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Karl Philipp Moritz' Werk 'Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782' ist ein faszinierendes literarisches Werk, das die Reiseerlebnisse des Autors in England detailliert beschreibt. Moritz' präzise Beobachtungen über die englische Gesellschaft, Kultur und Lebensweise machen das Buch zu einem wertvollen Zeitdokument des späten 18. Jahrhunderts. Sein einfacher und zugänglicher Schreibstil ermöglicht es dem Leser, sich mitten in die Reiseabenteuer des Autors zu versetzen und die Eindrücke hautnah zu erleben. Moritz' Werk ist von historischem und literarischem Interesse, da es nicht nur eine Reisebeschreibung, sondern auch eine Reflexion über kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und England bietet. Die detaillierten Beschreibungen und die reflektierte Betrachtung machen das Buch zu einem spannenden Leseerlebnis für alle Geschichts- und Kulturliebhaber.
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Seitenzahl: 218
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Da ein jeder seinen eignen Maßstab hat, wornach er die Dinge außer sich abmißt, und seinen eignen Gesichtspunkt, woraus er die Gegenstände betrachtet, so folgt sehr natürlich, daß dies bei mir denn auch der Fall ist. Daß also manchem die Dinge anders vorgekommen sein müssen, wie sie mir vorgekommen sind, folgt eben so natürlich. Wem es daher einfallen sollte, sich, in Ermanglung beßrer Unterhaltung, etwa mit diesem Buche eine Stunde zu verkürzen, den bitte ich um Beherzigung dieser kurzen Vorrede, und um Nachsicht für den Erzähler.
Auf der Themse den 31sten Mai.
Endlich, liebster G…, befinde ich mich zwischen den glücklichen Ufern des Landes, das zu sehen, schon Jahre lang mein sehnlichster Wunsch war, und wohin ich mich so oft in Gedanken geträumt habe. Vor einigen Stunden dämmerten noch die grünen Hügel von England vor uns in blauer Ferne, jetzt entfalten sie sich von beiden Seiten, wie ein doppeltes Amphytheater.
Die Sonne bricht durch das Gewölk, und vergoldet wechselsweise mit ihrem Schein Gebüsche und Wiesen am entfernten Ufer. Zwei Masten ragen mit ihren Spitzen aus der Tiefe empor: fürchterliche Warnungszeichen! Wir segeln hart an der Sandbank vorbei, wo so viel Unglückliche ihr Grab fanden.
Immer enger ziehen sich die Ufer zusammen: die Gefahr der Reise ist vorbei, und der sorgenfreie Genuß hebt an. Wie ist doch dem Menschen nach der Ausbreitung die Einschränkung so lieb! Wie wohl und sicher ists dem Wandrer in der kleinen Herberge, dem Seefahrer in dem gewünschten Hafen! Und doch bleibt der Mensch immer im Engen, er mag noch so sehr im Weiten sein; selbst das ungeheure Meer zieht sich um ihn zusammen, als ob es ihn in seinen Busen einschließen wollte; um ihn ist beständig nur ein Stück aus dem Ganzen herausgeschnitten.
Aber das ist ein herrlicher Ausschnitt aus dem Ganzen der schönen Natur, den ich jetzt um mich her erblicke. Die Themse voll hin und her zerstreuter großer und kleiner Schiffe und Böte, die entweder mit uns fortsegeln oder vor Anker liegen; die Hügel an beiden Seiten mit einem so milden sanften Grün bekleidet, wie ich noch nirgends sahe. Die reizenden Ufer der Elbe, die ich verließ, werden von diesen Ufern übertroffen, wie der Herbst vom Frühlinge! Allenthalben seh ich nichts, als fruchtbares und bebautes Land, und die lebendigen Hecken, womit die grünen Weizenfelder eingezäunt sind, geben der ganzen weiten Flur das Ansehen eines großen majestätischen Gartens. Die netten Dörfer und Städtchen und prächtigen Landsitze dazwischen, gewähren einen Anblick von Wohlstand und Überfluß, der über alle Beschreibung ist.
Insbesondre schön ist die Aussicht nach Gravesand, einem artigen Städtchen; das einen der Hügel hinangebaut ist, und um welches Berg und Tal, Wiesen und Äcker mit untermischten Lustwäldchen und Landsitzen sich auf die angenehmste Art durchkreuzen. Auf einem der höchsten Hügel bei Gravesand steht eine Windmühle, die einen guten Gesichtspunkt gibt, weil man sie, nebst einem Teile der Gegend, noch weit hin auf den Krümmungen der Themse sieht. Aber wie denn kein Vergnügen leicht vollkommen ist, so sind wir bei Betrachtung aller dieser Schönheiten auf dem Verdeck noch einem sehr kalten und stürmischen Wetter ausgesetzt. Ein anhaltender Regenguß hat mich genötiget, in die Kajüte zu gehen, wo ich mir einetrübeStunde dadurch aufheitre, daß ich Ihnen die Geschichte einerangenehmenbeschreibe.
London, den 2ten Juni.
Heute Morgen ließen wir uns, unser zehn, die in des Kapitans Kajüte mitgereist waren, nicht weit hinter Dartford, das noch sechzehn Meilen von London liegt, in einem Boote ans Land setzen. Dies tut man gemeiniglich, wenn man die Themse hinauf nach London fährt, weil wegen der erstaunlichen Menge von Schiffen, die immer gedrängter aneinander stehen, je näher man der Stadt kömmt, oft verschiedne Tage erfordert werden, ehe ein Schiff sich durcharbeiten kann. Wer also keine Zeit unnütz verlieren, und andre Unannehmlichkeiten, als das öftere Stillstehen und Anstoßen des Schiffes vermeiden will, der macht die wenigen Meilen bis London lieber zu Lande, etwa in einer Postchaise, die nicht sehr teuer zu stehen kömmt, wenn überdem jedesmal ihrer drei zusammentreten, welches durch eine Parlamentsakte verstattet ist. Ein allgemeinesHurrahschallte uns von den deutschen Matrosen unsers Schiffes nach, die dieses von den Engländern angenommen haben. Das Ufer, wo wir ausstiegen, war weiß und kreidigt. Bis Dartford mußten wir zu Fuße gehen. Erstlich stiegen wir gerade vom Ufer einen ziemlich steilen Hügel hinan, dann kamen wir sogleich an das erste Englische Dorf, wo mich die außerordentliche Nettigkeit in der Bauart der Häuser, die aus roten Backsteinen errichtet sind und flache Dächer haben, insbesondre da ich sie mit unsern Bauerhütten verglich, in ein angenehmes Erstaunen setzte.
Und nun zogen wir wie eine Karavane mit unsern Stäben von einem Dorfe zum andern: einige Leute, die uns begegneten, schienen uns wegen unsers sonderbaren Aufzuges mit einiger Verwunderung anzusehen. Wir kamen vor einem Gehölz vorbei, wo sich ein Trupp Zigeuner bei einem Feuer um einen Baum gelagert hatte. Allein so wie wir fortwanderten, ward die Gegend immer schöner und schöner. Die Erde ist nicht überall einerlei! Wie verschieden fand ich diese fetten und fruchtbaren Äcker, dieses Grün der Bäume und Hecken, diese ganze paradiesische Gegend, von den unsrigen, und allen andern die ich gesehen habe! Wie herrlich diese Wege, wie fest dies Erdreich unter mir; mit jedem Schritte fühlte ich es, daß ich auf Englischen Boden trat.
In Dartford frühstückten wir. Hier sah ich zuerst einen Englischen Soldaten, in seiner roten Montur mit abgeschnittnem und vorn heruntergekämmtem Haar, auch auf der Straße ein Paar Jungen die sich baxten. Wir verteilten uns nun in zwei einsitzige Postchaisen, wo in jeder drei Personen, freilich nicht allzubequem sitzen konnten. Eine solche Postchaise kostet jede Englische Meile einen Schilling. Sie ist mit unsern Extraposten zu vergleichen, weil man sie zu jeder Zeit bekommen kann. Aber ein solcher Wagen ist sehr nett und leicht gebaut, so daß man es kaum empfindet, wie er auf dem festen Erdreich fortrollt. Er hat vorn und an beiden Seiten Fenster. Die Pferde sind gut, und der Kutscher jagt immer in vollem Trabe fort. Der unsrige trug abgeschnittnes Haar, einen runden Hut, und ein braunes Kleid von ziemlich feinem Tuch, vor der Brust einen Blumenstrauß. Zuweilen, wenn er es recht rasch angehen ließ, schien er sich lächelnd nach unserm Beifall umzusehen.
Und nun flogen die herrlichsten Landschaften, worauf mein Auge so gern verweilt hätte, mit Pfeilschnelle vor uns vorbei; gemeiniglich ging es abwechselnd Berg auf, Berg ab, Wald ein, Wald aus, in wenigen Minuten. Dann kam einmal zur rechten Seite die Themse wieder zum Vorschein mit allen ihren Masten; denn ging es wieder durch reizende Städte und Dörfer. Besonders fielen mir die erstaunlich großen Schilder auf, welche beim Eingange in die Flecken und Dörfer, quer über die Straße an einem Balken hängen, der von einem Hause zum andern übergelegt ist. Dies gibt einige Ähnlichkeit mit einem Tore, wofür ich es auch anfänglich hielt, allein so ist es weiter nichts, als ein Zeichen, daß hier sogleich beim Eintritt in den Ort ein Gasthof sei. So kamen wir bei dieser schnellen Abwechselung höchst mannigfaltiger Gegenstände beinahe in einer Art von Betäubung bis nahe vor Greenwich, und nun
Die Aussicht von London.
Es zeigte sich im dicken Nebel. Die Paulskirche hob sich aus der ungeheuren Masse kleinerer Gebäude, wie ein Berg empor. Das Monument, eine turmhohe runde Säule, die zum Gedächtnis der großen Feuersbrunst errichtet ward, machte wegen ihrer Höhe und anscheinenden Dünnigkeit einen ganz ungewohnten und sonderbaren Anblick.
Wir näherten uns mit großer Schnelligkeit, und die Gegenstände verdeutlichten sich alle Augenblicke. Die Westminsterabtei, der Tower, ein Turm, eine Kirche nach der andern, ragten hervor; Schon konnte man die hohen runden Schornsteine auf den Häusern unterscheiden, die eine unzählige Menge kleiner Türmchen auszumachen schienen.
Von Greenwich bis London war die Landstraße schon weit lebhafter, als die volkreichste Straße in Berlin, so viel reitende und fahrende Personen, und Fußgänger begegneten uns. Auch erblickte man schon allenthalben Häuser, und an den Seiten waren in verhältnismäßiger Entfernung Laternenpfähle angebracht. Was mir sehr auffiel, waren die vielen Leute, die ich mit Brillen reiten sahe, unter denen sich einige von sehr jugendlichem Ansehen befanden. Wohl dreimal wurden wir bei sogenannten Turnpikes oder Schlagbäumen angehalten, um einen Zoll abzutragen, der sich doch am Ende auf einige Schillinge belief, ob wir ihn gleich nur in Kupfermünze bezahlten.
Endlich kamen wir an die prächtige Westminster-Brücke. Es ist, als ob man über diese Brücke eine kleine Reise tut, so mancherlei Gegenstände erblickt man von derselben. Im Kontrast gegen die runde, moderne, majestätische Paulskirche zur Rechten, erhebt sich zur Linken, die altfränkische, länglichte Westminsterabtei mit ihrem ungeheuren spitzen Dache. Zur rechten Seite die Themse hinunter, sieht man die Blackfriarsbrücke, die dieser an Schönheit nicht viel nachgibt. Am linken Ufer der Themse schön mit Bäumen besetzte Terrassen, und die neuen Gebäude, welche den Namen Adelphi-Buildings führen. Auf der Themse selbst eine große Anzahl kleiner hin und her fahrender Böte mit einem Mast und Segel, in welchen sich Personen von allerlei Stande übersetzen lassen, wodurch dieser Fluß beinahe so lebhaft wird, wie eine Londner Straße. Große Schiffe sieht man hier nicht mehr, denn die gehn am andern Ende der Stadt nicht weiter als bis an die Londner Brücke.
Wir fuhren nun in die Stadt über Charingkroß und den Strand, nach eben den Adelphi-Buildings, die von der Westminsterbrücke einen so vortrefflichen Prospekt gaben: weil meine beiden Reisegefährten auf dem Schiffe und in der Postchaise, ein Paar junge Engländer, in dieser Gegend wohnten, und sich erboten hatten, mir noch heute in ihrer Nachbarschaft ein Logis zu verschaffen.
In den Straßen wodurch wir fuhren, behielt alles ein dunkles und schwärzliches, aber doch dabei großes und majestätisches Ansehen. Ich konnte London seinem äußern Anblick nach, in meinen Gedanken mit keiner Stadt vergleichen, die ich sonst gesehen hatte. Sonderbar ist es, daß mir ohngefähr vor fünf Jahren, beim ersten Eintritt in Leipzig, gerade so wie hier zu Mute war: vielleicht, daß die hohen Häuser, wodurch die Straßen zum Teil verdunkelt werden, die große Anzahl der Kaufmannsgewölber, und die Menge von Menschen, welche ich damals in Leipzig sahe, mit dem einige entfernte Ähnlichkeit haben mochten, was ich nun in London um mich her erblickte.
Allenthalben gehen vom Strande nach der Themse zu sehr schön gebaute Nebenstraßen, worunter die Adelphi Buildings bei weiten die schönsten sind. Unter diesen führt wieder eine Nebenabteilung, oder angrenzende Gegend den Namen York-Buildings, in welchen Georg Street befindlich ist, wo meine beiden Reisegefährten wohnten. Es herrscht in diesen kleinen Straßen nach der Themse zu, gegen das Gewühl von Menschen, Wagen und Pferden, welches den Strand beständig auf und nieder geht, auf einmal eine so angenehme Stille, daß man ganz aus dem Geräusch der Stadt entfernt zu sein glaubt, welches man doch wieder so nahe hat.
Es mochte ohngefähr zehn oder elf Uhr sein, da wir hier ankamen. Nachdem mich die beiden Engländer noch in ihrem Logis mit einem Frühstück, das aus Tee und Butterbrot bestand, bewirtet hatten, gingen sie selbst mit mir in ihrer Nachbarschaft herum, um ein Logis für mich zu suchen, das sie mir endlich bei einer Schneiderwitwe, die ihrem Hause gegenüber wohnte, für sechzehn Schilling wöchentlich, verschafften. Es war auch sehr gut, daß sie mit mir gingen, denn in meinem Aufzuge, da ich weder weiße Wäsche noch Kleider aus meinem Koffer mitgenommen hatte, würde ich schwerlich irgendwo untergekommen sein.
Es war mir ein sonderbares aber sehr angenehmes Gefühl, daß ich mich nun zum erstenmal unter lauter Engländern befand, unter Leuten, die eine fremde Sprache, fremde Sitten, und ein fremdes Klima haben, und mit denen ich doch nun umgehen und reden konnte, als ob ich von Jugend auf mit ihnen erzogen wäre. Es ist gewiß ein unschätzbarer Vorteil, die Sprache des Landes zu wissen, worin man reist. Ich ließ es mir nicht sogleich im Hause merken, daß ich der Englischen Sprache mächtig sei; je mehr ich aber redete, destomehr fand ich Liebe und Zutrauen.
Ich bewohne nun ein großes Zimmer unten an der Erde vorn heraus, das mit Tapeten und Fußteppichen versehen, und sehr gut möbliert ist. Die Stühle sind mit Leder überzogen, und die Tische von Mahagoniholz: darneben habe ich noch eine große Kammer. Nun kann ich mich hier einrichten wie ich will, und mir meinen eignen Tee, Kaffee, Butter und Brot halten, wozu mir meine Wirtin einen verschloßnen gläsernen Schrank in der Stube eingeräumt hat.
Die Familie besteht aus der Frau im Hause, ihrer Magd und ihren beiden kleinen Söhnen Jacky und Jerry, sonderbare Namenverkürzungen von Johannes und Jeremias. Der älteste, Jacky, von zwölf Jahren, ist ein sehr lebhafter Kopf, und unterhält mich auf die angenehmste Art, indem er mir von seinen Beschäftigungen in der Schule erzählt, und sich von mir wieder allerlei von Deutschland erzählen läßt. Er weiß sein amo, amam, amas, ames, in eben solchem singenden Tone wie unsre gewöhnlichen Schulknaben herzusagen. Als ich in seiner Gegenwart anfing irgend eine fröhliche Melodie für mich zu trillern, sahe er mich sehr bedenklich und verwundernd an, und erinnerte mich, daß es Sonntag sei. Um ihm kein Ärgernis zu geben, antwortete ich ihm, daß ich bei der Verwirrung der Reise nicht auf den Tag gemerkt hätte. Er hat mich heute Mittag schon in den St. James-Park geführt, der nicht weit von hier ist; und nun hören Sie denn etwas von dem berühmten
St. James-Park.
Dieser Park ist weiter nichts als ein halber Cirkel von einer Allee von Bäumen, der einen großen grünen Rasenplatz einschließt, in dessen Mitte ein sumpfigter Teich befindlich ist.
Auf dem grünen Rasen weiden Kühe, deren Milch man hier, so frisch, wie sie gemolken wird, verkauft. In den Alleen sind Bänke zum Ausruhen. Wenn man durch die Horse-Guards oder Königliche Wache zu Pferde, welche mit verschiednen Durchgängen versehen ist, in den Park kömmt, so ist zur rechten Seite, St. James Palace, oder die Königliche Residenz, wie bekannt, eines der unansehnlichsten Gebäude in London. Ganz unten am Ende ist der Palast der Königin, zwar schön und modern, aber doch sehr einem Privatgebäude ähnlich. Übrigens gibt es allenthalben um St. James-Park sehr prächtige Gebäude, die diesen Platz um ein Großes verschönern. Auch ist vor dem halben Cirkel, der durch die Alleen gebildet wird, noch ein großer Platz, wo die Parade gestellt wird.
Wie wenig aber dieser so berühmte Park mit unserm Berliner Tiergarten zu vergleichen sei, darf ich nicht erst sagen. Und doch macht man sich eine so hohe Idee von dem St. James-Park und andern öffentlichen Plätzen in London: das macht, weil sie mehr als die unsern in Romanen und Büchern figuriert haben. Beinahe sind die Londner Plätze und Straßen weltbekannter, als die meisten unsrer Städte.
Was aber freilich den St. James-Park einigermaßen wieder erhebt, ist eine erstaunliche Menge von Menschen, die gegen Abend bei schönem Wetter darin spazieren geht. So voll von Menschen sind bei uns die besten Spaziergänge niemals, auch in den schönsten Sommertagen nicht, als hier beständig im dicksten Gedränge auf und niedergehen. Das Vergnügen, mich in ein solches Gedränge fast lauter wohlgekleideter und schöngebildeter Personen zu mischen, habe ich heute Abend zum erstenmal genossen.
Ehe ich in den Park ging, machte ich mit meinem Jacky noch einen andern Spaziergang, der mich nur sehr wenige Schritte kostete, und doch außerordentlich reizend war. Ich ging nehmlich die kleine Straße, wo ich wohne, nach der Themse zu hinunter, und stieg, beinahe am Ende derselben, zur linken Seite noch einige Stufen hinab, die mich auf eine angenehme mit Bäumen besetzte Terrasse am Ufer der Themse führten.
Von hieraus hatte ich den schönsten Anblick, den man sich nur denken kann. Vor mir lag die Themse in ihrer Krümmung mit den prächtigen Schwibbögen ihrer Brücken; Westminster mit seiner ehrwürdigen Abtei zur rechten, und London mit der Paulskirche zur linken Seite, bog sich mit den Ufern der Themse vorwärts, und am jenseitigen Ufer lag Southwark, das jetzt auch mit zu London gerechnet wird. Hier konnte ich also beinahe die ganze Stadt, von der Seite wo sie der Themse zugewandt ist, mit einem Blick übersehen. Nicht weit von hier in dieser reizenden Gegend der Stadt hatte auch der berühmte Garrick seine Wohnung. Diesen Spaziergang werde ich aus meiner Wohnung gewiß sehr oft besuchen.
Heute Mittag holten mich meine beiden Engländer in ein nahegelegnes Speisehaus ab, wo wir für ein wenig Sallat und Braten einen Schilling, und beinahe halb so viel an den Aufwärter, nach unserm Gelde an neun bis zehn Groschen, bezahlen mußten, und doch soll es hier noch sehr wohlfeil sein. Ich werde künftig zu Hause essen, wie ich schon heute Abend getan habe. Ich sitze nun hier in London in meiner Stube beim Kaminfeuer, und so wäre nun dieser Tag zu Ende, der erste den ich in England zugebracht habe, und ich weiß kaum, ob ich es einen Tag nennen soll, wenn ich bedenke, was für mannigfaltige neue und auffallende Gegenstände in einer so kurzen Zeit vor meiner Seele vorübergegangen sind.
London, den 5ten Juni.
Endlich, liebster G…, bin ich einmal wieder in Ruhe, da ich meinen Koffer und meine Sachen vom Schiffe habe, das erst gestern Morgen angekommen ist. Weil ich meinen Koffer nicht erst wollte nach dem Kustom-oder Zollhause bringen lassen, welches sehr viele Umstände macht, so mußte ich an die Gerichtsdiener und Visitatoren, welche auf das Schiff kamen, bezahlen. Als ich aber den einen mit zwei Schillingen befriedigst hatte, so protestierte der andre wieder gegen die Verabfolgung des Koffers, bis ich ihm eben so viel gegeben hatte, und so auch der dritte, daß es mir sechs Schillinge kostete, die ich auch gern gab, weil es mir auf dem Kustomhouse noch mehr würde gekostet haben.
Gleich am Ufer der Themse befanden sich verschiedne Träger, wovon einer den großen und schweren Koffer mit erstaunlicher Leichtigkeit auf die Schulter nahm, und ihn für zwei Schillinge so weit trug, bis wir eine Mietkutsche trafen, in welche wir ihn absetzten, und ich zugleich selbst mitfuhr, ohne weiter für den Koffer besonders zu bezahlen. Dies ist ein großer Vorteil bei den Englischen Mietkutschen, daß es einem nicht verwehrt ist, mit sich zu nehmen, was man will: man erspart dabei doppelt so viel, als man einem Träger bezahlen müßte, und fährt selber mit. Die Antworten und Ausdrücke der gemeinen Leute sind mir hier wegen ihrer Kürze und Präcision oft schon sehr aufgefallen. Als ich mit dem Kutscher zu Hause kam, warnte ihn meine Wirtin, mir nicht zu viel abzufordern, weil ich ein Fremder sei: und wenn er auch kein Fremder wäre, antwortete er, so würde ich ihm nicht zu viel abfordern!
Meine Empfehlungsschreiben an einen hiesigen Kaufmann, die ich wegen der eiligen Abreise von Hamburg nicht mitnehmen konnte, sind nun auch angekommen, und haben mir viele Besorgnisse wegen der Umwechselung meines Goldes erspart, ich kann dies nun wieder mit nach Deutschland nehmen, und dort an den Korrespondenten des hiesigen Kaufmanns die Summe wieder geben, die mir derselbe hier im Englischen Gelde auszahlt. Sonst hätte ich meine Preußischen Friedrichsd'or nach dem Gewicht verkaufen müssen. Für einige holländische Dukaten, die ich während der Zeit ausgeben mußte, bekam ich nicht mehr wie acht Schillinge.
Von dem Matrosenpressen hat hier ein Ausländer nicht das mindeste zu befürchten, vollends wenn er sich an keinen verdächtigen Orten finden läßt. Eine sonderbare Erfindung zu diesem Endzweck ist ein Schiff, das nicht weit vom Tower auf Towerhill auf dem Lande steht, und mit Masten und Zubehör versehen ist. Einfältigen Leuten, die etwa vom Lande kommen und hier stehen bleiben, um es anzugaffen, verspricht man, es für eine Kleinigkeit zu zeigen, und sobald sie darin sind, werden sie wie in einer Falle fest gehalten, und entweder nach Befinden der Umstände wieder losgelassen oder zu Matrosen weggenommen.
Gar bequem deucht einem Fremden der mit breiten Steinen gepflasterte Weg an beiden Seiten der Straßen, wo man vor der entsetzlichen Menge von Wagen und Kutschen auf den Straßen so sicher ist, wie in seiner Stube; denn kein Rad darf nur um einen Fingerbreit hinüber kommen. Indes erfordert es die Höflichkeit, eine Dame, oder jemand, den man ehren will, nicht etwa wie bei uns, immer zur Rechten, sondern an der Seite der Häuser (Wall-side), es sei nun übrigens die rechte oder die linke, gehen zu lassen, weil diese die bequemste und sicherste ist. Mitten auf der Straße wird man in London nicht leicht einen vernünftigen Menschen gehen sehen, ausgenommen, wenn man quer über muß, welches bei Charingkroß, und andern Plätzen, wo sich verschiedne Straßen durchkreuzen, wirklich gefährlich ist.
Sehr auffallend ist es, wenn man, besonders auf dem Strande, wo ein Kaufmannsgewölbe an das andere stößt, und oft Leute von sehr verschiednem Gewerbe in einem Hause wohnen, die Häuser oft von unten bis oben, mit großen, an aufgehängte Tafeln gemalten Buchstaben, beschrieben sieht. Alles was in dem Hause lebt und webt prangt auch mit einem Schilde vor der Türe, und da ist in der Tat kein Schuhflicker, dessen Namen und Gewerbe nicht mit großer goldner Schrift von jedermann zu lesen ist. Es ist hier gar nichts Ungewöhnliches, hinter einander an den Türen zu lesen: hier werden Kinder erzogen, hier Schuh geflickt, hier fremde Liqueurs verkauft, und hier Begräbnisse veranstaltet. Dealer in Foreign Spirituous Liquors, oderhier sind fremde Liqueure zu verkaufenist unter allen die häufigste Inschrift, die ich gefunden habe. Auch soll die Begierde zum Brannteweintrinken, besonders bei den gemeinen Engländern außerordentlich weit gehen, und es ist eine Englische Phrases, daß man von jemanden sagt, he is in liquor (er ist in Branntewein) wenn man bezeichnen will, daß er betrunken ist. Auch sind bei dem letzten großen Aufruhre, der noch jetzt immer der zweite oder dritte Gegenstand ist, worauf sich die gewöhnlichen Konversationen zu lenken pflegen, mehr Menschen bei den ausgeleerten Branntweinsfässern auf den Straßen, als durch die Musketenkugeln der eingerückten Regimenter, tot gefunden worden.
So weit ich diese Paar Tage über London durchstrichen bin, habe ich, im Ganzen genommen, nicht so schöne Häuser und Straßen, aber allenthalben mehr und schönere Menschen, als in Berlin, gesehen. Es macht mir ein wahres Vergnügen, so oft ich von Charingkroß, den Strand hinauf, und so weiter, vor der Paulskirche vorbei, nach der Königlichen Börse gehe, wenn mir vom höchsten bis zum niedrigsten Stande fast lauter wohlgestaltete, reinlich gekleidete Leute, im dicksten Gedränge begegnen, wo ich keinen Karrenschieber ohne weiße Wäsche sehe, und kaum einen Bettler erblicken der unter seinen zerlumpten Kleidern nicht wenigstens ein reines Hemde trüge.
Ein sonderbarer Anblick ist es, unter diesem Gewühl von Menschen, wo jeder mit schnellen Schritten seinem Gewerbe oder Vergnügen nachgeht, und sich allenthalben durchdrängen und stoßen muß, einen Leichenzug zu sehen.
Die Englischen Särge sind sehr ökonomisch gerade nach dem Zuschnitt des Körpers eingerichtet; sie sind platt, oben breit, in der Mitte eingebogen, und unten nach den Füßen zu laufen sie spitz zusammen, ohngefähr wie ein Violinkasten.
Einige schmutzige Träger suchen sich mit dem Sarge, so gut sie können, durchzudrängen, und einige Trauerleute folgen. Übrigens bekümmert man sich so wenig darum, als ob ein Heuwagen vorbeiführe. Bei den Begräbnissen der Vornehmen mag dies vielleicht anders sein.
Übrigens kömmt mir ein solcher Leichenzug in einer großen volkreichen Stadt immer desto schrecklicher vor, je größer die Gleichgültigkeit der Zuschauer, und je geringer ihre Teilnehmung dabei ist. Der Mensch wird fortgetragen, als ob er gar nicht zu den übrigen gehört hätte. In einer kleinen Stadt oder Dorfe kennt ihn ein jeder, und sein Name wird wenigstens genannt.
Die Influenza, welche ich in Berlin verließ, habe ich hier wieder angetroffen, und es sterben viele Menschen daran. Noch immer ist es für die Jahrszeit ungewöhnlich kalt, so daß ich mir noch täglich muß Kaminfeuer machen lassen. Ich muß gestehen, daß mir die Wärme von den Steinkohlen im Kamine weit sanfter und milder vorkommt, als die von unsern Öfen. Auch tut der Anblick des Feuers selbst eine sehr angenehme Wirkung. Nur muß man sich hüten, gerade und anhaltend hineinzusehen; denn daher kommen wohl mit die vielen jungen Greise in England, welche mit Brillen auf der Nase auf öffentlichen Straßen gehen und reiten; und sich also schon in ihrer blühenden Jugend derWohltat für das Greisenalterbedienen, denn unter diesem Namen (the Blessings of old Age) werden die Brillen in den Läden verkauft.
Ich esse jetzt beständig zu Hause, und muß gestehen, daß meine Mahlzeiten ziemlich frugal eingerichtet sind. Mein gewöhnliches Gericht des Abends ist eingemachten Lachs (Pickle Salmon) den man mit Öl und Essig aus der Brühe isset, eine sehr erfrischende und wohlschmeckende Speise.
Wer in England Kaffee trinken will, dem rate ich allemal vorherzusagen, wie viel Tassen man ihm von einem Lot machen soll, sonst wird er eine ungeheure Menge braunes Wasser erhalten, welches ich mit aller Erinnerung noch nicht habe vermeiden können. Das schöne Weizenbrot, nebst Butter und Chesterkäse halten mich für die spärlichen Mittagsmahlzeiten schadlos. Denn diese bestehen gemeiniglich aus einem Stück halbgekochten oder gebratnen Fleische, und einigen aus dem bloßen Wasser gekochten grünen Kohlblättern, worauf eine Brühe von Mehl und Butter gegossen wird; das ist wirklich die gewöhnliche Art, in England die Gemüse zuzurichten.
Die Butterscheiben, welche zum Tee gegeben werden, sind so dünne wie Mohnblätter. Aber es gibt eine Art, Butterscheiben am Kaminfeuer zu rösten, welche unvergleichlich ist. Es wird nehmlich eine Scheibe nach der andern so lange mit einer Gabel ans Feuer gesteckt, bis die Butter eingezogen ist, alsdann wird immer die folgende drauf gelegt, so daß die Butter eine ganze Lage solcher Scheiben allmählich durchzieht: man nennt dies einenToast.
Vorzüglich gefällt mir die Art, ohne Deckbette zu schlafen. Man liegt zwischen zwei Bettlaken, wovon das obere die Unterlage einer leichten wollenen Decke ist, die ohne zu drücken, hinlänglich erwärmt. Das Schuhputzen geschiehet nicht im Hause, sondern durch eine benachbarte Person deren Gewerbe dies ist, und die alle Morgen die Schuh aus dem Hause abholet, und gereinigt wiederbringt, wofür sie wöchentlich ein Gewisses erhält. Wenn die Magd unzufrieden mit mir ist, so höre ich zuweilen, daß sie mich draußen the German, den Deutschen nennt, sonst heiße ich im Hause the Gentleman, oderder Herr.