SAGITARIUS A - Gudrun Leyendecker - E-Book

SAGITARIUS A E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

Das Raumschiff Sagitarius A trägt die beiden Astronauten Lucy und Philipp zu den Zwillingsplaneten Lupa und Bei-Bei. Die menschenähnlichen Wesen empfangen die beiden Erdbewohner zunächst mit Wohlwollen. Zwar leben die Bewohner beider Planeten in einem friedlichen Miteinander, doch forschen sie als Konkurrenten um den Bezug zu Zeit und Raum. Schon nach kurzer Zeit werden Lucy und Philipp in den Konkurrenzkampf verwickelt.

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Für Werner,

der mir mit diesem Titel die Idee zu diesem Buch gab.

Inhaltsangabe: Das Raumschiff Sagitarius A trägt die beiden Astronauten Lucy und Philipp zu den Zwillingsplaneten Lupa und Bei-Bei. Die menschenähnlichen Wesen empfangen die beiden Erdbewohner zunächst mit Wohlwollen. Zwar leben die Bewohner beider Planeten in einem friedlichen Miteinander, doch forschen sie als Konkurrenten um den Bezug zu Zeit und Raum. Schon nach kurzer Zeit werden Lucy und Philipp in den Konkurrenzkampf verwickelt. Ernst wird es, als die Astronauten auf die Kompostaner treffen, die den Kalmaren ähnlichsehen, aber einen menschlichen Kopf besitzen. Selbst auf der Erde hat die normale Spezies der Kalmare bekannterweise drei Herzen und neun Gehirne. Da sind Abenteuer vorprogrammiert.

Ein heiterer Science-Fiction Roman mit einigen ernsten Abstechern in hintergründige Dimensionen.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 1

Das Strahlen in Philips Gesicht erinnert Lucy an die Sommertage auf der Erde, wenn die Sonne ganze Landstriche mit ihrem Licht überflutete.

Aus den Tiefen ihres Gedächtnisses steigt eine Sommerwiese auf, doch das Bild verblasst, lässt sich nicht festhalten, taucht wieder unter.

„Hast du mich verstanden?“ ruft sie Philips Stimme in die Gegenwart zurück. „Sie haben uns Landeerlaubnis gegeben. Sobald die violetten Lichter aufleuchten, ist es soweit. Jetzt haben wir es geschafft.“

Lucy atmet auf. „Es grenzt wirklich an ein Wunder, dass du diese beiden Zwillingsplaneten entdeckt hast.“

„So hat sich wenigstens meine lange Arbeit am Sensor des Cumulus-Decoders gelohnt“, freut er sich.

„Ein bisschen Angst habe ich noch“, verrät ihm die junge Frau. „Was ist, wenn sie bemerken, dass ich nicht die A-Qualifikation habe wie unser Raumschiff?“

Er streicht ihr beruhigend über den Arm. „Sicher werden sie unserer Sprache nicht so mächtig sein, dass sie sofort bemerken, dass dich ein Sprachfehler behindert.“

Sie sieht ihn dankbar an. „Hoffen wir es einmal! Du hast es gut, deine B-Qualifikation ist nicht so leicht zu entdecken. Aber vielleicht haben wir auf diesem Planeten weniger Pech. Möglicherweise sind sie hier toleranter, als sie es bei uns auf der Erde zuletzt gewesen sind.“

„Dann hoffen wir einmal inständig, dass sie hier in ihren Behausungen keine Sofas besitzen und für dich wünsche ich, dass es in ihrer Sprache nicht so viele „Ü“ als Umlaute gibt.“

Lucy atmet tief. „Vermutlich werden das in der nächsten Zeit unserer kleinsten Probleme sein. Ich hoffe inständig, dass die Einwohner dieser beiden Planeten so freundlich sind, wie sie sich geben.“

Auf seiner Stirn erscheint eine Sorgenfalte. „Und ich hoffe, dass ihnen die Geschenke etwas bedeuten, die wir von der Erde mitgebracht haben. Es ist schließlich auch denkbar, dass sie hier ganz andere Wertvorstellungen besitzen.“

„Wir werden es sehen“, antwortet die junge Frau. „Beruhigend ist schon einmal, dass sie uns nicht als bedrohlich empfinden, weil sie ein ähnliches Aussehen besitzen.“

„Das liegt wohl daran, dass ihre kleinen Planeten eine ähnliche Evolutions-Geschichte durchlebt haben. Lobo Horn hat mir bereits angedeutet, dass er bereit ist, uns interessante Mitteilungen zu präsentieren.“

„Wenn ich nicht von diesen vielen hoffnungslosen Tagen so erschöpft wäre, könntest du mir mit dieser Aussicht sicher eine große Freude bereiten. Aber momentan brauche ich erst einmal etwas Zeit zum Relaxen.“

„Dazu wirst du bald Gelegenheit haben.“ Philipp berührt mehrere Sensoren. „Sie haben bereits das Saug-Landing eingeschaltet, und ich spüre, dass sie uns mit einer minimalen Geschwindigkeit, ja, in einem kaum spürbaren Tempo nach unten ziehen.“

„Dem Himmel sei Dank!“ ruft sie aus und lässt ihren Blick in die Runde schweifen.

Kapitel 2

Nach der sicheren Landung werden Lucy und Philipp von einem freundlich aussehenden Komitee empfangen, das aus zehn Personen besteht. Lobo Horn, den die beiden Astronauten bisher nur vom Chat kannten, stellt sich selbst als „Chief“ vor und deutet auf seine Begleiter. „Meine vier Freunde zur linken Seite standen zu eurer Sicherheit bezüglich der Landung zur Verfügung, und die Frauen zu meiner Rechten gehören zur Gruppe der Generalen Sicherheit, und sind deswegen für eure private Sicherheit angetreten. Wenn ich über eure Erde richtig informiert sind, ähnelt diese Gruppe eurer Polizei. Wir alle empfangen euch in Freundschaft.“

„Philipp und ich, Lucy, sind deswegen sehr froh.“ Sie streckt Lobo ihre rechte Hand entgegen und bemerkt, dass der Chief ein wenig zusammenzuckt.

Seine Verwunderung hält nur kurz an, er scheint sich an seine Informationen zu erinnern und schmunzelt. „Ach ja, auf der Erde habt ihr diese etwas unverständliche Angewohnheit, euch zu berühren, bevor ihr in den verschiedenen Sprachen miteinander kommuniziert, und das, selbst wenn ihr euch vorher noch nie gesehen habt. Wir teilen die Berührungen nur mit unseren engen Freunden, Familienmitgliedern und Partnern.“

„Es ist so eine Höflichkeitsgeste“, erklärt Philipp, „weiter nichts.“

Der Chief lacht kurz auf. „Wir haben eine ganze Weile eure Nachrichtensendungen im TV verfolgt. Besonders amüsiert haben wir uns, wenn sich die Staatsoberhäupter von verfeindeten Ländern gegenseitig die Wangen geküsst haben. Eure Erde hat uns sehr viel zu denken gegeben. Doch das ist jetzt erst einmal nicht wichtig, jetzt geht es um euch, als Gäste. Ihr seid hier auf dem einen der beiden Zwillingsplaneten gelandet, und zwar auf Bei-Bei, der in eurer Sprache „Butterfass“ heißt.“

Lucy schluckt kurz. „Oh! Wer hat diesem Planeten diesen originellen Namen gespendet?“

Seine Augenbrauen heben sich, in seinem Gesicht erscheint ein imposanter, bedeutungsvoller Ausdruck, der zeigt, dass ihm dieses Thema sehr wichtig ist. „Dieser Name ist schon sehr alt und stammt von unseren Vorfahren aus frühen Zeiten unserer Kultur. Wir Bei-Beianer sind ein lebensfrohes Völkchen, zu jeder Zeit dankbar für alles das, was uns unser Planet schenkt und bietet.“

Philipp hört interessiert zu. „Er ist fruchtbar, nehme ich an?“

„Er ist ein Geschenk für uns alle, und deswegen wird Ökonomie bei uns großgeschrieben. Wir handeln vernünftig und sparen mit unseren Ressourcen, aber in jedem Wohnbereich haben wir auch alle unsere persönliche Genießer-Lounge, und in eine solche laden wir euch jetzt ein. Um euer Gepäck müsst ihr euch nicht kümmern, da finden sich schon Freiwillige, die euch gern einen Gefallen tun möchten. Kommt einfach mit!“

Mit einem Handzeichen weist er den Ankömmlingen den Weg, die neuen Begleiter folgen in einem angemessenen Abstand.

Philipp wendet sich an den Chief. „Wir hoffen, dass wir nicht stören, euren Tagesablauf nicht behindern. Wenn dieser Planet so fruchtbar ist, gibt es bestimmt viel zu tun.“

Lobo zeigt auf einfache, weiße Häuser, die mit kleinen Gärten umgeben sind. „Viele auf diesem Planeten sind Selbstversorger, aus Freude daran, dass uns hier alles geschenkt wird. Die hellen Teile dieser Behausungen sind die Obergeschosse, die im Sommer bewohnt werden, die unteren Etagen werden im Winter bewohnt, liegen in der Erde und haben ihre eigene Erdwärme.“

Der junge Astronaut staunt. „Dann habt ihr eine Möglichkeit gefunden, euch an die Erdwärme im Inneren eures Planeten anzuschließen? Ist der Magmakern so nah an der Oberfläche?“

„Nein. Da ist genügend Abstand vorhanden. Aber wir haben Metallverbindungen entwickelt, die diese Wärme hinaufleiten. Diese Erfindung ist allerdings schon sehr alt, und wir profitieren schon lange davon. Im Augenblick beschäftigen sich die Bewohner der Zwillingsplaneten mit anderen Forschungen, die äußerst heikel sind.“

Lucy sieht den Chief treuherzig an. „Aber davon wirst du uns bestimmt nichts verraten, oder?“

„Es ist kein Geheimnis, und es wird auch für euch kein Geheimnis bleiben. Da ihr eine so weite Reise hinter euch habt, werdet ihr bestimmt auch schon vermutet haben, dass wir uns ganz nahe am Rande der Zeit befinden. Das ist ein großes Thema für uns und hat schon von Zeit zu Zeit Probleme verursacht. Genauso wie auf unserem Nachbarplaneten Lupa, was in eurer Sprache „Weitsicht“ bedeutet, forschen wir fieberhaft, experimentieren und entwickeln Formeln, um die Zeit zu durchbrechen.“

Kapitel 3

„Das ist ein interessantes Forschungsprojekt“, bemerkt Philipp und folgt dem Chief gemeinsam mit Lucy in ein großes, weißes Gebäude.

Lobo betrachtet seinen Gast ernsthaft. „Es ist nicht nur interessant. Es ist ungeheuer wichtig für uns, ja auch lebenswichtig. Das Thema stellt sich uns sehr oft, weil wir hier am Rande der Zeit wohnen. Da geschieht es zuweilen, dass Personen spurlos verschwinden, irgendwo in einer winzigen Lücke, von der wir keine Ahnung haben.“

Die beiden Gäste betrachten den schlicht eingerichteten Raum, in dem sich mehrere bequeme Sessel um einen langen Tisch gruppieren.

Philipp wendet sich erneut an den Chief, sieht ihn interessiert an. „Beide Planeten forschen einzeln?“

„Ja, das motiviert zusätzlich. Unsere Planeten sind miteinander befreundet, obwohl, oder vielleicht auch gerade, weil wir so gegensätzlich sind. Aber ein freundschaftlicher Konkurrenzkampf ist geeignet, die Arbeit zu beleben.“

Lobo bittet alle Anwesenden mit einem Lächeln, am Tisch Platz zu nehmen, zieht ein winziges Gerät aus der Hosentasche und hält es vor den Mund: „Bringt uns bitte jetzt die Speisen, Sassalla!“

Als wenige Momente später zwei junge, weiß gekleidete Männer einen großen Wagen mit Speisen hereinrollen, hilft der Chief den beiden, allerlei Geschirr, einige Besteckteile und Schüsseln mit Speisen auf den Tisch zu tragen. „Das sind meine beiden Söhne Komet und Ingwer, die gerade dabei sind, in der Küche bei meiner Frau Sassalla das Kochen zu erlernen. Bald machen sie ihre letzte Prüfung im Bereich Haushalt, anschließend bekommen sie ihren Tauglichkeitsschein für die Partnerschaft.“

Philipp schluckt. „So etwas gab es auf unserer Erde nicht.“

Der Chief schmunzelt. „Ich weiß. Bei euch machen die Männer den Pilotenschein, den Angelschein und eine ganze Reihe gescheiter Bachelorprüfungen. Aber ansonsten habt ihr überhaupt keine Seminare für das alltägliche Leben. Darüber haben wir hier oft diskutiert und einige Statistiken aufgestellt. Von allen uns bekannten Planeten habt ihr die höchste Scheidungsrate. Bei uns müssen sich alle, Männer und Frauen, zuerst einmal für das Leben als tauglich erweisen: das Leben im Alltag.“

Lobos Söhne grüßen die Gäste mit einem Kopfnicken und bemühen sich, die Speiseschüsseln auf einem integrierten Fließband des Tisches so anzuordnen, dass jeder bequem die Schalen erreichen kann.

Nachdem Komet und Ingwer den Raum wieder verlassen haben, schließen die Bei-Beianer ihre Augen.

„Wahrscheinlich beten die jetzt“, flüstert Philipp Lucy ins Ohr.

Sie kichert. „Du kannst froh sein, dass hier kein Sofa steht.“

„Und du sprichst lieber auch nicht viel von dem Forschungsprojekt. Sie haben es mit einer Lücke zu tun, ein verhängnisvolles Wort für dich!“

Lucy seufzt kaum hörbar. „Was mag da wohl in den Schalen sein?“

Philipp bemüht sich, kaum hörbar zu flüstern. „Frag lieber nicht!“

Obwohl sich die beiden Gäste nicht sicher sind, wie gut oder schlecht die Ohren ihrer Gastgeber sind, erfahren sie, dass Lobo ihre Fragen unmittelbar danach beantwortet.

„Bevor wir speisen, bereiten wir unseren Körper auf dieses Ereignis vor. Wir verbinden uns mit der Natur und dem uns umgebenden Himmel, der uns trägt. Dadurch entspannen sich unsere Magennerven und sind empfangsbereit.“

„Es ist wohl ähnlich, wie beim Tischgebet der Menschen“, vermutet Philipp.

Lobo zeigt ein nachsichtiges Lächeln. „Ihr betet zu einem imaginären alten Mann mit Bart, das ist sehr fantasievoll. Wir stellen uns den Herrn aller Dinge wie ein großes Herz vor, das mit einem Gehirn ausgestattet. Aber, was euch und uns gemeinsam ist, beide haben wir diese hohe Eminenz noch nicht gesehen.“

Lucy sieht den Chief interessiert an. „Und auf eurem Zwillingsplaneten, auf Lupa? Wie steht es dort mit einem Glauben, einer Religion?“

„Das ist noch viel komplizierter als bei uns. Da glaubt jeder wie und was er will. Aber das sollen sie euch selbst erklären, wenn sie euch demnächst zu einem Besuch einladen. Jetzt lasst es euch erst einmal schmecken, denn wir hier auf Bei-Bei liegen sehr viel Wert auf alles, was dem Körper guttut. Diese Mahlzeit besteht aus Früchten der Erde, die wir in spezieller Weise gezüchtet haben.“

Philipp betrachtet die diversen Schüsseln, aus denen farbige Fruchtstücke entgegenleuchten. „Verzehrt ihr auch Fleisch?“

„Schon seit Jahrtausenden nicht mehr“, antwortet Lobo mit feierlicher Stimme. „Unsere Vorfahren waren sehr gierig, haben mit ihrem Heißhunger dafür gesorgt, dass die wenigen Tiere, die hier lebten, bald ausgestorben waren. Und so waren die Bei-Beianer dazu gezwungen, Früchte zu züchten, die nach einer langen Versuchsreihe die unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen aufweisen sollten. Inzwischen haben wir auch Früchte, die den Geschmack von Eiern, Fleisch oder Fisch besitzen. Und was noch wichtiger ist, sie besitzen die gleichen Inhaltsstoffe. Wir sind sehr stolz auf diese Entwicklungen, denn hier geht alles ohne Chemie ab.“

Lucy staunt. „Ihr seid sehr weit mit der Forschung. Wie habt ihr das geschafft?“

„Während es bei euch die Forschung gibt, die unter anderem auch mit dem Töten zusammenhängt, forschen wir lediglich für einen Erhalt des Lebens. Und ihr könnt euch vorstellen, dass man hier sehr, sehr alt werden kann. Aber jetzt probiert unsere Speisen und lasst es euch schmecken! Sicherlich haben wir noch genügend Zeit, über alles andere zu reden.“

Die junge Astronautin bedient sich zögernd. „Und Sassala? Isst sie nicht mit uns?“

„Nein, sie isst heute nebenan im Kreis ihrer Freundinnen, allerdings etwas später, wobei ich sie dann bediene. Auf einem Diwan bekommen ihr die Speisen am besten.“

Philipp lässt einen Bissen im Mund zergehen. „Das ist ausgezeichnet“, lobt er. „Der Geschmack ist außergewöhnlich delikat. Ich habe noch so nie etwas Gutes gegessen.“

Wieder zeigt Lobo sein nachsichtiges Lächeln. „Sicher kannst du dich an das Essen auf der Erde nicht mehr erinnern.“

Nachdenklich betrachtet der junge Astronaut seinen Teller. „Die Jahre lassen sich mit dem Computer errechnen. Es ist die Formel, die mit der Geschwindigkeit unseres Raumschiffes Sagitarius A zusammenhängt. Am Anfang haben wir noch ständig auf dem Bildschirm nachgesehen, aber mit der Zeit interessierten uns solche Fragen nicht mehr. Unser einziger Gedanke drehte sich ums Überleben.“

„Hier auf Bei-Bei müsst ihr wieder leben lernen“, verkündet der Chief. „Wir sind dafür bekannt, dass wir das Leben genießen wollen, weil wir dafür dankbar sind.“

Lobo schenkt seinen Gästen eine klare Flüssigkeit in hohe durchsichtige Trinkröhren ein. „Das hier ist ein ganz besonders Mineralstoff haltiges Quellwasser, es hat die ideale Zusammensetzung für ein gesundes Getränk. Wir verwenden es in vielen Geschmacksrichtungen, da wir es mit Essenzen aus Früchten und Kräutern anreichern. Schmeckt es euch?“

„Es lässt sich sehr gut trinken“, antwortet Lucy. „Der Planet hier ist nicht groß, habt ihr viele Wasser- Reservoire?“

„Unsere Atmosphäre verhält sich äußerst günstig, tatsächlich ist da eine ganze Menge Wasser im Umlauf, obwohl wir weit weniger Gletscher besitzen als ihr auf eurer Erde. Doch wir vermeiden jede Umweltverschmutzung. Seit vielen Jahren leben wir sehr einfach und sind glücklich damit.“

„Habt ihr da eine bestimmte Devise?“ erkundigt sich Philipp.

Der Chief sieht ihn wohlwollend an. „Natürlich. Wir auf Bei-Bei streben nach der Vollkommenheit der vier Elemente.“

„Aha! Ich weiß“, wirft Lucy ein und freut sich. „Auf der Erde sprechen wir auch von Feuer, Wasser, Luft und Erde.“

Lobo schmunzelt. „Unsere vier Elemente sind: die Ernährung, also Essen und Trinken, die notwendige Arbeit, die Zeit der Hobbys und die Mußestunden. So leben wir, und so sind wir zufrieden und glücklich. Wie hast du dein Glück auf der Erde gefunden?“

Die junge Astronautin überlegt einen Moment. Glück, das ist ein Wort mit dem verbotenen Buchstaben Ü. Jetzt gilt es vorsichtig zu sein und ein alternatives Wort zu finden. „Auch bei uns auf der Erde versuchen viele Menschen, einen Sinn zu finden, der ihr Leben bereicherte.“ Im Kopf fährt sie fort: Die Erfüllung der einzelnen Wünsche ist da sehr individuell. Aber verflixt, schon wieder befinden sich in dieser Fortsetzung diese verhängnisvollen Buchstaben. „Ich empfand es immer als eine Befriedigung, wenn ich die Wälder durchwanderte und den Duft der Blumen einatmete.“

Lobo schenkt ihr ein Lächeln. „Das kannst du alles hier auch genießen. Wald und Wiesen findest du hier überall.“

„Aber wie geht das denn ohne Insekten, ohne Schmetterlinge und Bienen“, erkundigt sich Philipp staunend.

„Die Natur findet immer einen Weg. Hier befruchtet sich inzwischen alles selbst, und es blüht schöner denn je. Im letzten Zeitalter haben einige Bewohner dieses Planeten überlegt, ob sich das nicht auch auf unsere Lebewesen übertragen lässt.“

Lucy sieht den Chief erstaunt an. „Und? Zu welchem Ergebnis seid ihr gekommen?“

„Diese Idee ist wieder verworfen worden, weil dadurch sowohl unsere Mußestunden als auch unser Genießer-Status stark darunter leiden müssten. Habt ihr euch nun genügend gestärkt? Nebenan ist ein Ruhezimmer, und draußen auf der Terrasse befinden sich auch einige Liegen. Möchtet ihr jetzt eure Glieder ausstrecken?“

Philipp schüttelt den Kopf. „Nein, wir sind sehr froh, dass wir uns hier etwas bewegen können. In den letzten Tagen, die wir in Sagitarius A verbracht haben, nahmen wir unsere Schnellschlafpillen, damit haben wir uns fit gehalten.“

„Die kennen wir noch nicht“, bemerkt der Chief. „Was ist das Besondere an ihnen?“

„Sie wurde extra für die Raumfahrt erfunden. Mit einer winzigen Pille genießt man in einer Stunde etwa acht Stunden Schlaf. Dabei entspannt sich der Körper und im Nervensystem regeneriert sich alles im Schnelldurchlauf.“

Lobo hebt die Augenbrauen. „Haben sie Nachteile?“

„Bis jetzt sind weder Nebenwirkungen noch große Nachteile bekannt. Aber die Experimente waren noch nicht gänzlich durchgeführt, als wir die Erde verließen. Ein wenig schade finde ich es, dass man sich nach einer solchen Pille nicht an seine Träume erinnern kann.“

„Aber man erspart sich auch das Erinnern an die Albträume“, wirft Lucy ein.

„Wir brauchen auch nicht viel Schlaf“, erzählt Lobo stolz. „Unsere gesunde Ernährung und viel Bewegung, sowie die positive Lebenseinstellung lassen uns mit wenig Schlaf regenerieren. Nach drei Stunden im intensiven Nachtmodus fühlen wir uns äußerst fit, ganz ohne Pillen.“

„Ihr seid uns wirklich um einiges voraus“, lobt Lucy ihren Gastgeber. „Vermutlich können wir noch sehr viel von euch lernen.“

„Zunächst könnt ihr euch erst einmal gut erholen und euch bei uns umsehen“, schlägt der Chief vor und sieht die junge Frau freundlich an. „Bei uns gibt es außer den unterschiedlichsten Pflanzen und Früchten eine Menge an wertvollen Bodenschätzen.“

Philipp erinnert sich an die Geschenke, unter denen sich auch einige Goldbarren befinden. „Das klingt sehr interessant. Um welche handelt es sich denn?“

„Einige, die ihr auch habt, unter anderem jede Menge Gold. Platin ist auch reichlich vorhanden. Aber unser wertvollstes Metall ist das Karmaax.“

„Welche Eigenschaften hat es?“ erkundigt sich Lucy.

„Das wird euch nachher mein Sohn Komet erklären, wenn er euch unser Depot zeigt“, antwortet er stolz. „Lasst euch überraschen!“

Philipp zeigt sich erfreut. „Wir lassen uns gern überraschen.“

Lucy beeilt sich, es ihm nachzutun. „Wir lassen uns gern …, ja, selbstverständlich, wir sind immer offen in Bezug auf neue Momente.“

Kapitel 4

Sassalla, eine große, korpulente und muskulöse Frau begrüßt die beiden Erdenbürger mit einem einladenden Lächeln.

„Seid willkommen auf Bei-Bei! Vermutlich wundert ihr euch, dass man euch hier vorurteilsfrei empfängt und behandelt. Tatsächlich kennen wir euch schon über unsere Recherchen, die wir unseren Filmarchiven über die Erdbewohner entnommen haben. Ihr beide gehört weder zu den manipulierbaren noch zu den grundlos aggressiven Bewohnern des malträtierten Planeten, den ihr Erde nennt. Bei uns ist er registriert als Versuchsobjekt 9124 und steht unter ständiger Beobachtung.“

Lucy staunt. „Der ist doch so weit weg, und trotzdem möchtet ihr euch informieren?“

„Wir sind zwar hier bei uns sehr beschäftigt, damit alles erfolgreich weiterläuft, aber in unserer Überwachungsstation sind Tag und Nacht ausgebildete Astronomen beschäftigt, alle bewohnten Planeten im Auge behalten. Nur so, zu Sicherheit.“

„Das ist verständlich“, findet Philipp. „Aber jetzt bin ich neugierig geworden. Was weiß man denn über uns hier?“

„Wir haben die Aktionen verfolgt, die ihr zur Rettung der Erde vorgenommen habt. Daher waren wir auch sehr erstaunt, dass man euch nachher in einem minderwertigen Raumschiff auf Reisen schickte, anstatt euch zu danken. Mit der Gerechtigkeit auf der Erde scheint es nicht weit her zu sein.“

„Darüber werden oft sogar Witze gemacht, denen ein ernster Kern innewohnt“, weiß Philipp zu berichten. „Leider hat uns die Rettungsaktion geschadet und sowohl Lucy als auch ich haben nun einen winzigen Gendefekt, der uns von anderen Menschen unterscheidet. Das hat den anderen auf der Erde nicht gefallen.“

Sassalla nickt verstehend. „Für die Bewohner unserer Zwillingsplaneten war es bisher stets unverständlich, dass ihr auf der Erde kontinuierlich mit der Toleranz Probleme habt. Verschiedene Sprachen, verschiedene Dialekte, unterschiedliches Aussehen und unterschiedliche Ansichten werden bei euch immer wieder zum Konfliktstoff. Es ist kaum zu glauben, dass man euch die mutigen Aktionen nicht dankte, sondern euch im Gegenteil offensichtlich herabstufte. Möchtet ihr mir etwas über eure Gendefekte mitteilen, oder ist das zu privat?“ Sie führt die beiden wie angekündigt zu einem der Forschungslabore und stoppt vor der Tür.

„Ich habe Vertrauen zu dir, Sassalla“, beginnt Lucy. „Bei mir hat die Strahlung einen Defekt im Bereich der Zunge und der Lippen ausgelöst. Wenn ich den Buchstaben „U“ als Umlaut mit den entsprechenden kleinen Strichen ausspreche, verkrampfen sich Mund und Zunge, sodass ich einen lauten Pfeifton ausstoße, so, wie wenn andere Menschen flöten, einen Vogel laut nachahmen oder nach einem Hund pfeifen. Und das passiert fast immer. Nicht jedes Mal, aber ich weiß natürlich nicht, wann es losgeht.“

Sassalla kraust die Stirn. „Dann kann es hier auf Bei-Bei tatsächlich Probleme geben. Die Pfeiftöne sind bei uns ganz wichtige Kommandosignale für alle möglichen Starts. Ähnlich wie bei euch die schnurlosen Fernbedienungen beim Licht oder zum Einschalten des TV-Geräts, erfolgt bei uns ein Start meist mit einem kurzen kräftigen Pfiff. Das hat damals unsere letzte Schönheitschirurgin eingeführt, denn diese Muskelentspannung des Mundes beim Pfeifen straft die Kinnpartie.“

„Ihr hattet Schönheitschirurgen und habt sie abgeschafft?“ fragt Philipp erstaunt.

„Inzwischen wissen wir uns durch Ernährung und Bewegung schön und jung zu erhalten, da gibt es außerdem keine Normen und Klischees, geschweige denn Modetrends wie bei euch. Die sind sowieso nur für die Kassen eurer Industrie gut und führen letztendlich wieder zur Umweltverschmutzung, wenn zum Beispiel leere Behälter oder alte, nicht mehr moderne Klamotten entsorgt werden müssen.“

Lucy stöhnt. „Was kann ich also tun? Ich bemühe mich ständig, diesen Buchstaben zu vermeiden. Aber es ist sehr anstrengend, denn wie sich inzwischen herausgestellt hat, gehört dieser Buchstabe als ein sehr bedeutender in unsere und eure Sprache.“

Sassalla überlegt und zeigt dabei eine Grimasse. „Das ist eine fatale Sache. Bei euch auf der Erde hätte das sicher keine Probleme bereitet. Aber hier werden sogar die kleinen Regenraketen mit einem Pfiff gestartet. Da kann ich dich wirklich nur bitten, so bedacht wie möglich zu sprechen.“

„Ich werde mich zusammennehmen“, verspricht Lucy. „Schließlich habt ihr uns hier sehr freundlich empfangen, da möchte ich keine Katastrophen auslösen.“

„Das glaube ich dir, wir werden schon alle auf dich aufpassen“, tröstet Sassalla ihren Gast und öffnet die Tür zum Labor. „Ich werde gleich unseren begabten Dr. Dr. Miesewetter fragen, ob er jetzt ein Forschungsprojekt für dich, ganz schnell einmal zwischendurch beginnen kann. Ein Physiotraining oder ein Medikament kann da bestimmt zur Abhilfe gefunden werden.“

„Das wäre wunderschön“, antwortet Lucy hoffnungsvoll. „Ich konnte mich nie an diesen Makel gewöhnen, sondern habe mich damit selbst immer minderwertig gefühlt.“

„Da müssen wir schnell Abhilfe schaffen“, entscheidet Sassalla. „Das ist für uns alle wichtig.“

Sie strebt auf einen jüngeren Mann zu, der gerade einige kreisrunde Computer bedient. „Lieber Johnny, hier stelle ich dir die erwarteten Erdenbürger vor, und wir haben auch gleich eine neue Aufgabe für dich.“

Dr. Dr. Miesewetter begrüßt die Ankömmlinge mit einem Kopfnicken. „Ich habe gerade die letzten Fehler in unserem Review-Messprogramm beseitigt. Da kann ich jetzt etwas zwischenschieben.“

Philipps Blick verrät Neugier. „Werden Sie mir verraten, um was es bei diesem Messprogramm geht?“

„Du hast vergessen, dass wir hier alle Du zueinander sagen. Aber du wirst dich schon daran gewöhnen. Unser Review-Messprogramm ist universell verwendbar. Das ist ein winziger runder Computer mit Sensoren. Er misst Größe, Volumen, Gewicht von allem, was auf unserem Planeten existiert. Vorwiegend arbeitet man damit für Statistiken. Ansonsten sind wir hier nicht so messfreudig, wie ihr auf der Erde. Ich habe noch nie einen Planeten kennengelernt, auf dem so viel gemessen wird wie bei euch. Da kontrolliert ihr tatsächlich ständig euer Gewicht, die Größe und alle Körperfunktionen. Wir dagegen leben gesund und messen nur zu ganz bestimmten Gelegenheiten etwas, nur dann, wenn es erforderlich wird.“

Lucy seufzt. „Ich sehe schon, ihr habt eine ganz andere Lebenseinstellung.“

Johnny Miesewetter lächelt. „Wir auf Bei-Bei sind schon sehr optimistisch eingestellt, aber auf dem Planeten Lupa wird diese Lebenseinstellung noch weiter kultiviert. Lupa, das heißt in eurer Sprache „Weitblick“. Die Menschen, die sich dort zusammengefunden haben, pflegen ihre philosophischen Potenziale.“

„Sie stammen ursprünglich auch von unserem Planeten“, erklärt Sassalla. „Vor einigen hunderten von Jahren sind sie dorthin ausgewandert, um sich besser entfalten zu können. Ihr hättet auch längst Mittel und Wege finden können, euren Mond bewohnbar zu machen. Sicherlich hättet ihr damit einen Vorteil gehabt bezüglich eurer intoleranten Haltung.“

Lucy lächelt ein bisschen wehmütig. „Es gab schon einige scherzhafte Sprichworte. Wenn man jemanden nicht leiden konnte, sagte man, man möchte denjenigen am liebsten auf den Mond schießen.“

Dr. Dr. Miesewetter verzieht den Mund. „Ja, das Reden übertrifft bei euch bei weitem die Aktionen. Eure Presse ist da ganz genial. Über einen sportlichen Rekord beispielsweise, der schon kurze Zeit danach wieder überboten wird, können sich einige Leute bei euch auf der Erde mehrere Tage bis ins Detail auslassen. Die Flut der belanglosen Informationen überfordert zuweilen eure niedlichen Gehirne.“

„Ist euer Gehirn anders?“ erkundigt sich Lucy interessiert.