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Examensarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Sport - Sportökonomie, Sportmanagement, Note: 1, Philipps-Universität Marburg, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Arbeit hat die Trendsportart Le Parkour zum Thema. Dabei wird zu Beginn die Entwicklung der Trendsportart und deren Erfinder David Belle näher betrachtet. Auf Basis einer ausführlichen Untersuchung des Themas Trendsport (auch aus sportsoziologischer Sicht interessant) wird Parkour wissenschaftlich als Trendsportart klasifiziert. Letztlich werden Ansätze zur sportdidaktischen Verwertung vorgestellt, diskutiert und analysiert. [...] Ein Mann rennt um sein Leben. Es scheint, als könne ihn kein Hindernis aufhalten. Keine Mauer ist hoch genug, kein Spalt zu eng. Selbst ein Baukran kann den vermeintlichen Böse-wicht nicht aufhalten. In schwindelerregender Höhe bewegt sich der Mann balancierend, aber in hohem Tempo auf dem Kran, springt artistisch auf einen zweiten Kran und klettert auf und ab. Nur mit Mühe und weitaus weniger leichtfüßiger Eleganz folgt ihm der Geheimagent Ja-mes Bond. Diese Szene aus dem Film Casino Royale fordert Daniel CRAIG als Darsteller alles ab. Denn sein Gegenspieler wird gespielt von Sébastien FOUCAN, einem der Pioniere des Par-kour (vgl. BECK 2007: Abs. 3). Szenenwechsel. Im 2007 erschienen Film Mr. Bean macht Ferien läuft der Hauptdarsteller Rowan ATKINSON in einer Szene quer durch Paris und pas-siert dabei Hindernisse wie Fußgänger und Autos scheinbar teilnahmslos. Er läuft zielgerich-tet von A nach B, der einzige Unterschied zum vorherigen Beispiel sind die fehlenden artisti-schen Sprünge und Spezialeffekte. Viele Anhänger des Parkour vermuteten eine Parodie auf ihre Bewegungskultur. Stellt sich also die folgende Frage, wann genau das sture Geradeaus-laufen Merkmale des Parkour zu tragen beginnt (vgl. KEDVES 2007: 20). Eben solche Merkmale sind genauso Bestandteil dieses Kapitels wie die Entwicklung des Parkour von seinen Anfängen bis hin zu aktuellen Kommerzialisierungs- und Institutionalisie-rungsprozessen. Dem wird eine Betrachtung der Person David BELLE vorangestellt, der als Erfinder des Parkour gilt und daher eine tragende Rolle für die Entwicklung spielt. Die ab-schließende Diskussion befasst sich mit der zweiseitigen Interpretation des Parkour zum einen als Philosophie und Lebenseinstellung sowie zum anderen als Sport und Bewegungsform.
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subkulturelle Bewegungsform mit kulturindustriellem
Marktpotential und pädagogischen Verwertungschancen
Datum: 17.11.2008
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Tabellenverzeichnis
Tab.1:Phasen der Genese von Trendsportarten…………………………………………47
Tab.2:Argumente für und gegen Trendsport im Schulsport……………………………..68
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„Die Morgensonne taucht die Stadt in ein warmes, orangefarbenes Licht. Ganz ruhig liegt sie da, einzelne Hochhäuser ragen aus ihr empor, die Straßen sind gespickt mit Mauern, Zäunen, Treppen und Geländern. Gespickt mit Hindernissen. Mit Hindernissen, die sie belasten, die den Geist des Menschen belasten. Hindernisse, die überwunden werden wollen. Behutsam fasst sich der Traceur ein Ziel, eine Herausforderung. Eine persönliche He-rausforderung, die es zu überwinden gilt. Dann läuft er los. (HOMANN 2008: Abs. 1)“Im Sommersemester 2007 entstand die Idee zu dieser Arbeit. Erstmals wurde an der Phillips-Universität Marburg die Fachwerkstatt mit dem TitelSportunterricht ohne Sporthalleangeboten. Die Seminargruppe widmete sich dem Problem der begrenzten räumlichen Kapazitäten an Marburger Schulen, die sich in anderen Teilen Deutschlands mit Sicherheit ähnlich darstellen. Im Zuge des Seminars sollten Alternativen zum Sportunterricht in der Sporthalle gefunden werden. Ich schloss mich der GruppeLe Parkour - Laufen, Springen, Wagen in der Stadtan, obwohl ich Le Parkour1vorher noch nicht bewusst wahrgenommen hatte. In der Vorbereitung auf die Seminarstunde wurde das Internet durchsucht und machte Lust auf mehr. Die Videos und Technikbeschreibungen animierten geradezu nach draußen zu gehen und die rasanten Läufe einfach selbst auszuprobieren. Die Erfahrungen und Eindrücke, die schon innerhalb kürzester Zeit gesammelt wurden, waren überwältigend. Nach nur zwei Treffen erschien die Stadt nicht mehr als ein Kulturraum mit Bänken, Treppen, Geländern und Mauern, sondern als ein Sportgelände mit zahlreichen Hindernissen, die es zu bewältigen galt. Inspiriert von der praktischen Durchführung ist diese Examensarbeit entstanden. Fasziniert von der Idee mehr über diesen Trend aus Frankreich zu erfahren, entwickelte ich die Idee Parkour aus zwei didaktisch vollkommen unterschiedlichen Vermittlungspositionen zu betrachten und anhand von praktischen Beispielen Vor- und Nachteile aufzuzeigen. Doch bevor die praktischen Ideen beispielsweise in einer weiteren Examensarbeit umgesetzt werden, ist eine theoretische Untersuchung von Le Parkour erforderlich, die sich auf folgende Fragestellungen stützt. Worin liegt das Wesen von Parkour? Diese Frage wird beantwortet, indem die Ursprünge und die Umstände der Entwicklung von Parkour analysiert sowie die Entwicklung der Bewegung bis hin zu aktuellen Kommerzialisierungstendenzen verfolgt wird. In einem zweiten Schritt wird die theoretische Basis für diese Arbeit gelegt. Dieser Teil beschreibt aus soziologischer und sportwissenschaftlicher Sicht, was eine Trendsportart ist und endet mit einem für diese Arbeit relevanten Trendsportterminus. Anschließend wird das vorgestellte
1Die offizielle Bezeichnung für das Bewegungsphänomen lautetLe Parkour.Aus Gründen der Vereinfa-
chung wird in dieser Arbeit die verkürzte und ebenso zulässige VersionParkourbenutzt.
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Bewegungsphänomen Parkour auf seinen Trendgehalt anhand des entwickelten Trendsportterminus analysiert. Im vierten und letzten Teil erfolgt eine didaktische Diskussion, in der ausgehend von einer allgemeinen Debatte um Trendsportarten in der Schule verschiedene Vermittlungsansätze erörtert und ausgewertet werden.
Das Phänomen Parkour ist relativ neu, vor allem auf sportwissenschaftlicher Ebene. Insofern ist der Stand der Literatur, die sich explizit auf Parkour bezieht, sehr niedrig. Lediglich drei kurze Artikel in den einschlägigen sportwissenschaftlich relevanten Schriftenreihen finden sich mittlerweile. Auch auf internationaler Ebene gibt es erst ein Buch, das sich mit dem Phänomen Parkour beschäftigt. Dies begründet den hohen Teil an Zeitungsartikeln und kurzen Texten aus dem Internet. Trendsport allgemein hingegen ist auf Grund seines aktuellen Bezugs ein sehr gut untersuchtes Feld. Daher habe ich mich für einen theoretischen Teil entschieden, der auf den ersten Blick sehr umfangreich wirken mag. Auch der große soziologische Anteil bei der Trendsportuntersuchung ist bewusst gewählt, um die Entwicklung von Trendsportarten nachvollziehen zu können. Nur so ist es meiner Meinung nach möglich, eine Trendsportart aus allen Perspektiven betrachten und verstehen zu können. Denn aus den Kenntnissen über andere Trendsportarten lässt sich für Parkour viel ableiten und eine zukünftige Entwicklung in Aussicht stellen, wie es am Ende der Arbeit getan wird.
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Ein Mann rennt um sein Leben. Es scheint, als könne ihn kein Hindernis aufhalten. Keine Mauer ist hoch genug, kein Spalt zu eng. Selbst ein Baukran kann den vermeintlichen Bösewicht nicht aufhalten. In schwindelerregender Höhe bewegt sich der Mann balancierend, aber in hohem Tempo auf dem Kran, springt artistisch auf einen zweiten Kran und klettert auf und ab. Nur mit Mühe und weitaus weniger leichtfüßiger Eleganz folgt ihm der Geheimagent James Bond. Diese Szene aus dem FilmCasino Royalefordert Daniel CRAIG als Darsteller alles ab. Denn sein Gegenspieler wird gespielt von Sébastien FOUCAN, einem der Pioniere des Parkour (vgl. BECK 2007: Abs. 3). Szenenwechsel. Im 2007 erschienen FilmMr. Bean macht Ferienläuft der Hauptdarsteller Rowan ATKINSON in einer Szene quer durch Paris und passiert dabei Hindernisse wie Fußgänger und Autos scheinbar teilnahmslos. Er läuft zielgerichtet von A nach B, der einzige Unterschied zum vorherigen Beispiel sind die fehlenden artistischen Sprünge und Spezialeffekte. Viele Anhänger des Parkour vermuteten eine Parodie auf ihre Bewegungskultur. Stellt sich also die folgende Frage, wann genau das sture Geradeauslaufen Merkmale des Parkour zu tragen beginnt (vgl. KEDVES 2007: 20). Eben solche Merkmale sind genauso Bestandteil dieses Kapitels wie die Entwicklung des Parkour von seinen Anfängen bis hin zu aktuellen Kommerzialisierungs- und Institutionalisierungsprozessen. Dem wird eine Betrachtung der Person David BELLE vorangestellt, der als Erfinder des Parkour gilt und daher eine tragende Rolle für die Entwicklung spielt. Die abschließende Diskussion befasst sich mit der zweiseitigen Interpretation des Parkour zum einen als Philosophie und Lebenseinstellung sowie zum anderen als Sport und Bewegungsform.
Um daswahreParkour verstehen zu können, ist es meines Erachtens sehr interessant, hinter den Mythos des Erfinders zu schauen und mehr als nur den wohl besten Traceur der Welt zu sehen. Denn wer versucht die Person David BELLE zu verstehen, der entwickelt ein Verständnis von Parkour, das über die sensationellen Sprünge und beeindruckenden Bilder hinausreicht.
David BELLE wurde 1973 in Frankreich geboren und von seinem Großvater aufgezogen, der ihm viele Geschichten über BELLEs Vater, Raymond BELLE, erzählte. In einem Interview beschreibt David BELLE diese Geschichten als Spiderman und Tarzan-Geschichten, die in ihm den Wunsch weckten, einmal wie Spiderman durch die Lüfte zu schwingen (vgl. WILKINSON 2007: 1). Raymond BELLE war das große Vorbild des jungen David. Geboren 1939 in Indochina, dem heutigen Vietnam, wurde er auf Grund der Rebellion kommunistischer Kräfte ge-
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gen die französische Kolonialmacht von seiner Familie getrennt und in einem Waisenlager als Kindersoldat ausgebildet. Er erfand eine Methode, um schnell und effizient durch den Dschungel zu flüchten. Mit 19 Jahren kam Raymond BELLE als ausgebildeter Soldat zurück nach Paris. Er wollte sein Bewegungskönnen weiterhin einsetzen und ging zurSapeurs-Pompiers,einer Eliteeinheit der Pariser Feuerwehr (vgl. DETTWEILER 2007: Abs. 10ff.). Er nutzte sein Bewegungsrepertoire für spektakuläre Rettungsaktionen, wie z. B. 1965, als er einer suizidgefährdeten Frau das Leben rettete, indem er sich vom Kamin des Hauses abseilte und in das Zimmer der Frau sprang (vgl. STAUDE 2007: 37). Nur vier Jahre später erschien er erneut in den Schlagzeilen, als er 1969 von einem Hubschrauber abgeseilt eine Fahne der Vietkong von der Turmspitze derNotre Dameentfernte (vgl. WILKINSON 2007: 1). „Ein Junge kann ein schlechteres Vorbild haben“ (STAUDE 2007: 37).
Schon in jungen Jahren konnte David BELLE nicht still vor dem Fernseher sitzen, trainierte ständig und widersetzte sich jeglichem System. Er wollte einfach sein Leben leben. Mit 14 Jahren zog er zu seiner Mutter in den Pariser Vorort Lisses und sein älterer Halbbruder Jeff BELLE, ebenfalls Feuerwehrmann wie der gemeinsame Vater, kümmerte sich um ihn, zeigte ihm Techniken der Feuerwehrmänner. An der KletterwandDame du Lacerprobte BELLE mit seinem Vater Klettertechniken und entwickelte eigene Formen der Fortbewegung. Später folgte David BELLE seinem Vater und seinem Bruder in die Feuerwehr. Eine Zwangspause nach einer Handgelenksverletzung nutzte er zum Nachdenken und erkannte, dass der Beruf des Feuerwehrmanns mit zu vielen Regeln bei zu wenig Action verbunden war. Er ging zur Marine, doch auch dort fand er nicht die erhoffte Befriedigung. Deshalb verließ BELLE die Einheit und daraufhin Frankreich für sechs Monate, um nach Indien zu gehen und dort seine Bewegungen in den Wäldern zu trainieren. An einem von Bäumen umringten Wasserfall ereignete sich ein Schlüsselerlebnis für BELLE. In diesen Bäumen lebten Affen, von Zäunen und Barrieren umgeben. BELLE stieg über die Zäune und spielte mit den Affen (vgl. WILKIN-SON2007:4ff.).
„After that, I watched them all the time, learning how they climbed. All the techniques in parkour are from watching the monkeys.“ (ebd.: 6)
David BELLE kupferte sein Parkour von den Bewegungen der Affen ab. Er entwickelte und perfektionierte die Techniken und kehrte 24-jährig nach Frankreich zurück, ohne zu wissen, wie es in seinem Leben weiter gehen soll. Und auch heute wirkt er oft nachdenklich. Seine Familie nutzte diese körperlichen Fähigkeiten für ihre Tätigkeiten, doch er stellt sich nach wie vor die Frage, warum er das tut und welche Bedeutung die Bewegung für ihn hat (vgl. ebd.: 5).
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In Interviews wirkt David BELLE oftmals wie ein schüchterner Junge, „der brav mit den Eltern am Tisch […] sitzt, aber viel lieber draußen Fußball spielen will“ (DETTWEILER 2007: Abs. 8). Werbeveranstaltungen und Interviews kann er nicht leiden, denn er spricht nur ungern über sich und versucht, das öffentliche Interesse an seiner Person lieber auf seine Kunst zu lenken (vgl. ebd.: Abs. 9). David BELLE lebt bei seiner Mutter, denn entgegen vieler Vermutungen macht Parkour ihn (noch) nicht reich. Trotzdem lehnte er das Angebot ab, für den aktuellen Spiderman-Film das Stuntdouble zu spielen (vgl. WILKINSON 2007: 6). Dabei war es doch immer sein Traum, einmal Spiderman zu sein. Doch BELLE bleibt bescheiden und tourt durch die Welt, um sein Parkour, dasechteParkour zu verbreiten.
Derzeit gibt es in Deutschland nach Schätzungen etwa 2.000Traceure,so nennen sich die Läufer/innen, die sich ihren Weg durch die Stadt von A nach B so effizient wie möglich bahnen (vgl. WOLFSGRUBER 2007: 178). Traceur/se bedeutet so viel wieden Weg ebnend(vgl. BECK 2007: Abs. 3) oderSpurensucher(vgl. DEWITZ 2007: Abs. 4). Es trifft allerdings auch die Beschreibung von Jeff BELLE zu, der sagt, dass ein/e Traceur/se jemand ist, „who traces David’s footsteps, the way David traces our father’s“ (WILKINSON 2007: 1). Inspiriert wurde David BELLE durch die Bewegungsmethode seines Vaters Raymond BELLE, die dieser sich im Dschungel angeeignet hat und die ihm ermöglichte jederzeit effizient zu flüchten (vgl. DETT-WEILER2007:Abs. 10 & 11). Die Bewegungen basierten auf der vom französischen Sportwissenschaftler Georges HÉBERT (*1875; †1957) entwickeltenméthode naturelle.HÉBERT stellte in Studien in Afrika fest, dass die in freier Natur lebenden Menschen gesünder und stärker seien als die Europäer, die durch die moderne Bequemlichkeit (wie z. B. Fahrstühle) körperlich zunehmend schwächer werden. Daraufhin entwickelte er eine Trainingsmethode, die Körper und Geist, Mut und Disziplin im Einklang mit der Natur trainieren sollte (vgl. WIL-KINSON2007:6).
Im Jahr 1987 zog David BELLE in den Pariser VorortLisses,der mit seiner öden Infrastruktur (vgl. ROSENFELDER 2005: 48) nur wenig Bewegungsmöglichkeiten bot und das Bedürfnis nach Abenteuer nicht befriedigen konnte. BELLE übertrug die Bewegungsmethode seines Vaters auf die Architektur der Ballungsräume und erprobte seine Techniken an einer Kletter-wand in der Nähe des Vorortes - der heute legendärenDame du Lac,die für Traceure aller Welt ein reisewürdiger Mythos ist (vgl. WILKINSON 2007: 1). Neben der Dame du Lac gilt eine Kastanie in Lisses als mythischer Ursprung des Parkour, von wo aus die Bewegung sich weltweit verbreitete (vgl. ROSENFELDER 2005: 48). BELLE begann allein zu trainieren und
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suchte nach Wegen, „die Mauern, die uns umgeben, zu überwinden“ (KASSOVITZ 2008: Abs. 10) und meint mit Mauern die physischen wie auch die im übertragenen Sinn. Sein Bruder Jeff beauftragte ihn im Jahr 1997 damit, eine Gruppe zusammen zu stellen, die für ein Feuerwehrfest eine Choreographie mit den Bewegungen aufführen sollte. Daraufhin organisierte er zwei seiner Cousins sowie einige Freunde, darunter auch Sébastien FOUCAN und gründete die GruppeYamakasi.Die Show wurde ein voller Erfolg und BELLE erhielt weitere Aufträge für Stuntshows und Kurzfilme. Ein erstes Internetforum gründete sich, in dem sich die Traceure in Lisses zum Training verabredeten (vgl. WILKINSON 2007: 5). Sein Bruder war es auch, der als erstes Vertrauen in die Fähigkeiten von David BELLE steckte, der sein volles Engagement seinen Bewegungen widmete, damit jedoch kein Geld verdienen konnte. Bis Jeff BELLE auf die Idee kam, die Läufe mit der Kamera aufzuzeichnen und einem Fernsehsender anzubieten (vgl. FÖRSTER 2007: Abs. 6). David BELLE gab seiner Bewegung einen Namen und wandelte das französische Wortparcours,das eine Hindernisstrecke im ritterlichen Wettkampf beschreibt ab und ersetzte dascim Wort bewusst durch eink. Le Parkourwurde zur offiziellen Bezeichnung des artistischen Laufs durch die Stadt über alle Hindernisse hinweg (vgl. STAU-DE2007:37). Um seine Bewegungskunst zusätzlich vomparcoursabzugrenzen ergänzte er Le Parkour mit dem Begriff derL’Art du Deplacement,also der Kunst der Fortbewegung (vgl. ROSENFELDER 2005: 48). Durch erste Berichte im Fernsehen und einen spärlichen Internetauftritt begannen erste Jugendliche in Frankreich auf die artistischen Bewegungen und spektakulären Läufe der Traceure aufmerksam zu werden. Mit der Präsentation im Internet bestand von Beginn an die Möglichkeit, „der Kunst eine Plattform zu geben und sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“ (BELLE 2007, zit. in FÖRSTER 2007: Abs. 6). Schnell schwappte die neue Bewegung auch nach Großbritannien über, wo sie dem heute bekanntesten amerikanischen Traceur Mark TOOROCK im Jahr 2002 zuerst begegnete. Kollegen redeten über den Verrückten, der in einer Fernsehwerbung über Häuserdächer springt. Er suchte im Internet nach BELLE und stieß auf das französische Parkourforum. Doch in dem Forum war TOOROCK als englischsprachiger Mann anscheinend nicht gern gesehen, denn die Teilnehmer des Forums fürchteten die schnelle Verbreitung über das Internet und damit eine Verfälschung ihrer Idee (vgl. WILKINSON 2007: 2).
Diese Grundidee des Parkour ist die schnellstmögliche und effizienteste Fortbewegung von einem Punkt A zu einem Punkt B. Hindernisse wie Bänke, Geländer und Garagen werden in den Lauf eingebunden und überwunden, statt sie zu umgehen (vgl. WESTHOFF 2008: 40). Die Stadt mit ihren postmodernen Antilandschaften bietet zahlreiche Herausforderungen, die im Idealfall mit fließenden Bewegungen passiert werden (vgl. ROSENFELDER 2005: 48). Traceure folgen dabei zwar nicht festgeschriebenen, aber dennoch allgemein bekannten Maximen. Die
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zu überquerenden Hindernisse sollen nicht verändert werden, der eigene Körper und die Umwelt, Privateigentum inklusive, sollen mit Respekt behandelt werden (vgl. HOMANN 2008: Abs. 4). Dazu gehört vor allem der Respekt vor Höhen, Distanzen und vor Abgründen (vgl. BECK 2007: Abs. 8). Vor einem Sprung wird das Hindernis inspiziert und der Sprung sorgfältig vorbereitet (vgl. WESTHOFF 2008: 40). Um die Verletzungsgefahr so gering wie möglich zu halten und die eigenen körperlichen Grenzen nicht zu überschreiten, ist sich ein/e Traceur/se vor dem Sprung zu einhundert Prozent sicher, dass er/sie den Sprung schafft. Um ein derartiges Körpergefühl zu erzielen, braucht es viel Training und Erfahrung (vgl. HOMANN 2008: Abs. 6). BELLE antwortet auf die Frage, wann ein Sprung zu gefährlich wird, dass sein Körper intuitiv weiß, wann er den Sprung nicht schafft. Und er fügt hinzu, dass er kein Risiko eingeht, da sein Leben ihm zu viel bedeuten würde (vgl. WILKINSON 2007: 6). Insofern ist für Parkour vor allem mentale Stärke zur Überwindung von Hindernissen vonnöten. Ist sich ein/e Traceur/se bei einem Sprung unsicher und führt ihn nicht aus, so wird er/sie nicht von der Gruppe ausgestoßen, sondern mit Respekt behandelt, dass er/sie vernünftig statt unvorsichtig ist. Diesem Gedanken folgend, erscheint es nur logisch und konsequent, dass im Parkour vergeblich nach Wettbewerben und Meisterschaften gesucht wird (vgl. HOMANN: Abs. 4). Effizienz ist eine Frage der Balance zwischen In- und Output. Daher ist es immer von Bedeutung, die eigenen Fähigkeiten angemessen einzuschätzen und stets die Kontrolle über den eigenen Körper zu behalten. Der in der Szene bekannte österreichische Traceur Andreas KALTEIS sagt dazu:
„Beim Parkour geht es darum, sich effizient forzubewegen [sic], effizient zu sein, wenig reinzustecken und viel rauszubekommen. Und im Krankenhaus zu landen ist nicht sehr effizient.“ (zit. in HOMANN 2008: Abs. 6)
Unfälle im Parkour treten nicht häufiger auf als in anderen Sportarten, trotzdem hat das Fernsehen in Deutschland anfangs nur das Bild einer lebensmüden Stuntkultur verbreitet (vgl. RO-SENFELDER2005:48). Um nicht als Konkurrenz von US-Formaten wieJackasszu enden, muss jeder Anfänger sich bewusst sein, dass die Videos im Internet, die bewusst auf Tempo geschnitten sind, nur ein kleiner Teil von Parkour sind (vgl. KEDVES 2007: 20). Mehr noch folgen viele der Videos nicht allen Maximen der Bewegung und vernachlässigen die Effizienz zu Gunsten von Artistik und unökonomischen Elementen (vgl. STAUDE 2007: 37). Anfänger/innen, die diese Videos sehen, wollen die Sprünge selbst ausführen, unterschätzen dabei aber oft die Höhen und Distanzen der Sprünge. Darüber hinaus übersehen sie meist das harte Training, das hinter den rasanten Filmen steckt. Denn Parkour heißt Training und Wiederholung. Der amerikanische Traceur Ryan FORD meint dazu, dass es in den USA noch keine/n Traceur/se gäbe, der/die das Level von David BELLE erreicht habe. Nicht weil es keine Talen-