Rudi Assauer. Macher der Herzen. - Carsten Kulawik - E-Book

Rudi Assauer. Macher der Herzen. E-Book

Carsten Kulawik

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Beschreibung

Kind des Ruhrgebiets, Macher, Malocher, Markenzeichen: Zigarre. Wie kein anderer prägte Rudi Assauer den Fußballklub Schalke 04 und stand für eine besondere Art des Bundesliga-Patriarchats. Am 30. April 2024 wäre die Schalke-Ikone 80 Jahre alt geworden. Assauer war Manager mit harter Schale und gleichzeitig Herzblut-Schalker mit weichem Kern. Unvergessen sind seine Tränen bei der knapp verpassten Meisterschaft 2001. Ein Kämpfer, der Alzheimer-Erkrankten in Deutschland endlich eine Stimme gegeben hat. In diesem Buch geht es um die wahre Lebensleistung Assauers – aus einem bisher verborgenen und besonders privaten Blickwinkel des Autors, der die Manager-Legende jahrelang von einer väterlich-freundschaftlichen Seite kannte: Was zeichnete seinen außergewöhnlichen Charakter aus? Warum war ihm ein Handschlag wichtiger als ein Vertrag? Und was bleibt auch fünf Jahre nach seinem Tod?

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Carsten Kulawik

Rudi AssauerMacher der Herzen

Wie die Schalke-Legende wirklich war

Zum Titelbild: Rudi Assauer beim ersten Bundesligaspiel des FC Schalke 04 in der neuen Arena AufSchalke am 18. August 2001 gegen Bayer 04 Leverkusen (Endstand: 3:3)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Impressum

1. Auflage April 2024

Lektorat: Sibylle Brakelmann

Umschlagabbildung vorne: firo sportphoto

Umschlagabbildung Klappe: Sebastian Lüdtke

Umschlaggestaltung: Joachim Bartels

Druck und Bindung: Drukkerij Wilco B.V., Vanadiumweg 9,

NL–3812 PX Amersfoort

© Klartext Verlag, Essen 2024

ISBN 978-3-8375-2634-9

ISBN ePUB 978-3-8375-2657-8

Alle Rechte der Verbreitung, einschließlich der Bearbeitung für Film, Funk und Fernsehen, CD-ROM, der Übersetzung, Fotokopie und des auszugsweisen Nachdrucks im In- und Ausland, sind geschützt.

Jakob Funke Medien Beteiligungs GmbH & Co. KGJakob-Funke-Platz 1, 45127 [email protected]

Inhalt

Prolog

Immer geradeaus

Königsblau

Kompromisslos

Die andere Seite

Fototeil

Rudi Assauer – Impressionen

Ein (un)gleiches Duo

Kumpel

Keine Kontrolle mehr

Epilog

Dank

Für Rudi

»Assauer war ein Boss im besten Sinne.«

Marcel Reif

»Eine echte Ruhrpott-Type. Immer geradeaus.«

Ralf Moeller

»Ich habe nie wieder so einen Manager wie ›Assi‹ erlebt.«

Huub Stevens

»Das war ein eckiger Kerl mit einem großen weichen Herzen.«

Reiner Calmund

»Rudi war ein Mann der Extreme.

Extremer Freund, extremer Feind.«

Christoph Daum

PROLOG

Man trägt das vergangene Schönenicht wie einen Stachel, sondernwie ein kostbares Geschenk in sich.

Dietrich Bonhoeffer

Lieber Rudi,

Du fehlst. Fünf Jahre bist du nicht mehr bei uns. Ich stelle mir gerade vor, wie du im königsblauen Himmel an deiner „Davidoff Grand Cru No. 3“ ziehst und zufrieden den Rauchkringeln hinterherschaust. Wie du es immer getan hast. Macher, Mensch, Legende, Mister Schalke.

Am 30. April 2024 wärest du 80 Jahre alt geworden. „Mann, bin ich ein alter Knacker“, wäre vielleicht von dir zu hören gewesen. Zu deinen Ehren hätte es sicher eine große Party gegeben. Wärest du fit gewesen, hättest du dir als Erster das Mikrofon geschnappt und deine Lieblingslieder zum Besten gegeben.

„Königsblauer S04“

„Glück auf, der Steiger kommt“

„O, du schöner blauer Vogel“

„Denn da erschuf der liebe Gott die Mädchen aus dem Kohlenpott“

Stimmgewaltig, energisch, verschmitzt. Das wäre noch sicherer gewesen als das Amen in der Kirche. Aber leider kam es anders. Deine beiden Verdienste bleiben: Schalke. Und die Enttabuisierung von Alzheimer.

Du warst Schalke-Ikone, eine Zeit lang jüngster Manager der Liga, UEFA-Cup-Gewinner, Bauherr einer Fußballarena, DFB-Pokal-Sieger, Werbegesicht, Zigarrenliebhaber. Keiner konnte dir etwas vormachen. Wenn du von einer Idee überzeugt warst, hast du sie unbeirrt durchgezogen, bis zum bitteren Ende. Du hast um Vertrauen gebeten, irgendwann würden es auch die anderen verstehen. Kein Weg war für deinen FC Schalke 04 zu weit. Wirklich keiner. Du hast dich nie mit der zweitbesten Lösung zufriedengegeben, hattest immer einen flotten Spruch auf den Lippen, auch im Erwachsenenalter die kindliche Freude. Einmal, als du mit Wasser gefüllte Luftballons vom Balkon geworfen und Bekannte getroffen hast, amüsiertest du dich hinter der Balustrade. Schalker im Herzen, Schalk im Nacken.

Dieses Buch soll deinen außergewöhnlichen Lebensweg zeichnen. Vom Hertener Katzenbusch in den Fußballhimmel und schlussendlich in die Herzen der Schalker. Im zweiten Anlauf. Ein Leben auf der Überholspur. Nichts hast du ausgelassen, nichts hat dich abgehalten, unkonventionelle Entscheidungen zu treffen. Wenn dein Bauchgefühl stimmte, war alles andere zweitrangig. Und das sollte dich nicht täuschen. Manchmal hat ein Augenbrauenhochziehen, ein Blick von dir ausgereicht und alle anderen wussten, was du gerade denkst. Auch ohne große Worte, die dich zweifellos ausgezeichnet haben, hat man dich verstanden.

Dieses Buch soll die Geschichten skizzieren, die dich ausgemacht haben. Es gibt viel zu viele noch ungeschriebene Geschichten, noch unerzählte Anekdoten, schlummernde Perlen in persönlichen Archiven, die nur noch ausgepackt werden müssen.

Für dieses Buch habe ich mit Freunden, Weggefährten, Familienmitgliedern sowie Mitstreitern und auch Kontrahenten gesprochen. Mich hat interessiert: Was habt ihr erlebt? Was war typisch für dich? Was hat dich von anderen Fußballentscheidern unterschieden? Wie sprechen Menschen über dich, um die du dich gekümmert oder mit denen du dich regelmäßig ordentlich gefetzt hast?

Ein Kind von Traurigkeit warst du nun wirklich nicht. Wenn jemand Geselligkeit unendlich geliebt hat, dann warst du das. Freunde, Mitarbeiter, Spieler einladen, Getränke spendieren, großzügig sein. Koste es, was es wolle. Kurze Nächte mit wenig Schlaf. Hauptsache, mit anderen zusammen. Hauptsache, mit demselben Ziel. Das hat dir Freude bereitet. Irgendwann ging es nicht mehr. Es fühlte sich an wie eine Stopptaste, die dich abrupt und doch irgendwie langsam aus dem gewohnten Leben reißt.

Monate, nachdem du ausgezogen warst, stand ich einmal in deiner leer geräumten Villa im Arbeitszimmer vor deinem riesigen Bücherregal. Nur noch wenige Unterlagen, ein paar lose Bücher, etwas Schreibkram. Kaum noch etwas erinnerte an dich. Dann fiel mir ein Kreuzworträtselbuch in die Hände. Ich blätterte es durch. Auf den ersten Seiten erkannte ich deine Schrift. Die Rätsel waren allesamt komplett ausgefüllt, fehlerfrei. Mit jeder weiteren Seite nahm die Antwortdichte ab, Wortfetzen, einzelne Buchstaben. Sie wurden weniger. So wie deine Erinnerungen. Du hattest tatsächlich mit aller Kraft gegen die Krankheit angekämpft, wolltest sie austricksen, ausdribbeln. Du sagtest: „Ich werde der Erste sein, der die Krankheit besiegt.“

Vergebens. Wenige Tage, nachdem deine Erkrankung öffentlich geworden war, habe ich angefangen, als Tourguide in deiner Arena zu arbeiten, um mir das Studium zu finanzieren. Woche für Woche habe ich Hunderte Menschen durch den Fußballtempel geführt, ihnen den berühmten Blick hinter die Kulissen ermöglicht und vor einem bestimmten Bild im Haupteingang immer wieder aufs Neue haltgemacht, um den Zuhörenden zu erklären: „Ohne diesen Mann wären wir heute nicht hier.“ Es war ein Bild von dir. Ohne dich hätte sich der Verein anders entwickelt, hätte 1993 womöglich nicht die Lizenz bekommen, keine großen Erfolge gefeiert und hätte sich auf der Fußballlandkarte im Niemandsland wiedergefunden. Du warst Schalke. Schalke war Stumpen-Rudi.

Lieber Rudi, ich erinnere mich an so viele besondere Momente. Wie wir in der von dir geliebten Gaststätte „Charly’s Schalker“ Erbsensuppe gegessen haben. Wie wir unsere Geburtstage zusammen gefeiert haben. Wie wir den 34. Spieltag der Saison 2006/07 zusammen verbracht haben und mit dem Sieg gegen Arminia Bielefeld fast Deutscher Meister wurden. Der Fußballgott mal wieder. Wie wir zusammen eine Radiosendung aufgenommen haben. Wie ich dir, obwohl ich das gar nicht entscheiden durfte, erlaubt habe, im Studio zu rauchen. Wie du mich zum Fußball mitgenommen hast und ich neben dir sitzen durfte. Wie du mir für eine Facharbeit in Geschichte deine Schalke-Chronik geschenkt hast. Wie wir unzählige Male telefoniert haben. Wie wir alte Fotoalben durchgeguckt haben. Wie du mir Ratschläge gegeben hast. Wie du mir von der Planung, dem Bau und deinem ganzen Stolz, deiner Arena, berichtet hast. Wie wir bei längeren Autofahrten mal lustig, mal fröhlich und mal nachdenklich waren. Wie du mich vom Beifahrersitz aus vor Blitzern gewarnt hast. Wie ich dich 2018 bei der Filmpremiere in deiner Arena am Mikrofon begrüßen durfte. Es war dein letzter Besuch in deinem Wohnzimmer.

Du hast mir klargemacht: Legenden sterben nie. Wenige Wochen vor deinem Tod haben wir uns noch gesehen. Und bis heute denke ich mir: Du fehlst. Mach’s gut, mein Lieber. Dieses Buch ist für dich.

Danke für alles, Rudi.

IMMER GERADEAUS

„Wenn der Schnee geschmolzen ist, siehst du, wo die Kacke liegt!“

„Das soll die Nationalmannschaft sein? Das ist genauso, wie wir früher gekickt haben: eine Auswahl Bahnhofstraße gegen Buerer Straße.“

Rudi Assauer konnte austeilen, war temperamentvoll, selbstbewusst. Sternzeichen Stier. Die Schalker Abteilung Attacke, Diplomatie ein Fremdwort: „Mein lieber Jörg Wontorra. Ich weiß nicht, ob Sie heute Morgen schon in den Spiegel geguckt haben. Erstens sind Sie 20 Jahre jünger als ich und sehen 40 Jahre älter aus. In der Tat werde ich es noch erleben, dass Schalke 04 in den nächsten Jahren Deutscher Meister wird. Die Frage sei erlaubt, ob Sie dann noch auf diesem Stuhl hier sitzen.“

Der Frontalangriff in der Live-Sendung „Doppelpass“ saß. Doch wer war Rudi Assauer wirklich? Wie tickte der unnachgiebige Macho? Um das zu verstehen, muss man in seine Kindheit eintauchen. Assauer war Ruhrgebietsjunge, in allen Facetten. Kaum jemand hat den ehrlich-echten und ungeschminkten „Kohlenpott“ so geliebt, verkörpert und verteidigt wie er. Auch wenn er am 30. April 1944 in Sulzbach-Altenwald zur Welt gekommen ist und zumindest im flächenmäßig kleinsten deutschen Bundesland die ersten Tage seines Lebens verbracht hat, hat er dem Ruhrgebiet bis zuletzt – mit einer Episode in Norddeutschland – die Treue gehalten. Schon nach kurzer Zeit war Herten, gemessen an der Fördermenge die größte Bergbaustadt Europas, seine Heimat. „Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets und nur zufällig im Saarland rausgerutscht“, bekräftigte er immer wieder. Aufgrund der Bombardements der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs fühlte sich seine Mutter Elisabeth, genannt Else, in ihrer ursprünglichen Heimat für die bevorstehende Entbindung von Zwillingen sicherer. Else hat eine Zeitlang im Hotelgewerbe gearbeitet, Gäste bewirtet, umsorgt, gekocht und Büfetts hergerichtet. Sie kümmert sich um den Haushalt und die Erziehung der Kinder. Im Hertener Lito-Kino auf der Ewaldstraße begleitet die begeisterte Musikerin, die als Kind Klavier spielen gelernt hat, regelmäßig Stummfilme. Vater Franz ist gelernter Stellmacher, eine Art Zimmermann, der Räder, Wagen und andere landwirtschaftliche Geräte aus Holz herstellt. Deswegen renoviert er im Alleingang die Dreieinhalbzimmerwohnung mit Bad in der Augustastraße 44, in die die Familie Ende der 1940er-Jahre einzieht. Unterstützt wird er von Tochter Karin, die längliche Tapetenstücke zurechtschneidet. Rudi hat weder das musikalische noch das handwerkliche Talent geerbt, schaut bei den Arbeiten lieber zu. Ein glücklicher Umstand, dass zwei linke Hände beim Fußballspielen egal sind. Die Wohnung in der ersten Etage mit Blick auf den Volkspark Katzenbusch gehört zu einem großen, 1928 erbauten Häuserblock im Stil der Gründerzeit, der sich über zwei Straßen erstreckt und im Besitz der Gemeinnützigen Wohnungsfürsorge Ruhrkohlebezirk GmbH, kurz „WoGe“, ist. Die Liegenschaft, die über Eck geht, beherbergt 23 Wohnungen auf insgesamt 1.500 Quadratmetern. In den ersten Jahren nach Karins und Rudis Geburt teilt sich Familie Assauer im Nachbarhaus, das ebenfalls zum selben Gebäudekomplex zählt, eine Wohnung mit einer anderen Familie. Dort, in der Herner Straße 64, bewohnen die Assauers die Wohnküche und das Schlafzimmer. Die Häuser gibt es bis heute. Sie sind gut erhalten und in Rosa, Beige und Grau gestrichen. In den zahlreichen kleinen, rechteckigen Fenstern hängen weiße in sich gemusterte Küchengardinen. Auf den hellen Fassadenteil auf der Herner Straße wurde ein Zechenförderturm aufgemalt, der seinerzeit das Symbol der „WoGe“ gewesen ist.

Als Vater Franz nach russischer Gefangenschaft als Kriegsversehrter zurückkehrt, ist er körperlich gezeichnet. Er ist Frühinvalide und arbeitsunfähig, hat eine Verletzung am Fuß, Probleme mit dem schmerzenden Ischiasnerv. Mit Gelegenheitsjobs hält er die Familie über Wasser, kurzzeitig auch über Tage auf Zeche Ewald. „Er war ein sehr guter Skatspieler und hat sich damit etwas Taschengeld dazuverdient“, sagt Karin. „Oft war er bis spät nachts in der Kneipe.“ Mutter Else gibt zu Hause den Ton an, nutzt manches Mal den Klopper, der auf dem Küchenschrank deponiert ist. „Sie war echt streng. Unser Vater aber nicht.“ Als die Familie die pflegebedürftige Oma aufnimmt, verkleinert sich der Wohnraum. „Dann hatten wir kein Wohnzimmer mehr.“ Die Großmutter ist auf Hilfe angewiesen, zeigt erste Anzeichen einer Demenz, die man zur damaligen Zeit nicht einordnen kann. „Rudi und ich haben dann Streiche gespielt und ihr zum Beispiel einen Wecker gestellt. Das fanden wir lustig.“ Als sie stirbt, sind die Zwillinge zehn Jahre alt. Bis zwei Jahre später ihr 13 Jahre älterer Bruder Lothar auszieht, um zu heiraten, schläft die Familie in nur drei Betten. Mutter Else teilt sich das Bett mit Karin, Vater Franz mit Rudi, während Lothar ein eigenes besitzt.

Im rauen Ruhrgebiet trägt man bis heute das Herz auf der Zunge, es wird nicht lang gefackelt und erst recht nichts schöngeredet. Wer in Herten oder Gelsenkirchen wohnt, bekommt vom Nachbarn mitunter den Hinweis: „Wenn du Bayern-Fan bist, kannst du direkt wieder ausziehen.“ Die Schalker Hausregeln. Wenn man jemanden mag, adelt man denjenigen mit: „Der ist in Ordnung.“ Eindeutiger kann man seinen Lokalkolorit nicht ins Schaufenster stellen. Das lockere Mundwerk eignet sich „Assi“, wie er von allen seinen Freunden genannt wird, auf dem Fußballplatz an. „Von Zuhause hatte er das auf keinen Fall. Unsere Eltern haben ihn direkt ermahnt, wenn er derbe Kraftausdrücke benutzt hat“, rekapituliert Karin. Franz nennt ihn ausschließlich „Sohnemann“. Wenn es ernst wird, spricht Else ihn mit „Rudolf“ an, der Name, der zeitlebens kaum gebräuchlich bleiben wird und wenn überhaupt in seinen Ausweisdokumenten auftaucht. Diese Sprache, den Duktus und die Lautstärke wird der kleine Rudi adaptieren und später gekonnt einsetzen. Bei Konkurrenten, aber auch bei eigenen Mitarbeitern und Spielern.

Rudi Assauer möchte bereits als Kind hoch hinaus, sein erster Berufswunsch lautet: Pilot. Er besucht in jungen Jahren gern den Flughafen in Düsseldorf, in dessen Nähe eine Tante wohnt. Allerdings macht ihm seine Flugangst einen Strich durch die Rechnung. Weil sein Onkel Herbert am Ewaldsee im Hertener Süden Förster ist und ihn oft mit zur Jagd nimmt, kann er sich auch ebendiese Tätigkeit vorstellen. Naturverbunden, ruhiger und mit mehr tierischen als menschlichen Kontakten hätte sein Weg weitergehen können. Doch es kommt bekanntlich anders.

Der Schule kann Rudi Assauer als Kind nicht viel abgewinnen. Er sitzt vielmehr die Zeit ab, ehe es nach Hause in das Eckhaus in der Augustastraße geht, der Tornister in die Ecke geworfen und anschließend bis zum Einbruch der Dunkelheit „gepöhlt“ wird, wie man im Ruhrgebiet das Fußballspielen liebevoll nennt: „Was für uns damals ganz wichtig war, waren die sogenannten Straßenkämpfe. Es wurde ein Feld ausgeguckt und man hat notdürftig Tore aufgebaut. Dann wurde gespielt. Straße gegen Straße. Jeden Tag gab es mindestens zwei Wettkämpfe. Augustastraße gegen Herner Straße. Hin und zurück. So bin ich groß geworden.“ Manchmal wird auch im Hof des Mehrfamilienhauses gespielt.

Auf der Herner Straße wohnt damals Johann Albert Geiermann. An Heiligabend 2023 ist „Hansi“, wie er von allen genannt wird, 80 Jahre alt geworden. „Rudi war als Kind anders. Wir waren Rabauken, wir haben Schabernack gemacht. Klingelmännchen zum Beispiel. An Türen schellen und abhauen. Oder wir haben ein Portemonnaie auf den Boden gelegt und mit einem Bindfaden weggezogen, wenn einer kam, der es aufheben wollte. Das hat er nie gemacht.“ Stattdessen trainiert Rudi fleißig, gar akribisch. „Er hat jeden Tag Fußball gespielt. Er war sehr fixiert darauf.“ Der junge Hansi darf mitspielen, weil er einen Lederball besitzt. In Zeiten, in denen mit Stoffbällen aus alten Kleidungsstücken gespielt wird, eine Sensation. Bereits in jungen Jahren kristallisieren sich Assauers Managementqualitäten heraus: „Er war immer schon so ein Macher, wollte immer alles bestimmen, auch die Mannschaftsaufstellungen und Anstoßzeiten. Er wollte alles an sich reißen und hat auch bei den Straßenkämpfen schon alles organisiert.“

Wir befinden uns in der Nachkriegszeit. Die Menschen haben nicht viel und sind mit wenig zufrieden, Assauer mit noch weniger. Hungern muss er nie. Außerdem reicht ihm der Fußball – was fast immer so bleiben wird. Zu Schulzeiten wird er von Mitschülerinnen „der schöne Rudi“ genannt – wegen seiner Lockenpracht.

Nein, einen Finger musste Assauer zu Hause nicht krümmen. „Weil er ein Junge war. Wir haben uns später auch noch kaputtgelacht, weil er nicht mal Kaffee kochen konnte.“ Die zehn Minuten jüngere Zwillingsschwester Karin, die früher als Sekretärin des Hertener Stadtkämmerers gearbeitet hat, erinnert sich gern an die gemeinsame Kindheit. „Das war eine tolle Zeit. Wir waren viele Kinder in der Gegend, eine richtig schöne Gemeinschaft. Die Schule war direkt gegenüber. Erst beim Gong sind wir über die Straße gelaufen.“ Sie erleichtert ihrem Bruder maßgeblich die Schulzeit. „Er hat immer bei mir abgeschrieben und war schlauer und cleverer als ich. Ich war vielleicht zu naiv. Aber wenn er mich geärgert hat, habe ich meinen Tornister versteckt“, lacht Karin heute. Fußball spielt sie nie, sondern wird Leichtathletin. Ohnehin dürfen Mädchen zu der Zeit nicht Fußball spielen, das ist „verpönt“. Ein Umstand, der sich glücklicherweise ändern wird. „Er hatte durch den Fußball seinen eigenen Freundeskreis.“ Deswegen spielen sie selten miteinander. Bruder Lothar, eine Respektsperson, spielt ebenfalls Fußball bei der Spielvereinigung Herten, dann bei den Sportfreunden Wanne-Eickel und Westfalia Herne. Beobachter sehen in ihm sogar das größere fußballerische Talent. Doch eine schwere Meniskusverletzung beendet schlagartig seine Laufbahn. Sein Wort hat zu Hause Gewicht, die Geschwister schauen zu ihm auf, er schlichtet ihre kleinen Streitigkeiten. Karin und Rudi fragen ihn um Rat, weil ihr Vater oft unterwegs ist. Lothar, der dadurch wie ein zweiter Vater für die Geschwister wird, geht so lange aufs Gymnasium, wie die Familie das damals übliche Schulgeld bezahlen kann. Er besteht die Mittlere Reife, arbeitet auf dem Bau, um von nun an die Familie zu ernähren. Später macht er eine Ausbildung als Stuckateur, geht zur Meisterschule. „Er war sehr intelligent. Wir wurden deswegen oft verglichen.“

Während Karin ebenfalls das Gymnasium anpeilen möchte, hat Herten-Süd-Verfechter Rudi nur das runde Leder im Kopf. Außerdem sind die Kinder auf dem Gymnasium in Herten-Nord „zu hochnäsig“ und spielen Handball oder Korbball. Mit 14 Jahren verlässt er bereits die Schule und beginnt bei der Hertener Firma Hese eine Lehre als Stahlbauschlosser, während Geiermann Bergmann auf Zeche Ewald lernt. Assauers Gesellenstück ist eine Bremse für eine Lore, einen Transportwagen in Bergwerken oder Steinbrüchen. Es sollte womöglich die letzte bewusste Bremse in seinem Leben sein.

An seinem 16. Geburtstag, beim Tanz in den Mai 1960, lernt er Sonya Gottschalg kennen, seine erste große Liebe. Mit der Parfümerie-Fachverkäuferin ist er fünf Jahre zusammen. Am 3. Juli 1965 kommt Tochter Bettina zur Welt. Weil man damals erst mit 21 Jahren volljährig ist, müssen die Eltern vorzeitig in ihre Heiratsplanungen involviert werden. Doch Vater Franz ist gegen die Hochzeit. Bettina wird unehelich geboren. „Als mein Vater später um die Hand meiner Mutter anhielt, war sie eingeschnappt, dass er sich zuvor nicht gegen seine Eltern durchgesetzt hatte“, sagt Bettina Michel heute. Als Familie leben sie nie zusammen.

Seinen Meister spritzt Assauer sogar einmal nass, hat gute Noten. Seine Eltern drängen den jungen Rudi, auch zur Abendschule zu gehen. Große Freude bereitet ihm das Pauken nicht. Wenn er die Schule schwänzt und der Rektor Dr. Winter nach ihm fragt, deckt seine Schwester ihn, die zu der Zeit zur benachbarten Handelsschule geht. Als er in der Abendschule auf Nachfrage zu hören bekommt, dass von 40 Jungen nur drei auch wirklich durchkämen, kommt er ins Grübeln. Warum sollte ausgerechnet er dazugehören? Als am 3. Mai 1961, einem Mittwoch, im quadratisch-kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher das Europapokalfinale zwischen Benfica Lissabon und dem FC Barcelona übertragen wird, in dem sich die Portugiesen mit einem 3:2 die begehrte Trophäe sichern, fasst Assauer den Entschluss, Fußballer werden zu wollen. Es ist schon nachts, als er seinen Schulranzen mit allen Büchern vom Balkon wirft. Er schmeißt nicht nur die Schulsachen auf den Rasen, sondern endgültig hin. Nicht, ohne sich dafür zu Hause rechtfertigen zu müssen. „Was soll das denn?“, ärgert sich Else. Sie tobt.

„Rudolf, die Tonne wieder hoch!“

„Nee, alles verbrennen.“

Es gibt Diskussionen und Kontroversen im Elternhaus. Letztlich segnet die Mutter den Plan ab, weil ihr Sohn wenigstens eine Lehre in der Tasche hat. Auch wenn ihr der Entschluss nicht wirklich zusagt.

Von nun an setzt Rudi komplett auf die Karte Fußball. Und kurz darauf verdient er mit seinem Hobby auch Geld. Um zum Fußballplatz zu kommen, muss er nur die Straßenseite wechseln. Denn das Haus, in dem Familie Assauer wohnt, befindet sich am Hertener Katzenbusch, unweit des Sportplatzes der Spielvereinigung Herten. Dieser Klub bietet ihm mit 18 Jahren seinen ersten Profivertrag an. Monatsverdienst: 50 DM. Das verdiente Geld und die Punktprämien muss er zu Hause auf den Tisch legen, im Gegenzug gibt es Taschengeld. Am Eingangstor der Spielvereinigung wird er mit dem Spruch „Betretet die Kampfbahn und werdet Männer, die zu siegen verstehen“ sozialisiert. Richtig entdeckt wird sein fußballerisches Talent als Verteidiger bei der Bundeswehr von Major Rein. Mit der Bundeswehr-Nationalmannschaft wird Assauer bei der Endrunde der internationalen Militärmeisterschaft in der Türkei Dritter, spielt dann unter Dettmar Cramer in der Westfalenauswahl, ehe 1964 ein benachbarter, ungleich größerer Verein auf ihn aufmerksam wird: Borussia Dortmund. Den Transfer fädeln Major Rein und Cramer ein.

Für eine Ablösesumme von 50.000 DM, die Vater Franz aushandelt, wechselt Assauer zu Schwarz-Gelb. Die Originalquittung ist sogar noch Jahrzehnte später fein säuberlich in den Vereinsunterlagen abgeheftet. Die Zeit bei der Spielvereinigung, die in die Regionalliga absteigt, endet, doch aus den Augen verlieren sich die beiden Spielkameraden Rudi und Hansi nicht. „In der Tankstelle bei uns gegenüber habe ich ihn öfter gesehen, eigentlich jede Woche. Wir haben gern mal ein Fläschchen Bier getrunken.“ Assauer hindert auch ein Kieferbruch, den er in den 1960er-Jahren erleidet, nicht am Heimatbesuch. Ihm wird eine vierwöchige Fußball-Zwangspause erteilt. „Dem haben sie den Kiefer festgenäht, damit er den Mund nicht aufkriegt. Also hat er das Bier mit einem Strohhalm getrunken“, schmunzelt Geiermann.

Not macht erfinderisch, selbst wenn man handwerklich nicht begabt ist: „Einmal hat Rudi den Schlüssel in seinem Käfer stecken lassen und die Tür zugeschlagen. Mit einem Backstein hat er versucht, das hintere Ausstellfenster einzuschlagen. Das hat nicht geklappt. Also haben wir einen Draht genommen und damit den Türknopf hochgezogen.“ Die deutlich kostengünstigere Lösung, auch wenn ihm eine kaputte Scheibe nichts auszumachen schien. Jahrzehnte später, als Schalke-Manager, wird er während eines laufenden Telefonats auf Mallorca eines der allerersten, sündhaft teuren Handys ins Meer werfen. Damals hat ein Handy einen gefühlten materiellen Wert wie ein Auto. Der simple Grund: weil der Empfang nicht zufriedenstellend ist. „Das Ding hat genervt“, gibt Assauer später zu Protokoll.

Fast hätte er seinen Führerschein gar nicht ausgehändigt bekommen. Kurz vor der Prüfung stibitzt der 17-jährige Rudi dem Vater während seines Mittagsschlafs den Autoschlüssel. An der Kranzplatte in Herten-Mitte nimmt er mit dem VW-Käfer der Familie einem Motorradfahrer die Vorfahrt, der daraufhin in das Schaufenster eines Hutgeschäfts rast – und sich wie durch ein Wunder kaum verletzt. Nach dem Unfall flüchtet Assauer. Vor einer polizeilichen Verfolgung und Anzeige kann er jedoch nicht fliehen. Das Straßenverkehrsamt in Recklinghausen erhält die Mitteilung, dass Assauer ohne Führerschein gefahren ist. Weil Zwillingsschwester Karin zu der Zeit zufällig bei der Führerscheinstelle arbeitet, bekommen sie und ihr Chef den folgenschweren Assauer-Ausflug mit. Karin soll das Schreiben im Stapel nach ganz unten legen. Die langsam mahlenden Mühlen der Bürokratie wissen sie nämlich zu nutzen. Als der Zettel mit dem Vergehen bearbeitet wird, hat ihr Bruder längst die Fahrerlaubnis und kommt mit einer Strafe davon. „Unser Vater hat danach häufig Scherze gemacht und gesagt: ‚Der Motorradfahrer ist ohne Hut ins Geschäft gegangen und mit Zylinder wieder rausgekommen‘“, amüsiert sich Karin.

Mit Borussia Dortmund gewinnt der 22-jährige Assi 1966 den Europapokal. Der ein Jahr ältere Reinhard „Stan“ Libuda, Assauers Vorbild und Ankerpunkt, erzielt im Finale das entscheidende 2:1 gegen Liverpool. „Ich war der Jüngste in der Truppe, musste die Taschen tragen und habe meine Mitspieler gesiezt.“ Der BVB schreibt an jenem Abend Sportgeschichte als erstes deutsches Team, das den Europapokal gewinnt. Während seiner Profizeit in Dortmund verdient Assauer zunächst 1.200 DM brutto und absolviert eine dreijährige Ausbildung als Bankkaufmann bei der Kundenkreditbank, kurz KKB. Er kann gut mit Zahlen umgehen in einer Zeit, in der der Stadionstehplatz drei Mark kostet. Bereits in der Schulzeit ist Mathe das Fach, in dem er seiner Zwillingsschwester überlegen ist.

In Dortmund lernt er Inge Lückert kennen, deren Eltern das Vereinslokal des BVB betreiben. Sie heiraten 1970, am 6. Mai kommt Assauers zweite Tochter Katy zur Welt. Auf sechs Jahre in Dortmund folgt in dieser Phase der Wechsel nach Bremen. Ein eher unfreiwilliger Wechsel, doch die Borussia braucht das Geld und Ehefrau Inge sowie Tochter Katy ziehen mit in die Hansestadt. Im Vorort Lilienthal wohnen sie auf 90 Quadratmetern in einem bürgerlichen Reihenhaus. „Er war bei uns zu Hause schon der Macho, der Mann im Haus. Die beiden Frauen kreisten um ihm. Meine Mutter natürlich – und ich war seine ‚Assiline‘. Aber als Vater war er eine absolute Autoritätsperson. Ich hätte nie sagen können: ‚Ich mache meine Hausaufgaben nicht.‘ Das gab es bei uns nicht“, berichtet Katy in einer Sky-Dokumentation aus dem Jahr 2022. Sie machen Urlaube auf Ibiza oder in Istanbul. Karin hält ihren Bruder aufgrund der Distanz zu seiner ersten Tochter auf dem Laufenden. „Ich habe den Kontakt zu Sonya gehalten und die Vermittlerin gespielt“, fasst sie heute zusammen. Erst als Bettinas Stiefvater im September 1980 bei einem Arbeitsunfall stirbt, nähern sich beide an, vereinbaren ein Treffen und bleiben in Kontakt. Als Katy 13 Jahre alt ist, erfährt sie, dass sie eine fünf Jahre ältere Halbschwester hat. Nach weiteren sechs Jahren in Bremen bei insgesamt 307 Bundesligaspielen hängt Assauer die Fußballschuhe an den Nagel, wird mit 32 Jahren bei seinem letzten Verein jüngster Manager der Liga. Die neue Aufgabe ist ein Vertrauensbeweis von Bremens Vereinspräsident Franz Böhmert. Er ist Assauers Mentor, Ziehvater und bester Freund.

„Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Ahnung vom Gebaren eines Bundesligavereins, null!“, stellt Assauer in einem Interview fest. Er bringt sich die Managertätigkeit autodidaktisch bei – in einer Zeit, in der ein Studiengang namens „Fußballmanagement“ noch erfunden werden muss –, hat sportliche Expertise, einen Kennerblick und versteht nach und nach auch die kaufmännischen Abläufe auf der Geschäftsstelle. In Bremen erlernt er die Grundlagen, die er später in Oldenburg und mit besonderem Erfolg auf Schalke anwenden wird.

Mit seiner Art macht er im Jahr 1979 auch den späteren Rekordmeister auf sich aufmerksam. Bayern-Präsident und Bauunternehmer Wilhelm Neudecker möchte Assauer als Manager abwerben. Er besucht daraufhin München, schaut sich das Trainingsgelände und einzugsfertige Villen an. Weil er jedoch parallel mit Werder Bremen im Abstiegskampf steckt und Verein sowie Mannschaft in der prekären Situation nicht hängen lassen möchte, bittet er um Bedenkzeit. Er könne erst wechseln, wenn klar sei, dass Werder nicht absteige. Zeit, die der Münchener Klub nicht hat und daraufhin fast notgedrungen den 27-jährigen Ex-Spieler Uli Hoeneß als Manager präsentiert. Eine im ersten Moment zufällige und doch mehr als richtungsweisende Entscheidung. Hoeneß ist bis heute untrennbar mit den großen wirtschaftlichen und sportlichen Erfolgen des FC Bayern verbunden. Er schreibt ab diesem Moment 1979 Bundesligageschichte. Andernfalls wäre Assauers Weg um ein Haar also anders verlaufen, er hätte womöglich an der Säbener Straße mehrere Meistertitel gefeiert. Doch Pflichtbewusstsein und beruflich-sportliches Ethos gehen bei seiner Entscheidung, in Bremen zu bleiben, vor. Wäre er in München überhaupt glücklich geworden? Vor allem, wenn man sich die Rahmenbedingungen in jener Zeit ansieht. Später kommentiert er seinen Entschluss noch deutlicher. Am 31. Juli 1979 zitiert ihn das Hamburger Abendblatt mit den Worten: „Ich habe keine Lust, den Lakaien für den Bayern-Präsidenten zu spielen.“ Denn: Wirkliche Entscheidungsgewalt hat der Bayern-Manager zu der Zeit nicht, wollen die Medien erfahren haben. Transfers müssen vorab mit Trainer, Präsident und Schatzmeister abgestimmt werden. Ganz sicher ist es ein nachträglicher Seitenhieb und vielleicht redet sich Assauer die Entscheidung der Münchener, nicht auf ihn zu warten, auch schön, schließlich hat ihn der Ruf aus Bayern auch geehrt und in der angespannten Bremer Situation veranlasst, den interessierten und interessanten Klub zu besuchen.

Assauer bleibt in Bremen, hält die Klasse. Doch ein Jahr später müssen die Grün-Weißen tatsächlich den Weg in die nächsttiefere Spielklasse antreten. Er krempelt die Mannschaft um, holt das routinierte Abwehrass Klaus Fichtel aus Schalke und den ersten schwarzen Nationalspieler, Erwin Kostedde, mit dem er später noch in einer Altherrentruppe kicken wird. Bremen gelingt mit den wenigsten Gegentoren und Kosteddes 29 Treffern der Wiederaufstieg. Assauer installiert 1981 – kurz vor dem Aufstieg – Otto Rehhagel als Trainer und beweist den richtigen Riecher. „König Otto“ beschert Bremen mit mehreren Titeln eine goldene Epoche. Und Assauer kehrt, nach dem erfüllten Wiederaufstieg, in seine Heimat zurück. Schalke ruft.

Als Rudi Assauer im Sommer 1981 auf Schalke den Managerposten übernimmt, sagt er den Satz, der vermutlich am häufigsten von ihm zitiert wird: „Entweder ich schaffe Schalke oder Schalke schafft mich.“

Er wirkt wie ein Kaufmann, wird nicht mit offenen Armen empfangen und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er hätte in Bremen eine „Rentnerband“ spielen lassen. Ein Begleitumstand, der den Start in der Zweitklassigkeit unmittelbar nach dem ersten Abstieg der Vereinsgeschichte, den er nicht verantwortet hat, nicht gerade erleichtert.

Seine Rückkehr ins Ruhrgebiet ermöglicht eine weitere Annäherung. Nachdem bei einer schweren Kieferoperation von Tochter Bettina Komplikationen auftreten, begleitet Assauer sie alle vierzehn Tage zur Nachuntersuchung. „Er war immer da, wenn ich ihn brauchte. Sein Terminplaner war an diesen Tagen ab mittags geblockt. Morgens hat er noch gearbeitet, ab 14 Uhr war er nur noch für mich da, egal, wie lange es dauerte. Das war eine liebevolle Geste, vor allem weil er einen stressigen Job als Manager hatte und Krankenhäuser verabscheute.“

Kurz nach seiner Amtsübernahme hat Assauer ein Schlüsselerlebnis. Er sieht ein B-Jugendspiel auf dem Ascheplatz an der Braukämperstraße in Gelsenkirchen, bei dem ihm ein besonderes Nachwuchstalent auffällt: Olaf Thon. Der spätere Fußballweltmeister 1990 und UEFA-Cup-Sieger 1997 ist zum damaligen Zeitpunkt junger Amateurspieler der STV Horst-Emscher. Zwei Jahre später bietet ihm Assauer, der ihn nicht mehr aus den Augen verliert, den ersten Vertrag an.

Thon: „Mein erster Gedanke war: Ich möchte nie rauchen. Er hat damals noch Pfeife geraucht, später Zigarren. Zu ihm als Patriarch mit dieser Ausstrahlung und Aura passte das. Ich habe mir immer gedacht: ‚Nee, das ist nichts für mich.‘ Nur bei der ersten Meisterfeier mit Bayern habe ich eine dicke Zigarre mit Uli Hoeneß geraucht und bei der dritten Meisterschaft gesagt: ‚Dann verzichte ich lieber auf Meisterschaften.‘“