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In den monotheistischen Hauptreligionen der Welt ist die sexuelle Lust am eigenen Geschlecht mindestens umstritten, meistens wird sie abgelehnt und unter Strafe gestellt. Bis auf ausdrücklich liberale Lesarten wird dabei Sexualität immer auf einen einzigen Aspekt beschränkt: die Fortpflanzung. In den verschiedenen Theologien, den Auslegungen der jeweiligen Heiligen Schriften, gibt es jedoch Deutungsmaterial, das die Liebe zwischen Menschen gleichen Geschlechts aufgreift und von ihr erzählt - aber in den volksfrommen Lebensweisen bleibt man konservativen, traditionellen Verständnissen verhaftet: Homosexuelles gilt wahlweise als Sünde, Krankheit, gar Perversion. Wer schwul oder lesbisch lebt, hat es schwer, gleichwertiger Teil eines dieser Glaubenssysteme zu sein. Allein liberale Gruppen von Judentum und Protestantismus integrieren nichtheterosexuelle Beziehungen aktiv in ihr Gemeindeleben. Wenigstens in den europäischen, nordamerikanischen oder ozeanisch-industriellen Ländern werden mehr und mehr theologische Leseweisen kultiviert, die die strikt heteronormative Interpretation unterlaufen, und sie damit historisierend revidieren. Der Band versammelt vier Lesarten religiöser Schriften und Überlieferungen, die den aktuellen Diskurs der Debatten um Homosexualität und Religion widerspiegeln.
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Seitenzahl: 119
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Band 3
Aktuelle Positionen
Eingeleitet von Jan Feddersen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diesePublikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Wallstein Verlag, Göttingen 2013
www.wallstein-verlag.de
Vom Verlag gesetzt aus der Stempel Garamond und der MyriadUmschlaggestaltung: Marion Wiebel, FriedlandDruck und Verarbeitung: Hubert & Co, Göttingen
ISBN (Print) 978-3-8353-1325-5
ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-2487-9
ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-2488-6
Geleitwort.der Reihenherausgeberin
Geleitwort.der Kooperationspartnerin
Andere Volksfrömmigkeiten.Einleitung
Klaus Mertes: »Von Angesicht zu Angesicht« Die katholische Kirche und Homosexualität
Walter Homolka: Jüdische Perspektiven zur Homosexualität
Bertold Höcker: Homosexualität im Protestantismus
Thomas Bauer: Islam und »Homosexualität«
Anmerkungen
Die Autorlnnen und Kooperationspartnerlnnen
Die Hirschfeld-Lectures im Wallstein Verlag
Geleitwort
der Reihenherausgeberin
Der dritte Band unserer Hirschfeld-Lectures beschäftigt sich mit dem Verhältnis der monotheistischen Weltreligionen – Christentum, Judentum, Islam – zur Homosexualität. In Kooperation mit dem Institut für evangelische Theologie der Universität zu Köln fand am 4. Juli 2013 zu diesem Thema eine bisher in Deutschland einmalige Vortragsveranstaltung in Köln statt. Sie wurde von unserem Kurator Jan Feddersen im Vorfeld beratend begleitet, und er moderierte auch den Abend.
Der Impuls für diesen Band ging ursprünglich von Volker Beck, Mitglied des Bundestags und ebenfalls Kurator der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, aus: Er monierte zu Recht, dass es bislang viel zu wenige, vor allem keine systematische wissenschaftliche Betrachtungen sowie Forschungen zur Religion in ihren Perspektiven zur Homosexualität gibt – insbesondere vor der dem Hintergrund der Radikalisierung von einzelnen Personen oder Gruppen innerhalb der Kirchen und Religionsgemeinschaften in aller Welt, die gezielt Homosexuellenfeindlichkeit schüren, alte Vorurteile zementieren und Errungenschaften der Emanzipationsbewegungen von LSBTI zunichte zu machen drohen. Um für die notwendige Diskussionen und Auseinandersetzung mit diesen Menschen »gewappnet zu sein«, bedarf es wissenschaftlicher Erkenntnisse – zum Beispiel aus der Theologie oder der Kulturwissenschaft, die sich auf die Argumente der genannten Strömungen beziehen.
Thomas Bauer, Bertold Höcker, Walter Homolka und Klaus Mertes schildern in ihren Aufsätzen beeindruckend, dass man die religiösen Schriften und Überlieferungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Zeitgeschichte auch anders lesen kann und dass die Homosexuellenfeindlichkeit vor allem durch andere Einflüsse (gesellschafts-)politisch geschürt und damit die jeweilige Religion missbraucht wird.
Eingeleitet werden diese vier spannenden Analysen von unserer Kooperationspartnerin Cornelia Richter und Jan Feddersen, denen ich für ihren wissenschaftlichen Rat, und Letzterem insbesondere auch für die redaktionelle Begleitung und Betreuung der Autoren danke.
Jörg Litwinschuh
Geschäftsführender Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
Geleitwort
der Kooperationspartnerin
Die Hirschfeld-Lecture am 4. Juli diesen Jahres an der Universität zu Köln hat ein mutiges Zeichen gesetzt: Nicht nur hat sie die Frage nach »Homosexualität und Religion« aufs Programm gesetzt, sondern diese Frage zudem im interreligiösen Gespräch zwischen Judentum, Christentum und Islam diskutiert, das Christentum zudem vertreten in beiden Konfessionen, evangelisch und katholisch. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass sich darüber ein friedliches, freundliches und von gegenseitiger Achtung getragenes Gespräch ergibt.
Magnus Hirschfeld selbst hatte vielleicht auch deshalb lieber Philosophie und Philologie studiert als Theologie, und es ist ihm, dem 1868 geborenen, auch nicht zu verdenken. Haben Kirche und Theologie gleichgeschlechtliche Lebensformen doch lange Zeit hindurch als ein »Leben in Sünde« bezeichnet und sich jeder Anerkennung verweigert – in ihren orthodoxen Traditionen ohnehin, aber auch der für die vorletzte Jahrhundertwende dominante »Kulturprotestantismus« hätte schwerlich Identifikationsfiguren bieten können.
Erst in den jüngsten Veröffentlichungen bemüht sich die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) um eine explizite Öffnung. Im Jahr 1996 hatte sie sich in der Orientierungshilfe »Mit Spannungen leben« noch auf die kulturgeschichtliche Bedeutung der Ehe berufen und sich zu der theologischen Begründung verstiegen, »dass es keine biblischen Aussagen gibt, die Homosexualität in eine positive Beziehung zum Willen Gottes setzen« (S. 21), und in der Folge mit dem Sündenbegriff argumentiert. Mit der Stellungnahme »Verlässlichkeit und Verantwortung stärken« von 2000 zeichnet sich eine Tendenz zur Öffnung ab, indem sich die EKD ausdrücklich für eine »Verbesserung des Rechtsschutzes für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften« eingesetzt. Doch erst 2013 wird die theologische Begründung der Orientierungshilfe »Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken« mit dem Bibelzitat eröffnet: »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.« (Gen 2, 18)
Hier wird nun endlich erkannt, dass die biblischen Bilder keineswegs nur die klassische Ehe favorisieren, sondern eine sehr viel breitere Vielfalt menschlichen und familialen Zusammenlebens kennen und spiegeln. Die historischen Ausführungen der Soziologin Ute Gerhard sind hier tatsächlich gehört worden und haben angestiftet, die Bibel noch einmal mit neuem Blick zu lesen. Jetzt geht es der EKD um das Bemühen um ein verbindliches und verantwortliches Miteinander. Ein Miteinander, das über die Geschlechtergrenzen hinweg so unendlich schwierig zu leben ist, besonders wenn Menschen versprechen, einander treu zu sein, bis dass der Tod sie scheidet.
Für die Anerkennung von Homosexualität ist damit ein wichtiger Schritt getan – auch wenn keineswegs alle Spannungen gelöst sind. Das wissen all jene Lesben und Schwule, die sich in Kirchengemeinden, Synagogen oder Moscheen einbringen möchten – und persönliche Verletzung wie institutionalisierte Benachteiligung erfahren. In allen drei Religionen sind sie konfrontiert mit orthodoxen Lesarten oder fundamentalistischen Strömungen, die nur das Eigene als recht und richtig gelten lassen – und dabei gar nicht merken, dass sie ihre kleine, historisch und kulturell geprägte Gewohnheit an die Stelle göttlicher Wahrheit setzen.
Umso wichtiger ist es, die Frage nach Homosexualität und Religion in einem so liberalen und interreligiösen Gespräch zu erörtern: Es geht darin um Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit im gemeinsamen Leben zweier Menschen; es geht aber auch um gemeinsame Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit zwischen den Religionen – und das für bunt gemischte LeserInnen, die sich vielleicht gar nicht unbedingt der einen oder anderen Religion zuordnen möchten.
Das ist genau die Offenheit, die wir für unser Gespräch brauchen, denn nur so können wir unseren Blick neu auf die eigene Tradition richten.
Cornelia Richter
Professorin am Institut für Evangelische Theologieder Universität zu Köln
Andere Volksfrömmigkeiten
Einleitung
Ein Sommertag im August in Berlin, der Bundestagswahlkampf 2013 will nicht so recht in Schwung kommen, die amtierende Kanzlerin Angela Merkel scheint so unumstritten ihr Amt inne zu haben wie kaum ein deutscher Regierungschef vor ihr, Bundesministerien und Kanzleramt in Berlin laden vor dem Ende der Parlamentsferien zum »Tag der Offenen Tür«. Themen aus dem Spektrum der Politiken, für die Schwule oder Lesben stehen, etwa das der Eingetragenen Lebenspartnerschaft, sind nicht Teil des offiziellen Diskurses im Kampf um Macht und Mandate. Auf der Bühne vor dem Kanzleramt steht an diesem »Tag der Offenen Tür« Regierungssprecher Steffen Seibert und gibt dem zahlreich erschienenen Publikum Gelegenheit, Fragen zu stellen – es ist auch ein Werbetermin für die Angelegenheit der Demokratie, für Teilhabe und Mitsprache. Einer der Besucher fragt am Mikrofon, gerichtet an den Regierungssprecher, er sei doch so sehr Christ wie er, der Fragende, aber wie stünde es um Ehe und Familie, wie um die Christliches verfehlende Politik der Gleichstellung von Homosexuellen. Seibert lässt charmant die Frage des Mannes versanden – er will nicht thematisieren, ob womöglich sein eigenes Sein als Christ ihn solidarisch stimmt mit einem Gottesfürchtigen, der nicht glaubt, dass die Partei der Kanzlerin, die Christliche Union Deutschlands, mitmacht, was in der politischen Elite des parlamentarischen Mainstreams inzwischen mehrheitlich verankert ist: Homosexuelle Paare sollen nicht diskriminiert werden.
Dass der Mann aus dem Besucherstrom, der sich am Kanzleramt versammelt hat, nicht einfach sagt, er fände die Eingetragene Lebenspartnerschaft nicht gut, er könne überhaupt nicht akzeptieren, dass Schwule und Lesben mehr und mehr anerkannt werden. Nein, er betont sein Christsein, er beruft sich auf Bibel und seinen Gott, auf das, was er unter Glauben versteht. Und das sind Haltungen und Auffassungen, die ungefähr so gebündelt werden können: Gott schuf Adam und Eva, nicht Martin und Stefan oder Yvonne und Charlotte. Man könnte religionssoziologisch sagen: Wer so denkt, wer mit der Anrufung Heiliger Schriften – seien sie christlicher, jüdischer oder muslimischer Herkunft –, argumentiert, der argumentiert im traditionell verstandenen Sinne fromm – und also in Übereinstimmung mit dem, was die Glaubenssysteme lehren. Über alle monotheistischen Religionen lässt sich sagen, dass es einen gemeinsamen Kern gibt, der in dieser Frömmigkeit geborgen liegt. Nämlich, dass ein gottgefälliges Leben eines im Auftrag ihres jeweiligen Schöpfers sein soll, das im Hinblick auf die Liebesdinge nur eines in Familie sein kann, die jeweils von einem Mann und einer Frau gegründet zu sein hat. Beide Personen, Mann und Weib, sollen – das ist ihr religiös begründeter Auftrag – Kinder hervorbringen, sich in ihnen wiedererzeugend: Seid fruchtbar und mehret euch – für den Glauben, durch den Glauben, im Glauben für die auch dynastische Zukunft. So wird es auch der Mann vor der Bühne am Kanzleramt gemeint haben, wohlüberzeugt, spontan und von Herzen: Dass Christliches doch kein Einerlei in den Dingen der Liebe bedeuten könne. Heteronormativität ist der kühle Begriff für das, was diese einigende Haltung bündelt: Alles, was von der Norm des Heterosexualität abweicht, gehört geächtet, entwertet, und, ja, auch verdammt und verfolgt.
Tatsächlich gibt auch im globalen Maßstab gerade Religiöses die Grundmelodie ab für die Verfolgung und Diskriminierung Homosexueller, überhaupt aller Menschen, die sich dem binären Schema von Mann-und-Frau(-und-Kinder) entziehen. In Iran können schwule Männer gehenkt werden, wird ihr Begehren offenbar und öffentlich. In fast allen arabischen Ländern ist Homosexualität geächtet und in manchen auch mit der Todesstrafe verknüpft. Stets mit Hinweis auf den Koran, auf die religiöse Schrift des Islam. In Uganda macht sich jeder und jede strafbar, der oder die schwul oder lesbisch ist – und es nicht schafft, dies im absolut Verborgenen zu leben. Überhaupt gilt in den meisten afrikanischen Ländern Homosexualität als in den Kolonialzeiten eingeschleppter Virus des weißen Mannes, der dringend kuriert gehört. Homophobe Gesetze etwa in Russland oder Moldawien, die ausdrücklich jede positive Erörterung von Homosexuellem im Beisein von Minderjährigen, in der Öffentlichkeit der Straßen, der pädagogischen Apparate oder in den Medien verbietet, sind wesentlich durch die religiösen Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche lanciert worden. Organisierte, religiös und frömmlerisch begründete Homophobie ist freilich keine Angelegenheit, die nur von irgendwo aus fernen Ländern zu vermelden wäre. Ähnliches gilt für unsere Nachbarschaften in der Mitte Europas. In den postjugoslawischen Ländern waren es vor allem religiöse Institutionen – ob serbisch-orthodox, muslimisch oder katholisch –, die zu Protesten gegen Christopher-Street-Day-Paraden mobilisierten, sei es in Split, Belgrad oder Sarajewo. Als in der lettischen Hauptstadt Riga vor einer Dekade eine kleine Gruppe von LSBTI-AktivistInnen eine Art Spaziergang durch das Gründerzeitviertel ihrer Stadt antreten wollten, war es der Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Riga, der die militante Meute von Gegendemonstranten stimulierte, nicht klein beizugeben, um ja jede positiv stimmende Präsenz von Schwulen und Lesben zu zerstören.
Stets führen die Akteure dieser homophoben Bewegungen religiöse Motive ins Spiel, um ihr Tun zu begründen: Schwule und Lesben sind an und für sich gegen die Schöpfung, brächten keinen Nachwuchs hervor und stünden ganz generell gegen die natürliche Ordnung. Dass die Heiligen Schriften – jedweder Provenienz – selbst schon keine Natur mehr sein können, weil sie, historisch gesehen, viel jünger sind als die Weltgeschichte überhaupt, dass sie den Charakter von Natürlichem nicht beanspruchen können, weil sie auch von Menschen verfasst und überliefert wurden und werden, steht dem strikt heteronormierenden Begehren nicht im Wege: Religiös wird willkürlich aufgeheizt, was den Phantasien der Menschen exklusiv entspringt – ein totalitär anmutender Wunsch nach Macht über das, was alle zu wollen und zu leben haben.
Beim allen Perspektiven auf die Lage jenseits unseres Landes soll nicht das, wenn man so will, Eigene übersehen werden. Allem Fortschritt in unserem Kontext – von Fragen der »sexuellen Andersheit« zur heterosexuellen Üblichkeit – zum Trotz muss bilanziert werden, dass er erst in dieser, in jüngster Zeit erkennbar wird. Aber noch vor drei Jahrzehnten wurde ein niedersächsischer Pastor zum Rücktritt gezwungen, ja, so hieß es, mit Berufsverbot in seiner evangelischen Kirche belegt, weil seine Homosexualität bekannt wurde – es war der Fall Klaus Brinker. Nicht allein in den volksfrömmigen Milieus stießen schwule Männer und lesbische Frauen auf entschiedene Ablehnung, die sich jeweils auch in beruflichen Nachteilen bemerkbar machten.
Dass sich gerade in den evangelischen Gemeinden viele, ja, fast alle Verhältnisse in queerer Hinsicht verändert haben, mag, allgemein gesprochen, mit der Pluralisierung der Lebensstile in unserem Land überhaupt zu tun haben. Aber die ›liberalen‹ Haltungen der Evangelischen Kirche Deutschlands sollten nicht als weltgeistige Ernte nach einem Regen guter Gedanken begriffen werden – eine solche Perspektive von oben herab übersieht sträflich, wie sehr Lesben und Schwule selbst das Ihre taten, diese Verhältnisse zum Tauen zu bringen: Es waren Vereine wie die Lesben in der Kirche (LuK) ab 1985 oder Homosexuelle und Kirche (HuK), die sich praktisch als Basisbewegung in die gemeindlichen Debatten auf allen Ebenen einschalteten und ihre Ansprüche anmeldeten. 1977 trat die HuK erstmals auf der wichtigsten und größten Laienversammlung evangelischer Christen in der Bundesrepublik auf – beim Kirchentag in Berlin. Vier Jahre später, 1981, beim Evangelischen Kirchentag in Hamburg, waren bei den Protagonisten dieser Gruppe die entscheidenden Ängste verflogen: Die Männer und Frauen der HuK wussten inzwischen, dass sie in evangelischen Gewässern Gehör finden konnten. Ein sogenanntes »Warmes Nest« in einer nahen Gemeinde zum Kirchentagsgelände zog mehrere tausend schwule Männer und lesbische Frauen an. Es war ein Treffpunkt, auf dem alle zu merken schienen: Wir sind nicht allein, wir können gemeinsam wirken, auch wir sind gute Geschöpfe Gottes.
Mit anderen Worten: Wo Homosexuelle ihre Chancen auf Performance in ihren jeweiligen Glaubenssystemen wahrnehmen wollen und können, haben sie schon mehr als ein religiöses Nichts in der Hand. Sie wirken auf andere ein und zwingen sie, nicht zu schweigen, sondern zu reagieren. So begann eine Art von Frieden im Dialog – und dieser Erfolg kam nicht von allein, sondern durch den Mut der Beteiligten, das Risiko auch von Ablehnung einzugehen. Wie leicht zu erkennen ist, wurde diese Courage – theologisch wie gemeindepraktisch – belohnt. Dies gilt auch für islamische Zusammenhänge, und nicht minder für katholische: Es existieren längst islamische und katholische Gruppen von LSBTI-Angehörigen, die sich ganz alltagspraktisch nicht ausreden lassen wollen, dass sie als Seiende nicht zu ihrem Glauben in lebendem Widerspruch stehen.