Resilienz- und bindungsorientierte Traumatherapie (RebiT) - Alice Romanus-Ludewig - E-Book

Resilienz- und bindungsorientierte Traumatherapie (RebiT) E-Book

Alice Romanus-Ludewig

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Beschreibung

Konsequente Unterstützung für Therapeut und Klient Der Wunsch nach Unterstützung und Orientierung sowohl bei angehenden als auch fortgeschrittenen Traumatherapeuten ist groß. Die spezifischen Bedürfnisse der Klienten und die besonderen Erfordernisse im Therapieprozess machen die Traumatherapie zu einer anspruchsvollen Aufgabe. Was ist konkret notwendig, damit das Gelernte im Anschluss an Aus- und Weiterbildung sinnvoll in den therapeutischen Alltag integriert werden kann? Orientiert an den anerkannten Richtlinien für die Behandlung von traumatischen Störungen bietet dieses Buch den Praktizierenden Hilfen, um ihr Wissen und Können effektiv und nach einem festen Gerüst anzuwenden. Mithilfe der regelmäßigen Bindungsgespräche gelingt der wichtige Austausch über die Qualität der therapeutischen Beziehung. Der gezielte Einbezug von Sinneserfahrungen sowie explizite Erklärungen über Vorgehen und Wirkweise der angewandten Methoden machen den Klienten zum Mitgestalter und führen ihn so zu seiner Selbstwirksamkeit zurück.

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Alice Romanus-LudewigResilienz- und bindungsorientierte Traumatherapie (RebiT)Ein Handbuch

Über dieses Buch

Konsequente Unterstützung für Therapeut und Klient 

Der Wunsch nach Unterstützung und Orientierung sowohl bei angehenden als auch fortgeschrittenen Traumatherapeuten ist groß. Die spezifischen Bedürfnisse der Klienten und die besonderen Erfordernisse im Therapieprozess machen die Traumatherapie zu einer anspruchsvollen Aufgabe. Was ist konkret notwendig, damit das Gelernte im Anschluss an Aus- und Weiterbildung sinnvoll in den therapeutischen Alltag integriert werden kann? Orientiert an den anerkannten Richtlinien für die Behandlung von traumatischen Störungen bietet dieses Buch den Praktizierenden Hilfen, um ihr Wissen und Können effektiv und nach einem festen Gerüst anzuwenden. Mithilfe der regelmäßigen Bindungsgespräche gelingt der wichtige Austausch über die Qualität der therapeutischen Beziehung. Der gezielte Einbezug von Sinneserfahrungen sowie explizite Erklärungen über Vorgehen und Wirkweise der angewandten Methoden machen den Klienten zum Mitgestalter und führen ihn so zu seiner Selbstwirksamkeit zurück.

Dr. Alice Romanus-Ludewig ist Ärztliche Psychotherapeutin in eigener Praxis in Hannover. In ihren Seminaren erfahren Therapeuten alles Wesentliche über Trauma, Traumatisierungsfolgen und Grundlagen von traumatherapeutischer Behandlung nach dem RebiT-Ansatz.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2019

Coverfoto: © cosmosvisions/stock.adobe.com

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2019

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-844-2

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-845-9 (EPUB), 978-3-95571-848-0 (PDF),  978-3-95571-847-3 (MOBI).

Für Carsten, Florian, Fanita und Filip.

Vorwort

Dies ist ein ungemein praktisches Buch, um gleich einen der größten Vorteile zu benennen. Alice Romanus-Ludewig ist es gelungen, ein Kompendium zusammenzustellen, das jedem eine Hilfe bietet, der eine Systematik für die Praxis der Traumatherapie sucht: Wie geht Traumatherapie? Was kommt wann „dran“? In welcher Reihenfolge sollten die traumatherapeutischen Interventionen erfolgen? Antworten auf diese und ähnliche Fragen werden nicht nur für alle Professionellen interessant sein, die sich einem leidgeprüften Menschen gegenübersehen und zweifeln, wo sie anfangen sollen und „wie dann weiter“. Sondern die Rat- und Hilfesuchenden selbst werden hier fündig, wenn sie sich fragen, was denn Traumatherapie eigentlich leisten kann, was man da „macht“, wie das geht. Es wird sie vielleicht trösten zu lesen, dass es immer erst darum gehen wird, positive Erfahrungen wiederzubeleben, sich weiter zu stabilisieren, und erst dann darum, sich mit dem Grauen zu konfrontieren, um dessen Nachwirkungen zu verstehen, abzumildern oder sogar ganz loslassen zu können.

Die Autorin hat sich einen eigenen Namen für die Therapie-Inhalte ausgedacht: RebiT, also Resilienz- und bindungsorientierte Traumatherapie. Damit sind bereits zwei Schwerpunkte ihrer Arbeit benannt: Ressourcenaktivierung (Resilienz) und Bindungsorientierung. Entlang der üblichen Pfade der Traumabehandlung erläutert Frau Romanus-Ludewig nicht nur aus ihrer Praxiserfahrung heraus und anhand anschaulicher Beispiele, was diese Bereiche der Traumatherapie ausmacht, sondern sie ergänzt dies um Übungen, die leicht erlernbar, hilfreich und unterstützend sind, sowie wertvolle Erläuterungen zum Transfer in die jeweiligen Settings.

In den ersten Kapiteln werden das Konzept und die Vorgehensweise erläutert, zu dem auch – was leider vielen KollegInnen immer noch nicht selbstverständlich ist – ein intensives Bindungsinterview gehört. So legt Alice Romanus-Ludewig überhaupt im gesamten Verlauf der Therapie großen Wert auf Gespräche über die jeweilige Bindungssituation zwischen TherapeutIn und KlientIn. Erst danach folgt bei ihr ein Kapitel über traumaassoziierte Störungsformen – ein Aufbau, der zeigt: Traumadiagnostik ist Prozess-Diagnostik. Erst wenn unsere KlientInnen uns vertrauen und nur solange die Beziehung stimmt, geben sie uns nach und nach zu erkennen, was sie verstört, was ihnen fehlt, was sie brauchen und wo sie allein nicht weiterkommen.

Im Anschluss an diese Kapitel folgen weitere zum Ablauf der Traumatherapie, dazu gehört zunächst ein gründliches (Wieder- oder Weiter-)Aufbauen von Fähigkeiten, Kenntnissen und erfolgreichen Lebensstrategien. Dabei gefallen mir auch manche Sammelbegriffe der Autorin wie zum Beispiel die „Big Five der Stabilisierungsphase“. Darunter versteht Romanus-Ludewig das Erinnern und Verankern positiver Lebensereignisse, Imaginationsübungen, die Erarbeitung und Anwendung einer brauchbaren Skills-Liste, die Arbeit mit dem Spannungsregler und schließlich die Teilearbeit auf der inneren Bühne.

Die Traumadurcharbeitung schließlich braucht den richtigen Zeitrahmen, Motivation und ein sanftes, sorgsam kalibriertes Vorgehen, das die Autorin mit eigenen Praxiserfahrungen, Übungen und Hinweisen anreichert, wobei sie vor allem die Bildschirmtechnik zum Bearbeiten wählt, aber auch auf andere traumatherapeutische Bearbeitungsmöglichkeiten hinweist.

Besonders erfreulich: Die Autorin bleibt nicht am Ende der Durcharbeitung stehen, sondern betont ausdrücklich, wie wichtig es ist, die Trauerarbeit therapeutisch zu begleiten – für das die Klienten oft erst nach dem Erkennen und Anerkennen des eigenen Leids inneren Raum finden. Anschließend weist Alice Romanus-Ludewig noch auf verschiedene andere Störungsformen und Anwendungsbereiche ihres Ansatzes hin und schließt das Buch mit einigen im Anhang befindlichen Fragebögen und anderen sinnvollen Tools ab.

Dieses Buch empfehle ich allen, die Klarheit in ihr traumatherapeutisches Vorgehen bringen wollen, Struktur für die sonst oft unübersichtliche psychotherapeutische Begleitung traumatisierter Menschen brauchen und sich von originellen, teils auch neuen Zusammenstellungen und Übungen anregen lassen möchten.

Hier denkt, arbeitet und schreibt eine psychotherapeutische Kollegin, von der ich gern noch mehr hören und lesen möchte. Das werden sicher viele therapeutisch Tätige nach der Lektüre denken. Und wer selbst eine Traumatherapie sucht, wird in diesem guten, klaren, sehr schön lesbaren und sorgsam gestalteten Handbuch Ermutigung finden, sich nicht zu begnügen mit den schlechten Verhältnissen, sondern sich kompetent und bindungsorientiert auf dem Weg „heraus aus der inneren Not“ begleiten zu lassen. Wie gut, dass Frau Romanus-Ludewig auch KollegInnen ausbildet, denn das Buch wird viele neugierig machen.

Michaela Huber im Frühjahr 2019

Einleitung

Resilienz- und Bindungsorientierung in der Traumatherapie – das ist doch nichts Neues, werden Sie sich jetzt vielleicht denken. Ja und Nein …

Ja, alle traumatherapeutischen Therapieansätze sind in gewisser Weise resilienz- und bindungsorientiert. Die psychotherapeutische Arbeit mit traumatisierten Menschen knüpft immer zuerst an deren Ressourcen bzw. deren Resilienz an. Die Klientinnen1 und Klienten sind durch d2ie ständige Präsenz des Traumas und die damit zusammenhängenden Symptome stark beeinträchtigt. Um eine erfolgreiche Traumabearbeitung durchstehen zu können, ist daher das Wiederentdecken der eigenen Widerstandskräfte unabdingbar. Es gilt, den so häufig sich aufdrängenden Schreckensbildern positive Bilder entgegenzusetzen, neben den oft kaum aushaltbaren Gefühlszuständen wieder angenehme Erfahrungen und Gefühlszustände zu ermöglichen. Und es gilt natürlich, den oft mit dem Trauma verbundenen schockierenden Beziehungserfahrungen wieder neue Erfahrungen folgen zu lassen, die von Vertrauen und Verlässlichkeit gekennzeichnet sind. In dieser Hinsicht ist also die resilienz- und bindungsorientierte Arbeit in der Traumatherapie nichts Neues, sondern Bestandteil aller traumatherapeutischer Ansätze.

Nein, denn die in diesem Buch vorgestellte Resilienz- und bindungsorientierte Traumatherapie (RebiT) stellt doch eine Ergänzung der bisherigen Ansätze dar. Das bezieht sich vor allem auf die eingängige Struktur und die hohe Praxistauglichkeit.

Im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen2, die mit mir die Weiterbildungen absolvierten, stellte ich fest, dass viele noch mehr Unterstützung dabei wünschten, das traumatherapeutische Wissen und Können in der Praxis zielgerichtet anzuwenden: Die Fülle an Übungen und Materialien war zu groß, vieles geriet im Laufe der Zeit in Vergessenheit, weil es nicht angewendet wurde. Mir selbst erging es ähnlich. Ich erinnere mich an Versuche, das Gelernte umzusetzen, und das sich schnell einsetzende Gefühl, den Überblick zu verlieren angesichts der vielen Möglichkeiten, traumatherapeutisches Handwerkszeug einzusetzen. Das verunsicherte und wirkte sich nicht zuletzt auf die Begleitung der Klientinnen nachteilig aus.

Ich möchte an dieser Stelle unbedingt einem Missverständnis vorbeugen: Die beschriebenen Umsetzungsprobleme sind aus meiner Sicht „typisch Mensch“, denn wir neigen dazu, bei Widerständen schnell zum Vertrauten und Gewohnten zurückzukehren. Das gilt natürlich auch für therapeutisch arbeitende Menschen, deshalb gerät viel Erlerntes in Vergessenheit. Ich möchte also keine Kritik üben an den Weiterbildungen und deren Qualität. Die Weiterbildungen, die ich absolvierte, waren in jeglicher Hinsicht exzellent und nicht nur fachlich, sondern auch menschlich sehr bereichernd. Wegen der dennoch bestehenden Schwierigkeiten bei der Umsetzung in die therapeutische Arbeit, die ich in meinem Alltag selbst erlebte und auch im kollegialen Austausch wahrnahm, wollte ich einen Beitrag für die bessere Umsetzbarkeit des so wertvollen Erlernten leisten. Der RebiT-Ansatz soll also eine zusätzliche Hilfestellung bieten an der Schnittstelle zwischen Lernen und Umsetzen in der Praxis. So entwickelte ich ganz allmählich eine eigene Struktur, die mir half, sinnvolle Standards zu setzen, wichtige Teilschritte in der Therapie nicht zu übergehen und mich nicht länger in einzelnen Aspekten zu verlieren. Auf diese Weise sind z. B. die „Big Five der Stabilisierungsphase“ entstanden. Sie bilden auch das Grundgerüst für den hier vorgestellten Ansatz (Kap. 2). Ergänzende und weiterführende Übungen sind natürlich nach dem Einüben der Basics möglich und erwünscht. Beispiele für ein sinnvolles Vorgehen finden Sie in diesem Buch.

Auch die Frage, wie Aspekte der Bindung konkret in die traumatherapeutische Arbeit übersetzt werden können, beschäftige mich weiterhin. So entwickelte sich im Laufe der Zeit bei mir die Idee, mithilfe des regelmäßigen Bindungsgespräches bzw. Therapiefeedbacks den Austausch mit Klientinnen über die Qualität der therapeutischen Beziehung aufrecht zu halten. Dies sollte auch wichtige Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Klient und anderen Bezugspersonen haben.

Eine gute Struktur und hilfreiche Arbeitsmaterialien können natürlich niemals Ersatz sein für die allem zugrunde liegende ressourcenorientierte, respektvolle und annehmende Haltung der Klientin gegenüber. Eine gesunde Struktur muss immer auch flexibel bleiben, auf die Klientin zugeschnitten werden und die Besonderheiten des Einzelnen berücksichtigen. Niemals dürfen Klientinnen gezwungen werden, bestimmte Übungen durchzuführen, wenn sie dies ablehnen. Selbstbestimmung, Respekt und Würde verbieten jeglichen Druck, Zwang oder ein starres Festhalten am „Therapieplan.“

Das gesunde Ausbalancieren zwischen Struktur und Flexibilität bleibt bei allen Therapieformen eine wichtige Herausforderung. Auch darum wird es in diesem Buch gehen.

Neben praktischen Schritt-für-Schritt-Anleitungen habe ich die wichtigsten theoretischen Hintergründe (Traumamechanismen, Traumaphysiologie, Hirnbiologie, Diagnosen) in diesem Buch aufgegriffen und dargestellt. Genau das auszuwählen, was notwendig ist, um kompetent in der Praxis zu sein, ohne dieses Handbuch mit zu viel Theorie zu überfrachten, war nicht leicht. Um es anschaulicher zu machen und stets Brücken zwischen Theorie und Praxis zu schlagen, habe ich den Text um erklärende Grafiken und Abbildungen erweitert.

Wie jede Therapieform ist auch die Traumatherapie immerzu im Wandel und kluge Köpfe bemühen sich um Verbesserungen und Ergänzungen. Damit dies auch weiterhin – zum Wohl der Klienten – gewährleistet ist, bin ich gespannt auf Ihre Rückmeldungen! Feedback dazu, was Sie als hilfreich erlebt haben, und Anregungen, was noch besser werden könnte, sind willkommen. Lassen Sie uns im Austausch bleiben. Ich freue mich darauf.

1  Mit der Bezeichnung „Klient“ möchte ich zum Ausdruck bringen, dass sich der traumatisierte Mensch stets auf Augenhöhe mit den Behandelnden befindet. Therapeuten, die im kassenärztlichen Rahmen tätig sind, sprechen in der Regel eher vom „Patienten“. „Klient“ ist in diesem Fall dazu synonym zu verstehen.

2  Ich möchte in meinem Buch möglichst gendergerecht schreiben. Daher habe ich mich dazu entschlossen, die weibliche und die männliche Form abwechselnd zu gebrauchen.

TEIL I: TRAUMATHERAPIE – DIE GRUNDLAGEN

1. Resilienz- und bindungsorientierte Traumatherapie (RebiT) – was ist das?

1.1 Zur Entstehung des RebiT-Ansatzes

„Traumatherapie – das ist doch einfach Stabilisieren und dann noch ein bisschen Hokuspokus!“, so lautete die Aussage eines Kollegen, nachdem ich ihm erzählt hatte, dass ich mich in traumatherapeutischer Weiterbildung befinde. Ich war irritiert angesichts dieses Vorurteils, aber nach genauerem Nachdenken stellte ich fest, dass möglicherweise ein Körnchen Wahrheit in dieser Aussage liegt. Wenn das Herzstück der Traumatherapie, das Stabilisieren, sich nicht von allgemeiner psychotherapeutischer Arbeit unterscheidet und die Traumakonfrontation der Klientin nicht genau erläutert bzw. sie nicht sorgsam darauf vorbereitet wird, dann kann dies von manch verunsicherten Klientinnen durchaus als „Hokuspokus“ erlebt werden. Eine Erfahrung, die sich gerade bei traumatisierten Menschen, die Situationen von Ausgeliefertsein und Ohnmacht erlebt haben, verheerend auswirken kann.

Zu Beginn meiner Beschäftigung mit Traumatherapie fühlte ich mich geradezu erschlagen von den vielen traumatherapeutischen Techniken und Übungen, von denen ich las und hörte. Trotz mehrerer (wirklich sehr guter!) traumatherapeutischer Fortbildungscurricula hatte ich immer noch das Gefühl, dass der Überblick und die Umsetzung in den Therapiealltag mühsam waren. Meine ersten Versuche, das Gelernte umzusetzen, waren schwierig, weil ich zwar viele erlernte Elemente in die Therapien einbrachte, aber der innere Zusammenhang für Klienten oftmals nicht ersichtlich und nachvollziehbar war. Manche Kolleginnen und Kollegen hatten ähnliche Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Kompass, der den Behandelnden und in Folge den Klienten sicher durch die Therapie leitete.

Ich versuchte dann, genau hinzuschauen, welches die häufigsten nach Traumatisierung auftretenden Probleme im Alltag der Klienten waren. Die in den Traumatherapie-Weiterbildungen erlernten Elemente wandelte ich so ab, dass sie leichter anzuwenden waren, manche Übungen entwickelte ich selbst. Ein wichtiger Schritt war in diesem Prozess auch, herauszufinden, welche Übungen sich vor allem für den Anfang der Therapie eignen und möglichst sicher und schnell eine Wirkung entfalten. „Soforthilfe“ am Anfang kann enorm wichtig sein, weil es bei Klientinnen die Hoffnung stärkt, dass sich die Gesamtsituation bessern kann. Beispielsweise hat es sich gezeigt, dass am Anfang der Therapie manchmal das Vertrauen und die Konzentration noch gar nicht vorhanden sind, gemeinsam Imaginationsübungen einzutrainieren oder mit der „inneren Bühne“ zu arbeiten. Die Beschäftigung mit positiven Lebensereignissen knüpft an bereits Erfahrenes an und stellt somit einen leichten Zugang zu vorhandenen Ressourcen her.

So entwickelte ich im Laufe der Jahre eine eigene Struktur im Vorgehen, die sich sowohl für mich als Therapeutin als auch für die Klientinnen als sehr hilfreich erwies. Die Erfahrung lehrte mich, welche Übungen unverzichtbar sind und dringend intensiv eingeübt werden sollten (ich bezeichne sie als Basisübungen oder auch „Big Five“). Alle anderen können als Zusatzübungen angesehen werden, die später erlernt werden können. Es ist wie bei jeder „Kunst“: Hilfreich ist, zwischen Grundlagen und darauf aufbauenden Elementen zu unterscheiden. Bevor die Grundlagen nicht souverän beherrscht werden, sollten auch keine weiteren Schritte gegangen werden.

Bei der Arbeit mit Traumatisierten ist es besonders wichtig, sich nicht in einem „Meer der Möglichkeiten“ zu verlieren, sondern durch regelmäßiges Üben von vertrauten Basisübungen den Klienten Sicherheit zu vermitteln.

Mit den Sinnen erfahrbar

Ein weiterer Schwerpunkt des RebiT-Ansatzes ist die Betonung des Konkreten, des mit den Sinnen Erfahrbaren. Die Verbindung der Gedankenwelt mit Sinneserfahrungen ist aus meiner Sicht für Klienten sehr wertvoll, denn es geht in der Stabilisierungsphase darum, Ressourcennetzwerke zu knüpfen (s. a. Abschn. 5.1). Je mehr Sinnesmodalitäten einbezogen sind, desto wirksamer ist die Aktivierung des Netzwerkes.

Daher habe ich die explizite Verbindung zu den Sinnen bei allen Stabilisierungsübungen zu knüpfen versucht (z. B. in der Arbeit mit Symbolen und Ritualen bei der Vertiefung positiver Lebensereignisse, vgl. Big Five 1 in Abschn. 5.2.1).

Traumakonfrontation

Besonders in der Phase der Traumakonfrontation sind Behutsamkeit und Achtsamkeit angebracht. Nach meiner Erfahrung kann es die Belastung des Klienten enorm senken, wenn das Vorgehen und auch die Wirkweise (z. B. der Bildschirmtechnik) eingehend erklärt werden. Bei den Konfrontationsmethoden, die ich im Zuge meiner Ausbildung erlernt habe, war die Anwendung jedoch durch eine zu hohe Komplexität erschwert. Die komplizierten Vorgehensweisen lassen sich dem Klienten, der in der Regel ohnehin schon stark belastet ist, nicht gut vermitteln. Auch dafür wollte ich Abhilfe schaffen. So habe ich die mir bekannten Screentechniken abgewandelt und vor allem auch vereinfacht, sodass das Vorgehen für Klienten transparenter und gut erklärbar ist. Durch die Vereinfachung kann eine Screensitzung fast immer in einer einzelnen Therapiesitzung durchgeführt werden.

Es zeigt sich, dass Betroffene davon profitieren, wenn die Sitzungen zur Traumadurcharbeitung gut „dosiert“ und in kleinere „verdauliche“ Einheiten unterteilt werden.

Trauer und Neuorientierung

Konsequente Unterstützung, auch bei der Bewältigung der dritten und letzten Phase, der Trauer und Neuorientierung, ist enorm wichtig. Hier ist die Bindungsorientierung besonders gefragt, damit das gemeinsame Anschauen des Traumas für die Klientinnen spürbar eingebettet ist in die sichere und Sicherheit vermittelnde therapeutische Beziehung. Nur so fühlt sich die Klientin nach der Traumakonfrontation nicht allein gelassen.

1.2 Prinzipien des traumatherapeutischen Prozesses

„Ein Trauma ist ein Erinnerungsabszess.“

(Ulrich Sachsse)

Der Drang zur Verarbeitung

Es gibt viele hilfreiche Bilder und Vergleiche dafür, was ein Trauma ist und was in einem traumatherapeutischen Prozess passiert. Ein Trauma als einen „Erinnerungsabszess“ (Sachsse, 1997) anzusehen macht deutlich: Da hat es eine „Schädigung“ gegeben, welche noch nicht ausgeheilt ist. „Material“ ist nicht abtransportiert, verarbeitet worden, ein Heilungsprozess ist ins Stocken geraten und belastet den Organismus. Das Bild macht auch klar: Ohne ein Eingreifen, ein „Rangehen“ an die Verletzung, kann es vermutlich nicht besser werden.

Hilfreich erscheint mir auch der Vergleich, dass bei einem traumatherapeutischen Prozess Erinnerungsmaterial von einem „Zwischenlager“, welches nicht der endgültige Bestimmungsort ist, zu einem „Endlager“ transportiert werden muss. Dazu muss aber das brisante Material noch einmal in Bewegung gesetzt – angeschaut, geprüft und vorsichtig behandelt – werden. Es wird sich nie auflösen, es wird nie verschwinden, es wird auch nicht plötzlich anders (eine schlechte und erschütternde Erfahrung bleibt eine solche und wird nie zu einer neutralen oder guten Erfahrung).

Es kann aber besser einsortiert werden und ist weniger im Vordergrund, kann weniger Schaden anrichten.

Auch hirnphysiologisch passt dieser Vergleich gut. Unverarbeitetes traumatisches „Erinnerungsmaterial“ wird in einer Hirnregion gespeichert (Amygdala), welche tatsächlich als eine Art „Zwischenlager“ fungiert, und landet erst nach einer Verarbeitung in einer anderen Hirnregion, die als Gedächtnis für „normale“ Erinnerungen gilt (Hippocampus). (Näheres dazu erfahren Sie in Kapitel 2.)

Nicht zuletzt die Vorstellung, dass die Wandlung eines unverarbeiteten Traumas zu einem verarbeiteten wie die Heilung einer offenen Wunde zu einer Narbe ist, veranschaulicht das Wesen des traumatherapeutischen Prozesses sehr anschaulich. Die Narbe verschwindet nicht, sie bleibt als unangenehme Erinnerung an die Verletzung zurück, aber der Prozess der Heilung ist abgeschlossen, die Gefahr für den Organismus ist gebannt, die Beeinträchtigung wurde deutlich reduziert.

Die Symptome, die ein unverarbeitetes Trauma mit sich bringt, insbesondere die Symptome, in denen sich der Traumainhalt immer wieder aufdrängt (Albträume, Flashbacks, traumanahe Gefühlszustände), sind ein Signal des Gehirns bzw. des gesamten Organismus, dass da etwas auf Verarbeitung drängt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Kohärenzdruck des Gehirns. Gemeint ist damit, dass der Organismus bemüht ist, das Unverarbeitete wieder zu aktivieren, um es angemessen einzuordnen und somit wieder das alte Gleichgewicht herzustellen.

Traumatherapie kann verstanden werden als professionelle Unterstützung für einen ins Stocken geratenen physiologischen Prozess.

Ziele der Traumatherapie

Es handelt sich primär nicht um einen künstlichen Eingriff, sondern eher um ein „sanftes Begleiten“. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass ungefähr ein Drittel aller Traumatisierungen auch ohne therapeutische Unterstützung bewältigt bzw. verarbeitet werden kann.

Ziel ist immer, die Beeinträchtigungen im Alltag, in der Lebens- und Beziehungsgestaltung wiederherzustellen. Traumatherapie ist kein Selbstzweck! Aus diesem Grunde ist es sehr wichtig, mit den Klienten zu erarbeiten, was sich durch die Bearbeitung des Traumas verändern soll. Wird dies nicht berücksichtigt, kann es passieren, dass sich in der mitunter sehr schmerzhaften Phase der Traumabearbeitung ein Gefühl von Sinnlosigkeit einstellt („Wozu das Ganze?!“) oder nach der Konfrontationsphase Orientierungslosigkeit auftritt („Und was jetzt?!“).

Eine Traumatherapie ohne klare Zielsetzung zu beginnen ist ein Kunstfehler!

Mit klarer Zielsetzung ist kein Gefühlszustand gemeint (z. B. „wieder selbstbewusst werden“, „mich sicher fühlen“ o. Ä.), sondern ein konkretes und überprüfbares Ziel (z. B. „wieder alleine ins Café gehen können“, „wieder arbeiten gehen“, „Suchtverhalten ablegen“, „Hobby wieder aufnehmen“ etc.). Auf dieses Thema werde ich in Abschnitt 5.1 noch ausführlicher Bezug nehmen.

Traumabetroffene kommen zudem mit sehr unterschiedlichen Vorerfahrungen zu einem Erstgespräch. Eine gute und sichere Bindung braucht Transparenz und einen sicheren Rahmen. Frühere Therapien oder Erfahrungsberichte Dritter können die Erwartungen der Klientinnen an die Therapie prägen.

Nach meiner Erfahrung ist es gut, den Wünschen und Erwartungen der Betroffenen Aufmerksamkeit zu schenken und genauso klar auch den eigenen Arbeitsstil, die eigenen Therapiegrundsätze zu thematisieren. So kann der an einer Therapie Interessierte im Rahmen der probatorischen Sitzungen für sich prüfen, ob er bereit und motiviert ist, sich auf diese Form der Therapie einzulassen. Es kann sehr frustrierend für beide sein, wenn die Art der Therapie stark von dem abweicht, was der Klient von einer Behandlung erwartet.

Aus diesem Grund erläutere ich allen Interessenten immer genau, nach welchen Grundsätzen ich arbeite. Die Kernpunkte habe ich mit der Bezeichnung „AMOS-Prinzip“ zusammengefasst (vgl. Abschn. 1.4). In einer kleinen Informationsbroschüre informiere ich über das AMOS-Prinzip. Im Rahmen der Probatorik können wir dann überprüfen, ob die Grundlagen und die Grundausrichtung meiner therapeutischen Arbeit zu den Erwartungen der Klienten passen.

Selbstwirksamkeit und Selbststeuerung

Die reale Erfahrung, Opfer gewesen zu sein, ist für die Betroffenen so erschütternd und prägend, dass es oft schwerfällt, wieder zurückzufinden zu einem selbstbestimmten und selbstverantworteten Leben. Es fühlt sich am Anfang fast wie eine Zumutung an, wieder selbst das Ruder in die Hand nehmen zu sollen und „trotz allem“ wieder in kleinen und kleinsten Schritten Dinge anzupacken. Von Therapeuten erfordert es Fingerspitzengefühl, beides im Blick zu haben: einerseits dem Klienten das notwendige, heilsame und für die Bindung wesentliche Maß an Empathie, Fürsorge und Schutz zukommen zu lassen, andererseits aber auch Mut zu machen und zu konkreten Schritten herauszufordern.

Durch die verschiedenen Elemente der Stabilisierungsphase können Klienten zu einem Gefühl von Selbstwirksamkeit und Selbststeuerung zurückfinden. Nachdem im Rahmen der traumatischen Erfahrung intensive Ohnmacht und Hilflosigkeit erlebt wurden, geht der Zugang zu dem Grundgefühl „Ich kann etwas tun und bewirken!“ oft verloren und muss wiedergewonnen werden. Wichtig ist dabei vor allem, dass die sogenannte Resilienz des Klienten wiederhergestellt wird. Resilienz, die Widerstandskraft der Seele, hat entscheidenden Einfluss darauf, wie ein Trauma verarbeitet wird. Das bezieht sich sowohl auf die Resilienz, die vor dem Trauma bestand, als auch auf das Vorhandensein von Resilienzfaktoren nach dem traumatischen Ereignis. Dabei sollten Betroffene an „Realitäten“ anknüpfen wie zum Beispiel den eigenen positiven Lebenserfahrungen und inneren Stärken. Diese Ressourcen wurden durch das Trauma nicht zerstört, sondern sind nur „verschüttet“ worden, so wie eine durch Laub und Erde verdeckte Quelle, die man wieder freilegen kann.

Es ist sehr nützlich zu wissen, welche Faktoren Resilienz beeinflussen, denn nur dann können wir sie berücksichtigen. Es gibt unterschiedliche Studien zum Thema Resilienz mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten, aber folgende Faktoren werden immer herausgestellt:

die Ablehnung der Opferrolle bzw.

Selbst

verantwortlichkeit

,

Aktivität

sowie

die Fähigkeit, sich ein

soziales Netzwerk

aufzubauen und zu halten.

An diesen Kernpunkten gilt es zu arbeiten, wenn wir die Resilienz der Klienten stärken möchten. Alle Elemente der Stabilisierungsarbeit dienen dazu, die Selbstverantwortlichkeit und damit auch die Selbstwirksamkeit aufzubauen, die durch die traumatische Erfahrung erschüttert wurde. In diesem Sinne ist die Traumatherapie eine sehr praktisch orientierte Therapieform. Es geht viel um praktisches Einüben, weniger um Interpretationen, Deutungen, Übertragungsphänomene und unbewusste Konflikte. Ich sage bewusst weniger, denn natürlich können diese Aspekte auch eine Rolle spielen, sie stehen nur nicht im Mittelpunkt. Deutungen und Interpretationen sind sogar möglichst zu vermeiden, weil sie vom Klienten leicht als verletzend oder aufgezwungen erlebt werden.

Eine aktive Haltung einnehmen, Dinge ausprobieren, Neugier wieder zulassen, etwas tun können statt „aushalten müssen“ – all das hilft Traumabetroffenen dabei, wieder neuen Lebensmut zu entwickeln und Zugang zu ihrer inneren Stärke wiederzugewinnen.

Das soziale Netzwerk, also die sozialen Bindungen, gilt es dafür ebenso zu thematisieren wie die jeweilige Zielsetzung (s. o. „Ziele der Traumatherapie“).

Beziehung zwischen Therapeuten und Klient

Zur Aufrechterhaltung einer guten und sicheren Bindung ist es nicht nötig, sich maximal „hineinzubegeben“. Es gilt eher, ein Mittelmaß zu halten und flexibel zu bleiben. Damit sind wir bei der Frage angelangt, was die Bindungsorientierung bei RebiT ausmacht. Ich möchte Ihnen hier einen kleinen Vorgeschmack geben. Das Thema wird in Kapitel 3 weiter vertieft.

Die moderne Bindungsforschung gibt uns Antworten darauf, was eine sichere Bindung ausmacht, wie sie entsteht und wie sie gehalten, geschützt und gefördert werden kann. Deshalb ist es wichtig, die Kernpunkte zu verstehen und sich damit auseinanderzusetzen.

Der zentrale Begriff bei der Entstehung einer sicheren Bindung ist die Feinfühligkeit. Damit ist die Fähigkeit gemeint, auf die Signale des Gegenübers feinfühlig zu reagieren: wahrnehmen, was es mir sagen will, was genau es braucht, und dann auch angemessen zu reagieren. Über das Mitgeteilte sollte sich im Idealfall ausgetauscht werden, um zu überprüfen, ob es richtig verstanden wurde, und abzugleichen, wie ich in der Lage und bereit bin, darauf zu reagieren. Dabei ist interessant, dass es keine vollständige Übereinstimmung geben muss, es darf auch Missverständnisse und unerfüllte Wünsche geben. Forschungsergebnisse zeigen sogar, dass ein mittleres Maß an Übereinstimmung für die Qualität der Beziehung besser ist als zu viel Gleichklang (Beebe et al., 2002). Entscheidend ist, über das Wahrgenommene zu kommunizieren. Das fördert nämlich die Fähigkeit, über das eigene Innenleben und das des Gegenübers nachzudenken. Die Bindungsforschung nennt das Mentalisieren. Diese Fähigkeit ist für die eigene Gefühlsregulation und die Regulation der sozialen Beziehungen essenziell. Die Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit ist ein wichtiges Element in jeder Psychotherapie.

Das Wesen einer positiven und sicheren Bindung beschreiben Bindungsforscher mit der Formulierung „Autonomie in Verbundenheit“ (Grossmann, & Grossmann, 2004). Dabei sind diese beiden Bedürfnisse nie vollkommen im Gleichgewicht. Das Gleichgewicht darf immer mal wieder zur einen oder anderen Seite „ausschlagen“, bis es sich irgendwann wieder neu eingestellt hat.

Dieses Verständnis für die Dynamiken sicherer Bindung ist für den traumatherapeutischen Prozess ungemein hilfreich, weil es davor bewahrt, bei gelegentlichen „Alleingängen“ oder „Anklammerungstendenzen“ des Klienten zu stark zu reagieren oder regulieren zu wollen. Auch bei der eigenen inneren Haltung des Therapeuten kann und darf es Schwankungen geben, mal empathisches Mitschwingen und mal Schwierigkeiten, den inneren Prozess des Klienten oder bestimmte Reaktionen zu verstehen.

Der Diskurs über Bindungsthemen ist für die therapeutische Beziehung wichtig und braucht einen regelmäßigen Raum und eine feste Zeit, auch weil die Tendenz der Klienten (und manchmal auch der Therapeuten!) zur Vermeidung groß ist. Das Bindungsgespräch bzw. Therapiefeedback ist ein Herzstück von RebiT und hat somit erstmals in der Traumatherapie einen festen Platz.

Die Macht der Intuition nutzen

Die Imaginationsübungen (Abschn. 5.2.2) beruhen auf der faszinierenden menschlichen Fähigkeit, sich allein durch die Vorstellung positiver innerer Bilder in einen besseren emotionalen Zustand zu bringen. Dass Menschen in großer Not das auch intuitiv und ohne (therapeutische) Anleitung machen, zeigt eindrücklich die Geschichte von Natascha Kampusch, die in ihrem dunklen Kellerverlies auch deshalb psychisch überlebte, weil sie sich immer wieder mit positiven inneren Bildern beschäftigte (Kampusch, 2012). Für die meisten Übungen der Stabilisierungsphase gilt also, dass sie nicht von Therapeuten „erfunden“ wurden, sondern dass weiterentwickelt wurde, was Traumaüberlebende schon immer intuitiv als Selbsthilfe nutzten.

Wenn Klienten frustriert sind, weil sie mit einer Übung nichts anfangen können, hilft manchmal die Frage: „Machen Sie vielleicht schon intuitiv etwas Ähnliches, wenn es Ihnen nicht gut geht?“ Dann wird oft deutlich, dass es nicht um eine vorgeschriebene Übung (wie ein verschriebenes Medikament) geht, sondern um den Zugang zu bereits vorhandenen inneren Möglichkeiten. Wenn dies spürbar wird, sehen die Betroffenen auch mehr Sinn darin, die Übungen außerhalb der Therapie anzuwenden. Dies vermindert Abhängigkeitsgefühle und fördert das Vertrauen in die eigenen Selbstheilungskräfte, in die eigene Fähigkeit, Gefühle zu regulieren und innere Not zu lindern.

Psychoedukation

Die sogenannte Psychoedukation ist für Traumaüberlebende sehr wichtig. Ich verstehe jedoch unter Psychoedukation nicht, dem Klienten nur zu verdeutlichen, wie sein Gehirn und seine Seele verwundet wurden und heilen können, sondern vor allem ihm wieder Vertrauen in die Selbstheilungskräfte zu geben und den eigenen Beitrag zur Heilung zu vermitteln.

In der Phase der Traumakonfrontation geht es auch darum, eine Haltung einzunehmen, die folgendermaßen lauten könnte: „Wir schaffen gemeinsam einen Rahmen, in dem wir uns das noch einmal anschauen, was immer wieder an die Oberfläche drängt.“ Dabei darf das „unverdauliche“ Ganze in kleine und kleinste Sinneinheiten unterteilt werden, die dadurch „bekömmlicher“ und verkraftbar werden.

Diese „sanftere“ Haltung steht im Gegensatz zu einem die Konfrontation an sich betonenden Ansatz „Die Traumakonfrontation ist dann gelungen, wenn man sich der ganzen Wucht des Traumas stellt und die damit verbundenen Gefühle möglichst in voller Intensität nacherlebt.“ Meine Erfahrung zeigt, dass es durchaus reichen kann, das Trauma nur zu „streifen“. Eine leichte, aber gezielte Aktivierung der traumatischen Erfahrung genügt häufig für die Bearbeitung und oft regelt der Betroffene selbst, wie viel Affekte zugelassen werden.

Immer wieder bin ich erstaunt darüber, wie groß der entlastende Effekt einer Traumakonfrontation sein kann, selbst wenn in der Therapiestunde die Affekte nur kurz oder wenig intensiv an die Oberfläche kamen. Aus diesem Grund finde ich auch den Begriff „Traumakonfrontation“ nicht ganz passend und missverständlich. Man könnte auch von Traumaaktivierung sprechen. Ich habe das von mir entwickelte Vorgehen bei der Bildschirmtechnik aus diesem Grund Netzwerkaktivierender Traumascreen (kurz: NaTs) genannt. Mehr dazu erfahren Sie in Abschnitt 6.3.1.

1.3 Die resilienz- und bindungsorientierte Grundhaltung des Therapeuten

Für die therapeutische Arbeit mit Menschen in Not ist eine Haltung von Respekt, Empathie, Fürsorge, Verständnis und Verantwortung die Grundlage, unabhängig davon, welche Therapieform angewandt wird. Und doch gibt es bei der Arbeit mit Traumatisierten ganz besondere Herausforderungen, die es für eine adäquate Grundhaltung zu beachten gilt. Menschen, die lebensbedrohliche Situationen erlebt und sich ohnmächtig und ausgeliefert gefühlt haben, brauchen ein besonders behutsames und achtsames Gegenüber. Damit meine ich keine ängstliche Vorsicht, die nicht wagt, schmerzhafte, aber wichtige Dinge anzusprechen. Es braucht vielmehr eine Mischung aus Behutsamkeit, Respekt und Mut.

Zunächst ist wichtig zu verinnerlichen, dass Traumaüberlebende sehr sensibel auf jegliche Form von Gewalt reagieren. Nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch verbale oder strukturelle Gewalt in ihren subtilen Formen sind damit gemeint. Therapeuten sind nicht davor gefeit, durch zu harsche, unsensible oder unempathische Reaktionen oder Haltungen dem Klienten zu schaden. Dabei sind es oft gerade die von einem Trauma Betroffenen, die es nicht wagen, Kritik zu üben oder sich dem Therapeuten gegenüber zur Wehr zu setzen. Es ist also unsere Aufgabe, therapeuteninduzierten Stress zu minimieren. Wie können wir das durch unsere therapeutische Haltung gewährleisten?

Zuallererst: Ressourcen- und resilienzorientiert zu arbeiten heißt auch, sich selbst gegenüber eine solche Haltung einzunehmen! Es überzeugt wenig, wenn eine ausgepowerte, freudlose Therapeutin einer Klientin vermitteln will, dass sie sich Gutes tun, eigene Stärken fördern und sich mit positiven Bildern beschäftigen soll. Die Freude an Selbstwirksamkeit und eine gute Portion Optimismus sowie der Glaube an die eigene Weiterentwicklung aufseiten der Therapeutin können der Klientin hingegen Mut machen und motivieren. Gerade wenn wir uns viel mit schrecklichen Erlebnissen im Rahmen der Therapien konfrontiert sehen, sind wir herausgefordert, auf uns und unser inneres Gleichgewicht zu achten.

Das heißt auch, eine gute Balance zu finden zwischen sich empathisch einfühlen und sich auch wieder zurücknehmen (das Prinzip „going in and going out“). Niemand hat etwas davon, wenn wir gemeinsam mit der Klientin in Schreckensbildern und belastenden Gefühlszuständen versinken. Es geht um eine Art innere Pendelbewegung: hin- und herschwingen, weder distanziert sein noch überempathisch unsere Mitte verlieren.

1.4 Grundlagen für eine effektive Therapie: das AMOS-Prinzip

Aus den wichtigsten Studien und Metastudien zum Thema Resilienz (seelische Widerstandsfähigkeit) und seelische Gesundheit sowie aus meiner bisherigen Erfahrung aus 15 Jahren psychotherapeutischer Arbeit leite ich folgende Grundlagen für eine effektive therapeutische Arbeit ab:

Aktivität und Selbstverantwortung sind der Veränderungsmotor.

Menschen sind für Menschen das wichtigste Heilmittel.

Optimismus trainieren hebt die Stimmung.

Selbstakzeptanz bringt Stabilität.

Aktivität und Selbstverantwortung sind der Veränderungsmotor

Aktivität und Selbstverantwortung sind das Gegenteil von Passivität und Opferhaltung. Ohne Aktivität ist keine Veränderung möglich, reine Analyse und Betrachtung eines Problems helfen nicht weiter, wenn nicht eine Aktivität folgt. Dies klingt erst einmal sehr simpel, kann aber im Verlauf von Therapien schnell aus dem Fokus geraten. Wenn Therapeuten sich wundern, dass trotz intensiver Analyse und Ursachenforschung keine positive Veränderung eintritt, oder Klienten unzufrieden sind, weil trotz laufender Therapiegespräche sich nichts bewegt, fehlt oft die Aktivität, das konkrete Gehen des ersten Schrittes. Das kann ein ganz konkreter Schritt im Alltag sein oder aber das aktive Anwenden von mentalen Strategien oder Übungen.

Zu dem Begriff Opferhaltung möchte ich zuerst einem Missverständnis vorbeugen. Menschen, denen etwas angetan wurde, die zum Beispiel ein Trauma erlitten haben, sind ganz klar in dieser Situation Opfer gewesen. Die Suche nach einer Mitschuld und Mitverursachung kann regelrecht retraumatisierend sein und eine Verarbeitung und Heilung verhindern. Mit „Opferhaltung“ ist diese Tatsache aber nicht gemeint, sondern hier geht es um eine Grundhaltung von „Opfer sein“, die über eine reale Opfererfahrung hinausgeht. Manchmal kann es sehr schwer sein, nach einer Erfahrung, in der man definitiv das Opfer war mit all den damit verbundenen Folgen, wieder in eine Haltung von Selbstwirksamkeit und damit auch Selbstverantwortung hineinzufinden. Und doch ist dies dringend notwendig, wenn etwas besser werden soll. Manchmal können sowohl der Therapeut als auch der Klient es geradezu als eine Zumutung empfinden, von einem Menschen, dem viel angetan wurde, Selbstverantwortung zu fordern. Dennoch ist diese unerlässlich.

Menschen sind für Menschen das beste Heilmittel

Diese Aussage mag absolut und übertrieben wirken, aber alle Untersuchungen zu Resilienz und seelischer Gesundheit betonen die überragende Bedeutung der sozialen Kontakte und Beziehungen. Eine Therapie, ob allgemeine Psychotherapie oder spezielle Traumatherapie, kann nur wenig bewirken, wenn es nicht auch ganz konkret um dieses Thema geht. Dazu gehört sowohl die Bestandsaufnahme des aktuellen „sozialen Netzes“ einschließlich der Betrachtung der Beziehungsqualitäten. Bei der Formulierung der Ziele ist dieser Bereich dringend mit einzubeziehen. Oft geht es zum Beispiel darum, sich erstmals überhaupt ein soziales Netz aufzubauen. Isolation und Einsamkeit machen krank, in Isolation kann keine nachhaltige Gesundung stattfinden. Aus diesem Grund halte ich auch Gruppentherapien bzw. Kombinationstherapien (Kombination aus Einzel- und Gruppentherapie mit entweder überwiegenden Einzel- oder überwiegenden Gruppensitzungen) für sehr wirksam. Auch wenn Traumatherapien den Schwerpunkt grundsätzlich auf die Einzeltherapie legen, ist die zusätzliche Einbindung in eine Gruppe oft hilfreich. Es muss dann klar besprochen werden, dass Trauma-Inhalte grundsätzlich nur in der Einzeltherapie besprochen werden.

Eine weitere Bedeutung hat die Beziehungsebene für das Miteinander von Klient und Therapeut. Es ist sinnvoll, diese Beziehung mindestens einmal im Quartal in den Therapiestunden zum Thema zu machen. Dies ist zu Beginn vielleicht noch ungewohnt, aber es gibt einen Übungseffekt. Im weiteren Verlauf wird es immer „normaler“, über den „Draht“ zwischen Klient und Therapeut zu sprechen. Dabei kann es sowohl um Irritationen, Enttäuschungen oder Missverständnisse als auch um hilfreich erlebte Situationen gehen.

Optimismus trainieren hebt die Stimmung

Optimismus ist ebenfalls ein wesentlicher Resilienzfaktor. Es gibt viele Wege, eine optimistische Grundhaltung einzutrainieren. Auch dies klingt wieder sehr einfach, doch kann es sehr mühsam bzw. „hartes Training“ sein, pessimistische Denkstrukturen zu verändern. Pessimistisches Denken und eine negative Grundstimmung können sowohl durch Einflüsse aus Kindheit und Jugend als auch aus einzelnen oder mehreren traumatischen Erfahrungen resultieren. Ein Blick auf die Vergangenheit kann Verständnis dafür schaffen, warum sich die Stimmung zum negativen Pol hin verschoben hat. Bei klar erkennbarem Trauma kann es auch wesentlich sein, gezielt im Rahmen einer Traumadurcharbeitung einen feststeckenden Verarbeitungsprozess nachzuholen. Trotzdem bleibt die Herausforderung, zusätzlich – auch mittels aktivierender Strategien – an der Verbesserung der Stimmung zu arbeiten.

Selbstakzeptanz bringt Stabilität

Fehlende oder brüchige Selbstakzeptanz ist oft Folge von negativen oder auch traumatischen Erfahrungen. Gleichzeitig ist die „zementierte“ Selbstablehnung eine der stärksten Blockaden im Prozess seelischen Gesundens. Ohne eine wirksame Arbeit an der Selbstakzeptanz sind alle mentalen Strategien wirkungslos. Es fängt oft damit an, darauf zu achten, wie wir von uns selbst sprechen. Die Therapiestunden bieten eine gute Möglichkeit, gemeinsam darauf zu achten, dass der Betroffene bei allen bestehenden Problemen nicht in eine selbstverdammende und abwertende Sprache verfällt. Ein verändertes Sprechen über sich selbst und die eigenen Schwierigkeiten kann oft eine Aufwärtsspirale in puncto Selbstakzeptanz darstellen. Neben der Sprache bieten auch die ganz praktische Alltagsgestaltung und auch der Bereich Selbstfürsorge entscheidende Wachstumsfaktoren für die Selbstakzeptanz.

2. Die fünf wichtigsten Traumamechanismen

In diesem Kapitel soll es primär um folgende Fragen gehen:

Was genau ist ein Trauma?

Unter welchen Bedingungen entsteht ein Trauma?

Was passiert bei einem Trauma im Gehirn und im Körper?

Warum zieht ein Trauma oft Folgeerkrankungen nach sich?

Und vor allem: Wie kann ein Trauma heilen?

Durch die Beantwortung dieser Fragen lernt man sehr viel über die fünf wichtigsten Traumamechanismen:

Bedingungen zum Entstehen eines Traumas

(Hirn-)physiologische Reaktionen im traumatischen Geschehen

Folgen des traumatischen Geschehens

Ursachen für die Persistenz der Traumafolgen

Wirkung von Traumatherapie

Meines Erachtens hat man als Traumatherapeutin eine gute Wissensgrundlage, wenn man diese Mechanismen verstanden und verinnerlicht hat. Ich versuche, sie möglichst prägnant und übersichtlich darzustellen. Das soll natürlich nicht davon abhalten, noch tiefer in diese Materie einzutauchen und sich mit den Forschungserkenntnissen der Stressforschung (traumatischer Stress ist im Grunde genommen eine Extremform von Stress) zu beschäftigen. Hilfreiche Literatur bieten zum Beispiel Herman (Die Narben der Gewalt, 2018) oder Huber (Trauma und die Folgen, 2003a, und Wege der Traumabehandlung, 2003b).

2.1 Bedingungen zum Entstehen eines Traumas

Welche Bedingungen ein Trauma entstehen lassen und welche Auswirkungen dies im Moment des Entstehens auf den Menschen hat, kann wesentlich eingängiger durch Metaphern und Bilder dargestellt werden. Rein sprachlich existiert dafür der Begriff „Annihilationsdrohung“ (Huber, 2003a, S. 39), was man mit „Vernichtungsdrohung“ oder „Auflösungsgefahr“ übersetzen könnte: Das Gehirn wird von Informationen überflutet, welche größtmögliche Gefahr signalisieren. Das subjektive Erleben der betroffenen Person umfasst intensive Gefühle von Bedrohung, oft verbunden mit Gedanken wie „Es ist aus mit mir““ oder „Ich sterbe jetzt!“.

Das Erleben größtmöglicher Gefahr …

Ein Mann fährt nach einer anstrengenden Nachtschicht mit dem Auto nach Hause. Auf der Autobahn nimmt er nicht wahr, dass nach starkem Regen Aquaplaning herrscht. Plötzlich spürt er, wie er bei hoher Geschwindigkeit die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert und von der Fahrspur abkommt. Er sieht die Leitplanke auf sich zukommen.

Eine Frau geht mit ihrer neunjährigen Tochter zum Arzt, weil diese seit mehreren Wochen unter zunehmenden Schmerzen im rechten Unterschenkel klagt. Nach einer Röntgenuntersuchung und anschließender Biopsie teilt der Arzt der Mutter mit, dass ihre Tochter unter einer sehr aggressiven Form von Knochenkrebs leidet.

Ein sechsjähriger Junge muss mit ansehen, wie sein betrunkener Vater auf seine Mutter mit einer zerbrochenen Bierflasche losgeht. Er hört einen Schrei und sieht Blut im Gesicht seiner Mutter.

Ein zwölfjähriges Mädchen wird nach dem Turntraining von ihrem Trainer in ein längeres Gespräch verwickelt, bis alle anderen Mädchen weg sind. Der Trainer geht dann mit ihr in die Umkleidekabine und berührt sie wortlos im Intimbereich.

Eine Frau, die im achten Monat schwanger ist, geht entspannt und gut gelaunt zu einer Routineuntersuchung. Dort erfährt sie beim CTG, dass die Herztöne des Kindes extrem verlangsamt sind. Eine sich später anschließende Ultraschalluntersuchung ergibt, dass das Kind in der Zwischenzeit gestorben ist.

Metaphorisch kann man solch überwältigende Situationen, in denen man sich absolut ohnmächtig und ausgeliefert fühlt, mit dem Bild von der „traumatischen Zange“ ausdrücken, ein Begriff, der von Michaela Huber (Huber, 2003a, S. 38) stammt und sehr plastisch zum Ausdruck bringt, wie ein Trauma entsteht: Im Moment maximaler Bedrohung ist unser Organismus auf Kampf- oder Fluchtreaktion gepolt. Dieses Fight-or-Flight-Konzept geht auf den amerikanischen Forscher Walter Cannon zurück. Er hob erstmals zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Bedeutung des sympathischen Nervensystems bei der Stressreaktion hervor. Als wesentliche Bestandteile des Kampf- und Fluchtverhaltens identifizierte er die Nebennierenmarkshormone Adrenalin und Noradrenalin. Auf der Verhaltensebene sieht das so aus: Wir versuchen, uns instinktiv entweder durch Flucht oder Kampf aus der existenziell bedrohlichen Situation zu retten. Diese beiden reflexhaft über unser Stammhirn gesteuerten und in Millisekunden ablaufenden Reaktionen haben den Sinn, die drohende Traumatisierung noch abzuwenden. Sind beide Reaktionswege jedoch nicht möglich (z. B. weil der Gegner stärker ist oder es keinen Fluchtweg gibt), befinden wir uns in einer Situation der absoluten Ausweglosigkeit (im Bild: „in die Zange genommen“) und es kommt zur Traumatisierung. Man könnte auch von „traumatischer Falle“ sprechen: ein Zustand, in dem man sich nicht wehren und auch nicht fliehen kann.

In Abgrenzung zu einer Belastungssituation, die auch allein durch innere Konflikte bedingt sein kann, wird beim Trauma die Situation der Ohnmacht und Ausweglosigkeit durch ein existenziell bedrohliches reales äußeres Ereignis ausgelöst.

Wenn Flucht und Kampf nicht mehr möglich sind, hat der Organismus nur noch zwei Reaktionsmöglichkeiten, welche automatisch und gleichzeitig ablaufen: die Freeze- und die Fragment-Reaktion (s. u.).

2.2 (Hirn-)Physiologische Reaktionen im traumatischen Geschehen

Die Freeze-Reaktion (freeze = einfrieren), eine Art „Lähmung“, markiert den Übergang von der Bedrohungssituation zum Trauma. War vorher das Verhindern des Traumas das Ziel des Organismus, so ist es jetzt, den Schaden einzugrenzen und das Ereignis zu überleben. Dies geschieht, indem Reaktionen stattfinden, welche dem Organismus die größtmögliche Distanzierung vom Geschehen erlauben. Dies wird durch massive Ausschüttung von schmerzstillenden körpereigenen Opiaten ermöglicht, den sogenannten Endorphinen. Es kommt zu einer inneren Distanzierung bzw. Entfremdung vom Geschehen, zusätzlich verstärkt durch vermehrte Ausschüttung von Noradrenalin aus der Nebennierenrinde.

Neben dem Freeze-Phänomen kommt noch eine zweite Reaktion hinzu: das Fragmentieren bzw. die Zersplitterung (fragment). Das Erleben während des Traumas ist nicht zusammenhängend, sondern in verschiedene Einzelteile bzw. Erlebnissplitter aufgeteilt. Man geht davon aus, dass der Sinn darin besteht, das überwältigende Ganze in Teile zu zerlegen, um es irgendwie aushaltbar zu machen. Das dies überhaupt möglich ist, hat mit der Funktionsweise von Hirnstrukturen in bestimmten Hirnarealen zu tun. Es sind hauptsächlich zwei Strukturen in unserem Gehirn, welche für die Speicherung und Verarbeitung von Stresserlebnissen zur Verfügung stehen:

Die

Amygdala

(Mandelkerne), zwei kleine erbsengroße mandelförmige Gebilde hinter dem Schläfenlappen unseres Gehirns, und

der etwas größere

Hippocampus

(Seepferdchen, wegen seiner seepferdchenähnlichen Form).

Beide sind mit anderen wichtigen Hirnregionen vernetzt.

Der Hippocampus ist das „Archiv“ unseres Gedächtnisses. Hier sind Ereignisse gespeichert, die biografisch erinnert, zeitlich eingeordnet und auch sprachlich ausgedrückt werden können. Er ist vernetzt mit dem Sprachzentrum, dem Thalamus und beiden Großhirnhemisphären.

Die Amygdala könnte man auch als „Feuermelder“ bezeichnen. Hier werden Erlebnisse gespeichert, welche mit sehr hoher emotionaler Erregung verbunden sind. Die unter Maximalstress entstehenden Erlebnisqualitäten werden dabei nur während der maximalen Stressamplitude herausgefiltert, weshalb es Bruchstücke (Fragmente) bleiben.