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Thomas Manns ›Reisebericht‹ über seinen Aufenthalt in Deutschland – der erste, seit er das Land 1933 verlassen hatte – wurde, wenige Tage nach seiner Rückkehr in die USA, am 25. September 1949 im New York Times Magazine veröffentlicht. Mann hatte bereits während der Schiffüberfahrt mit der Arbeit daran begonnen und sich den ganzen August über damit beschäftigt. Der Text überschneidet sich teilweise mit der ›Antwort an Paul Olberg‹, die zeitgleich entstand und bereits am 9. September in der Zeitung Volksrecht (Zürich) erschien, während der deutsche Erstdruck des ›Reiseberichts‹ erst im Dezember in der Neuen Schweizer Rundschau erfolgte. Mann reagierte damit auch auf die in Deutschland vielfach geäußerte Kritik an seiner Entscheidung, die sowjetisch besetzte Zone zu besuchen (die wesentlichen Stationen seiner Reise waren Frankfurt am Main, Weimar, Stuttgart, Nürnberg und München gewesen) und wundert sich, dass »[s]eine Existenz und das Verhalten zu ihr in Deutschland eine gewisse symbolische Bedeutung angenommen« habe. Die Aussage, für ihn gebe es keine Zonen, hatte er bereits an früherer Stelle getan.
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Seitenzahl: 25
Thomas Mann
[Reisebericht]
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Gern erzähle ich Ihnen etwas von meiner Fahrt nach Deutschland, diesem Lande, das uns so viele Jahre lang ein Alpdruck war, von dessen Flagge wir, wenn wir ihr im Ausland begegneten, mit Grauen den Blick wandten, und wohin verschleppt zu werden, den sicheren Tod, einen höchst elenden, bedeutet hätte. Dergleichen vergißt sich nicht von heute auf morgen, es ist nicht so leicht aus dem Blut zu bringen, und es mag die Scheu erklären, aus der ich vier Jahre vergehen ließ, bevor ich mich zu dem Wiedersehen mit dem besiegten, befreiten Lande entschloß. Das Goethe-Jahr bot zwingenden Anlaß dazu. Unmöglich konnte ich in England, in Schweden und in der Schweiz mein Scherflein beitragen zur festlichen Ehrung dieses weltgewinnenden Glücksfalls deutscher Größe und auch dabei Deutschland meiden. Es wäre ein unheilbarer Affront, eine Kundgebung der Unversöhnlichkeit und überdauernder Feindschaft gewesen, die weder im Einklang mit meinem Herzen noch mit meiner Vernunft gestanden hätte. Auch zieht unsereinen das Abenteuer ja an, und zum Abenteuer des Gemütes hatte das wilde Geschehen von anderthalb Jahrzehnten diesen Besuch geprägt. Ich machte ihn zum krönenden Ende meines an bunten Erlebnissen und mitteneinfallenden schmerzlichsten Erschütterungen ohnehin reichen europäischen Aufenthalts.
Allen Einladungen zu folgen, eine Rundreise durch das ehemalige Reich zu vollführen, die bis hinauf zu meiner Vaterstadt an der Ostsee hätte reichen müssen, war eine physische Unmöglichkeit. Ich hatte mich, von einigen kurzen Zwischenstationen abgesehen, auf die beiden Goethe-Städte, Frankfurt und Weimar, und auf die Stadt zu beschränken, in der ich {705}