Ronco - Die Tagebücher 07 - Die Sonne des Todes - Dietmar Kuegler - E-Book

Ronco - Die Tagebücher 07 - Die Sonne des Todes E-Book

Dietmar Kuegler

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Beschreibung

Ich saß in der Falle."Lass das Gewehr fallen", sagte der Mann hinter mir. "Du lebst nur noch, weil du blondes Haar hast und kein richtiger Apache bist. Weil ich dich brauche."Ich sah, wie die Krieger starben, meine Brüder, die mich hätten befreien können."Du bringst mich hier raus. Wenn ich sterben muss, stirbst du mit mir", sagte der Mann. "Wenn wir überleben, hole ich mir Ihren Skalp", antwortete ich. Das war ein Versprechen – und ich würde es halten.Das Leben als Indianer lag hinter Ronco. Zum zweiten Mal verlor er seine Heimat. Diesmal würde es kein Zurück mehr geben. In diesem Moment war nicht einmal sicher, ob er überhaupt überleben würde. Und wenn, lag vor ihm nichts als Ungewißheit.Dieser Roman enthält die folgenden Romane:Sonne des Todes (13)Stadt in Angst (14)Die Texte wurden vom Autor überarbeitet.

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Seitenzahl: 298

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RONCO

In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

Dietmar Kuegler

Die Sonne des Todes

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-156-4Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Sonne des Todes

10. Januar 1879.

Überall liegt Schnee. Mein Lagerplatz befindet sich oberhalb eines zugefrorenen Wasserlochs neben einigen kahlen Pecan-Bäumen. Ein Feuer brennt, und ich sitze dicht daneben. Trotzdem ist es saukalt. Die Luft ist wie Glas, und wenn man einatmet, hat man das Gefühl, innerlich zu vereisen.

Im Moment bin ich allein. Ich hoffe, es sind keine Verfolger in der Nähe, denn ich kann ein paar Stunden Ruhe gut brauchen.

In diesem Moment bin ich meinem Ziel nicht um einen Schritt näher gerückt, aber ich fühle, dass bald etwas Entscheidendes passieren wird. Auf meinen Instinkt konnte ich mich bisher immer verlassen.

Die Gefahr, in der ich mich in den letzten Tagen wieder einmal befunden habe, hat mir gezeigt, dass ich, solange meine Unschuld nicht erwiesen ist, nur auf Frist lebe. Morgen schon kann ich tot sein. Diese Aussicht regt mich längst nicht mehr auf. Sie zwingt mich vielmehr, die Zeit, die mir zum Leben noch bleibt, nicht zu vergeuden. Aus diesem Grund sitze ich trotz der Kälte schon wieder mit dem Schulheft auf den Knien da und schreibe mit steifen Fingern, während im Westen die Sonne untergeht und von Norden Wind aufkommt, der nach Schnee riecht. Die Nacht ist nah, und ich will das letzte Tageslicht noch nutzen, um meine Geschichte weiterzuschreiben.

1.

Kurz bevor ich die Flusskrümmung erreichte, sah ich Little Friend am Westufer aus dem Dickicht auftauchen. Er winkte mir zu. Auf der linken Schulter trug er eine Springbockantilope, aus deren Hals noch der gefiederte Schaft seines Pfeils ragte.

Ich zog das flache Paddel aus dem Wasser und winkte zurück. Fast lautlos glitt mein Kanu auf dem Strom dahin. Vor mir sah ich bereits unser Lager auf einer zur Flusskrümmung hin offenen Lichtung. Im selben Moment hörte ich ein dumpfes Splittern und Krachen über mir.

Ich warf meinen Kopf hoch. Am Ostufer des Flusses erhoben sich die zerklüfteten Felsen der Sierra Espuelas, deren schroff zum Himmel aufstrebende Gipfel von weißen Wolkenschiffchen umkränzt wurden.

Auf einem der zum Fluss hin steil abfallenden Hänge hatte sich ein Schneebrett gelöst und rutschte herunter. Es geriet in immer raschere Fahrt, riss Geröll und mehr als kopfgroße Steine mit und raste direkt auf mich zu.

Vom Ufer hörte ich Little Friend schreien. Ich verstand ihn nicht. Ich hörte nur das Bersten und Donnern der Lawine und tauchte mit der Kraft der Verzweiflung mein Paddel in die Wellen. Fast gleichzeitig klatschte die Lawine kaum drei Yards vor mir ins Wasser.

Eine Wolke von granitgrauem Staub, Schnee und schäumender Gischt stieg aus dem Fluss auf. Ich schloss die Augen, das Kanu neigte sich leicht zur Seite. Ich verlor das Gleichgewicht, und im selben Moment traf mich ein faustgroßer Stein am Schädel.

Ich sah und hörte nichts mehr und stürzte mit dem Gesicht voraus in das Kanu, das wild zu schlingern begann und sich quer zur Strömung stellte. Das Paddel hatte ich verloren. Es trieb irgendwo auf den Wellen davon.

Ich riss die Augen weit auf, trotzdem sah ich nur flimmernde Punkte auf einem tiefschwarzen Hintergrund. In meinem Kopf drehte sich alles. Nach und nach nur kehrte mein Bewusstsein zurück. Ein Rauschen und Dröhnen erfüllte meine Ohren. Hilflos tasteten meine Hände durch die Luft und krallten sich schließlich um die Oberkante der linken Bordwand. Mühsam stemmte ich mich hoch. Noch immer verschwammen die Konturen vor meinen Augen. Heftige Schmerzen hämmerten in meinen Schläfen.

Das Kanu war in der Flusskrümmung in eine starke Strömung geraten und abgedriftet. Es lag jetzt nicht mehr quer im Wasser, sondern schoss pfeilschnell dahin. Ich richtete mich auf die Knie auf. Um mich herum brodelte und schäumte das Wasser. Ich beugte mich nach vorn und versuchte, den Kurs des Kanus mit bloßen Händen zu ändern. Es klappte nicht.

Die Schleier vor meinen Augen lösten sich langsam auf. Ich warf einen Blick zum Ufer und sah Little Friend dort laufen. Er folgte meinem Kanu, gelangte aber längst nicht so schnell voran. Ich schaute wieder nach vorn. Da sah ich die Stromschnellen. Der Fluss verengte sich knapp hundert Yards vor mir, sein Bett schien etwas zu verflachen. Gewaltige, schroffe Felsblöcke ragten aus dem Wasser, das sich zwischen ihnen in tosende, brodelnde Strudel verwandelte. Das Kanu jagte immer schneller darauf zu. Ich sah die kleinen Felsriffe neben den großen Gesteinsblöcken aus dem Fluss ragen, hässlich gezackt oder von der Strömung blank geschliffen, wie Zahnstummel im gierig aufgerissenen Maul eines urweltlichen Untiers, zwischen denen mir die weiße Gischt wie Geifer entgegenspritzte.

Ich klammerte mich krampfhaft im Kanu fest. Hilflos starrte ich den Stromschnellen entgegen, hinter denen ich nun einen kleinen Wasserfall entdeckte, der aber immer noch groß genug war, um mein steuerloses Kanu zu zerschmettern.

Mein Kopf war wie ausgebrannt. Ich konnte nicht denken, konnte nicht handeln. Es wäre ohnehin alles sinnlos gewesen. Nichts konnte das Kanu jetzt noch bremsen.

Ich zog instinktiv den Kopf ein und duckte mich, dann glitt das Kanu bereits in die Stromschnellen. Sofort wurde es am Bug hochgeworfen. Ich verlor den Halt und kippte nach hinten. Da stürzte es bereits in ein Wellental, schrammte mit dem Boden über ein Riff, wurde von seitlich heranbrodelnden Wellen erfasst und wieder herumgeschleudert.

Ich versuchte, mich wieder aufzurichten. Das Kanu füllte sich mit Wasser. Ich war tropfnass, und das Wasser war eiskalt.

Ich kam hoch und sah gerade noch, dass das Kanu auf einen schroffen Felsklotz zuschoss. Mit der Kraft der Verzweiflung warf ich mich zur Seite. Da kippte das Kanu um, riss mich unter Wasser und schlug mit dem Heck hart an meinen Rücken.

Das Wasser war so kalt, dass ich glaubte, mir würde das Herz stehen bleiben. Schwindel stiegen in mir auf. Wasser drang mir in Mund und Nase. Ich begann zu husten, rang nach Atem und schlug mit beiden Armen um mich, um an die Wasseroberfläche zu gelangen. Die Strudel des Stromes griffen wie mit tausend Schlingen nach mir.

Ich tauchte auf. Das Kanu wirbelte im Wasser herum wie ein Spielzeug. Ich sah, wie die Wellen es hochwarfen und es dann plötzlich über die Kante des kleinen Wasserfalls hinunterstürzte und verschwand. Dann prallte ich bereits hart gegen ein Riff.

Halb betäubt ging ich unter, versuchte noch, mich festzuhalten, rutschte aber von dem glatten Gestein ab und sackte unter Wasser. Ich war unfähig, ein Glied zu rühren, wurde von der Strömung mitgerissen und trudelte wie leblos zwischen den Riffen herum. Hart schlug ich gegen die Felsen im Wasser. Mein Bewusstsein schwand mehr und mehr. Ich schluckte Wasser, kriegte keine Luft mehr und wurde von der Gewalt des Flusses auf den Wasserfall zu gerissen. Mir wurde schwarz vor Augen.

Ich war schon so gut wie tot.

*

Little Friend streifte sein Wildlederhemd ab und sprang mit ausgebreiteten Armen in den Fluss. Er tauchte tief ein, berührte fast mit dem Gesicht den sandigen Grund und schwamm mit kräftigen Zügen auf die Stromschnellen zu. Die Strömung erfasste ihn, noch bevor er die Mitte des Flusses erreicht hatte. Er ließ sich treiben, bis er den Riffen so nahekam, dass er an ihnen zu zerschellen drohte.

Die Strudel erfassten ihn, er kämpfte mit ihnen, wurde gegen einen Felsbrocken gepresst und klammerte sich daran fest, um Atem zu schöpfen.

Ich lag eingeklemmt zwischen zwei Klippen. Das eisige Wasser hatte die Schleier der Bewusstlosigkeit in mir vertrieben. Die Kälte durchdrang meinen Körper. Ich war völlig steif und konnte mich nicht bewegen, aber selbst, wenn ich es gekonnt hätte, hätte ich mich nicht gerührt. Ich hatte Glück gehabt. Die Strömung hatte mich zwischen zwei dicht nebeneinander aus dem Wasser ragende Riffe geschleudert. Hier war ich hängen geblieben. Wenn ich versuchte, mich zu bewegen, würde die Strömung mich vermutlich wieder mitreißen und über die Kante den kleinen Wasserfall hinunterspülen.

Ich sah Little Friend, der sich langsam und verbissen näher an mich heranarbeitete. Er kämpfte sich von Felsblock zu Felsblock vor. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt, die Muskelstränge an seinen Armen spannten sich wie Schiffstaue.

Plötzlich war er bei mir. Ich streckte die Arme nach ihm aus und wurde im selben Augenblick von der Strömung mitgerissen. Ich versuchte, zu schreien, tauchte gurgelnd unter und fühlte den stahlharten Griff Little Friends, der meinen linken Oberarm umspannte und mich hochzerrte. Als ich aus dem Wasser auftauchte, schwanden mir wieder die Sinne.

Little Friend zog mich mit. Er kämpfte sich zwischen den Riffen hindurch. Einmal rutschte er aus und verlor den Halt. Wir tauchten beide unter und wurden wieder ein Stück auf den Wasserfall zu gerissen. Aber Little Friend fing sich. Er schaffte es, die brodelnden, tosenden Strudel hinter sich zu bringen. Er zerrte mich die Uferböschung hinauf, und als er mich oberhalb des Flusses ins Gras gleiten ließ, hockte er einen Moment lang mit zitternden Gliedern da, während ihm das nasse Haar wirr um den Kopf hing. Die Haut seines bloßen Oberkörpers schimmerte bläulich von der Kälte des Wassers. Ich sah vermutlich nicht anders aus, doch darüber dachte ich nicht nach. Sowie ich festen Boden unter mir fühlte, der noch die Feuchtigkeit des Schnees hatte, verließen mich meine Kräfte. Ich verlor das Bewusstsein.

Das Letzte, was ich sah, war, dass Little Friend sich erhob und mit unsicheren Schritten davonging. Dann versank ich in einem Meer von Schatten.

2.

Little Friend stand im flachen Wasser unterhalb des Wasserfalls und barg das Kanu, das in einem von Bibern gebauten Damm stecken geblieben war.

Der Fluss war an dieser Stelle fast so ruhig und glatt wie ein See. Little Friend watete mit dem Kanu auf den Schultern zum Ufer. Das Wasser reichte ihm bis zu den Hüften.

Ich richtete den Oberkörper langsam auf. Mein Magen zog sich fast augenblicklich krampfartig zusammen. Der Schmerz war schlimm, ich bäumte mich auf und übergab mich. Ich hatte das Gefühl, literweise Wasser auszuspeien. Ich kniete erst, kippte dann kraftlos vornüber, lag auf dem Bauch und hustete und rang nach Luft.

Little Friend war auf einmal neben mir, hob mich hoch und legte mich mit dem Leib über sein rechtes Knie. Mein Kopf hing bis auf den Boden. Ich übergab mich noch einmal und sank dann schwach ins Gras.

Groß wie ein Turm stand Little Friend neben mir und schaute besorgt auf mich herab. Vor meinen Blicken verschwamm alles. Ich schloss die Augen und fühlte, dass er mich aufhob und davontrug. Das Rauschen und Dröhnen der Stromschnellen und des Wasserfalls wurden immer leiser. Die Schmerzen in meinem Körper wichen, ich fror noch etwas, aber nicht mehr so stark. Als Little Friend mich auf eine Decke legte, schlug ich die Augen wieder auf.

Wir befanden uns auf unserem Lagerplatz auf der Lichtung neben der Flusskrümmung. Unweit der kalten Feuerstelle lag die Springbockantilope, die Little Friend geschossen hatte.

„Bleib still liegen.“ Ich hörte die Stimme Little Friends, der in der kehligen Apachensprache redete, wie aus weiter Ferne. Stumm schaute ich ihm nach, als er davoneilte. Wenig später kehrte er zurück. Er trug das Kanu auf der Schulter. Dicht am Flussufer setzte er es ab und untersuchte es gründlich.

Ich richtete mich langsam auf. Diesmal wurde mir nicht schlecht, aber ich knickte kraftlos in den Knien ein, als ich versuchte, mich auf die Beine zu stellen. Schließlich gelang es mir. Mit unsicheren Schritten ging ich zu Little Friend hinüber.

Er schaute auf. Sein ebenmäßig geschnittenes Gesicht war ernst. Wäre sein nasses Haar nicht gewesen, niemand hätte ihm ansehen können, dass er vor kaum zwanzig Minuten noch im reißenden Strom um mein Leben gekämpft hatte.

„Du solltest doch liegen bleiben“, sagte er.

„Ich fühle mich gut.“ Ich versuchte zu lächeln. „­Chichasey – danke, mein Bruder.“

„Enju.“ Er nickte und wandte sich wieder dem Kanu zu, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Er hatte mir das Leben gerettet, aber darüber wurde nicht geredet. Er war mein Blutsbruder, und ich hätte genauso gehandelt, wenn er in Gefahr gewesen wäre.

„Ist das Kanu in Ordnung?“

„Ein kleiner Riss vorn am Bug“, sagte er. „Wir haben viel Glück.“

Ich schaute auf den Fluss. Sacht schlugen seine Wellen an die sandigen Ufer. Er schimmerte blaugrau, und die Frühlingssonne spiegelte sich in seinem Wasser. Er sah jetzt alles andere als gefährlich aus.

Die Sonne stand hoch. Es war angenehm warm, die Luft war mild, auch wenn hier und da auf den zerklüfteten Felshängen der Sierra, die sich am Ostufer des Stromes erhoben, noch Schneereste lagen.

Es war April. Man schrieb das Jahr 1859. Über ein halbes Jahr befand ich mich jetzt schon wieder bei den Apachen, bei meiner Stammesgruppe, den Chiricahua. Ein für Mexiko ungewöhnlich langer und harter Winter lag hinter uns. Unser Winterlager, das sich in der Sierra Espuelas befand, war wochenlang verschneit gewesen. Es war eine schlimme Zeit gewesen. Wir hatten wenig jagen können, und das Wild hatte sich in weit entfernte Täler zurückgezogen. Ein paar Babys, die während ­dieser Zeit geboren worden waren, hatten nicht überlebt.

Wir hatten ums nackte Dasein kämpfen müssen, und dabei hatte ich meine furchtbaren Erlebnisse, die ich gehabt hatte, nachdem ich zeitweise den Anschluss an meine Gruppe verloren hatte und allein durch Mexiko gezogen war, vergessen.

Ich ging zur kalten Feuerstelle und hockte mich neben die Antilope. Während Little Friend den Riss im Kanu nähte und mit Harz verschloss, enthäutete ich die Antilope und zerlegte sie.

Als ich damit fertig war, verließ ich die Lichtung, auf der sich unser Lager befand, und drang durch das dichte Unterholz in den Wald ein, der sich am Westufer des Flusses meilenweit hinzog. Ich sammelte halbwegs trockenes Reisig und kehrte zurück. Little Friend war mit dem Kanu fertig. Er hatte sein Wildlederhemd wieder übergestreift und schnitzte ein paar Bratspieße zu. Ich entfachte das Feuer, während er einige Fleischstücke aufspießte und das Fleisch mit kalter Asche einrieb.

Wir befanden uns seit einer Woche auf der Jagd, hatten bis jetzt aber wenig Glück gehabt. Die Springbock­antilope war die erste nennenswerte Beute.

Die Flammen züngelten hoch. Ich nahm den Spieß, den Little Friend mir reichte, und hielt das Fleisch über das Feuer. Während ich zusah, wie es sich langsam bräunte, sagte ich: „Es gibt wenig Wild.“

„Es wird mehr werden“, sagte Little Friend. „Der Winter ist vorbei, das Wild wird aus den Tälern zurückkehren.“

„Hoffentlich bald.“ Ich dachte an die mageren Apachenkinder, an die hohlwangigen Gesichter der Frauen.

„Es wird nicht mehr lange dauern.“ Little Friend sog die Luft ein wie ein Jagdhund, der eine Witterung aufnimmt. „Es wird ein guter Sommer.“

„Gehen wir wieder über die Grenze?“

„Das wird der Rat des Stammes entscheiden.“ Little Friend begann, an seinem Fleisch zu nagen. „Wahrscheinlich geht der Krieg weiter.“

Sein Gesicht war düster.

„Wenn wir nicht kämpfen, gehen wir unter“, sagte ich.

„Solange wir in Ruhe leben können, sollten wir nicht kämpfen.“ Little Friend schaute mich ernst an. „Erst wenn wir uns verteidigen müssen, sollten wir kämpfen. Aber wir sollten den Kampf nicht beginnen.“

„Niemand lässt uns in Ruhe leben“, widersprach ich trotzig.

Little Friend schwieg. Er verzehrte sein Fleisch und schaute ins Feuer, das langsam niederbrannte.

Ich biss ebenfalls lustlos in mein Fleisch. Little Friend mahnte immer zum Frieden, obwohl er einer der tapfersten Krieger war. Er war erfahren und besonnen, und häufig genug hatte ich einsehen müssen, dass er recht hatte. Ich aber war jung und wollte meine Kräfte erproben. Ich war einer der jüngsten unter den Kriegern, aber auch einer der besten. Ich war dreizehn Jahre alt und schon fast so groß wie Little Friend. Das harte Leben hatte mich geprägt. Meine Schultern waren breit, und an meinen Armen hatten sich kräftige Muskeln entwickelt. Wer mich sah, konnte mich für siebzehn halten, und außer meiner helleren Haut und meinem blonden Haar gab es nichts, was mich von einem echten Apachen unterschied.

Ich hatte fast schon vergessen, dass ich ein Weißer war und bei Weißen aufgewachsen war. Seit ich gesehen hatte, wie sie gegen die Indianer vorgingen, fühlte ich mich ihnen nicht mehr zugehörig. Ich hatte gegen sie gekämpft, und ich hatte weiße Soldaten getötet. Der Kampf war mein Leben. Ich kannte nur den Krieg. Vom Frieden wusste ich nichts.

Deshalb verstand ich Little Friend häufig nicht. Vielleicht war ich auch zu jung dazu. Aber was er sagte, fraß sich in mir fest, und später habe ich es verstanden. Damals aber zerbrach ich mir nicht den Kopf darüber. Kaum einer der jungen Krieger tat das. Sie lauschten lieber den Geschichten von Geronimo, einem jungen Apachen, vermutlich noch keine dreißig Jahre alt, der aber seine eigenen Krieger hatte und mit ihnen das Grenzland westlich von uns in Arizona in Angst und Schrecken versetzte.

Ich konnte mich flüchtig an ihn erinnern. Er war ein Chiricahua wie ich und einige Zeit mit Cochise geritten. Aber er war kein besonders hervorragender Krieger gewesen. Jetzt war sein Name in aller Munde, seit einem Jahr ungefähr, und wir jungen Krieger dachten, dass das, was er tat, richtig war. Die Armee versuchte vergeblich, ihn zu fangen. Er war allen über, und es gab nicht wenige unter den jungen Kriegern, die gern zu seinen Leuten gehört hätten.

Cochise hatte ihn ausgestoßen. Er duldete keine Privatkriege, und Cochise war unser unumstrittener Führer. Es gab nur wenige, die es wagten, sich seiner Autorität zu widersetzen.

Ich aß mein Fleisch und warf den Spieß ins Feuer.

Die Sonne hatte den Zenit überschritten. Als ich mich erhob, hatte ich wieder das Gefühl, meine Knie seien aus Gummi. Ich hatte mich noch längst nicht wieder völlig von dem Abenteuer im Fluss erholt.

Ich nahm meinen Spencer-Karabiner auf, der neben meinem Deckenbündel im Gras lag.

„Ich geh noch mal los“, sagte ich.

Little Friend nickte nur. Er aß noch ein zweites Stück Fleisch und schlug den Rest der Antilope in die frische Haut ein.

Ich streifte mir den breiten Gurt mit den schweren Patro­nen in den Schlaufen über den Oberkörper und schritt durch das Unterholz in den Wald.

*

Der Wildpfad lag im roten Abendschimmer vor mir. Der Himmel hatte die Farbe von glühendem Kupfer, die Schatten waren lang, und die Luft kühlte sich bereits rasch ab.

Auf meiner linken Schulter hatte ich an einem Lederriemen zwei Fasane hängen. Eine magere Beute. Ich war müde und fühlte mich schwach und ausgebrannt. Weiter als bis zu dem Pfad wollte ich nicht gehen. Es hatte doch keinen Sinn mehr.

Da sah ich einen Fasan durch den Abend schweben und riss den Karabiner an die Schulter. Im selben Moment hörte ich Hufschlag und Wagengeräusche.

Der Fasan flog davon, und ich hockte mich hinter dichtem Gestrüpp auf den bemoosten Boden.

Die Geräusche wurden lauter. Ich hörte Männerstimmen, jemand sang ein Lied, das ich nicht kannte. Wenig später tauchten aus dem Abendschatten Reiter auf dem Wildpfad auf. Ich duckte mich unwillkürlich noch etwas tiefer. Es waren Amerikaner. Sie waren einfach gekleidet, ihre Pferde waren gut, ihre Bewaffnung erstklassig. Zunächst sah ich fünf Mann, dann folgte ein hoch beladener Kastenwagen, auf dem ein lederhäutiger Kutscher saß, der laut sang. Hinter dem Wagen ritten noch einmal fünf Männer.

Einer der Reiter hatte seinen Sattel mit zwei Skalpzöpfen verziert, die rechts und links herunterbaumelten. Als ich sie sah, presste ich die Lippen zusammen und krampfte meine Fäuste fester um den Schaft meines Spencer-Karabiners. Reglos blieb ich hocken und beobachtete, wie sie vorbeizogen.

Sie kamen von der Grenze her und schienen sich auszukennen.

Der Mann mit den Skalps am Sattel drehte sich plötzlich um und sagte: „Hör endlich auf zu grölen, Smoky, verdammt noch mal, ich kann’s schon nicht mehr hören.“

„Ich sing eben gern“, sagte der Mann auf dem Wagenbock.

„Hast du singen gesagt?“ Der Reiter lachte, und die anderen lachten auch. Der Kutscher schwieg beleidigt.

Ich sah, dass längliche Kisten auf dem Wagen standen und kleine Fässer, wie ich sie schon häufig gesehen hatte. Meistens wurde Schießpulver darin befördert. Wenn es so war, enthielten die Kisten vermutlich Gewehre. Ich fragte mich, was die Männer damit vorhatten. Indianerhändler waren sie nicht, das stand für mich fest.

Weiter konnte ich nicht denken. Ein zischender Laut seitlich von mir ließ mich erschreckt herumfahren.

Die Schlange war dicht neben mir. Sie war über einen Yard lang und hatte eine silbergraue, dunkel gemusterte Haut. Ihr Kopf war dick wie eine Faust und lief spitz nach vorn zu.

Eine Hakennatter.

Sie zischelte wieder, zwischen den Giftzähnen tauchte die schmale, gespaltene Zunge auf. Aus starren, farblos glitzernden Augen blickte sie mich an. Plötzlich richtete sie sich auf.

Ich verlor die Nerven und schlug mit dem Kolben des Spencer-Karabiners zu. Die eiserne Kolbenplatte traf die Schlange eine halbe Handbreit unterhalb des Kopfes und schleuderte sie ins Moos. Sofort richtete sie sich wieder auf und ging in Kampfstellung. Zuckend bewegte sich ihr silbriger Leib hin und her. Ich ließ sie nicht aus den Augen und schmeckte salzige Schweißtropfen auf meinen Lippen. Urplötzlich schoss der Kopf der Schlange auf mich zu. Ich ließ mich nach hinten fallen und sprang auf. Es ging nicht anders. Und im selben Moment entdeckten mich die Reiter auf dem Wildpfad.

Ich hörte ihre Rufe, da stürmte ich bereits in den Wald. Dass die beiden Fasane, die ich geschossen hatte, von meiner Schulter rutschten, bemerkte ich nicht. Blindlings hetzte ich durch das Dickicht, blieb im dicht verwurzelten Unterholz hängen, stürzte hin, erhob mich und lief weiter. Als ich hinter mir Hufschlag hörte, der immer lauter wurde, drehte ich mich um.

Da waren sie. Zwei Reiter. Sie trieben ihre Pferde rücksichtslos durch den Wald. Einer hielt eine Volcanic-Rifle in den Fäusten. Es war der Mann, dessen Sattel mit Skalpzöpfen verziert war. Er konnte mich sehen, und er schoss. Ich spürte den heißen Luftzug der Kugel, die sich hinter mir in einen Baumstamm bohrte. Geduckt lief ich weiter. Es wurde immer dunkler, und das Dickicht wurde immer dichter, aber die Reiter hielten nicht an. Sie holten auf, und sie schossen nun beide.

Haken schlagend wie ein Hase, rannte ich über eine kleine Lichtung und warf mich mit einem Hechtsprung hinter einen umgestürzten, fast vermoderten Baumstamm. Die Holzsplitter flogen mir um die Ohren, als ein Hagel von Geschossen die morsche Rinde des Stammes zerfetzte. Ich sah dicht vor meinem Gesicht einen dicken Käfer mit schwarzem, glänzendem Panzer eilig unter altem Laub verschwinden und beneidete ihn für einen Sekundenbruchteil. Dann schob ich den Lauf des Spencer-Karabiners über den Baumstamm und drückte ab, als der Mann mit der Volcanic-Rifle auf die Lichtung preschte.

Er sah den orangeroten Mündungsblitz und riss in letzter Sekunde sein Pferd herum. Da traf mein Geschoss sein Tier in den Schädel. Es wieherte grell und knickte in den Vorderläufen ein. Der Reiter verlor den Halt im Sattel und stürzte über den Kopf des Pferdes, das seitlich zu Boden fiel.

Im selben Augenblick galoppierte der zweite Reiter auf die Lichtung und konnte sein Pferd nicht mehr stoppen. Es strauchelte über das am Boden liegende Tier und krachte schwer auf die Seite.

Ich hielt mich nicht auf, erhob mich und rannte davon, ohne abzuwarten, bis die beiden Männer wieder auf den Beinen standen, zumal ich am Knacken und Krachen im Unterholz hörte, dass die anderen Reiter ebenfalls die Verfolgung aufgenommen hatten.

Meine Beine wurden von Schritt zu Schritt schwerer, meine Füße schienen sich in Bleiklumpen zu verwandeln. Die Anstrengungen von dem Kampf mit den Stromschnellen steckten mir noch in allen Knochen.

Ich verfluchte mich in diesem Moment, dass ich mich so weit vom Lager fortgewagt hatte. Ich hatte mich überschätzt, nicht zum ersten Mal, aber das war jetzt unwichtig. Ich durfte nicht schlappmachen. Ich musste durchhalten.

Schweißüberströmt lehnte ich mich mit wackligen Knien gegen einen Baum, um einige Sekunden auszuruhen. Da hörte ich wieder den Hufschlag hinter mir, und so rannte ich weiter. Vor meinen Augen begann sich alles zu drehen, in meinen Schläfen hämmerte das Blut, mein eigener Herzschlag dröhnte wie ein Hammerwerk in meinen Ohren.

Irgendwann durchzuckte mich der Gedanke, ich könnte mich verirrt haben. Ich versuchte ihn zu verdrängen, aber er kehrte immer wieder zurück. Doch ich hielt nicht an.

Es war jetzt fast stockfinster um mich herum. Die Sonne war offenbar untergegangen. Die Bäume standen so dicht, dass ich den Himmel nicht sehen konnte. Ich stieß immer wieder gegen Baumstämme, rannte gegen tief hängende Äste. Zwei- oder dreimal stürzte ich und schrammte mir dabei das linke Knie auf. Aber ich lief.

Irgendwann, ich war sicher, schon einmal um die Welt gelaufen zu sein, sah ich den Fluss vor mir. Das Unterholz lichtete sich, und auf dem Strom lag das letzte schwache Tageslicht.

Das Feuer, dessen Schein ich nun entdeckte, leitete mich. Erschöpft, atemlos und abgekämpft taumelte ich auf die Lichtung.

Little Friend stand breitbeinig neben dem Feuer. Er warf nur einen kurzen Blick auf mich und schien dann alles zu wissen, bevor ich den Mund auftun konnte. Meine Stimme versagte, ich sackte neben dem Feuer auf die Knie und rang nach Atem. Heftige Stiche tobten in meiner rechten Seite und in meiner Brust.

Little Friend kümmerte sich nicht um mich. Er lief zum Flussufer hinunter und schob das Kanu ins Wasser. Er kehrte zurück, holte die Reste der Antilope, die er am Vormittag geschossen hatte, und unsere Waffen und Decken, und trug alles zum Kanu.

„Komm!“, rief er. Er blieb dicht am Ufer stehen. Die Wellen des Stromes überspülten seine Mokassins.

Ich zwang mich, aufzustehen, und stolperte zum Fluss hinunter. Little Friend packte mich hart am rechten Oberarm und stieß mich auf das Kanu zu. Ich stürzte fast hinein, da schob er es bereits ins Wasser. Er watete hinterher und schob es auf die Flussmitte zu, bis das Wasser ihm bis zu den Knien stand. Dann schwang er sich hinein und griff nach einem einfachen Paddel, das er am Nachmittag geschnitzt haben musste, während ich auf der Jagd gewesen war. Er tauchte es in das dunkel glitzernde Wasser.

Aus dem Unterholz des Waldes sprengten jetzt die Reiter auf die Lichtung, wo noch immer unser Feuer brannte. Da befanden wir uns schon in der Mitte des Flusses, und das Kanu glitt rasch in die Dunkelheit davon, die sich wie ein fein gesponnenes Netz über das Land legte.

Ich richtete mich im Kanu auf und wandte den Kopf. Die Männer waren aus den Sätteln gesprungen und standen am Ufer. Sie hielten ihre Gewehre in den Fäusten. Ich zog den Kopf ein, und Little Friend tat es mir nach. Schüsse peitschten über den Fluss, zerfurchten die Wasseroberfläche und streiften unser Kanu. Dann hatten wir es geschafft und befanden uns außer Schussweite. Die Gestalten am Ufer verschwammen in der Dunkelheit.

Little Friend paddelte jetzt wieder. Er kniete am Heck des Kanus und bewegte sich ruhig, ohne jede Hast, als sei nichts geschehen.

Ich setzte mich und bemerkte, dass Wasser in das Kanu eindrang. Unterhalb der Wasserlinie war ein kleines, fingerdickes Loch in der Außenhaut. Little Friend nickte nur, als ich ihn darauf hinwies. Mit gleichmäßigen, kraftvollen Bewegungen tauchte er das Paddel abwechselnd rechts und links vom Kanu ins Wasser und schien von dem Loch wenig beeindruckt zu sein. Ich versuchte, mit den bloßen Händen das Wasser hinauszuschöpfen. Als es mir nur unzureichend gelang, versuchte ich, das Loch zuzuhalten. Das klappte besser.

Während der ganzen Zeit sprachen Little Friend und ich kein Wort. Um uns herum wurde es Nacht. Ein paar Sterne glitzerten am Himmel, sonst war es so dunkel, dass ich nicht mal die Ufer des Flusses erkennen konnte.

Little Friend schien das alles nicht zu beunruhigen. Er strahlte Ruhe und Zuversicht aus, die schließlich auch auf mich übergriff. Ich hörte auf, mir Gedanken zu machen, wo wir in der Finsternis landen würden.

Erst als meine Hände im kalten Wasser zu vereisen schienen und ich es nicht mehr verhindern konnte, dass Wasser in das Kanu eindrang, wurde ich wieder etwas unruhig. Da stieß das Kanu plötzlich auf Land. Der Kiel schrammte über den sandigen Grund eines Ufers, dann lag es still.

Little Friend warf das Paddel hinein, erhob sich und stieg hinaus. Ich folgte ihm. Gemeinsam zogen wir das Kanu eine schräge Uferböschung hoch.

Ich schaute mich um und staunte nicht schlecht. Trotz der Finsternis hatte Little Friend mit traumwandlerischer Sicherheit die Anlegestelle gefunden, von der aus ein schmaler Wildpfad in die Berge zu unserem Lager führte.

Ich lud unsere Sachen aus, und Little Friend hob das Kanu aus dem Wasser und verbarg es in einer Felsnische unter einer Geröllhalde. Er lud sich die zerlegte Antilope auf den Rücken und ging voraus. Ich folgte ihm den schmalen Wildpfad entlang, der bald steil anstieg. Meine Beine schmerzten, und ich war hundemüde, aber ich wagte nicht, zu klagen.

Plötzlich blieb Little Friend stehen. Ein kleines Plateau lag vor uns. Er drehte sich um, als die Sichel des Mondes hinter einer dunklen Wolke hervortrat. Das silbrige Licht, das die Nacht augenblicklich durchdrang, ließ die Sierra noch schroffer, noch gewaltiger und noch abweisender erscheinen. Selbst Little Friends Gesicht wirkte kantiger, schärfer konturiert und härter.

„Wir sind gleich im Lager.“

Ich schwieg.

„Sag mir jetzt, was los war.“

„Zehn Reiter und ein Wagen“, sagte ich. „Weißaugen. Sie zogen durch den Wald nach Süden. Auf dem Wagen befanden sich Gewehre und Pulver.“

„Warum haben sie dich entdeckt?“ Little Friends Gesicht hatte einen bedrückten Ausdruck angenommen. Ich ahnte, was er dachte. Wir würden die weißen Männer nicht ungeschoren durch unser Gebiet ziehen lassen. Wenn die Häuptlinge hörten, was ich gesehen hatte, würden wir ausziehen und die weißen Männer töten. Es ging um wertvolle Beute, und nach dem harten Winter konnten wir alles gebrauchen.

„Da war eine Schlange“, sagte ich. „Sie griff mich an, als die Weißaugen an mir vorbeizogen.“

„Du wirst den Häuptlingen alles erzählen“, sagte er.

Ich nickte.

„Der Krieg hat schon wieder begonnen, mein Bruder“, sagte er.

„Die Weißaugen sind unsere Feinde“, sagte ich.

„Ja“, sagte er. „Und wir brauchen ihre Gewehre. Wenn sich morgen Abend die Sonne rot färbt und nach Westen sinkt, werden sie schon nicht mehr leben.“

„Der eine hatte Skalps am Sattel hängen“, sagte ich.

„Morgen Abend hängt sein Skalp am Gürtel eines Kriegers.“

Little Friend drehte sich wieder um und ging weiter. Ich folgte ihm schwerfällig.

„Sie morden uns, und wir morden sie. Es hört nie auf“, sagte er. „Wir werden uns ihre Gewehre holen und damit nach Norden ziehen. Aber es wird sich nichts ändern. Unsere Jagdgründe sind verloren.“

Es war das erste Mal, dass er das gesagt hatte. Es klang bitter, und ich wusste in diesem Moment, dass er recht hatte. Ich glaubte zwar in meiner Unerfahrenheit immer noch, dass der Krieg gegen die weißen Eindringlinge einen Sinn hatte, dass wir uns auf diese Weise wenigstens die Gebiete sichern konnten, in denen wir jetzt noch die Herren waren. Aber vertreiben konnten wir die Siedler nicht mehr, die sich auf dem Land niedergelassen hatten, in dem früher nur Büffel und Apachen gelebt hatten. Die alten Jagdgründe waren verloren, aber wir mussten um unser Lebensrecht kämpfen.

Das Hochplateau tauchte vor uns auf, auf dem das Lager sich befand. Der Geruch von ranzigem Fett wehte uns durch die Kühle der Nacht entgegen. Viele Wickiups und einige Zelte standen auf dem Plateau. Ein Wachtposten stand plötzlich vor uns, und als er uns erkannte, ließ er uns vorbei. Wir trugen unsere Sachen zu unserem Wickiup, dann ging Little Friend, um Cochise zu wecken und mit ihm zu sprechen.

3.

Wir ritten bei Tagesanbruch aus dem Lager. Cochise führte uns an. Wir waren dreißig Krieger. Little Friend und ich waren auch dabei.

Ich ritt wieder meinen Braunen, den knochigen Armeehengst, den ich vor langer Zeit erbeutet hatte. Es war ein gutes Gefühl, wieder auf ihm zu sitzen. Er war zuverlässig, treu und zäh. Ich hätte ihn nicht gegen ein Dutzend der besten Apachenponys eingetauscht.

Wir ritten westwärts. Hinter uns ging gerade die Sonne auf. Wie eine vollfruchtige, saftige Orange erhob sie sich hinter den Bergspitzen. Die Sonne des Lebens nannten wir sie, und wenn der Tag starb, wenn sie im Westen versank, hieß sie die Sonne des Todes.

Die Sonne des Todes.

Noch heute Abend würde sie den weißen Männern scheinen, auf ihrem langen Weg ins Reich der Schatten.

Es war so, wie Little Friend vorausgesagt hatte. Noch in der Nacht hatte Cochise die Häuptlinge zusammengeholt. Auch Mangas Coloradas war dabei gewesen. Er sah noch etwas mager aus, schien aber die Folgen der schweren Verletzung endgültig überwunden zu haben. Er ritt nicht mit uns, dazu war er noch nicht stark genug. In wenigen Wochen aber würde er wieder im Sattel sitzen und uns vorausreiten, da war ich ganz sicher.

Bis zum Morgen hatten sie beraten und dann beschlossen, die weißen Männer anzugreifen, die ich am vorigen Abend beobachtet hatte.

Wir ritten auf den schmalen Wildpfaden, die außer uns niemand kannte, von unserem Lager in der Sierra zu Tal. Noch am Vormittag erreichten wir den Fluss. Ich kannte seinen Namen nicht, niemand kannte ihn. Wir nannten ihn so, wie die Berge hießen, an deren Fuß er sich entlangschlängelte: Rio Espuelas.

Wir ritten zu einer Furt und durchquerten den Fluss, der hier so seicht war, dass das Wasser den Pferden nicht mal bis zum Leib reichte. Auf der anderen Seite des Stromes tauchten wir ins Waldland ein.

Hier kannten wir uns aus. Das war unser Land, das Land der Apachen. Genauso wie die Wüste, die einige Meilen weiter östlich lag. Hier war das Land unwegsam und menschenfeindlich. Wir verstanden es, hier zu leben, deshalb waren wir hier stärker als jeder Gegner.

Es war Mittag, als wir den Wald hinter uns ließen und die Spuren der Reiter und des Wagens fanden. Die Fährte zog sich in gerader Linie nach Süden auf eine hügelige, verkarstete Landschaft zu.

Wir ahnten jetzt, wohin die weißen Männer sich bewegt hatten. Zehn Meilen südlich von hier befand sich ein kleiner Handelsposten. Das musste das Ziel der Reiter sein. Wir hatten uns nie um die Station gekümmert. Dort gab es nichts zu holen. Das schien jetzt anders zu werden. Wir rasteten kurz und gönnten auch unseren Pferden eine Ruhepause. Dann stiegen wir wieder in die Sättel und ritten nach Süden.

*

Die Reiter erreichten die Handelsstation am Spätnachmittag. Ein milder Wind fächelte von Süden heran. Die Männer stiegen vor dem Haupthaus der Station aus den Sätteln, während der Mann auf dem Wagenbock das Gefährt neben der Pferdetränke auf dem Stationshof zum Stehen brachte.

Staub bedeckte sie und ihre Pferde. Sie hatten sich tagelang nicht rasiert und schienen nur wenig geschlafen zu haben. Schwerfällig schritten sie über die ausgetretenen Dielen des Vorbaus, ihre Sporen klirrten dabei leise. Zwei Männer blieben mit schussbereiten Gewehren im Hüftanschlag auf dem Hof neben dem Wagen stehen. Die anderen betraten das Haus.

Drinnen herrschte Halbdunkel. Der vordere Raum des Blockhauses war offenbar der größte. Er maß zehn mal fünf Yards und wurde von einer wuchtigen, ­breiten Theke beherrscht, neben der sich zu beiden Seiten Kisten mit Konserven stapelten.

An den Wänden hing Sattelzeug. Der Raum war erfüllt von dem schweren Geruch von Tabak, Lederfett und Männerschweiß.

Seitlich der Theke standen mehrere Tische aus gehobelten Brettern, die über Holzböcke gelegt worden waren. Die Fenster des Raumes waren schmal wie Schießscharten, aber das Haus sah nicht so aus, als hätte es oft verteidigt werden müssen.

Die Männer blieben einen Moment vor der Theke ­stehen. Sie waren neun, mit dem Kutscher, der sie herein­begleitet hatte. Bis auf einen hockten sie sich auf die einfachen Bänke. Ihr Anführer blieb vor der Theke ­stehen. Er hatte eine Volcanic-Rifle in der linken Hand.