Rockstar Sins - Charlotte Tendon - E-Book

Rockstar Sins E-Book

Charlotte Tendon

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Beschreibung

Maja hat sich bereits vor Monaten getrennt, doch ihr Ex hofft immer noch auf eine zweite Chance und findet Unterstützung bei ihrer Familie. Bei einem Konzert ihrer Lieblingsband sucht sie für einen Abend Ablenkung von dem ständigen Streit und findet sie unerwartet in Gitarrist James. Nach dem kurzen Abenteuer will sie, zum Alltag zurückkehren und sich den Problemen dort stellen, doch James will Maja unbedingt wiedersehen. Aber Maja ahnt nichts von dem dunklen Geheimnis ihrer Lieblingsband: Sie sind keine Menschen.

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Seitenzahl: 324

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Rockstar Sins

Rockstar Sins1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. KapitelVorschauImpressum

Rockstar Sins

1. Kapitel

Es war noch früh am Abend und der Andrang am Eingang kaum vorhanden, als Maja den museumsartigen Vorraum von King John‘s Castle betrat und erst die Karten-, dann die Sicherheitskontrolle über sich ergehen ließ. Schließlich trat sie durch die große Glastür auf der gegenüberliegenden Seite wieder hinaus ins Freie, auf den von verfallenen Burgmauern umgebenen Hof. Dort war eine Bühne, samt Beleuchtung und Leinwand, aufgebaut. Die Kombination des Gemäuers aus dem dreizehnten Jahrhundert und der modernen Bühnentechnik verlieh dem Abend schon jetzt eine gewisse Magie, obwohl die Band bis noch nicht einmal die Bühne betreten hatte. Der Abend versprach genau das zu bringen, was Maja nach diesem Tag, diesen Wochen und Monaten brauchte – Ablenkung. Eigentlich hatte sie nicht herkommen wollen. Children of an Unknown war zwar ihre Lieblingsband, aber leider auch die von David. Jedoch machte er ihr das Leben im Büro schon zur Hölle, da sollte er sie nicht obendrein um dieses langersehnte Konzert bringen. Bei schätzungsweise zweitausend Zuschauern sollte es wohl irgendwie möglich sein, ihm aus dem Weg zu gehen. Mit jeder Minute strömten mehr Gäste auf den Burghof und verteilten sich. Eine Gruppe junger Frauen in knappen Röcken und engen Tops sammelte sich zielstrebig vor der Bühne, um der Band so nahe zu kommen, wie nur möglich. Maja dagegen hielt sich am Rand, an der uralten Burgmauer, und blickte durch eine glaslose Fensteröffnung auf den Fluss Shannon, der sich ruhig durch die Stadt Limerick zog. Zuletzt war sie vor etwa zwei Jahren mit David hier gewesen – Burgromantik als Traumpaar, festgehalten auf unzähligen Fotos. Doch inzwischen war ihre Beziehung gescheitert, nur kurz nachdem sie zusammengezogen waren. Rückblickend hatte Maja sich eingestehen müssen, dass ihre Verbindung von Anfang an eher auf Vernunft, als auf Zuneigung basiert hatte. Auf Dauer hatte das für sie einfach nicht ausgereicht. David allerdings sah das anders. Er wollte es noch einmal versuchen, als zweite Chance für ihre Liebe. Seufzend ließ Maja den Blick über den inzwischen halb gefüllten Burghof wandern, um sich von diesen Gedanken abzulenken. Leider fiel ihr Blick direkt auf David, der sich durch die Menge drängte und sich dabei immer wieder umsah. Er suchte nach ihr und Maja hatte keine Lust auf eine erneute Auseinandersetzung mit ihm. Hilfesuchend musterte sie die Umgebung. Gab es hier jemanden, mit dem sie ein Gespräch beginnen konnte, um sich so zu verstecken? Leider war es nicht gerade ihre Stärke, Smalltalk mit vollkommen Fremden zu führen. Wieder sah sie die Groupies vor der Bühne. Dort vorne war das Gedränge inzwischen so groß, dass sie sich dort bestimmt gut verstecken konnte, außerdem würde David sie niemals in der ersten Reihe vermuten. Er kannte sie schließlich gut genug, um zu wissen, dass sie sich nicht mitten ins Getümmel stürzte. Was war also schlimmer? Ein erneuter Annäherungsversuch von David oder das Gedränge der Groupies? Vielleicht konnte sie sich im Laufe des Konzerts unauffällig zurückziehen, wenn es erst einmal dunkel wurde. Solange nur David sie nicht zu fassen bekam, sonst würde er sie den ganzen Abend nerven. Es war erstaunlich leicht, sich weiter nach vorne zu arbeiten, obwohl es bereits kurz vor Konzertbeginn war. Die meisten Leute machten ihr bereitwillig Platz und die eingefleischten Groupies störten sich nicht großartig daran, dass Maja sich zu ihnen gesellte. Sie warfen ihr zwar Blicke zu, die deutlich sagten »Du gehörst nicht zu uns.« Dennoch lächelten Maja freundlich an. Vielleicht freuten sie sich irgendwie auch über eine neue Gleichgesinnte. Was mochten sich diese Frauen in ihrer aufreizenden Kleidung wohl von ihrem Platz in der ersten Reihe erhoffen? Wollten sie wirklich die Nacht mit den Bandmitgliedern im Tourbus verbringen? Stimmten die Mythen über wilde Orgien von Musikern mit ihren Groupies? Maja konnte sich nicht vorstellen, warum sich Frauen darauf einlassen sollten. Sie mochte die Musik von Children of an Unknown, sang gerne die Lieder mit, einige brachten sie sogar manchmal zum Weinen oder Strahlen und die Musiker waren allesamt attraktiv, dennoch wollte Maja nichts weiter, als der Musik zuzuhören, mit den anderen Zuschauern zu feiern und für ein paar Stunden alle Sorgen zu vergessen. Zumindest hatte sie David erfolgreich abgeschüttelt. Das war ein guter Anfang für einen schönen Abend.

Limerick war keine große Stadt, nicht einmal für irische Verhältnisse, aber die Kulisse der mittelalterlichen Burg machte das Konzert zu einem Höhepunkt der Tour – nicht nur für die Fans. James hatte eine Gänsehaut, als er Bill, ihrem Frontsänger, auf die Bühne folgte. Schätzungsweise zweitausend erwartungsvolle Augenpaare waren auf sie gerichtet, viertausend Hände klatschten begeistert, während die Abendsonne den breiten Fluss Shannon jenseits der Burgmauern beinahe schwarz erscheinen ließ. Die Luft vibrierte nicht nur von den harten Bässen, sondern auch von der Energie der jubelnden Zuschauer. Zudem war es der erste trockene Abend seit fast einer Woche. Perfekt für ein Konzert unter freiem Himmel, entsprechend gut war die Stimmung. Scheinbar das ganze Publikum konnte die Texte mitsingen und tat es auch mit voller Inbrunst – jene Texte, die James mit so viel Herzblut geschrieben hatte. Das Leben war seit ihrem ersten Plattenvertrag wie ein Traum – ein stressiger Traum, aber bei den Konzerten war es der Himmel auf Erden. Zugleich waren die Konzerte ein Schlaraffenland für ihre ausgehungerten Körper, um wieder neue Energie zu tanken. Sie brauchten diese Auftritte wie andere die Luft zum Atmen. Trotzdem war es auch anstrengend, sodass James, ebenso wie Drummer Mike, Bassist Charlie und Keyboarder Tim, nur allzu dankbar war, als Bill nach den ersten zwei Songs wieder einmal ins Schwafeln geriet. Er liebte es, bei den Konzerten sentimentale Reden über die Inhalte ihrer Lieder zu schwingen. Jetzt erzählte er von seiner heimlichen Liebe in der Schulzeit, die er nie gewagt hatte anzusprechen, was angeblich die Inspiration für Seeing You war, einen ihrer beliebtesten Songs. In Wahrheit hatte James den Text geschrieben, nachdem er im Tourbus gelangweilt eine Daily soap gesehen hatte. Aber Bills Geschichten – so erfunden sie auch waren – kamen einfach besser bei den Fans an. Sie hingen wie gebannt an seinen Lippen. Selbst in dieser lauschenden Stille verströmte die Menge Energiewellen, die, als sie auf James’ Haut trafen, anfingen aufregend zu prickeln. Er nutzte die Pause auch, um einen Schluck – oder vielmehr eine halbe Flasche – Wasser zu trinken und durchzuatmen. Weil Bill diesmal so richtig in Plauderlaune war, hatte James sogar Zeit, sich im Publikum umzusehen. In Limerick kannte er niemanden, außer natürlich einige der Groupies in der ersten Reihe, die ihnen manchmal nachreisten. Irgendwie war es nett, unter all den Fremden ein paar bekannte Gesichter zu sehen. Nur leider waren ihm diese Gesichter schon fast zu vertraut. Einige der Groupies waren Stammgäste auf den After-Show-Partys und manche von ihnen wollten noch mehr. Meist hatten sie es auf Bill abgesehen, der sich bereitwillig auf heiße Nächte einließ. James konnte ihm das nicht verübeln. Für ihn war zwar die Energie, die das Publikum ausstrahlte, im Grunde genug, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, aber er konnte Bill verstehen, denn beim Sex wurden noch ganz andere Mengen von Energie freigesetzt. Es war berauschend wie eine Droge. Deshalb hielt James sich mit solchen Aktivitäten zurück. Im Gegensatz zu Bill hatte er Angst, sich zu sehr gehen zu lassen. Nicht vorzustellen, was passieren könnte, wenn ein Groupie herausfand, was sie wirklich waren.  Endlich war Bill mit seiner Rede fertig und gab das vereinbarte Zeichen. Mike zählte leise den Takt ein und Tim spielte das gefühlvolle Keyboard-Intro, ehe Bill die ersten Zeilen sang. Die Zuschauer hingen erneut an seinen Lippen, schon bevor James und Charlie mit E-Gitarre und Bass einstimmten. So oft die anderen sich auch über Bills Monologe lustig machten, sie verliehen den Liedern doch eine gewisse Magie. Das Publikum schien nicht einmal zu merken, dass es zu regnen begann. Lediglich in den hintersten Reihen wurden einige Regenschirme geöffnet und ein paar Leute suchten sich trockene Plätze nahe der Burgmauern, aber die Groupies in den ersten Reihen sangen unbeirrt mit. Die Stimmung blieb ungetrübt. Bill wagte sich beim Singen sogar so weit an den Bühnenrand, dass er das schützende Dach verließ und selbst nass wurde. Wahrscheinlich würde es nicht lange dauern, bis die ersten Groupies beim Anblick von Bill in seinem durchnässten weißen Shirt ohnmächtig wurden. Groß, durchtrainiert und mit diesem unwiderstehlichen Out-of-Bed-Look war er ein Frauenschwarm und sich dessen vollauf bewusst. Zweifellos würden sich die Frauen auf der Party hinter der Bühne wieder um ihn reißen. Sogar noch mehr als sonst. Nach einem weiteren Song – etwas rockiger und ebenso gefeiert – setzte Bill zu einer weiteren Rede an. James griff sofort nach seiner halb leeren Wasserflasche, die inzwischen Gesellschaft von einer vollen bekommen hatte. Ihr Manager hatte stets ein wachsames Auge darauf, dass sie bei ihren Auftritten gut versorgt wurden, zur Not verteilte er selbst die Trinkflaschen. Dabei hätten sie auch gut ohne das Wasser auskommen können, nicht aber ohne die kreischende Zuschauermenge. Noch mit der Flasche in der Hand sah James sich erneut um. Mitten unter den bekannten Groupies war ein neues Gesicht. Ein leicht rundliches, liebes Gesicht mit kaum Make-up und unergründlichen, verträumten Augen, umrahmt von dunklem, schulterlangem Haar, das sich angesichts des Regens etwas kräuselte. Aber vor allem sah er volle, dunkelrosafarbene Lippen, auf die er sich am liebsten sofort gestürzt hätte. Er müsste sich nur über den Bühnenrand schwingen, dann könnte er diese Lippen küssen. Wahrscheinlich würde er behutsam daran knabbern, um zu sehen, wie sie dadurch wurden. Als Mike bereits den nächsten Song einzählte, starrte James immer noch diese Frau an, in deren dunklen Augen er genau sah, wie unwohl sie sich zwischen den Groupies fühlte. Sie war keine von ihnen, aber irgendetwas hatte sie dorthin geführt. Diese Frau in der grauen Bluse, die sie wahrscheinlich auch im Büro trug, und die schon bei den ersten Klängen einer herzzerreißenden Ballade begann, sich im Takt zu wiegen. Beim Refrain bewegten sich ihre Lippen, als würde sie den Text mitsingen. Der Text, den James selbst geschrieben hatte, handelte von gegenseitiger Unterstützung in einer Partnerschaft. Es versetzte ihm einen Stich, dass sie diesen Text so bewegt mitsang, obwohl sie doch allein war, in einer Gruppe von Menschen, zu denen sie so gar nicht passte. Bestimmt wollte sie einen Partner haben, der von hinten seine Arme um sie schlang und ihr eben jene Geborgenheit vermittelte, die der Song beschrieb. Aber natürlich konnte James unmöglich dieser Partner sein. Eine langfristige Liebschaft würde zwangsläufig zu Problemen führen. Wie lange könnte er seine wahre Natur dann wohl vor ihr verbergen? Abgesehen davon, dass er noch nie eine derartige Beziehung geführt hatte, stand er auf der Bühne und sie davor. Das waren einfach zwei verschiedene Welten. James bemerkte ein böses Funkeln von Bill, weil er seinen Einsatz verpasst hatte, und so riss er seinen Blick widerwillig von dem grauen Mäuschen zwischen den Groupies los. Aber nicht endgültig, denn er musste sie unbedingt wiedersehen, einmal mit ihr sprechen und ihre Lippen spüren. Heute Nacht sollte sie in einer warmen Umarmung erschöpft und geliebt einschlafen. In seinen Armen. Mehr konnte er ihr nicht bieten. Für eine Frau war kein Platz in einem Leben zwischen Bühne, Tonstudio und Tourbus. Außerdem war da ja auch noch sein Geheimnis. Aber wie sollte er sie ansprechen, ohne dass es gleich so viele Unbeteiligte mitbekamen? Lied um Lied verging. Immer wieder sah er zu ihr in die erste Reihe. Irgendwann drängten sich einige altbekannte Groupies weiter nach vorne. Die Frau mit den traurigen Augen zog sich erst in die zweite Reihe zurück, dann in die dritte. Es wurde zunehmend schwieriger, sie in der Menschenmenge auszumachen, weil sie eher klein war und nun hinter den Köpfen der anderen Zuschauer verschwand.

Bill beendete den letzten Song und die Band sammelte sich zum Schlussapplaus. James suchte die Nähe des Frontmanns mit einem vagen Plan im Kopf. »Lass uns nachher Autogramme geben.« Nach Konzerten mit guter Stimmung veranstalteten sie gelegentlich spontane Signierstunden am Bühnenrand. Das war zwar anstrengend, hatte aber einen positiven Effekt auf die Beziehung zu den Fans. Nun hoffte James, dass er bei dieser Gelegenheit ein paar Worte mit der Frau wechseln könnte, die ihn vorhin so fasziniert hatte. Bill zuckte mit den Schultern. »Warum nicht«, erwiderte er, als sie geschlossen die Bühne verließen. Backstage erwartete sie zwar ihr Manager Ray, aber natürlich wussten sie alle, dass sie gleich noch für die eine oder andere Zugabe wieder auf die Bühne zurückkehren würden. »Wir machen gleich noch eine Autogrammstunde«, setzte Bill den Manager ohne Umschweife in Kenntnis. »Es soll ja auch für die Fans ein unvergesslicher Abend werden.« Ray zog seine kahle Stirn kurz in Falten, bevor er nickte und sich auf den Weg machte, um die Sicherheitskräfte über die neuen Pläne zu informieren. Es war für sie alle ein gewohnter Ablauf. Ihr Team vom Tontechniker bis zum Personenschützer wusste, wie spontan sie solche Dinge entschieden. Alle Bandmitglieder tranken noch einmal reichlich Wasser, eher aus Gewohnheit als Notwenigkeit. »Ich habe Gina und Joanna im Publikum gesehen«, platzte Drummer Mike, das Nesthäkchen der Band, plötzlich heraus. »Ich glaube, die Party nachher wird der Hammer.« Tim, der älteste von ihnen, ein ausgebildeter Konzertpianist, der sich nun in der Band mit dem Keyboard begnügte, klopfte ihm lächelnd auf die Schulter. »Sei vorsichtig mit den Vollblut-Groupies, Kleiner. Sie wollen nur mit dir spielen.« Mike war der Einzige von ihnen, der gelegentlich längere Beziehungen führte – zumindest länger als eine Nacht – und so hatte er auch schon drei schwierige Trennungen hinter sich gebracht. Sie alle hofften, dass ihm nun endgültig die Lust an Partnerschaften vergangen war, weil gerade er dazu neigte, sich zu verplappern. Wenn er eine Freundin hatte, fürchteten sie täglich, enttarnt zu werden. Und sie alle wollten weder einen wütenden Mob vor dem Bandhaus sehen, noch eine Horde verrückter Wissenschaftler im Nacken haben. Vor der Bühne wurden die Rufe nach einer Zugabe lauter. Bill traf stets die Entscheidung, wann es an der Zeit war, diesen Rufen nachzugeben. Indessen breitete sich auf James’ Armen schon eine Gänsehaut aus, obwohl er vollkommen überhitzt war. Diese Rufe erinnerten ihn immer an die ersten Auftritte der Band, in Pubs und Bars. Später spielten sie auch auf kleinen Festen, dann auf einem Festival und nun waren sie sogar für Konzerte auf dem europäischen Festland angefragt, obwohl sie gedacht hatten, den Höhepunkt ihrer Karriere bereits erreicht zu haben. Bill blickte noch einmal in die Runde, nickte entschlossen, bevor sie erneut die Bühne stürmten, um wieder im Jubel der tosenden Menge zu baden.

Schließlich, als der letzte Ton verklungen war, erstrahlten die großen Scheinwerfer. Sie fluteten den Innenhof der mittelalterlichen Burg mit gleißendem Licht und machten so deutlich, dass das Konzert beendet war, ganz egal wie hoffnungsvoll die Fans auch nach einer weiteren Zugabe riefen. Zusammen mit der Masse setzte Maja sich in Bewegung in Richtung Ausgang. Es würde ewig dauern, bis sie draußen sein würde, aber zumindest war in diesem Chaos die Wahrscheinlichkeit beruhigend gering, dass sie David in die Arme lief. Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge, und die ersten Zuschauer stürmten zurück zur Bühne. Mit einem flüchtigen Blick über die Schulter erkannte Maja, dass dort die Band am Bühnenrand bei den Groupies stand und Autogramme verteilte. Um die Szene bildete sich eine immer größer werdende Traube von Menschen. Das sollte ihr nur recht sein, denn so ließ das Gedränge am Ausgang schlagartig nach. Obwohl sie die Band bewunderte, konnten sie keine zehn Pferde dazu bringen, sich in den Kampf um die Autogramme zu stürzen. Sie hatte noch nie verstanden, was die Menschen an einem Stück Papier mit einer unleserlichen Unterschrift fanden. Wenn es wenigstens ein Haar wäre, dann könnte man sich immerhin eine Voodoo-Puppe basteln – was auch immer man damit anfangen sollte. Als sie sich wieder dem Ausgang zuwandte, hatte sich die Lage dort erheblich entspannt. Zuversichtlich folgte sie dem Menschenstrom. Doch, als sie ihr Ziel fast erreicht hatte, bemerkte sie einen blonden Haarschopf, der hinter einigen kleineren Menschen herausragte. David. Er stand dort wie ein Fels in der Brandung, um den sich die Masse schlängelte. Wenn sie nun auch hinauswollte, dann müsste sie zwangsläufig an ihm vorbeigehen. Es sei denn ... Wieder blickte sie zur Bühne. In dem Getümmel könnte sie problemlos erneut untertauchen, und sie wusste, dass David sie dort nicht suchte. Er wusste ja, dass sie sich nichts aus Autogrammen machte. Aber in diesem Moment war ein nutzloses Autogramm eine reizvolle Alternative zu einem Aufeinandertreffen mit ihrem Ex. Lange würde er diesen Lauerposten nicht mehr halten können und aufgeben. Sie musste sich wahrscheinlich höchstens zehn Minuten verstecken, dann könnte sie unbehelligt entkommen. Am Rande der Menschenmenge fiel sie natürlich zu sehr auf. Sie musste sich weiter ins Gedränge stürzen, näher an die Band kommen. Möglicherweise würde sie sich doch ein Autogramm holen, um die Zeit totzuschlagen und um zu sehen, was daran so toll sein sollte.

Inzwischen hatten die Fans die Band so dicht umringt, dass selbst James mit seinen 1,81 Metern, nicht mehr über die vielen Köpfe hinwegsehen konnte. Er war froh, dass die Sicherheitskräfte den Zustrom der Autogrammjäger ordneten, sonst hätten sie vielleicht flüchten müssen. Allerdings waren die Fans trotz des Gedränges friedlich und ruhig, sodass es Spaß machte, die begehrten Unterschriften zu verteilen. Dennoch schmerzte James’ Hand bereits nach fünf Minuten, weshalb er fast seine eigene Idee zu dieser Autogrammstunde bereute. Man sollte doch meinen, wenn man die Energie so vieler Menschen über Stunden in sich aufgenommen hatte, wäre man widerstandsfähiger. Auch für solche Signierstunden hatten sie längst ihre Routinen: Bill begrüßte die Fans und fragte nach den Namen. Dann unterschrieben alle der Reihe nach, und James gab die Autogrammkarten an die Fans zurück. Im Grunde war es Fließbandarbeit. Diesmal aber sah James sich jeden Fan genau an, um sicherzugehen, dass er eine Frau mit dunklen Augen und sinnlichen Lippen nicht verpasste. Er machte das hier nur ihretwegen, obwohl im Festsaal der Burg ein leckeres Buffet und Drinks auf die Musiker und das Team warteten. Bill nutzte die Gelegenheit, um den einen oder anderen Groupie zu dieser Party einzuladen. Als wären die meisten von ihnen nicht sowieso Stammgäste und hätten ohnehin versucht, hinter die Bühne zu kommen. Auch ohne eine Einladung von Bill fanden sie immer einen Weg zur Party, schließlich freute sich die Band darauf. Charlie stand weiter hinten, beugte sich nun aber zu James und Bill vor. »Ich denke, es reicht langsam.« Sofort nickte der Sänger zustimmend. Es war ohnehin aussichtslos, jedem Fan ein Autogramm geben zu wollen. Es war eher ein Zeichen des guten Willens, es zu versuchen. Aber James hatte die Frau, nach der er suchte, noch nicht gesehen, deshalb konnte er jetzt nicht aufgeben. »Ein paar Minuten«, erwiderte er entschlossen und deutete auf die nicht enden wollende Schlange, obwohl seine Finger bereits total verkrampft waren und die gesuchte Frau nirgendwo in Sicht war. Ehrlicherweise musste er sich eingestehen, dass viele Zuschauer kein Interesse an Autogrammen hatten. Oder hatte vielleicht die lange Schlange sie abgeschreckt? Möglicherweise musste er der Wahrheit ins Auge sehen und akzeptieren, dass sie fort war und er sie wohl nicht wiedersehen würde. Aber noch hatte er eine Chance, bevor die Erschöpfung und der Unmut seiner Brüder überhandnahmen. Lächelnd gab er eine fertige Autogrammkarte zurück an eine Lisa, die über beide Ohren strahlte. Dann hörte er das verwirrte Gestammel einer Frau, die offenbar kaum in der Lage war, Bill ihren Namen für das Autogramm zu nennen. Er wandte sich von Lisa ab, die freudig davonstürmte, und entdeckte ebenjene Frau, nach der er gesucht hatte, direkt vor Bill, der gerade unterschrieb. Sie tapste nervös von einem Bein auf das andere. Ihr Haar war inzwischen wieder trocken, aber immer noch leicht gekräuselt. Ihre wundervollen Augen konnte er nicht sehen, weil sie starr zu Boden blickte. Charlie reichte ihm die Karte, während Bill bereits mit dem nächsten Autogrammjäger sprach. James unterschrieb und entzifferte den Namen jener Frau. »Maja«, las er vor, und sie wandte sich ihm sofort zu. Was sollte er nun tun? Er konnte sie doch nicht hier vor all den Fans küssen, obwohl er genau das beim Anblick ihrer sprachlos geöffneten Lippen am liebsten getan hätte. Er wollte sie küssen, bis sie alles um sich herum vergaß. Dabei war es vor allem er, der kurz davor war zu vergessen, wo er sich befand. Er brachte nicht einmal ein Wort heraus, nicht hier vor all den Schaulustigen. Hastig kritzelte er den Satz »Triff mich backstage« auf die Rückseite der Autogrammkarte und reichte sie ihr zurück. Schüchtern nahm sie die Karte entgegen und hauchte ein »Danke«, das in der Menge kaum zu hören war, bevor sie wieder verschwand. Sie hatte seine Nachricht gar nicht gelesen – vielleicht würde sie das erst am nächsten Morgen tun, wenn es zu spät war, aber er konnte ihr unmöglich einfach nachlaufen. »Okay, das war’s!«, verkündete einer der Sicherheitsmänner nun entschlossen, nachdem er wohl ein Zeichen von Bill bekommen hatte. Sofort schoben sich die Sicherheitskräfte wie eine Wand vor die Band und ermöglichten ihnen so den Rückzug, obwohl laute Rufe nach mehr aus den Reihen der Fans aufkamen.

2. Kapitel

Hastig entfernte sich Maja wieder aus der Menschentraube rund um die Band, mit dem Autogramm in der Hand. Plötzlich war es ganz schnell gegangen, bis sie sich direkt dem Sänger Bill gegenübersah. Die nachrückenden Fans hatten sie unfreiwillig nach vorne geschoben, wo sie doch eigentlich gar nicht hingewollt hatte. Der schnellste Weg, sich zu befreien, war tatsächlich, sich ein Autogramm geben zu lassen, denn die Sicherheitskräfte hielten einen Korridor frei, durch den die erfolgreichen Autogrammjäger problemlos durch die Menge der Wartenden gelangten. Immer noch konnte sie diesem Stück Papier nicht viel abgewinnen. Eine Postkarte bedruckt mit dem Titelbild des letzten Albums, darauf unleserlich die Namen der Bandmitglieder gekritzelt. Dem Gitarristen James hatte der Platz auf der Karte wohl nicht ausgereicht, denn er hatte sogar ein zweites Mal auf der Rückseite unterschrieben. Allerdings hatte er erstaunlich viele Buchstaben für diese zweite Unterschrift gebraucht. Hatte er vielleicht auch seinen Zweit- und Drittnamen dazu geschrieben? Maja blieb im Lichtschein eines Scheinwerfers stehen und versuchte, die undeutliche Handschrift zu entziffern. Beim besten Willen konnte sie darin keinen Namen erkennen. Nein, es war eine Aufforderung: »Triff mich backstage«. Irritiert starrte sie erst auf die Karte, dann unwillkürlich zu dem Zugang zum Festsaal der Burg, den die Sicherheitskräfte streng bewachten. Ein paar junge Frauen in Miniröcken steuerten zielstrebig auf die muskelbepackten Männer zu, unterhielten sich kurz mit ihnen und wurden dann durchgelassen. Ob sie auch zweifelhafte Einladungen auf der Rückseite einer Autogrammkarte hatten? Wie viele Frauen erhielten wohl solche Nachrichten? Maja sah zum Ausgang. Der Andrang dort war inzwischen überschaubar, aber Davids Blondschopf ragte weiterhin zwischen den Fremden auf. Er war hartnäckig, dabei müsste er sich die Mühe doch gar nicht machen, spätestens am Montag würde er sie im Büro wiedersehen. Warum musste er sie also auch noch in ihrer Freizeit verfolgen? Plötzlich waren die Fragen, was hinter der Tür zum Festsaal wartete und wie viele Frauen dorthin eingeladen waren, für Maja quälende Rätsel, die es sofort zu lösen galt. Egal, was für eine Party drinnen stattfand, sie war mit Sicherheit besser als ein Streit mit David hier draußen. Vielleicht konnte sie dann von dort aus durch einen Hinterausgang verschwinden, ohne ihrem Ex über den Weg zu laufen. Zögernd näherte sie sich den riesigen Männern in schwarzer Einheitskleidung, die sie skeptisch von oben bis unten musterten. Sie hob sich schon äußerlich von den anderen Frauen ab. Sie war vom Büro aus direkt zum Konzert gefahren, weshalb sie immer noch die langweilige graue Bluse und ihre Anzughose trug, lediglich den Blazer hatte sie im Auto gelassen. Vielleicht sollte sie sich die Bluse etwas aufknöpfen, um wenigstens mehr Ausschnitt zu zeigen. Andererseits wollte sie ja nicht auffallen, sondern sich verstecken. »Ich habe eine Einladung«, stammelte sie nervös und deutete auf das Gekritzel von Gitarrist James. Der Schrank von einem Mann vor ihr warf kurz einen Blick auf die Autogrammkarte, musterte sie erneut und schüttelte den Kopf. »Du bist hier nicht richtig, Mädchen«, erklärte er weniger abweisend, sondern beinahe wie ein besorgter Vater, der sie beschützen wollte. Wahrscheinlich hatte er sogar recht damit, dass sie nicht zur Partygesellschaft passte. Sie wollte ja gar nicht zur Welt der Groupies und Rockstars gehören. Sollte sie wirklich mit ihm über die schwer lesbare Einladung auf ihrer Autogrammkarte diskutieren? Gab es überhaupt eine Chance auf einen erfolgreichen Ausgang der Diskussion mit dem Türsteher? Immerhin hatte er viel Erfahrung mit diesen Diskussionen, im Gegensatz zu ihr. Möglicherweise würde sie durch die Diskussion nur ungewollte Aufmerksamkeit erregen, am Ende sogar die von David. Zögernd trat sie einen Schritt zurück, denn es widerstrebte ihr, einfach aufzugeben. Sie war neugierig auf das, was sie hinter dem Rücken dieser Türsteher erwartete. Sie wollte sich darauf einlassen, Spaß haben und das Leben genießen. Seit ihrer Trennung von David bestand ihr Dasein aus purer Langeweile. Ihre Freunde und Kollegen, sogar ihre Familie, hielten ihre Entscheidung, David zu verlassen, für falsch, und um nervtötende Auseinandersetzungen darüber zu vermeiden, schlug sie viele Einladungen zu Partys aus. Das wäre nun ihre Chance, endlich all das zumindest für einige Stunden hinter sich zu lassen, aber sie brachte einfach nicht den Mut auf, um darum zu kämpfen. Der aufgepumpte Muskelprotz von Türsteher zwischen ihr und der Party schien ein unüberwindbares Hindernis zu sein. War das ein Wink des Schicksals? Vielleicht hatten ja all die Menschen, die sie kritisierten, irgendwo recht? Vielleicht sollte sie David und ihr friedliches Paarleben gar nicht ganz aufgeben? Vielleicht war genau das ihr Platz in der Welt? »Ist schon in Ordnung«, hörte sie plötzlich eine fremde Stimme hinter sich. Als sie sich umdrehte, bemerkte sie einen Mann von etwa Mitte dreißig, der gerade einmal so groß wie sie war, und einen auffälligen Backstage-Pass an einem breiten Band um den Hals trug. Bei seinem Anblick traten die Türsteher sofort zur Seite. Er ging selbst voran, und Maja folgte ihm kurzentschlossen. In dem mittelalterlichen Festsaal tauchte der Mann in der Menge unter, bevor sie ihm danken konnte, und Maja versuchte nicht, ihm zu folgen. Sie war ohnehin überfordert mit der Menschenmenge: schwarz gekleidete Techniker, Groupies in knappen Outfits, einige Kellner und ein üppiges Buffet. Es dröhnte Musik aus zahlreichen Lautsprechern und ein paar Frauen tanzten bereits auf einer beengten Tanzfläche. Dass die Ehrengäste dieser After-Show-Party noch gar nicht anwesend waren, schien niemanden zu stören. Zögernd wanderte Maja durch den Raum. Natürlich kannte sie niemanden, was möglicherweise auch gut so war, weil so keiner wissen konnte, wie wenig sie hierher passte. Allerdings sammelten sich die anderen Gäste zu kleinen Grüppchen, sodass Maja sich einsam und verloren vorkam. Sogar die Groupies waren immer mindestens zu zweit. Maja schob sich weiter durch den Raum. Es herrschte definitiv ein Frauenüberschuss und sie bemerkte die kritischen Blicke der vermeintlichen Konkurrentinnen. Ihr Bürooutfit, selbst ohne Blazer, entsprach offensichtlich so gar nicht dem Dresscode, der lautete eher: Minirock, tiefer Ausschnitt und leuchtend roter Lippenstift. Aus der Vielfalt bereitgestellter Getränkeflaschen nahm sie sich einen süßen Softdrink, weil es etwas Beruhigendes hatte, wenigstens eine Flasche zum Festhalten zu haben. Sie suchte sich eine ruhige Ecke und lehnte sich an die jahrhundertealte Mauer. Dort würde sie in Ruhe austrinken und dann gehen, vermutlich fiel es ja sowieso keinem auf. Es kannte sie schließlich keiner. Selbst Gitarrist James hatte sie wahrscheinlich längst vergessen. Was ihn wohl bewogen hatte, sie hierher einzuladen? Möglicherweise war die Einladung gar nicht für sie bestimmt. Es waren so viele Frauen und Mädchen bei der Autogrammstunde gewesen, da war es doch vorstellbar, dass er eine andere gemeint hatte und nicht eine siebenundzwanzig Jahre alte graue Büromaus mit einer hochgeschlossenen Bluse. Vielleicht schrieb er solche Botschaften auch einfach bei jeder zehnten Frau, damit genügend zur Party kamen. Welchen Grund sollte er schon haben, ausgerechnet sie einzuladen? Andererseits hatte er sie so intensiv angesehen, als er ihr die Karte gab. Maja hatte ihn vorher nie groß beachtet, doch jetzt war es ihr so, als spürte sie den Blick aus seinen mystisch-graugrünen Augen immer noch auf sich. Es war ein ganz anderes Gefühl, als von Davids gierigen Blicken im Büro verfolgt zu werden. Sie nahm einen Schluck aus ihrer halbvollen Flasche. Plötzlich wurde es mucksmäuschenstill, sogar die Musik brach mitten im Lied ab, sodass sie sich um ein Haar verschluckt hätte. Die Blicke richteten sich auf eine Tür auf einer hölzernen Galerie am Rande des Saals. Applaus kam auf. Angeführt von Sänger und Frauenschwarm Bill, betraten die Musiker von Children of an Unknown den Raum. Sie hatten offensichtlich die Zeit genutzt, sich umzuziehen, denn sie trugen nun alle Jeans und schwarze Shirts. Sie winkten der Festgesellschaft gönnerhaft zu und badeten kurz in dem Applaus. Gitarrist James war der Letzte in der fünfköpfigen Gruppe und stach als Größter zugleich heraus. Er hatte seine kinnlangen schwarzen Haare mit einem Haarband gebändigt, aber dank seiner breiten Schultern und kräftigen Arme wirkte er trotz dieser Frisur männlich – und sexy. Langsam kamen die Männer die Treppe herunter, und die Partymusik wurde wieder angeworfen. Sofort umringten Groupies die Band. Aus dem Stimmenwirrwarr hörte Maja Komplimente über die Musik und Glückwünsche für das erfolgreiche Konzert. Sollte sie sich auch in das Getümmel stürzen? Ein paar freundliche Worte sagen? Spielte das überhaupt eine Rolle, angesichts der Menge an Verehrerinnen? Maja leerte ihre Flasche endgültig und nutzte den Trubel, um unbemerkt in Richtung einer Tür unter einem leuchtenden Notausgangsschild zu wandern, wobei sie sich so unauffällig wie möglich an der Menschentraube rund um die Band vorbeischob. Dabei wäre sie vermutlich nicht einmal aufgefallen, wenn sie ein Pfauenkostüm aus echten Federn getragen hätte. Die Stars des Abends zogen alle Aufmerksamkeit auf sich. Trotzdem atmete sie erleichtert auf, als sie einen Seitenausgang erreichte, der offensichtlich auch dem gastronomischen Personal als Eingang diente. Sicher konnte sie auf diesem Weg das Gebäude verlassen. Eine erfolgreiche Flucht vor David. Was wollte sie mehr? »Maja, warte!« Eine tiefe, raue Stimme ließ sie innehalten, und das noch bevor eine große, kräftige und glühend heiße Hand sich um ihren Oberarm schloss. Sie drehte sich um und sah sich dem großgewachsenen Gitarristen James gegenüber. Unweigerlich fragte sie sich, warum man stets Sänger Bill als Frauenschwarm bezeichnete, James war noch einige Zentimeter größer und deutlich muskulöser. Außerdem hatte er diese faszinierende Mischung aus feminin anmutenden kinnlangen Haaren und unverkennbar männlichen, kratzigen Bartstoppeln im Gesicht. Sein Anblick fesselte Maja irgendwie. Sie ertappte sich sogar dabei, wie sie ihn kurz mit offenem Mund anstarrte. Sie wollte ihn berühren, um zu erfahren, ob der Bart so rau und die Haare so weich waren, wie es den Anschein machte. »Ja?«, fragte sie leise und schüchtern, fassungslos, dass er sich scheinbar tatsächlich an sie erinnerte. »Du willst schon gehen?« Er schien verwirrt. Fast würde sie sogar sagen, er wirkte enttäuscht. Zumindest für den Moment konnte sie gar nicht fort, weil James sie immer noch festhielt – einerseits entschlossen und unerbittlich, andererseits aber auch vorsichtig. Von dieser Berührung ging eine solche Hitze aus, dass ihr alles andere plötzlich kalt erschien. Ihr Entschluss zu gehen, geriet ins Wanken. »Ich weiß nicht.« Sie war seinetwegen hergekommen, auf seine Einladung hin. Sie hatte nur gehen wollen, weil sie angenommen hatte, er habe sie längst vergessen. »Dann geh nicht.« James schien plötzlich zu realisieren, dass ihn einige andere Partygäste irritiert beobachteten, und löste daraufhin seinen Griff. Unwillkürlich rieb Maja über die Stelle, an der eben noch seine Hand gelegen hatte, um die Hitze dort etwas länger zu bewahren. Ihre Haut kribbelte aufgeregt, alles andere als unangenehm, aber doch sehr ungewohnt. So eine Reaktion auf eine Berührung hatte sie nie zuvor erlebt. James lächelte sie an, ein viel sanfteres Lächeln, als sie es von einem hartgesottenen Rockmusiker erwartet hätte. »Lass uns etwas zu trinken holen.« Behutsam legte er eine Hand in ihren Rücken, nur ein Stück oberhalb des Pos, und dirigierte sie so weg vom Ausgang und zurück in Richtung Bar. Natürlich erregte auch diese Geste Aufmerksamkeit. James schien das nicht zu stören, wahrscheinlich war es für ihn normal, weil er immer angestarrt wurde, egal, was er tat. Aber Maja war sich bewusst, dass die Groupies sie mit feindseligen und abwertenden Blicken beobachteten. Du gehörst nicht hierher. Du bist keine von uns. So stand es ihnen ins Gesicht geschrieben. Damit hatten sie recht. Maja sollte nicht hier sein. Sie hatte sich eigentlich nur verstecken wollen und war dadurch in diesem Getümmel gelandet. James’ große Hand lag immer noch flach in ihrem Rücken und strahlte eine wohlige Wärme aus, die ihre dünne Bluse durchdrang. Eine Geste, die unweigerlich einen Eindruck von Vertrautheit erweckte, obwohl sie einander gar nicht kannten. Trotzdem fühlte sich seine Berührung gut an, und es machte die ungewohnte Umgebung leichter erträglich, weil er sich ihr so bereitwillig als Fremdenführer zur Verfügung stellte. An der improvisierten Bar, bestehend aus einfachen Tischen und einer bunten Mischung verschiedenster Flaschen, beugte sich James weit über den Tresen und wechselte einige Worte mit einem voluminösen Mann mit glänzender Glatze und Schnurrbart. Eine Minute später überreichte er Maja wortlos ein Glas, dessen Inhalt aussah wie ein flüssig gewordener Sonnenuntergang. Für sich selbst nahm er eine Flasche Bier mit. Dann schob er sie in eine verlassene Ecke, fernab von allen Lautsprechern. Zumindest war es dort ruhig genug, um sich zu unterhalten. Aber worüber sollten sie schon reden? Das Wetter? Die Burg? Unerwartete Einladungen auf Autogrammkarten? »Das war ein tolles Konzert«, begann Maja unsicher, weil sie den Eindruck hatte, etwas sagen zu müssen, zumal James sie ernst und gründlich musterte. Sie spürte seinen Blick, der von ihrem immer noch feuchten und zerzausten Haar über ihren Mund wanderte, um schließlich über ihren Hals zu gleiten, hinab zu ihrer Business-Bluse und der langweiligen Anzugshose. »Ich weiß«, gab er leise und selbstbewusst zurück, dabei lehnte er sich entspannt gegen das alte Mauerwerk. Den Blick fest auf sie geheftet, setzte er seine Bierflasche an und nahm einen Schluck. Maja tat es ihm gleich. Vielleicht half ihr der Alkohol, sich in die Situation hineinzufinden. Vielleicht gab er ihr wenigstens den Mut, sich entschlossen zu verabschieden. Das wäre wohl das Beste. »Ich habe dich vorhin gesehen«, platzte es nun aus James heraus. »Von der Bühne aus.« Maja starrte ihn verwirrt an, bis sie sich wieder daran erinnerte, dass sie ungewollt ganz vorne gestanden hatte. Unter den Groupies war sie sicher aufgefallen wie ein bunter Hund – oder eher als graue Maus zwischen den bunten Hunden. »Du sahst einsam aus.« James’ Blick wurde auf einmal weicher und ein winziges Lächeln trat auf seine Lippen. Das sonst eher ernste und verschlossene Gesicht schien mit einem Mal viel freundlicher. »Deshalb wollte ich dich kennenlernen«, fuhr er ruhig fort, während Maja noch versuchte, ihre Gedanken zu sortieren und an etwas anderes zu denken als daran, wie sehr dieser Mann sie faszinierte. Dabei hatte sie ihn bisher als Mann im Hintergrund bei den Konzerten kaum wahrgenommen. Jetzt war er so präsent, dass er sogar die verwirrend fremde Umgebung in den Hintergrund rücken ließ. »Ich bin nicht einsam«, erwiderte sie trotzdem automatisch, obwohl sie sich dessen gar nicht so sicher war. Ihre Freunde hatten sich von ihr abgewandt, ihre Kollegen lästerten bestenfalls über sie, und ihrer Familie hatte sie selbst den Rücken gekehrt, um nicht mehr gutgemeinte Ratschläge für eine Versöhnung mit David hören zu müssen. James beobachtete sie einen Moment schweigend, genau so, als könne er die traurigen Erkenntnisse in ihrem Gesicht lesen. »Nein, jetzt natürlich nicht.« Er grinste schelmisch. »Jetzt bist du ja hier und hier sind so viele Leute, dass man kaum eine Ecke findet, um sich in Ruhe unterhalten zu können.« So sehr er damit recht hatte, so sehr irrte er sich zugleich. Sie kannte niemanden hier, nicht einmal James, und sie spürte immer noch die Blicke der anderen Frauen, die sie hier nicht haben wollten. Je länger sie dort allein mit James stand, desto mehr würde auch die Abneigung der anderen Frauen ihr gegenüber wachsen. Es waren so viele, die darauf lauerten, ihren Platz einzunehmen … Hastig nahm sie einen erneuten Schluck aus ihrem Glas, um sich von dem Wissen darüber, wie unerwünscht sie hier war, abzulenken. »Ich sollte gehen.« James trank ebenfalls und stellte demonstrativ seine Flasche auf einem Sims aus Stein ab, obwohl sie nicht annähernd leer war. »Ich komme mit.« Immer noch grinsend nahm er ihr das fast volle Cocktailglas aus der Hand und stellte es neben die Flasche. Wieder legte er ihr die Hand auf den Rücken, diesmal allerdings sah er ihr dabei tief in die Augen, sodass sich diese Geste für sie so intim anfühlte, als wäre sie nackt. Jedoch störte sie sich gar nicht daran, obwohl sie gewöhnlicherweise alles andere als leicht zugänglich für Berührung war. Aber James’ Hand strahlte Wärme und Geborgenheit aus. Etwas in ihr war dankbar dafür, ihn getroffen zu haben, als hätte sie seit Jahren auf diese eine Begegnung und diese Berührung gewartet. In allem, was James tat und sagte, lag dieses unterschwellige Versprechen, sie zu beschützen, und instinktiv vertraute sie ihm, obwohl es doch gar nichts gab, vor dem sie beschützt werden müsste. Vielleicht war dies ein dummer, teenagerhafter Teil von ihr, der sich so endlich von David befreien wollte. »Wohin gehen wir?«, fragte sie leise, während James sie zu ebenjenem Dienstboteneingang lotste, durch den sie vor Kurzem hatte flüchten wollen. »Das ist mir vollkommen egal. Ich will dich nur endlich küssen können, ohne dass es die ganze Welt sieht.« Der Druck seiner Hand veranlasste Maja weiterzugehen, obwohl ihr angesichts seiner entschlossenen Worte die Knie weich wurden. Dass er es ernst meinte, glaubte sie ihm sofort. Und statt sich darüber zu ärgern, wünschte sie sich unweigerlich, dass er diese Ankündigung in die Tat umsetzte. Dabei war das doch sonst so gar nicht ihre Art – sie war schließlich keines seiner Groupies und wollte es auch nicht werden. Sie sollte sich losmachen und ihn in die Schranken weisen, statt ihm in einen dunklen Gang zu folgen. James schien genau zu wissen, wohin er ging, auch wenn er das Gegenteil behauptet hatte. Maja dagegen hatte die Orientierung verloren, obwohl sie die Burg im Laufe ihres Lebens schon so oft besichtigt hatte. Plötzlich fand sie sich in der inzwischen verlassenen Eingangshalle wieder, in der es bis auf die Notbeleuchtung dunkel war. James kam zum Stehen und Maja brachte schnell einen Schritt Abstand zwischen sich und ihn, bevor er zur Tat schreiten konnte. Nervös drehte sie sich zu ihm um und suchte nach den richtigen Worten, obwohl sie gar nicht wusste, was sie sagen wollte. James stand ihr entspannt gegenüber und beobachtete sie in ihrer Ratlosigkeit. Wie oft erlebte er eine solche Situation wohl? Langsam kam er einen Schritt näher. Es war still um sie herum, umso mehr dröhnte ihr eigener Herzschlag in Majas Ohren. Sie konnte doch nicht zulassen, dass er sie einfach so küsste. Oder? Ein weiterer Schritt. Sie spürte bereits die Hitze, die von ihm ausging, und wie diese nun langsam durch ihre noch immer vom Regen klamme Kleidung drang. Noch ein Schritt. Sein Blick war fest auf sie geheftet und in ihm erkannte sie etwas, dass sie so ruhig werden ließ, dass sie sich gar nicht mehr wehren wollte. Als er seinen Arm ausstreckte, wusste Maja bereits, dass er sich zu Recht sicher war, nicht auf Widerstand zu stoßen. Sie wollte diesen Kuss zulassen und herausfinden, ob er so welterschütternd war, wie es ein träumerischer Teil von ihr es erwartete. Sein Arm legte sich fest um ihre Mitte und Maja folgte seinem Druck bereitwillig, um den letzten Abstand zu überwinden, bis sie dicht vor ihm stand. Sein brennender, verheißungsvoller Blick war direkt auf sie gerichtet, als er sich langsam immer weiter zu ihr hinab neigte. Nein, sie wollte sich nicht wehren. Es gab wirklich Schlimmeres, als einen Rockstar zu küssen. Außerdem war sie single und niemand konnte ihr dieses kleine Abenteuer verbieten. Als sein Gesicht immer näherkam, schloss sie die Augen. Sein Atem streifte ihre Lippen, und sie öffnete den Mund leicht, um ihn einzuatmen. Seine Lippen waren weich und warm. Kaum trafen sie auf ihre, teilten sie sich auch bereits und seine feuchtheiße Zunge tastete nach ihrer. Sein Kuss war gierig und ungeduldig, als hätte er wirklich stundenlang darauf gewartet. Unwillkürlich umklammerte sie seine muskulösen Oberarme, um ihm standhalten zu können, weil sie mit dieser Leidenschaft nicht gerechnet hatte. Die Bewegungen seiner Zunge hallten bis in ihren Unterleib wieder und ließen ihre Knie weich werden, aber instinktiv wusste sie auch, dass James sie halten würde, wenn sie den Boden unter den Füßen verlor. Davon war sie gar nicht mehr weit entfernt. Dieser Kuss war so fesselnd, dass sie fast glaubte, die Welt um sie herum zerfiele in tausend Teile, bis nichts mehr davon übrig bliebe. Das störte sie nicht einmal, sie wollte einfach nur James – dabei kannte sie ihn gar nicht und hatte keinen Grund, sich so zu ihm hingezogen zu fühlen. Sie war atemlos, und ihre Lippen glühten, als er sich von ihr löste. »Mehr?« Sein Mund war noch so nah, dass sie seinen Atem spürte und sich nur auf die Zehenspitzen stellen müsste, um ihn wieder zu küssen. »Ja.« Wie könnte sie nicht mehr von diesen Küssen wollen? Sofort bedeckten seine Lippen erneut die ihren. Ein Quäntchen Anstand meldete sich in ihrem Hinterkopf leise zu Wort und wollte sie drängen, das hier zu beenden, aber ein trotziges Teufelchen auf ihrer Schulter fragte zu Recht: »Warum denn?« Warum nicht noch ein oder zwei dieser heißen Küsse? Warum nicht herausfinden, wie weich sein schwarzes Haar wirklich war? Es war Wochenende, und keiner würde es merken, wenn sie in dieser Nacht nicht nach Hause kam. Keiner würde ihr deswegen Vorhaltungen machen können. Höchstens sie selbst. James’ freie Hand legte sich fest auf ihre Hüfte und wanderte langsam an ihrer Seite entlang hinauf. Seine Zunge eroberte erneut ihren Mund und sie presste unwillkürlich die Schenkel zusammen, angesichts der Hitze, die er tief in ihrem Innersten schürte. Seine große Hand schmiegte sich von unten an die Wölbung ihrer Brust, während er sie so eng an sich drückte, dass sie seinen stahlharten Körper spürte. Vor ihrem inneren Auge sah Maja bereits, wie er sie gegen das uralte Gemäuer drängte und mit dem Rücken zur Wand nahm. Sie wollte sich gar nicht dagegen wehren. Bisher war sie immer die Brave gewesen und hatte keinem Mann vor dem dritten Date auch nur einen Kuss gestattet. »Lass uns gehen«, keuchte er plötzlich und brachte entschlossen wieder etwas Abstand zwischen sie, geradeso, als wäre er selbst von seinem stürmischen Kuss überrascht. Dabei war das den Gerüchten zufolge doch eher der Alltag für die Bandmitglieder.