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In "Römerinnen" entfaltet Stendhal ein vielschichtiges Portrait der italienischen Frauen des 19. Jahrhunderts, das sowohl intime Einblicke in deren psychologischen Zustand als auch scharfsinnige gesellschaftliche Analysen liefert. Durch seine feinfühlige und zugleich prägnante Prosa gelingt es Stendhal, die Ambivalenz zwischen Passion und Vernunft zu thematisieren. Der literarische Stil des Autors zeichnet sich durch eine elegante Sprache und ausgeklügelte Charakterstudien aus, die in den Kontext der französischen Romantik eingeordnet werden können, in der das Individuum und die Emotionen im Zentrum stehen. Stendhal, einer der bedeutendsten Vertreter der literarischen Strömung des Realismus, verbrachte einen Großteil seines Lebens in Italien. Seine persönlichen Erfahrungen und tiefen Einblicke in die italienische Kultur und Gesellschaft prägten seine Werke nachhaltig. "Römerinnen" ist nicht nur ein literarisches Werk, sondern auch eine Reflexion seiner Leidenschaft für die italienische Lebensart und der Rolle der Frau in der damaligen Gesellschaft, die er mit scharfem Blick und Sensibilität beschreibt. Dieses Buch ist ein unverzichtbares Lesevergnügen für alle, die sich für Geschlechterstudien, europäische Geschichte und die Feinheiten menschlicher Beziehungen interessieren. Stendhals eindringliche Schilderungen laden den Leser ein, in eine Welt einzutauchen, die sowohl zeitlos als auch außergewöhnlich relevant ist.
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Es war an einem Frühlingsabend des Jahres 1829. Ganz Rom war in Bewegung. Der Duca di Bracciano (der berühmte Bankier Torlonia) gab in seinem neuen Palazzo an der Piazza di Venezia einen Ball. Was die Künste Italiens, was der Luxus von Paris und London an Prunk und Pracht nur aufbieten konnten, hatte zum Schmucke des Palastes beigetragen. Britanniens kühle blonde Schönheiten waren ob der Ehre der Einladung in Wallung geraten. Sie kamen in Menge, und die schönsten Römerinnen machten ihnen den Ruhm ihrer Schönheit streitig.
So war auch eine junge Dame in Begleitung ihres Vaters erschienen, der man ihre römische Herkunft auf den ersten Blick an ihrem ebenholzschwarzen Haar und ihren flammenden Augen ansah. Die allgemeine Aufmerksamkeit wandte sich ihr zu. Aus jeder ihrer Bewegungen sprach seltsamer Hochmut.
Angesichts all des Glanzes waren die anwesenden Ausländer sichtlich verblüfft. »Kein König in ganz Europa gibt solch ein Fest!« sagten sie.
Die europäischen Potentaten haben aber auch keine Paläste in römischer Architektur, und sie müssen ihre Damen nach der Hofrangordnung einladen, während der Duca di Torlonia nur hübsche Frauen in sein Haus bittet. An diesem Abend hatte er dabei besonderes Glück. Die Männer waren wie geblendet, und es war nur die Frage, welche unter so vielen schönen Frauen die allerschönste sei. Eine Zeitlang war man sich hierüber nicht einig; aber schließlich erklärte man die Principessa Vanina Vanini, jene junge Dame mit dem tiefschwarzen Haar und den Glutaugen, für die Königin des Abends. Alsobald strömten Fremde wie Römer in den Saal, in dem sie sich gerade aufhielt.
Gemäß dem Wunsche ihres Vaters, des Fürsten Asdrubale Vanini, tanzte Vanina zunächst mit etlichen deutschen Prinzen aus regierenden Häusern. Darauf ließ sie sich von einigen bildschönen hochvornehmen Engländern auffordern. Das steife Gebaren dieser Gentlemen langweilte sie. Mehr Vergnügen bereitete es ihr, den jungen, sichtlich maßlos verliebten Livio Savelli zu quälen, den glänzendsten jungen Römer, gleichfalls fürstlichen Blutes. Allerdings, einen Roman hätte man ihm nicht zu lesen geben dürfen; er hätte ihn nach den ersten zwanzig Seiten in die Ecke geworfen und behauptet, er bekäme Kopfschmerzen davon. In Vaninas Augen war dies sein Fehler.
Gegen Mitternacht verbreitete sich unter der Ballgesellschaft eine Neuigkeit, die ziemliches Aufsehen erregte. Ein junger Karbonaro, der in der Engelsburg gefangen gehalten worden war, hatte sich soeben gerettet. Dank seiner Verkleidung und seiner romantischen Tollkühnheit war er bis zu den Außenposten gedrungen. Mit einem Dolche war er auf die Soldaten losgestürmt und, wenn auch verwundet, durchgekommen. Sbirren folgten seinen Blutspuren durch die Gassen Roms. Man hoffte, ihn wiedereinzufangen.
Als diese Geschichte die Runde machte, führte Livio Savelli Vanina, mit der er getanzt hatte, gerade zu ihrem Platz zurück. Im Banne ihrer Schönheit und stolz auf den Eindruck, den sie ringsum machte, flüsterte er ihr, fast toll vor Liebe, zu:
»Bitte, sagen Sie mir einmal, wer könnte Ihnen denn eigentlich gefallen?«
»Der junge Karbonaro, der eben entronnen ist!« erwiderte ihm Vanina. »Er hat zum mindesten etwas mehr getan, als sich bloß ins irdische Dasein bemüht ...«
Ihr Vater, der an die beiden herantrat, machte der Unterhaltung ein Ende.
Fürst Hasdrubal Vanini war ein reicher Mann, der sich von seinem Verwalter seit zwanzig Jahren keine Abrechnung vorlegen ließ. Wer ihm auf der Straße begegnete, hielt ihn für einen alten Schauspieler. Seine beiden Söhne waren Jesuiten geworden und in Verrücktheit gestorben. Der Fürst hatte sie vergessen. Sein größter Schmerz war der Umstand, daß seine Tochter Vanina keine Lust zum Heiraten zeigte. Sie war schon neunzehn Jahre alt und hatte die glänzendsten Partien ausgeschlagen. Welchen Grund hatte sie dazu? Den nämlichen, der Sulla zur Abdankung veranlaßte: sie verachtete die Römer.
Am Tage nach dem Balle fiel es Vanina auf, daß ihr Vater, sonst der sorgloseste Mensch von der Welt, der nie in seinem Leben von einem Schlüssel Gebrauch gemacht hatte, die Türe zu einer kleinen Treppe sorglich abschloß, die in ein Zimmer des dritten Stockes führte. Dieses Gemach lag nach einer Terrasse hinaus, auf der Orangenbäume standen.
Vanina machte ein paar Besuche in der Stadt. Als sie wieder nach Hause kam, war das Hauptportal des Palastes infolge der Vorbereitungen zu einer Illumination versperrt. Der Wagen mußte deshalb durch das Hoftor einfahren. Dabei überblickte Vanina die Rückfassade des Hauses und sah, daß eins der Fenster des von ihrem Vater abgesperrten Zimmers offen stand.