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Mit ihrem Hund streifte Mary Oliver durch die Landschaft New Englands und verfasste die wohl bekanntesten zeitgenössischen Gedichte über die zarten Erscheinungen der Natur. In ihren klaren, scheinbar schlichten Beschreibungen fühlen wir uns aufs Tiefste mit der physischen Welt verbunden. ›Sag mir, was hast du vor mit deinem wilden, kostbaren Leben‹ ist das von Oliver selbst zusammengestellte Best-of ihres Schaffens. »Aufmerksam zu sein«, schrieb sie, »ist unsere unendliche und zweckmäßige Aufgabe.«
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Seitenzahl: 198
Mary Oliver
Gesammelte Gedichte
Aus dem amerikanischen Englisch und mit einem Nachwort von Jürgen Brôcan
Mit einem Vorwort von Doris Dörrie
Diogenes
Für Anne Taylor
Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich ihre Gedichte entdeckt habe. Sie gefielen mir gut, zogen aber auch wieder weiter wie Wolken, ohne dass sie sich mir eingeprägt hätten. Ich erinnere mich jedoch genau, wie ich zum ersten Mal ihre Stimme in dem Podcast On Being hörte, wo sie sachlich, fast kühl erzählte, wie ihr Schönheit, Poesie und vor allem das Gehen das Leben gerettet haben, das einfache Gehen durch die Natur. Wie sie seit Jahrzehnten Tag für Tag die Landschaft mit Heft und Stift in der Hand durchstreift, schaut und horcht und stehen bleibt, um sich Notizen zu machen. Das ist ihre Arbeit, der sie wie ein Handwerker Tag für Tag nachgeht. Um zu überleben, sich zu retten. Schon als Kind flüchtete sie vor Gewalt und Streit in den Wald, wo sie beobachtete und lauschte und etwas begriff, was sie später in dem Gedicht »De rerum natura« des Dichters und Philosophen Lukrez, ihres Helden und Vorbilds, wiederfand: »Es gibt nicht das Nichts. Woraus wir bestehen, wird etwas Anderes werden.« Diesem Anderen täglich größte Aufmerksamkeit zu schenken und so einen Schritt vor den anderen zu setzen wurde ihre Praxis. Auch eine Flucht vor der eigenen Dunkelheit, wie sie offen zugab. Durch das Notieren von Natur die eigene Natur begreifen. Sehr direkt fragt sie, ob man wirklich Augen hat, zu schauen, Ohren, zu hören, und ein Gehirn, um zu begreifen. Stopp!, ruft sie. Was soll die ganze Geschäftigkeit? Schau dich um! Hör zu! Ich habe drei Lieblingsgedichte, die zu meinem festen Gepäck durch den Alltag gehören. Ihr berühmtestes ist »The Summer Day« – »Der Sommertag« und nicht »Ein Sommertag« –, denn es geht um den Tag heute, hier, jetzt:
Who made the world?
Who made the swan, and the black bear?
Who made the grasshopper?
This grasshopper, I mean –
the one who has flung herself out of the grass,
the one who is eating sugar out of my hand,
who is moving her jaws back and forth instead of up and down –
who is gazing around with her enormous and complicated eyes.
Now she lifts her pale forearms and thoroughly washes her face.
Now she snaps her wings open, and floats away.
I don’t know exactly what a prayer is.
I do know how to pay attention, how to fall down
into the grass, how to kneel down in the grass,
how to be idle and blessed, how to stroll through the fields,
which is what I have been doing all day.
Tell me, what else should I have done?
Doesn’t everything die at last, and too soon?
Tell me, what is it you plan to do
with your one wild and precious life?
Wer machte die Welt?
Wer machte den Schwan und die Schwarzbärin?
Wer machte die Heuschrecke?
Diese Heuschrecke hier meine ich –
die sich selbst aus dem Gras katapultiert hat,
die jetzt Zucker aus meiner Hand frisst,
die ihre Kiefer vor- und zurückschiebt statt auf- und abwärts –,
die ringsumher starrt mit ihren riesigen, komplexen Augen.
Jetzt hebt sie die Vorderbeine und wäscht ihr Gesicht.
Jetzt klappt sie die Fügel auf und gleitet davon.
Ich weiß nicht genau, wie ein Gebet aussieht.
Ich weiß, wie man Aufmerksamkeit schenkt, wie man
ins Gras fällt, wie man sich ins Gras kniet,
wie man müßig und gesegnet ist, wie man durch die Felder streunt,
denn das ist es, was ich den ganzen Tag machte.
Sag, was hätte ich sonst machen sollen?
Stirbt nicht alles am Ende und viel zu schnell?
Sag mir, was hast du vor
mit deinem wilden, kostbaren Leben?
Besonders die letzten zwei Zeilen sind unendlich oft zitiert, zur Erinnerung auf Zettel geschrieben, auf Kissen gestickt und als lebensrettend bezeichnet worden. Die Frage zielt mitten ins Herz und lässt uns nach Luft schnappen: Haben wir einen Plan für unser Leben? Ist er groß und wichtig und relevant und bedeutsam genug? Das Gedicht beantwortet die Frage selbst:
I do know how to pay attention, how to fall down
into the grass, how to kneel down in the grass,
how to be idle and blessed, how to stroll through the fields,
which is what I have been doing all day.
Tell me, what else should I have done?
Ich weiß, wie man Aufmerksamkeit schenkt, wie man
ins Gras fällt, wie man sich ins Gras kniet,
wie man müßig und gesegnet ist, wie man durch die Felder streunt,
denn das ist es, was ich den ganzen Tag machte.
Sag, was hätte ich sonst machen sollen?
Diese Sätze sind eine Provokation. Sie könnten eine Revolution anzetteln. Unsere Grundfeste erschüttern. Es soll genügen, einfach nur aufmerksam zu sein? In ihrer unnachahmlich lakonischen und gleichzeitig zarten Art fragt Mary Oliver, ob dieser Tag heute wirklich ein produktiver Tag war, wenn wir keinen Grashüpfer wahrgenommen haben, sondern vielleicht nur auf unsere multiplen Screens gestarrt, uns in Diskussionen, Streitereien verloren, innere Monologe geführt haben, tausend Dinge erledigt, absolviert, abgearbeitet haben, blind und taub für den Grashüpfer waren. Um was sonst geht es im Leben, wenn wir uns nicht ins Gras fallen lassen? In dem Podcast-Gespräch für On Being legte Mary Oliver großen Wert darauf, dass der beschriebene Grashüpfer tatsächlich existiert hat, tatsächlich auf ihrer Hand saß und vom Zucker eines Geburtstagskuchens einer Freundin naschte. Sie hat seine Existenz nicht nur bemerkt, sondern ihm durch das Aufschreiben ein zweites Leben gegeben, mit dem er und sie uns im Gedicht nun gemeinsam an unser eigenes Leben erinnern. Das hat viel mit Gefühl und Mitgefühl zu tun, Mitgefühl mit der Kreatur, aber auch mit uns selbst. Aufmerksamkeit ohne Gefühl ist nur ein Bericht, wie Oliver sagte, aber Aufmerksamkeit mit Gefühl der Beginn von Hingabe. Devotion. Oft fühlen sich die Wörter auf Englisch luftiger, leichter an, die Sprache von Songs. Der Gedichtsammlung A Thousand Mornings (2012) steht ein Zitat von Bob Dylan voran: Anything worth thinking about is worth singing about. Und viele dieser Gedichte möchte man glatt vom Blatt singen:
I go down to the shore in the morning
and depending on the hour the waves
are rolling in or moving out,
and I say, oh, I am miserable,
what shall –
what should I do? And the sea says
in its lovely voice:
Excuse me, I have work to do.
Ich gehe am Morgen zum Strand hinunter,
und je nach Uhrzeit branden die Wellen
herein oder rollen hinaus,
und ich sage: Oh, ich Arme,
was werde –
was soll ich nur tun? Und das Meer spricht
mit seiner reizenden Stimme:
Entschuldige, ich hab was zu erledigen.
Dieses Gedicht kam 2012 nach dem Tod ihrer Partnerin Molly Malone Cook heraus, mit der Mary Oliver über vierzig Jahre zusammenlebte. Das Leichte bekommt eine unverhoffte Schwere, der Teppich wird einem mit einem einzigen, lakonischen Satz unter den Füßen weggezogen. Die Natur hat zu tun, sie beachtet mich und meine Nöte nicht. Sie ist da, um wahrgenommen zu werden, nichts weiter. Umso dringlicher Mary Olivers Aufforderung, unsere Aufmerksamkeit der Einzigartigkeit unseres Lebens zuzuwenden, unserer Fähigkeit des Wahrnehmens, des Staunens und der Freude. Und damit aufzuhören, uns zu sorgen:
I worried a lot. Will the garden grow, will the rivers
flow in the right direction, will the earth turn
as it was taught, and if not how shall
I correct it?
Was I right, was I wrong, will I be forgiven,
can I do better?
Will I ever be able to sing, even the sparrows
can do it and I am, well,
hopeless.
Is my eyesight fading or am I just imagining it,
am I going to get rheumatism,
lockjaw, dementia?
Finally I saw that worrying had come to nothing.
And gave it up. And took my old body
and went out into the morning,
and sang.
Ich sorgte mich um vieles. Wächst der Garten, fließen
die Flüsse in die richtige Richtung, dreht die Erde
sich, wie man sie lehrte, und wenn nicht, wie
soll ich es korrigieren?
Hatte ich recht, lag ich falsch, wird man mir vergeben,
kann ich etwas besser machen?
Werde ich je fähig sein zu singen? Selbst die Spatzen
sind dazu in der Lage, und ich, nun ja,
bin hoffnungslos.
Schwindet mein Augenlicht oder bilde ich mir das nur ein,
bekomme ich Wundstarrkrampf,
Rheuma oder Demenz?
Am Ende erkannte ich, dass Sorgen nichts bringen.
Und ich gab sie auf. Und nahm meinen
alten Körper, ging hinaus in den
Morgen und sang.
Dieses Gedicht habe ich auswendig gelernt, um es immer dabeizuhaben, und ja, sogar auf ein Hemd gestickt, und jedes Mal, wenn ich mich sorge, versuche ich, es vor mich hin zu murmeln. Manchmal muss ich sehr viel murmeln, bis ich wieder singen kann. Aber genau das ist der wundersame Effekt der Gedichte von Mary Oliver: Irgendwann fängt man an, zu singen. Und den Blick von sich selbst abzuwenden auf den Morgen, das Gras, das Licht. Und dann taucht ziemlich sicher auch ein Grashüpfer auf.
Doris Dörrie
AUSFelicity
2015
Warum wollen die Menschen noch immer
Gottes Ausweispapiere sehen,
wo die Dunkelheit, die sich in den Morgen öffnet,
doch mehr als genug ist?
Sicherlich, jeder Gott könnte sich abwenden vor Ekel.
Denkt an die Königin von Saba,
die ins Reich des Salomo kommt.
Meint ihr, sie hätte fragen müssen:
»Bin ich hier richtig?«
Heute Morgen sind die Eier des Kardinals
ausgebrütet, und sofort tschilpen
die Küken nach Nahrung. Sie wissen
nicht, woher sie kommt, sie rufen
einfach nur immer: »Mehr! Mehr!«
Für irgendetwas anderes hatten sie
keinen einzigen Gedanken. Ihre Augen
sind noch nicht geöffnet, der Himmel,
der wartet, ist ihnen völlig unbekannt. Oder
die Tausend, die Millionen Bäume.
Sie wissen nicht mal, dass sie Flügel haben.
Und genau so, wie ein schlichtes
Ereignis in der Nachbarschaft, geschieht
ein Wunder.
Ich habe mich geweigert,
eingeschlossen im aufgeräumten Haus von
Gründen und Beweisen zu leben.
Die Welt, in der ich lebe und an die ich glaube,
ist viel größer als dies. Und überhaupt,
was ist falsch am Vielleicht?
Ihr würdet nicht glauben, was ich ein- oder
zweimal gesehen habe. Ich sage
euch bloß so viel:
Nur wenn Engel in eurem Kopf sind, dann
seht ihr, vielleicht, einen einzigen.
Beugt ihr eure Köpfe, wenn ihr betet, oder seht ihr
hinauf in den blauen Himmel?
Versucht euer Glück, Gebete fliegen aus allen Richtungen.
Und seid unbesorgt, in welcher Sprache ihr redet,
Gott versteht sie zweifellos allesamt.
Sogar wenn die Schwäne nordwärts fliegen und solch
einen lärmenden Krawall machen, hört Gott
gewiss zu und versteht.
Rumi sagte: Es gibt keinen Beweis für die Seele.
Aber ist nicht die Rückkehr des Frühlings und die Art, wie er
in unseren Herzen aufblüht, ein ziemlich guter Hinweis?
Ja, ich weiß, dass Gottes Stille niemals endet, aber
ist das wirklich das Problem?
Es gibt schließlich Tausende von Stimmen.
Außerdem, denkt ihr denn nicht (es ist nur ein Vorschlag),
dass die Schwäne ebenso wenig von der ganzen Sache
verstehen wie wir selbst?
Also hört zu und beobachtet, wie sie im Flug singen.
Macht das Beste aus der Sache.
Als ich von einem Haus in ein anderes zog,
gab es viele Dinge, für die ich keinen
Platz hatte. Was tun? Ich mietete einen Lager-
raum. Und stopfte ihn voll. Die Jahre vergingen.
Gelegentlich schaute ich vorbei und sah rein,
doch nichts geschah, kein einziger
Stich ins Herz.
Mit zunehmendem Alter wurden die Dinge,
die mich interessierten, weniger, aber
umso wichtiger. Also schloss ich eines Tages auf
und holte den Entrümpler. Er nahm
alles mit.
Ich fühlte mich wie ein Esel, dem man
endlich die Last abnimmt. Dinge!
Verbrennt sie, verbrennt sie! Macht ein hübsches
Feuer daraus! Mehr Platz in eurem Herzen
für die Liebe, für Bäume! Für die Vögel,
die nichts besitzen – und darum fliegen können.
Woher ist diese Kälte gekommen?
»Sie kommt vom Tod deines Freundes.«
Wird mir von heute an immer so kalt sein?
»Nein, es wird nachlassen. Aber immer
bei dir sein.«
Welchen Grund hat das?
»War deine Freundschaft nicht immer herrlich
wie eine Flamme?«
Ich kenne jemanden, der so küsst, wie sich
eine Blume öffnet, nur etwas schneller.
Blumen sind sanft. Ihr Leben ist
kurz und selig. Sie bereiten
viel Freude. Es gibt
nichts auf Erden, das man gegen sie
einwenden kann.
Schade allerdings, dass sie nur die Luft
küssen können, sonst nichts.
O ja! Wir sind die Glücklichen.
Dieses hübsche kleine Biest, das Gedicht,
es hat seinen eigenen Kopf.
Mal will ich, dass es nach Äpfeln giert,
es möchte aber rotes Fleisch.
Mal will ich friedlich dahinwandern
an einem Strand,
doch es will alle Kleider ausziehen
und in die Wellen tauchen.
Mal will ich schlichte Worte benutzen
und ihnen Bedeutung geben,
aber es ruft sofort nach dem Wörterbuch,
den Möglichkeiten.
Mal will ich resümieren und Danke sagen,
um Dinge in Ordnung zu bringen,
und es fängt an, im Zimmer umherzutanzen
auf allen vier Pelzbeinen, es lacht
und nennt mich unverschämt.
Doch manchmal, wenn ich an dich denke
und dabei zweifellos lächele,
sitzt es ruhig da, eine Pfote unterm Kinn,
und hört einfach nur zu.
August eines weiteren Sommers und wieder
schlürfe ich die Sonne
und wieder breiten sich die Seerosen übers Wasser.
Ich weiß inzwischen, dass sie einander berühren wollen.
Viele Jahre bin ich nicht hier gewesen,
in dieser Zeit habe ich mein Leben gelebt.
Wie der Reiher, der nur krächzen kann und sich wünscht,
er könnte singen,
so wünsche auch ich, dass ich singen könnte.
Ein wenig Dank aus allen Kehlen wäre angemessen.
Doch es war so und es ist so:
Mein ganzes Leben lang konnte ich das Glück spüren,
abgesehen von dem, das kein Glück gewesen ist,
an das ich mich ebenfalls erinnere.
Wir alle tragen einen Schatten.
Doch jetzt ist es wieder Sommer
und ich betrachte die Seerosen, die sich einander zuwenden,
dann auf dem Wind und dem Sehnen dahingleiten,
nah, ganz nah zueinander.
Bald kehre ich um und breche heimwärts auf.
Wer weiß, vielleicht singe ich dabei.
Gerade sagte ich
irgendwas
Lächerliches zu dir,
und deine Antwort
war ein herrliches Lachen.
Jetzt sind sie Tage,
in denen die Sonne
zurück nach Osten
schwimmt
und Licht auf dem Wasser
glitzert
wie vielleicht nie zuvor.
Ich kann mich nicht an
jeden Frühling erinnern,
ich kann mich nicht an
alles erinnern –
so viele Jahre!
Sind Morgenküsse
die sanftesten
oder jene am Abend
oder die dazwischen?
Ich weiß nur,
dass »Danke« irgendwo
dabei sein sollte.
Einfach nur für den Fall,
dass ich den perfekten Ort
nicht finden kann –
»Danke, vielen Dank«.
Sei still, meine Seele, und standhaft.
Noch immer sehen Erde und Himmel zu,
obwohl die Zeit aus der Uhr rinnt
und dein Gang, der zuversichtlich und schnell war,
langsam geworden ist.
Sei also langsam, wenn du’s musst, aber lass
dein Herz weiterhin seine wahre Rolle spielen.
Liebe noch immer, wie du einst geliebt hast, tief
und ohne Geduld. Lass es Gott und die Welt wissen,
dass du von Dank erfüllt bist.
Dass das Geschenk überreicht wurde.
AUSBlue Horses
2014
Der glitschig grüne Frosch,
der seinen Tod fand im
rosa Schlund des Reihers,
war mein kleiner Bruder,
und der Reiher
mit den weißen Federn,
die sein Haupt bekrönen –
er wäscht jetzt den Dolchschnabel
im leuchtenden Teich –,
ist mein großer dünner Bruder.
Mein Herz kleidet sich schwarz
und tanzt.
Ich will nicht sittsam sein oder anständig.
Im Schlaf war ich das jahrelang.
Auf diese Weise vergisst man zu viele wichtige Dinge.
Wie die kleinen Steine singen, selbst wenn du sie
nicht hören kannst.
Wie es der Fluss nicht erwarten kann, zum Meer und
zum Himmel zu kommen, wo er früher war.
Welch eine Reise ist das!
Eine Freude, sich diese Entfernungen vorzustellen.
Ich könnte die nächsten hundert Jahre auf Schlaf verzichten.
In meinen Wimpern brennt ein Feuer.
Es spielt keine Rolle, wo ich bin, sogar in einer Kammer.
Den Goldschimmer, den Böhme im Kochtopf sah,
erkannte niemand sonst im Haus.
Vielleicht ist das Feuer in meinen Wimpern ein Abglanz davon.
Warum kommen mir so viele Gedanken? Sie machen
mich irre.
Warum gehe ich jedesmal überallhin statt irgendwohin?
Ob ihr mir zuhört oder nicht, läuft beinahe aufs selbe raus.
Ich versuche nicht, weise zu sein, das wäre dumm.
Ich schwatze nur so dahin.
Auf dem Weg
des Zufalls,
den schon vor Äonen
die Felsen rollten,
strömt das Wasser,
strömt
und strömt
an der Schräge
des Gefälles entlang,
drückt silberne Daumen
gegen die Felsen
oder verweilt, um abrupt
eine krause Stelle zu meißeln,
wo die flitzenden Fische
planschen oder dösen,
während der Eisvogel darüber
rüttelt und starrt –
und so läuft er meilenweit,
dieser Lichtblitz,
bloß bemüht,
hinabzuschießen
und herrlich zu sein
in seinem Tun;
ein Ziel
gibt es nicht,
er ist bloß
eines jener grandiosen Dinge,
die erschaffen wurden,
zu tun, was er perfekt tut,
und, wie fast nichts,
fast unendlich
anzudauern.
Ich betrete das Gemälde mit den vier blauen Pferden.
Ich bin nicht mal überrascht, dass ich das kann.
Eines der Pferde kommt auf mich zu.
Die blaue Nase beschnuppert mich leicht. Ich lege meinen Arm
über seine blaue Mähne, halte nicht fest, verbinde mich nur.
Es gestattet mir mein Vergnügen.
Franz Marc starb als junger Mann, ein Schrapnell im Kopf.
Ich würde eher sterben, als den blauen Pferden zu erklären
versuchen, was Krieg bedeutet.
Sie würden vor Schrecken ohnmächtig werden, oder es wäre
ihnen einfach nicht möglich, es zu glauben.
Franz Marc, ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.
Vielleicht wird unsere Welt irgendwann humaner werden.
Vielleicht ist das Verlangen, etwas Schönes zu erschaffen,
ein Teil Gottes, das in jedem von uns steckt.
Nun sind alle vier Pferde nähergekommen,
sie beugen ihre Gesichter herunter,
als hätten sie mir Geheimnisse zu erzählen.
Ich erwarte nicht, dass sie sprechen, und sie tun es nicht.
Wenn es nicht ausreicht, so schön zu sein, was
könnten sie dann wohl sagen?
Wie ich hörte, gelingt das Meditieren am besten,
wenn man eine bestimmte feste Position einnimmt.
Ich ziehe es vor, unter einem Baum zu lungern.
Warum also sollte es mir jemals gelingen?
An manchen Tagen schlafe ich ein – oder lande
an einem besseren Ort, im Halbschlaf, wo die Welt,
mit Frühling, Sommer, Herbst, Winter –
durch meinen Geist fliegt in ihrem
kühnen Aufstieg und ihrem kompromisslosen Abstieg.
Ich liege bloß da, während Raum und Zeit
ihre wahren Eigenschaften enthüllen: sie haben nie
von mir gehört, sie werden es und brauchen es auch nicht.
Natürlich wache ich am Ende auf
und denke, wie wunderbar ist es, ich zu sein,
aus Erde und Wasser erschaffen,
meine eigenen Gedanken, meine Fingerabdrücke –
all dies herrliche, vergängliche Zeugs.
Auch ich habe Einsamkeit gekannt.
Auch ich habe gewusst, wie es sich anfühlt,
missverstanden zu sein,
abgelehnt und ganz plötzlich
kein bisschen schön.
O Mutter Erde,
dein Trost ist groß, deine Arme verweigern sich nie.
Das zu wissen hat mir das Leben gerettet.
Deine Flüsse strömen, deine Rosen öffnen sich morgens.
O ihr Regungen der Zärtlichkeit!
Fühlen Steine?
Lieben sie ihr Leben?
Oder übertönt ihre Geduld alles andere?
Wenn ich am Strand spaziere, sammle ich einige
weiße, einige dunkle, die verschiedenen Farben.
Ich sage, keine Sorge, ich werde euch zurückbringen,
und das tue ich auch.
Ist der wachsende Baum erfreut über seine vielen Zweige,
ein jeder ähnelt einem Gedicht?
Sind die Wolken froh, ihre Regenpakete abzuwerfen?
Fast alle Welt sagt, nein, nein, das ist unmöglich.
Ich weigere mich, so weit zu denken.
Es wäre allzu schrecklich, sich zu irren.
Ich habe mich an allem erfreut: dem Regen, dem Weg,
wohin er mich auch führte, den Wurzeln in der
Erde, die begannen, sich zu rühren.
Ich hatte nie die Absicht, über Gott nachzudenken,
es geschah einfach so.
Warum Gott oder die Götter unsichtbar sind:
vollkommen verständlich.
Aber das Heilige ist sichtbar, ganz und gar.
Es ist wundervoll, auf diese Weise dahinzuwandern,
das Denken ohne die übliche Absicht, eine Antwort
zu erhalten, einfach nur treibend.
Wie die Wolken, die gewichtlos scheinen,
es aber natürlich nicht sind.
Sie sind wirklich wichtig.
Ich meine, furchtbar wichtig.
Auf keinen Fall irgendein Ornament.
Spätestens nächste Woche blühen die Veilchen.
Nun, dies war mein köstlicher Regenspaziergang.
Worum ging es noch mal?
Denk nach, was die Musik zu sagen versucht.
Es war so etwas in dieser Art.
Ich lebe jetzt an einem warmen Ort, an dem
man das ganze Jahr über frische Heidelbeeren
kaufen kann. Ohne zu arbeiten. Aus etlichen
Ländern in Südamerika. Sie sind ebenso
süß wie alle anderen, und verglichen mit den
Beeren, die ich immer auf den Feldern in der
Umgebung von Provincetown pflückte, sind
sie riesig. Aber Beeren sind Beeren. Sie
sprechen keine Sprache, die ich nicht
verstünde. Auch finde ich weder Zecken
noch kleine Spinnen zwischen ihnen. Somit
bin ich, alles in allem, sehr zufrieden.
Doch es gibt Grenzen. Was ihnen
fehlt, ist das Feld. Ein Feld, zu dem sie
gehörten und zu dem ich gehörte, wie ich
im Laufe der Jahre allmählich fühlte. Nun ja,
es gibt das Leben und dann ein Zuspät.
Vielleicht bin ich es, die ich verpasse. Das
Feld und die Spatzen, die am Waldrand
sangen. Und das Reh, das eines Morgens
unerwartet auf mich stieß, angespannt
und prachtvoll. Es stampfte mit dem Huf,
wie jedem Eindringling gegenüber. Dann
blickte es mich lange an, als wollte es sagen:
Okay, bleib du in deinem Revier, ich bleib
in meinem. Das taten wir. Versuch mal,
das einzupacken, Südamerika.
Die Schwingen
des Geiers haben
eine todschwarze
Farbe, aber wenn
Sonnenlicht in
die Federn strömt,
leuchten seine
Unterflügel,
sind durchtränkt
von Licht.
Ganz leicht
erklärlich durch
den Winkel der
Sonne, doch
ich schaue
weiter, ich
staune weiter,
stehe so tief
unter diesen
hoch oben
schwebenden Vögeln:
Könnte uns dies,
wie die meisten
Dinge, etwas
zeigen, über das
wir ernsthaft
nachdenken sollten?
Ich weiß nicht, was für großartige Dinge
der Hüttensänger immer erzählt,
wenn seine Stimme die Kehle, den Schnabel,
den Körper verlässt, hinaus in frühe
rosa Morgenluft. Mir gefällt es,
was immer es auch ist. Manchmal
scheint er der Einzige auf Erden zu sein,
der keine düsteren Gedanken hat.
Manchmal scheint er der Einzige auf Erden
zu sein, der keine Fragen stellt,
die nicht zu beantworten sind und wohl
niemals beantwortet werden, der
Einzige, der vollkommen zufrieden ist
mit dem rosa, dann hellweißen
Morgen und seine Dankbarkeit ausdrückt.
AUSDog Songs
2013
Jetzt tollt mein kleiner Hund durch den weißen
Obstgarten, zerfetzt den Neuschnee
mit wilden Pfoten.
Er rennt hierhin, rennt dorthin, aufgeregt,
kaum zu bremsen, er springt, er dreht sich,
bis der weiße Schnee beschrieben ist
mit großen, geschwungenen Buchstaben,
ein langer Satz, der die Freuden
des Körpers in dieser Welt ausdrückt.
Oh, ich hätte es selbst nicht besser sagen
können.
Unser neuer Hund, benannt nach dem geliebten Dichter,
fraß ein Buch, das wir unglücklicherweise
unbeaufsichtigt gelassen hatten.
Glücklicherweise war es die Bhagavad Gita,
von der es sehr viele Exemplare gibt.
Jeden Tag, an dem Percy nun
in die Schönheit seines Lebens wächst, streicheln wir
sein wildes Lockenköpfchen und sagen:
»O du klügster aller kleinen Hunde.«
Er drückt seine Wange gegen meine
und gibt leise, prägnante Laute von sich.
Und wenn ich wach bin, einigermaßen wach,
rollt er sich herum und streckt alle vier Pfoten
in die Luft,