch schon in den Publikationsorganen der Akademie der Wissenschaften veröffentlicht worden waren, fiel es Middendorff nicht schwer, sich der Mitarbeit der namhaftesten Akademiemitglieder und Spezialisten für die einzelnen Fachgebiete zu versichern.
Geplant wurde ein umfassendes Werk mit den Ergebnissen der Expedition, in dem auch die Zeichnungen der Naturalien, die von Thor Brandt angefertigten Porträts der Vertreter der indigenen Völker sowie die Landkarten von Wassili Waganow ihren Platz finden sollten. Nachdem durch die Akademie mit Unterstützung des Hofes eine vorläufige Finanzierung sichergestellt war, konnte mit dieser Arbeit begonnen werden. Unter dem Titel »Reise in den äussersten Norden und Osten Sibiriens während der Jahre 1843 und 1844« erschien zwischen 1848 und 1875 ein monumentales Werk in vier Bänden von jeweils mehreren Teilen, die jedoch entsprechend der Fertigstellung in unregelmäßiger Reihenfolge publiziert wurden. Der erste Band enthielt u. a. die magnetischen und geognostischen Beobachtungen, die Beschreibung fossiler Mollusken und Fische sowie die Beiträge zur Botanik. Die Teile über die meteorologischen und geothermischen Beobachtungen wurden von Middendorff selbst verfasst. In der Einleitung schildert er die Entstehungsgeschichte und den Beginn der Expedition, wobei auch die ihm erteilten Instruktionen wiedergegeben werden. Der zweite Band umfasst in zwei Teilen die wirbellosen Tiere und die Wirbeltiere, dabei wurden die Abschnitte über die Mollusken, die Säugetiere, die Vögel und die Amphibien von Middendorff selbst verfasst. Der dritte Band wurde von dem Indologen Otto Böthlingk (1815–1904) erstellt und enthält eine Grammatik der jakutischen Sprache und ein Wörterbuch des Jakutischen. Hier gingen die zahlreichen von Middendorff gesammelten jakutischen Wörter ein. Der vierte Band ist der umfangreichste des Werks und stammt nahezu ausschließlich aus der Feder von Middendorff. Der erste Teil enthält Beiträge zur Geographie, Hydrographie, Orographie, Geognosie, zum Klima und zu den Gewächsen (vorwiegend über die verschiedenen Baumarten). Hervorgehoben werden sollen hier die Beschreibung von Mammutfunden, seine Anmerkungen über die Grenzen der Verbreitungsgebiete von Pflanzen (Bäumen und Sträuchern), über die verschiedenen Formen der Eisbildung und den Permafrostboden sowie über Möglichkeiten für Ackerbau und Viehzucht in verschiedenen Gebieten Sibiriens. Im zweiten Teil beschreibt Middendorff die Tierwelt der bereisten Gebiete und erörtert den oft noch unsicheren Artbegriff (einschließlich möglicher Veränderungen), die Verbreitungsgebiete der Tiere und ihre Wanderungen, die ökonomische Nutzung durch den Menschen als Haus- und Anspanntiere sowie die Jagdgewohnheiten und den Fischfang. Dies leitet über in die Beschreibungen der verschiedenen Völker, denen er auf seiner Reise begegnete (Ostjaken, Samojeden, Tungusen, Jakuten usw.) und die bis heute eine wichtige Quelle für die klassische Ethnographie darstellen. Von der Form her entsprechen die Darlegungen in diesem Band in weiten Teilen einem Reisejournal von hohem literarischen Niveau. Beigefügt ist dem Werk ein Atlas mit 18 Karten der bereisten Gebiete.
Baer, Karl Ernst von: Kurzer Bericht über wissenschaftliche Arbeiten und Reisen welche zur nähern Kenntniss des Russischen Reiches … in der letzten Zeit ausgeführt, fortgesetzt oder eingeleitet sind. S. 341–689 in: Beiträge zur Kenntniss des Russischen Reiches und der angrenzenden Länder Asiens. Hrsg. von Karl Ernst von Baer und Gregor von Helmersen, 1. Folge, Band 9, 2. Abteilung; Sankt Petersburg: Kayserliche Akademie der Wissenschaften, 1855
Henze, Dietmar: Middendorff, Alexander Theodor von. S. 461–483 in: Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde. Bd. 3; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2011
Middendorff, Alexander Theodor von (Hrsg.): Reise in den äussersten Norden und Osten Sibiriens während der Jahre 1843 und 1844. 4 Bände; Sankt Petersburg: Buchdruckerei der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, 1848–1875
Rohn, Marcus: Die Expedition Alexander Th. Middendorffs (1842–1845) und die Folgen. Magisterarbeit; Westfälische Wilhelms-Universität Münster, 2004
Wieland Hintzsche
»Wo es so gut wiekeinen Winter gibt,fehlt die Freude amSommer, und wo esewigen Frühling gibt,gibt es der Wirkungnach keinen.«
Am 14. November 1842 brach ich, von Branth und Fuhrmann begleitet, aus unserer Hauptstadt auf. Noch war dort damals von keiner Eisenbahn die Rede, sodass wir erst am 17. in Moskau eintrafen. Von dieser Stadt aus eilten wir unserem fernen Ziel auf dem geraden Weg der großen sibirischen Heer- und Poststraße durch Tag und Nacht entgegen.
Ich vermied es, mir in den Hauptruhepunkten dieses Weges einen längeren Aufenthalt zu gönnen, als gerade für die Besorgung der Geschäfte unumgänglich war. Denn ich sah voraus, dass wir eher zu spät als zu früh in Turuchansk, unserem eigentlichen Ausgangspunkt der Forschung, eintreffen würden. Zwischen Perm und dem Ural mussten wir leider erfahren, dass es für eine Gesellschaft wie die unsere, die zerbrechliches Gerät mit sich führt, unzweifelhaft sicherer sei, im Sommer zu reisen als auf der so oft gepriesenen Schneebahn.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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