Rue Mouffetard - Roland Wiesdorf - E-Book

Rue Mouffetard E-Book

Roland Wiesdorf

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Beschreibung

In der Rue Mouffetard in Paris geht die Angst um. Die Betreiber der typischen kleinen Läden werden immer wieder belästigt und bedroht. Als dann der kleine Fischladen von Marie Morel durch einen Brandanschlag verwüstet wird, soll der erfahrene Journalist Ronald Crawford für seine Zeitung über die Situation berichten. Bei seinen Recherchen verbündet er sich mit der jungen Kommissarin Hafida Saidi, die unter ihrem cholerischen Chef, Hauptkommissar Albert Dalmasso, zu leiden hat. Ronald und Hafida versuchen gemeinsam die Hintergründe der Vorgänge zu ermitteln und geraten dabei selbst in höchste Gefahr! Und die Spur des Verbrechens führt sogar nach Lothringen und ins Saarland! Das Buch ist nicht nur ein Kriminalroman, sondern auch (m)eine Liebeserklärung an die Stadt Paris. Die meisten beschriebenen Boulevards, Parks und andere Örtlichkeiten existieren tatsächlich. Mein Tipp: Fahren Sie einfach mal hin! Es lohnt sich! Roland Wiesdorf Rue Mouffetard Kriminalroman (Und eine Liebeserklärung an Paris)

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Pressefreiheit ist ein hohes Gut der Demokratie

Für André.

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

Epilog

1.

Die Nebelfelder der Nacht erglühen allmählich im Rot der aufgehenden Morgensonne, und weite Landschaften ziehen mit rasanter Geschwindigkeit an mir vorbei.

In den schier endlosen Weizenfeldern, deren Ähren sich wie goldene Wellen im Wind bewegen, sieht man nur hin und wieder in der Ferne kleine Bauerndörfer, die so aussehen, als sei in ihnen irgendwann vor ein paar Jahrzehnten die Zeit stehengeblieben. Das monotone Rauschen des Zuges hat mich schläfrig gemacht, und ich genieße die Ruhe die diese Region ausstrahlt, bevor ich schon bald wieder in eine der quirligsten, lebendigsten und ganz gewiss eine der liebenswertesten Metropolen auf diesem Planeten eintauchen werde.

Die Geschwindigkeitsanzeige zeigt 320 km/h an, und der elegante TGV, ein langer Wurm aus Aluminium, Stahl und Glas in Silber und Blau, zieht seine Bahn in Richtung Westen.

Eben noch war ich in Saarbrücken, wo ich alte Freunde besucht hatte, und gleich werden die einsamen Felder abrupt von urbanen, sehr dicht besiedelten Vorstädten abgelöst, bis die Destination dieses Hochgeschwindigkeitszuges erreicht wird: Der Gare de L´Est, einer von sieben Fernverkehrsbahnhöfen von Paris.

Jetzt sieht man so weit das Auge reicht nur noch sich schier endlos erstreckende Vorstädte. Zunächst passiert der TGV Bondy, dann Noisy-le-Sec.

Mit flottem Tempo durchfährt man die Regionalbahnhöfe, wo auf den Bahnsteigen zahlreiche Menschen auf die Bahnen Richtung Paris warten, um in der französischen Metropole zu arbeiten, einzukaufen oder weiterführende Schulen oder Universitäten zu besuchen.

Diese Vorstädte, man nennt sie in Frankreich auch die Banlieus oder Cités, sind meist geprägt von endlosen monotonen Betonwohnblöcken, die zu Zeiten der Industrialisierung in den 50er und 60er Jahren als Wohnraum für die Arbeiterschaft errichtet wurden.

Aber schon in den 70er Jahren, und besonders nach der ersten Ölkrise, fand eine Deindustrialisierung statt, und Millionen Menschen verloren ihre Jobs. In der Folge wandelte sich die Einwohnerschaft und auch das Gesicht dieser Cités.

Heute leben hier viele Nachfahren von Einwanderern der ehemaligen Kolonien, und die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch. Besonders die Jugendlichen mit schlechter oder fehlender Schulbildung und Ausbildung sammeln sich hier. Es sind junge Leute, die kaum eine Chance auf einen guten Job mit guter Bezahlung haben, es sind die, die keiner haben will, es sind die ohne Zukunft, es sind die, die eigentlich so gar nicht in das prächtige Paris passen, auf das die Franzosen doch so stolz sind. Ganze Straßenzüge sind inzwischen so heruntergekommen und von Gewalt geprägt, dass sogar die Polizei sie aufgegeben hat.

Der TGV wird langsamer, wir erreichen das Stadtgebiet, und schließlich den Gare de L´Est. Kurz vor Einfahrt in den Bahnhof ergibt sich für ein paar Sekunden ein Blick auf den Hügel von Montmartre, und auf die wie eine Königin in strahlendem Weiß darauf thronende Basilika de Sacré Coeur, die noch sehr jung ist.

Der Bahnhof, ein sehr schönes Gebäude mit vielen Shops und einer unterirdischen Métrostation, ist wie immer quirlig und belebt.

Von hier aus kann ich sogar zu Fuß zu meinem Appartement gehen, es liegt wie der Bahnhof im 10ème Arrondissement, in der Rue du Château d´Eau.

Für mich ist das Alles wie ein „back to the roots“, ein zurück zu den Wurzeln, denn ich habe schon einmal in Paris gelebt und gearbeitet.

Mein Name ist Ronald Crawford, aber meist werde ich einfach nur „Ron“ genannt, und ich arbeite seit vielen Jahren als Journalist und Fotograf für den New York Chronicle, eine der großen Tageszeitungen in New York City. In den vergangen Jahren habe ich zuerst für die Lokalredaktion in Manhattan, und dann für die Südasien-Redaktion in Hongkong gearbeitet.

Mein Job ist mein Leben, denn unabhängiger Journalismus ist für mich mehr denn jeh ein wesentlicher Pfeiler jeder freien Gesellschaft.

Man sagt mir einen starken Gerechtigkeitssinn, und eine gute Nase für Ungereimtheiten nach, und das ist einerseits gut so, und es freut mich auch, aber meine Recherchen haben mich auch schon wiederholt in ernste Gefahr gebracht. Die Schussnarbe auf meiner Brust erinnert mich jeden Tag daran. Denn eines ist klar: Wenn man bei seinen Recherchen irgendwelchen Politikern, Industriellen, oder sonstigen „hohen Tieren“ auf den Zahn fühlt, dann hat man sich sehr schnell Feinde gemacht. Mächtige Feinde. Feinde mit Geld, und mit genügend Geld kann man fast alles tun, um jemand mundtot zu machen.

Aber jetzt bin ich wieder hier, in meinem Paris, zurück von einem Besuch bei meinen Saarländischen Freunden.

Gut gelaunt gehe ich die Rue du Faubourg Saint-Denis herunter, aber bevor ich in mein Appartement gehe, schaue ich erst mal bei André in der Brasserie Au Faubourg vorbei. André arbeitet gefühlt seit hundert Jahren im Au Faubourg, und manchmal glaube ich, dass er schon irgendwie festgewachsen ist hinter seinem Tresen. Er ist einer dieser typischen Pariser Bierzapfer und Kellner, mit seinem rustikalen Charme. Er kennt seine Gäste, und seine Stammgäste sind auch seine Familie. Wir verstehen uns sehr gut, ja, wir mögen uns, auch wenn wir manchmal kaum miteinander reden, was auf Außenstehende vielleicht etwas merkwürdig wirken mag. Macht aber nichts. Ist uns doch egal. Also betrete ich die Brasserie, die wie immer schon am frühen Vormittag gut besucht ist. Vor dem Tresen zeugt eine stattliche Menge von Krümeln davon, dass heute schon einige Leute aus diesem Quartier hier ihre Croissants und ihren Café hatten.

„Salu Ron, un Grand Créme?“ ist die knappe Begrüßung von André. „Salu André, un Grand Créme et un Croissant, s´il te plaît!“ ist meine ebenso knappe Antwort. Wie gesagt, wir brauchen nicht immer viele Worte. Und so genieße ich mein kleines Frühstück, und durch die offene Tür höre ich den vertrauten lebendigen Geräuschpegel, und ich rieche den typischen Geruch meines Quartiers, hier im 10ème Arrondissement im Osten von Paris. Schön, wieder hier zu sein.

Es kommt dann doch noch zu einem kurzen Gespräch mit André, und ich berichte ihm, dass ich am nächsten Tag wieder zu arbeiten beginne und erst einmal in die Redaktion fahren werde, um mit meiner Chefredakteurin die bevorstehenden Recherchen und Berichte zu besprechen.

Mit einem „à bientôt“ verabschiede ich mich schließlich von André und trete den Heimweg an, der nur wenige Minuten zu Fuß dauert. Der Weg durch die belebte Rue du Faubourg Saint-Denis ist immer auch eine ideale Gelegenheit, Einkäufe zu erledigen – besonders dann, wenn man es, so wie ich, etwas exotisch mag. Diese Gegend ist geprägt von vielen unterschiedlichen Kulturen, geprägt von Nachkommen der Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien Frankreichs und vielen anderen Ländern. Im kleinen Lebensmittelladen, der von einer Familie aus Madagaskar geführt wird, kaufe ich immer gerne Obst und exotische Knabbereien ein, so auch heute Vormittag.

Und wie immer duftet es verführerisch gut aus der algerischen Hähnchenbraterei, und wie so oft schaffe ich es nicht einfach so daran vorbei zu gehen, und Minuten später sind köstlich duftende und knusprig gegrillte Geflügelteile in meiner Einkaufstasche. Mit einem extrabreiten Grinsen verabschiedet sich Farid, der stets freundliche und sehr gesprächige Metzger von mir. Ganz gewiß bin ich einer seiner besten Kunden, denn auch seine Merguez sind sensationell. Gerne lasse ich mir von ihm auch eine Flasche exzellenten algerischen Rotwein aufnötigen. Bestens gelaunt komme ich an meinem Appartement, man könnte auch etwas sarkastisch sagen, meinem Wohnklo mit Kochnische, an. Es ist eines dieser durchaus romantischen, aber auch gnadenlos überteuerten Appartements in einer Mansarde im Dachgeschoss. Paris ist schön, und hat auch immer noch seinen ganz besonderen, ganz typischen Charme, aber hier zu wohnen ist auch exorbitant teuer. Denn wie viele Menschen hier bin ich bereit, diesen Preis zu zahlen, denn ich fühle mich wohl hier.

Und so ruhe ich mich aus, genieße die gegrillten Köstlichkeiten und die Entspannung, und faulenze noch ein wenig, bevor ich mich morgen wieder in die Arbeit stürzen werde.

Welche Recherche wird wohl auf mich zukommen? Wird es Routine sein? Oder wieder einmal ganz spannend? Wir werden sehen.

2.

Das erste Licht der aufgehenden Sonne leuchtet mir durch die Schlitze in den typisch französischen Blech-Fensterläden in die Augen. Auf dem Tisch steht noch die angebrochene Flasche algerischer Rotwein. Viel ist nicht mehr drin.

Prinzipiell bin ich morgens schnell wach und gut gelaunt, aber es gibt da etwas, dass mir jeden einzelnen Tag so richtig auf die Nerven geht: Die Dusche in meinem Altbau-Appartement!

Es dauert ewig, bis mal warmes Wasser ankommt, es faucht und blubbert aus dem hoffnungslos verkalkten Duschkopf, und die wenigen kümmerlichen Wasserstrahlen machen selbst das Waschen meines inzwischen sehr spärlichen und kurzgeschorenen Haupthaares fast unmöglich.

Und dann geschieht es wieder: Der alte, inzwischen nostalgische Duschvorhang ist mal wieder ganz besonders anhänglich, und will ständig irgendwo an meinem Körper festkleben.

So charmant die alten typisch französischen Stadthäuser auch aussehen mögen, hinter vielen Fassaden steckt noch immer uralte Haustechnik. Der Sanierungsbedarf ist immens, und die ohnehin hohen Mieten würden nach Modernisierungsarbeiten wohl noch mehr in die Höhe schießen. Aber was soll’s? Ich liebe diese Stadt, ich liebe meine kleine Mansarde, die sich jeden Sommer in eine Sauna verwandelt, und ganz besonders liebe ich den Blick aus meinem Fenster über die Dächer meines Quartiers mit den typischen, unzähligen kleinen Kaminen aus rotem Ton.

Nachdem ich mich fertig gemacht habe und wieder todesmutig dem Uralt-Aufzug, einem winzigen Drahtkäfig mit quietschender Ziehharmonikatür, mein Leben anvertraut habe, gehe ich durch meine Straße zur Métro Station Château d ´Eau.

Zur Redaktion nehme ich immer die Métro Linie 4 bis zur Station Saint-Germain-des-Prés.

Das Büro unserer Redaktion befindet sich in der ersten Etage eines Gebäudes am Boulevard Saint-Germain. Das ist ganz praktisch, denn es ist nicht so weit von der Nationalversammlung entfernt, und dieses Viertel liegt „rive gauche“ im 6. Arrondissement von Paris und gehört eindeutig zu den „besseren Vierteln“ der Stadt.

Hier befindet sich die Abtei Saint-Germain-des-Prés, die älteste Kirche der Stadt, und der wunderbare Park Jardin du Luxembourg, mit seiner romantischen Brunnenanlage „Fontaine Médicis“, einem Ort, wo wahrscheinlich schon viele Liebesschwüre geschworen wurden. Sorry, aber in Paris gibt es eben viele romantische Ecken…

Und in diesem Viertel gibt es noch zwei weitere weltbekannte Adressen: Das noble Café „Les deux Magots“, und das „Café de Flore“. In diesen Cafés sollen die berühmten Schriftsteller Albert Camus und Ernest Hemingway Stammgäste gewesen sein. Heute ziehen diese alt-ehrwürdigen Etablissements Scharen von Touristen aus aller Welt an, ständig machen breit grinsende chinesische Liebespärchen Selfies mit ihren Smartphones, und man hört fast mehr deutsche oder japanische Gespräche als französische.

In den Büros der Redaktion herrscht schon wieder - oder immer noch - Hochbetrieb. Eine Tageszeitung will alle 24 Stunden mit Informationen gefüttert werden, und hinter vielen Informationen und Meldungen steckt viel Arbeit. Es muss recherchiert werden, Interviews werden geführt, Fotos gemacht, Texte geschrieben. Dann kommt das Layout, die Korrekturen, und vieles mehr, bis die Arbeit getan ist und die digitalen Druckvorlagen ins Verlagshaus des Chronicle in New York gesendet werden können. Und wenn es ganz dumm läuft, verdrängt ein aktuelles Weltgeschehen einen ganzen Artikel unserer Redaktion, und die Arbeit war ganz umsonst!

Durch den Zeitunterschied von sechs Stunden zwischen New York und Paris wird hier sowieso zu ziemlich ungewöhnlichen Zeiten gearbeitet.

Deshalb ist bei uns immer etwas los, und selbst wenn ich einmal um 2 Uhr nachts oder Sonntags früh um 5 Uhr die Redaktion betrete: Immer ist jemand da, immer wird telefoniert, es werden Mails geschrieben und Fotos werden ausgewählt und bearbeitet. Die Nachrichtenwelt kennt keinen Stillstand, kennt keine Langeweile, und sie ist immer für eine Überraschung gut, und gerade das ist es, was mir gefällt!

Mein Job ist mehr als nur Geld verdienen für den Lebensunterhalt, er ist meine Leidenschaft, oder wie ich es manchmal sage: Er ist das Salz in der Suppe meines Lebens!

Dann höre ich hinter mir eine mir sehr vertraute Frauenstimme. Diese Stimme ist markant und für eine Frauenstimme recht tief, aber ungewöhnlich wohlklingend. Sie wirkt souverän und bestimmt zugleich. Mit einem coolen „Hi Ron“ begrüßt mich Hélène, unsere Chefredakteurin.

Dass Hélène in unserer Redaktion ganz zurecht „der Boss“ ist, hat sie schon oft bewiesen. Mit ihrem messerscharfen Verstand und ihrer Empathie - eine Mischung, die nicht ganz selbstverständlich ist, macht Sie ihren Job mit Bravour.

Hélène ist in New York geboren, kam aber als Kind mit ihren Eltern nach einigen anderen Stationen in Europa nach Paris. Sie spricht fließend Englisch, Französisch und Deutsch und hat auf einer der sogenannten „Grandes Ecoles“, also einer Elite-Hochschule, studiert.

Ich drehe mich also um und erwidere Ihre Begrüßung mit einem ebenso coolen „Hi Hélène“. Und da steht sie nun vor mir, wie man es von ihr gewohnt ist, und genau so wie ich mir eine elegante Dame von Welt in Paris vorstelle.Und auch genau so wie ich es mag, denn bekanntermaßen bin ich ein Genießer.

Hélènes ohnehin schönes Gesicht wird von einem dezenten und mit Sorgfalt aufgetragenem Make up betont. Da ist nichts Grelles, nicht Aufdringliches, da ist nur geschmackvolle Eleganz. Ihr langes, tiefschwarzes, glänzendes Haar ist - wie fast immer - zu einer Art Schnecke auf dem Hinterkopf frisiert. Heute trägt sie ein tiefgrünes Kostüm mit einem Rock, der ihre Knie bedeckt, dazu anthrazitfarbene Strümpfe und schwarze Schuhe mit mittelhohem Absatz.

Unter der elegant sitzenden Jacke blitzt eine blütenweiße Bluse hervor, und ihr Dekolleté ist mit einer schlichten Perlenkette geschmückt. Diese elegante Frau passt einfach perfekt zu Paris, denke ich.

„Hélène“, sage ich, „Du siehst wieder einmal umwerfend aus!“

„Merci, Ron“ erwidert sie mit ihrem unwiderstehlichen Lächeln, und ergänzt: „Na, dann komm mal mit in mein Büro, ich habe einen Auftrag für dich.“ Als ich ihr in ihr Büro folge, bemerke ich den Duft, den sie heute trägt. Ich glaube „Ma petite Robe Noir“ von Guerlain zu erkennen. Die Dame hat Geschmack!

„Es geht um die Rue Mouffetard“, berichtet mir Hélène, und das Lächeln auf ihrem Gesicht weicht einer sehr ernsten Miene.

Die im 5ème Arrondissement gelegene Rue Mouffetard, oder „La Mouffe“, wie die Pariser sie nennen, ist eine der ältesten Straßen von Paris. Sie wurde erstmals im 13. Jahrhundert erwähnt, als das heutige Paris noch ein Dorf war und Lutetia hieß. Heute ist La Mouffe eine belebte Marktstraße.

„Was soll da los sein?“, frage ich etwas ungläubig, „da gibt’s doch nur Marktstände und Läden.“ Viele sind schon seit Generationen dieser alten Pariser Straße.

Hélène erzählt mir von Berichten einiger Anlieger, denen zufolge bei den Ladenbesitzern und Marktstandbetreibern die Angst umginge. In der letzten Zeit gab es immer wieder Fälle von Vandalismus und Bedrohungen.

Die Anfeindungen gegenüber den Gewerbetreibenden dort, die überwiegend kleine Familienbetriebe sind, gipfelten schließlich in einem Brandanschlag auf eine kleine Poissonerie, bei dem das ganze Inventar, inklusive der Kühlanlagen für den Fisch und die Meeresfrüchte samt Inhalt, verbrannten.

Das Vorgehen ähnelte dem der Mafia im Falle von Schutzgelderpressungen, wenn die Opfer nicht mehr bereit sind zu zahlen, ergänzt Hélène, und gibt mir den Auftrag, mit Recherchen zu beginnen.

Mit einem knappen „Okay, ich bin dran“, verabschiede ich mich von Hélène. Von meinem Schreibtisch schnappe ich mir meine Kamera, Notizbuch und Diktiergerät und mache mich auf den Weg. Der Fall klingt interessant, denke ich, auf jeden Fall besser, als über ein Golfturnier von irgendwelchen Neureichen oder einen Kaninchenzüchterverein zu berichten.

Das Wetter ist heute sehr angenehm, und ich beschließe, den kurzen Weg von unserer Redaktion zur Rue Mouffetard zu Fuß zu gehen.

Die Strecke führt vorbei an gepflegten typisch Pariser Stadthäusern und durch das Universitätsviertel der Sorbonne.

Das Ziel Rue Mouffetard ist mir ohnehin gut bekannt, ich freue mich darauf, und der Grund dafür ist ganz einfach: La Mouffe ist die reinste Schlemmermeile! Es gibt dort alles, was das Herz begehrt, oder sagen wir treffender: Alles was Zunge und Magen begehren!

Die Marktstände und kleinen Läden bieten einen Überblick über die gesamte kulinarische Vielfalt Frankreichs! Es gibt Stände mit frischem Fisch und Meeresfrüchten aller Art, Stände mit feinstem Obst und Gemüse, mit Fleisch und Wurstwaren, und natürlich auch Stände mit einer geradezu unglaublichen Auswahl an französischen Käsespezialitäten, die durchaus zurecht in der ganzen Welt bei Gourmets bekannt und begehrt sind.

Und dann sind da auch noch die vielen fertigen Gerichte zum Mitnehmen. Es duftet verführerisch gut nach Petit Salé mit Linsen, nach Bouillabaisse, nach Coq au Vin, Couscous, gegrilltem Geflügel und vielem mehr.

Wenn sich jemand fragt, wie es zu der Redewendung „Leben wie Gott in Frankreich“ kam - hier findet man die Antwort!

Da es inzwischen Mittagszeit ist, kaufe ich mir in der kleinen Boucherie-Charcuterie „Bruno Lefebre“, einer traditionellen Metzgerei, ein Stück Quiche Lorraine und komme dabei auch gleich mit dem Metzger ins Gespräch.

Als ich mich ihm vorstelle, und ihm sage, worum es geht, wird der freundliche Mann augenblicklich sehr ernst.

„Die Angst geht um, in unserem Quartier“, sind die ersten Worte seines Berichtes. Er erzählt mir, dass seine kleine Metzgerei schon seit drei Generationen in der Mouffe existiere, und er selbst schon seit 1976 das Geschäft betreibt. Im Gegensatz zu manchen anderen Quartiers von Paris sei es immer sehr sicher und friedlich hier zugegangen. Keine Schmierereien an den Wänden, keine Sachbeschädigungen oder Überfälle. Außer ein paar kleinen Diebstählen habe es hier nie nennenswerte Probleme gegeben.

Aber seit kurzer Zeit habe sich die Situation verändert. Urplötzlich seien ein paar Jugendliche in den Laden gekommen, hätten unvermittelt ein Regal mit Waren umgeworfen und wären danach in Windeseile in der Menge der Passanten verschwunden. Auf meine Nachfrage hin, ob er sich einen Grund für diese veränderte Situation erklären könne, bekomme ich nur ein unbeholfenes Schulterzucken als Antwort. Ich bedanke mich für die Auskünfte, hinterlasse Bruno meine Visitenkarte und verlasse den Laden.

Ich bin erst ein paar Schritte gegangen, und noch bevor ich in meine Quiche beißen kann, höre ich hinter mir die Stimme des Metzgers: „Monsieur, können Sie nochmal kommen, uns ist noch etwas eingefallen!“

Mit eiligen Schritten kehre ich zurück zur Metzgerei und betrete mit dem Metzger erneut den kleinen Laden, in dem jetzt auch eine Frau anwesend ist.

„Das ist meine Frau, Claudine“, stellt Bruno mir die Frau vor.

„Ich habe ihr gerade von Ihrem Besuch und Ihrem Anliegen erzählt, und ihr ist noch etwas dazu eingefallen“.

Obwohl sonst niemand in dem kleinen Laden ist, blickt die Frau immer wieder verängstigt zur Eingangstür.Zögernd beginnt sie zu erzählen.

Claudine berichtet von wiederholten Besuchen von jungen Männern vor einigen Wochen. Es seien keine Leute aus dem Viertel gewesen, und auch keine Touristen, das habe man schon an der Kleidung gesehen. Sie seien stets in recht teuer aussehenden dunklen Anzügen gekleidet gewesen, meist mit dunklen Sonnenbrillen, die sie auch im Laden nicht abgesetzt hätten. „Ziemlich unangenehme Typen“, ergänzt Claudine. Die Männer hätten mehrfach gefragt ob der Laden und die dazugehörende Immobilie zu verkaufen sei, was Claudine jedoch stets verneinte.

Beim letzten Besuch dieser Typen sei die Stimmung richtig aggressiv gewesen, und einer der unangenehmen Besucher hätte beim Verlassen des Ladens nur „Sie werden schon sehen, was Sie von Ihrer Sturheit haben“ gebrummt, bevor er die Ladentür hinter sich zugeknallt hat.