Running up that Hill - Nicole Böhm - E-Book
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Running up that Hill E-Book

Nicole Böhm

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Beschreibung

Fake ist manchmal echter als echt Haley Sharp ist als Star einer Kinderserie bekannt geworden. Nun ist sie 25, und obwohl sie wirklich alles tut, um als ernsthafte Schauspielerin wahrgenommen zu werden, schafft sie es nicht, ihr altes Image abzustreifen. Dabei hilft auch ihre aktuelle Serie nicht, die in L.A. gedreht wird und eine treue Fangemeinde hat. Ihr neuer Serienpartner Wyatt Holt ist noch frisch im Haifischbecken Hollywoods, aber seine lockere Art macht ihn überall beliebt. Als das PR-Team darauf drängt, dass er und Haley sich auch privat als Paar ausgeben sollen, um für Publicity zu sorgen, lassen sich beide darauf ein – doch können die echten Gefühle, die sich zwischen ihnen entwickeln, den Machenschaften der Filmindustrie standhalten?

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Seitenzahl: 440

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© by Nicole Böhm

Originalausgabe

© 2024 by HarperCollins in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Covergestaltung von Alexander Kopainski

Coverabbildung von 3d-ModelsArtist/cgtrader, CGRoom/cgtrader

E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783745704273

www.reverie.de

Triggerwarnung:

Liebe Leser: innen, dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet Ihr am Romanende eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler enthalten kann.

Wir wünschen Euch das bestmögliche Erlebnis beim Lesen der Geschichte.

Euer Team von reverie

Prolog

Zwischen HALEYSHARP, im Folgenden als

»Schauspielerin« bezeichnet,

vertreten durch GABRIELARODRÍGUEZ, im Folgenden als

»Agentin« bezeichnet,

und

MORGANPRODUCTION, im Folgenden als

»Produktionsfirma« bezeichnet,

wird folgender Vertrag geschlossen:

1. Engagements

Die Schauspielerin wird von der Produktionsfirma für die zweite Staffel (fünfzehn Folgen) der Fernsehserie »Undercurrents« engagiert. Die Schauspielerin wird die Rolle der Marissa Amell gemäß den Anweisungen der Regie und des Drehbuchs darstellen.

2. Intime Szenen

Die Mitwirkung der Schauspielerin umfasst die enge Zusammenarbeit mit ihren Co-Stars, Eric Glover in der Rolle des Jenson Gray und Wyatt Holt in der Rolle des Damon Mayfield. Die Schauspielerin ist sich bewusst, dass die Handlung der Serie »Undercurrents« intime Szenen zwischen ihr und Eric Glover sowie Wyatt Holt beinhalten kann. Alle Parteien erklären sich bereit, in Übereinstimmung mit den ethischen Standards und den Regeln der Professionalität zu handeln.

1. Die Produktionsfirma wird sicherstellen, dass alle intimen Szenen am Set respektvoll und sensibel behandelt werden. Es werden angemessene Vorkehrungen getroffen, um die Privatsphäre und den Komfort der Schauspielerin und der Schauspieler zu wahren.

2. Vor jeder intimen Szene werden die Schauspielerin und der Schauspieler detailliert über den Ablauf, die Positionen, die Kameraeinstellungen und alle geplanten Berührungen oder Bewegungen informiert.

3. Die Produktionsfirma verpflichtet sich, ein intimes Szenen-Stand-In oder eine*n Intimitätskoordinator*in hinzuzuziehen, um den reibungslosen Ablauf der Szenen sicherzustellen und die physische und emotionale Sicherheit der Schauspielerin und der Schauspieler zu gewährleisten.

4. Sollten Schauspielerin oder Schauspieler während der Dreharbeiten zu intimen Szenen Unbehagen oder Bedenken äußern, wird die Produktionsfirma angemessen darauf reagieren und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen.

Beide Parteien erklären sich damit einverstanden, die Richtlinien und Anweisungen der Produktionsfirma in Bezug auf intime Szenen zu befolgen, um eine professionelle und respektvolle Arbeitsumgebung zu gewährleisten.

3. Dauer des Engagements

Das Engagement der Schauspielerin beginnt am 15.06. Die Schauspielerin verpflichtet sich, für Proben, Dreharbeiten und Promotion-Aktivitäten verfügbar zu sein.

4. Vergütung

Die Schauspielerin erhält für ihre Mitwirkung in der zweiten Staffel von »Undercurrents« eine Vergütung von 30000 $ pro Folge. Die Vergütung wird monatlich gezahlt. Darüber hinaus werden der Schauspielerin angemessene Spesen für Reisen, Unterkunft und Verpflegung während der Dreharbeiten erstattet.

5. Rechte und Verwendung des Materials

Die Schauspielerin gewährt der Produktionsfirma das uneingeschränkte Recht, ihre Darstellung auf jede erdenkliche Weise zu nutzen, einschließlich Ausstrahlung, Streaming, Werbung und Vermarktung, für die Dauer des Vertrags und darüber hinaus.

6. Geheimhaltung

Die Schauspielerin verpflichtet sich, alle vertraulichen Informationen über die Produktion, das Drehbuch und andere beteiligte Personen, die ihr im Rahmen ihrer Mitwirkung bekannt werden, streng vertraulich zu behandeln und nicht an Dritte weiterzugeben.

7. Kündigung

Beide Parteien haben das Recht, diesen Vertrag fristlos zu kündigen, wenn die andere Partei gegen eine wesentliche Bestimmung dieses Vertrags verstößt.

8. Geltendes Recht

Dieser Vertrag unterliegt den Gesetzen des Bundesstaates Kalifornien. Bei etwaigen Streitigkeiten verpflichten sich die Parteien, alle Anstrengungen zu unternehmen, um diese in gutem Glauben und auf dem Verhandlungsweg beizulegen.

9. Sonstige Bestimmungen

Alle Änderungen oder Ergänzungen dieses Vertrags bedürfen der Schriftform. Dieser Vertrag bildet die gesamte Vereinbarung zwischen den Parteien und ersetzt alle vorherigen Vereinbarungen oder Absprachen.

Unterschriften:

Die Schauspielerin:

[Unterschrift] [DATUM]

Die Produktionsfirma:

[Unterschrift] [DATUM]

Ich drehte den Kugelschreiber in der Hand, den mir Gabriela gereicht hatte, und sah auf den Vertrag vor mir. Das war er also. Die Verlängerung meines Arbeitsverhältnisses und somit eine vorübergehende Absicherung für mich und meine Schauspielkarriere.

»Es ist ein gutes Angebot«, sagte meine Agentin. »Ich hatte zwar gehofft, dass wir deine Gage auf fünfzig pro Folge hochhandeln könnten, aber das war alles, was rauszuholen war.«

»Schätze, wir müssen glücklich sein, dass es diese zweite Staffel überhaupt gibt.« Ich schaffte es nicht ganz, den Sarkasmus in meiner Stimme zu verbergen. Natürlich war die Gage gut und auf den ersten Blick viel, doch verglichen mit dem, wo wir hinwollten, war es nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

»Das müssen wir wirklich, Haley. Ich betone noch mal, dass dies deine letzte Chance sein könnte, dich aus deinem Kinderstar-Image zu befreien. Es ist enorm wichtig, dass du endlich als erwachsene Schauspielerin wahrgenommen wirst. Nur weil du als Teenie Erfolge gefeiert hast, bedeutet das nicht, dass du es auch als Erwachsene tust.«

»Ich weiß.«

Gabriela sprach es nie offen aus, aber ich spürte deutlich, wie unsere Zusammenarbeit durch den Misserfolg der ersten Staffel von Undercurrents ins Stocken geraten war. Zudem hatte ich mitbekommen, dass sie gerade mit einer neuen Schauspielerin verhandelte, die ganz steil abhob und mit zwanzig bereits neben Größen wie Al Pacino drehte.

Trotzdem blieb ein komisches Gefühl bei diesem Vertrag. Die Rolle der Marissa mochte bei Fans gut ankommen, aber sie war anspruchslos und blass. Das typische naive Mädchen vom Lande, das sich natürlich in das heiße Sport-Ass der Schule verliebte. Die Serie strotzte nur so vor Teeniedrama, Intrigen, Partys und Streitereien.

»Sobald du unterschrieben hast, planen wir die Promotour mit dem Cast quer durchs Land.«

Damit wollten wir uns bei unseren Fans für die unglaubliche Unterstützung bedanken, denn noch vor einem Jahr – zu Beginn der Serie – hatten wir auf der Streamingplattform Hulu die Charts für fast drei Monate angeführt. Doch dann hatten wir den Drive verloren. Das hatte dazu geführt, dass – mitten während der Dreharbeiten – unser alter Showrunner rausgeschmissen und ein neuer eingestellt wurde, der das Ruder so herumreißen konnte, dass die Fans wieder aufgesprungen waren. Sie hatten sogar eine Petition zur Rettung der Show ins Leben gerufen und mit einer halben Million Unterschriften dafür gesorgt, dass ich nun vor diesem Vertrag saß.

»Wird Wyatt Holt auch dabei sein?« Ich kannte meinen neuen Co-Star, der ab der zweiten Staffel den Bad Guy spielen sollte, noch nicht. Eigentlich hätte jemand anderes die Rolle übernehmen sollen, aber der hatte kurzfristig abgesagt.

»Nein, er steckt noch mitten im Umzug. Eric kommt natürlich mit und vermutlich Kathrin.«

Ich atmete ein weiteres Mal durch und überlegte, ob ich das wirklich wollte. Wenn ich unterschrieb, müsste ich für fünfzehn weitere Folgen Marissa spielen. Und ja, sie half mir, das Kinderstar-Image, das ich seit über zehn Jahren mit mir herumschleppte, abzustreifen, aber es war nicht die Art von Rolle, nach der ich mich als Schauspielerin sehnte.

»Das ist nur ein Zwischenstopp.« Gabriela kannte meine Bedenken. Wir hatten schon so oft darüber gesprochen. »Die Promo wird dich im Gespräch halten und mir die Chance geben, bei anderen Produzenten vorzufühlen. Ich hab schon ein paar Ideen, aber dazu brauchen wir diesen Push von Undercurrents.«

»Also gut.« Ich setzte den Kugelschreiber über dem entsprechenden Feld an und zeichnete routiniert meine Unterschrift. »Dann machen wir es.«

1. Kapitel

Haley

BEACHBOUND

SEASON1, Epis. 2

INT. KLASSENZIMMER, TAG

Das junge Mädchen SAVANNAH (12 Jahre alt), gekleidet in kurzer Hose und weißem T-Shirt, öffnet die Tür zum Klassenzimmer. Im nächsten Moment kippt ein Eimer Wasser über ihr aus. Er war am Türrahmen befestigt. Savannah wird klatschnass. Alle fangen an zu lachen. Einige zücken Handys und drehen Videos. Savannah weicht panisch zurück.

MÄDCHEN1

Das müssen wir unbedingt auf TikTok hochladen.

Damit gehen wir viral!

MÄDCHEN2

Schaut mal, wie dämlich sie guckt.

Savannah sucht nach ihrer Freundin ALISIA (12 Jahre alt). Diese sitzt in der hintersten Reihe und schaut genauso entsetzt. Das Gelächter nimmt zu, genau wie Savannahs Panik.

SpecialEffect: Haut schimmert bläulich-grün – erste Verwandlung.

Savannah rennt aus dem Klassenzimmer den Flur hinunter.

Kamera folgt, one-take

Savannah kommt an Lehrern vorbei, rempelt Mitschüler an, ignoriert alle, sucht die nächste Toilette. Sie reißt die Tür auf, stürzt hinein und starrt in den Spiegel. Ihre Verwandlung hat begonnen. Schuppen, Schwimmhäute zwischen Fingern, Fangzähne.

SAVANNAH

(verängstigt)

Nein, nein, nein. Mir dürfen auf keinen Fall Flossen wachsen!

Die Tür geht hinter ihr auf. Sie dreht sich um. Dort steht Alisia. Sie starren einander an. Savannah kann nicht mehr verstecken, wer sie wirklich ist.

ALISIA

(schockiert)

W-was bist du?

SAVANNAH

Ich bin eine Meerjungfrau.

»Hallo?« Ich betrat mein Haus, das vom morgendlichen Sonnenlicht durchtränkt wurde, und hängte den Schlüssel an den vorgesehenen Platz. Meine jugendliche Stimme dröhnte so laut aus dem Fernseher, dass es ein Wunder war, dass die Nachbarn noch nicht auf der Matte standen. »Page?«

Ich sah zu dem Flachbildschirm an der Wand, wo mein zwölfjähriges Ich in Großformat voller Entsetzen in die Kamera starrte. Mit Babyspeck, blauen Augen und bläulich-grünen Fischschuppen auf Armen und Schultern.

»Was hast du eben gesagt?«, fragte meine Serienfreundin Alisia on screen.

»Ich bin eine Meerjungfrau«, wiederholte ich. »Ich stamme aus dem Ozean. Aus einem Reich namens Aquaria. Meine … meine Familie sind Meerwesen. Genau wie ich.«

»D-das … das gibt es nicht.«

»Meine Eltern und ich mussten vor dem Krieg in unserem Reich fliehen. Sie starben bei der Flucht, ich wurde an den Strand gespült und von den Hensons aufgenommen.«

»Meinen Nachbarn?«

»Ja.«

»Du wohnst seit vier Monaten dort.«

»Ja.«

»Ich dachte, du wärst die Cousine von Charlotta!«

»Bin ich nicht. Es tut mir leid.«

»Das … das muss ich erst verdauen.«

Jemand giggelte leise. Ich trat in den Wohnbereich und zuckte zusammen. Meine Schwester Page schlief, nur mit einem T-Shirt bekleidet, auf der Couch neben einem Typen, den ich nicht kannte. Er hatte seine Hand unter ihr Shirt geschoben und schnarchte laut. Ein weiterer Typ mit dunklen Haaren hockte am Rand des Sofas, aß Chips und schaute gebannt der Show zu. Er hatte nicht mal bemerkt, dass ich eingetreten war. Kein Wunder, wenn der Ton so weit aufgedreht war, dass beinahe die Scheiben vibrierten.

Das Wohnzimmer glich einem Schlachtfeld. Überall lagen leere Flaschen Bier, Chipstüten, halb gefüllte Pizzakartons, Shotgläser, fast ausgetrunkener Tequila, ein umgekippter Salzstreuer und angeknabberte Zitronenscheiben herum. Über der Sofalehne hing Pages BH, auf der Sitzfläche lagen ihre Socken und ein Höschen.

Ich zückte das Handy aus meiner Tasche, rief die App für mein Haus auf und suchte nach der TV-Anlage. Kaum hatte ich sie gefunden, pausierte ich die Sendung. Der Typ zuckte zusammen, griff nach der Fernbedienung und versuchte, sie wieder anzustellen, aber solange ich die App geöffnet hatte, behielt ich die Kontrolle. Er fluchte und drückte alle Knöpfe. Es wäre fast witzig gewesen, wenn diese Situation nicht so elendig wäre.

»Die Show ist vorüber«, sagte ich.

Er stieß einen Schrei aus, warf die noch gefüllte Chipstüte weg, deren Inhalt sich über Couch und Boden verteilte. Ich unterdrückte einen frustrierten Laut, denn mir war völlig klar, wer das nachher sauber machen würde.

»Was machst du denn hier?!«

»Das ist mein Haus! Die Frage müsste ich dir stellen!«

»Aber du … was? Deine … du bist … aber … was?« Er sah zu Page, dann zu mir, und erst da schien es ihm zu dämmern. Sein Mund klappte auf und formte ein tonloses »Oh«, das sich in ein wissendes Grinsen ausdehnte. Er deutete hinter sich zu meinem jüngeren Ich, Savannah. »Hey, wie cool.«

»Gott, ich dreh durch.« Ich lehnte mich über die Couch, wo meine Schwester und der zweite Kerl nach wie vor selig schliefen. Wie die bei dem Lärm pennen konnten, war mir ein Rätsel.

»Page!«, blaffte ich und rüttelte sie an der Schulter. Sie brummte, reagierte nicht, also schüttelte ich sie energischer. »Wach auf!«

Sie schlug meine Hand weg, aber dafür rührte sich der Typ neben ihr.

»Ihr müsst aufstehen«. Ich machte weiter, bis sie wach war.

»Was ist denn los?«, fragte meine Schwester verschlafen. Der Typ räkelte sich, zog die Hand unter Pages Shirt hervor und rollte sich auf den Rücken.

»Deine Freunde verabschieden sich jetzt.«

»Was?«

»Es ist fünf Uhr morgens! Die Sonne geht gerade auf.«

»Dann lass mich schlafen.«

»Du kannst meinetwegen hier schlafen, aber dein Besuch verabschiedet sich.«

Page stöhnte und zog sich das Kissen über den Kopf. Ich rieb mir über die Stirn, hinter der es unangenehm pochte. Der Typ neben ihr hatte sich die Hand in die Hose geschoben und war wieder eingeschlafen. Der andere starrte mich noch immer an, als wäre ich eine Heilige.

»Ich fass den Scheiß nicht.« Ich blickte auf mein Handy, überlegte kurz, die Polizei zu rufen, damit sie die beiden rausbeförderte, aber eigentlich fehlte mir die Kraft dazu. Ich kam gerade von einer dreiwöchigen Promotour mit dem Cast von Undercurrents zurück. Wie Gabriela vorhergesagt hatte, war die Verkündung der zweiten Staffel wie eine Bombe eingeschlagen. In den vergangenen Wochen hatte ich so viele fremde Menschen umarmt, in Kameras gelächelt, Fragen beantwortet und Interviews gegeben, dass mir die Gesichtsmuskeln wehtaten. Und nun kam ich nach Hause und fand meine Schwester mit zwei fremden Typen vor, die nichts Besseres zu tun hatten, als sich bei mir volllaufen zu lassen und die Show anzuschauen, mit der ich als Kind berühmt geworden war.

»Kriegst du echt Flossen, wenn du nass wirst?«, fragte der Typ.

Ich rollte mit den Augen, sah zu meiner Schwester, die schon wieder selig schlief, und wandte mich ab. »Ich geh ins Bett.«

»Darf ich mitkommen? Hab noch nie ’ne echte Schauspielerin gebumst.«

»Dann wird das heute sicher nicht dein erstes Mal werden.« Ich durchquerte mein Apartment, ging zu meinem Schlafzimmer, kickte die Schuhe von den Füßen und schloss hinter mir ab. Kaum war ich allein, sank ich mit dem Rücken an die Tür, lehnte den Kopf dagegen und atmete durch. Ich war extra früher aus Vegas zurückgekehrt, weil ich diesen Tag für mich hatte haben wollen, um zu entspannen.

Anscheinend würde daraus nichts werden.

2. Kapitel

Wyatt

»Ich bin der König der Welt!« Ich riss die Arme in die Höhe und ließ mir den Fahrtwind um die Nase wehen, während unser Cabrio an dem berühmten Hollywood Sign vorbeifuhr. Die Sonne ging hinter uns auf, es roch nach Meer, Abgasen und dieser speziellen Nuance, für die es keine richtige Beschreibung gab, die aber nach Freiheit und unendlichen Möglichkeiten duftete.

Ich warf den Kopf in den Nacken, lachte dem berühmten Symbol der Stadt entgegen und stieß einen Freudenschrei aus.

Hollywood.

Hier war ich also. Ich hatte es an den Ort geschafft, von dem ich als Kind stets geträumt hatte, wenn ich mit meinen Eltern und meinen Geschwistern auf der Couch gesessen und den neuesten Blockbuster mit reichlich Popcorn geschaut hatte.

»Setz dich gefälligst wieder hin, das ist kein verdammter Campingausflug.« Meine Schwester Zoe zupfte an meinem Shirt und bugsierte mich zurück auf den Sitz.

Ich brummte, hockte mich aber artig auf meinen Platz und wollte ihr einen Kuss auf die Wange geben, doch sie blockte ab.

»Ich müffle.«

»Du riechst zauberhaft.«

»Ja, nach vier Tagen Roadtrip glaub ich dir das sogar.«

Ich lachte. Zoe hatte mich vor knapp einer Woche in New York abgeholt. Wir hatten einen kurzen Zwischenstopp bei unserem Bruder Patrick in Ohio eingelegt und waren dann quer durchs Land gefahren. Es war eine tolle Zeit gewesen. Ich liebte es, mit meiner Familie abzuhängen.

»Außerdem gibt es nur einen König der Welt, und das ist …«

»… Leonardo DiCaprio«, sagten wir gleichzeitig.

»So ist es.« Sie seufzte. »Denk dran, mich sofort zuzuspammen, wenn du ihn triffst.«

»Falls ich ihn treffe.«

Sie winkte ab. »Ach, in Hollywood kennt doch jeder jeden.«

»Weiß nicht, ob das wirklich so läuft.«

»Du musst das schaffen, hörst du? In zwei Jahren werde ich fünfundzwanzig, danach hab ich keine Chancen mehr bei ihm.«

»Was ist das eigentlich mit ihm und den jungen Frauen?«

»Keine Ahnung, aber er ist Leo. Er kann tun, was er will.« Sie drehte den Kopf zu mir und funkelte mich an. Ihre schwarzen brustlangen Haare hatte sie zu einem losen Pferdeschwanz gebunden. Während der Fahrt hatten sich einige Strähnen gelöst und flatterten ihr jetzt ums Gesicht. »Aber auch, wenn du Leo nicht treffen solltest, will ich regelmäßige Updates. Ich brauch den neuesten Gossip, und vor allen Dingen will ich wissen, wie scharf Haley Sharp in der Realität ist.«

Ich schüttelte den Kopf und fragte mich, wie oft dieser Wortwitz wohl auf ihre Kosten gemacht wurde.

Noch hatte ich niemanden aus dem Cast von Undercurrents persönlich getroffen. Denn mein Mitwirken in der Show war ziemlich schnell zustande gekommen, nachdem Wes Burningham, der die Rolle des Damon ursprünglich hätte spielen sollen, kurzfristig abgesprungen war. Die Produzenten der Show hatten sich direkt an meine ehemalige Schule, die New York Music & Stage Academy, gewandt, wo ich vor drei Jahren meine Schauspielausbildung beendet hatte. Die Vorsprechen hatten parallel in New York und L.A. stattgefunden. Es war pures Glück gewesen, dass ich mich gegen fast zweitausend Bewerber durchsetzen konnte.

»Hast du dir schon einen neuen Agenten gesucht?«, fragte Zoe und bog Richtung Burbank ab, wo ich künftig wohnen würde. Die Produktion hatte mir das Apartment besorgt.

»Na klar. Morgen früh um acht treff ich mich mit einem.«

Sie warf mir einen skeptischen Blick zu. »Nicht dein Ernst.«

»Natürlich nicht! Das Casting für Undercurrents ist sechs Wochen her! Ich hab es gerade so geschafft, meine Sachen zu packen und alles für den Umzug zu regeln.«

»Aber du brauchst doch einen Agenten.«

»Ich find schon einen.« Joe, der mich in New York vertreten hatte, kam leider nicht mehr infrage. Er war mir von der NYMSA vermittelt worden. Die Agentur begleitete ehemalige Schüler bis zu drei Jahre nach ihrem Abschluss, um ihnen den Start ins Business zu erleichtern. Mein Vertrag wäre also diesen Herbst sowieso ausgelaufen. Joe hatte mir noch geholfen, alles mit der Produktion von Undercurrents zu regeln, dann hatten sich unsere Wege getrennt.

»Diese Stadt ist ein Haifischbecken«, sagte Zoe. »Ich will, dass du jemanden an deiner Seite hast, der dir hilft, darin zu schwimmen.«

»Wo ich ja so gern schwimmen gehe.«

»Ich mein das ernst.«

»Ist mir klar, aber im Moment besteht kein Handlungsbedarf. Meine Verträge sind geklärt, ich bin bei der Show für die nächsten vier Monate. Während der Zeit kann ich mich umhören. Bestimmt lern ich jede Menge Leute kennen, die einen Agenten haben, und kann mich irgendwo dranhängen.«

Sie schnaubte. »Manchmal machst du mich wahnsinnig mit deiner Gelassenheit.«

»Mit der ich schon ziemlich weit gekommen bin.« Meine Aufnahme an der NYMSA war ähnlich gelaufen. Ich war einfach für einen Tag nach New York geflogen, hatte die Monologe, die ich vortragen wollte, auf dem Flug vorbereitet und war sechs Wochen später angenommen worden. »Man muss nicht immer alles zerdenken.«

»Nein, aber ein bisschen Planung ist sinnvoll.«

»Ich krieg das schon hin.«

Sie bog nach links in eine Seitenstraße ab. Ein großer weiß-grauer Apartmentkomplex mit dem Schriftzug Luminous Heights wartete dort auf uns. Die Bäume am Straßenrand waren akkurat geschnitten, der grüne Rasen frisch gemäht, und ein älterer Mann in einem Overall goss gerade Blumen. Das Ganze wirkte luxuriöser, als ich erwartet hatte.

Ich pfiff durch die Zähne. »Nicht schlecht.« In New York hatte ich mir erst ein kleines Zwei-Zimmer-Apartment mit meinem Mitschüler Grayson geteilt. Es war nichts Besonderes gewesen, aber wir hatten uns wohlgefühlt. Nach meinem Abschluss an der NYMSA war ich für drei Monate von Freund zu Freund gezogen und hatte teilweise auf dem Boden geschlafen, bis ich ein Zimmer gefunden hatte, das jemand zur Untermiete für sechs Monate abgegeben hatte. Es war in der Bronx gewesen, und ich hatte gefühlt den halben Tag damit zugebracht, quer durch die Stadt zu fahren. Danach hatte ich ein Zimmer Downtown gehabt, aber da war es so laut gewesen, dass ich kaum zur Ruhe gekommen war. New York war ein Abenteuer, was das Wohnen anging. Die Mieten waren horrend und die Räumlichkeiten meist klein. Dort eine anständige Bleibe zu finden, war ein Glücksgriff.

Zoe fuhr in die große Einfahrt und suchte auf den Hinweisschildern nach der Anmeldung. Wir hatten uns gestern auf ihr Drängen hin die Seite im Internet angeschaut. Sie hatte sich gerade so einen Kommentar wie: »Informierst du dich nicht vorher, wo du wohnst?«, verkniffen.

»Da vorn ist es.« Zoe bog nach links ab und fuhr auf ein großes weißes Gebäude zu. Die Hauszentrale war nur tagsüber besetzt. Man konnte hier seine Kleidung in die Wäscherei geben, Briefe und Pakete abholen, den Hausmeister beauftragen, wenn was in der Wohnung gemacht werden musste, und sogar seinen Hund Gassi führen lassen.

»Oh, und sieh mal da drüben.« Sie deutete nach rechts. Ich blickte durch zwei Häuserkomplexe hindurch und entdeckte einen von vier Pools, die auf dem Gelände verteilt waren. Er war von Palmen gesäumt.

»Was sollen eigentlich deine ständigen Verweise aufs Schwimmen?«

»Ich finde, dass du es endlich lernen solltest. Du wohnst direkt am Meer!«

»Da gibt es Haie.«

»Die Wahrscheinlichkeit, von einem Hai gebissen zu werden, ist viel geringer, als von einem Blitz getroffen zu werden.«

»Diese unglaubliche Statistik werde ich dem Hai vor die Nase halten, wenn er seine Zähne in meiner Wade versenkt. Du kannst dann ja der Filmproduktion erklären, warum ihr neu gecasteter Schauspieler nur noch ein Bein hat.«

Sie rollte mit den Augen. »Du bist echt theatralisch.«

Ich fasste mir an die Stirn, warf den Kopf in den Nacken und sagte dann in einem künstlich affektierten Ton: »Das ist mein Job.«

Sie lachte und parkte den Wagen vor der Anmeldung. Ich stieg mit ihr aus und betrachtete die Gebäude um uns herum. So etwas fand man in New York tatsächlich nicht. Die Anlage strahlte trotz der grau-weißen Farbe ein mediterranes Flair aus. Überall waren geschickt Palmen und Hecken gepflanzt, und es duftete ganz leicht nach Apfelsinen. Die Häuser hatten vier Stockwerke mit Balkonen, die oberen auch eine Dachterrasse.

»In welchem Apartment wohnst du denn?«

»In einem von denen.« Ich machte eine ausladende Geste.

»Das hast du auch nicht vorher erfragt?«

Ich blickte sie an und schenkte ihr ein breites Lächeln.

Sie seufzte, ich hakte mich lachend bei ihr unter und ging mit ihr zur Anmeldung. Das einzige Gebäude, das nur ein Stockwerk besaß. An der einen Seite war eine Sofaecke aufgebaut, in der Mitte ein langer Tresen. Rechts die Briefkästen sowie einige Plätze mit Rechnern, die man anscheinend nutzen konnte.

Zoe trat mit einem offenen Lächeln auf die junge Frau zu, die gerade etwas in ihren Computer tippte. Ich blickte mich in dem Gebäude um, während Zoe wartete, bis die Frau ihr Aufmerksamkeit schenkte.

An der linken Wand war ein Grundriss der Anlage aufgehängt. Am westlichen Eingang gab es sogar ein Café und einen Fitnessraum. Auch einzelne Apartments waren abgebildet. Einige bestanden aus zwei Stockwerken und hatten eine atemberaubende Aussicht auf die Stadt, während die auf der anderen Seite auf einen Park blickten und manche ganz banal zum Innenhof zeigten. Langsam kroch nun doch Nervosität hoch, denn ich hoffte, dass mir die Produktion eins der Apartments mit der besten Aussicht besorgt hatte. Es wäre ein Traum, jeden Morgen mit Blick auf die Stadt aufzuwachen.

»Können wir?« Zoe hielt mir drei Schlüssel vor die Nase und grinste.

Kurz überlegte ich, sie zu fragen, welches Apartment mir zugewiesen wurde, aber dann würde sie nur mit den Augen rollen und mir sagen, dass ich so etwas vorher klären sollte. Ich nahm den Schlüsselbund entgegen und fummelte einen von dem Ring, während Zoe und ich die Anmeldung verließen.

»Hier.«

»Was? Im Ernst?«

»Falls du mich spontan besuchen magst. Du bist jederzeit willkommen.«

»Ich würde nie einfach so bei dir auftauchen, sondern vorher anrufen.«

»Natürlich würdest du das, aber falls es dich überkommt, hast du eine Bleibe.« Außerdem liebte ich Überraschungsbesuche.

»Danke.« Sie nahm ihren eigenen Schlüsselbund aus der Tasche und fädelte meinen daran. »Wenn Leonardo DiCaprio auf deiner Couch sitzt, sag sofort Bescheid. Ich lass alles stehen und liegen und setz mich in den nächsten Flieger.«

»Deal.« Wir gaben uns ein High five. Ich schnappte mir rasch einen Rucksack aus dem Kofferraum, und Zoe nahm ihre Umhängetasche. Den Rest würde ich holen, wenn wir das Apartment angeschaut hatten. Viel hatte ich sowieso nicht eingepackt. Da ich in den letzten Monaten so oft umgezogen war, war ich es gewohnt, mit leichtem Gepäck zu reisen.

Wir folgten der Beschilderung quer durch die Anlage. Auf dem Weg kamen uns zwei junge Männer entgegen, die anscheinend gerade vom Joggen zurückkehrten. Sie trugen durchgeschwitzte Sportkleidung, einer tippte auf seiner Pulsuhr herum. Beide sahen absolut umwerfend aus. Braun gebrannt, durchtrainiert, einer blond, der andere braunhaarig. Der Dunklere lächelte uns zu. Ich erwiderte es sofort.

»Hi«, sagte ich.

»Hey.«

»Ich zieh heute ein, gibt es hier gute Laufwege?«

»Ja, am westlichen Ausgang raus, dann rechts die Straße runter in den Park. Der ist zwar nicht groß, aber es gibt Geräte, wo man im Freien trainieren kann. Dauert ungefähr zwanzig Minuten, wenn man die ganze Runde mitnimmt.«

»Nett.«

Er grinste mich noch offener an und fuhr sich durch die verschwitzten Haare. »Ja, das ist es. Der Fitnessbereich ist rund um die Uhr geöffnet.« Er deutete nach hinten über seine Schulter. »Am leersten ist es gegen Abend oder ganz früh. Kannst alles frei verwenden.«

»Das werde ich, danke.«

»Dann sehen wir uns sicher.«

»Ich freu mich.«

Er nickte mir zu und folgte seinem Kumpel, der nur kurz aufgeschaut hatte und uns nicht viel Beachtung schenkte.

Zoe schnalzte mit der Zunge. »Du schaffst das doch jedes Mal.«

»Was?«

»Kaum bist du irgendwo, kriegst du sofort Aufmerksamkeit. Das hat jetzt wie lang gedauert? Fünf Minuten?«

»Das war nur ein bisschen Small Talk.«

»Du bist wie so ein drolliger Labradorwelpe, der schwanzwedelnd einen Raum betritt. Alle wollen ihn streicheln.«

»Vergleichst du mich ernsthaft mit einem Hund? Das ist ziemlich unsexy.«

»Ich bin deine Schwester, natürlich ist das unsexy. Und keine Sorge, so wie der Typ dich eben angeschaut hat, überlegt er bereits, wann und wie er dich das nächste Mal treffen kann. Von wegen, das Fitnessstudio hat rund um die Uhr geöffnet.« Sie tippte sich ans Augenlid. »Dann noch der dezente Hinweis, wann es am ruhigsten ist. Schon klar.«

»Er wollte nur höflich sein.«

»Jaja.« Sie tätschelte mir den Scheitel, ich wehrte ihre Hand ab.

»Zerstör nicht meine Frisur, wer weiß, welche heißen Menschen uns noch begegnen.«

»Zum Glück gibt es da nicht viel zu zerstören. Bin gespannt, ob dich die Produktion zum Friseur schickt.«

»Glaub ich nicht. Die haben mir extra gesagt, dass ich mir die Haare nicht kürzer schneiden darf als beim Casting. Denke, dass sie einen bestimmten Look für Damon wollen.« Das war normal. Sobald man einen Vertrag hatte, wurde festgelegt, was man am Äußeren ändern durfte und was nicht. Auch gewisse Sportarten waren für mich tabu, und ich musste auf mein Gewicht achten. In den letzten Wochen hatte ich mir für Damon einiges an Muskelmasse antrainiert. Er war der klassische Schönling mit Sixpack, braun gebrannter Haut und einem strahlenden Lächeln. Sogar meine Zähne hatte ich aufgehellt.

»Wir müssen in das Gebäude.« Zoe zeigte nach links auf das Haus in der Mitte. Die Apartments hinten raus wären die mit der Aussicht auf die Stadt und die vorne mit der auf den Innenhof.

Ich sah meine Schwester erwartungsvoll an, doch sie gab mir nicht den geringsten Hinweis darauf, was mich erwartete. Am Eingang hielt ich den Schlüssel an den Sensor. Die Tür klickte, ich drückte sie auf und trat mit Zoe ein.

»Welches Stockwerk?«, fragte ich.

»Das dritte.«

Also schon mal nicht ganz oben. Schade eigentlich. Ich hätte gern auf meiner Dachterrasse gesessen, einen Kaffee geschlürft und auf die untergehende Sonne geblickt. Falls ich für so etwas überhaupt Zeit hatte. Der Drehplan war extrem eng getaktet, weil durch den Weggang von Wes einiges verzögert worden war. Produktionen waren teuer, und jeder vergeudete Tag konnte im Desaster enden.

Wir gelangten auf meine Etage, wo es zwei Apartments gab. Eins rechts, eins links. Eins mit Innenhofflair, das andere mit bester Aussicht. Zoe hielt inne und musterte mich mit einem fast schon diabolischen Grinsen.

»Na? Neugierig?«, fragte sie gedehnt und wippte dabei auf und ab.

»Ein wenig.«

Zoe seufzte leise und bog nach rechts ab. Das Innenhofflair. Sie hob die Arme und blickte mich mitleidig an. »Tut mir echt leid, Wyatt. Für dich wird es die nächsten Monate keine Aussicht geben. Du kannst ja nach dem süßen Typen von eben geiern. Bestimmt kommt er an deinem Fenster vorbei, wenn er joggen geht.«

Ich legte den Kopf schräg. »Wenn ich so schlecht schauspielern würde wie du, hätte ich nur Statistenrollen.«

»Ich mein das ernst! Hier drüben ist deins.«

Ich ignorierte Zoe, bog nach links ab. Als ich vor der Tür ankam, zückte ich meinen Schlüssel.

»Der wird nicht funktionieren«, flötete sie.

Ich schloss die Finger fester darum, und ganz kurz überkam mich die Sorge, dass sie recht haben könnte. Ein Apartment zum Innenhof war sicherlich kein Beinbruch, aber das hier wäre tausendmal schöner. Ich atmete durch, hielt den Schlüssel an den Sensor und wartete auf den Pieps.

Der nicht kam.

Scheiße.

»Ich hab es dir gesagt. Tut mir wirklich leid. Ich würde nie Witze über so etwas machen.«

Ich nahm den Schlüssel weg und rieb ihn an meinem Hosenbein sauber.

»Vergiss es, Wyatt.«

»Ich hör dich nicht.«

Ich hielt ihn erneut vor den Sensor.

Pieps.

Klick.

Sag ich doch.

»Ich schenk dir eine goldene Himbeere.« Ich warf Zoe einen Blick über meine Schulter zu und trat ein. Als Erstes eröffnete sich mir ein großflächiger heller Wohnraum, der auf der gegenüberliegenden Seite an bodentiefen Fenstern und einem kleinen Balkon endete. Der Boden war mit Holzdielen ausgelegt, die Wände weiß gestrichen. Zu meiner Linken ging es in eine schmale Küchenzeile, rechts führten zwei weitere Türen ab, es gab sogar einen eingebauten Kamin und …

»Oh, warte.« Ich trat in den Wohnbereich und starrte auf die Treppe, die nach oben führte. »Ich fass es nicht.«

Hatte ich echt eine Maisonette?

»Zoe, komm sofort her.«

Ich ließ den Rucksack fallen, eilte die Treppe nach oben und stieß einen langen Pfiff aus, als sich weitere Wohnfläche vor mir erstreckte. »Das ist unglaublich!«

Der zweite Stock bestand aus einem geräumigen Schlafzimmer. Wo unten die Küche war, ging es hier in einen Ankleideraum, rechts waren das Badezimmer und ein kleines Büro. Die Türen standen offen, sodass ich in jeden Raum spähen konnte. Aber das Beste war das, was ich jeden Morgen sehen würde, wenn ich die Augen öffnete: der Blick auf L.A. Von meiner eigenen Dachterrasse aus!

Ich riss eine der Türen auf und trat nach draußen. Die Geräusche der Stadt empfingen mich. Es wehte eine angenehme, sanfte Brise, die ich sofort tief einsog.

UNFASSBAR!

Zoes Schritte näherten sich, und kurz darauf blieb sie neben mir stehen. »Tja, du hast nicht nur den unwiderstehlichen Charme eines Labradors, sondern auch verdammt viel Glück. Dir liegt quasi die Stadt zu Füßen.«

»Ein Zeichen?«

»Ja, eins, dass du jetzt nicht größenwahnsinnig werden sollst.«

»Davon würdest du mich eh abhalten.«

»Worauf du dich verlassen kannst.«

Ich riss die Arme in die Höhe und stieß einen weiteren Freudenschrei aus. Vielleicht würde ich Leo als König der Welt vom Thron schubsen.

3. Kapitel

Haley

Ein Vibrieren weckte mich. Ich drehte mich auf die andere Seite und versuchte, es zu ignorieren, aber leider gab es nicht auf. Verschlafen tastete ich herum und fand schließlich mein Handy, das in Dauerschleife um meine Aufmerksamkeit buhlte. Ich blinzelte und blickte aufs Display. Gabriela. Mit einem Stöhnen ließ ich mich in die Kissen fallen, rieb mir über die Stirn und gab mir ein, zwei Atemzüge, ehe ich abnahm. »Hallo?«

»Hab ich dich geweckt?«

»Ja.«

»Tut mir leid, ich dachte, du hast längst ausgeschlafen. Es ist kurz nach neun.«

Das machte dann knapp vier Stunden Schlaf. Yeah. »Was gibt es?«

Gabriela zögerte, ehe sie antwortete. Es raschelte im Hintergrund, als würde sie Papiere sortieren. »Ich hab gute Neuigkeiten, Haley. Wie gesagt, hab ich den Schwung eurer Promotour genutzt und bei Produzenten vorgefühlt. Gerade hab ich mit der Assistentin von Lyle Matthews gesprochen.«

Schlagartig war ich hellwach. Lyle Matthews war an der Spitze Hollywoods. Der Typ produzierte mit seinem Freund Malcom McLeash einen Blockbuster nach dem anderen und hatte auch schon Oscars dafür kassiert. Wer mit diesem Dream-Team arbeitete, stieg automatisch in den Film-Olymp auf.

»Lyle ist für heute Mittag kurzfristig ein Geschäftspartner abgesprungen. Wir müssen also keine vier Wochen auf ein Meeting mit ihm warten, sondern können gleich loslegen.«

»Wann?«

»Um zwölf Uhr.«

Ich blinzelte, rieb mir über die Stirn. »Und wo?«

»Im Golden Sunset Hotel. Da wohnt er zurzeit.«

»Okay.« Das war ein neu errichtetes Hotel am Olympic Boulevard. Von mir aus knapp zwanzig Minuten Fahrt, falls kein Verkehr herrschte. Ich hätte also reichlich Zeit, mir mit jeder Menge Make-up die Ringe unter den Augen wegzuschminken. »Schaff ich. Was soll ich anziehen?«

»Etwas Figurbetontes, aber nichts Aufreizendes. Legerer Businessstyle.«

»Verstanden.«

»Ich treff dich vor dem Hotel.«

»Bis nachher.«

Ich legte auf, nahm das Handy zwischen die Finger und stieß einen Freudenschrei aus.

Ich würde heute Lyle Matthews treffen! Wenn ich einen guten Eindruck hinterließ, könnte das endlich mein Sprungbrett werden.

»Ich schaff das. Es wird super.« Ich legte das Handy weg, streckte meine Glieder und gähnte herzhaft. Als Erstes würde ich duschen, meine Haare waschen, Kur draufpacken, frühstücken, solange sie einwirkte, und dann …

Ein Rumpeln ließ mich zusammenzucken. Jemand lachte, es rumpelte erneut, und da erst fiel mir wieder ein, dass ich nicht allein in meinem Haus war.

Ich stöhnte, warf die Bettdecke zur Seite und schnappte mir meinen Morgenmantel. Draußen lachte ein Typ, woraufhin Page ihn anzischte, er solle leise sein. Ich öffnete die Tür und trat in den Flur. Die beiden standen an der geöffneten Haustür und knutschten, als wäre das die letzte Gelegenheit, je wieder einen Menschen zu küssen. Er hatte die Hand auf ihrem Hintern, sie ihre Finger in sein Shirt gekrallt. Das war der, mit dem sie auf der Couch geschlafen hatte, sein Kumpel stand neben ihm am Türrahmen und rauchte eine Zigarette.

»Hey!«, sagte ich und trat näher.

Page und der Fremde fuhren auseinander. Meine Schwester sah mich aus rot geränderten Augen an. Ihre silbern gefärbten Haare hatte sie zusammengebunden, sie trug nach wie vor nur ein langes T-Shirt, das ihr bis fast zu den Knien ging.

»Raus mit euch«, sagte ich zu den beiden Typen, die mich dümmlich angrinsten.

»Aber wir könnten auch zu viert ’ne Runde …«, sagte der mit der Zigarette.

»Das hat heute Morgen schon nicht funktioniert. Jetzt schleicht euch.« Ich trat zu ihnen, schob sie zur Tür raus und sperrte hinter ihnen ab.

»Was soll das denn?« Page sah mich entgeistert an.

»Das Gleiche könnte ich dich fragen. Das ist mein Haus! Du kannst nicht einfach Fremde herbringen.«

»Das waren keine Fremden. Ihre Namen sind George und Cassidy. Wir haben uns gestern kennengelernt.« Sie durchquerte den Wohnraum und ging zur offenen Küche.

Ich folgte ihr. »Also seid ihr quasi Besties.«

»So ist es.«

»Dann hättest du sie auch mit zu dir nehmen können, statt bei mir die Sauerei zu veranstalten.« Ich ließ meinen Blick durchs Wohnzimmer wandern, wo es nach wie vor so katastrophal wie vor ein paar Stunden aussah.

»Deine Bude ist größer und schöner. Zudem waren wir in der Nähe und wollten nicht durch die halbe Stadt in meine Wohnung. Du wolltest doch erst heute Mittag heimkommen, bis dahin hätte ich längst aufgeräumt.«

»Und mir nie gesagt, dass du hier gefeiert hast?«

»Natürlich hätte ich das. Für wen hältst du mich?«

Für meine Schwester, die zurzeit außer Kontrolle war. »Du bist immer willkommen, Page, sonst hätte ich dir auch keinen Schlüssel gegeben, aber ich möchte nicht, dass du Leute mitbringst, die ich nicht kenne. Ist das denn so schwer zu begreifen?«

»Keine Sorge, die beiden haben nichts mitgehen lassen. Die haben dich nicht mal gekannt, bis ich ihnen sagte, wo du mitgespielt hast.« Sie schaltete den Kaffeeautomaten an und nahm sich eine Tasse aus dem Schrank.

»Darum geht es nicht. Mir ist es egal, ob das Fanboys waren oder nicht.«

»Cassidy meinte aber vorhin, dass du als Jugendliche heiß ausgesehen hättest.«

»In der Szene, die er sich angeschaut hat, war ich gerade mal zwölf! Wenn er das heiß fand, ist das sehr bedenklich.«

Page winkte ab, öffnete einen weiteren Schrank, wo ich Haferflocken, Kekse und Cereals aufbewahrte. Sie schnaubte, als sie die Packung mit den Cinnamon Swirls entdeckte. Eine Marke, für die ich mit sechzehn Werbung gemacht hatte. Page nahm sie heraus, drehte sich zu mir um und sang dann: »Cinnamon Swirls. Ein Duft von Zimt und Freude in jedem Bissen.«

Ich rollte mit den Augen, weil ich das Werbelied, das ich einen ganzen Sommer lang hatte singen müssen, genauso wenig hören konnte, wie ich die Swirls essen wollte.

Page nahm sich eine Schüssel, schüttete die Swirls hinein und öffnete den Kühlschrank. »Hast du keine normale Milch? Nur das Haferzeug?«

»Ja. Leb damit oder bleib hungrig.«

Sie stöhnte, nahm die Hafermilch und ertränkte ihre Swirls darin. Ich trat um die Küchenzeile herum und holte einen Löffel für sie aus der Schublade.

»Danke.« Page setzte sich mit ihrem Frühstück auf die Arbeitsplatte und ließ die Beine baumeln, während ich uns Kaffee machte. »Willst du auch?«, fragte sie und hob die Schüssel.

»Auf keinen Fall. Danke.«

»Warum hast du sie dann, wenn du sie nicht magst?«

»Weil mir die Firma jeden Monat zehn Packungen schickt, obwohl ich schon zigmal gesagt hab, dass ich sie nicht will. Ich spende sie normalerweise.«

»Du kriegst ständig Sachen geschenkt! Allein diese Goodie-Bags, die du auf Partys einfach so bekommst.«

»Du kannst dir gern was mitnehmen.« Von Uhren über Parfüms zu Make-up, manchmal sogar Unterwäsche, war alles dabei. Das meiste behielt ich allerdings nicht. Bis auf die Periodentasse. Die Beste, die ich je benutzt hatte.

»Na klar. Ich bin deine Abnehmerin für alles.« Sie stopfte sich einen weiteren Bissen in den Mund. Ich reichte ihr den Kaffee und goss Hafermilch in meinen.

»Mir würde es reichen, wenn du die Aufräumerin für mein Haus bist.« Ich deutete auf den Saustall.

Page seufzte und trank den Rest Milch aus der Schüssel. »Du hast doch bestimmt eine Putzfrau.«

»Die kommt erst in zwei Tagen. Ich hab nicht vor, so lange den Dreck rumliegen zu lassen.«

»Du bist eh nie da, da fällt es doch gar nicht auf.«

»Page!«

»Ist gut. Ich räum auf. Hilfst du mir?«

»Ich kann nicht, ich muss mich fertig machen. Hab einen Termin zum Lunch.«

»Mit einem wichtigen Hollywoodtypen?«

»Ich …« … durfte eigentlich nicht darüber sprechen. Deals wie diese standen und fielen damit, wie gut man sie geheim halten konnte. Viele Produzenten teilten Infos unter der Hand mit, und sobald rauskam, dass man geredet hatte, wurde man abgesägt. Ich liebte meine Schwester, aber sie war nicht unbedingt die Verantwortungsvollste. »Mal sehen, was sich ergibt.«

Sie schnaubte, sprang von der Küchentheke und stellte die Schüssel ab. Ich rollte mit den Augen und packte sie in die Spülmaschine.

»Kannst du mir mit fünfhundert Dollar aushelfen?«, fragte sie, als ich die Maschine schloss.

»Was?«

»Ich muss ein paar Sachen einkaufen und hab gerade keine Kohle mehr. Brauch erst einen neuen Job.«

»Was ist mit dem alten passiert?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ach, die vom Theater fanden es nicht lustig, dass ich ein paar Freunde in die Show gelassen habe.«

»Umsonst?«

»Ja klar.«

»Ich fass es nicht.« Der Job als Platzanweiserin im Pantages Theatre war der fünfte in einem halben Jahr, den sie verlor.

Sie winkte ab. »Ich find bald was Neues. Brauch nur ein bisschen Kohle zur Überbrückung.«

»Ich …« Am liebsten hätte ich Nein gesagt. Natürlich hatte ich das Geld. Ich hatte mit Savannah gut verdient und mir Rücklagen geschaffen, weil man nie wissen konnte, wann die nächste Rolle reinkam. Auch mein Geld aus Undercurrents wanderte in Aktien und Fonds für meine Zukunft. Trotzdem hatte ich noch lange nicht ausgesorgt. In Hollywood zu leben, war extrem teuer. Ich finanzierte nicht nur mein Haus und das meiner Mutter, ich musste mir auch ständig neue und exklusive Klamotten kaufen, um auf den roten Teppichen zu glänzen. Ich brauchte zig Schönheitsprodukte, einen Haarstylisten für Auftritte und einen Personal Trainer. Allein diese alltäglichen Dinge fraßen vierstellige Summen im Monat.

»Bitte?«, fragte sie und sah mich forschend an. Ich hasste es, wenn sie das tat. Weil ich dann nicht Nein sagen konnte. Weil wir beide wussten, dass fünfhundert Dollar nicht viel Geld für mich waren. Weil sie meine Schwester war, die ich liebte. Egal, wie anstrengend sie sein konnte.

»Ich schick dir was per PayPal.«

»Danke! Du bist die Beste!« Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange. Ich schob sie weg. Page durchquerte das Wohnzimmer, öffnete die Fenster zur Dachterrasse und trat nach draußen.

»Da wirst du keine Putzsachen finden«, rief ich ihr nach.

»Aber Sonne und eine bequeme Liege! Ich liebe deine Loungemöbel.«

Ich schüttelte den Kopf, trank meinen Kaffee aus und stellte die Tasse ebenfalls in die Spülmaschine. Dann trottete ich zurück durchs Wohnzimmer Richtung Bad. Beim Anblick des Chaos packte mich das nackte Grauen, aber ich hatte keine Zeit, mich darum zu kümmern.

Ich musste meinen Fokus auf diesem Termin halten.

4. Kapitel

Haley

Das Golden Sunset war eins der beeindruckendsten Gebäude in L.A. Ein vierzehnstöckiges, imposantes Haus mit einer golden verspiegelten Glasfront in der Form eines C. Auf dem Vorplatz stand eine preisgekrönte kugelförmige Skulptur irgendeines italienischen Künstlers. Sie war eine Art Springbrunnen, der ständig die Farbe je nach Wetterlage wechselte, sodass es aussah, als würde sich der Himmel in der Oberfläche spiegeln.

Ich parkte meinen Wagen vor dem Hotel und stieg aus. Die Kugel war gerade in schillernde Blautöne getaucht, genau wie der wolkenlose Himmel über L.A.

Suchend blickte ich mich nach meiner Agentin um und sah sie winkend vor dem Eingang stehen. Ich richtete meine Bluse und zupfte am Ausschnitt herum. Wie von Gabriela gewünscht, hatte ich ein elegantes Outfit mit einem legeren Touch gewählt. Enge Kunstlederleggings, High Heels, ein Oberteil, das sich perfekt anschmiegte und nur so viel Haut freigab, dass es unaufdringlich wirkte. Die Haare hatte ich frisch gestylt und in Beachwaves gedreht. Fürs Make-up hatte ich fast eine Stunde gebraucht, dafür sah es absolut natürlich aus und nicht, als hätte ich fünf Schichten Concealer aufgetragen, um meine Augenringe abzudecken.

Page hatte noch immer nicht aufgeräumt, als ich fertig gewesen war. Sie hatte gemütlich auf der Terrasse gechillt und mit einer Freundin telefoniert. Ich war einfach gegangen. Vermutlich wäre sie bis heute Abend wieder weg. Das tat sie gern. Tauchte auf, blieb für ein paar Tage und verschwand danach für Wochen. Nicht mal unsere Mutter wusste immer, was sie gerade trieb, und die hatte noch das beste Verhältnis zu ihr.

»Hi«, grüßte ich Gabriela.

»Lyles Assistentin hat geschrieben und gesagt, dass wir ins Penthouse kommen sollen. Er würde uns dort empfangen.«

»Okay. Sind wir dann zu viert?«

»Nein, sie ist nicht dabei.«

Ich nickte und folgte ihr Richtung Eingang. An den großen Glastüren warteten zwei junge Männer, die uns freundlich zunickten. Die Türen gingen automatisch auf, und wir betraten die ausladende Lobby. Gabriela lief zielstrebig zum Concierge und meldete uns an, während ich mich um die eigene Achse drehte und das Ambiente in mich aufsog. Auch hier setzte sich das Farbschema des Himmels fort, sodass man das Gefühl hatte, nicht in einem Gebäude zu stehen. Es duftete leicht nach Orangen und Salz. Ich schloss kurz die Augen, sammelte mich und bemühte mich, meine Aufmerksamkeit bei diesem Termin zu halten.

»Wir sollen zu den Aufzügen«. Gabriela deutete nach links.

Ich folgte ihr, betrachtete in den verspiegelten Wänden mein Outfit und zupfte es noch mal zurecht. Gabriela tippte eine Nachricht auf ihrem Handy.

»So ein Mist.«

»Alles klar?«

»Ach, es geht um unseren Hund. Wir haben uns vor vier Tagen einen Welpen gekauft.«

»Oh, Glückwunsch! Davon hast du schon lang gesprochen. Für deine Tochter ist das bestimmt toll.«

Wir traten in einen Aufzug, und Gabriela drückte das P fürs Penthouse. Da er sich gleich in Bewegung setzte, war das Stockwerk wohl für uns freigeschaltet worden. »Sue blüht total auf, aber leider hat er seit zwei Tagen Durchfall. Die Züchterin meinte, es sei normal, doch der Kleine leidet sehr.«

»Wart ihr beim Tierarzt?«

»So schlimm ist es noch nicht, aber wenn es nicht besser wird, geh ich morgen mit ihm.«

Ein leises Ping ertönte, und kurz darauf glitten die Aufzugtüren auf. Gabriela packte das Handy weg und trat mit mir ein.

Vor uns erstreckte sich das schönste Penthouse, das ich seit Langem gesehen hatte. Die gegenüberliegende Wand bestand praktisch nur aus Fenstern und bot einen atemberaubenden Blick auf die Stadt. Die Einrichtung war modern gehalten, ein wenig kühl vielleicht. Es gab keine richtigen Türen, nur geschickt aufgestellte Raumtrenner. Leise Klaviermusik spielte aus unsichtbaren Lautsprechern.

»Mister Matthews?«, rief Gabriela.

»Sekunde!«, erklang es von rechts. »Bin gleich da! Setzt euch, nehmt euch was zu trinken.«

Gabriela gab einen leisen, frustrierten Laut von sich. Sie hasste es, zu warten. »Willst du was trinken?« Sie deutete zur Bar. An der hinteren Wand waren zig Flaschen aufgereiht, von Alkohol bis zu Säften gab es alles.

»Im Moment nicht, danke.«

Sie goss sich Wasser aus einer Karaffe ein, die auf der Theke bereitstand. Ein weiteres Mal zückte sie ihr Handy und rief ihre Nachrichten ab. Ich trat zu dem Ethanolkamin, der ebenfalls als Raumtrenner zwischen Wohnbereich und Bibliothek diente. Ich wollte schon immer so ein Teil haben. Er gab keine Wärme ab, flackerte nur still vor sich hin und verbreitete dabei eine wohlige Atmosphäre.

»Mei, kannst du noch mal checken, ob die Verträge für Ella da sind?«, hörte ich Gabriela hinter mir sagen. Ich blickte über meine Schulter zurück und sah, dass sie eine Sprachnachricht aufnahm. Mei war eine ihrer Mitarbeiterinnen. »Wenn Nebula uns weiter hinhält, können sie sich eine Zusammenarbeit abschminken.«

Ich spitzte die Ohren. Nebula Film war eine Produktionsfirma, die in den letzten Jahren einige große Blockbuster produziert hatte. Und Ella war die aufstrebende Zwanzigjährige, die Gabriela vertrat. Wenn sie mit Nebula arbeitete, würde sie das noch weiter nach oben pushen.

Ehe ich es verhindern konnte, kochte der Neid in mir hoch. Ella bekam genau das, wonach ich mich seit Jahren sehnte. Vom Typ her waren wir uns recht ähnlich. Braune Haare, zierliche Figur, blaue Augen. Ich hatte sogar mehr Erfahrung in der Filmbranche vorzuweisen, und dennoch schaffte ich es nicht mal ansatzweise, mir solche Projekte zu angeln wie sie. Vermutlich sollte ich Gabriela dankbar sein, dass sie mich zu diesem Treffen mit Lyle mitgenommen hatte und nicht sie.

Es sei denn, sie hat es längst hinter sich gebracht.

»Es tut mir so leid«, hörte ich eine tiefe Männerstimme, und kurz darauf tauchte Lyle Matthews auf. In Jogginghose, einem T-Shirt und barfuß. Seine noch nassen Haare rubbelte er gerade mit einem Handtuch trocken, das er achtlos auf einen der Stühle im Essbereich warf.

Das war … unerwartet. Ich hatte damit gerechnet, einen leicht schmierigen Typen im Anzug zu treffen. Stattdessen kam dieser locker gekleidete, eins neunzig große, gut aussehende Mann mit einem einladenden Lächeln auf mich zu.

»Heute ist ein Tag aus der Hölle. Was nicht für euch gilt. Es ist toll, dass ihr da seid.«

»Mister Matthews«, sagte Gabriela. »Schön, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.«

»Oh, bitte nennt mich Lyle!« Er deutete zum Esstisch. »Wollt ihr euch setzen? Habt ihr Hunger? Ich sterbe vor Hunger und würde was bestellen.«

»Ich …« Unsicher rieb ich mir über den Bauch. Durch die ganze Aufregung heute Morgen hatte ich noch nichts gefrühstückt.

»Du siehst hungrig aus«, sagte Lyle.

»Bin ich tatsächlich auch.«

»Na, perfekt. Was haltet ihr von vegetarischen Burgern? Die haben die besten im Haus. Ich hab mich die letzten Tage quer durch die Speisekarte gegessen und kann sie echt empfehlen.«

»Burger?«, wiederholte Gabriela.

»Ja, oder grätscht das in irgendwelche Diäten rein?«

»Nein, ich bin dabei.« Zum Glück musste ich keine Kalorien zählen wie manche meiner Kolleginnen oder Kollegen. Ich hatte von Natur aus einen guten Stoffwechsel.

»Ich würde etwas Kleines nehmen«, sagte Gabriela.

»Du verpasst was.«

»Das ist in Ordnung.«

»Also gut. Ich bestell rasch, dann können wir loslegen.« Er trat an einen Sekretär, nahm ein iPad und tippte etwas ein. »Macht es euch bitte gemütlich und fühlt euch wie zu Hause. Deine Füße freuen sich bestimmt, wenn sie aus diesen Mörderschuhen rauskommen, Haley.«

»Ich …« … blickte an mir hinab und wackelte mit den Zehen. »Ich bin daran gewöhnt.«

»Du kannst sie dennoch gern ausziehen, hier herrscht keine Kleiderordnung.«

Ganz offensichtlich nicht.

Er tippte noch mal auf dem Pad herum und wippte im Takt der Musik mit, die aus den Lautsprechern drang. »Ich freu mich echt, dass ihr da seid. Das wird ein tolles Mittagessen.«

Eine halbe Stunde später lehnte ich mich satt und zufrieden im Stuhl zurück. Das Essen war großartig gewesen.

»Mag noch jemand Pommes?«, fragte Lyle und hielt die Fritten hoch.

»Nein, danke«, sagte Gabriela.

Er nickte, nahm sich zwei Pommes und stellte die Schüssel zurück auf den Tisch. Ich griff nach meinem Glas Wasser und spülte nach. Lyle deutete mit einem fragenden Blick auf die Weißweinflasche, die er geöffnet hatte, doch ich winkte ab. Wir wollten schließlich noch übers Geschäft reden. Das wir beim Essen ziemlich geschickt umschifft hatten. Wann immer Gabriela das Gespräch auf Lyles Projekt lenken wollte, hatte er knapp geantwortet und dann eine Überleitung zu etwas anderem geschlagen. Ich wusste jetzt, dass er es liebte, zu surfen, aber selten dazu kam. Mit zehn Jahren hatte er das letzte Mal Fleisch gegessen und war seither Vegetarier. Er war am liebsten in der Natur unterwegs, hätte gern ein Haustier, doch keine Zeit dafür. Beim Stichwort Tier hatten sich Gabriela und er erst mal über ihren Welpen unterhalten. Er hatte ihr sogar Tipps gegeben, wie sie ihm die Eingewöhnung erleichterte.

»Danke noch mal für das Essen.« Gabriela schenkte sich ebenfalls vom Wasser nach.

»Na klar. Bei mir kommt keiner hungrig aus einem Meeting.«

»Wir freuen uns sehr, dass dieses Treffen so kurzfristig geklappt hat. Das Projekt, das du gerade auf die Beine stellst, klingt vielversprechend.«

»Ah, schätze, jetzt kann ich dem geschäftlichen Part nicht mehr ausweichen, oder?« Er nahm sein Weinglas und stand auf. »Kommt mit rüber auf die Couch. Am Esstisch macht man keine Deals.«

Ich nahm mein Wasser mit und folgte Lyle zur Sofalandschaft. Er fläzte sich sofort in die Kissen und stöhnte genüsslich. Ich wählte den Sessel, und Gabriela setzte sich auf die andere Couch. Kaum ließ ich mich nieder, merkte ich, wie die Müdigkeit an mir zog. Nach dem Essen würde mein Körper lieber Schlaf nachholen, aber das musste warten.

»Was wisst ihr bereits von dem Franchise?«, fragte Lyle.

»Es soll groß werden und innovativ«, sagte Gabriela. »Es könnte sogar Avatar in den Schatten stellen.«

Lyle nickte und kratzte sich am Kinn. »Also gut. Was ich euch hier und heute erzähle, bleibt in diesen vier Wänden. Ich denke, das versteht sich von selbst.«

»Natürlich«, sagte Gabriela.

»Dieses Projekt wird gigantisch. Ich weiß, dass das alle Produzenten über ihre Filme sagen, doch in diesem Fall stimmt es. Der Arbeitstitel lautet The Seventh Circle. Es ist eine urbane Fantasygeschichte, in der es neben unserer Welt noch sieben verschiedene Realitäten gibt. Diese sind durch Portale miteinander verbunden. Jede Realität ist einzigartig: Wir haben die Welt der Technologie, des Krieges, der Magie, der Natur, der Unterwelt, der Zukunft und der Götter. Es sind sowohl Kinofilme wie auch Serienadaptionen und eine Comicreihe geplant. Jede Realität bekommt ihre eigene Story, die sich dann in einer großen Gesamtgeschichte mischt.«

»So ähnlich wie bei den Avengers«, stellte Gabriela fest.

Lyle grinste und winkte ab. »The Seventh Circle wird abgefahrener als alles, was Marvel je zustande gebracht hat. Ich weiß, dass das etwas größenwahnsinnig klingt, aber an diesem Projekt arbeiten Menschen mit sehr viel Leidenschaft und Können. Es basiert auf einem Pen & Paper, das ich als Kind mit meinen Freunden gespielt habe, unter anderem mit Malcom. Er kommt in vier Wochen nach L.A., da werden wir die Pläne vorantreiben.«

Ich warf Gabriela einen raschen Blick zu und wusste genau, was in ihr vorging. Das war ein verdammter Jackpot. Sie wollte etwas sagen, doch da klingelte ihr Handy. Sie zuckte zusammen und stand von der Couch auf. »Tut mir so leid, das ist total unprofessionell, aber nur mein Au-pair und meine Tochter können mich erreichen, wenn mein Handy im Nicht-stören-Modus ist.«

Ich richtete mich auf und blickte ihr nach, wie sie ihre Handtasche holte.

»Magst du jetzt doch Wein?«, fragte Lyle. »Du siehst aus, als könntest du welchen brauchen.«

Eigentlich sollte ich Nein sagen. Ich brauchte einen klaren Kopf, aber nach diesen Neuigkeiten brodelte es in mir.

Gabriela angelte das Handy aus ihrer Tasche, das mittlerweile aufgehört hatte, zu klingeln. »Mein Au-pair. Ich ruf rasch zurück.«

»Im Badezimmer kannst du ungestört telefonieren«, sagte Lyle. »Zweite Tür auf der linken Seite.«

»Danke.«

Er wandte sich wieder mir zu und sah mich erwartungsvoll an, weil ich seine Frage nicht beantwortet hatte.

»Also gut.« Ich trank mein Wasser aus und stand auf, genau wie er. Als er nach meinem Glas griff, streiften seine Finger meine und lösten ein angenehmes, warmes Kribbeln in mir aus. Es war lange her, dass ich mich in der Gegenwart eines Mannes so wohlgefühlt hatte. Lyle wirkte nicht wie der superreiche Hollywoodproduzent, sondern wie ein einfacher Typ, mit dem man ganz normale Gespräche führen konnte.

»Das Projekt klingt aufregend«, sagte ich.