Rise & Doom 2: Prinz unter dem blutroten Mond - Ina Taus - E-Book

Rise & Doom 2: Prinz unter dem blutroten Mond E-Book

Ina Taus

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Beschreibung

**Eine Liebe, die so verboten wie unsterblich ist…** Rise kommt es vor, als läge ihr Leben als Prinzessin von Red Desert Ewigkeiten zurück. Und das obwohl sie erst seit ein paar Tagen mit Doom unterwegs ist, dem angeblichen Gesandten der von ihr bisher so sehr verabscheuten Vampire. Während sie ihm wo es nur geht Kontra bietet, fühlt sie sich zugleich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Denn es gibt immer wieder Momente, in denen er sie hinter seine sorgsam errichteten Mauern blicken lässt. Aber bald schon muss Rise erkennen, dass Doom eigene Ziele verfolgt: Seine Schwester Bliss wurde nach Northern Land entführt, ins Land der Werwölfe – eine Welt, fest im Griff von Eis und Schnee, über deren Hauptstadt jede Nacht der Blutmond steht…   //Alle Bände der bittersüßen Fantasy-Trilogie bei Impress:   -- Rise & Doom 1: Prinzessin der blutroten Wüste  -- Rise & Doom 2: Prinz unter dem blutroten Mond   -- Rise & Doom 3: Königin des blutroten Throns// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Ina Taus

Rise & Doom 2: Prinz unter dem blutroten Mond

**Eine Liebe, die so verboten wie unsterblich ist …** Rise kommt es vor, als läge ihr Leben als Prinzessin von Red Desert Ewigkeiten zurück. Und das obwohl sie erst seit ein paar Tagen mit Doom unterwegs ist, dem angeblichen Gesandten der von ihr bisher so sehr verabscheuten Vampire. Während sie ihm wo es nur geht Kontra bietet, fühlt sie sich zugleich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Denn es gibt immer wieder Momente, in denen er sie hinter seine sorgsam errichteten Mauern blicken lässt. Aber bald schon muss Rise erkennen, dass Doom eigene Ziele verfolgt: Seine Schwester Bliss wurde nach Northern Land entführt, ins Land der Werwölfe – eine Welt, fest im Griff von Eis und Schnee, über deren Hauptstadt jede Nacht der Blutmond steht …

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Vita

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© privat

Ina Taus wurde 1986 geboren und lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Niederösterreich. Wenn sie nicht gerade als Sachbearbeiterin mit Zahlen jongliert, lässt sie die Buchstaben tanzen und bringt die vielen Ideen, die ihr im Kopf herumschwirren, zu Papier. Bereits als Kind steckte sie ihre Nase am liebsten in Bücher und war eine große Geschichtenerzählerin. Mit »Bandstorys« veröffentlichte sie ihren Debütroman bei Impress.

Für Alex.

Weil du mich immer verstehst.

Und für alle, die weit weg und doch ganz nah sind.

Prolog

Die Hexe wurde wie magisch von der Weltkarte in ihren Gemächern angezogen. Immer häufiger stand sie davor und versuchte zu verstehen, wann sie hätte eingreifen müssen.

Sie hatte den Erdenbewohnern lange genug dabei zugesehen, wie sie sich voneinander entfernten, wie die Kluft zwischen den Kontinenten immer größer wurde, die Feindschaft immer tiefer, obwohl nur die wenigsten noch wussten, dass zwei Liebende den Großteil der Schuld an der Fehde zweier Völker trugen.

Vampire und Werwölfe waren seit knapp einem Jahrhundert keine Verbündeten mehr. Auch die klitzekleine Eiszeit, die die Hexe über große Teile Nordamerikas hatte hereinbrechen lassen, brachte den König der Werwölfe nicht dazu einzulenken, obwohl er einen Krieg einer seiner Vorfahren weiterführte.

Als Mahnmal für seine Uneinsichtigkeit ließ die Hexe seit einem Jahr den Mond blutrot am Firmament erstrahlen, der den Wölfen zusetzte, sie nervös machte und den König langsam dazu brachte, den Forderungen der Hexe nachzukommen.

Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, Belustigung zeichnete sich darauf ab. Belustigung darüber, dass eine Eiszeit den starken Willen der Werwölfe nicht brechen konnte, man jedoch nur den Mond, den sie anbeteten, rot färben musste, damit sie sich ihrem Willem beugten.

Nur schweren Herzens konnte sie sich aus ihren Gemächern, und somit auch von der Weltkarte, entfernen. Sie wandelte durch ihr Schloss, das vielmehr einem prächtigen Garten glich, bis sie ihr Ziel erreichte.

Sie trat hinaus in die feuchte Luft, sah über die Balustrade hinweg zunächst in den Himmel, dann auf das Meer.

Bald würden sich die Mitglieder dreier Königshäuser in diesem Gebäude befinden. Langsam nahm der Plan der Hexe Formen an und ihr schien, als wären die zwei Dekaden seit dem Entschluss, das Schicksal der Erde in ihre Hände zu legen, wie Wimpernschläge an ihr vorbeigezogen.

Mit geschlossenen Augen lauschte sie den Schicksalen ihrer Auserwählten. Zwei Flammen, so schien es, würden erlöschen, doch jeder Krieg, auch wenn er hinter den Kulissen tobte, verlangte nach Opfern.

Kapitel 1

Doom

Von Minute zu Minute werde ich ruhiger. Nicht nur weil die lauten Schreie und die Schritte verstummt sind, sondern weil es mir gefällt, wie Rise sich in meinen Armen anfühlt. Es gibt mir eine Art inneren Frie… Gott, der Gedanke bringt mich dazu, Rise auf der Stelle loszulassen. Ich mache sogar einen Schritt von ihr weg, stopfe die Hände in meine Hosentaschen und sehe mich unbehaglich in der zweckmäßig eingerichteten Kajüte um. Außer einer Menge Stahl, einer kleinen Schlafstätte und einem Schrank gibt es nicht viel zu sehen. Nur nicht wieder zu Rise sehen …

Besser, ich konzentriere mich wieder auf … Morgan. Genau! Mein bester Freund, der immer noch regungslos auf dem Bett liegt, braucht mich jetzt dringender als Rise.

»Zeit aufzuwachen, Dornröschen«, murmle ich leise und gehe auf ihn zu. Mir fällt auf, dass seine Lippen wieder mehr Farbe bekommen haben. Das Blut hilft ihm sich zu regenerieren. Ich lehne mich etwas über ihn, um die Wunde besser betrachten zu können. Sieht so aus, als hätte sie bereits zu heilen begonnen, denn sie wirkt leicht verkrustet und es sickert kein Blut mehr.

Morgans Hand schnellt vor, so ruckartig, dass ich nicht ausweichen kann, und legt sich um meinen Hals. Schmerzhaft fest drückt er zu. Ihm geht es tatsächlich besser, so viel Kraft, wie er anwendet.

Ja, Mann. Freut mich auch dich zu sehen. Zumindest würde ich das sagen, wenn ich mehr als nur röcheln könnte.

Ich stemme meine Hände gegen seine Brust, in der Hoffnung zu entkommen, ohne ihm einen Kinnhaken verpassen zu müssen. Nachdem er gerade ohnmächtig war, würde ich mich mies fühlen ihm als Draufgabe auch noch eine reinzuhauen. Immerhin war er noch vor wenigen Minuten so gut wie tot. Meine Sicht verschwimmt leicht und ich ringe vergeblich nach Atem. Aus weiter Ferne höre ich Rise schreien: »Lass ihn los!« Wo war sie die letzten paar Minuten? Musste sie erst abwägen, ob sie mir zu Hilfe kommt oder ob sie mich doch lieber tot sehen will? Ich könnte es ihr nicht einmal verdenken. Fast beschwörend spricht sie auf Morgan ein. »Du willst ihn doch nicht erwürgen, nachdem er dir das Leben gerettet hat!«

Eigentlich habe ich nicht wirklich etwas getan, außer ihm mein Handgelenk hinzuhalten, aber wenn Rise darauf besteht, spiele ich gerne den Helden, der Morgan das Leben gerettet hat. Auch wenn ich weiß, dass ich eigentlich das genaue Gegenteil des edlen Prinzen in glänzender Rüstung bin. Arschloch in Lederjacke trifft es wohl eher.

Rise rüttelt an Morgans Armen. Ich habe nicht einmal bemerkt, dass sie näher gekommen ist. Gut, ich bin auch damit beschäftigt, nicht zu ersticken. Wobei, wenn Morgan wirklich fest zudrücken würde, dann wäre ich jetzt vermutlich bereits bewusstlos. Oder tot. Es ist also eher so etwas wie ein liebevolles Würgen unter alten Freunden.

Gerade noch rechtzeitig lässt er los und ich knalle auf seine Brust. Hektisch sauge ich Luft in meine Lunge, während Morgan ein lautes Zischen ausstößt. Vermutlich ist es nicht gerade angenehm, dass ich auf seine Schusswunde falle, aber es ist auch nicht gerade toll, gewürgt zu werden.

Schwerfällig rapple ich mich hoch und lehne mich schwer atmend gegen die Wand. Meine Hand wandert tastend an meinen Hals und ich starre Morgan vorwurfsvoll an.

Auch er setzt sich auf, hat dabei das Gesicht leicht verzogen und fährt sich unbeholfen mit seiner Hand durch die Haare.

Entschuldigend zuckt er mit den Schultern. »Tut mir leid, Mann.« Die Finger wandern ein weiteres Mal in seine roten Haare. »Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass man mir eine Kugel verpasst hat. Ich war in Alarmbereitschaft.« Er klingt dabei nicht besonders reumütig.

»Schon gut«, winke ich ab. »Ist nicht das erste Mal, dass mich jemand erwürgen will.«

Ich höre Rise laut schnauben, während sie meine Worte abfällig wiederholt.

Morgan runzelt die Stirn und wirft Rise einen Blick zu. Danach sieht er deutlich irritiert zurück zu mir: »Wer ist das?« Ah ja, die beiden kennen sich noch gar nicht.

Ich stehe auf. Rise, die mit verschränkten Armen vor dem Bett steht, sieht mich abwartend an.

In einer vertraulichen Geste lege ich ihr den rechten Arm um die Schulter. »Das ist die Prinzessin von Red Desert«, stelle ich sie vor. »Ihr Name ist Rise.«

Sofort macht sie einen Schritt nach vorne und streckt Morgan höflich die Hand hin. Bestimmt erwartet sie einen dieser gehauchten Luftküsse darauf.

Durch den Umgang mit Bliss und mir ist Morgan wohl etwas verwöhnt, denn ich würde jetzt nicht behaupten, dass wir uns besonders an das höfische Protokoll halten. Vor allem da außerhalb der Schlossmauern niemand weiß, dass wir die Kinder des Königspaares sind. Nicht nur Rise’ Vater hat Angst, dass die Nachfahren entführt werden könnten. Auch meinen Eltern geht es so. Und wenn ich so darüber nachdenke, scheinen auch die Werwölfe, Dämonen und die Hexen die Identität ihrer Königskinder stärker zu bewachen als die Kronjuwelen.

Morgan greift nach der Hand von Rise und schüttelt sie unbeholfen. Sie runzelt die Stirn, was ich ihr nicht verdenken kann. Aber da kann sie bei meinem besten Freund lange warten, dass er ihre Hand küsst. Er hat nicht viel mit Frauen am Hut. Anders kann ich mir nicht erklären, dass er immer noch keine Freundin hat. Andererseits … habe ich auch keine, bin aber ja irgendwie, so ein klein wenig, mit Rise verlobt. Theoretisch. Langsam ist der Punkt erreicht, an dem ich ihr wirklich sagen muss, dass ich ihr Zukünftiger bin.

»Morgan«, brummt mein Kumpel, der immer noch die ihm dargebotene Hand schüttelt. »Aber das weißt du bestimmt schon.« Das stimmt allerdings.

Mein bester Freund schwingt die Beine aus dem Bett, kommt aber nicht dazu aufzustehen, da Rise sofort einen Schritt nach vorne macht. »Meinst du wirklich, du schafft es ohne Hilfe auf?«

Morgan sieht sie an, als wäre sie verrückt. »Ja. Ich bin kein Invalide.«

Rise wirft mir Hilfe suchend einen Blick zu und ich fühle mich genötigt zu sagen: »Alter, du hast einen Durchschuss. Und es war eine Silberkugel.« Vorwurfsvoll füge ich hinzu: »Ich dachte, du stirbst.«

Morgan reibt sich über das Gesicht. »So schnell sterbe ich schon nicht.« Er richtet sich auf, wirkt aber etwas wackelig auf den Beinen. Ich weiß, dass er nicht wollen würde, dass ich ihn stütze, doch ich bewege mich unauffällig in seine Richtung, damit ich ihn jederzeit auffangen kann, sollte er sich überschätzen.

Schwerfällig geht er in Richtung der Tür und presst sein Ohr darauf. »Ich höre nichts«, sagt er an uns gewandt.

Ich lege meinen Kopf schief. »Das geht schon eine ganze Weile so.«

»Und wieso sind wir dann noch hier drinnen und nicht da draußen?«

Gute Frage. Vielleicht weil ich damit beschäftigt war, Rise in meinen Armen zu halten?

»Du warst ohnmächtig, falls du es nicht bemerkt hast«, blaffe ich Morgan an und vermeide es, ihm in die Augen zu sehen. Ich verkneife mir auch einen Seitenblick auf Rise.

Mein Kumpel verdreht seine Augen. »Jetzt bin ich aber wieder voll einsatzfähig. Wie lange war ich überhaupt ohnmächtig?«

Rise stellt sich dicht neben mich und ich weiß nicht, ob ich es mir nur einbilde, aber ich habe das Gefühl, als würden ihre Fingerspitzen meine berühren. Das bringt mich so durcheinander, dass ich vergesse Morgan zu antworten. Zum Glück springt Rise für mich ein. »Also, nachdem ihr beide hereingekommen seid, ungefähr eine halbe Stunde. Vielleicht ein bisschen länger.«

Morgan verschränkt die Arme vor der Brust. »Und wie lange herrscht da draußen bereits Ruhe?«

Wieder ist es Rise, die antwortet. »Zehn Minuten vielleicht?« Fragend blickt sie zu mir hoch und ganz ehrlich: Ich kann darauf keine Antwort geben, denn ich habe jegliches Zeitgefühl verloren.

»Kommt hin«, murmle ich und muss mich dazu zwingen, den Blickkontakt zwischen Rise und mir abzubrechen und stattdessen lässig auf Morgan zuzuschlendern. »Und jetzt sollten wir uns auf den Weg an Deck machen, um nachzusehen, was passiert ist.«

Morgan legt seine Hand auf meine Schulter und stoppt mich. »Ist Calean gemeinsam mit Bliss dort?« Seine Stimme klingt leicht beunruhigt.

Das kann ich von mir nicht behaupten, denn meine Stimme überschlägt sich fast, als ich keuche: »Bliss!« Fuck, fuck, fuck, fuck. »Wir haben Bliss vergessen.«

Morgan sieht aus, als würde er mich gerne töten. »Sprich nur für dich selbst.« Er hat die Zähne fest aufeinandergebissen.

Ich drehe meinen Kopf zu Rise und lasse meinen Blick von den braunen Haaren weiter zu ihrem Gesicht, über ihren Körper bis zu den Füßen gleiten. Was hat sie nur an sich, dass alles andere unwichtig wird, wenn ich in ihrer Nähe bin? Das ist doch nicht normal. Irgendetwas stimmt ganz und gar nicht mehr mit mir. Oder mit ihr.

Egal was es ist, ich werde es herausfinden.

Später.

Mit meiner Schulter gebe ich Morgan einen leichten Stoß gegen seinen Oberarm, damit er Platz macht.

Ich drehe den Schlüssel im Schloss und stürme aus dem Raum. Eigentlich sollte ich vorsichtiger sein, doch dieses Zimmer tut mir nicht gut. Immer wenn ich dort drinnen bin, werde ich plötzlich so … nett? Nein, das ist definitiv nicht das richtige Wort.

Wütend auf mich selbst laufe ich den Weg zu dem Besprechungsraum entlang, den Morgan und ich vor gar nicht so langer Zeit verlassen haben. Am liebsten würde ich kurz eine Pause machen und meine Fäuste wütend gegen die dicken Stahlwände des Schiffes krachen lassen. Doch in meinem Kopf ist nur noch Platz für einen Gedanken: Bliss. Die Sorge um sie bringt mich fast um, aber auch meine eigene Dummheit. Wir hätten sie niemals allein lassen sollen. Und noch viel weniger hätte ich es zulassen sollen, dass Rise mit ihrer Umarmung meinen Verstand außer Kraft setzt. So etwas darf einfach nicht mehr passieren.

Nach einer Weile taste ich nach der Waffe, die ich irgendwann unachtsam in meine Hosentasche gestopft habe. Ich sehe nach, ob sie gesichert ist.

Ich nicke. Wenigstens etwas. Ich drehe mich nicht um, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass Morgan und Rise mir folgen. Bestimmt will sie nicht in ihrem Zimmer bleiben, solange unklar ist, was hier vor sich gegangen ist. Oder vielleicht noch immer vor sich geht.

Morgan schließt zu mir auf und mit einem resignierten Seufzer strecke ich meine Hand nach Rise aus, die sie auch sofort ergreift. Eigentlich könnte es mir egal sein, ob sie hinter mir herläuft oder eine Kugel in den Kopf bekommt.

Denn das hätte genau meinen Plänen entsprochen, die ich noch vor ein paar Tagen für Rise hatte, aber ja … irgendetwas hat sich geändert, obwohl ich das nicht will.

Wütend und stumm ziehe ich sie hinter mir her, immer weiter in Richtung meiner Schwester. Es wird Zeit, dass wir sie endlich holen und herausfinden, was genau hier schiefläuft. Nicht nur mit mir, sondern auch auf diesem verdammten Schiff.

Wir sind nur noch ein paar Schritte von der Tür entfernt, hinter der Bliss sich befinden sollte, als ich meine Füße in den Boden stemme und wie angewurzelt stehen bleibe. Ganz im Gegensatz zu Morgan, der plötzlich an Tempo zulegt und in Vampirgeschwindigkeit in den Raum stürmt.

Rise rüttelt an meinem Arm. »Doom?«, fragt sie leise. »Was ist los?«

Ich muss einige Male schlucken, bevor ich mir sicher bin, dass meine Stimme nichts von meinen Gefühlen verrät. »Die Tür. Sie ist offen.«

Völlig überfordert schließe ich die Augen und hoffe, dass ich Morgan nicht jede Sekunde laut schreien höre. Ich will meine Schwester nicht tot auf dem Boden liegend vorfinden.

Kapitel 2

Rise

Dooms Atem beschleunigt sich, seine Augen werden immer größer, hören auf mich zu fokussieren, stattdessen starrt er hechelnd auf einen blinden Punkt über meinem Kopf.

Er hat eine Panikattacke. Eindeutig. Mein Bruder hatte das früher ebenfalls oft. Als die zurückgehaltene Wut in ihm einen anderen Weg nach draußen gesucht hat.

Ich lege meine Finger an Dooms Wangen, zwinge ihn mir direkt ins Gesicht zu sehen und sage: »Halt die Luft an.«

Seine Augen werden größer, ich sehe, wie er mit sich kämpft. Versucht meine Worte zu verarbeiten, in der Zwischenzeit aber immer mehr Sauerstoff in seine völlig überlasteten Lungen saugt und dabei nicht richtig ausatmet.

»Sieh mich an«, befehle ich in strengem Tonfall. »Und jetzt halt die Luft an.«

Ich bemerke das Aufflackern von Unverständnis in seinen Augen, wie er mit sich – gegen die Attacke – kämpft und beim nächsten tiefen Atemzug meinen Ratschlag befolgt und einfach alles hinter sich lässt. Ich hätte ihm viel lieber eine Tüte in die Hand gedrückt, damit sich sein Atem wieder reguliert, aber das ist im Moment einfach nicht möglich, also greife ich auf die zweitbeste Madoc-erprobte-Panikattacken-Bewältigungs-Methode zurück. Einfach die Luft anhalten.

Laut zähle ich: »Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn.« Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht. »Sehr gut«, lobe ich ihn. »Jetzt versuchst du ruhig zu atmen.« Ermutigend nicke ich ihm zu. »Du machst das wirklich prima. Zur Sicherheit machen wir das ganze nun noch einmal.« Zur Verdeutlichung meiner Worte tue ich es ihm gleich und halte ebenfalls die Luft an. Dieses Mal strecke ich meine Finger in die Luft und zähle stumm von Zehn abwärts.

Doom ist völlig auf mich fokussiert und auch ich nehme nichts wahr außer seinen Augen, die nun nicht mehr panisch funkeln, sondern wieder ruhiger wirken.

»Geht’s wieder?«, frage ich, atme laut, aber so ruhig wie möglich, damit Doom beginnt sich meinem Atemrhythmus anzupassen. Langsam ein. Langsam aus. Wir wiederholen es, uns immer noch tief in die Augen sehend, bestimmt an die vierzig Mal. Während der Zeit, in der nur unsere Atmung zu hören ist, greift er nach meiner Hand und legt sie an seine Wange. Sofort beginnt es in mir zu kribbeln und nun muss ich aufpassen, damit ich nicht hektisch zu hecheln anfange.

Als ich mir sicher bin, dass Dooms Panikattacke verebbt ist, lobe ich ihn. »Das hast du gut gemacht.«

Als hätte ich einen Bann gebrochen, antwortet er ruppig: »Ich bin kein Hündchen, das ein Kunststück vorgeführt hat.«

Mit einem genervten Augenrollen wischt er meine Finger von seinem Gesicht.

Diese Reaktion kenne ich. Es ist nicht leicht für starke Persönlichkeiten, Hilfe zuzulassen. Während der Attacke war er hilflos, hat einfach gemacht, was ich ihm gesagt habe, doch jetzt will er wieder das Alpha-Tier sein. Mein Bruder und er sind sich ähnlicher, als sie denken. Auch Doom verbirgt sein wahres Ich hinter einer Maske, die er nur selten fallen lässt.

Ein Räuspern von hinten lässt mich einen Blick über meine Schulter werfen.

»Seid ihr fertig?« An Doom gewandt sagt Morgan: »Schlechtester Zeitpunkt, um auszuflippen, ever. Bliss ist weg.«

Innerhalb eines Sekundenbruchteils wandern so viele Emotionen durch Dooms Gesicht, dass es mir schwerfällt, auch nur eine davon zu benennen. Ich will nach seiner Hand greifen, ihm stumm meine Unterstützung anbieten, aber ich bin mir sicher, dass er das im Moment nicht möchte.

Offensichtlich reagiert Doom in den Augen seines Freundes Morgan zu langsam, denn dieser schnauzt ihn an: »Hast du mich gehört? Sie ist nicht da drinnen!«

Es ist eigenartig, ich sehe, wie es in Doom arbeitet, dass er etwas erwidern will, doch er schafft es einfach nicht. Morgan, von dem ich im Gegensatz zu Doom weiß, dass er Bliss’ Freund ist, scheint die Geduld zu verlieren, denn er brüllt: »Verdammt, Doom. Was ist los mit dir? Deine Schwester ist nicht mehr in diesem Raum. Und du stehst da wie angewurzelt.«

Die einzige Reaktion von Doom ist ein Nicken. Ich würde ihn gerne weiterhin hassen, da er mich entführt hat. Da er mich gegen meinen Willen auf diesem Schiff festhält, doch er ist, genauso wie ich, einfach nur ein Mensch, der mit der Situation völlig überfordert ist und einfach nicht mehr weiß, was er tun soll. Ich will nichts schön malen, denn Doom ist alles andere als perfekt – er ist die meiste Zeit über nicht einmal nett –, doch er tut mir gerade richtig leid.

Morgan verschränkt die Arme vor der Brust. »Wir hätten sie nie allein lassen dürfen. Das alles ist unsere Schuld.«

Sofort widerspricht Doom. »Nein, meine.«

Plötzlich sinkt Morgan in sich zusammen, sieht genauso niedergeschlagen aus wie sein bester Freund. Es wirkt, als hätten sie alle Energie, die sie zur Verfügung hatten, aufgebraucht. Ich kann nicht fassen, dass sie hier stehen und sich selbst bemitleiden, anstatt sich sofort auf die Suche nach Bliss zu machen. Mir ist klar, dass sie Bliss allein gelassen haben, um nach mir zu sehen. Und ich will nicht schuld daran sein, wenn ihr etwas passiert. Nicht solange ich mich auf einem Schiff befinde, auf dem ich niemandem vertrauen kann. Nicht einmal Doom. Schon gar nicht Doom. Also verpasse ich ihm einen Faustschlag gegen die Schulter und fauche: »Reiß dich zusammen.«

Danach drehe ich mich zu Morgan um. »Und du auch. Du bist Soldat oder zumindest so etwas in der Art. Also verhalte dich auch so.« Ich sehe von einem zum anderen. »Und wir werden jetzt herausfinden, was hier los ist, bevor wir einfach den Kopf in den Sand stecken.«

Ich dränge mich an Doom vorbei, um mich auf die Suche nach Bliss zu machen, bleibe aber, nachdem ich zwei Schritte gemacht habe, stehen und zeige an die Decke. »Welchen Weg müssen wir nehmen, um nach oben zu kommen?«

Ich drehe mich zu Morgan und Doom um und sehe, dass beide hinter sich deuten. Natürlich bin ich in die falsche Richtung losgestürmt. Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen. »Gut. Dann los.«

Als ich wieder bei Doom vorbeikomme, lege ich eine Hand auf seinen Rücken, um ihn mit leichtem Druck zum Gehen zu animieren.

»Kommt ihr?«, frage ich, nachdem ich schon einige Schritte ins Ungewisse gemacht habe. Ich vertraue darauf, dass sie mir folgen. Mir ist klar, dass beide sich einfach wahnsinnige Sorgen um Bliss machen. Dooms Panikattacke hat mir das ebenso gezeigt wie Morgans Aussetzer. Auch wenn er eine militärische Ausbildung erhält, heißt das nicht, dass er einen kühlen Kopf behält, wenn seine Freundin – oder was auch immer sie für ihn ist – verschwindet.

Es fühlt sich eigenartig an, die Führung zu übernehmen, und es passt auch nicht wirklich zu mir. Gar nicht. Dennoch habe ich in dem Moment, in dem Doom völlig passiv wurde, instinktiv gespürt, dass ich nun stark sein muss. Es war, als hätte sich in diesem Moment einfach ein Schalter in meinem Kopf umgelegt.

Ohne weiter darauf zu achten, was hinter mir passiert, setze ich den Weg durch die beengten Gänge des Schiffes fort, während mir Doom und Morgan folgen. Bei einer schmalen Treppe bleibe ich stehen. »Ist das hier der einzige Weg nach oben?« Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, welchen Weg der kahlköpfige Vampir – Calean – und ich nach unten genommen haben, da ich mehr damit beschäftigt war, ihn loszuwerden, anstatt auf den Weg zu achten.

Als ich den ersten Fuß auf die Treppe setze, spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. In der Annahme, dass es Doom ist, der mich berührt, drehe ich mich um. Allerdings sehe ich nicht ihm, sondern Morgan in die grünen Augen. Wenn man ihn so betrachtet, mit den vereinzelten Sommersprossen auf der Nase und den dunkelroten Haaren, sieht er eigentlich ganz unschuldig aus. Nicht, als wäre er böse, so wie es alle Vampire sein sollen. Doch nachdem ich Doom mit seinen blonden Haaren und den blauen Augen getroffen habe, weiß ich, dass solche Eindrücke täuschen können.

»Was ist los?«, frage ich schärfer als geplant.

Auf seinem Gesicht erscheint ein leichtes Lächeln. »Nichts. Ich dachte nur, dass es vielleicht keine gute Idee ist, die Treppe ohne Plan nach oben zu stürzen. Immerhin führt sie genau an Deck.«

Ich hebe meine Augenbrauen etwas an. »Und? Dort will ich auch hin.«

»Du solltest mich vorgehen lassen. Ich denke, ich habe größere Chancen, einen Kugelhagel zu überleben, als du.« Das sah zuvor in der Kabine noch ganz anders aus. Und da war es nur eine Kugel. Kein Kugelhagel.

Fest beiße ich auf meine Unterlippe, denn der Einwand verunsichert mich. Mit gerunzelter Stirn wende ich mich Doom zu, der seine Hände in die Hosentaschen gestopft hat. Er erwidert meinen Blick und ein Ruck geht durch seinen Körper. »Ich finde auch, dass wir Morgan zuerst gehen lassen sollten.« Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu. »Oder ich gehe vor.« Er will sich an seinem Freund und mir vorbeidrängen, doch weder Morgan noch ich machen einen Schritt zur Seite.

»Ähm, lasst ihr mich bitte durch?«, fragt er für seine Verhältnisse übermäßig höflich. »Immerhin bin ich schuld, dass …«

Sofort unterbreche ich ihn. »Du bist an gar nichts schuld.« Der Blick, den Doom mir zuwirft, ist so intensiv, dass eine Gänsehaut über meinen Körper wandert. Dass es in ihm arbeitet, erkenne ich daran, dass er immer wieder leicht zuckt. Und in seinen Augen sehe ich, dass in seinem Kopf irgendwann ein Schalter umkippt. Als er wieder spricht, klingt seine Stimme ganz anders als zuvor. Härter. Bestimmender. »Was weißt du schon?«

Meine Selbstsicherheit, die ich kurz zuvor verspürt habe, verabschiedet sich innerhalb einer Millisekunde von mir. Vermutlich hat sie bereits ohne mich die Treppe nach oben genommen. Sofort senke ich den Blick auf den Boden und murmle: »Offensichtlich gar nichts.«

Ich wiederstehe dem Instinkt, die Arme vor der Brust zu verschränken, um mich vor Dooms Worten zu schützen. Manchmal denke ich, dass ich verstehe, was in ihm vorgeht. Es gibt Momente, in denen ich das Gefühl habe, dass wir irgendwie auf einer Wellenlänge sind. Ähnlich wie bei einem Funkgerät, doch dann verschiebt sich die Frequenz und ich höre nur noch statisches Rauschen und die Verbindung, die wir zueinander hatten, ist wieder getrennt. Dann steht plötzlich wieder ein Fremder vor mir. Es ist fast so, als hätte Doom zwei Persönlichkeiten. Eine vorgetäuschte. Und eine echte. Die Frage ist nur: Wer ist der wahre Doom? Der Mann, der mich in meinem Zimmer auf den Boden geworfen hat? Derjenige, der mich hat glauben lassen, dass er mich rettet?

Oder ist Doom der nette junge Mann, der mich in den Schlossgarten begleitet hat, nachdem wir uns gemeinsam vor den Nachtwachen im Schloss versteckt haben? Der mich im Arm gehalten hat, nachdem wir Morgan versorgt hatten?

Morgan, der immer noch vor mir steht, seufzt. Ich hebe den Kopf und bekomme gerade noch mit, wie er die Augen verdreht. Danach drückt er mich sanft zur Seite und steigt die Stufen empor. Sofort will ich mich umdrehen, um ihm zu folgen, doch nun ist es Doom, der mich aufhält.

»Ich gehe vor«, befiehlt er mit diesem Kommandoton, den ich nicht leiden kann. Die Sorge um Bliss dürfte sich nun in Tatendrang umgewandelt haben, denn er wirkt nun gar nicht mehr so verloren wie kurz zuvor.

Wieder streckt Doom seine Hand nach mir aus, etwas, womit ich in dieser Situation nicht gerechnet habe, da er kurz davor noch so ruppig mit mir gesprochen hat. Ich ergreife sie und werde zur Belohnung grob die Stiegen nach oben geschleift.

Ein Windstoß wirbelt das weiße Kleid auf, das ich trage, und jagt eine Gänsehaut über meinen gesamten Körper. Während ich über meine nackten Oberarme streiche, um mich zu wärmen, lösen sich alle Gedanken in Luft auf. Aufgrund der Dunkelheit dauert es eine Weile, bis ich das volle Ausmaß der Geschehnisse begreife, doch die gefesselten Besatzungsmitglieder sprechen eine sehr deutliche Sprache. Das Schiff wurde geentert.

In mir macht sich jedoch ein kleines bisschen Erleichterung breit, nachdem ich bemerke, dass die Verantwortlichen bereits weg sind. Doch auch ein Hauch Enttäuschung kämpft sich hartnäckig den Weg an die Oberfläche. Offensichtlich hat es sich um keine Rettungsaktion für mich gehandelt, denn dann wären sie nicht ohne mich gegangen.

Ich drehe mich einmal im Kreis, sehe die geknebelten Männer und Frauen entlang der Reling sitzen. Sehe Verletzungen. Verzweiflung. Und trotzdem überkommt mich das Gefühl, in einem Traum gefangen zu sein.

Mir war immer bewusst, dass es auf der Welt andere Wesen – die Verborgenen – gibt. Dass sie wirklich existieren, doch sie waren weit weg, was die Geschichten über sie irgendwie … irreal gemacht hat. Sie waren so etwas wie ein Märchen. Doch nun einen Vampir mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck zu sehen, weil er mit Silber gefesselt wurde, ist echt. Ebenso wie Morgans Verletzung, die innerhalb kurzer Zeit geheilt ist und nun nur noch eine blasse Erinnerung zu sein scheint.

Ich muss der Wahrheit ins Auge sehen. Vampire, Werwölfe, Dämonen, Hexen – es gibt sie wirklich und sie scheinen genauso zu leiden wie Menschen, Gefühle zu haben, sich um ihre Liebsten zu sorgen. Sie sind keine Bestien, die wild um sich schlagen. Sie sind wie wir: menschlich. Vielleicht sogar menschlicher als die Leute in Red Desert.

Völlig erstarrt sehe ich zu, wie Morgan und Doom sich zuerst um Calean kümmern. Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass Doom meine Hand losgelassen hat und ich völlig allein mitten an Deck stehe. Ich mache ein paar Schritte auf die drei Männer zu. Calean reibt sich über seine Unterarme, wo sich die Silberfesseln tief in die Haut gefressen haben.

Es wird heilen. Wie bei Morgan.

Doom und Morgan befreien zwei weitere Männer und geben ihnen den Befehl, die Fesseln der anderen Gefangenen zu lösen. Zaghaft mache ich einen Schritt nach vorne, will nicht völlig allein mitten an Deck stehen. Wie ein Magnet werde ich von Doom angezogen. Gerade als ich bei ihm ankomme, fragt er: »Wo ist Bliss?«

Calean schluckt sichtlich. »Es tut mir leid«, ist alles, was er sagt.

Aus Dooms Körper weicht alle Kraft und ich bin sofort an seiner Seite, um ihn zu stützen. Doch er lässt nicht zu, dass ich ihn berühre.

Ich sehe zu Morgan, der weiß wie ein Laken ist. Seine Stimme klingt heiser und rau, als er fragt: »Was ist mit ihr passiert?«

Calean reibt sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Sie wurde entführt.«

Dooms Kopf ruckt hoch. »Entführt? Sie lebt also noch?«

»Ja, sie lebt«, bestätigt Calean.

Morgan knurrt: »Waren es die Werwölfe?«

Werwölfe …

Es folgt ein kurzes Nicken von Calean. »Aber das ist nicht alles. Phoenix …« Er schüttelt seinen Kopf. »Er ist einer von ihnen.« Wie zu sich selbst sagt er noch: »Ich habe es nicht kommen sehen.«

Neben ihm ist Morgan wie erstarrt. »Und ich habe ihn direkt zu euch geführt.« Seine Stimme hat jegliche Kraft verloren und er schwankt. »Es ist meine Schuld«, flüstert er.

Doom zischt. »Nein, ist es nicht. Es ist niemandes Schuld.« Er klingt unsicher, was ungewohnt ist. Er wirkt fast so, als müsste er nicht nur Morgan und Calean überzeugen, sondern auch sich selbst.

Calean sieht zuerst Doom, dann Morgan fest in die Augen, bevor er sagt: »Wir sollten das nicht hier besprechen.« Zu viele Augen. Zu viele Zuhörer.«

Aufgebracht schreit Doom: »Sie wurde entführt. Ich weiß nicht, was es noch viel zu besprechen gibt, außer dass wir uns so schnell wie möglich auf den Weg machen müssen, um sie zurückzuholen.«

Abwehrend verschränkt Calean die Arme vor der Brust und schüttelt den Kopf. »Nicht ohne die Zustimmung …« Erst jetzt nimmt Calean offensichtlich wahr, dass ich ebenfalls bei ihnen stehe. Zuvor war er nur auf Morgan und Doom fokussiert. »Nicht ohne die Zustimmung des Königs.«

Sowohl Doom als auch Morgan legen jeweils eine Hand auf Caleans Schulter. Dessen Augen weiten sich, doch seine Mundwinkel heben sich spöttisch. Wenn ich er wäre, würde ich mich von der drohenden Geste der beiden ziemlich eingeschüchtert fühlen.

»Nein. Wir verschwenden viel zu viel Zeit«, kommt es von Doom.

Morgan nickt zustimmend.

Mit lauter Stimme sagt Calean: »Solange ich hier das Kommando habe, werdet ihr meinen Befehlen folgen.« Damit ist das Gespräch für ihn wohl beendet, denn er schüttelt die Hände ab und rempelt Doom leicht an, als er sich an ihm vorbeidrängt. Ich vermute stark, dass er sich sofort mit dem König in Verbindung setzen möchte.

Doch Doom hält ihn auf. »Weißt du, warum sie Bliss entführt haben?«

Sofort bleibt Calean stehen. Langsam dreht er sich um. »Sie wollten nicht sie. Haben sie aber als Druckmittel mitgenommen.«

Morgan fragt irritiert nach: »Wie meinst du das?«

»Herrgott noch mal«, flucht Calean. »Sie wollten Rise.« Er deutet mit seiner Hand auf mich. »Und da sie sie nicht bekommen haben, mussten sie sich spontan eine Alternative überlegen. Sie wollen Bliss gegen Rise tauschen.« Calean sieht mich mitleidig an, bevor er meinem Blick ausweicht. Ich nehme an, dass jedem hier auf dem Schiff klar ist, dass sie mich definitiv gegen Bliss tauschen werden. Selbst mir. Allerdings habe ich das Gefühl, vom Regen in die Traufe zu kommen, denn ganz ehrlich: Ist es besser, ein Leben unter Vampiren zu führen oder zwischen einer Horde von Werwölfen? Die Vampire waren zumindest weitestgehend nett zu mir.

Doch ich habe jetzt wirklich genug davon, dass jeder denkt, dass er ohne meine Zustimmung über mein Leben bestimmen kann. Zuerst mein Vater, der mich mit diesem Vampirprinzen verheiraten will, der es nicht einmal für nötig gehalten hat, persönlich mit mir zu sprechen. Dann mein Bruder, der zwar immerhin gute Absichten hatte, mich aber ebenfalls über meinen Kopf hinweg aus dem Land schaffen wollte. Und jetzt diese Meute an Vampiren und Vampirliebhabern.

Dooms Blick ist verschlossen und ich weiß, dass er vermutlich seine eigene Großmutter verkaufen würde, um seine Schwester wieder zurückzubekommen. Auch ein Blick in Morgans Gesicht zeigt mir dieselbe Entschlossenheit. Doch ich werde nicht einfach nicken und mich meinem Schicksal ergeben. Nicht mehr!

Natürlich finde ich Bliss nett und ich bin auch der Meinung, dass wir Freundinnen werden könnten. In einer anderen Welt. Unter anderen Umständen. Oder irgendwann in der Zukunft. Leider bin ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt noch eine Zukunft habe oder einfach nur weiterhin als Spielball zwischen Vampiren, Werwölfen und den Menschen – beziehungsweise meinem Vater – diene.

In meinem Kopf macht es laut klick. Nach einem letzten Blick ins Dooms verschlossene Miene wirble ich herum und laufe von ihm weg. Es wundert mich, dass sich mir niemand in den Weg stellt, doch mir fällt nur eine Erklärung dafür ein: Ich kann nicht von hier weg. Nicht ohne ihre Hilfe. Doch das ist mir im Moment egal, denn ich laufe auf den Bug des Schiffes zu. Da es immer noch ankert, brauche ich keine Angst haben, dass mich der Sog erwischt und ich unter das Schiff gezogen werde. Ich werfe zuerst einen Blick auf das grau-blaue Wasser, danach einen über meine Schulter. Eigentlich nur, um mich zu vergewissern, dass niemand mir gefolgt ist. Enttäuscht stelle ich fest, dass sich ungefähr zwanzig Männer in meiner unmittelbaren Nähe befinden und bereit sind mich anzugreifen. Aber etwas anderes wäre auch nicht zu erwarten gewesen.

Dennoch drohe ich: »Bleibt weg oder ich springe.«

Ich höre ein leises Lachen. Ich habe ihn noch nicht oft lachen gehört, dennoch bin ich mir ziemlich sicher, dass es von Doom stammt. Mein Verdacht bestätigt sich, als sich die Menge teilt und er mit verschränkten Armen vor mir stehen bleibt. Zum ersten Mal frage ich mich, wer zum Teufel Doom eigentlich ist und wieso hier auf dem Schiff alle nach seiner Pfeife tanzen. Vielleicht zu spät.

»Was hast du jetzt vor, Prinzessin?« Er spuckt meinen Titel wie ein Schimpfwort aus. Als er einen Schritt nach vorne macht, klettere ich schnell über die Reling. »Bleib weg oder ich springe.«

Seine Augenbrauen heben sich spöttisch. »Ernsthaft?« Es verunsichert mich, dass er so ruhig bleibt.

»Ja«, piepse ich.

»Und dann? Schwimmst du an Land?« Mit seiner Hand macht er eine ausladende Bewegung. »Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, doch das schaffst du nicht.«

Damit hat er recht, denn ich kann nämlich gar nicht schwimmen. Das sage ich ihm auch genau so.

Mit einschmeichelndem Tonfall säuselt Doom: »Dann tu mir und dir einen Gefallen und komm wieder zurück auf die sichere Seite.« Er streckt seine Hände nach mir aus und macht einen weiteren Schritt auf mich zu. Bestimmt liegen noch drei Meter zwischen uns. »Du willst doch nicht, dass dir etwas passiert.« Nun klingt seine Stimme nicht mehr so nett. Eher wütend.

Ich lehne mich zurück und löse eine Hand vom Geländer. Was genau ich mit meiner dummen Aktion bezwecke, verstehe ich selbst nicht mehr, denn ich weiß, dass ich mich in eine Sackgasse manövriert habe. Allerdings bin ich nicht mehr bereit weiterhin bei Dooms Spielen mitzumachen. Aus diesem Grund lasse ich das Geländer los, während ich gleichzeitig meine Augen schließe.

Das Letzte, was ich höre, ist ein verzerrter Schrei. Ich weiß nicht, ob ich es bin, die schreit, oder jemand anderes. Dann spüre ich einen schmerzhaften Aufprall, der mir sämtliche Luft aus den Lungen presst. Ich reiße meine Augen auf und sehe rund um mich nichts als tosende Schwärze, die mich umschlingt und immer weiter nach unten zieht.

Kapitel 3

Doom

Wie angewurzelt stehe ich da. Als Morgan in Vampirgeschwindigkeit an mir vorbeiläuft und mich dabei mit seiner Schulter streift, schaffe ich es wieder, mich zu bewegen und meine Gedanken auf einen einzigen Satz zu bündeln. Rise ist ins Meer gesprungen.

Noch während Morgan laut »Nein« schreit und fassungslos über das Geländer schaut, setze ich mich in Bewegung und springe wie ein verdammter Rettungsschwimmer mit einem Satz über die Reling. Ohne Boje und Badeshorts, dafür mit einem wütenden Schrei.

Viel zu schnell durchbricht mein Körper die Wasseroberfläche. Ich nehme nicht wahr, ob das Wasser kalt oder warm ist. Fühle mich taub, bis auf die Panik, Rise nicht zu finden.

Ich muss sie retten.

Unter Wasser öffne ich die Augen, versuche etwas zu erkennen. Verdammt, ich hätte sie genauso gut geschlossen halten können, denn rund um mich gibt es nichts als Schwärze und das Salzwasser brennt. Mein Körper will wieder an die Wasseroberfläche, doch alles in mir wehrt sich dagegen. Rise muss irgendwo hier sein. Ich muss sie finden.

Doch die Luft wird knapp. Als ich wieder auftauche, sehe ich immer noch nicht mehr. Vielleicht ein paar Meter. Immer wieder spritzt mir Wasser ins Gesicht, da das Meer offensichtlich beschlossen hat es mir schwer zu machen. Durch die hohen Wellen wird es unmöglich, irgendetwas zu erkennen, außer die Dunkelheit und Wasser.

Keuchend sauge ich Luft in meine Lungen. Ich nehme wahr, dass ein weiterer Körper neben mir ins Wasser schießt, doch schnell wende ich meinen Blick ab. Ich will die Wasseroberfläche nach Rise absuchen. Nichts. Ich sehe nichts. Sie muss unter Wasser sein.

Eine weitere Welle rollt auf mich zu und ich nehme einen tiefen Atemzug, bevor ich wieder untertauche. Sofort wird mir klar, wie sinnlos das war. Blind schwimme ich los, vertraue einfach auf meinen Instinkt, hoffe auf einen Zufall. Die Luft wird knapp, also tauche ich wieder auf. Über Wasser kneife ich meine brennenden Augen zusammen, da mich unerwartet ein Lichtstrahl trifft. Es dauert eine Weile, bis keine Punkte mehr vor meinen Augen tanzen, doch ich höre Stimmen. Schreie hallen durch die Dunkelheit, aber es fällt mir schwer zu verstehen, was sie rufen.

Ich kraule ein paar Meter, sehe mich um. Versuche herauszufinden, ob jemand Rise erwischt hat, als eine Bewegung meine Aufmerksamkeit erregt. Ein paar Meter von mir entfernt wird ein Boot zu Wasser gelassen, das einen Suchscheinwerfer auf das Meer richtet. Hoffentlich kann ich dadurch auch unter Wasser mehr erkennen.

Langsam sickert jedoch die Erkenntnis in meinen Kopf, dass Rise bereits viel zu lang unter Wasser ist, um das ganze unbeschadet zu überstehen. Das drückende Gefühl in meiner Brust macht es mir nicht leicht, mich zu konzentrieren.

Verdammt, ich will nicht, dass Rise stirbt!

»Dort drüben!«, höre ich. Eine Welle schwappt über mich und drückt mich unter Wasser. So schnell wie möglich kämpfe ich mich zurück an die Oberfläche, versuche herauszufinden, wo dort drüben ist.

Ein Besatzungsmitglied zeigt mit ausgestreckter Hand direkt in meine Richtung. Oder eher über meinen Kopf hinweg. Sofort drehe ich mich um und schwimme los. Keine zehn Meter von mir entfernt rudert Rise wild mit den Armen, kämpft sich immer wieder an die Oberfläche und verschwindet genauso schnell wieder unter Wasser.

So schnell ich kann, schwimme ich auf Rise zu, in der Hoffnung, dass sich die anderen dicht hinter mir befinden und mir dabei helfen werden, sie zu retten.

Kurz bevor ich Rise erreiche, geht ihr die Kraft aus und sie sinkt. Sofort tauche ich unter und schnappe nach ihrer Hand. Sie hat die Augen geschlossen und zappelt wild herum, sodass mir ihre Hand beinahe entgleitet. Mit einem Ruck ziehe ich sie an meine Brust und lege meinen Unterarm fest um ihre Taille. Ich spüre, dass sie sich fest an mich klammert, und versuche uns beide wieder an die Oberfläche zu bringen.

Sie zappelt immer noch panisch herum, nachdem wir wieder über Wasser sind. »Beruhig dich«, fahre ich sie an. »Ich hab dich.«

Sie hustet, spuckt Wasser, klammert sich jedoch an mir fest.

Ich weiß nicht, ob es Tränen sind oder einfach Meerwasser, das über ihre Wangen läuft, als sie bettelt: »Bitte, bitte, bleib bei mir.«

Ich bin nicht gut darin, andere zu trösten. Schon gar nicht, wenn sie sich selbst durch dumme Aktionen in Lebensgefahr bringen. Trotzdem murmle ich: »Alles wird gut, Rise.« Es ist schwer, nicht unterzugehen, vor allem da ich das Gefühl habe, dass der Seegang von Sekunde zu Sekunde stärker wird. Vielleicht verlässt mich aber auch einfach nur die Kraft.

Die nächste Welle rollt auf uns zu und ich schaffe es nicht, uns über Wasser zu halten. Wir sind nur wenige Sekunden unter der Oberfläche, doch als Rise wieder Luft bekommt, schluchzt sie erneut: »L-l-lass mich nicht los. Ich k-k-kann nicht schwimmen. B-b-bitte lass mich nicht los.«

Mein Körper versteift sich sofort, als mein Gehirn die gewimmerten Worte verarbeitet hat. Ich beschränke mich darauf, die Zähne fest zusammenzubeißen, denn ich bin gerade kurz davor, Rise eigenhändig zu ertränken. Dieses Mädchen bringt mich irgendwann noch um den Verstand. Zu ihrem Glück trifft das Boot gerade bei uns ein und Morgan und ein weiterer Soldat ziehen zuerst Rise ins Boot, bevor sie mir hineinhelfen.

Sofort wickeln unsere Männer Rise in eine Decke, während sie immer wieder hustet. Auch mir legt man eine Decke über die Schultern, was ich fast nicht mitbekommen hätte, da ich Rise wütend anstarre.

Mein Atem beschleunigt sich, geht immer schneller, bis ich es nicht mehr aushalte und laut schreie: »Wieso hast du das gemacht? Was zur Hölle hast du dir dabei eigentlich gedacht?« Fest trete ich mit dem Fuß gegen das Holzbrett, auf dem Rise sitzt, und sie schreckt zusammen. Würde ihr recht geschehen, wenn sie aus dieser kleinen Nussschale fällt, die sich bei dem Wellengang kaum über Wasser halten kann.

Leise wimmert sie: »Es tut mir leid.«

»Was?«, blaffe ich sie an. Ich weiß, dass mich so ziemlich jeder auf diesem Boot ansieht, doch das ist mir scheißegal. »Was verdammt noch mal tut dir leid?«

Rise verschränkt ihre Arme vor der Brust und schiebt die Unterlippe vor. Dann verändern sich ihre Züge und sie holt tief Luft. »Weißt du was?«, brüllt sie plötzlich zurück. »Mir tut es nicht leid. Es kotzt mich an, dass ich dein verdammter Spielball bin. Du hast mich entführt. Entführt! Zuerst willst du mich nach Red Ancient bringen und jetzt willst du mich gegen deine Schwester eintauschen. Und dabei interessiert es niemanden, was ich will.«

Damit hat sie leider recht. Trotzdem schnaube ich verächtlich. »Richtig! Es ist uns allen egal, was aus dir wird.« Mit meiner Hand mache ich eine ausladende Geste, um alle auf diesem beschissenen Boot mit einzuschließen, falls sie den Sarkasmus nicht aus meiner Stimme herausgehört hat.

Darauf weiß sie nichts zu sagen. Ich verdrehe meine Augen, als ich bemerke, dass ihre Oberlippe zu beben beginnt. Danach wende ich den Blick von ihr ab. Ich kann sie einfach nicht mehr ansehen. Ich weiß, dass ihr Sprung vom Schiff eine verdammte Kurzschlussreaktion war. Rise ist offensichtlich an einem Punkt angelangt, an dem sie nicht mehr weiterweiß.

Und ich auch. Meine Schwester wurde entführt, verflucht noch mal! Auch ich habe ein Mädchen entführt. Gut, man hätte sie mir auch freiwillig übergeben, aber ich musste unbedingt eine Kamikazeaktion daraus machen. Wäre ich auf dem Schiff geblieben und hätte darauf gewartet, dass man Rise zu mir bringt, hätten Calean, Morgan und die anderen keine Rettungsaktion für mich in die Wege geleitet, obwohl ich nicht gerettet werden musste. Dann wäre Morgan nicht zurückgeblieben und vor allem hätten sie nicht diesen Phoenix getroffen, der Bliss entführt hat.

Egal wie ich es also drehe und wende: Ich, ganz allein ich bin an unserer Situation schuld. Und ich fürchte mich davor, was mein Vater und meine Mutter zu dieser Scheiße sagen werden.

Ein Ruck geht durch das Boot, als es an die Leine genommen und nach oben gehievt wird. Ich vermeide es immer, noch Rise anzusehen.

Morgan lässt sich, ebenfalls in Decken gewickelt, neben mich sinken. Ich habe ihn, genauso wie die anderen Männer in dem kleinen Beiboot, ignoriert. Es wundert mich, dass überhaupt noch jemand mit mir spricht. Ich sehe meinem besten Freund ins Gesicht, doch seine Miene ist stur auf Rise gerichtet. Er sieht so aus, als er würde er sie gerne erwürgen.

Gerade als ich mit ihm sprechen will, fährt er Rise an: »Weißt du, dass wir wegen deines kleinen Badeausflugs wertvolle Zeit vergeudet haben, die wir besser für die Suche nach Bliss genutzt hätten?«

Das Boot wird immer noch auf das Schiff gezogen, wobei es ziemlich schaukelt. Rise krallt ihre Finger ins Holz und ich erkenne ihre Anspannung. Für Morgan hat sie keine Antwort übrig.

Sofort blafft er weiter: »Hast du verlernt zu sprechen?«

Sie schüttelt ihren Kopf. »Ich wüsste nicht, was ich darauf sagen soll«, kommt es zittrig von ihr. »Denn egal was aus meinem Mund kommt: Du wirst es falsch auffassen. Genauso wie ihr mir die Schuld an der ganzen Situation gebt, obwohl ich der Mensch bin, der am wenigsten dafür kann.« Rise’ Stimme verliert von Wort zu Wort an Intensität. Die letzten Worte kommen ihr nur noch leise über die Lippen.

Da sie mir irgendwie leidtut, sage ich: »Es ist nicht deine Schuld, okay?« Morgan sieht mich an, als hätte ich ihn verraten, und sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Genau in diesem Moment rastet der Seilzug ein, da wir uns nur noch einen halben Meter vom Deck entfernt befinden. Erleichtert springe ich auf. Besser, ich verschwinde so schnell wie möglich, um nicht noch mehr Blödsinn von mir zu geben.

Ich zeige auf Rise. »Morgan, bring sie in ihr …« Mitten im Satz breche ich ab. Keine gute Idee, Rise mit Morgan loszuschicken, solange er ihr die Schuld am Verschwinden von Bliss gibt.

Leise seufze ich auf. »Vergiss es. Such Calean und sorg dafür, dass eine sichere Verbindung zu meinen Eltern aufgebaut wird. Ich muss mit ihnen reden!«

Ich klettere an Bord, strecke, sobald ich oben bin, Rise meine Hand entgegen, um ihr zu helfen. Sie ignoriert sie. Natürlich. »Los«, befehle ich ruppig. »Du gehst zurück in deine Kajüte.«

Rise schlingt sich ihre Decke fester um die Schultern und nickt kurz, bevor sie wortlos an mir vorbeimarschiert. An Morgan gewandt sage ich: »Steh nicht herum. Du weißt, was du zu tun hast.«

Er schnaubt und rempelt mich mit der Schulter an, als er an mir vorbeigeht. Ich weiß, dass ich mit ihm reden muss. Wegen Bliss und darüber, was ihr Verschwinden für uns bedeutet. Sie ist für ihn ebenfalls wie eine kleine Schwester. Wir drei kennen uns bereits unser ganzes Leben und –

Verdammt, Rise verschwindet bereits nach unten. Schnell laufe ich hinter ihr her. Sie denkt doch wohl nicht ernsthaft, dass ich sie nach der dummen Aktion ohne Aufsicht auf dem Schiff herumlaufen lasse.

»Denkst du ernsthaft, dass du noch irgendwo allein hingehen darfst?«, frage ich sie, als ich sie auf der letzten Treppenstufe eingeholt habe.

Sie bleibt stehen und dreht sich zu mir um. »Weißt du, ehrlich gesagt blicke ich bei dir nicht ganz durch. Im einen Moment bist du verständnisvoll, freundlich und ja, manchmal sogar richtig nett. Und kurz darauf machst du wieder zu. Und ich habe keine Idee warum.«

Ich lehne mich an die Wand ihr gegenüber. »Hör mal, ich habe gerade erfahren, dass meine Schwester entführt wurde. Und keine zehn Sekunden später wirfst du dich vom Schiff. Tut mir leid, dass ich da nicht besonders verständnisvoll, freundlich oder gar nett bin.« Mir gehen andere Sachen im Kopf herum, zum Beispiel wie ich Bliss zurückbringe, ohne dass ich Rise dafür den Werwölfen übergeben muss.

Rise kommt auf mich zu und greift nach meiner Hand.

Ich lasse meinen Kopf nach unten sinken und sehe an die Stelle, an der sie mich berührt.

»Ihr werdet mich gegen Bliss eintauschen, oder?«

Es gibt nur eine ehrliche Antwort, die ich ihr darauf geben kann. »Vermutlich.« Ich entziehe ihr meine Hand, denn die Berührung fühlt sich falsch an. »Tut mir leid.« Ich weiß nicht viel, aber ich weiß, dass die Werwölfe hier waren, um Rise zu holen, doch stattdessen haben sie Bliss mitgenommen. Deshalb ist die einzige logische Konsequenz, einen Gefangenenaustausch zu machen.

»Und was passiert in der Zwischenzeit mit mir?«, möchte sie wissen.

»Ich werde dich einsperren, damit du keinen weiteren Selbstmordversuch unternimmst.« Sie lässt mir auch gar keine andere Wahl.

»Gut.«

»Gut?«, frage ich irritiert nach.

»Was soll ich denn sonst machen? Dir den Kopf einschlagen, an Deck laufen, das Boot ins Wasser lassen und hoffen schnell genug verschwinden zu können?«

Ich lege den Kopf schief. »Klingt zumindest nach einem Plan«, gebe ich lächelnd zu. Ich stoße mich von der Wand ab und greife nach Rise’ Arm, um sie zu ihrer Kajüte zu bringen. Zu meiner grenzenlosen Verwunderung schüttelt sie mich nicht einmal ab. »Meinst du?«

»Definitiv.« Ich räuspere mich kurz. »Ich verrate dir was.«

Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie sie mich ansieht. »Wenn das mit Bliss nicht passiert wäre, würde ich dir sogar helfen abzuhauen.« Erst als ich die Worte ausspreche, wird mir klar, dass sie wahr sind.

»Wirklich?«

Ich habe nicht vorsätzlich darüber nachgedacht, aber mir ist klar, dass ich Rise nicht mehr töten könnte. Und obwohl ich sie mag, möchte ich mir immer noch nicht diktieren lassen, mit wem ich zusammen sein soll, also gibt es nur eine Antwort. »Ja.«

Ich bin froh, dass sie nichts mehr sagt, bis wir ihren Schlafplatz erreichen. Vor der Tür bleibe ich stehen. »Geh rein und nimm eine Dusche, damit du dich wieder aufwärmen kannst.« Ich muss auch erst die nassen Klamotten loswerden, bevor ich Pläne für Bliss’ Rettung schmiede.

Sie beißt sich auf die Unterlippe und zögert. Sieht so aus, als hätte sie noch etwas auf dem Herzen. »Doom?« Sie sieht mich von unten herauf an und mein Herzschlag beschleunigt sich. Ich hasse es, dass sie diese Wirkung auf mich hat.

Ich krächze. »Ja?« Wenn sie mich auf meinen neu einsetzenden Stimmbruch anspricht, schiebe ich es auf das ungeplante Bad im Meer.

»Sperrst du mich jetzt wieder ein?« Ich habe mit allem gerechnet, nur nicht damit.

Ich weiß nicht, warum ich die nächsten Worte ausspreche. Vielleicht um Rise vorzugaukeln, dass ich zumindest darüber nachdenke. »Versprichst du mir, dass du da drinnen bleibst und nicht versuchst zu verschwinden?«

Sie macht einen Schritt auf mich zu. »Ja, das tue ich. Ich verspreche dir, dass ich den Raum nicht verlasse, aber bitte, bitte, bitte, sperr mich nicht mehr ein.«

Die Nacht in ihrem Zimmer hat ihr wohl gereicht.

Mit beiden Händen reibe ich mir über mein Gesicht. Mann, es wundert mich, dass das Mädel überhaupt noch mit mir spricht. »Tut mir leid. Ich … kann nicht.« Nicht nur weil sie abhauen könnte, sondern auch weil sich jederzeit jemand Zutritt zu ihrer Kajüte verschaffen könnte. Es liegt also nicht am mangelhaften Vertrauen, dass ich ihre Bitte abschlage.