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Leonard ist der Geschäftsführer des "Dark Paradise", einem gepflegten BDSM-Resort an der englischen Küste bei Scarborough. Als der Besitzer stirbt und seine Tochter Laura das Resort erbt, muss Leonard befürchten, dass es geschlossen wird. Um das zu verhindern, fährt er nach London um mit Laura zu reden, doch die stellt sich stur wie ein alter Esel. Laura arbeitet als Kellnerin in einem Londoner Touristencafe. Von ihrem Erzeuger weiß sie nur, dass er ein mieser Zuhälter ist, der einen als Urlaubsresort getarnten Sexclub betreibt, in dem Frauen ausgebeutet werden. Als er stirbt, ist sie die Erbin des Clubs, darf allerdings laut Testament erst verkaufen, nachdem sie einige Wochen lang darin gewohnt hat. Empört lehnt sie das Erbe ab. Doch als ihr gewalttätiger Verlobter Colin sie verprügelt, ist das "Dark Paradise" der einzige Ort, an dem sie sich vor ihm verstecken kann. Dumm nur, dass Leonard sie dort mit seinen dunklen Versprechungen immer mehr durcheinanderbringt und nie geahnte Bedürfnisse weckt ... BDSM-Romance.
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Seitenzahl: 282
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Rohrstock zur Teatime
Sara-Maria Lukas
2019 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels
www.plaisirdamour.de
© Covergestaltung: Mia Schulte
ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-411-5
ISBN eBook: 978-3-86495-412-2
Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Autorin
„Der Schreibtisch sieht aus, als ob Magnus jeden Moment hereinkommen würde.“ Emmi schüttelte seufzend den Kopf und zog den Stecker des Staubsaugers aus der Steckdose. „Irgendwie kann ich es immer noch nicht richtig glauben. Was wird denn jetzt bloß aus uns?“
Leo schob den Aktenordner ins Regal, zog sie an seine Brust und umarmte sie fest. „Für dich ändert sich nichts, Emmilein. Du lebst hier seit fünfzehn Jahren und niemand wird dich vertreiben. Du bist die gute Seele des Hauses. Wer sollte dich ersetzen? Wie sollten wir ohne dich klarkommen? Das geht doch gar nicht.“ Er küsste sie auf die grauen, mit weißen Strähnen durchzogenen Haare und schob sie ein Stück von sich weg, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Als sie zu ihm aufblickte, zogen sich die Runzeln auf ihrer Stirn zu dicken Falten zusammen.
„Das sagst du so, Junge, aber was ist, wenn sie verkauft? Sie hat doch zu ihrem Vater kein persönliches Verhältnis gehabt. Das Resort ist ihr egal, sie wird viel lieber Geld haben wollen!“
„Sollte das tatsächlich so sein, fällt uns etwas ein. Das verspreche ich dir. Vielleicht können wir es ihr abkaufen. Einige Stammkunden würden sicher investieren und hier Teilhaber werden wollen, wenn wir es ihnen anbieten.“
„Investieren? Das kann ich auch. Ich gebe meine gesamten Ersparnisse dafür her!“
Leo strich ihre Oberarme hinunter und lächelte. „Du würdest deine gesamten Ersparnisse in ein Sexhotel stecken?“
„Das hier ist kein schnödes Sexhotel, es ist ein besonderes Hotel. Es ist unser Zuhause, unser Nest, unser … unser … Paradies, wie es der Name ja auch sagt.“
Leo gluckste. „Du hast das Dark vor dem Paradise vergessen, Emmi.“
„Na und? Du weißt doch, was ich meine.“ Sie zwinkerte übermütig. „Die Idee, hier zu investieren, gefällt mir. Wenn mir vier Quadratmeter der Anlage gehören, passt immerhin mein Bett drauf und es kann mich niemand mehr vertreiben. Ich meine, ich werde schließlich nicht jünger und was soll eine devote Oma wie ich in einem normalen Altenheim?“
Leo legte den Kopf in den Nacken und brach in schallendes Gelächter aus. „Ich möchte mir jetzt wirklich nicht vorstellen, wie du einem Altenpfleger befiehlst, dir den Hintern zu versohlen, Süße. Diese armen Menschen müssen vor dir geschützt werden.“ Er setzte sein schönstes Dom-Gesicht auf. „Sklavin Emma Walter, du kriegst als Altersruhesitz die vier Quadratmeter große Zelle im Sheriff’s Office, verstanden?“
Emmi salutierte übertrieben albern wie ein Clown. „Wie Sie befehlen, Sir Leonard Wyszman.“ Sie gluckste und lehnte sich an seine Brust. „Das Office ist mein Lieblingsspielzimmer. Als Magnus es damals einrichtete, durfte ich mitbestimmen. Wenn das mein Rentnerwohnsitz wird, bin ich zufrieden. Und jetzt Schluss mit dem Gejammere.“ Mit einer resoluten Bewegung löste sie sich von ihm. „Ich muss im Foyer noch saugen, bevor die ersten Gäste dort herumlaufen.“
„Du sollst die anstrengenden Arbeiten an die Jüngeren verteilen, dafür hat Magnus dich doch zur Housekeeping- Managerin ernannt, vergiss das nicht immer.“
Emmi winkte ab. „Neumodischer Quatsch. Ich weiß nicht mal, wie man das schreibt. Ich bin Haushälterin und kann arbeiten wie alle anderen. Noch bin ich kein Pflegefall!“
Eine Minute später schloss sich hinter ihr und dem Staubsauger die Tür des Arbeitszimmers. Typisch Emmi. Schmunzelnd ließ Leo sich auf Magnus’ bequemem Sessel am wuchtigen Schreibtisch nieder. Sie hatte recht. Auch er konnte sich noch nicht daran gewöhnen, dass sein Boss und väterlicher Freund gestorben war, und machte sich Gedanken um die Zukunft. Magnus’ persönliche Sachen lagen immer noch griffbereit neben dem Computer sowie in den Schubladen und Schränken des Arbeitszimmers. Niemand mochte irgendetwas umräumen oder wegwerfen.
Nachdenklich griff Leo zu dem altmodischen Füllfederhalter, der in der hölzernen schmalen Ablage steckte, die Magnus mal, passend zu seinem Schreibtisch, in einem Antiquitätenladen erstanden hatte, und drehte ihn zwischen seinen Fingern. Er hatte es nicht übers Herz gebracht, Emmi gegenüber ehrlich zu sein. In Wahrheit war er gar nicht so felsenfest davon überzeugt, dass das Paradise ohne Magnus weiterleben könnte.
Rechts neben dem Bildschirm stand der silberne Bilderrahmen mit dem Foto von Laura. Es war aufgenommen worden, als sie acht Jahre alt gewesen war. Das runde, von blonden Haaren umrahmte Kindergesicht lächelte offenherzig in die Kamera. Was war danach geschehen? Was hatte Vater und Tochter so sehr entfremdet, dass sie sich nie wieder getroffen hatten und Laura nicht mal zu seiner Beerdigung gekommen war?
Seufzend richtete Leo den Blick wieder auf den Computer vor ihm und schaltete ihn ein. Die Testamentseröffnung stand bevor und er musste für die Übergabe des Resorts an die Erbin eine Statistik über ihre Einnahmen und Ausgaben ausdrucken. Als ob man den Wert einer Anlage wie das Dark Paradise in Zahlen benennen könnte. Es war so viel mehr als ein altes umgebautes Kloster. Für Emmi beispielsweise, die ihr halbes Leben lang unter ihrer devoten und masochistischen Neigung gelitten hatte. Erst im Alter von fast sechsundvierzig Jahren hatte Emmi sich ihrem Ehemann anvertraut, woraufhin der sie verlassen hatte. Erst im Dark Paradise lernte sie, dass sie nicht psychisch gestört war. Es war ihr Zuhause geworden. Im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts, als Magnus die heruntergewirtschaftete Hotelanlage gekauft und als Dark Paradise neu eröffnet hatte, galten SM-Anhänger, genauso wie Homosexuelle, noch als krank und abartig.
Über Emmis Geschichte könnte man ein Buch schreiben – wie über viele andere, die das Resort in den vergangenen Jahrzehnten besucht hatten. Mit dem Dark Paradise hatte Magnus sich und ihnen allen den Traum erfüllt, abseits von schmuddeligen Clubs einen Ort zu haben, an dem Männer und Frauen ihre Neigungen ungezwungen, frei und in angenehmem Ambiente ausleben konnten. Er hatte das in ein uraltes Kloster gebaute Hotel bereits in jungen Jahren kennengelernt, als es noch eine harmlose Hotelanlage mit Ferienhäusern für Familien mit Kindern gewesen war. Als er hörte, dass es zwangsversteigert wurde, griff er zu. Das alte Kloster mit seinen vielen kleinen Nebengebäuden war zu einem gemütlichen Village, einem einsam gelegenen Domizil geworden, in dem sich BDSM-Anhänger wohl- und sicher fühlen konnten. Diskretion war oberstes Gebot. Hier durfte sich jeder frei entfalten, ohne Angst haben zu müssen, dass es im privaten oder beruflichen Umfeld zu Nachteilen führen könnte.
Zum Glück änderten sich die Zeiten, und sexuelle Ausrichtungen aller Art wurden allmählich toleriert. Immer mehr Menschen trauten sich, ihre Neigungen auszuleben, doch die Entwicklung ging nur langsam voran. Für Leo war es eine furchtbare Vorstellung, dass Magnus’ Lebenswerk geschlossen oder von einem neuen Besitzer zu einem billigen Sexclub degradiert werden könnte. Er musste und wollte alles tun, was in seiner Macht stand, um das zu verhindern.
Nachdem er eine Weile konzentriert gearbeitet hatte, klopfte es kurz an der Tür, bevor sie geöffnet wurde.
Leo blickte auf. Niklas steckte den Kopf herein. „Hi, störe ich?“
Leo winkte ab. „Nein. Komm rein.“
Niklas schlenderte näher und ließ sich gegenüber dem Schreibtisch auf einen Sessel fallen. „Es ist immer noch seltsam, dich statt Magnus hier sitzen zu sehen.“
Leonard zuckte mit den Schultern. „Ich mache den Bürokram schon seit zwei Monaten.“
„Ja, aber irgendwie ist es jetzt anders. Als er noch lebte, kam er wenigstens ab und zu in Bademantel und Pantoffeln hereingeschlurft.“
„Ich weiß, was du meinst. Wir können uns alle noch nicht daran gewöhnen, dass er gestorben ist. Wie sieht’s in unserem Dark Village aus? Alles okay?“
Niklas nickte. „Ja, der Laden läuft reibungslos und wir haben immer mehr Stammgäste. Im Moment gibt es nur noch drei freie Appartements. Es wäre sehr schade, wenn wir nicht weitermachen könnten.“
„Wem sagst du das.“ Leonard lehnte sich zurück und drehte den Kugelschreiber zwischen den Fingern hin und her. „Ich fahre übrigens schon heute Vormittag nach London.“
„Warum?“
„Magnus hat mich zwei Tage vor seinem Tod gebeten, mit seiner Tochter zu reden, bevor sie eine Entscheidung über ihr Erbe trifft, und mein Gefühl sagt mir, es ist besser, das vor der Testamentseröffnung zu tun.“
„Hast du sie mal kennengelernt?“
Leonard schüttelte den Kopf. „Nein. Ich weiß nur, dass Laura als Serviererin in einem kleinen Restaurant arbeitet, ihre Mutter in Glasgow lebt und es keine weiteren Geschwister gibt.“
„Wie alt ist sie?“
„Achtundzwanzig.“
„Freund? Verlobter?“
„Vermutlich, unter ihrer Anschrift steht auch ein Männername im Telefonbuch.“
„Zweimal spätes Frühstück, bitte sehr.“ Routiniert platzierte Laura Teller und Tassen vor den Gästen. „Wer bekommt den Kaffee?“ Einer nickte und sie stellte das Kännchen ab. „Dann ist für Sie der Tee.“ Lächelnd servierte sie das dickbäuchige Teekännchen gegenüber. „Guten Appetit.“
Zwei andere Gäste verließen das Café, und Laura lief hinüber, um den frei gewordenen Tisch abzuräumen.
Durch das große Fenster schien die Wintersonne herein und ließ das im französischen Bistro-Stil eingerichtete Lokal, das früher einmal ein normaler Pub gewesen war, gemütlicher wirken, als es war.
Als sie bepackt mit dreckigem Geschirr wieder Richtung Tresen lief, hörte sie hinter sich das Türglöckchen bimmeln.
Sie stellte die Teller im Eingang zur Küche neben die Geschirrspülmaschine, entsorgte die Essensreste im Mülleimer, richtete sich auf und schob sich ein paar Haarsträhnen hinter das Ohr.
„Wow.“ Anna stöhnte sehnsuchtsvoll, und Laura verdrehte innerlich die Augen, bevor sie sich umdrehte und zu ihrer Kollegin an den Tresen trat.
„Na, mal wieder ein Traumtyp im Anmarsch?“
„Das kann man wohl sagen.“
Laura lehnte sich schräg an den Tresen, goss sich ein Glas Wasser ein, trank einen Schluck und folgte Annas Blick, den diese immer noch nicht von dem neuen Gast lösen konnte. Verständlich. Der Typ gehörte tatsächlich zur WOW-Sorte. Er war groß, mindestens einen Meter neunzig, trug eine auf perfekte Art lässig sitzende ausgeblichene Jeans, braune Boots und eine mit hellem Teddyfell gefütterte Jeansjacke, die seine breiten Schultern betonte. Er bewegte sich geschmeidig wie ein Sportler, dadurch wirkte sein Gangbild zielgerichtet und entschlossen, obwohl er gemächlich zwischen den Tischen hindurchschlenderte.
Er war dunkelhäutig, vermutlich stammte er von weißen und afroamerikanischen Vorfahren ab. Die krausen Haare trug er militärisch kurz, sodass er sie nach dem Duschen wahrscheinlich nicht mal kämmen musste. Seine Wangenknochen und die geschwungenen Lippen wurden durch einen Dreitagebart betont. Dadurch wirkte sein Gesicht kantig, ernst und vor allem sehr willensstark.
An einem freien Ecktisch blieb er stehen, zog sich die Jacke aus, legte sie auf einen Stuhl und setzte sich auf den daneben. Unter seinem dunkelblauen Sweatshirt erkannte man die Konturen ausgeprägter Muskeln. Er griff mit einer beiläufigen Geste zur Speisekarte und ließ gleichzeitig den Blick durch das Bistro gleiten.
Anna seufzte theatralisch. „Dein Tisch. Das Schicksal ist so gemein.“
Laura winkte gelangweilt ab. „Geh hin, ich überlasse ihn dir. Ich habe sowieso gleich Feierabend und bin mit Colin verabredet. Judith muss jeden Moment kommen und mich ablösen. Viel Spaß.“
„Danke, ich liebe dich“, flötete Anna und lief los.
Laura verdrehte innerlich die Augen, während sie nach ihrem Glas griff und es austrank. Dabei beobachtete sie Anna, die den Fremden mit einem breiten Lächeln begrüßte. Er zeigte kurz in die Karte, während er seine Bestellung aufgab, und legte sie dann beiseite. Lauras Blick blieb am Gesicht des Typen kleben. Seine ernste, selbstsichere Art, die Ruhe und Gelassenheit, die er ausstrahlte, wirkte definitiv extrem anziehend auf die meisten Frauen.
Anna lief nicht gleich los, nachdem er bestellt hatte. Er schien ihr Fragen zu stellen, die sie beantwortete. Schließlich deutete sie mit der Hand zum Tresen und der Fremde drehte den Kopf in die gezeigte Richtung. Schnell wendete Laura sich ab. Hoffentlich hatte er ihr peinliches Anstarren nicht gesehen. Zum Glück trat Judith in diesem Moment aus dem kleinen Flur, der zu den Umkleiden führte, heraus, sodass Laura sie begrüßen konnte und sich nicht wieder zu den Tischen umdrehen brauchte. Sie steckte ihren Schlüssel in die Registrierkasse und gab den Tastencode für ihr Schichtende ein.
„Der Typ will zu dir“, hörte sie es hinter sich trällern und wendete den Kopf. Anna tänzelte grinsend zum Spülbecken. „Was?“
„Er will dich sprechen. Geh hin.“
Laura runzelte die Stirn. „Was heißt, er will mich sprechen?“
Anna gestikulierte stöhnend übertrieben mit den Händen nach rechts und links. „Er hat gefragt, ob ich Laura Populowski bin. Ich habe mit großem Bedauern verneint und ihm gesagt, dass du das bist. Daraufhin hat er mich gebeten, dich zu ihm zu schicken.“
„Warum?“
„Keine Ahnung, er wird’s dir sicher verraten.“
Was sollte das? Was wollte der Typ von ihr? Als Laura keine Anstalten machte, loszugehen, schubste Anna sie gegen den Oberarm. „Geh! Er wird dich schon nicht beißen.“
„Ja doch, gleich.“ Entschlossen wartete sie auf die Fertigstellung des Abrechnungsausdrucks aus der Kasse, faltete ihn sorgfältig zusammen und steckte ihn ins Portemonnaie. Nach einem schnellen Blick auf die Uhr ging sie los.
„Sie wollen mich sprechen?“
Der Fremde nickte. „Mein Name ist Leonard Wyszman. Haben Sie einen Moment Zeit, sich zu mir zu setzen?“
Seine Stimme war tief und schien die Luft zum Vibrieren zu bringen. Laura hatte das Gefühl, sie körperlich zu spüren.
„Nein, ich muss arbeiten.“
Seine Mundwinkel zuckten. „Ihre Kollegin sagt, sie haben gerade Feierabend.“
Fuck! Peinliche Hitze kroch in Lauras Ohrläppchen. Na warte, holde Freundin … Entschlossen verschränkte sie die Arme vor der Brust und starrte auf den Fremden hinab. „Ich muss noch meine Abrechnung machen, und mein Verlobter wartet draußen auf mich. Worum geht’s?“
„Ich bin …“, er räusperte sich. „Ich war ein enger Freund Ihres Vaters.“
Seine Worte brachten sie dazu, hart zu schlucken. Auch das noch. Ihr Erzeuger. Das Testament. Der Termin beim Notar. Während der Arbeitszeit hatte sie jeden Gedanken an diese unangenehme Angelegenheit erfolgreich beiseitegeschoben, nun musste dieser Blödmann sie daran erinnern.
In ihrem Magen verkrampfte sich etwas, es fühlte sich an, als ob sich ein dicker Mühlstein drehen würde, um noch nicht verdaute Essensreste zu zermahlen. So war es immer, wenn sie irgendetwas oder irgendjemand an den amtlichen Brief erinnerte, der vor zwei Wochen im Briefkasten gelegen hatte.
„Ich hatte zu meinem Vater keinen Kontakt. Ich wüsste nicht …“
Der Fremde winkte ab. „Ich weiß, dass sie keinen Kontakt miteinander hatten. Es geht um die Testamentseröffnung morgen.“ Er deutete auf den Platz ihm gegenüber. „Bitte.“
Verdammt. Widerwillig schob Laura sich auf den Stuhl.
Fasziniert betrachtete Leo die Tochter des Mannes, der ihn wie einen Sohn bei sich aufgenommen hatte. Sie hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem Kind auf dem Foto, das seit so vielen Jahren auf Magnus’ Schreibtisch stand; dafür ähnelten ihre Gesichtszüge nun in kaum wahrnehmbaren Nuancen denen ihres Vaters. Das Rundliche war aus ihrem Gesicht verschwunden, es wirkte schmaler. Ausdrucksvolle Augen, hohe Wangenknochen und das spitze Kinn verliehen ihr die Attraktivität einer schönen jungen Frau. Doch die kleinen Fältchen in den Augenwinkeln und der harte Ausdruck um ihren Mund herum verrieten ihm, dass sie nicht nur angenehme Lebenserfahrungen gemacht hatte. Das Braun ihrer Augen erinnerte an Kastanien, und das schulterlange Haar schimmerte nicht mehr so hell wie auf dem Bild, sondern in einem Ton irgendwo zwischen dunkelblond und haselnussbraun.
Sie runzelte die Stirn und machte eine unwillige Kopfbewegung, genau wie Magnus es immer getan hatte, wenn sich ein Gast abfällig über eine Sub geäußert oder jemand eine Angestellte des Clubs wie eine billige Nutte behandelt hatte.
Laura war unübersehbar Magnus’ Fleisch und Blut, keine Frage. Diese Erkenntnis brachte Leo für einen Moment aus dem Konzept.
„Was ist?“, fuhr sie ihn an. „Habe ich einen Fleck auf der Bluse oder warum starren Sie mich so an?“
„Entschuldigung. Es ist nur … Sie sind ihm sehr ähnlich. Das habe ich nicht erwartet.“ Er schluckte entschlossen den Kloß im Hals hinunter, der sich da plötzlich gebildet hatte. „Sorry. Tut mir leid. Der Tod Ihres Vaters ist immer noch schwer zu ertragen.“
„Hören Sie“, Laura richtete sich auf und faltete die Hände auf dem Tisch, „Herr Wü… äh … Wys…“
„Bitte nennen Sie mich Leonard oder einfach Leo.“
Sie schüttelte unwillig den Kopf und starrte auf ihre Finger. „Ich habe meinen Vater seit zwanzig Jahren nicht gesehen. Ich hatte nichts mit ihm zu tun, ich erinnere mich kaum an ihn. Ich wüsste nicht, was es zwischen uns zu besprechen gäbe.“
„Ihr Vater und ich waren nicht nur Freunde, sondern auch Geschäftspartner. Und da Sie seine Erbin sind, sind wir nun Geschäftspartner. Ich war dabei, als ihr Vater das Testament aufgesetzt hat. Ich weiß, was drinsteht und was er sich gewünscht hat, und darüber möchte ich mit Ihnen sprechen.“
„Ich will damit nichts zu tun haben, ich werde das Erbe ablehnen.“ Sie wollte aufspringen, doch Leo packte ihren Unterarm. „Warte.“
Plötzlich war er sauer. Stinksauer. Sie war eine Frau, aber sie benahm sich wie ein verzogenes Kind, und so würde er sie ab sofort auch behandeln. Magnus hatte sich sein Leben lang voller Trauer nach seiner Tochter gesehnt. Immer wieder hatte er von ihr geredet, nie die Hoffnung aufgegeben, dass sie sich doch noch versöhnen würden. Doch sie hatte in all den Jahren nicht einen Brief ihres Vaters beantwortet. Trotzdem hatte er ihr vererbt, woran sein Herz gehangen hatte, und diese arrogante Göre wollte nicht mal ein paar Minuten Zeit opfern, um darüber zu reden?
Laura starrte auf Leos Hand, die ihren Arm umklammert hielt, und kniff die Lippen so fest zusammen, dass sie eine dünne Linie bildeten.
„Du wirst nicht gehen, bevor wir nicht miteinander geredet haben. Wenigstens das muss doch möglich sein.“
Eine Sekunde lang dachte er, sie würde versuchen, sich loszureißen, oder um Hilfe schreien, doch sie verharrte stocksteif.
Wütend funkelte er sie an. „Ich weiß nicht, was zu der Entfremdung zwischen Magnus und dir geführt hat, aber ich weiß, dass er sich sein Leben lang um das Wohlergehen seiner Tochter gesorgt hat. Du bist es ihm, verdammt noch mal, schuldig, mir wenigstens zuzuhören. Kapiert?“
Sie rührte sich nicht.
„Sieh mich an!“
Ihr Kopf zuckte hoch und mit gnadenloser Härte starrte er in ihr Gesicht.
Ihre Unterlippe bebte und ihr Brustkorb hob und senkte sich hektisch.
Leonard beugte sich vor. „Ob du kapiert hast, was ich gesagt habe?“
„Ja“, flüsterte sie heiser.
„Gut.“
Ihre Schultern sackten herab, sie atmete zitternd aus und ihre Brustwarzen bohrten sich durch den Stoff ihrer weißen Bluse und des darunter durchschimmernden BHs. Wow. Sie reagierte auf ihn. War Laura Populowski etwa devot? Ihre Mimik und ihr Körper sprachen eine ziemlich deutliche Sprache. Die Erkenntnis ließ einen Schwall Wärme durch seinen Brustkorb wirbeln, was so unerwartet passierte, dass es ihn vollends aus dem Konzept brachte. Fuck! Was war denn jetzt mit ihm los?
Entschlossen konzentrierte er sich auf sein Anliegen. Er ließ sie los und atmete tief durch. „Entschuldung. Wie schon gesagt, sein Tod hat uns sehr getroffen. Bitte.“ Er wies in Richtung des freien Stuhls. „Es wird nicht lange dauern, okay?“
Lauras Herz donnerte so hart gegen die Rippen, dass sie glaubte, er müsste es hören. Ihre Haut kribbelte dort, wo er sie mit festem Griff gepackt hatte. Er war eindeutig sauer, obwohl er nun wieder beherrschte Ruhe ausstrahlte. Er hatte ihr rüde einen Befehl erteilt, und anstatt sich empört zur Wehr zu setzen, hatte sie gehorcht. Sie war gefangen, von seinem Blick, von seiner Aura. Sie konnte nicht anders, als zu gehorchen, nein, sie wollte ihm gehorchen. Das fühlte sich auf eine seltsame, surreale Weise so an, als hätte er magnetische Kräfte und würde sie damit zu sich hinziehen. Das war bescheuert! Völlig falsch! Seine Ausstrahlung erregte sie. In ihrer Klit pulsierte es und warme Feuchtigkeit durchnässte ihren Slip.
Fassungslos, verwirrt und benommen saß sie da und kniff die Oberschenkel zusammen.
„Du darfst das Erbe nicht einfach ablehnen.“
Seine Stimme, jetzt wieder ruhig und tief vibrierend, drang durch das Gefühlschaos in ihren Verstand. „Warum nicht?“
Er antwortete nicht, und sie wagte es, ihn anzusehen.
Er runzelte die Stirn. „Weißt du überhaupt, was du erbst?“
„Ich weiß, was er besaß, und will nichts davon.“
Ein Stuhl wurde geräuschvoll zur Seite geschoben und jemand blieb am Tisch stehen. „Du erbst etwas?“
Ihr Blick zuckte in Richtung der Stimme. Colin. Verdammt!
„Ich warte seit zehn Minuten im Auto. Wo bleibst du?“
Sonst war er es immer, der sie warten ließ. Warum war er ausgerechnet heute pünktlich? So ein Mist! Er sollte doch nie von dem blöden Testament erfahren! Sie sah zu ihm auf, doch er war damit beschäftigt, den Mann, der seiner Verlobten gegenübersaß, aus zusammengekniffenen Augen zu mustern.
Sie räusperte sich und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Entschuldige, ich wurde aufgehalten.“
Sie wandte sich wieder Leonard zu. „Das ist mein Verlobter Colin Waterland. Das ist … äh … Herr …“
„Leonard Wyszman“, half er ihr. „Ich war ein Freund von Lauras Vater.“
Colins Stirn zog sich zusammen. „War? Heißt das, der Alte hat frühzeitig den Löffel abgegeben?“
„Er ist vor zwei Wochen an Krebs gestorben.“
„Ach nee.“ Er drehte sich Laura zu. „Davon hast du ja gar nichts erzählt, Sweetheart?“
„Es ist nicht wichtig.“
Colin beachtete ihre Antwort nicht, sondern wandte sich schon wieder diesem Leonard Wieauchimmer zu. „Und was wollen Sie jetzt von uns? Hat der Knabe Schulden hinterlassen, die seine Tochter bezahlen soll, oder warum tauchen Sie hier auf?“
Was für ein Arsch war das denn? Leo musste alle Kraft zusammennehmen, um sich zu beherrschen. Typen wie diesen Colin kannte er zur Genüge, und er mochte sie nicht. Er sah mit seinem Seitenscheitel-Standard-Kurzhaarschnitt und der randlosen Brille wie ein Bürotyp auf den unteren Stufen der Karriereleiter aus. Er bildete sich garantiert ein, Laura müsste dankbar sein, dass er sich dazu herabließ, mit ihr ins Bett zu steigen. Der Knabe gehörte zu der Sorte Männer, die Dominanz mit Machogehabe und Egoismus verwechselten und Frauen unterdrückten, um ihr eigenes Ego zu stärken. Er sprach in einem Ton mit ihr, der nicht nur unhöflich, sondern unter aller Sau war.
Bevor Leo die passende Antwort loswerden konnte, öffnete Laura den Mund. „Ich hatte zu meinem Vater keinen Kontakt und will nichts, was ihm gehörte.“
Klobrillen-Colin zog sich einen Stuhl zurück und setzte sich mit an den Tisch. „Habe ich das gerade richtig verstanden? Es gibt ein Erbe, das nicht aus Schulden besteht?“ Er legte den Arm über Lauras Stuhllehne und zupfte an ihren Haaren. „Das kannst du doch nicht einfach ablehnen, Mäuschen.“
„Es ist für uns nicht wichtig.“
„Meinst du nicht, dass wir das gemeinsam entscheiden sollten?“ Er wendete sich Leo zu. „Was hat der Knabe denn hinterlassen?“
„Eine Hotelanlage.“
„Wow.“
Laura schüttelte den Kopf. „Es ist ein mieser Sexclub und ich will ihn nicht.“
Fuck! So hatte sich Leonard das Gespräch mit Magnus’ Tochter nicht vorgestellt. Diesem Typen glitzerten bereits die Dollarzeichen in den Pupillen. Was für ein Riesenarsch.
Er atmete tief durch, konzentrierte sich auf Laura und darauf, wieder Distanz aufzubauen.
„Bitte, Laura, warten Sie die Testamentseröffnung morgen ab, und lassen Sie uns dann in Ruhe reden, bevor Sie eine Entscheidung treffen. Es geht um Arbeitsplätze, um viel Geld und um das Lebenswerk Ihres Vaters, an dem er sehr gehangen hat, und … er hat auch an Ihnen sehr gehangen.“
Klobrille lehnte sich vor. „Morgen ist Testamentseröffnung? Und das hast du mir verschwiegen?“
„Weil es bedeutungslos ist“, fauchte Laura und sprang auf. „Ich will jetzt gehen.“
„Na, hast du was erreicht?“
„Nein.“ Leo setzte sich auf den Rand des Hotelbettes, wechselte das Handy ans andere Ohr und rieb sich die kurzen Barthaare am Kinn. „Sie ist mit einer Klobrille verlobt, die den großen Reichtum wittert. Ich habe alles falsch gemacht.“
Niklas gluckste. „Mit was ist sie verlobt?“
Leo stöhnte. „Mit einem Colin. C … O … L wie Klo, mit Schlips, Brille und einem Haufen stinkender, klebriger Arroganz unterm Rand.“
„Mist.“
„Ich habe sie aus Versehen geduzt und später wieder gesiezt. Sie muss denken, ich bin bescheuert.“ Er warf einen verzweifelten Blick zur Zimmerdecke. „Und dann habe ich auch noch blöderweise in seiner Gegenwart das Testament erwähnt, von dem er anscheinend gar nichts wusste.“
„Er ist ihr Verlobter und sie hat ihm nichts von dem Erbe erzählt?“
„Japp.“
„Das ist seltsam.“
„Stimmt.“
„Und wie ist sie so? Hat sie Ähnlichkeit mit Magnus?“
Vor Leos innerem Auge tauchte das Bild von Laura auf, und er sah die Geste der Unzufriedenheit, die ihn so sehr an ihren Vater erinnert hatte. Er räusperte sich. „Ja, sie ist ihm ähnlich, und sie hasst ihn.“
„Hat sie erzählt, warum?“
„Nein, wir haben kaum geredet. Das war in Anwesenheit dieses Egomanen nicht möglich. Ich hoffe, dass sie morgen zur Testamentseröffnung ohne die Klobrille kommt und ich mich anschließend in Ruhe mit ihr unterhalten kann.“
Nachdem der Nachlassverwalter das Testament verlesen hatte, blieb es im Raum minutenlang still. Nur Leo, Laura und ein Assistent befanden sich außer ihm in dem großen, nüchternen Konferenzraum. Der Nachlassverwalter saß an der kurzen Seite des Tisches, Leo und Laura rechts und links daneben auf den ersten Plätzen der langen Tischseiten, der Assistent etwas abseits.
Leo erinnerte sich daran, wie er mit Magnus über das Testament gesprochen und welche Hoffnungen Lauras Vater mit seinem letzten Willen verknüpft hatte. Er sah zu ihr hinüber.
Sie war blass und ihr Gesicht wirkte maskenhaft starr.
„Sie bekommen jeder ein Protokoll zugeschickt“, fügte der Nachlassverwalter hinzu, „und wenn Sie Fragen zum Ablauf der Übergabe haben, wenden Sie sich bitte ans Sekretariat.“
Er schlug die graue Mappe zu, und Leo suchte nach einer Regung in Lauras Gesicht, doch sie starrte weiterhin nur mit maskenhafter Mimik auf den Tisch vor sich.
„Ich lehne das Erbe ab. Verkaufen Sie alles und spenden Sie das Geld an irgendeine Organisation. Mir egal.“
Der Nachlassverwalter strich sich die weißen Haare zurück und runzelte die Stirn. „Darf ich Ihnen einen persönlichen Rat geben, Frau Populowski?“
Laura nickte.
„Sie müssen nichts sofort entscheiden. Die Akten bleiben sowieso für sechs Wochen liegen, bevor weitere Schritte unternommen werden.“ Der Nachlassverwalter legte die Fingerspitzen aneinander und betrachtete seine Hände, als ob er Zeit bräuchte, um nach den richtigen Worten zu suchen. „Ich kannte Ihren Vater seit seiner Schulzeit. Ich kenne auch Ihre Mutter, und wir“, er lächelte sie an, „sind uns damals auch begegnet. Daran erinnern Sie sich bloß nicht mehr, weil Sie noch so jung waren.“ Er seufzte und wurde wieder ernst. „Ich weiß, was vor zwanzig Jahren geschah. Ihr Vater gab nie die Hoffnung auf, das Verhältnis zu Ihnen doch noch kitten zu können, aber Ihre Mutter und Sie lehnten jeden Kontakt ab. Sie öffneten nicht mal seine Briefe. Er hatte keine Chance. Als er vor drei Monaten erfuhr, dass er den Krebs nicht besiegen wird, war das Einzige, was ihm blieb, dafür zu sorgen, dass seine Tochter finanziell abgesichert ist. Wir haben lange gesprochen, als er mit seinem Anwalt zu mir kam, um über das Testament zu reden. Den Abschnitt, in dem er verfügt, dass Sie vier Wochen im Dark Paradise leben müssen, bevor Sie eine Entscheidung über den Verkauf treffen, hat er hineingeschrieben, weil er hoffte, dass Sie ihn dadurch besser verstehen. Er wünschte sich so sehr, dass Sie ihn nicht mehr hassen und doch noch Ihren inneren Frieden mit ihm schließen. In seinem Namen bitte ich Sie, es zu tun. Es kostet Sie nichts außer einem Urlaub, seinen Wunsch zu erfüllen. Danach wird Sie niemand daran hindern, Ihre achtzig Prozent des Resorts zu verkaufen. Bitte denken Sie noch eine Woche lang in Ruhe darüber nach, bevor Sie sich entscheiden. Vielleicht bereuen Sie es irgendwann, wenn Sie die letzte Bitte Ihres Vaters jetzt ignorieren.“
Laura nickte, ohne ihn anzusehen, sprang vom Stuhl auf und zog sich den Mantel an.
Vor der Tür des noblen Büros verabschiedeten sich Laura und Leonard von dem Nachlassverwalter, liefen nebeneinander den langen Flur entlang und betraten gemeinsam den Lift. Laura starrte schweigend gegen die Metallwand, und Leo war klar, dass sie sich weigern würde, ein ruhiges Gespräch mit ihm zu führen. Sie hatte eben nur genickt, um sich nicht vor dem Notar rechtfertigen zu müssen. Innerlich hatte sie sich längst entschieden, davon war er überzeugt. Sie hatte ja nicht mal die Pläne des Grundstücks mit allen Gebäuden angesehen. Wie sehr musste sie ihren Vater hassen, wenn sie sogar auf das Geld aus dem Verkauf verzichten wollte.
Es versetzte ihm einen schmerzhaften Stich in der Brust, dass Magnus’ letzter Wille nicht in Erfüllung gehen sollte. Er hatte sich so sehr gewünscht, dass Laura das Dark Paradise und die Menschen darin kennenlernen würde. Er musste versuchen, sie umzustimmen.
Einem Impuls folgend drückte er auf den Notknopf und stoppte den Fahrstuhl zwischen zwei Stockwerken.
Lauras Gesicht zuckte hoch. Sie legte die Stirn in Falten. Wieder erinnerte ihn diese Mimik an Magnus, und sein Brustkorb wurde eng.
„Bitte, Laura, hören Sie mir zu. Nur einen Moment.“
„Nein!“, keifte sie. „Ich wollte sowieso nichts von meinem Erzeuger annehmen und nach dieser absurden Forderung erst recht nicht! Keinen Fuß setze ich in diesen verfluchten Sexclub.“
Mist! Wie konnte sie so verbohrt sein! Sie benahm sich wie ein trotziges Gör, das mal kräftig den Arsch versohlt bekommen sollte. Er machte einen Schritt auf sie zu, und sie flüchtete rückwärts, bis sie gegen die Wand stieß. Unbeeindruckt baute er sich so dicht vor ihr auf, dass sie sich fast berührten. Er sah auf sie hinab. „Du wirst jetzt verdammt noch mal zuhören! Nur zuhören! Das tut nicht weh und kostet dich nichts!“
An ihrer Kehle sah er, dass sie hart schluckte, aber sie blieb still.
„Wenn du das Erbe ablehnst, wird der Club versteigert und wir haben keinen Einfluss darauf, was aus ihm wird.“
„Na und? Ihre zwanzig Prozent bekommen Sie dann doch ausgezahlt. Was wollen Sie denn? Um die Kredite abzulösen, wird es so oder so verkauft! Und wieso duzen Sie mich schon wieder? Das ist eine Frechheit!“
„Ich duze dich, weil du dich nicht wie eine vernünftige Erwachsene, sondern wie ein verzogenes Kind benimmst! Und jetzt hör zu. Je eher du mich reden lässt, desto eher bist du mich los.“
Sie starrte ihn an und an ihrem Hals konnte er eine hektische Schluckbewegung erkennen. Er atmete tief durch, um ruhiger zu reden. „Wir möchten das Dark Paradise so erhalten und weiterführen, wie es ist. Jeder fremde Investor ist ein Risiko, der den Charakter des Resorts zerstören könnte. Wenn du das Erbe annehmen würdest, bräuchtest du dich um nichts zu kümmern, würdest aber einen monatlichen Anteil am Umsatz bekommen. Du könntest dir alle Wünsche erfüllen, die du hast. Denk darüber nach. Niklas und ich verwalten die Anlage schon lange und Magnus hat mich mit zwanzig Prozent beteiligt, damit wir uns dafür einsetzen können, dass das Dark Paradise weiterlebt.“
Laura schwieg, und Leo überlegte fieberhaft, was er sagen könnte, damit sie ihn und den letzten Wunsch ihres Vaters verstehen und ein Einsehen haben würde. Er atmete erneut tief durch. „Es … es … es ging deinem Vater nicht einfach nur um Geld und darum, Gewinn zu machen. Es war seine Lebenseinstellung, es ging ihm immer um Ethik, um geistige Werte! Das Resort ist etwas Besonderes. Es bedeutet allen, die dort leben und arbeiten, sehr viel. Existenzen hängen daran, Menschen leben dort, die nicht wüssten, wo sie hinsollten, würde es ein reicher Investor ersteigern, dem die Höhe des Umsatzes einer solchen Anlage wichtiger ist als die Philosophie, die im Dark Paradise gelebt wird.“
Einen Moment glaubte er, Laura würde einlenken, aber dann schüttelte sie doch den Kopf. „Tut mir leid“, stieß sie heiser hervor und starrte auf seine Brust.
Sie presste die Lippen zusammen, schob sich an ihm vorbei, machte zwei Schritte zur anderen Seite und drückte mit einer energischen Bewegung auf den roten Knopf. Der Fahrstuhl surrte wieder los und erreichte Sekunden später das Erdgeschoss.
Laura lief ohne ein weiteres Wort aus dem Fahrstuhl und dem Gebäude.
Nachdenklich sah Leo ihr nach. Was war vor zwanzig Jahren geschehen, dass sie ihren Vater so sehr hasste? Magnus hatte viel von Laura erzählt, nur das, was die Entzweiung verursacht hatte, hatte er verschwiegen. Als Leo ihn einmal konkret danach gefragt hatte, hatte er nur abgewunken und gesagt, seine Ex-Frau sei an dem Zerwürfnis schuld gewesen.
Er drehte sich in Richtung Parkplatz und rieb sich genervt über die Stirn. Es hatte keinen Sinn zu grübeln. Laura ließ sich nicht umstimmen. Sie würde das Erbe ablehnen. Ein Plan B musste her.
Mit fahrigen Bewegungen zählte Laura ihr Wechselgeld ins Portemonnaie, bevor sie ihren Schlüssel in die Registrierkasse steckte und sich für die Schicht anmeldete. Sie zitterte immer noch. Der Moment im Fahrstuhl ließ sie nicht mehr los.
Dieser Sexclub-Typ war unheimlich. Er schien magische Kräfte zu haben, mit denen er sie manipulierte, ohne dass sie auch nur die geringste Chance hatte, ihn daran zu hindern. Als er sie bedrängt hatte, war sie schon wieder feucht geworden. Ihr Körper reagierte auf ihn, sie konnte es nicht verhindern. Er sah sie böse an und sie wollte sich an ihn kuscheln! Er stellte sich so dicht vor sie, dass es eine Frechheit war, und statt ihn wegzuschieben, sog sie seinen Geruch ein! Seine Wirkung auf ihre Libido war beklemmend. Was war das bloß? So reagierte sie sonst nie auf einen Mann. Sie hatte alle Kraft zusammennehmen müssen, um sich von ihm wegzubewegen und diesen verdammten Fahrstuhl wieder in Gang zu bringen, und als sie dann weggelaufen war, hatten ihre Finger gezittert und ihre Knie waren weich wie Watte gewesen.
„Du siehst genervt aus.“ Anna wischte die Kuchentheke ab und musterte sie prüfend. „Oder bist du krank?“
Laura winkte rüde ab. „Alles in Ordnung.“
„Nee, Schätzchen, so nicht. Dein Gefauche kannst du dir für unhöfliche Gäste aufsparen. Ich kenne dich. Wenn du nicht krank bist, liegt dir irgendwas auf dem Herzen. Hat’s mit Colin zu tun? Du kannst über alles mit mir reden, das weißt du, oder?“
Laura nickte seufzend. „Tut mir leid. Du hast recht. Ja, ich bin genervt. Mein Vater ist gestorben und heute Morgen war der Termin beim Nachlassverwalter wegen des Testaments.“
Anna zuckte zurück. „Dein Vater ist gestorben? Oh je, das tut mir leid.“
Laura winkte ab. „Das muss es nicht. Ich bin nicht traurig. Ich kannte meinen Vater gar nicht richtig, hab ihn vor zwanzig Jahren zuletzt gesehen.“