Robinson in Australien - Amalie Schoppe - E-Book

Robinson in Australien E-Book

Amalie Schoppe

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Beschreibung

Amalie Schoppe's Buch "Robinson in Australien" ist ein faszinierendes Werk, das die Geschichte eines jungen Entdeckers namens Robinson erzählt, der sich in den unerforschten Weiten Australiens verirrt. Der Autor fängt die Schönheit und Wildheit des australischen Outbacks meisterhaft ein und beschreibt Robinsons Kampf ums Überleben auf eindringliche Weise. Schoppes flüssiger Schreibstil und ihre lebhafte Darstellung verleihen dem Buch eine besondere Atmosphäre. Das Werk gehört in die Kategorie der Abenteuerliteratur des 19. Jahrhunderts und hebt sich durch seine realistische Darstellung der australischen Landschaft von anderen Werken seiner Zeit ab. Durch seine packende Handlung und starken Charaktere zieht "Robinson in Australien" den Leser von der ersten bis zur letzten Seite in seinen Bann. Amalie Schoppe, die selbst eine leidenschaftliche Reisende war, schöpft aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz und ihrem Interesse an fremden Kulturen, um Robinsons Abenteuer mit Authentizität und Tiefe zu erzählen. Ihr tiefes Verständnis für die menschliche Natur und ihre Fähigkeit, komplexe Emotionen glaubhaft darzustellen, machen sie zu einer Meisterin des historischen Abenteuerromans. Fans von authentischer Abenteuerliteratur und fesselnden Erzählungen werden von "Robinson in Australien" begeistert sein und das Werk als unvergessliches Leseerlebnis schätzen.

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Amalie Schoppe

Robinson in Australien

Kinderklassiker: Ein Lehr- und Lesebuch für gute Kinder

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-2570-5

Inhaltsverzeichnis

An meine jungen Leser und Leserinnen.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechszehntes Kapitel.
Siebenzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundwanzigstes Kapitel.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.

An meine jungen Leser und Leserinnen.

Inhaltsverzeichnis

Hoffentlich, meine Geliebten, erzeuge ich Euch einen Gefallen mit diesem neuen Robinson; einmal, weil mir fortwährend von vielen lieben Kindern die Versicherung gegeben wird, daß sie meine Jugendschriften gerne lesen; dann aber auch, weil der Titel viel Lockendes für Euch haben wird, indem gewiß Euer junges Herz bei dem Namen Robinson höher schlägt. Ihr werdet also dieses neue Buch Eurer Freundin mit gespannter Erwartung in die Hände nehmen und Euch hoffentlich nicht in derselben getäuscht sehen.

Mein Zweck war, als ich diesen neuen Robinson verfaßte, und in ihm die Schicksale eines zwar armen, aber sinnigen und wackern Knaben mittheilte, Euch zugleich mit einem Welttheile bekannt zu machen, von dem selbst viele gebildete Erwachsene noch wenig wissen: Ihr sollt Australien, den zuletzt entdeckten, nur noch mangelhaft erforschten Welttheil, in seinem Clima, seinem Boden und Pflanzen- und Thierreiche näher kennen lernen; und somit bitte ich Euch, mein Buch nicht bloß zur flüchtigen Unterhaltung, gleichsam um die Zeit, unser Kostbarstes zu tödten, in die Hand zu nehmen, sondern zugleich auch Belehrung, Bereicherung Eures Wissens, daraus zu schöpfen. Daß der Robinson Euch nebenbei auf eine angenehme Weise unterhalten soll, glaube ich Euch versprechen zu dürfen.

Zu dem doppelten Zwecke: zu bilden, zu belehren und Euch frohe Stunden zu bereiten, schrieb ich bisher alle meine Bücher, und da Euch die frühern immer willkommen waren, hoffe ich, wird es auch dieses sein.

Ich grüße Euch sämmtlich mit dem Gruße inniger Liebe. Nicht mehr in dem großen, prächtigen Hamburg, nicht zwischen den Trümmerhaufen dieser mir ewig theuren Stadt, sondern in Jena, dem freundlichen Orte zwischen den Bergen, die das reizende Saalthal rings wie ein Rahmen umfassen, schrieb ich den Robinson für Euch.

Der Geber alles Guten sei mit Euch Allen, meine geliebten Kinder.

Jena, im October 1842.

Eure treugesinnte

Amalia.

Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Viele von Euch, meine geliebten Kinder, werden schon einmal von der großen Handelsstadt Hamburg gehört haben. Sie liegt an einem herrlichen Flusse, der Elbe, die hier schon eine Meile breit und ihrem Einflusse in die nur zwölf Meilen von Hamburg entfernte Nordsee nahe ist.

In dieser großen Welt- und Handelsstadt giebt es viele prächtige Paläste, dagegen aber auch eine Menge enger Gassen und kleiner Häuser; ja, ein Theil der Bevölkerung wohnt sogar unter der Erde in sogenannten Kellern, trüben, feuchten Wohnungen, in die das goldene Tageslicht nur spärlich fällt, weßhalb auch die Bewohner derselben in der Regel bleich und kränklich aussehen. Denn eben die Sonne, welche den duftigen Kelch der Rose färbt, färbt auch die Wangen der Menschen.

In einem dieser Keller wohnte eine arme Wittwe mit ihrem einzigen Kinde, einem Sohne von etwa zwölf bis dreizehn Jahren. Sie hatte, seit dem Tode ihres Mannes, der ein Schiffscapitän gewesen war, einen kleinen Handel angefangen, um sich und ihren William – so hieß der Knabe – nothdürftig zu ernähren. Allein das Geschäft ging seit einiger Zeit schlecht, da sich in einem benachbarten Hause eine ähnliche Handlung, wie die der Wittwe Robinson, etablirt hatte und diese ihr die Nahrung schmälerte. So sah die arme Frau sorgenvollen Tagen und schlaflosen Nächten entgegen, besonders da es bereits gegen den Winter ging, wo der Mensch zu seinem Unterhalte mehr bedarf, als im Sommer.

Die Hülfe Anderer anzusprechen, davor würde sich Frau Robinson geschämt und weit lieber den bittersten Hunger, als das demüthigende Gefühl ertragen haben, von der Gnade anderer Menschen abhängig zu sein. Denn sie hatte einst bessere Tage gesehen und gehörte durch ihre Geburt einer Nation an, die sich in der Regel durch einen edlen Stolz auszeichnet: Der englischen nämlich.

Ihr Vater war, wie ihr verstorbener Mann, ein Schiffscapitain gewesen und zwar ein so erfahrener, geschickter, daß ein bedeutendes Handlungshaus, das Rhederei trieb, ihn von England berief und ihm sein bestes Schiff, die Fortuna, zur Führung anvertraute. Damit segelte dann der Capitain Elliot – so hieß Frau Robinsons Vater – durch alle Meere und führte von allen Welttheilen die kostbarsten Waaren in den Hafen von Hamburg. Er galt nicht nur für einen streng rechtlichen Mann, sondern er war es in der That: denn statt sich selbst zu bereichern, wie so Manche es in seiner Lage gethan haben würden, dachte er nur an den Vortheil seiner Rheder, das will sagen, der Kaufleute, deren Schiff er führte, und so kam es, daß, als er starb, er seiner einzigen, bereits mit einem ihm befreundeten Schiffscapitain verheiratheten Tochter kaum mehr hinterließ, als einen unbefleckten Namen und den Ruf eines durchaus redlichen und geschickten Mannes.

Mit diesem Erbtheile war aber sowohl seine Tochter Anna, als auch deren Mann, der wackere Schiffscapitain Robinson, völlig zufrieden; mit Recht sagten Beide, daß ein guter Leumund das erste und köstlichste aller Güter sei.

Der Ruf von strenger Redlichkeit, den sich Capitain Elliot erworben hatte, kam auch seinem Schwiegersohne Robinson zu Gute; denn kaum hatte Elliot, in Folge einer langwierigen Krankheit, seine Augen geschlossen, so trugen die Rheder der Fortuna seinem Schwiegersohn die Führung des herrlichen Schiffes an. Mit Recht schloß man, daß der ein Biedermann sein müsse, dem Capitain Elliot seinen besten Schatz, die einzige geliebte Tochter, zum Eigenthume gegeben hatte.

So stand also Capitain Robinson nach dem Tode seines Schwiegervaters als Befehlshaber und Führer auf dem Verdeck der Fortuna und zwar unter noch günstigeren Aussichten, als der wackere Elliot: die Rheder hatten ihm einen Antheil an dem Gewinne zugesagt und wenn die Geschäfte nur einigermaßen gingen, so konnte der junge Capitain in einigen Jahren ein wohlhabender Mann sein.

Daß er das werden würde, dazu hatte es den besten Anschein. Er brachte zu einer sehr gelegenen Zeit eine Ladung Gewürze von den molukkischen Inseln bei Asien und der Gewinn war für die Rheder so bedeutend, daß eine Summe von 10,000 Mark, etwa 4000 Thaler preußisch für den thätigen und umsichtigen Robinson abfiel. Dieses Vermögen vermehrte sich noch im Laufe einiger Jahre und man durfte glauben, daß unser Capitain binnen Kurzem ein reicher Mann sein würde.

Wenn ihm diese Aussicht eine erfreuliche war, so war dies mehr um seine liebe Frau und sein einziges Söhnchen William, als weil er den Reichthum an und für sich schätzte. Diesen beiden Geliebten eine angenehme, sorgenlose Existenz verschaffen zu können, der Gedanke war es, der seine Seele mit Freude erfüllte und ihn ohne Murren den größesten Gefahren trotzen ließ.

So hatte Robinson schon fünf bis sechs Reisen mit der Fortuna gemacht und auf jeder derselben bedeutende Vortheile für die Rheder und sich selbst erzielt, als der Vorsteher des Hauses, ein eben so braver als geschickter und vorsichtiger Kaufmann, starb. Zwei Söhne, die zum Kaufmannsstande erzogen worden waren, erbten sein Vermögen und seine weltberühmte Handlung. Allein des Vaters Geist ruhte nicht auf ihnen: sie wollten noch reicher werden, als sie ohnehin schon waren, ließen sich auf große Speculationen ein und, da diese mißglückten, sahen sie sich nach Verlauf einiger Jahre um all ihr Erbgut gebracht. Ihnen blieb fast nichts mehr übrig, als die Fortuna, das seither vom Capitain Robinson geführte Schiff.

Aber auch dieses Besitzthum war im Grunde nur noch ein eingebildetes; denn die Fortuna war durch die Reihe von Jahren, die sie See gehalten hatte, so morsch und schadhaft geworden, daß Capitain Robinson erklärte: es hieße das Leben seiner Matrosen und sein eigenes auf's Spiel setzen, wenn er noch eine Reise damit machte, und aus diesem Grunde verweigerte er es geradehin.

Man kann sich vorstellen, wie ungelegen eine solche Erklärung den beiden jungen Rhedern kam, besonders in diesem Augenblick, wo sie fast ihre letzte Hoffnung auf die Fortuna gesetzt hatten. Sie ließen auch nicht mit Bitten und Vorstellungen nach, bis sie Robinson dahin vermocht hatten, noch eine Reise mit der Fortuna zu machen, nachdem diese nothdürftig ausgebessert worden war.

Es war ein sehr trüber Abend, als der Capitain Abschied von seiner lieben Anna und seinem Söhnchen William nahm, um sich an den Bord der Fortuna zu begeben. Zum ersten Male in seinem Leben empfand er eine Anwandlung von Furcht; zum ersten Male, seitdem er in das Mannesalter getreten, drängte sich ihm eine Thräne zwischen die Wimpern, als er seine Frau und sein Kind umarmte, indem er Abschied von ihnen nahm. Auch sie konnten sich diesmal nicht von ihm losreißen; auch sie hingen laut schluchzend an seinem Halse und bedeckten ihn mit ihren Thränen und Küssen: allen dreien war, als gälte es einen Abschied auf immer.

Aber es mußte doch geschieden sein und früh am andern Morgen, mit Anbruch des Tages, segelte die Fortuna die Elbe hinab. Ein frischer Ostwind schwellte ihre weißen Segel und da sich die Ebbe mit dem günstigen Winde vereinte, erreichte die Fortuna schon nach wenigen Stunden die Nordsee bei Cuxhafen. An diesem Orte nahm Capitain Robinson, wie es gebräuchlich ist, Lootsen an Bord, die ihn durch die gefährlichen Stellen bis in die offene See führen mußten, wo er selbst sein Schiff zu lenken verstand.

Da es unter meinen lieben jungen Lesern und Leserinnen gewiß viele gibt, die nicht wissen, was Lootsen für Leute sind, will ich es ihnen erklären. Man benennt Männer mit diesem Namen, die eine so vollkommene Kenntniß des Fahrwassers haben, daß sie die Tiefen, Klippen und Sandbänke auf das Genaueste kennen. Solcher Hindernisse für die Schifffahrt gibt es nun am meisten an der Mündung der Flüsse, weßhalb man an solchen Orten gewöhnlich Lootsen annimmt, um keinen Schaden zu leiden. Ist man aber über die gefährlichen Stellen hinaus, so besteigen die Lootsen ihr an das große Seeschiff angehängtes kleineres Fahrzeug und kehren in den Hafen zurück.

Das thaten auch die Lootsen der Fortuna. Beim Scheiden händigte Capitain Robinson denselben noch einen Brief an seine liebe Frau mit dem Befehl ein, ihn in Cuxhafen auf die Post zu geben, und er kam der Madame Robinson auch richtig zu Händen. Ach! er sollte das letzte Lebenszeichen sein, das die arme Frau von ihrem geliebten Manne erhielt!

Zwar war die Fortuna noch in dem Hafen von Vera Cruz eingelaufen und hatte daselbst eine Ladung an Bord genommen, mit der Robinson nach Hamburg zurückkehren wollte; allein seit dem Augenblick, wo man die Fortuna von diesem Hafen aus dem Gesichte verlor, wurde nichts weiter von ihr gesehen noch gehört. Aller Wahrscheinlichkeit nach war also das Schiff gesunken, indem es, alt und morsch wie es war, zu viel Wasser geschöpft hatte.

So vergingen sechs Monate, ohne daß Frau Robinson etwas von ihrem lieben Manne, die Rheder etwas von der Fortuna hörten und jetzt fing man an, sich erst leisen, dann immer heftigeren Besorgnissen hinzugeben. Endlich waren neun Monate, dann ein rundes Jahr verstrichen und die Fortuna war noch immer nicht in den Hafen eingelaufen. Da konnte die arme Frau nicht länger an ihrem Unglück zweifeln: ihr geliebter Mann war auf der See geblieben und sie sollte ihn nie wieder sehen!

Ihr Schmerz war grenzenlos und sie brachte Tag und Nacht fast nur mit Weinen zu. Ihr einziger Trost war der kleine William, der ganz das Ebenbild seines guten Vaters und ein schöner, freundlicher Knabe war. Wenn er die Mutter weinen sah, umschlang er ihren Hals mit seinen beiden Aermchen und bat: »Gute Mutter, weine doch nicht! Ich will auch ganz artig sein und Dir und dem lieben Vater keinen Kummer machen!« Wenn er aber das sagte, dann weinte die Mutter noch heftiger und er endlich mit ihr.

In einem alten Sprichwort heißt es: »Ein Unglück kommt selten allein.« Dieser Spruch schien sich auch an Frau Robinson bewähren zu wollen. Ein Jahr war kaum seit dem Verschwinden ihres Gatten dahingeflossen, so erklärten die jungen Kaufleute, denen die Fortuna zugehört hatte, daß sie ihren Gläubigern nicht gerecht werden, das heißt, ihre Schulden nicht bezahlen könnten. Eine solche Erklärung heißt man bancerott machen. Das Wort stammt aus dem Italienischen von Banca rotta – zerbrochenen Bank – her, indem es in Genua Gebrauch war, den Kaufleuten, die nicht bezahlen konnten, zum Schimpfe die Zahlbank zu zerschlagen oder zu zerbrechen.

Einen solchen Bancerott machten nun die jungen Kaufleute und da der Kapitain Robinson ihnen all sein erworbenes Geld anvertraut hatte, ging es mit verloren. Frau Robinson erhielt von dem Vielen, das man ihr schuldete, nur eine sehr geringe Summe ausbezahlt und von dieser war schon nach einem Jahre kein Heller mehr übrig, da die Arme durch den erlittenen großen Kummer in eine schwere Krankheit verfallen war, die ihre letzten Hülfsmittel aufzehrte.

Endlich durch die Hülfe der Aerzte von dieser Krankheit wieder genesen, sah sich die arme Frau aller Hülfsmittel für ihre eigene und ihres Kindes Existenz beraubt. Sie mußte also darauf denken, durch Arbeit ihren Unterhalt zu verdienen und so suchte sie eine ihren Kräften und Fähigkeiten angemessene Beschäftigung. Man kam ihren Wünschen freundlich entgegen und gab ihr feine Wäsche zum Nähen. Sie verrichtete diese Arbeit eine Zeitlang mit großem Fleiße und der ihr eigenthümlichen Pünktlichkeit; allein zu ihrem nicht geringen Erschrecken entdeckte sie, daß ihre Augen nicht mehr recht dienen wollten und sie sie theils durch das viele Weinen, theils durch die feine die Sehkraft allzusehr anstrengende Arbeit gänzlich verdorben hatte. Sie befragte jetzt einen Arzt und dieser erklärte ihr, daß, wenn sie nicht gänzlich erblinden wolle, sie die feine Arbeit ganz aufgeben und eine andere Lebensweise ergreifen müsse.

»Wovon soll ich aber?« rief die arme Frau bei dieser Erklärung im höchsten Grade erschrocken aus, »mich und mein armes Kind in Zukunft ernähren? Sie werden wissen, lieber Herr Doktor,« fügte sie mit einem schweren Seufzer hinzu, »daß ich meinen geliebten Mann und zu gleicher Zeit auch das von ihm erworbene Vermögen verloren habe, folglich durch Arbeiten Brod für mein Kind und mich erwerben muß.«

»Wohl weiß ich das, liebe Madame Robinson,« erwiederte ihr der Arzt, der ein vortrefflicher Mann und ein wahrer Menschenfreund war; »aber ich muß trotz dem bei meinem Ausspruche beharren und Sie dringend ermahnen, für die Folge ihres Lebens allen feinen, die Augen anstrengenden Arbeiten zu entsagen.«

»So würde mir nichts weiter übrig bleiben, als mein Kind an die Hand zu nehmen und von Haus zu Haus betteln zu gehen,« sagte sie, indem ein Strom von Thränen ihr über die bleichen Wangen schoß, »und das Herr Doktor, vermöchte ich nicht. Lieber sterben, als betteln!«

»Kommen Sie morgen um dieselbe Stunde wieder zu mir,« sagte der Arzt nach einem kurzen Nachdenken. »Ich will die Sache mit meiner Frau überlegen; sie ist wohlmeinend und verständig; ich hoffe, sie wird uns irgend einen Ausweg zeigen können, und was an mir liegt, so können Sie auf mich rechnen; so weit es meine Kräfte erlauben, will ich Ihnen beistehen. Ich bin leider noch ein junger Arzt und besitze kein eigenes Vermögen; auch ist meine Praxis noch klein, sonst würde ich gewiß mehr thun, als ich jetzt werde thun können. Sorgen Sie indeß weder für die Bezahlung meiner ärztlichen Bemühungen, noch für die Medicin und wenden Sie die Ihnen von mir verschriebenen Medicamente sorgfältig an.«

Er reichte ihr bei diesen Worten zum Abschiede die Hand und die arme, grambeladene Frau kehrte in ihre bescheidene Wohnung zurück. Am andern Morgen war sie wieder bei ihrem zur Hülfe willigen Freunde. Dieser schien sie schon erwartet zu haben und führte sie zu seiner Frau, die sie zu sich auf den Sopha lud und sie auf das Liebevollste und Zuvorkommendste empfing. Gute und gefühlvolle Menschen sind stets am höflichsten gegen Unglückliche; niedere Seelen dagegen kriechen vor Reichthum, Ansehen und Macht. Wenn ich Personen hart und unhöflich mit Leidenden, in ihrem Vermögen Heruntergekommenen umgehen sehe, dann habe ich gleich keine gute Meinung weder von ihrem Herzen, noch von ihrem Verstande.

»Meine liebe Madame Robinson,« sagte die treffliche Frau, indem sie ihr die Hand reichte, mit jener herzgewinnenden Freundlichkeit, die Leidenden so wohl thut, »mein guter Mann hat mir von Ihnen und Ihrem unverschuldeten Leiden erzählt, indem er mich zugleich aufforderte, Ihnen nach Kräften mit Rath und That zu Hülfe zu kommen. Nach längerem Nachsinnen ist mir ein Ausweg eingefallen. Da drüben,« – sie wies auf ein gegenüberliegendes Häuschen – »wohnte eine Frau, die sich lange Zeit hindurch anständig durch den Verkauf von Südfrüchten und allerlei Eingemachtem ernährte. Es war freilich bei dem kleinen Handel nicht viel übrig; allein er schützte die Frau gegen Mangel und Sorge. Seit wenigen Tagen ist sie gestorben und das Häuschen steht zur Miethe. Wenn Sie wollen, miethen wir es für Sie – der sehr geizige Hauswirth würde es wohl schwerlich ohne eine genügende Bürgschaft an Sie vermiethen – und strecken Ihnen ein Sümmchen zum Ankaufe der nöthigen Artikel vor. Auf diese Weise, so scheint es mir, würden Sie das Nothwendige erwerben können, ohne Ihre armen Augen noch ferner anzustrengen. Was sagen Sie zu diesem Vorschlage?«

Die gute Frau Robinson glaubte die Stimme eines Engels zu hören, als sie diese Worte vernahm. Es fehlte nicht viel, so wäre sie der trefflichen Frau zu Füßen gefallen, um ihr zu danken, wie es ihr Herz ihr gebot; sie hatte kaum Worte, nur Thränen.

»Nicht wahr,« fragte ihre Wohlthäterin gerührt, »nicht wahr, Sie gehen auf meinen Vorschlag ein und mein Mann macht noch heute die Sache mit dem Hauswirthe richtig, damit uns kein Anderer zuvorkomme?«

»O, wenn Sie die Güte haben wollten!« stammelte Frau Robinson, indem sie die Hände der Trefflichen ergriff. Sie wollte mehr sagen, vermochte es aber vor Rührung nicht.

»Die Sache ist so gut wie abgemacht,« entgegnete ihr diese, »und jetzt, ich bitte Sie, beruhigen Sie sich, regen Sie sich nicht zu sehr auf,« fügte sie liebevoll hinzu; »mein Mann behauptet, daß Sie solche Gemüthsbewegungen nicht gut ertragen können, und namentlich Ihren Augen dadurch schaden würden.«

Frau Robinson ging jetzt und schon nach acht Tagen bezog sie mit ihrem lieben William die neue Wohnung und trat ihr neues Geschäft an.

Zweites Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Drei Jahre hindurch verlebte Frau Robinson, wenn auch nicht in Glück und Freude – denn noch immer konnte sie sich nicht über den Verlust ihres Mannes trösten – doch in Friede und ohne allzuschwere Sorge in dem ihr von dem wackern Arzte gemietheten Hause. Das Geschäft war leicht und nicht eben unangenehm und William, der jetzt zwölf Jahre alt geworden war, ging ihr in seinen Musestunden so wacker dabei zur Hand, als wäre er noch einmal so alt gewesen. Er war ein überaus sinniger und verständiger Knabe, der auf Alles Acht gab und schnell diesen und jenen ihm gezeigten Handgriff begriff. In der Schule, die er fast unausgesetzt besuchte – so wollte es seine verständige Mutter – liebten ihn die Lehrer und seine Mitschüler, weil er gegen erstere stets ehrerbietig, gegen die letzteren hülfreich und freundlich war. Man konnte ihn freilich nicht eben einen großen Kopf nennen, und ein Licht der Gelehrsamkeit würde wohl schwerlich, selbst bei dem besten Unterrichte, aus ihm geworden sein; allein er war fleißig, sinnig und ein höchst verständiger Knabe, der zu mechanischen Arbeiten eine große Neigung hatte; auch wollte er, wie er sagte, entweder ein Tischler oder Drechsler werden und die Mutter hatte nichts dagegen, daß er ein Handwerk ergriffe.

Die edle Familie, welche sich der Frau Robinson in der Zeit ihrer Noth so menschenfreundlich angenommen, hatte indeß seit länger denn einem Jahre Hamburg verlassen, indem der junge Arzt einem ehrenvollen Rufe nach Rußland folgte, wo er bei der Armee als Stabsarzt angestellt wurde. Er hatte nämlich das Glück gehabt, einem reisenden, sehr reichen und vornehmen Russen, einem Prinzen, durch seine große Geschicklichkeit und Sorgfalt das Leben zu retten. Als dieser heimgekehrt war, empfahl er dem Kaiser seinen Erretter so dringend, daß man den geschickten Mann unter den glänzendsten Bedingungen nach Rußland berief, wo er in der Folge eben so reich als angesehen wurde.

Durch diesen Zufall hatte Frau Robinson ihre großmüthigen Beschützer verloren, und so glücklich es für diese war, so unglücklich war er für die arme Frau. Kurz nach der Abreise der Beiden fiel es einem Speculanten ein, die kleinen Häuser, wovon Frau Robinson das eine bewohnte, zu kaufen, sie bis auf den Grund niederreißen und an deren Stelle große, prachtvolle Häuser erbauen zu lassen, und da er dem Besitzer der kleinen Wohnungen eine ansehnliche Summe bot, war man des Handels bald einig. Frau Robinson mußte also ihre bisherige Wohnung, in der es ihr so wohl ergangen war, verlassen und sich nach einer andern umsehen. Da sie in der Gegend als eine redliche und zuverlässige Frau bekannt war und fürchten mußte, ihre Kundschaft zu verlieren, wenn sie in einen andern Theil der sehr großen Stadt zöge, sah sie sich in der Nähe ihrer bisherigen Wohnung nach einer andern um. Allein die Häuser waren zum Theil so groß und die Miethe so theuer, daß ihr endlich nichts weiter übrig blieb, als einen eben frei werdenden Keller zu miethen.

Dies war ein enger, trauriger und düsterer Aufenthalt; nur auf wenige Augenblicke fiel ein Sonnenstrahl in das kleine, dumpfe Stübchen und die noch kleinere Schlafstätte entbehrte sogar gänzlich des lieben Tageslichts. Indeß mußte man sich doch noch glücklich schätzen, diese Wohnung um einen mäßigen Preis erstanden zu haben und Williams Umsicht und Liebe wußte sie zu verschönern.

An Sparsamkeit von Jugend auf gewöhnt, hatte er alle seine Schulhefte aufgehoben und beklebte mit dem dadurch gewonnenen Papier die nur mit Kalk beworfenen Wände. Als er damit fertig und alles gehörig getrocknet war, verschaffte er sich Farbe und einen Malerpinsel und strich die Papierwände so eben und gut mit einer hellen Farbe an, daß das Ganze wirklich ein recht freundliches Ansehen gewann. Dann zog er auch vor dem kleinen Fenster des Stübchens eine Menge Blumen, die er sich zu verschaffen gewußt hatte. Da er bei Allen beliebt war, gab ihm bald dieser, bald jener seiner Mitschüler ein hübsches Pflänzchen oder auch nur einen Absenker und er verstand es so zu hegen und zu pflegen, daß es in kurzer Zeit freudig emporwuchs und Stengel, Blüthen und Blumen trieb. So oft er eine Stunde Zeit hatte, beschäftigte er sich mit seinen Blumen, trug sie ins Freie hinaus, begoß und putzte sie und hatte seine herzinnige Freude daran, wenn die Blicke seiner lieben Mutter mit Wohlgefallen darauf ruhten.

An diesem Orte verlebte man so noch ein Jahr und es schien, als ob das Schicksal müde geworden sei, die arme Frau Robinson zu verfolgen. Die alten Kunden blieben ihr getreu und der kleine Handel ging ganz so gut, wie vorher. Da, als man sich dessen nicht versah, miethete einer der ersten Fruchthändler der Stadt, ein Mann, der bereits durch diesen Handel reich geworden war, eins der neu erbauten Häuser und etablirte sich in demselben, indem er einen Gehülfen hineinsetzte. Alle nur erdenklichen Früchte und die Leckereien aller Zonen und Welttheile wurden hinter Spiegelfenstern zur Schau ausgestellt; in krystallenen Gefäßen schwammen Forellen und Goldfische; hier glühten Orangen, Citronen und Apfelsinen; dort dufteten Ananasse, Melonen und Granatäpfel; von den köstlichsten Trauben waren Guirlanden gebildet, Käse standen da in Ananasform; Kastanien, Rosienen, Mandeln u. s. w. bildeten den Hintergrund; kurz, Alles was nur Auge und Gaumen reizen konnte, war da und in der größesten Fülle.

Wie armselig nahm sich dagegen der Keller der Frau Robinson aus! Auch sah Keiner mehr auf denselben nieder, sondern die Blicke aller Vorübergehenden wendeten sich auf das großartige Etablissement in dem schönen Hause; Alles strömte dahin, während der Keller fast gänzlich verödete.

Dies war ein furchtbarer Schlag für die Vielgeprüfte und hätte sie nicht Gott im Herzen gehabt, nicht ihm vertraut, so würde sie diesem neuen Unglücke vielleicht erlegen sein. Sie aber wandte Herz und Auge zum Himmel empor und sagte: »Herr, in Deine Hände lege ich mein Geschick: Du wirst wissen, wozu mir diese neue Prüfung nütz ist und Dein Kind nicht allzusehr prüfen. Dein heiliger Wille geschehe im Himmel, wie auf Erden. Amen!«

Trotz dieses frommen, unerschütterlichen Vertrauens zu ihrem himmlischen Vater trat ihr aber doch eine Thräne in das Auge, wenn sie an die Zukunft ihres lieben Williams dachte. Denn die Zeit war nahe, wo er zu einem Meister in die Lehre gethan werden mußte und dazu war vor allen Dingen Geld erforderlich. Woher aber dieses nehmen, da der Erwerb so schmal geworden, daß man an manchen Tagen sich kaum an trockenem Brode satt essen konnte? Wenn man den Keller hätte verlassen und in einem andern Theile der Stadt eine andere Wohnung miethen können, so wäre vielleicht noch alles gut gegangen; allein das konnte man nicht, da man, in der Furcht, vielleicht von dem Hauswirthe in der Miethe aufgetrieben zu werden, den Keller auf Contract, das heißt, auf mehrere Jahre gemiethet hatte. Man mußte also bleiben, wo man war und seinem völligen Ruin entgegensehen.

So standen die Sachen, als der Fruchthändler, welcher das große Haus gemiethet hatte, zur nicht geringen Verwunderung der Frau Robinson an einem Morgen zu ihr eintrat und sie fragte; ob sie geneigt sei, seinem Geschäfte vorzustehen? wofür er ihr eine billige Vergütung geben, auch die Miethe für den Keller auf sich nehmen wolle.

Zu dieser Anfrage wurde er durch den Umstand veranlaßt, daß er entdeckt hatte, wie der von ihm eingesetzte Gehülfe ihn um bedeutende Summen betrogen. Er mußte ihn also aus dem Dienste jagen und sich nach einer redlichen, auch mit dem Geschäfte vertrauten Person umsehen. Man schlug ihm dazu Frau Robinson vor, deren Charakter man ihm sehr rühmte, und da sie überdieß diese Art von Handel kannte, stand er nicht an, auf sie zu reflectiren.

Ein solcher Vorschlag war nicht zu verachten; allein der hinkende Bote kam nach: Herr Berger – so hieß der große Fruchthändler – forderte von Frau Robinson, daß sie sich schon jetzt von ihrem Sohne trennen und ihn in die Lehre geben solle, obgleich er noch nicht das gehörige Alter und die erforderlichen Körperkräfte erlangt hatte. »Denn,« sagte er, »so ein Bürschchen kann leicht in Verführung gerathen und könnte es mir eben so mit ihm ergehen, wie mit meinem früheren Gehülfen, der mein Geld verthat und mich in großen Verlust brachte.«

Vergebens betheuerte ihm Frau Robinson, daß er dergleichen von ihrem William nicht zu befürchten habe: er blieb bei seiner Meinung und seinen Ansichten und verließ sie mit den Worten:

»Ueberlegen Sie meinen Vorschlag: ich lasse Ihnen bis Morgen Mittag Zeit. Gehen Sie dann nicht auf denselben ein, so muß ich mich nach einer andern Hülfe umsehen.«

»Mutter,« nahm William das Wort, »liebe Mutter, Du solltest den Vorschlag des Herrn Berger nur annehmen, und Dir keine unnöthige Sorge um mich machen.«

»Was redest Du mein Kind?« versetzte die Mutter, »bist Du doch mein Ein und mein Alles, und lebe ich nur noch für Dich!«

»O, ich weiß, welche große Liebe Du mir schenkst,« versetzte William gerührt; »aber ich dächte, daß ich doch vielleicht schon einen Meister fände, der mich zu sich nähme, obschon ich noch nicht das gehörige Alter habe. Ich würde in diesem Falle ein Jahr länger Lehrbursche sein müssen und das wollte ich gerne, wenn ich Dich nur einer so schweren Sorge überhoben sähe. Erlaubst Du mir,« fügte er schmeichelnd hinzu, »erlaubst Du, liebes Mütterchen, mir, zu dem Meister Brandt zu gehen, und ihn zu fragen, ob er mich schon jetzt zu sich nehmen und mich in seinem Handwerke unterrichten wolle? Ich denke, daß er es thun werde, da er gut und freundlich ist und mir versprochen hat, daß er mein Lehrherr werden wolle.«

Die Mutter machte noch einige Einwendungen gegen diesen Vorschlag, dann aber willigte sie, den dringenden Bitten Williams nachgebend, endlich doch ein und der gute Knabe sprang die Gasse hinunter, um sich zum Tischlermeister Brandt zu begeben, der nicht weit von ihnen wohnte.

Er fand den Meister, einen freundlichen und geschickten Mann, in seiner Werkstatt beschäftigt. Als er unsern William eintreten sah, ließ er die fleißige und kunstfertige Hand, die den Hobel führte, einen Augenblick ruhen, um sie ihm zur Bewillkommung entgegen zu strecken.

»Nun,« sagte er, »da bist Du wieder, um zuzusehen? Es gefällt mir an Dir, daß Du schon jetzt eine so große Neigung für Dein künftiges Geschäft hast und in Deinen Mußestunden meiner Arbeit zusiehst. Aus Dir wird, so hoffe ich zu Gott, einmal ein tüchtiger Mann in unserm Fache werden und ich freue mich schon auf die Zeit, wo Du zu mir ins Haus und in die Lehre treten wirst.«

»Lieber Meister,« antwortete ihm William etwas schüchtern, wie man es allemal zu sein pflegt, wenn man eine Bitte vorzutragen hat, von deren Gewährung viel für uns abhängt. »Lieber Meister Brandt, sollte es nicht möglich sein, daß Ihr mich schon jetzt gleich, wo möglich schon Morgen, zu Euch in die Lehre nähmet?«

»Wenn das von mir abhinge,« versetzte der wackere Mann freundlich, »so nähme ich Dich lieber heute als morgen um so mehr, da ich so eben einen Lehrburschen habe fortschicken müssen, der träge, unlustig zur Arbeit, verlogen und mit so vielen andern Fehlern behaftet war, daß ich ihn nicht bei mir behalten konnte, schon meiner Kinder wegen, die er mir vielleicht mit verdorben haben würde. Ich muß mich daher nach einem andern Lehrburschen umsehen und«.....

»Der werde ich sein? nicht wahr?« unterbrach ihn William mit freudig bewegter Stimme.

»Der würdest Du unfehlbar sein,« versetzte der Meister, »wenn Du zwei Jahre älter und schon confirmirt wärest.«

»O, confirmirt könnte ich ja später werden,« sagte William, »und was mein Alter anbetrifft, so könnte es Euch, lieber Meister, wohl gleichgültig sein, wenn ich nur die erforderlichen Kräfte und Fähigkeiten besäße; ich gelobe Euch aber, daß ich durch Fleiß und Aufmerksamkeit ersetzen will, was mir noch an Jahren abgeht.«

»Weßhalb wünschest Du denn aber, sofort bei mir einzutreten?« forschte der Meister; »Du hast Dich doch nicht etwa gar mit Deiner braven Mutter erzürnt und wünschest deßhalb, sie auf der Stelle zu verlassen?«

»Gott bewahre!« rief William, dem bei dieser Aeußerung des Meisters das Blut in die Wangen stieg, und nun erzählte er dem guten Manne mit seiner gewohnten Offenheit, wie die Sachen standen und was es eigentlich war, das ihn zu dem Wunsche bewog, die geliebte Mutter schon jetzt zu verlassen.

Brandt hörte ihm mit theilnehmender Aufmerksamkeit zu, dann, als er geendet hatte, reichte er ihm die Hand und sagte mit gerührter Stimme:

»Wie glücklich würde ich sein, wenn ich Deinen Wunsch gewähren könnte; das kann ich aber leider nicht. Wir Handwerker haben unsere eigenen Gesetze und die verbieten es uns, einen Knaben, der noch nicht das fünfzehnte Jahr erreicht hat und noch nicht confirmirt ist, in die Lehre zu nehmen. So leid es mir also auch thut, so muß ich Dir Deine Bitte abschlagen.«

Das war nun für unsern William ein trostloser Bescheid. Er war mit der größesten Hoffnung hergekommen, da er der Güte Brandt's fest vertraute, und hoffnungslos sollte er jetzt von ihm scheiden. Der Gedanke, was jetzt aus seiner guten Mutter werden solle, preßte ihm bittere Thränen aus, deren Strom Meister Brandt vergebens zu hemmen bemüht war.

In dem Augenblick, wo diese am heftigsten flossen, öffnete sich die Thür der Werkstatt und ein Mann von mittleren Jahren, von untersetzter, kräftiger Gestalt, mit einem von der Sonne gebräunten Gesichte, trat zu den Beiden ein. Seine Kleidung war sehr fein und ganz neu, hing ihm aber ziemlich weit auf dem Leibe; er hatte einen weißlichen Kastorhut auf dem Kopfe; um den Hals war ein buntes, seidenes Tuch geknüpft, dessen Zipfel weit auf die Brust herabfielen; er trug sehr weite Hosen von blauem Tuche, eine lange, goldene Uhrkette mit einem halben Dutzend goldener Uhrschlüssel und Pettschaften daran und aus der Tasche seines Rockes guckte ein hochrothes, seidenes Schnupftuch hervor. Unser William erkannte auf den ersten Blick einen Schiffskapitain in diesem Manne und im Andenken an seinen lieben, verschollenen Vater schlug sein Herz mächtig beim Anblick desselben.

Da er sich, als die Thüre sich öffnete, nach dem Eintretenden umgesehen hatte, blickte dieser ihm in das von Thränen überströmte Gesicht und mit seemännischer Freundlichkeit auf ihn zugehend, sagte er:

»Was ist denn dem Jüngelchen, daß es so weint?«

William erröthete über und über bei dieser Frage des fremden Mannes und Kapitain Hansen – dies war sein Name – der es bemerkte, fuhr fort:

»Du brauchst Dich vor mir Deiner Thränen nicht zu schämen, Kleiner; freilich wenn Du ein großer Kerl wärest und flenntest dann, so würd' ich 'ne schlechte Idee von Dir bekommen. Sag' mir lieber, was Dir ist, vielleicht kann ich Dir helfen.«

»Das arme Kind ist übel daran,« nahm jetzt Meister Brandt das Wort, und nun erzählte er dem Kapitain, wie die Sachen standen. Dieser hörte ihm mit gespannter Aufmerksamkeit und sichtbarer Theilnahme zu; dann, als er geendet hatte, nahm er das Wort und sagte:

»Dem armen Jungen und seiner Mutter würde leicht zu helfen sein, wenn beide keine Abneigung gegen das Seeleben hätten.«

»Die habe ich gewiß nicht,« antwortete ihm William, »waren doch mein Vater und Großvater eben so gut Schiffscapitaine, als, wie ich glaube, der Herr es sind.«

»So? Dein Vater und Großvater waren Seeleute?« fragte Kapitain Hansen überrascht. »Wie hießen sie, mein Jüngelchen?«

»Mein Großvater hieß Elliot und mein Vater Arthur Robinson,« versetzte William, schon etwas dreister.

»Das sind Namen, die zur See guten Klang halten,« nahm Hansen wieder das Wort. »Ich hörte oft von ihnen reden, sowohl in Europa, als in andern Welttheilen, und es freut mich, daß ich die Bekanntschaft des Sohnes und Enkels so braver Leute gemacht habe,« fügte er liebevoll hinzu. »Hoffentlich bist Du, mein Kind, nicht aus der Art geschlagen und wenn dem so sein sollte, würde es eine große Freude für mich sein, erst aus Dir eine tüchtige Theerjacke,[1] dann aber einen Capitain zu machen, wie es Deine Vorfahren waren. Hättest Du wohl Lust, mit mir auf die See zu gehen?«

William erröthete bei diesem Vorschlag über und über. Es war ihm bis jetzt noch gar nicht eingefallen, daß ein solcher Ausweg ihm übrig bliebe, um seine gute Mutter von der Sorge um ihn zu befreien und so überraschte er ihn um so mehr. Hansen, der sein Erröthen falsch deuten, sagte:

»Wenn Du Dich aber fürchtest, so bleib' lieber zu Hause: ein Seemann muß vor allen Dingen Muth in der Brust haben und sich vor Nichts fürchten.«

»O, ich fürchte mich vor dem Wasser gewiß nicht,« war die Antwort Williams, »und wenn meine gute Mutter nur wollte, wie ich will, so wäre der Handel bald geschlossen.«

»So befrage Deine Mutter,« versetzte der Capitain, »und bringe mir Morgen, zwischen acht und neun Uhr, Deine Antwort. Hier ist meine Adresse,« fügte er hinzu, indem er ein Blatt Papier aus seiner Brieftasche riß und seinen Namen und seine Wohnung darauf bemerkte. »Du mußt Dich aber schnell entschließen,« fuhr er fort; »mein Schiff liegt segelfertig und ich warte nur noch auf günstigen Wind, um den Hafen zu verlassen. Bringst Du mir Morgen früh bis neun Uhr keine Antwort, so suche ich mir einen andern Jungen, denn ich muß einen haben; Du aber würdest mir der liebste sein, da Du von so wackern Seeleuten abstammst.«

Der Capitain wandte sich jetzt an Meister Brandt, mit dem er von Geschäften zu sprechen hatte, und unser William, dem durch den Vorschlag Hansens eine neue Welt aufgegangen war, eilte mit schnellen Schritten nach seiner Wohnung zurück, um ihn der Mutter mitzutheilen.

1. In der seemännischen Sprache nennt man so die Matrosen.

Drittes Kapitel.

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