Rotwild - Maria Grund - E-Book
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Rotwild E-Book

Maria Grund

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Beschreibung

In den Tiefen des Waldes lauert Gefahr

Bedrohlich dunkle Wolken türmen sich über der Insel vor der schwedischen Küste, als die Kommissarin Sanna Berling auf einer verlassenen Farm einen sterbenden jungen Mann findet. Sein Anblick brennt sich für immer in ihr Gedächtnis, denn sein Körper ist übersät von Wunden. Verzweifelt möchte er Sanna mit seinem letzten Atemzug etwas mitteilen, doch bevor er den Satz beendet, ist er tot. Zusammen mit ihrer Partnerin Eir Pedersen nimmt Sanna fieberhaft die Suche nach dem grausamen Mörder auf. Ihr Instinkt führt die beiden Ermittlerinnen tief in die dunklen Wälder der schwedischen Insel. Dort, im undurchdringlichen Dickicht, scheint eine namenlose Gefahr zu lauern. Und Sanna spürt, wie gleichzeitig die Schatten der Vergangenheit gnadenlos näherkriechen …

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Seitenzahl: 477

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Maria Grund wurde in einem Vorort von Stockholm geboren. Sie arbeitete viele Jahre als Drehbuchautorin in London und New York und lebt heute auf der schwedischen Insel Gotland. Ihr großes Thrillerdebüt Fuchsmädchen wurde für den Crimetime Award nominiert sowie von der Swedish Academy of Crime Fiction als bestes Debüt des Jahres ausgezeichnet und stürmte in Deutschland sofort die SPIEGEL-Bestsellerliste. Mit Rotwild setzt sie die erfolgreiche Thrillerreihe um die beiden Ermittlerinnen Sanna und Eir auf der atmosphärischen Insel vor Schwedens Küste fort.

Fuchsmädchen in der Presse:

»Fuchsmädchen spielt eigensinnig mit sämtlichen Zutaten des Genres und wurde in Maria Grunds Heimat zum besten Krimi-Debüt 2021 gewählt.«stern

»Ein begnadetes Debüt mit einer ganz einzigartigen Stimme.«Dagens Nyheter

»Einer der fesselndsten Thriller des Jahres. Mit gekonnter Sprache baut Maria Grund Spannung auf. Man kann dieses Buch kaum aus der Hand legen.« Aus der Begründung der Swedish Crime Fiction Academy zum Preis für das beste Debüt des Jahres

»Maria Grund führt dynamische und interessante Figuren ein und liefert einen originellen Plot. Ein nervenaufreibender und filmischer Ermittlerkrimi, der Startschuss einer vielversprechenden Autorin.«Aus der Nominierung für den Crimetime Award

»Ein beeindruckendes Debüt!«Uppsala Nya Tidning

Außerdem von Maria Grund lieferbar:

Fuchsmädchen

Maria Grund

ROTWILD

Thriller

Aus dem Schwedischen von Sabine Thiele

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel Dödsdansen bei Modernista, Stockholm.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2022 by Maria Grund

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Marie-Sophie Kasten

Umschlaggestaltung und -abbildung: www.buerosued.de

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-27069-8V001www.penguin-verlag.de

KAPITEL EINS

Sanna Berling wischt sich den Schweiß vom Nacken. Die dünne schwarze Bluse klebt ihr in der schwülen Hitze an der Haut. Nur die papiernen Blätter der welken Topfpflanze bewegen sich im Luftzug des Tischventilators.

Auf dem Computerbildschirm leuchten ihr die Mitschriften zu den Verhören dieser Woche entgegen. Eine Schlägerei unter Betrunkenen am Samstag, kurz nach Mitternacht. Vier Männer zwischen dreißig und fünfzig hatten sich vor einem Imbiss, der fetttriefende Burger und Bratwürste für ausgehungerte Nachtschwärmer bereithielt, gegenseitig die Zähne ausgeschlagen. Eine halbe Stunde hatten sie sich auf dem Parkplatz geprügelt und die Fäuste geschwungen. Ihre Frauen und Freundinnen hatten versucht, sie daran zu hindern, und dabei selbst blaue Augen davongetragen. So ging es an Freitag- und Samstagabenden auf dem Land zu. Keine Morde oder Vergewaltigungen, keine gewalttätigen Auseinandersetzungen. Nur hässliche und oft blutige Frustration.

Schritte. Der Geruch nach Anchovis und Kautabak. Anton Arvidsson legt ein in Folie verpacktes Sandwich auf ihren Schreibtisch, knüllt eine Tüte zusammen und wischt sich einen Krümel von der Polizeiuniform.

»Solltest du nicht bald Schluss machen, wenn du nicht zu spät kommen willst?«

Es zischt, als er seinen Energydrink öffnet. Schnell schlürft er die herausquellende Flüssigkeit vom Dosenrand.

Sixten, der zu ihren Füßen liegt, wacht auf. Er ist eine irische Wolfshundmischung und sieht aus wie der Hund von Baskerville, ist aber eine Seele von Tier und nie aggressiv. Nicht einmal, wenn jemand, der nach Anchovis stinkt, ihn aus seinen Träumen reißt. Als Eir gefragt hatte, ob sie sich um Sixten kümmern könne, hatte Sanna zuerst gezweifelt, doch jetzt kann sie sich ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen.

Sie packt das Sandwich aus und bricht kleine Stücke davon ab, die sie an Sixten verfüttert. Anton beobachtet sie und lächelt, als wolle er etwas sagen.

Ihr Kollege sieht überhaupt nicht wie ein Polizist aus, sondern eher wie ein Bodybuilder mit den sich wölbenden Muskeln und dem breiten Nacken. Seine Augen blicken verschmitzt, sein gerötetes Gesicht ist überraschend weich.

»Was ist mit den Nachbarn, die sonst auf ihn aufpassen?«

Anton meint das Rentnerpaar, das im Stockwerk über Sanna wohnt, Kaia und Claes. Am Tag ihres Einzugs hatten sie mit ihrem Zwergspitz Margaret Thatcher bei ihr geklopft und sie willkommen geheißen. Als Sixten nach einer Weile zu ihr gezogen war, hatten die Hunde sich angefreundet. Seither passten Claes und seine Frau Kaia manchmal auf Sixten auf.

»Sie sind bis heute Abend auf dem Festland«, antwortet Sanna.

Anton lacht leise, so, wie wenn seine Frau anruft, mit der er schon seit Ewigkeiten zusammen ist. Dann geht er zurück zu seinem Schreibtisch.

Links davon steht ein Wandschirm, hinter den man sich an einen Tisch mit Stühlen zurückziehen kann, falls man für ein Gespräch ein wenig Privatsphäre benötigt. Da das nie passiert, dient der Tisch als Ablagefläche. Im Moment liegt Druckerpapier darauf und ein kleiner Karton mit was auch immer darin. Vielleicht ihrem Schreibtischschild.

Die Vorstellung, dass dieses kleine, unansehnliche Revier jetzt ihr Arbeitsplatz ist, ist immer noch ungewohnt, auch wenn sie schon ein paar Monate hier ist. Nach Auslaufen der Krankschreibung hatte man ihr angeboten, die Stelle als Ermittlerin in der Stadt gegen eine ruhigere Teilzeitbeschäftigung einzutauschen, und die Entscheidung war ihr nicht schwergefallen. Sie hatte endlich den abgebrannten Hof verkauft und sich für einen Bruchteil des Geldes eine kleine Wohnung am Ortsrand zugelegt. Ein einfacheres Leben.

Als Anton gerade seinen Energydrink leert, wird die Tür zum Revier geöffnet.

Ein Mann mittleren Alters kommt herein. Er trägt eine enge Laufhose, Laufschuhe und eine Trainingsjacke. In der Hand hält er eine Plastiktüte, die er Anton überreicht. »Die hier wollte ich nur abgeben«, sagt er. »Falls Sie Fundsachen annehmen?«

Anton öffnet die Tüte und zieht die Augenbrauen hoch.

»Was ist das?«, fragt Sanna hinter ihm.

»Vielleicht vermisst sie jemand«, fährt der Mann fort. »Ich habe auch Kinder und weiß, wie schwer sie es oft nehmen, wenn sie etwas verlieren.«

Anton zeigt Sanna den Inhalt der Tüte.

Eine Puppe. Lebensecht. Die blauen Augen blicken starr nach oben. In dem gelben Strampelanzug mit einer gestreiften Rosette und einem Lamm auf der Brust sieht sie fast aus wie ein Neugeborenes. Auf dem Kopf sitzt eine kleine Mütze.

»Ich habe sie im Wald gefunden. Zuerst bin ich weitergelaufen, aber dann musste ich doch umkehren.«

Sanna nimmt Anton die Tüte ab, wirft noch einen Blick hinein. »Die sieht neu aus.«

Der Mann nickt. »Ich wäre nicht den ganzen Weg hierhergefahren nur für ein altes Spielzeug, das seit Jahren herumgelegen haben könnte.«

»Den ganzen Weg hierher?«, fragt Sanna. »Wo haben Sie die Puppe denn gefunden?«

»Östlich von hier. Nicht ganz beim Moor, aber in der Richtung.«

»Beim Moor?«, wiederholt Anton. »In der Richtung sind nur dichter Wald und verfallene Höfe. Ich wusste nicht, dass es da draußen Joggingpfade gibt.«

»Ich bin Trailrunner. Orientierungsläufer. Laufe immer woanders, um in Form zu bleiben.« Der Mann deutet auf die Tüte. »Die Frage ist wohl eher, was die da draußen zu suchen hatte.«

Sanna sieht dem Mann nach, als er kurz darauf das Revier verlässt. Anton holt die Puppe aus der Tüte und setzt sie mit dem Gesicht zur Tür auf seinen Schreibtisch. Die kleinen Kunststoffaugen scheinen plötzlich ängstlich dreinzublicken. Sanna nimmt die Puppe hoch, dreht sie um, streicht mit der Hand über den gelben Strampler, der kein bisschen verschmutzt ist. Die kleine gestreifte Rosette auf der Brust ist weich und glatt. Etwas Spitzes ist darunter, es lässt sich biegen. Ein Stück Plastik, an dem wohl ein Preisschild befestigt war.

»Die Buchhandlung hier im Ort verkauft doch Spielsachen, oder?«, fragt sie Anton.

Er lächelt und zeigt zur Uhr an der Wand.

»Niemand mag Beerdigungen. Vor allem nicht, wenn man den Verstorbenen gemocht hat. Aber du kommst zu spät, wenn du jetzt nicht losfährst.«

Sie geht zurück zum Schreibtisch und holt ihren Thermobecher mit Kaffee. Sixten folgt ihr zur Tür. Anton klopft ihr auf die Schulter und lächelt mitfühlend.

»Vielleicht wird es ja auch schön, die alten Kollegen wiederzusehen.«

Sanna startet den eierschalenfarbenen Volvo 945 und sieht in den Rückspiegel. Sixten hebt sofort den Blick zu ihr. Sein Kopf und die großen Vorderpfoten ragen über den Rücksitz. Den großen Wagen hat sie wegen ihm gekauft. Der Verkäufer hatte ihr von der modernen Soundanlage vorgeschwärmt, die er installiert hatte, vom Hinterradantrieb und dem Graugussmotor, ihr hingegen waren nur die riesige Heckklappe und der niedrige Einstieg wichtig gewesen. Doch Sixten hatte sich nur einmal in den Kofferraum gequält und die ganze Fahrt über ängstlich gehechelt. Seither lässt sie ihn auf den Rücksitz springen, nur dort fühlt er sich wohl. Sie hat ein Netz bestellt, um die Fahrten für sie beide sicherer zu machen, doch das wurde noch nicht geliefert.

Sie schaltet das Radio ein. Quasi ununterbrochen werden Nachrichten vom Kontinent gesendet, von den Unruhen, über die die ganze Welt spricht. Die Gewalt hat in den letzten Jahren zugenommen, und vor ein paar Wochen haben Rechtsextremisten in mehreren Ländern koordinierte Aufstände organisiert. Bewaffnete Gruppen haben in kurzer Zeit Fuß gefasst, in manchen Städten mussten staatliche Institutionen ihre Arbeit einstellen. Sanna schaudert, als sie von Familien hört, die fliehen müssen, getrennt werden, und von der Hoffnungslosigkeit, weil niemand Neutrales einreisen und vermitteln darf.

Als die Nachrichten von Werbung abgelöst werden, ruft sie Spotify auf und steckt sich die kabellosen Ohrstöpsel in die Ohren. Die Playlist springt zufällig auf Robert Johnson and Punchdrunks’ Song »Genocide«.

Sie biegt auf die Landstraße ein, die auch die Hauptstraße des Ortes ist. Dort befinden sich die Tankstelle und das Café Bagarns, die Buchhandlung und die Bibliothek. Außerdem gibt es einen Friseursalon mit gelben Wänden und das Eisenwarengeschäft, in dem man alles von Bauholz bis Bratpfannen kaufen kann. Sie hat dort schon einiges besorgt, unter anderem einen Thermobecher, eine Kaffeemaschine und ein paar normale Tassen. Außerdem einen Büchsenöffner, einen Topf und ein paar Teller samt Besteck.

Einige Fahrzeuge kommen ihr langsam entgegen. Ein Traktor. Ein paar Holzlaster, dahinter ein gelbes Auto vom ambulanten Pflegedienst.

Plötzlich ertönt wie aus dem Nichts ein knatterndes Geräusch. Sixten hebt den Kopf, und Sanna wirft einen Blick in den Rückspiegel.

Eine Gruppe Teenagermädchen auf ihren Rollern und Motorrädern. Sanna hat sie schon ein paarmal gesehen, seit sie hierhergezogen ist. Wie ein Schwarm bewegen sie sich durch den Ort, Tag und Nacht. Sie biegen aus einer Seitenstraße und fahren dicht hinter Sanna her. Ihre Scheinwerfer blitzen im Rückspiegel auf, die Mädchen schließen sich um den Wagen. Neben Sanna fährt eine glänzend schwarze Aprilia mit auffallend leichten Linien, der Gesamteindruck ist jedoch aggressiv. Die Fahrerin hat taillenlanges rosafarbenes Haar und eine große Tasche über der Schulter. Hinter ihr sitzt ein Mädchen in Shorts, Strickpullover und weinroten Schnürstiefeln. Ihre Hände liegen auf den bloßen Oberschenkeln. Das dunkle Haar ist mit schwarzen Bändern zu Zöpfen geflochten. Kurz dreht sie den Kopf zu Sanna, aber das Gesicht ist hinter dem Helm verborgen. Sie gibt der Fahrerin mit einer Hand ein Zeichen. Als diese beschleunigt, sieht Sanna eine Tätowierung im Nacken des dunkelhaarigen Mädchens, eine Art weibliches Naturwesen. Dann schert die schwarze Maschine genau vor dem Volvo ein und zwingt Sanna zum Bremsen. Der Schwarm ergießt sich über den Gehsteig und verschwindet in einer Seitenstraße.

KAPITEL ZWEI

Die Sonne blendet, als sie auf den Hafen und das Fischerdorf zufährt. Die zwei kleinen Granitklippen im Meer glitzern im gleißenden Licht. Nach ein wenig Rangieren stellt sie den Volvo auf einem Schattenplatz ab. Sie trinkt den letzten Rest Kaffee aus dem Thermobecher, streckt sich zum Rücksitz und krault Sixten hinter dem Ohr. Mit seinen großen, freundlichen Augen sieht er sie bittend an.

»Natürlich kommst du mit«, sagt sie.

Immer mehr schwarz gekleidete Menschen versammeln sich auf dem Pier. Früher haben ihr Beerdigungen Angst gemacht. Der Tod war etwas Kaltes und Abstraktes, eine Beerdigung nichts anderes als ein Moment des langsamen Erstickens, die Hymnen und Trauerreden eine zäh fließende Masse, die einen unter sich begrub. Jetzt ist es anders. Vielleicht hat sie keine Angst mehr. Im Lauf der Zeit hat der Tod eine andere Bedeutung bekommen. Auf der anderen Seite wartet bereits Erik, mit seinem weichen, zerzausten Haar und dem kleinen ausgewaschenen Teddybären. Vielleicht wirkt der Tod einfach auch nicht mehr so weit weg.

Heute ist eine Seebestattung geplant. Auf dem Meer, das atmet und sich nach ihnen ausstreckt, das bis in die letzte Ritze vordringt und alles mit Leben füllt. Heute bekommt das Meer ein Leben zurück, einer von ihnen wird den Wellen übergeben werden.

Sanna zuckt zusammen, als es ans Beifahrerfenster klopft. Schon reißt Eir die Tür auf, lässt sich auf den Sitz fallen und begrüßt Sixten liebevoll.

»Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken«, sagt sie lächelnd.

Mit ihrer schwarzen Jeans und dem schwarzen Top unter einer eng anliegenden Lederjacke ist Eir zwar angemessen für eine Beerdigung gekleidet, doch ihre Haare sind ungekämmt und die Sneakers staubig und unordentlich gebunden. Sie sieht genauso chaotisch aus wie bei ihrer ersten Begegnung vor drei Jahren, als Sannas neue Kollegin an einem Sonntagmorgen an dem Kalksteinbruch aufgetaucht war, in dem sich die vierzehnjährige Mia Askar das Leben genommen hatte.

»Wie geht’s?«, fragt sie.

»Besser, wenn das Ganze vorbei ist.« Sanna sieht zu der Menschenmenge am Hafen.

»Ja, verdammt …« Eir lässt den Blick über die Umgebung schweifen. »Ich habe gerade zu Fabian gesagt, dass der Mann schon tot war, bevor man überhaupt kapiert hatte, dass er krank war, so schnell ging das … Keiner von uns anderen mochte ihn ja so richtig, aber ihr habt lange zusammengearbeitet. Du stehst sicher noch etwas unter Schock, oder?«

Sanna weiß nicht mehr, wie lange Ernst »Eken« Eriksson ihr Vorgesetzter gewesen ist, doch es waren viele Jahre. Die letzte Zeit ihrer Zusammenarbeit war voller Konflikte gewesen, und man hatte deutlich gemerkt, dass er keine Energie mehr gehabt hatte, aber sie hatte ihn trotzdem gemocht. Als junge Polizistin hatte er ihr eine Chance gegeben, und als ihr der Brand einige Jahre später den Mann und ihren kleinen Erik geraubt hatte, durfte sie sich mit Arbeit betäuben. Sonst war ihr nichts mehr geblieben, und das hatte er verstanden.

»Alles okay?«, fragt Eir.

Sanna nickt. »Wie geht es Fabian? Ich habe gehört, dass seine Mutter auch kürzlich gestorben ist?«

»Ja. Aber sie war schon lange krank gewesen, es war an der Zeit. In vielerlei Hinsicht ist es vielleicht auch eine Erleichterung, er war ja jeden Tag bei ihr, manchmal stundenlang. Auch wenn sie zu krank war, um es zu merken.«

»Hast du sie mal kennengelernt?«

»Nur ein Mal, als er sie zum Strand gefahren hat, damit sie die Füße ins Meer tauchen konnte. Sie hatte schlimmen Hautausschlag. Er trug sie bis zum Wasser und hielt sie, bis sie in seinen Armen einschlief.«

Sanna entdeckt Fabian Gardell unten am Pier. Groß gewachsen, schlank und selbstbewusst geht er in seinem Maßanzug zu einem älteren Paar und begrüßt es. Hinter einer Hand gähnt er verstohlen.

»Er hat bis spätnachts obduziert«, erklärt Eir seufzend. »Verdacht auf falsche Behandlung im Krankenhaus, und die Überprüfung konnte offensichtlich nicht warten.«

Sixten setzt sich auf und stupst Sannas Schulter mit der Schnauze an, woraufhin sie aussteigt, die Tür zum Rücksitz öffnet und ihn herausspringen lässt. Während er im braungrünen Gras herumschnüffelt, tritt Eir neben Sanna.

»Wie ist es, wieder zu arbeiten? Freust du dich?«, fragt sie. »Auch wenn ich nicht weiß, ob ich diese Schuhschachtel von Revier einen Arbeitsplatz nennen würde …«

»Es läuft gut.«

Die Gruppe am Hafen bewegt sich auf ein großes Passagierschiff zu, an dessen weißem Aufbau ein Schild mit der Aufschrift »Charter« und einer Telefonnummer angebracht ist.

Die Trauergäste gehen an Bord. Sanna sieht Ekens Witwe, neben ihr den gemeinsamen Sohn mit einer Urne im Arm. Einer nach dem anderen tauchen sie kurz darauf auf dem Sonnendeck wieder auf. Fabian bedeutet Sanna und Eir von dort aus, dass sie sich beeilen sollen.

»Wie läuft es bei dir und Fabian?«, fragt Sanna.

Eir lächelt. »Hm, was soll ich sagen …? Er hatte viel mit seiner Mutter zu tun. Und wir arbeiten beide krass viel. Vor allem er. Du weißt ja, wie es bei der Gerichtsmedizin ist. Die letzten Jahre waren heftig.«

»Ich glaube, ich habe nie erlebt, dass er mal im Urlaub war.«

»Nein. Aber jetzt will er tatsächlich versuchen, eine Woche freizunehmen. Den Anfang soll morgen ein Wochenende mit seinen Kumpel machen.«

»Aha.«

»Die sind nett. Freunde aus Kindheitstagen, wie ich sie nie gehabt habe. Sie wollen das ganze Wochenende in der Villa verbringen. Scheiße, habe ich dir eigentlich von der Villa erzählt?«

Sanna schüttelt den Kopf. »Nein.«

»Total krank. Seine Mutter hat ihm das Haus vererbt. Ein riesiger Kasten aus den Siebzigern am Meer, ein Stück nördlich von der Stadt. War immer an Konferenzen und so was vermietet. Doch jetzt hat er keine Buchungen mehr angenommen und überlegt, ob er das Haus vielleicht verkauft.«

»Warst du mal dort?«

Eir schüttelt den Kopf. »Es war ja die ganze Zeit vermietet. Aber jetzt fahre ich mal hin, Ende der Woche wahrscheinlich.«

Fabian winkt sie noch einmal zu sich. Sanna verkürzt die Hundeleine und geht zusammen mit Eir hastig zum Boot.

»Ganz schön lange her«, sagt Fabian und umarmt sie, als sie an Deck kommt. »Du siehst gut aus.« Dann nimmt er Eirs Hand und küsst sie leicht auf den Hals.

»Sanna?«, ertönt eine spröde Stimme.

Alice Kyllander steht hinter ihr, die junge Analytikerin von der NOA – der Nationalen Operativen Abteilung –, die im Zusammenhang mit der Mordserie vor drei Jahren zu ihnen gestoßen war und danach alle mit der Entscheidung überrascht hatte, auf der Insel zu bleiben. Sie ist zart, ihre Kleider wirken etwas zu groß, und die Brille mit dem hellen Gestell zeichnet sich kaum von ihrem Gesicht ab.

»Schön, dich zu sehen«, sagt sie und dreht die braunen Haare im Nacken zu einem Knoten zusammen. »Möchtest du etwas trinken? Drinnen haben sie für die Trauerfeier gedeckt, und ich habe Eistee gesehen.«

Sanna will gerade etwas erwidern, doch dann fällt ihr Blick auf den hechelnden Sixten, und sie entschuldigt sich. Sie geht mit ihm in den Schatten an die Reling. Das Metall ist voller Rostflecken und kühl unter ihren Händen. Sixten legt sich auf den Boden. Der Bootsmotor erwacht vibrierend zum Leben. Aus dem Augenwinkel sieht sie die anderen, während das Schiff den Hafen verlässt.

KAPITEL DREI

Nach der Trauerfeier trinkt Eir ihr Weinglas aus und nimmt sich ein paar kleine, handgefertigte Pralinen aus einer Schale auf dem Tisch, während die Angestellten das Geschirr abräumen. Fabian lehnt sich zurück und betrachtet sie schweigend, bis sie verlegen wird. Er lächelt. Sein Blick hat etwas Lüsternes, und sie spürt, wie sie errötet und ihr warm wird.

»Warum sind wir noch nicht zurück im Hafen?«, fragt sie mit vollem Mund.

Er lacht und trinkt einen Schluck Bier. »Weil noch Pralinen da sind«, antwortet er, ohne den Blick von ihr abzuwenden.

Sie lässt eine Praline fallen und senkt den Blick. Bemerkt ihre staubigen Sneakers, die sie eigentlich vor der Beerdigung noch hatte putzen wollen. Mist. Wie hatte sie das nur vergessen können?

Fabian beugt sich dicht zu ihr. Sein Gesicht ist so nah, dass sie sein Rasierwasser riechen kann. Wieder wird ihr warm.

»Du siehst … wundervoll aus«, sagt er.

Sie taucht die Spitze einer Serviette in ein Wasserglas und wischt sich ein bisschen Schokolade von der Jeans.

»Wo ist Sanna?«, fragt er.

»Sie sieht bestimmt nach Sixten. Er sitzt draußen vor der Tür im Schatten.«

»Du, ich habe gerade noch eine Pushmeldung aufs Handy bekommen.«

»Noch eine? Himmel …«

»Nur weil es sich bald jährt.«

Eir nickt. Kann nicht einmal vor sich selbst leugnen, dass jeder Herbst eine Erinnerung an die Mordserie vor bald drei Jahren ist. Die gescheiterten Ermittlungen gehörten zu den umfassendsten in der Geschichte der Insel.

»Die sollen sich mal beruhigen«, knurrt sie.

Fabian nickt langsam.

»Ich hoffe bloß, dass Sanna diesen verdammten Klatsch nicht liest«, fährt sie fort.

»Und wenn, dann kommt sie damit klar.«

»Da bin ich mir nicht so sicher … Sie spricht ja nicht mehr darüber.«

»Weil sie vielleicht auch nicht mehr die ganze Zeit daran denkt? Sie hat ja auch das Video von der Überwachungskamera gesehen.«

Eir antwortet nicht. Fabian spielt darauf an, dass eine Überwachungskamera in einem Gasthafen auf dem Festland vor einem Jahr Jack Abrahamsson eingefangen hat. Am Tag darauf wurde ein Motorboot als gestohlen gemeldet, das ein paar Tage später nördlich der Insel leer auf dem Meer treibend aufgefunden worden war. Man vermutet, dass Jack das Boot gestohlen und versucht hat, zurück auf die Insel zu gelangen, dabei allerdings von schlechtem Wetter überrascht worden ist. Seither wartet man auf eine Bestätigung, dass der Junge, der fünf Menschen brutal abgeschlachtet hat, tot ist.

»Das wäre ja auch entsetzlich, wenn er irgendwann mal angetrieben würde«, sagt sie.

»Ja, tragisch.«

»Nein, ich meine eher, schrecklich, wenn jemand von uns ihn noch einmal sehen müsste.«

Als Sanna hereinkommt, zieht Fabian den Stuhl neben sich zurück und bedeutet ihr, sich zu setzen.

Eir liest eine SMS der Staatsanwältin, während Fabian gähnt und Sanna entschuldigend zulächelt.

»Du hast gestern noch lange gearbeitet?«, fragt diese. »Verdacht auf Falschbehandlung?«

Er nickt. »Wie geht es dir da draußen in der Pampa?«

»Es ist ein kleiner Ort, aber kein Loch.«

»Es gefällt dir also?«

»Ja, doch.«

»Du bereust es nicht?«

»Nein.«

Fabian lächelt. »Was für Fälle löst du dann? Gestohlene Hühner und so was?«

Sanna grinst.

Eir mustert ihre frühere Kollegin. Fabian geht respektvoll mit Sanna um und hält einen gewissen Abstand, seine Stimme ist weich und warm. Als er noch mit ihr zusammengearbeitet hat, haben sie sich oft auf eine Art ausgetauscht, wie er es mit ihr nie tut. Schon lange bevor sie auf der Bildfläche erschien, hatte die beiden etwas verbunden. Sie verspürt einen leisen Stich, vielleicht Eifersucht, verscheucht das Gefühl aber sofort wieder.

»Okay, will noch jemand Wein?«, fragt sie in die Runde.

Auf der anderen Seite des Tischs unterhält sich Alice mit Bernard Hellkvist, Sannas pensioniertem Partner. Ein Stück weiter weg sitzt Jon Klinga und starrt auf sein Handy. Sogar in seiner Polizeiuniform sieht er unverschämt adrett aus. Gepflegt, perfekt rasiert, das dichte Haar wird mit Gel in Form gehalten, das hellblaue Hemd steckt ordentlich in der Hose. Als Bernard ihn anfährt, er solle sein Handy leiser stellen und etwas Respekt zeigen, legt er das Telefon auf den Tisch, damit alle das Display sehen können.

»Was ist das?«, fragt Alice. »Also, ich finde das auch nicht in Ordnung. Wir haben gerade erst zugesehen, wie Ekens Witwe seine Asche verstreut hat …«

Jon bedeutet ihr, still zu sein. »Das ist wieder Axel Orsa. Es wurde vor ein paar Tagen im Fernsehen gesendet, und jetzt hat es jemand im Internet hochgeladen.«

»Schalt es aus«, sagt Bernard seufzend und steht auf. »Heute muss hier niemand diesen Widerling sehen.« Dann geht er zu den Toiletten.

Nach dem Tod des Polizeichefs hatte Axel Orsa, ein junger Journalist, der für eine Lokalzeitung arbeitete, einen Artikel über seine Karriere geschrieben und Eken als ineffektiv und korrupt hingestellt. Aus dem Artikel sprach auch ein starkes Misstrauen gegenüber den Politikern auf der Insel, vor allem aber gegenüber der Polizei, die laut Axel Orsa zu wenig tat, um die Schwächsten der Gesellschaft zu schützen. In Anbetracht der bevorstehenden Wahlen erregte der Bericht besonders viel Aufmerksamkeit. Das Vertrauen in die Politik hatte bei der Bevölkerung nach Jahren von allgemein als undemokratisch wahrgenommenen Beschlüssen – sei es in Sachen Forstschutz, Förderung der Landwirtschaft oder dem Pflegesektor – stark nachgelassen.

Jon stellt den Ton ein wenig lauter, stützt sich auf die Ellbogen und sucht nach einer bestimmten Stelle in der Aufnahme. »Der Typ gibt nicht auf«, sagt er und stellt den Ton noch lauter.

Sanna sieht sich nach Ekens Witwe um, die zum Glück nichts hört.

Das Handydisplay leuchtet auf, als eine Bildmontage von einem kleinen, beleuchteten Studio eines lokalen Fernsehsenders abgelöst wird. Axel Orsa sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf einem Stuhl. Er ist groß und dünn, seine Augen blicken selbstsicher hinter dicken Brillengläsern. Das künstliche Studiolicht hebt seine fein geschnittenen Gesichtszüge hervor. Die Programmleiterin bittet ihn zu erklären, was er mit der Aussage »Politisch motivierte Gewalt ist im Anmarsch« meint.

»Wir befinden uns in der Endphase eines Wahlkampfs. Ein ganzes Jahr lang haben uns die Politiker vor Wahlbetrug gewarnt. Die Menschen hegen immer größeres Misstrauen gegenüber der Kommune und der Elite, die hier auf der Insel regiert. Nehmen wir zum Beispiel den Kalksteinabbau. Das rücksichtslose Vorgehen der großen Unternehmen hat zu immenser Wasserverschmutzung auf der Südhälfte der Insel geführt. Wenn die Menschen in ihre Brunnen blicken oder das Wasser zu Hause aufdrehen, ist es braun. Würden Sie das Ihren Kindern zu trinken geben? Wer hat der globalen Kalksteinindustrie genehmigt, hier Sprengungen durchzuführen? Wo stand im letzten Wahlprogramm, dass wir mit unserer Stimme den Politikern das Recht geben, im Austausch gegen kurzfristige Arbeitsplätze unser Trinkwasser zu verschmutzen und unsere Gesundheit sowie die Tierwelt aufs Spiel zu setzen?«

»Auf der Insel wurde schon immer Kalkstein abgebaut«, entgegnet die Programmleiterin. »Sollen die Menschen wirklich auf die Straße gehen, weil wir vor Abschluss der Verträge keinen Volksentscheid durchgeführt haben?«

»Heutzutage baut man in einem Jahr so viel ab wie früher in tausend Jahren. Ausländische Unternehmen sprengen im großen Stil.«

»Ausländische Unternehmen, die reguläre Genehmigungen erhalten haben.«

»Sagt wer? Ich glaube, wir unterschätzen die Entschlossenheit der Menschen, sobald sie erkennen, welche Risiken mit der Macht verbunden sind, die in den Händen unfähiger Politiker liegt. Wenn wir Lokalpolitiker wie Despoten regieren lassen, was passiert dann? Heute verkaufen sie unser Grundwasser. Und morgen?«

»Wie sieht Ihre Antwort darauf aus?«

»Antworten sind nicht meine Aufgabe. Es ist Aufgabe der Politiker, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Meine Rolle besteht nur darin, die Problematik zu beleuchten, damit die Menschen ihre demokratischen Rechte wahrnehmen und Einfluss auf ihr Leben ausüben können.«

Bernard kommt zurück und zieht seinen Stuhl mit lautem Scharren hervor, worauf Jon das Handy ausschaltet. Schweigen legt sich über den Raum. Ekens Witwe steht auf, erhebt ihr Glas, will etwas sagen, doch ihre Stimme bricht. Sie setzt sich wieder, starrt vor sich hin, dreht an ihrem Ehering.

»So eine Ehe ist doch Mist«, murmelt Eir. »Immer bleibt einer am Ende allein zurück.«

Fabian legt ihr die Hand aufs Bein.

»Kann mich nachher jemand mitnehmen?«, fragt sie. »Fabian muss sich auf sein Männerwochenende vorbereiten.«

»Du kannst gern bei mir mitfahren«, sagt Alice und trinkt einen Schluck Wasser.

»Wo wir gerade von Männern sprechen«, meint Bernard. »Wisst ihr etwas über Ekens Nachfolger? Niklas Jovanovic heißt er, oder?«

»Er soll ein Frauenheld sein«, antwortet Alice. »Das sagen zumindest meine alten Kollegen vom Festland. Jemand hat gesagt, dass seine Tochter hier studiert und er deswegen herzieht. Seine Sachen stehen schon in seinem Büro, auch wenn er erst am Montag anfängt.«

»Ich habe gehört, dass er einen guten Draht zu ein paar richtigen Schwergewichten auf Landesebene hat und dass er irre gut Ressourcen organisieren kann und sich einen Scheiß um Gerede kümmert und was andere Leute von ihm denken«, erzählt Eir.

»Im Gegensatz zu Eken«, fügt Jon hinzu. »Der alles unter den Teppich gekehrt und ein politisches Spiel gespielt hat. Jetzt im Nachhinein kannst du doch nicht bestreiten, dass er ganz schön faul war, oder?« Er sieht Sanna an.

Das Boot legt an. Alle stehen auf, die Türen zum Deck werden geöffnet.

Sannas Handy vibriert. »Ja?«, antwortet sie zögernd und tritt ein paar Schritte zur Seite.

Fabian schlüpft in sein Jackett und sieht auf die Handyuhr.

»Fahr nur«, sagt Eir. »Ich warte und rede noch ein bisschen mit Sanna.«

Er umarmt sie und geht zur Tür.

Sanna kommt zurück und seufzt. »Ich muss los.«

»Wohin? Wer war das denn gerade?«, fragt Eir.

»Der diensthabende Beamte. Ein Mädchen hat den Notruf gewählt, sie und ein paar Freundinnen haben angeblich gesehen, dass ein Mann nackt bei einem verlassenen Hof herumrennt, ein Stück östlich vom Ort.«

»Aber du bist doch hier? Warum rufen sie dann nicht Anton an, oder wie der Typ heißt, der mit dir in dieser Schuhschachtel sitzt?«

»Sie haben ihn nicht erreicht.«

»Aha. Soll ich mitkommen?«

Sanna winkt ab. »Nein, schon gut. Das ist sicher nichts.«

Ein paar Minuten später stehen Eir und Alice auf dem Hafenparkplatz und sehen der davonfahrenden Sanna hinterher. Sixtens mächtiger Umriss ragt wie ein Gespenst hinter ihr auf dem Rücksitz auf. Alice wirft ihren Autoschlüssel von einer Hand in die andere.

»Mein Wagen steht da drüben«, sagt sie und nickt in die Richtung.

»Hast du auch gesehen, dass wieder über die Morde geschrieben wird?«

»Ja.«

»Die Leute sind einfach unglaublich … Vergessen die denn nie? So ein Scheiß!«

Alice lächelt.

»Was?«, fragt Eir.

»Nichts. Fährst du mit?«

»Ja, aber zuerst würde ich gern wissen, was so verdammt lustig ist. Die Leute stellen es so hin, als hätte Sanna Jack Abrahamsson mit Absicht entkommen lassen, und du zuckst da nur mit den Schultern, oder was?«

Um Alice’ Lippen spielt ein schwaches Lächeln, dann wird sie wieder ernst.

»Die Leute reagieren eben auf Schlagzeilen. Und du fluchst so oft, dass ich kaum verstehe, was du sagen willst.«

Eir neigt den Kopf. »Bin ich dir nicht kindgerecht genug?«

»Ich verstehe nur nicht, warum du immer so wütend bist.«

Eir seufzt. »Tut mir leid. Ich habe es nur so satt, dass dieser Fall sie immer noch verfolgt, uns alle … Ich habe einen Artikel darüber gelesen, warum Kinder zu Mördern werden. Damit jagt man den Menschen doch nur Angst ein, und verängstigte Menschen drehen dann durch.«

Alice nickt. »Zum Revier?«

Eir zuckt mit den Schultern. »Willst du noch irgendwo etwas essen? Ich habe gesehen, dass du die Smörgåstårta auf dem Boot nicht angerührt hast.«

»Ich esse keine Krabben.«

»Das wusste ich nicht.«

»Nein, woher solltest du auch? Ich habe es ja nie erwähnt.«

Eir schlägt nach einer Mücke an ihrem Hals und fächelt sich Luft zu. »Du erzählst nie etwas. Nicht einmal, was dir schmeckt. Du machst auch keine Witze darüber, mit wem auf dem Revier du gern ins Bett gehen würdest. Nichts.«

»Ich kann nichts aus meinem Privatleben erzählen, falls du das meinst, weil ich keins habe.«

Eir lacht ein wenig ungläubig, und Alice verdreht die Augen.

»Ich arbeite und mache Sport. Lese, schaue Filme und Fernsehserien. So was.«

»Und was ist mit dem Typen auf dem Festland?«

Alice tritt gegen ein Steinchen.

Sofort bereut Eir ihre Frage. Warum sollte Alice jetzt auf einmal darüber reden wollen, nachdem sie sich vor ein paar Monaten auf der Toilette eingeschlossen hatte, um mitfühlenden Blicken aus dem Weg zu gehen, als ihr Freund mit ihr Schluss gemacht hatte?

»Das ist schon längst vorbei«, sagt Alice.

Jon tritt zu ihnen, ohne den Blick von seinem Handy zu heben. »Und? Was macht ihr jetzt?«

»Wir fahren«, erwidert Alice.

»Was für ein Zirkus«, meint Jon und steckt das Handy in die Tasche. »Wir müssen zusehen, wie Ekens Überreste im Meer verstreut werden, und dann müssen wir auch noch Sanna ertragen.«

Eir zupft an einem losen Faden in ihrer Jackentasche.

»Wo ist sie übrigens?«, fragt Jon.

»Gerade gefahren.«

Jon spannt den Kiefer an. »Ein Wunder, dass sie ihren Führerschein noch hat. Wenn man bedenkt, wie oft sie erst Tabletten geschluckt und sich dann ans Steuer gesetzt hat.«

Ein Pick-up wendet auf dem Parkplatz und zwingt sie, alle einen Schritt zurückzutreten.

»Das ist schon lange her«, entgegnet Eir. »Damals ging es ihr schlecht. Richtig schlecht. Jetzt geht es ihr gut.«

Jon grinst abfällig und geht davon.

»Mit ihm will ich ins Bett.« Alice sieht Eir an.

Eir lacht laut auf. »Mit Jon? Na klar.«

Doch Alice verzieht keine Miene. Eir mustert sie, dann schüttelt sie verwundert den Kopf und macht ein angewidertes Gesicht. »Du hast ihn in der Umkleide gesehen?«

»Ja.«

»Und das Hakenkreuz auf der Brust?«

»Das entfernte Hakenkreuz. Das hat er sich als Teenager stechen lassen.«

Eir holt tief Luft. Alice erwidert ruhig ihren Blick. Sie sieht so unschuldig aus mit ihrer farblosen Brille.

»Vielleicht war er einfach bei einer Gang? Hat sich in was reinziehen lassen, hat rebelliert?«

Eir sieht sie vorwurfsvoll an, worauf Alice lacht.

»Was denn? Bin ich dir nicht lustig genug?«

Eir lächelt. »Du bist ja krank. Sollen wir fahren?«

Alice schließt den Wagen auf, während Jon langsam vorbeirollt. Er winkt ihnen zu, ohne zu ihnen zu sehen.

Alice zieht vorsichtig den Mundwinkel hoch. »Man kann über Jon sagen, was man will, aber ich stimme ihm zu.«

»In welcher Hinsicht?«

»Sanna.«

»Okay.« Eir seufzt und will sich gerade ins Auto setzen, als Alice weiterspricht.

»Ich weiß, dass ihr befreundet seid, aber es geht ihr längst noch nicht wieder gut.«

»Sie kommt zurück.«

Alice zögert. »Vielleicht.«

»Vielleicht?«

»Ja, vielleicht. Aber ich denke, du solltest nicht damit rechnen.«

KAPITEL VIER

Bei einer stillgelegten Bushaltestelle, eine Viertelstunde östlich des Ortes, biegt Sanna von der Landstraße auf einen holprigen, schmalen Waldweg ab. Nach einem Kilometer ruft sie den diensthabenden Beamten an, ob sie wirklich am richtigen Ort ist.

Fast die halbe Insel ist von Wald bedeckt. Früher einmal wuchsen hier Eichen und Fichten, und der Wald lieferte begehrten Teer und Kernholz. Doch rücksichtslose Ausbeutung, Abholzung und schwammige Gesetze haben Narben hinterlassen. Ausgedörrte Kahlschlagflächen und, wie hier, immer mehr vernachlässigte Wälder, die zuwuchern und ihrem Schicksal überlassen werden.

Ihr Blick fällt auf eine verfallene Hütte inmitten von Farnen, die wahrscheinlich einmal als Holzlager oder Unterstand für Tiere gedient hatte.

Der Weg wird noch schmaler und besteht am Ende nur noch aus zwei Reifenspuren. Der Wagen holpert durchs dichte Unterholz, und Sixten hechelt auf dem Rücksitz. Vielleicht ist ihm schlecht. Sanna lässt das Fenster herunter. Die Luft ist mild, es riecht nach Tannennadeln.

Sie will gerade noch mal auf dem Revier anrufen, als sie ein Stück vor sich hinter einer Biegung etwas Farbiges im Gebüsch sieht. Die Mädchen mit ihren Motorrädern. Ihre Stimmen werden lauter, je näher Sanna heranfährt. Jemand sagt, dass sie die Polizistin sein muss.

Als Erstes erblickt Sanna das Mädchen auf der schwarzen Aprilia, das gerade eine Drohne in einer großen Tasche verstaut, die über ihrer Schulter hängt. Das taillenlange rosafarbene Haar rahmt das stark geschminkte Gesicht ein, als das Mädchen Sanna anstarrt.

Sanna hält ihren Dienstausweis hoch.

»Ihr habt einen Mann gesehen, der hier nackt herumläuft?«

Das Mädchen deutet zu den beiden Reifenspuren, die tiefer in den Wald hineinführen. »Nina ist noch dahinten«, sagt sie und entblößt dabei eine Zahnspange.

»Nina?«

Das Mädchen stülpt den Helm über den Kopf. »Er hat nach uns geschnappt. Hat an uns gezerrt.«

»Hat er euch angegriffen?«

Das Mädchen startet wortlos die Aprilia. Die anderen tun es ihr nach. Sie lassen die Motoren aufheulen, dann wenden sie die Motorräder und Roller, schlängeln sich an Sannas Auto vorbei und fahren davon.

Sanna gibt vorsichtig Gas und behält die Reifenspuren vor sich im Blick. Sie kommt zu einer Lichtung mit einem verfallenen Hof aus dunkelrotem Holz. Das Gras steht hoch, Fenster und Tür des Wohnhauses sind nur noch gähnende schwarze Löcher. Ein alter Schuppen daneben ist eingestürzt. Sanna hält an, lässt das Fenster bis auf einen Spalt wieder hinauf. Im Rückspiegel sieht sie zu Sixten und sagt ihm, er solle ruhig sitzen bleiben.

Da sieht sie es.

Das Teenagermädchen in Shorts und Strickpullover, das am Morgen auch auf der schwarzen Aprilia gesessen hatte. Die Füße in den weinroten Schnürstiefeln. Bewegungslos steht es ein paar Meter vom Auto entfernt da, den Helm und ein Paar Kopfhörer in der Hand. Die dunklen Haare sind mit Bändern zu Zöpfen geflochten, sodass die Tätowierung im Nacken zu sehen ist.

»Nina?«, fragt Sanna ruhig. Das Mädchen steht starr da. »Ich heiße Sanna Berling und bin von der Polizei.«

Behutsam geht sie näher. Das Mädchen sieht zu der leeren Türöffnung des Wohnhauses und berührt die Ketten, die um seinen Hals auf den knochigen Schlüsselbeinen hängen. Kleine Muscheln und bemalte Krabbenscheren an Bindfäden, glatte, an Lederbändern aufgereihte Steine. Hübsche bunte Gebilde. Zwischen den Fingern hält sie einen Anhänger, einen kleinen Köderfisch an einer weinroten Schnur. Der bemalte Fisch glänzt im Sonnenlicht, als sie ihn loslässt.

»Nina, hör mir zu«, sagt Sanna leise. »Ich bin von der Polizei. Wir wissen nicht, ob der Mann da drin gefährlich ist. Bitte folge mir zum Auto, während ich Verstärkung rufe.«

Nina dreht sich zu ihr. Ihre Haut ist porzellanweiß. Tränen stehen in den großen dunkelbraunen Augen.

»Das ist mein Bruder«, antwortet sie mit brüchiger Stimme. »Ich habe versucht, zu ihm zu gehen, aber er erkennt mich nicht. Er ist da drin …«

»Komm«, sagt Sanna und legt ihr die Hand auf die Schulter.

Nina versteift sich. »Wir müssen etwas tun. Er ist überhaupt nicht bei sich. Und was macht er eigentlich hier draußen?«

Sanna bringt Nina zu ihrem Volvo und fragt sie, ob sie ein Handy dabeihat. Nina nickt und zieht es aus der Tasche, überprüft, ob sie Empfang hat.

»Wie heißt dein Bruder?«, fragt Sanna, nachdem sie eine Decke aus dem Kofferraum geholt hat.

»Pascal.«

»Gut. Bleib im Wagen, versperr die Türen. Ich versuche, mit Pascal zu reden und ihn zu beruhigen, bis Hilfe kommt. Falls etwas passiert, egal was, bleibst du im Auto und wählst sofort die 112. Du wartest hier, bis sie kommen. Verstanden?«

Nina wirft einen Blick zu Sixten auf dem Rücksitz, bevor sie stumm nickt. Sanna schließt die Beifahrertür und ruft Verstärkung sowie einen Krankenwagen.

Vorsichtig nähert sie sich dem alten Wohnhaus. Das Gras streicht an ihren Beinen entlang, Zapfen und Zweige knacken unter ihren Schuhen. Sie lässt den Blick umherschweifen, kontrolliert, ob nicht noch jemand in der Nähe ist. Ein Vogel flattert aufgeregt aus einer Fensteröffnung. Aus dem Inneren des Hauses ertönt ein gedämpfter Ton, vielleicht noch ein Vogel. An der Türschwelle hat ein Tier einen Erdhaufen hinterlassen. Überall im hohen Gras verbergen sich Kaninchenlöcher.

Ein Zweig knackt. Sanna zuckt zusammen. Dreht sich zu den grauen Baumstämmen neben dem Haus und lauscht angespannt. Noch ein Geräusch, ganz nahe. Schritte, Laubrascheln.

Dann taucht auf einmal ein Reh auf und springt erschrocken mit weiß leuchtendem Hinterteil wieder davon.

»Verdammt«, murmelt Sanna leise. Nervös ruft sie den diensthabenden Kollegen an, der bestätigt, dass Verstärkung und Krankenwagen unterwegs sind. Sie solle sich dem Mann nicht allein nähern.

Eine Bewegung im Auto. Nina beobachtet sie mit brennendem Blick.

Als Sanna das Haus betritt, schlägt ihr Gestank entgegen. Verwesung. Und etwas Beißendes, vielleicht Urin. Außerdem der Geruch nach verfaultem Holz. Am liebsten würde sie zurückweichen.

»Pascal?«, ruft sie, während sie vorsichtig durch die dunklen Räume geht.

An manchen Wänden ist noch Farbe zu sehen. Schief hängende Bilder und vergilbte Porträts blicken zu ihr herab. Auch ein paar Möbel stehen noch da, und schmutzige Flickenteppiche wölben sich über dem feuchten, aufgequollenen Boden.

Im Wohnzimmer blättert die Tapete wie trockene Hautfetzen von den Wänden. Eine Erdspur verläuft in eine Ecke zu einem Eisenofen. Daneben kauert jemand in der Dunkelheit.

Sanna bewegt sich so behutsam wie möglich, bis sie seinen schnellen, flachen Atem hören kann.

Er ist Mitte zwanzig. Schmutzig. Nackt. Die Haare sind schweißnass, das Gesicht schwer auszumachen. Über dem linken Auge hat er eine Prellung. Die Haut ist wie marmoriert, gräulich. Er murmelt etwas vor sich hin. Der durchtrainierte Oberkörper ist von blauen Flecken und Kratzern übersät. Getrocknetem Blut. Die Beine sehen genauso aus. Ein großer blaulila Bluterguss überzieht Hüfte und Oberschenkel. Auf der Innenseite sind tiefe Wunden zu sehen, rot-schwarze Kerben. Mit einer blutverschmierten Hand drückt er sich ein zusammengeknülltes Stück Stoff oder ein Handtuch an den Bauch. Sie würde die Wunde gern ansehen, ihm etwas Sauberes zum Draufpressen geben. Doch sie traut sich weder, näher heranzugehen, noch, ihn allein zu lassen, um von draußen etwas zu holen, womit sie die Wunde verbinden könnte. Wenn sie überhaupt etwas im Wagen fände.

»Hier«, sagt sie und legt ihm stattdessen sanft die Decke um die Schultern, überrascht, dass er es zulässt. Seine Haut ist trocken und glühend heiß unter ihrer Berührung.

»Ich bin von der Polizei, der Krankenwagen ist gleich da«, sagt sie behutsam.

Seine Augen weiten sich ein wenig, als sähe er etwas hinter ihr im Raum. Sie dreht sich um, doch da ist nichts.

Unruhe steigt in ihr auf, ein Gefühl, dass gleich etwas passieren wird. Sie steht neben ihm, lauscht seinem Murmeln. Laut dem Mädchen mit den rosa Haaren hat er nach ihnen geschnappt und geschlagen.

Sie horcht, ob die Verstärkung endlich da ist. Versucht, nicht durch die Nase zu atmen, in der sich der Gestank seines Körpers festsetzt.

In der Ferne sind Autos zu hören.

Plötzlich zuckt der muskulöse Oberkörper. Seine Hand tastet nach ihrem Bein. Sie beugt sich so weit vor, wie sie kann, versucht, den beißenden Atem zu ignorieren, als er die Lippen öffnet.

»Das Mädchen …«

Tränen rollen über seine schmutzigen Wangen, Speichel rinnt aus seinem Mund. Dann sinkt er in sich zusammen. Die halb geschlossenen Augen blicken ins Leere, er lässt den Kopf hängen. Seine Hand rutscht vom Bauch und entblößt eine Wunde mit scharfen Rändern.

Sie packt ihn an den Schultern, schüttelt ihn.

»Pascal? Hallo, hören Sie mich? Hören Sie mich?«

Sie legt ihm die Hand auf die Stirn und überprüft, ob er atmet. Nichts. Panik steigt in ihr auf. Sein Brustkorb hebt sich nicht. Während die Autos näher kommen, legt sie die Hände auf seinen Brustkorb, drückt verzweifelt immer wieder gegen seine Rippen und bläst ihm Luft in den Mund. Doch ihre Wiederbelebungsversuche sind vergeblich.

Als die Sanitäter hereinstürmen und übernehmen, ist es zu spät. Sie sieht sein Gesicht nicht mehr, nur noch die Schatten, die sich auf dem schmutzigen Boden bewegen.

Er ist tot.

KAPITEL FÜNF

Die Krankenhaustoilette ist eng und fensterlos. Alles riecht nach Desinfektionsmittel außer dem Wasser, das aus dem Hahn strömt. Sanna wäscht sich Gesicht und Hände gründlich mit Seife, krempelt die Ärmel hoch und wäscht sich noch einmal, bis zu den Ellbogen.

Die Ereignisse der letzten Stunde ziehen an ihr vorbei. Der Krankenwagen. Nina, die mit Mühe ihren Nachnamen herausbrachte. Paulson. Ihr Anruf bei Eir mit der Bitte, zum Krankenhaus zu kommen und zu veranlassen, dass Pascals und Ninas Eltern informiert werden. Nina. Am liebsten hätte sie das Mädchen in den Arm genommen und festgehalten. Den Schmerz irgendwie gelindert. Doch Nina war wie erstarrt. Vergoss nicht eine Träne, als die Sanitäter sich um sie kümmerten. Gab keine Antwort, setzte nur die großen Kopfhörer auf. Als ein Sanitäter diese vorsichtig herunterzog, um Kontakt zu dem Mädchen zu bekommen, drang die Musik heraus. Weich pulsierende Clubsounds, gedämpfte Bässe, rhythmische Drumbeats und eine helle, melancholische Frauenstimme. Dann traten Tränen in die dunklen Augen. Sanna griff nach Ninas Hand und drückte sie.

Danach erstattete sie Alice am Telefon Bericht, damit diese den neuen Chef informieren konnte. Als sie den Wald beschrieb, dachte sie an die Kaninchenlöcher in der Erde. Kaninchen sind verhasst auf der Insel und werden unerbittlich bekämpft und gejagt. Sie denkt an Pascal, seine zusammengekauerte sterbende Gestalt an der Wand. Daran, dass Menschen nicht nur andere Arten jagen und töten, sondern auch ihre eigene.

Ein Mord.

Noch ein bestialischer Mord.

Wenn er sich die dunkle klaffende Wunde am Bauch nicht durch einen Unfall zugezogen hat, könnte sie von einem Messer stammen.

Als sie auf den Flur tritt, kommt Eir gerade mit einem Paar im mittleren Alter aus einem Krankenzimmer. Der Mann holt bei jedem zweiten Schritt tief Luft. Die Frau starrt leer vor sich hin.

»Das sind Stellan und Sonja Paulson«, sagt Eir im Näherkommen.

Sanna streckt die Hand zur Begrüßung aus und spricht ihr Beileid aus. Stellan Paulsons Handschlag ist fest. Er hat freundliche Augen, seine Wangen sind tränenfeucht. Kiefer, Augen und sein Teint erinnern an Pascal und Nina. Er ist frisch geduscht und trägt einen roten Trainingsanzug mit weißen Streifen an der Seite und weiße Turnschuhe. Die muskulösen Arme lässt er schwer hängen. Sonja Paulson ist groß und blond. Ein weiter Mantel verbirgt ihren Körper bis zu den Knien. Ihre Schultern hängen herab, ihre Augen sind gerötet, das Gesicht jedoch sorgfältig geschminkt. Sie hält eine große Handtasche in den Händen und hört zu, während Sanna knapp berichtet, was passiert ist.

»Wo ist Nina?«, fragt Stellan danach.

Sanna bringt sie zu dem Raum, in dem Nina versorgt wird. Die Tür öffnet sich mit einem Seufzen, und eine Krankenschwester empfängt sie. Nina steht mit dem Rücken vor dem hellen Fenster. Als Stellan sie umarmt, treffen sich Sannas und Sonjas Blicke, bevor sich die Tür wieder schließt.

»Scheiße«, sagt Eir, als sie und Sanna sich im Flur auf Wartestühle setzen. »Er war also wirklich splitterfasernackt da draußen? Wo genau?«

»In dem alten Wald beim Moor, auf einem verlassenen Hof. Ich habe ihn zusammengekauert im Wohnhaus gefunden.«

»Du siehst müde aus«, sagt Eir und legt eine Hand auf Sannas.

»Es war schrecklich«, sagt Sanna nach einer Weile. »Sein Körper …«

»Die Wunde am Bauch … War das vielleicht ein Unfall, kann das im Wald passiert sein?«

Sanna schüttelt den Kopf. »Es war ein Messerstich. Die Gerichtsmedizin muss es natürlich noch bestätigen, aber die Ränder, die Form der Wunde …«

Eir senkt die Stimme. »Es sah aber nicht aus wie …«

»Überhaupt nicht.«

»Du bist dir sicher …«

Sanna nickt. Abgesehen von der Brutalität und dass man Pascal Paulson mit einem Messer verletzt hatte, gibt es keine Ähnlichkeiten zu den Morden von vor drei Jahren.

»Vor dem Messerstich muss er extremer Gewalt ausgesetzt gewesen sein, der ganze Körper war voller Prellungen. Aber ich habe nur eine Stichverletzung gesehen. Es gibt also keinen Grund zu glauben …«

»Trotzdem.«

»Die Verletzungen waren völlig anders.«

»Okay.«

Sanna sieht zu der Tür, hinter der sich Nina mit ihren Eltern befindet.

»Wo ist Pascals Mutter?«

»Seit vielen Jahren tot.«

Sanna nickt. Denkt an Stellans ordentlich gekämmtes Haar, die sauberen Kleider, wie Sonja die Handtasche wie einen Schild vor die Brust gehalten hat.

»Hat man Zeit, sich zu duschen und ordentlich anzuziehen, sich zu schminken, wenn das eine Kind gestorben ist und das andere unter Schock steht und im Krankenhaus behandelt wird?«, fragt sie.

»Kommt darauf an. Die Nachbarin, die auf die kleineren Kinder aufpassen sollte, kam wohl erst nach einer ganzen Weile. Vielleicht mussten sie sich einfach ablenken.«

»Wie viele Kinder haben sie denn außer Nina und Pascal?«

»Eine kleine Armee. Ich glaube, alle noch im Kindergartenalter.«

»Okay.«

»Und du kanntest Pascal nicht? Weil es in der Nähe deines Wohnorts passiert ist, meine ich. Hast du ihn noch nie vorher gesehen?«

Sanna schüttelt den Kopf.

»Verdammt.« Eir stützt die Ellbogen auf die Knie.

»Er hat noch etwas gesagt, bevor er gestorben ist«, erzählt Sanna. »Irgendetwas von einem Mädchen, aber es war schwer zu verstehen.«

»Ein Mädchen?«

»Zumindest habe ich das gehört.«

»Noch etwas?«

»Danach ging alles so schnell.«

Eir liest eine gerade eingetroffene SMS: »Der neue Chef ist schon auf dem Revier. Alice schreibt, dass man auf uns wartet.«

Sanna nickt. Der neue Chef. Alice hat gesagt, dass er sofort aufs Revier gefahren ist, als Sanna Verstärkung anforderte, obwohl er erst am Montag offiziell anfangen würde. Sie selbst war seit fast drei Jahren nicht mehr auf dem Präsidium in der Stadt, eine lange Zeit. Und sie hatte gehofft, es vielleicht nie wieder betreten zu müssen.

»Kommst du mit rein, um mit der Familie zu sprechen, und dann fahren wir zu den anderen?«

Sanna antwortet nicht.

»Hallo?«, fragt Eir vorsichtig.

Sanna zögert. Denkt an Nina in dem Krankenzimmer, sieht sie vor sich da draußen im Wald, zwischen den Bäumen. Als wäre sie selbst einer. Die Kette mit den Muscheln, die Krabbenscheren, der glänzende Angelköder. Und diese Tätowierung, das weibliche Naturwesen.

In ihren Ohren rauscht es.

Sie will ablehnen, nickt dann jedoch.

KAPITEL SECHS

Das Krankenzimmer ist groß und luftig. Sanna hält den Schwestern die Tür auf, als diese den Raum verlassen.

Nina steht am Fenster und starrt hinaus. Eir geht zu ihr, stellt sich vor, nickt Stellan und Sonja Paulson höflich zu und tritt dann ein paar Schritte zur Seite, während Sanna die Tür schließt.

»Mir ist bewusst, dass Sie alle erschöpft sind, deshalb werden wir es kurz machen«, sagt Eir. »Wir wollen nur ein paar Fragen stellen, dann können Sie nach Hause fahren.«

»Darf ich ihn sehen?«, fragt Stellan.

»Einer unser Techniker ist gerade bei Pascal.«

»Techniker?«, erwidert Sonja aufgebracht. »Was für ein Techniker?«

»Ein Kriminaltechniker«, erwidert Eir ruhig. »Um eventuelle Spuren zu sichern.«

Sanna stellt sich neben ihre Kollegin. »Das ist Routine.«

Sonja sieht zu Nina, die ihnen immer noch den Rücken zuwendet. »Nina sagt, dass er nackt war. Warum war er nackt? Was für einen Grund sollte es dafür geben? Das ist doch verrückt.«

In ihrer Stimme klingt etwas Wildes mit. Sie blickt zu Boden, und als Stellan die Hand auf ihren Arm legt, zuckt sie zurück, als hätte er sie gestoßen.

»Haben Sie oder hat Pascal irgendeine Verbindung zu dem Haus, in dem wir ihn gefunden haben?«, fragt Eir. »Zu dem Wald oder den verlassenen Höfen dort?«

Stellan schüttelt den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, warum er im Wald war. Er ist nie im Wald. Wenn er joggen will, macht er das immer bei uns.«

»Bei Ihnen?«, fragt Sanna.

»Im Studio«, erklärt Stellan. »Wir betreiben ein Fitnessstudio und einen Boxclub. ›Fight‹ heißt er.«

Sanna erinnert sich, das Schild gesehen zu haben. Der Club befindet sich im Keller unter dem Lebensmittelgeschäft.

»Hat Pascal dort gearbeitet?«, fragt sie.

Stellan nickt. »Vor ein paar Jahren habe ich ihm den halben Club überschrieben, um ihm zu zeigen, dass er eine Zukunft dort hat. Seitdem hat er viel getan. Viel. Er ist ein sehr guter Kampfsportler.«

Nina dreht sich langsam um. Ihre Augen sind gerötet, doch sie weint nicht mehr. In der Hand, die mit schwarzer Schminke verschmiert ist, hält sie ein feuchtes, zusammengeknülltes Papierhandtuch. Stellan geht zu ihr und legt ihr den Arm um die Schultern.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm jemand etwas Böses antun will«, fährt er fort. »Alle haben ihn gemocht.«

Nina schließt die Augen. Stellan drückt sie fester an sich.

»Hat sich in letzter Zeit etwas in Pascals Leben geändert?«, fragt Sanna. »Hatte er neue Bekanntschaften, oder ist Ihnen etwas anderes aufgefallen?«

»Nein …« Stellan denkt nach. »Oder doch, er wollte mehr Selbstverteidigungskurse geben. Er wollte den Club ausbauen und mehr Kampfsport anbieten. Das benachbarte Grundstück gehört uns, und er hat sogar schon eine Baugenehmigung beantragt.«

»Sie glauben doch nicht, dass das etwas mit dem zu tun hat, was ihm passiert ist?«, schaltet sich Sonja ein.

»Hatte Pascal eine Freundin?«

»Nein«, antwortet Stellan. »Also, er hatte schon ab und zu eine Freundin, aber niemand Festes, soweit wir wissen. Er hat sich in den letzten Jahren sehr auf das Studio konzentriert.«

»Pascal hat ein Mädchen erwähnt, aber keinen Namen genannt. Sagt Ihnen das etwas?«, fragt Sanna weiter.

Nina wendet den Blick ab.

»Haben Sie mit ihm gesprochen?« Stellan beißt sich auf die Lippe. »Haben Sie mit Pascal gesprochen?«

»Nein«, erwidert Sanna. »Er hat nur ein paar Worte gemurmelt, etwas von einem Mädchen. Sagt Ihnen das wirklich nichts?«

Stellan schüttelt den Kopf. Nina macht sich los von ihm und sinkt auf einen Stuhl.

»Warum fragen Sie das?«, will Sonja wissen. »Was soll das?«

Sanna zögert.

»Was meinen Sie damit?«, fragt Sonja irritiert und massiert sich den Arm, wobei sie vor Schmerz das Gesicht verzieht. »Was hat er genau gesagt? Ich verstehe das alles nicht.«

Stellan schüttelt den Kopf.

»Pascal hat Selbstverteidigungskurse für Frauen gegeben. Privat hat er sie aber nie getroffen, darüber waren wir uns einig. Bei anderen Mädchen weiß ich es nicht.«

Sonja hält sich den Ellbogen.

»Was ist mit Ihrem Arm?«, fragt Sanna.

Sonja streckt ihren Hals.

»Kleinkinder.«

Sanna sieht zu Nina.

»Kannst du uns beschreiben, was du und deine Freundinnen gesehen habt, als ihr Pascal entdeckt habt?«, fragt sie.

»Muss das jetzt sein? Sie ist sehr mitgenommen«, wendet Stellan ein.

Nina sieht zu Boden und beginnt zu erzählen. »Wir hatten die Drohne in der Luft. Zuerst haben wir nur jemanden gesehen, der nackt herumlief, er war aber weit weg. Wir sind mit den Motorrädern hingefahren, um uns das genauer anzuschauen. Da habe ich ihn dann erkannt. Er hat mit den Zähnen nach uns geschnappt und sich ganz komisch bewegt.«

Sanna lächelt sie freundlich an. »Hat er etwas zu dir gesagt, bevor ich da war? Als du versucht hast, dich ihm zu nähern?«

Nina schüttelt den Kopf.

»Fällt dir etwas anderes ein? Hat er irgendetwas getan, zum Beispiel?«

Nina zuckt mit den Schultern. »Er war überhaupt nicht er selbst«, antwortet sie leise. »Er schien mich gar nicht zu sehen, dann rannte er ins Haus, und ich hatte Angst, ihm nachzugehen.«

»Wir werden auch mit deinen Freundinnen sprechen«, sagt Eir. »Kannst du mir ihre Namen geben, bevor wir gehen?«

Nina nickt schwach. Spielt mit einer ihrer Ketten.

»Ich verstehe nicht, warum du mit denen herumziehst«, sagt Sonja vorwurfsvoll. »Es ist doch unter der Woche, hast du keine Schule? Hm?«

Nina sieht sie an. »Du bist nicht meine Mutter.«

Stellan legt ihr eine Hand auf den Arm, doch sie wehrt sie ab.

»Warum warst du mit deinen Freundinnen im Wald?«, fragt Sanna.

»Die Lehrer haben Weiterbildungstag.«

»Und warum habt ihr die Drohne ausgerechnet da fliegen lassen? Bei dem verlassenen Hof?«

»Keine Ahnung.« Nina steht auf und dreht sich wieder zum Fenster. Legt eine Hand über die Tätowierung im Nacken. »Einfach so.«

»Wann haben Sie Pascal das letzte Mal gesehen?«, fragt Eir das Ehepaar Paulson.

»Gestern Abend«, antwortet Stellan. »Pascal und ich haben im Studio gearbeitet. Dann bekam er einen Anruf, den er erst ignoriert hat, doch dann sagte er, er müsse noch mal los. Draußen hat er den Anruf angenommen, das habe ich durch das Fenster gesehen. Ich habe nicht weiter darüber nachgedacht, er hatte ja sein eigenes Leben.«

»Wie spät war es da?«

»Etwa neun. Ja, kurz nach neun.«

»Haben Sie eine Ahnung, wer da angerufen haben könnte?«

Stellan schüttelt den Kopf. Nina starrt weiter abwesend aus dem Fenster.

»Er hatte am nächsten Tag frei, deshalb haben wir uns nicht gewundert, als wir nichts von ihm gehört haben.« Stellan schluckt angestrengt. »Aber ich wünschte, ich hätte ihn trotzdem angerufen.«

»Was hatte Pascal an, als Sie ihn das letzte Mal gesehen haben?«

Stellan wirkt plötzlich unruhig.

»Er trug einen Trainingsanzug wie den hier, nur in Blau.« Er deutet auf seinen Anzug. »Und neue Boxschuhe. Irgendeine neue Marke. Mit einer orangefarbenen Gummisohle.«

Auf seinem Handy zeigt er ihr ein Foto der Schuhe bei einem Onlineversand. Sie sind knöchelhoch, die Gummisohle ist leuchtend orange, fast schon neonfarben.

»Wahnsinn, so teure Schuhe zu kaufen«, murmelt Sonja. »Der helle Wahnsinn.«

Eir lässt sich die Adresse von Pascals Wohnung sowie Stellans Ersatzschlüssel dazu geben.

»Darf ich ihn wirklich nicht sehen?«, fragt er.

Sanna schüttelt bedauernd den Kopf. »Pascal wird noch obduziert, dann wird der Ermittlungsleiter zusammen mit der Gerichtsmedizin entscheiden, wann die Leiche an die Familie freigegeben wird«, erklärt sie. »Also, an Sie, meine ich.«

Als die Paulsons das Zimmer verlassen, dreht sich Nina in der Tür noch einmal zu Sanna um. Mit schwarzer Wimperntusche vermischte Tränen laufen über ihre Wangen.

KAPITEL SIEBEN

Der Empfang ist unbesetzt, als Sanna und Eir auf dem Revier aus dem Aufzug steigen. Nur Alice kommt ihnen entgegen.

»Wir sind im großen Besprechungszimmer«, sagt sie. »Niklas auch.«

»Gut«, erwidert Eir.

»Nur damit ihr es wisst, unser neuer Chef weiß bereits so ziemlich alles über uns«, fährt Alice fort.

»Wie meinst du das?«, fragt Eir.

»Als wir uns vorhin unterhalten haben, wusste er schon, dass ich Single bin und dass ich …« Sie unterbricht sich.

»Was?«, sagt Eir.

»Er hat sich umgehört, hat mit den Leuten geredet, verstehst du?«, erwidert Alice. »Wahrscheinlich auch über dich.« Ihr Blick wandert zu Sanna. »Und dich.«

Sanna packt Sixtens Leine fester. Über den dramatischen letzten Stunden hat sie ihre eigene Geschichte beinahe vergessen.

Das große Besprechungszimmer liegt am Ende eines langen Korridors. Dort trifft man sich, wenn bei einem Fall alle Einsatzkräfte versammelt werden. Es ist groß und hell, und mehrere Menschen können relativ ungestört gleichzeitig dort arbeiten. Jetzt sind etwa fünfzehn, zwanzig Personen anwesend, die meisten davon Polizisten in Uniform.

Am Fenster steht ein Mann in den Vierzigern, in Anzug, Hemd und einer perfekt gebundenen Krawatte. Er hat dunkles Haar, ein markantes Kinn und eine schmale Nase. Kleidung und Gesicht erinnern an eine Figur aus einem Mafiafilm. Seine Augen sind leuchtend blau.

»Niklas Jovanovic«, stellt er sich vor und schüttelt Sanna und Eir die Hand. »Ich habe mit der Staatsanwältin Farah Ali gesprochen, und ausgehend von unserem derzeitigen Kenntnisstand haben wir eine Mordermittlung eingeleitet, Täter unbekannt. Farah überträgt uns die Ermittlungen und möchte auf dem Laufenden gehalten werden.«

Sein Handy klingelt, er wirft einen Blick aufs Display, und mit einer Entschuldigung wendet er sich ab.

Jon beobachtet Sanna und Eir vom anderen Ende des Raums aus, wendet jedoch den Blick ab, als Sanna zu ihm sieht.

Auf dem Whiteboard klebt bereits ein Foto von Pascal Paulson, über dem sein Name und seine Personennummer stehen. Auf dem großen Tisch in der Raummitte liegen frische Schreibblöcke und Stifte.

Nachdem Niklas sein Telefonat beendet hat, stellt er sich noch einmal allen Anwesenden vor.

»Wie ich gerade zu Sanna und Eir gesagt habe, habe ich mit der Staatsanwältin gesprochen, und ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes mit unbekanntem Täter wurde eingeleitet. Eir, du übernimmst die Leitung und hältst die Staatsanwältin die ganze Zeit auf dem Laufenden.«

Eir nickt.

»Der verlassene Hof und das angrenzende Waldgebiet werden gerade abgesperrt«, fährt Niklas fort. »Die Spurensicherung kann bald mit ihrer Arbeit beginnen. Ich habe auch zusätzliche Beamte angefordert, damit diese die Nachbarn sowie alle Personen in Pascals näherem Umfeld befragen. Sanna und Eir, ihr fahrt bitte an den Tatort zur Spurensicherung, sobald wir hier fertig sind. Ich komme dann auch dahin.«

Er legt Sanna eine Hand auf den Arm.

»Und jetzt berichte bitte, was passiert ist.«

Sanna erläutert den Ablauf vom Notruf der Motorradmädchen bis zu Pascals Tod. Sie beschreibt detailliert die Verletzungen an seinem Körper, wie er die Hand auf den Bauch gedrückt hat. Wie er sich nach ihr gestreckt und vor seinem Tod noch etwas geflüstert hat, von einem Mädchen.