Saharaoui - Michael Hug - E-Book

Saharaoui E-Book

Michael Hug

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Beschreibung

In «Saharaoui» erzählt der Autor von einer Reise in die Westsahara. Der Trip war anders geplant, links liegenlassen wollte er das Land. Doch das Schicksal in der Gestalt eines Botschaftsbeamten wollte es anders. Und so öffneten sich dem Reisenden ganz neue Sichten und Einsichten in das besetzte Land. Perspektiven, die auch uns Europäern zu denken geben sollten. Was aus der Wuste kommt - kommt unter einem falschen Mäntelchen bis nach Mitteleuropa. Zum Schluss des Buches verschlägt es den Autor ganz woanders hin: auf den H2O in Nordamerika - den Highway to Ocean.

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SaharaouiMichael Hugverlag grippedbäg

1. Auflage November 2016

Copyright 2016

Verlag grippedbäg & Michael Hug

Degersheim, SchweizAlle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, photomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisem Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.Bibliographische Informationen der Schweizerischen

Nationalbibliothek:

Die Schweizerische Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation.Dieses Buch enthält Textstellen der freien Enzyklopädie Wikipedia und anderen Quellen. Etwelche Fehler aus diesen Quellen wurden nicht korrigiert.

ISBN: 978-3-033-05840-8

Verlag grippedbäg

Korrektorat: Olivia M. Hug

Cover & Fotos: Michael Hug/Gerdi Poschung

Mir scheint, es ist einfacher,in schönen Worten zu sprechen,als die unschönen vermeiden zu wollen.

gepackter koffer

Für Vuelo, mein Kleiner

Casablanca

Der Weg ist das Ziel. Der Umweg auch. Casablanca ist aufdringlich. Ich bin keine 300 Meter gegangen und meine Schuhe wären schon drei Mal geutzt worden, wenn ich denn zugestimmt hätte. Gestern in Rabat war das anders. Da hat jeder Schuhputzer seinen Rayon, jeder Kleindealer seine zehn Meter Trottoir, jeder Bettler seinen Platz. Jetzt nötigt mich bereits der dritte Knabe mit Tempo-Taschentüchern und mindestens drei Uhren-Brillen-Ohrringverkäufer haben mich auch schon beschwatzt. Casa ist lärmiger, hektischer, eben aufdringlicher als Rabat oder Tanger. Mitten durchs Zentrum baut man ein Trassee für die Tramway. Hier unten am Hafen, wo alles zusammenkommet, der Hafenverkehr, der Bahnhof, die grossen Hotels, exakt genau hier wird es irgendwann einmal durchfahren, das Tram.

Doch jetzt wird hier hinter blechernen Palisaden erst mal gearbeitet. Auch heute am Samstag. Der Verkehr staut sich auf alle Seiten, es hupt und stinkt und plötzlich läuft alles wieder. Ohne dass die weisende Hand auch nur eines einzigen Polizisten dazwischen greift. In Rabat steht auf jeder Kreuzung einer, hier keiner. Viel regeln können sie ohnehin nicht. Die, die Auto fahren, fahren dann und dort wann und wie es ihnen passt und die, die zu Fuss gehen, quetschen sich irgendwie dazwischen. Selbst ist die Frau, oder der Mann oder das Kind, sonst kämen sie nirgendwohin, schon gar nicht über die Strasse. Regeln gibt es offensichtlich keine, wer fährt, der fährt, nur einem Polizisten gehorchen alle: dem Rotlicht. Mit Unmut zwar. Rollerfahrer fahren schon lange vor der Grünphase los, und hinten wird schon lange bevor ebendiese angezeigt wird, gehupt.Doch die Baustelle, so sehr sie den gesamten Verkehr am Hafen durcheinanderbringt, hat auch einen Vorteil. Die Strasse, an der ich gerade in einem Café sitze, ist durch sie zur Sackgasse geworden und darum wunderbar verkehrsberuhigt. Doch sie ist nicht bettler-, fliegendeverkäufer- und schuhputzerberuhigt. Und ich selber bin alles andere als beruhigt.

«Non!», sage ich. Ich will meine Schuhe nicht geputzt haben. Ich will sie nicht herzeigen, denn sie sehen nicht sehr vorteilhaft aus, fallen bald auseinander. Diese Reise ist ihre letzte, da müssen sie jetzt noch durch, geputzt werden sie bis zu ihrem Ableben ganz bestimmt nicht mehr. Zwei Jahre haben sie unter den Sohlen, noch immer sind sie wunderbar bequem und ausserdem lassen sie mit ihren dicken Schaumsohlen meine Menisken weniger leiden. Doch sie sind ausgelebt, haben Risse und Schrunden, sie taugen gerade mal um damit zu gehen, aber sicher nicht, um sie herzuzeigen. Casablanca sehen und sterben, heisst es für meine lieben Schuhe. Wenn ich zuhause bin, fliegen sie noch einen kurzen Flug weiter, und zwar in den Müll. Vielleicht sollte ich sie doch am letzten Tag meiner Reise besonders würdigen und sie ein letztes Mal für 5 Dirham putzen lassen. Genau das werde ich tun, am letzten Tag dieser Reise, sofern ichs nicht vergesse. Heute ist aber nicht der letzte Tag.

Oder doch? Eigentlich, aus der Nähe betrachtet, ist dies der letzte Tag meiner Reise, die ja erst vor einer guten Woche begonnen hat (siehe letztes Kapitel in Band 2 «Tre Vulcani»). Vielleicht kam das «Non!» deshalb etwas gar mürrisch über meine Lippen. Gerade frage ich mich, was ich hier eigentlich noch tu‘. Mein Projekt ist an den Behörden (und, zugegeben, auch an meiner latent durchbrechenden Deppertheit), die meinen Visaantrag verschlampten, gescheitert. Mauretanien, das ursprüngliche Ziel, ist weit weg, der längste Zug der Welt von M‘Haoudat nach Nouadhibou wird mich nicht mitreisen lassen können. Da plant man mal was nicht bis ins Detail und scheitert prompt.

Wenn etwas passt, dann passt es und es gibt keine Widerstände. Offensichtlich passt hier und jetzt nichts zusammen. Was haben diese Widerstände zu bedeuten? «Hast du geglaubt, dass es einfach wird?», hat mich Thim gestern auf Whatisapp gefragt. Ich: «Delli, ich hab‘ gedacht, dass es einfach wird.»

«Willst du Gott zum Lachen bringen, erzähl ihm von deinen Plänen.» Sagt man. Macht man einen Plan, ist nachher alles einfach. Phaa! Nichts ist einfach, nichts läuft von selbst. Aber wirklich planen lässt sich auch nichts. Eine grosse Reise nicht und das Leben grad auch nicht. Planen heisst, einer Idee mit Sachzwängen beizukommen. Genau in dieser Falle hocke ich gerade. Ich bin hier, weil ich zuhause einen Monat lang nicht Auto fahren darf. Ich habe mir gedacht, wenn ich schon nicht beweglich bin, bewege ich mich gleich richtig weg. Jetzt machen mir die Behörden auch hier einen Strich durch meine Beweglichkeit. Ich bin seit einer Woche in Marokko, das ich eigentlich links liegen lassen wollte. Da hocke ich und kann mich nicht bewegen. Als ob ich vergessen hätte, dass der Weg das Ziel ist. Ich werde also zum Betrachten des Weges genötigt. Und hock‘ ich da ohne Plan, hadere mit mir und schreie Schuhputzkinder an.

Lesende/r, du siehst, ich häng‘ in Casablanca und habe die Krise.

Laâyoune

Laâyoune empfängt mich schwarz, warm und ungestüm. Es ist Samstagabend und die ganze Einwohnerschaft ist auf der Strasse. Man benutzt, wenn zu Fuss unterwegs, auch hier, wie sonst wo im Maghreb, lieber die Strasse als das Trottoir, weil die asphaltiert ist und löcherloser als die einmal gebauten und dann nie mehr unterhaltenen Gehwege. Mein Fahrer schwatzt und flucht und zirkelt durch die Fussgänger. Ein Auto ist auch in der Westsahara der Stärkere, doch jeder Fussgänger tut hier wie in ganz Afrika so, als ob er dann, wenns drauf an kommt, ganz sicher nicht nachgibt. Doch wenns dann drauf an kommt, gibt er doch stets nach, im letzten Moment, kurz bevor das Auto (bzw. dessen Fahrer) die Notbremsung einleitet. Es ist ein ständiges Abtasten, wer seine Absichten durchsetzen kann, dabei ist die Sache von vornherein klar, Recht, das heisst Vortritt, bekommt immer der Stärkere. Was er braucht, der Stärkere, sind Nerven, denn die Gefahr, dass da wer sein Schienbein an einem Stossfänger stösst, ist latent und wer will schon Probleme hier in diesem Staat, in dem so vieles unorganisiert scheint.

Mittlerweile habe ich die Casablanca-Krise überwunden. Die Krise als Chance, haha. Floskel. Hört man in jedem billigen Burnout-Reintegrations-Seminar. Ich habe mich entschlossen, runter in die Westsahara zu fahren (bzw. zu fliegen), mal einfach so weit zu fahren, bis es nicht mehr geht oder man mich an einer Grenze, für die ich kein Visum habe, aufhält. Oder ich auf eine Mine trete. Sei alles vermint da unten an der Grenze zwischen der Westsahara und Mauretanien. Mit Minen habe ich Erfahrung, war mal in der Republika Srpska. Da liegen sie auch noch millionenfach herum und ich bin in keine reingetreten (ist schon eine Weile her, vielleicht erwähne ich jenen Trip mal in einem meiner späteren Bücher - freuet Euch, Lesende!).

Da liegt also ein Land vor mir, von dessen Existenz ich bis anhin nur am Rande Kenntnis genommen habe. Ich weiss nichts über die Verhältnisse hier und gerade darum werde ich bei jedem Schritt neugieriger.

Warum liegen diese Minen da unten?

Mit mir in diesem Taxi sitzt ein etwa 30jähriger Mann, der mich in der Ankunftshalle nach der Passkontrolle - weiss der Gugger warum es hier eine Passkontrolle gibt, war doch ein Inlandflug - angesprochen und dann mit einem der aufdringlichen Fahrer den Preis ausgehandelt hat. «Weil der Fahrer mich sonst bescheissen würde», meint der freundliche Herr auf Französisch, und ich traue ihm trotz seiner Freundlichkeit noch nicht wirklich. Doch er hat sich einen mir vernünftig erscheinenden Preis (50 Dirham, ca. 5€) erdealt, und ausserdem ist es Abend, schwarz und ohne Mond, ich hatte keine Ahnung in welcher Himmelsrichtung die Stadt liegt und es waren sonst nur noch zwielichtigere Gestalten zu sehen auf der Vorfahrt.

Der Fahrer ist ein inoffizieller Taxifahrer mit inoffiziellem Taxi, einem Toyota-Pickup. Der freundliche Herr, der sich in die Mitte der Fahrerkabine zwängen muss, erklärt mir, dass es am Flughafen um diese Zeit keine Taxis mehr gäbe, weil es sich nicht wirklich lohne. Es kämen nicht viele Leute in Laâyoune an, die meisten werden von den Angehörigen abgeholt oder von UN-Fahrern. Unser Fahrer fährt und sagt nichts. Der freundliche Herr fragt mich, wohin ich müsse, ich sage, ins Hotel Nagjir. Wir nähern uns allmählich der Stadt und ich frage den freundlichen Herrn: «Was meinen sie mit UN?» «L‘organisation des nations unies», antwortet er und sagt, dass er mir das alles erklären würde, er müsse jetzt aber gleich raus, und dann lädt er mich zu einem Kaffee in ein Café gegenüber meinem Hotel ein. Er sei gegen 21 Uhr da. Nun gut. Der Mann steigt aus, der Fahrer fährt weiter und plötzlich redet er wie ein Wasserfall. Auf Spanisch. Ich frage ihn in meinem bemühten Spanisch, warum er kein Französisch spreche. Da sagt er, dass er von hier sei und nicht Marokkaner wie der, der gerade ausgestiegen ist. Hiesige sprechen seit je Saharaouisch oder eben Spanisch, nicht Französisch, das sei die Sprache der Besetzer. Sein Vater sei Spanier und hier geboren, er fühle sich als Saharaoui mit spanischen Wurzeln, und sicher nicht als Marokkaner. Ausserdem befürworte er die «Frente Polisario» und tippt auf einen Wimpel, der am Rückspiegel pendelt, darauf ein Symbol mit Schwertern.

Die Polisario müsse aufräumen mit dieser «force d‘occupation», wobei der Fahrer jetzt in ein Fieber gerät, immer lauter spricht und mit den Händen fuchtelt. Aus seinem Gehabe und der Fülle von Temperament zufolge schliesse ich, dass er ein glühender Anhänger dieser Polisario ist und somit ein heisses Leben führt, denn nichts will Marokko mehr aus der Welt beziehungsweise aus dem Gebiet der Westsahara geschafft haben als die Polisario. Ich bemühe mich, seinen Wörterschwall zu verstehen, gebe aber bald mal auf, da mir die Materie, von der er spricht, doch etwas zu unvertraut ist. Ausserdem ist dies ein politisches Thema und dabei muss man Vorsicht walten lassen, erst recht, wenn man nicht alles versteht und das Gegenüber einen falsch verstehen kann. Ich frage mich, warum der Mann vorhin, als noch ein Dritter im Auto sass, überhaupt nichts sagte, und ich frage mich ausserdem, ob der Mann überhaupt je eine Schule von innen gesehen hat, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass man in der Schule nicht die Amtssprache der Westsahara, eben Französisch, lernt.

Nun denn, der Mann bescheisst mich um 30 Dirham, indem er mir auf meinen Hunderter einen Zwanziger statt einen Fünfziger rausgibt, was ich nicht gleich bemerke, da es dunkel ist. Wird Zeit, dass ich mich mit dem Land befasse, in dem ich gerade Gast geworden bin.

Westsahara

Laâyoune ist keine eigentliche Landeshauptstadt, da die Westsahara kein eigentlicher Staat ist, sondern, nach Ansicht von Marokko, legitimes Staatsgebiet des Königreichs Marokko. Zur Klärung dieser Unklarheiten wollen wir das Internet bemühen.

Wiki meint:

Das Gbiet der Westsahara liegt im Nordwesten Afrikas an der Küste zum Atlantischen Ozean und umfasst eine Fläche von 266.000 km². Es teilt sich geografisch in einen nördlichen Teil, der zur spanischen Kolonialzeit etwa die Provinz Saguia el Hamra bildete und in dem flach gewellte Kies- und Geröllwüsten (Hammada) überwiegen. Das Gelände steigt von der Küste ins Landesinnere allmählich bis in eine Höhe von etwa 400 Meter, mit den höchsten Erhebungen über 700 Meter im Norden nahe der algerischen Grenze. Das südliche Gebiet entspricht etwa der ehemaligen Provinz Río de Oro und ist beinahe völlig flach mit vereinzelten Sanddünen (Erg), die in der gleichförmigen, fast vegetationslosen Geröllebene nur für wenig Abwechslung sorgen. Den dritten Landschaftstyp stellen die nach der Regenzeit stellenweise wasserführenden Trockenflusstäler (Wadis) dar, von denen der Saguia el Hamra für die Oasenwirtschaft die größte Bedeutung hat. Er ist bis zu seinem Ende bei El Aaiún (Laâyoune) kurz vor dem Atlantischen Ozean mit 350 Kilometern der längste Fluss des Landes.

Die Bevölkerung des Gebiets Westsahara von 373.008 Einwohnern (Stand Juli 2005) besteht vor allem aus Arabern und arabisierten Berbern. Bei den ursprünglich das Gebiet besiedelnden Sahrauis handelt es sich um arabische Nomaden, von denen jedoch ein Teil seit Jahren in Flüchtlingslagern bei Tindouf in Algerien lebt. Gesprochen wird überwiegend das marokkanische Arabisch von Zuwanderern aus dem Norden, daneben auch der Hassania-Dialekt der ursprünglichen Bevölkerung vor der marokkanischen Besiedlung, eine auch im benachbarten Mauretanien verbreitete regionale Form des Arabischen. Nahezu 100 % der Einwohner sind Muslime.

Laâyoune ist nun eine Stadt, die es in meinem Bewusstsein erst seit zwei Tagen gibt. Geh‘ mal hin und schaus Dir an - habe ich mir in Casablanca gedacht. Dann habe ich stundenlang im Internet recherchiert, um was es geht bei dieser Stadt und diesem Land, der Westsahara. Recht lang hat auch die Suche nach einem adäquaten Hotel gedauert. In den Datenbanken der virtuellen Hotelreservierungsroboter scheint Laâyoune überhaupt nicht zu existieren. Nun aber hotellos hinzufliegen, schien mir etwas gar gewagt, auch und erst recht, weil abzusehen war, dass ich erst am Abend ankommen sollte. In solchen Fällen recherchiert - googelt - man halt, bis sich etwas auftut. Dann sendet man ein Mail mit einer Anfrage und wartet erst mal ab.

In diesem Fall hat das Warten gar nicht mal lange gedauert. Das Hotel «Nagjir Ville» hat für mich eine Bleibe frei. Ein stattlicher Palast, vier Sterne, keine zwei Jahrzehnte auf dem Buckel, modern-arabisch-nullachtfünfzehnirgendwas Baustil, sechs Stockwerke hoch, ockergelbe Fassaden. Die Lobby ist grosszügig und schlicht, mit viel bunten Mosaiksteinchen an den Wänden und polierten Kunststeinplatten am Boden. Eine Empfangstheke. Ein riesiger orientalsicher Teppich davor. Eine Bar, ein Teekessel darauf. Zahlreiche Sitzgelegenheiten mit Polstern aus Stoff. Etwas seltsame Farbkombinationen. Ein funktionierender Lift. Ein Kofferpage. Das Zimmer schlicht, gross, karg, kühl und nicht wirklich einladend. Ein schrankgrosser Fernseher aus dem Mittelalter, kein WiFi, dafür TV5 Monde und Pro7. Matratze und Bettwäsche sozusagen neu und sauber, das Badezimmer schlicht, kühl, karg und schmuddelig. Schimmel in Orange und Grau überall, lotterige Armaturen, ein Handtuch. Ein Loch, vier Sterne, 600 Dirham, verdammt, qu’est-ce que je fais là. Zwei Nächte gebucht, diese Erfahrung will ich machen, wird ja wohl auch noch was Positives an sich haben, dieses Laâyoune.

Neugierde und Hunger. Ich geh‘ raus, um ein Restaurant zu suchen, schaue bei den Cafés rund um den Verkehrskreisel vor dem Hotel vorbei, finde den Herrn von vorhin, der angedeutet hat, dass er mich zum Tee erwarte, nicht. Finde stattdessen eine Pizzeria in einer Seitengasse, bestelle Côtes d‘Agneau mit Frites und eine Cola, der Hunger treibts runter. Alkoholisches führt man nicht. Ich werde von Kindern bestürmt, die mich um einen Dirham anbetteln, ich schüttle den Kopf und gehe weiter, da spuckt mich so ein Goof von hinten an. Das sieht ein Passant, der raunzt den Goof an, dieser entgegnet wortreich. Ich entnehme seinem Gestus, dass er sich rausreden will und wahrscheinlich behauptet, aufs Trottoir gespuckt zu haben, wobei, warum sollte ein Kind aufs Trottoir spucken. Ich entferne mich, da ich zu dieser Auseinandersetzung mangels Sprachkenntnissen und dem Wissen um die flinken Beine von achtjährigen Jungs nichts beitragen kann. Statt an eine Verfolgungsjagd denke ich zwei Dinge: Erstens müssen die jungen Menschen hier noch einiges lernen, wenn sie eine touristische Region von Belang werden wollen. Zweitens werde ich diesen Ort umgehend in 36 Stunden verlassen. Diese Rotznasen. Diese Ungastlichkeit.

Nach dem Vordringen des Islam entstanden auf dem Gebiet der heutigen Westsahara islamische Gruppen, die später auch als Almoraviden einen Großteil Nordafrikas und Südspaniens beherrschten. 1884 erhielt Spanien an der Kongokonferenz in Berlin das Küstengebiet der heutigen Westsahara zugesprochen und begann mit der Errichtung einer Handelsstation, der Stadt Villa Cisneros, dem späteren Ad-Dakhla. Das Hinterland wurde, ohne es zu kennen, zur Kolonie Río de Oro erklärt. In den Jahren danach wurden weitere kleine Handelsniederlassungen an der Küste gegründet und bei Notwendigkeit zu militärischen Stützpunkten ausgebaut. Nach zähem Widerstand der Sahrauis gegen die wachsende Militärpräsenz Spaniens wurde das ganze Gebiet der Westsahara 1924 zur spanischen Kolonie Sahara Espangnol erklärt.

Ab 1965 verlangte die UNO-Generalversammlung von Spanien wiederholt in – völkerrechtlich nicht bindenden – Resolutionen die Dekolonialisierung der Westsahara. Im Mai 1973 gründete sich die sahrauische Befreiungsfront Frente Polisario, die den bewaffneten Kampf gegen die spanische Kolonialmacht aufnahm. 1974 forderte Marokkos König Hassan II. den Anschluss der Westsahara an Marokko. Im Mai 1975 stellte eine UNO-Delegation in der Westsahara fest, dass die Bevölkerung die Unabhängigkeit wünsche und der Frente Polisario breite Unterstützung zukommen lasse. Der Internationale Gerichtshof, dessen Zuständigkeit in dieser Sache durch Marokko bestritten wurde, wies im gleichen Jahr Souveränitätsansprüche Marokkos und Mauretaniens zurück. Trotzdem kam es im Oktober 1975 zu ersten Übergriffen der marokkanischen Armee auf das Territorium der Westsahara. Nach dem Tod Francisco Francos verließ Spanien das Gebiet. 1975 zogen im so genannten Grünen Marsch etwa 350.000 Marokkaner in die ehemalige Kolonie ein, um marokkanische Ansprüche auf das Gebiet geltend zu machen.

Am 26. Februar 1976 stimmte eine Versammlung saharauischer Stammesfürsten der Aufteilung der Westsahara zwischen Marokko und Mauretanien zu, woraufhin am 27. Februar 1976 von der Polisario die Demokratische Arabische Republik Sahara ausgerufen wurde. Marokko erkannte diesen Staat nicht an. Die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) wurde 1984 in die Organisation für Afrikanische Einheit aufgenommen. Als Reaktion darauf trat Marokko aus der Organisation für Afrikanische Einheit aus und ist seitdem das einzige afrikanische Land, welches nicht Mitglied dieser Organisation und der aus ihr hervorgegangenen Afrikanischen Union ist.

Marokko erklärte 1976 die Annexion der nördlichen zwei Drittel des Westsahara-Gebietes und 1979 des restlichen Territoriums, nachdem sich Mauretanien aus dem Gebiet zurückgezogen hatte. Diese Annexionen wurden von den Vereinten Nationen nicht anerkannt. Ebenso wenig wurden ohne die Abhaltung des von den Vereinten Nationen geforderten Referendums die Ansprüche der Demokratischen Arabischen Republik Sahara auf das Gebiet der Westsahara anerkannt. Die Vereinten Nationen sind mit einer ständigen Beobachtermission MINURSO im gesamten Gebiet der Westsahara präsent. Der endgültige Status des Gebietes ist bis heute ungeklärt, da kein Referendum über die Zukunft des Gebietes abgehalten wurde. 1991 wurde eine Waffenstillstandsvereinbarung zwischen Marokko und der Polisario geschlossen. Bis heute leben etwa 100.000 Sahrauis in vier Flüchtlingslagern nahe der Stadt Tindouf in der algerischen Sahara.

Weite Teile des Landes sind wirtschaftlich noch unerschlossen, das Straßennetz ist dünn. Die wesentlichen Wirtschaftszweige sind die Fischerei, der Abbau von Bodenschätzen (besonders Phosphat, das Vorkommen gilt als eines der größten der Welt) und der Anbau von Dattelpalmen (Oasenwirtschaft). Der Westküste wird ein großes Potenzial für die Gewinnung von Windenergie zugeschrieben. Die gesamte Wirtschaft der westlichen Teile der früheren spanischen Kolonie wird mit Steuermitteln aus Marokko stark subventioniert und im Rahmen der Besiedelung durch Marokkaner kräftig ausgebaut, während der nicht besetzte Ostteil sowie die Flüchtlingslager in Algerien weitgehend von internationaler Unterstützung abhängig sind.

Um elf bin ich zurück in meiner Edel-Absteige im fünften Stock. Sie kommt mir jetzt ein wenig unterkühlt vor. Ich suche eine Heizung, ein Klimagerät oder ähnliches, das den Raum und mich erwärmen könnte. Das Ähnliche gibt es tatsächlich, einen elektrischen Heizkörper, an die Wand hinter dem Fernseher montiert und nicht gerade vor geballter Power platzend. Genauso wenig wie es mein Vertrauen erweckt, kann ich es zum Leben erwecken. Es scheint ganz einfach kein Strom da zu sein (obwohl alle anderen elektrischen Geräte tadellos funktionieren). Es ist Februar, da ist es in Mitteleuropa saukalt (als ich mich vor zwei Wochen aufmachte, brach ein ausnahmejahrhundertsibirischer Winter über der Schweiz herein) und am Rande der Sahara angemessen temperiert, jedoch nachts unangenehm kühl. Es bleibt mir also die Option, in dieser Nacht zu frieren, zumindest aber zu frösteln. Angesichts dieser etwas suboptimalen Perspektive mache ich einen letzten Untersuchungsversuch und untersuche die Zuleitung zum Heizgerät, welche aus einem Kabel besteht, das zu einer etwa einen Meter entfernten Steckdose führt, die wiederum sich hinter dem Schreibtisch mit eingebauter Minibar befindet. Die Doppel-Steckdose ist durch die Stecker eines Tischlämpchens und des Minibarkühlschränkchens belegt, das inhaltsleer und sinnentleert vor sich her kühlt. Ich stecke also den einen Stecker aus und den anderen ein und siehe da - das Öfeli heizt. Freude herrscht. Der Tag hat doch noch einen guten Abschluss gefunden.

Vor meinem Fenster ist ein Balkon, darüber hinaus erhellt künstliches Licht die mondlose Nacht. Ich blicke auf die Strasse und sehe, dass das ganze Gewimmel von eben wie weggefegt ist. All die Cafés rund um das Hotel sind leergefegt, die Stühle auf den Terrassen verschwunden, die Männer, die eben noch darauf gesessen haben, auch. Die Markisen runtergezogen, nirgends Licht in den Cafés und Krämerläden. Kein Mensch ist mehr auf den Strassen zu sehen, spärlicher Autoverkehr, trotzdem brennt die Strassenbeleuchtung. Dünkt mich jetzt doch ein wenig seltsam. Bin doch nicht in Grönland hier?

Ich lege mich aufs Bett, warte auf die Wirkung des heizenden Ofens und schaue fern. Es fliegen Autos durch die Luft (im TV) und ein Schwarzer (Denzel Washington) ersäuft innerhalb eines ebensolchen im Hudson River. Fernschauend denke ich nach, mag aber irgendwann weder denken noch sehen, also schliesse ich den Tag und mache den Fernseher aus (umgekehrt natürlich). Im schönsten tiefen Schlaf werde ich wenig später durch Gehupe auf der Strasse geweckt. Es ist fünf nach zwei. Ich gehe ans Fenster und versuche, den Grund festzustellen. Es brennen immer noch sämtliche Strassenlampen im Vollbetrieb und es fahren Autos in wilden Konvois durch die Strassen, so in der Art, wie es Fussballfans tun, wenn ein gewonnenes Fussballspiel zu feiern ist, oder jemand den sogenannten Bund des Lebens eingegangen ist. Doch Fussballspiele enden nicht nachts um zwei und Heiratsgesellschaften tun ihre Freude autofahrender- und dabei hupenderweise eher vor dem grandiosen Festdinner kund denn nachher. Wer also kurvt da warum durch die Strassen, ist die Frage, die mir grad niemand beantworten kann. Nach zehn Minuten ist der Spuk vorbei, vorläufig, es spukt nochmals, in abgeschwächter Form in einem entfernteren Stadtteil, aber dann ist Ruh‘ über den Satellitenspiegeln auf den Dächern von Laâyoune. Die Strassenbeleuchtung leuchtet trotzdem weiter, auch wenn sich nun keine Seele mehr auf den Strassen befindet.

Monate später, als ich mich mit der Niederschrift dieses Manuskripts befasse, erfahre ich, dass in den Städten der Westsahara seit November 2010 eine Ausgangssperre ab 22 Uhr herrscht. Sie gilt für die saharaouische Bevölkerung, nicht für hier lebende Marokkaner, für die ständigen UN-Beobachter und auch nicht für allfällige Touristen (fragt sich, was Touristen ausserhalb ihrer Hotels überhaupt zu tun oder zu sehen gewillt wären, wenn doch alle Restaurants geschlossen sind, dennoch hätte mir das jemand mitteilen können). Der Grund für die Ausgangsperre seien Unruhen gewesen, doch davon später.

Nun muss aber endgültig Aufklärung her über diese Westsahara. Das Land nennt sich eigentlich Demokratische Arabische Republik Sahara oder kurz DARS (República Árabe Saharaui Democrática). Die Republik wurde am 27. Februar 1976 von der Guerilla-Armee Frente Polisario ausgerufen, kurz nachdem Spanien im Jahr zuvor seine Kolonisationsabsichten aufgab und seine Truppen und den Verwaltungsapparat nach Hause berief. Mit dem Einmarsch Marokkos im Norden des Landes kam es zum so genannten Westsaharakonflikt, in dessen Folge die Frente Polisario immer mehr bedrängt wurde und Marokko immer mehr Gebiete besetzte. Heute beherrscht Marokko zwei Drittel der Landesfläche, ein Drittel wird von der DARS-Exil-Regierung in Tindouf/Algerien und deren militärischem Arm, der Polisario, kontrolliert. Dieses Drittel liegt vollkommen in der Wüste und ist wertlos. Marokko hat sich die Filetstücke, die Städte, die Atlantikküste und die Phosphatminen bei Laâyoune gesichert. Zwischen den von den beiden Kontrahenten beherrschten Gebieten hat Marokko einen Wall aus Sand und Saharagestein gebaut, der bewacht, vermint und etwa 2‘200 Kilometer lang ist (darum auch die Minen an der Grenze zu Mauretanien!). Die Bevölkerung, die Saharaouis, ist durch Flucht und diesen Wall geteilt worden. Rund 90‘000 Saharaouis, vorab Frauen und Kinder (weil die Männer umgekommen sind oder im Untergrund leben), leben seit 36 Jahren in Flüchtlingslagern bei Tindouf. Algerien gewährt den Flüchtlingen Aufenthaltsrecht und der Polisario freie Hand (und finanziert beide), weil es selbst mit Marokko noch diverse Streitigkeiten pflegt. Ohne algerische Hilfe wäre der Unabhängigkeitskampf schon längst beendet, sind sich Experten einig, das heisst, abgewürgt worden.

Seit 1991 gibt es einen von der UNO vermittelten Waffenstillstand zwischen den Parteien. Bis dahin, so kann man nachlesen, habe der Krieg Marokko täglich rund eine Million Dollar gekostet. Ebenso hat die UNO ein Referendum vorgeschlagen, bei dem die saharaouische Bevölkerung zur Autonomie Stellung nehmen könnte. Doch dieses Referendum wird von Marokko verschleppt. Eine Durchführung scheint immer unwahrscheinlicher. Unterdessen treibt Marokko die Besiedelung durch ihre Landsleute stark voran. Nichts geht mehr in der Westsahara, bzw. in der Demokratischen Arabischen Republik Sahara, derweil weitet Marokko seine Macht immer mehr aus und die UNO ist zum Zuschauen verdammt. Bliebe noch zu erwähnen, dass offensichtlich niemand aus der Internationalen Gemeinschaft auch nur im Geringsten gewillt ist, den Konflikt zu lösen. Denn internationale Bergbau- und Handelsfirmen wie auch die EU und ihre Fischverarbeitungsbetriebe wollen ihre gut laufenden Geschäfte nicht gefährdet sehen.

Seit dem Waffenstillstand gibt die Frente Polisario mehr oder weniger Ruhe im besetzten Gebiet (jedenfalls nimmt es der Rest der Welt so wahr - es herrscht Nachrichtensperre). Sie geniesst jedoch immer noch den Zuspruch der saharaouischen Bevölkerung, genauso wie die Exil-Regierung der DARS in Tindouf. Wer sich als Rebell bezeichnet, lebt im Untergrund im eigenen Land oder in der algerischen Wüste. Rebellen, die es ernst meinen mit ihrer Rebellion, brauchen Geld für Waffen und Ähnliches. Doch in ihrer Heimat können sie dies kaum generieren, also bedienen sie sich - unter anderem - bei den Bankkonten durchreisender (im Grunde eigentlich volle durchgeknallter) Touristen, indem sie diese kidnappen und erpressen. Von touristischen oder sonstigen hirnrissigen Abenteuern auf der Ostseite des Walls wird darum allerorten abgeraten. Dazu zählen auch die Gebiete im Norden Mauretaniens und im Süden Algeriens, die an Marokko und die Westsahara grenzen. Dort nimmt die Polisario gerne mal ihr über den Weg laufende oder fahrende Touristen in ihre Obhut und erpresst dann deren Verwandte, Firmen oder Regierungen. Erstaunlich ist trotzdem, wie viele Touristen sich in diesen Gebieten aufhalten, denn eigentlich gibt es nicht viel zu sehen ausser 100 Prozent Wüste.

Laâyoune

Sonntag in Laâyoune. Ich muss meinen faulen Hintern etwas bewegen, gehe also raus und suche die Agentur des Busunternehmens Supratours. Wie ich so suche, treffe ich auf einer Café-Terrasse den Herrn von gestern, der mich zum Kaffee eingeladen hat. Er hat zwei Freunde bei sich, der eine ist Zahnarzt, der andere Professor (in frankofonen Ländern ist «professeur» das Synonym für Lehrer). Er selbst ist Journalist und Künstler und heisst mit Vornamen Hicham. Auch er arbeitet als Lehrer hier in Laâyoune. Drei Intellektuelle also, und logisch, es kommt zu einem Gespräch über Politik und Soziales in der Westsahara. Ich frage die drei, was sie hier tun (sie sind um die dreissig, schätze ich, und kommen alle aus Marokko, z.T. von weit im Norden). Man verdiene hier mehr und bezahle fast keine Steuern, meinen sie, es sei ein Entwicklungsprogramm des Staates Marokko für die Westsahara. Um in Genuss solcher paradiesischer Vorteile zu kommen, müsse man sich für drei Jahre verpflichten. Also drei Jahre Wissen vermitteln an eine Jugend, die, beeinflusst durch ihre Eltern, nicht wirklich topmotiviert ist, Wissen, Sprache und Kultur der Besatzer anzunehmen. Künstler Hicham sieht das pragmatisch: «Nach drei Jahren habe ich genug Geld beisammen, um meinen Projekten nachzugehen.» Oder allenfalls zu heiraten.

Keiner der drei wird hier bleiben, darin sind sich die noch jungen Herren sicher. Klar hätte man nichts dagegen, sich allenfalls auch hier mit einer Einheimischen zu liieren, doch dies sei keine «décision préliminaire», um zu bleiben, man würde auf jeden Fall nach Marokko zurückkehren und die Frau mitnehmen. Angesichts der um die 180‘000 Einwohnenden dieser Stadt könnte ja die eine oder andere Dame darunter sein, die für eine Eheschliessung und weiterführende Unternehmungen in Frage kommen könnte, denke ich, sage ich aber nicht. Stattdessen frage ich, warum es so viel Militär gäbe hier, was die extreme Polizeipräsenz am Flughafen soll und warum bei diesen Kontrollen so explizit nach dem Beruf gefragt würde. Hicham erklärt die Situation: Der Staat (Marokko) fürchtet ein Aufkeimen einer Rebellion durch die Frente Polisario, deren Mitglieder sich unerkannt im Volk verstecken. Ausserdem wolle man nicht, dass über das Gebaren seiner Landsleute bzw. der Besatzungstruppen in der Westsahara allzu viel an die Öffentlichkeit dringe. Darum wolle man halt genau wissen, in welcher Mission die Touristen hier seien, ja ob es tatsächlich nur harmlose Touristen sind oder ob unter ihnen allenfalls subversive Besucher wie Journalisten oder Menschenrechtler seien. Zum Glück habe ich mir seit dem missglückten Visumantrag in Rabat den etwas unverfänglichen Beruf des Elektrikers zugelegt (siehe oder beschaffe (kaufe) Band 2 «Tre Vulcani», Kapitel «Demain»).

Der Aufstand

Eine Protestaktion im Herbst 2010 (16 Monate vor meinem Besuch) zeigte auf, wie die Wirklichkeit in der Westsahara aussieht. Am 10. Oktober 2010 errichteten einige Dutzend Protestierende Zelte bei Agdim Izik, einem Dorf zwölf Kilometer südöstlich von Laâyoune, um mit dieser Art Demo auf die Missstände, unter denen sie leben müssen, aufmerksam zu machen. Nicht ohne Grund. Die in Laâyoune sesshaften Saharaouis, die eigentlichen Einheimischen hier, bilden die soziale Unterschicht der Stadt. Denn jeder in den letzten 35 Jahren zugezogene marokkanische Siedler, Arbeiter, Angestellter oder Angehöriger der königlichen Armee ist besser gestellt als die ursprüngliche Bevölkerung. Marokko fördert diese Entwicklung, indem es jedem Übersiedler (oder jeder Übersiedlerin) Arbeit verschafft, einen überaus anständigen Lohn bezahlt und Steuervorteile gewährt.

Jeder zweite Saharaoui aber ist arbeitslos, so die inoffizielle Version. Reelle Aussichten auf Arbeit gibt es keine. Darin teilen sich die rund 280‘000 Saharaouis in den Städten der Westsahara das Schicksal mit vielen jungen Marokkanern in Marokko, wo die Arbeitslosigkeit zurzeit auch 30 Prozent beträgt. In jener Protestaktion betonten die Teilnehmenden, es ginge ihnen nur um Arbeit und Wohnungen. Doch die seit 1975 anhaltende Okkupation und Plünderung ihres Landes dürfte der tiefere der Grund für den Protest gewesen sein. Die Sitzdemo sei, wie Beobachter später angaben (man muss davon ausgehen, dass die Leute von der MINURSO etwas davon mitbekommen haben müssen, denn das Beobachten ist ja der Grund ihrer Anwesenheit hier, doch die UNO schwieg und schweigt zu den Vorfällen, da sie ja neutral sein muss, ansonsten gab es keine Beobachter oder Journalisten vor Ort, offiziell jedenfalls), absolut friedlich aufgezogen worden. Die Demonstranten verharrten in ihrem Sitzstreik und innert weniger Wochen wuchs die Zeltstadt auf 15‘000 Personen (nach saharaouischen Angaben waren es 20‘000 Personen).

Der Sitzstreik geschah vermutlich ohne Unterstützung oder aktive Teilnahme der Frente Polisario, da sonst die Sicherheitskräfte sofort eingegriffen hätten (die Befürwortung der Polisario, der Gebrauch von deren Emblemen oder gar das Zeigen von Fahnen ist verboten, die Mitgliedschaft sowieso). Der friedliche Protest erfolgte unter Ausschluss der nationalen und internationalen Öffentlichkeit. Die inländischen Medien berichteten marginal vom Anlass, ausländischen Medien war der Zutritt zur Zeltstadt untersagt. Das EU-Parlament wird in seinem Entschliessungsantrag B7-0682/2010 vom 24. November 2010 unter Ziffer G. festhalten: «... in der Erwägung, dass mehrere Journalisten und Abgeordnete verschiedener regionaler und nationaler Parlamente der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments weder Zutritt zu Laâyoune noch zum Lager in Agdim Izik erlangen konnten und einige von ihnen aus Marokko ausgewiesen wurden...». In diesem Dokument beweist die EU, dass sie über jedes Detail der Okkupation, der Situation der Einheimischen und der laufenden Plünderung des Landes haarklein informiert ist. Und trotzdem nichts tut.

Dem marokkanischen Innenminister in Rabat wurde die Lage langsam zu ungemütlich. Er liess das Zeltlager von seinen «Forces auxiliaires marocaines» (paramilitärische Einheit zur Sicherung des inneren Friedens in Marokko und der Westsahara) einkreisen und mit Helikoptern aus der Luft beobachten. Dann reichte es dem marokkanischen Gouvernement in der Hauptstadt. Am 8. November, einem Montagmorgen um Viertel vor sieben, begannen die Forces mit der Räumung des Lagers. Ohne Einsatz von Feuerwaffen, jedoch unter Anwendung von Tränengas, Wasserwerfern und Räumungsfahrzeugen. Die Männer trugen schwere Interventionsausrüstung mit Helm, Schlagstöcken und Schutzschilden. Ihre harten Knüppel setzten sie unbarmherzig ein. Handy-Videos und Fotos von Demonstranten im Internet bezeugen die überaus rabiate Vorgehensweise der Marokkaner. Die Demonstranten wurden in alle Himmelsrichtungen auseinandergetrieben. Die man einkesseln und festnehmen konnte, brachte man umgehend mit Minibussen in die Stadt, ein Teil, vorab junge Männer, wurde verhaftet. 150 Demonstranten seien gemäss Aussagen der Frente Polisario nachher vermisst worden. Das bedeutet, dass sie in marokkanischen Gefängnissen verschwanden. Doch die Zurückgetriebenen und -gebrachten gaben in der Stadt keine Ruhe. Da und dort zog der Mob durch die Strassen, brannte in der Folge ein Polizeiposten, und wieder gab es Prügeleien mit Sicherheitskräften, und wieder griffen diese unzimperlich durch. Die Aktion hinterliess Tote und Verletzte auf beiden Seiten. Und die Gefängnisse füllten sich noch mehr.

Die NZZonline schrieb am 12. März 2011:

Zwölf Tage nach der Räumung eines von protestierenden Saharaouis errichteten Zeltlagers bei Laâyoune und den darauffolgenden heftigen Zusammenstössen herrscht immer noch Unklarheit über das Geschehen. Die marokkanischen Behörden hatten eine Informationssperre verhängt und insbesondere die Einreise ausländischer Journalisten stark behindert. Bis heute ist es nicht möglich, die von Saharaouischen Aktivisten an die Öffentlichkeit gebrachten Informationen zu überprüfen. Es liegen widersprüchliche Angaben über Tote und Verletzte vor. Während die marokkanische Seite von 12 Toten, unter ihnen 10 Polizisten, und 212 Verletzten spricht, berichtet der Frente Polisario von 11 getöteten Zivilisten, mehr als 700 Verletzten sowie 159 Verschwundenen.

In diesen Zeiten herrscht wieder Ruhe in Laâyoune. Ob die Ausgangssperre dazu etwas beiträgt oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Schaue ich mich bei Tag im Stadtzentrum um, deutet nichts auf eine Misere bei den Wohn- oder Einkommensverhältnissen der Saharaouis hin. Die marokkanischen Stadtarchitekten haben grosszügig geplant und gebaut, sogar Kreisverkehr gibt es, doch der private Verkehr hält sich in Grenzen. Jedes zweite Auto ist ohnehin ein Petit Taxi, ein Umstand, aus dem ich nicht schlau werde. Es gibt anscheinend doch viele Leute, die einen Grund haben, sich mit dem Taxi irgendwohin bringen zu lassen.

In den Vorortsquartieren aber sieht es für meine Begriffe recht übel aus: Keine einzige Quartierstrasse ist asphaltiert, der Zustand von Strassen und Gehwegen (sofern vorhanden) ist miserabel, überall liegt Abfall herum, kleine weisse Plastiksäcke allenthalben, es müffelt. Doch die Wohnhäuser, alle im gleichen 08/15-Stil, sind relativ neu (auch wenn sie für unsere Begriffe noch gar nicht fertig gebaut sind, da nicht verputzt, zum Teil Fenster und Türen fehlen und übers Ganze gesehen einen provisorischen Eindruck machen), die Strassenbeleuchtung funktioniert und die Ver- und Entsorgung von und mit Energie, Wasser und Abwasser offensichtlich auch. Doch man muss bedenken, dass dies Vorstadtquartiere sind, wie man sie in ganz Marokko beobachten kann, es sind keineswegs Elendsquartiere, als die wir sie bezeichnen würden. Elendsquartiere sehen ganz anders aus. Es gibt sie in auch Marokko, in Casablanca oder Rabat, dort ist «Slum» in der Tat auch der einzig richtige Begriff dafür.

Es ist mir nicht ganz klar, warum die Saharaouis für die Verbesserung ihrer Wohnverhältnisse protestieren. Doch es ist mir klar, dass hier grosse Arbeitslosigkeit herrscht. Dass die Einheimischen in einem Land leben, das ihnen weggenommen wurde und in dem sie nichts zu bestimmen haben. Und es wird mir jetzt auch klar, dass eine objektive und unabhängige Berichterstattung über die hiesige Realität durch ausländische oder systemkritische inländische Journalisten nicht erwünscht ist. Meine Reise wird dadurch nicht wirklich entspannter.

Frente Polisario

Ich lasse mich von einem Petit Taxi zum Büro der Supratours chauffieren und kaufe ein Busticket nach Dakhla. Und wieder kommt der Taxifahrer, ein sehr junger hitziger, auf die Polisario zu sprechen, aber auch er spricht nur Spanisch fliessend und ich verstehe praktisch gar nichts. Am Schalter der Supratours bietet mir ein Angestellter für die Fahrt nach Dakhla die Wahl zwischen Abfahrt um sieben Uhr morgens und zehn Uhr abends. Beides sind unmögliche Abfahrtszeiten nach meinen Massstäben, ich nehme die am Morgen. Für den Rückweg zum Hotel halte ich wiederum ein Taxi auf, da ich mir nicht zutraue, den Weg ins Hotel ohne fremde Hilfe zu finden, obwohl mir die Distanz nicht allzu weit scheint. In der Tat ist es nicht allzu weit, aber die Kosten für die Taxis hier in Marokko sind das Allerletzte, was mich reuen könnte, denn sie sind unverschämt tief. Zwischen fünf und zehn Dirham bezahlt man für eine Fahrt innerhalb des Zentrums einer Stadt, etwas mehr bis an die Peripherie. Doch hier, weil Laâyoune keine sehr grosse Stadt ist (180‘000 Einwohnende), kostet, wie ich feststelle, jede Fahrt weniger als 10 Dirham. 1.10 Fr., nicht mal 1 €.

Nun wird es Zeit, mich mit der Frente Polisario zu beschäftigen. Gegründet wurde die «Frente Popular para la Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro» (Volksfront zur Befreiung von Saguia el Hamra und Río de Oro) 1973 als politisch-militärische Organisation. Sie war oder ist der militärische Arm einer damals aufkommenden Bewegung, die sich der Kolonialisierung Spaniens entledigen wollte. Als Spanien 1975 abzog, sah sich die Polisario ziemlich schnell einem neuen Feind gegenüber: Marokko. Doch die neuen Kolonialisten setzten die neuen Machtverhältnisse vehementer durch als die abgezogenen Spanier. Bis zu einem von der UNO vermittelten Waffenstillstand im Jahr 1991 wurde die Polisario heftigst bekämpft. Schliesslich zog sie sich hinter den von den Marokkanern aufgezogenen Wall nach Algerien zurück. Ohne aber Ruhe zu geben. Die Polisario verlegte sich zunehmend auf Terroranschläge gegen militärische Einrichtungen in der Westsahara, aber auch in Marokko selbst.

Seit 1975 flüchteten rund 100‘000 Saharaouis nach Algerien. In den 30 Jahren seit der Okkupation der Westsahara ist die Zahl der Flüchtlinge auf je nach Quelle zwischen 150‘000 bis 180‘000 angestiegen. Die Polisario hat mittlerweile eine Exilregierung ernannt und die ist sowohl in Marokko als auch von der UNO als Verhandlungspartner anerkannt. Die Exilregierung befindet sich jedoch nicht auf dem Gebiet der Westsahara bzw. auf dem Gebiet der von ihr proklamierten Demokratischen Arabischen Republik Sahara DARS, sondern in Tindouf in Algerien. Algerien sowie Südafrika unterstützen die Polisario finanziell. In letzter Zeit herrscht aber innerhalb der Polisario Missstimmung über das weitere Vorgehen.

Laâyoune Port

Gegen Mittag lasse ich mich von einem Petit Taxi (die hier weiss sind und magentarote Türen haben) zum Standplatz der Grand Taxi (die hier weiss sind) chauffieren. Mein Plan ist es, ans Meer zu fahren, was ausserhalb der Stadt ist, wo die Kleinen Taxis nicht hindürfen (eine Regelung, die in ganz Marokko anzutreffen ist: «kleine» Taxis innerhalb der Stadt, «grosse» zwischen den Städten oder zum Flughafen; bei beiden ist der Preis im Voraus aushandelbar). Gleich nach dem Einsteigen fragt mich der Fahrer auf Spanisch wie es mir geht. «Sta bien» antworte ich, wobei ich nicht sicher bin, ob das die richtige Antwort ist, da ich vom Spanischen sozusagen nichts beherrsche (ausser die überlebenswichtigen Begriffe «tapas» und «cerveza»). Der Mann versteht jedoch und versucht herauszufinden, woher ich komme, wobei ich ausser «Suiza» eben nicht allzu viel hergeben kann. Auch dieser Mann, ein junger, fängt sofort an, von der Frente Polisario zu schwafeln, und an seinem engagierten Gerede und der Tatsache, dass er nicht Französisch spricht, entnehme ich, dass er ein Fan der Polisario ist. Interessant, denke ich, ich würde gerne mehr erfahren, es macht aber keinen Sinn mit uns zweien, da wir uns einfach nicht verstehen. Ausserdem haben wir das Ziel, den Standplatz der Grand Taxis, erreicht.

Ich steige aus und verhandle den Preis für die Fahrt zum Strand (der Concièrge im Hotel sagte mir, ich soll als Ziel «playa» (spanisch) und nicht «plage» (französisch) angeben). Ich merke, dass man hier nicht mit dem Fahrer handelt, sondern mit einem Platzchef, der gibt dann dem Fahrer das Geld, zieht aber etwas für sich ab. Berücksichtigen muss man zudem, dass man die Möglichkeit zwischen alleinigem Taxi, «Taxi complet» hat und einem geteilten. Für das geteilte muss man unter Umständen ziemlich lange warten bis der Chef es für abfahrtsbereit erklärt, das hängt auch mit dem Ziel zusammen, das die potentiellen Mitfahrenden haben und dem Betrag, den sie dafür zu zahlen bereit sind. Wenn also jeder Fahrgast nur 10 Dirham bezahlen will, müssen erst fünf Leute zusammen sein, die dasselbe Ziel haben, denn unter 50 Dirham lässt der Chef das Taxi nicht wegfahren. Mitunter fahren die Grand Taxis aber auch mit sechs Fahrgästen, hinten vier, vorne zwei auf dem Beifahrersitz, macht dann mit dem Fahrer sieben Personen. Notabene, alle Grossen Taxis sind grosse alte Mercedes-Limousinen mit Platz und Fahrwerken wie Sattelschlepper.

Ich nehme und habe also das ganze Taxi für mich, und das für einen ganz akzeptablen Preis von 50 Dirham, was gute 5 Franken sind für 15 Kilometer (und zurück). Auf der Fahrt treffen wir auf zwei Polizeikontrollen und eine mobile Radarequipe, alle lassen uns aber in Ruhe. Angekommen in Laâyoune Plage, beziehungsweise Port, was ein kleines Dorf mit einem richtig grossen Industriehafen ist, hält das Taxi auf einem Standplatz am Rand des Orts. In den Ort rein dürfen die Grand Taxis weder hier noch dort, dafür sind die Kleinen Taxis da, von denen hier in diesem Kaff aber keine zu existieren scheinen. Ich muss also zu Fuss an die Plage, was nicht allzu weit ist (was wohl auch der Grund ist,weshalb es hier keine Kleinen Taxis gibt). Auf dem kurzen Gang auf der Hauptstrasse, von der ich annehme, dass es die Hauptstrasse ist, werde ich von Kindern und sonstigen Bewohnenden des Dorfes angestarrt als wär‘ ich ein bleichgesichtiger Alien. Gerne würde ich ein paar Fotos schiessen, lasse den Apparat aber in der Tasche, weil ich den Eindruck habe, dass ich als Ausländer schon genug aussergewöhnlich bin und darum nicht auch noch durch provozierendes Fotografieren auffallen sollte.

Nun muss erst mal etwas zu essen her, beschliesse ich, da es schon gegen ein Uhr ist. Also kehre ich im Café Puerto ein, dem mir einen vertrauensvolleren Eindruck machenden von zwei Restaurants hier. Es gibt Dorade vom Grill, längs filetiert und eingewickelt in Folie, und weil die Haut nicht entschuppt ist, esse ich nur das Weisse. Auch hier läuft drinnen wie draussen je ein Fernseher mit einem Fussballspiel, aber draussen sitzt niemand weil einerseits der Grilleur offensichtlich seine ganzen Fische abzufackeln scheint und dabei einen Höllenrauch erzeugt, und anderseits eine echt frische Brise vom Meer her weht, die zwar den Rauch vertreibt, aber auch das Essen auf dem Teller vor einem innert Kürze auskühlen würde. Hier gibt es tadelloses WiFi (im Gegensatz zum Hotel Nagjir), stelle ich beim Espresso fest, und anhand des Satellitenbilds stelle ich auch fest, dass dieses Kaff völlig von seinem Hafen dominiert und eingenommen wird, und dass es deshalb bis zum Strand viel zu weit ist, um zu Fuss hinzugehen. Der Hafen selbst ist eingemauert wie sozusagen alles in Marokko und an der Pforte stehen Polizisten. Ich verzichte also auf Strandleben und beschliesse, selbiges morgen in Dakhla nachzuholen. Der dortige Strand macht nämlich einen guten Eindruck, jedenfalls wenn man den Bildern der Hotels im Internet trauen kann, was man in Marokko eigentlich nie kann.

Ich kehre zurück, um mich um meine Wäsche zu kümmern. Heute Morgen habe ich ein Bündel Wäsche an der Réception abgegeben und man hat mir einen 24h-Service versprochen. Doch 24 Stunden laufen erst morgen gegen 10 Uhr ab, da werde ich aber schon drei Stunden im Bus sitzen. Ein logistisches Problem, das für ein 4*-Hotel eigentlich keines sein sollte, auch wenn Sonntag ist, also versuche ich die Sache etwas zu forcieren. Ich spreche an der Réception vor und teile dem Bediensteten mein Anliegen mit. Der Concierge schickt subito einen Pagen los, um der Wäscherei, welche sich nicht im Haus, sondern irgendwo in der Nachbarschaft befindet, Beine zu machen. Ich begebe mich in ein Café gegenüber und bestelle einen Thé à la menthe. Das scheint wieder ein Fehler zu sein, denn der Kellner weist mich darauf hin, dass es hier keinen Thé à la menthe gibt, sondern das Getränk hier «Thé Saharaouis» heisst. Das ist zwar am Ende dasselbe, aber man muss die Gepflogenheiten der Einheimischen beachten, finde ich. Die, so vermute ich, stolz auf ihre Herkunft sind, und ich frage mich wirklich, wie Marokko diese Leute dauerhaft integrieren will.

Gegenüber zieht derweil eine ganze Horde (Pardon: Kompanie) militärisch gekleideter Sicherheitsleute auf. In der Strasse kursieren plötzlich diverse Mannschaftswagen mit vergitterten Fenstern und der Aufschrift «Sûreté nationale». Das ist wohl das allabendliche Dispositiv der (marokkanischen) Polizei, es wird wohl nicht gerade heute ein Aufstand ausbrechen. Trotzdem, so wie die Polizei und die Sicherheitskräfte sich hier massieren, wähnt man sich in einem unter der Oberfläche brodelnden Bürgerkrieg (ist es ja auch). Doch das zivile Leben hier findet trotzdem statt. Auf dem Platz vor dem Hotel, wo die weissen und wunderbar neuen und/oder gewaschenen Fahrzeuge der UN stehen, versammelt sich jetzt bei Einbruch der Dämmerung die Bevölkerung. Die Frauen sitzen alle auf den Mäuerchen und Bänken, die Kinder spielen mit luftlosen Fussbällen, die Männer sitzen in den zahlreichen Cafés rund um die Kreuzung und trinken Tee. Ich trinke ebenso und gehe dann irgendwann auf mein Zimmer, wobei ich instant beschliesse, heute auf den Znacht zu verzichten, da mir die Dorade von der Plage noch aufliegt. Stattdessen schaue ich mir auf Pro7 «Gran Torino» an. Ich freue mich auf morgen und frage mich nicht, wer um Gottes Willen auf die Idee gekommen ist, einen deutschen Sender in diesem Fernsehgerät zu speichern.

Wie Clint Eastwood sich in die Kugeln der Chinesenbande stürzt, schiesst mir mein Unterhosen-T-Shirt-Socken-Problem in den Kopf. Ich gehe also runter zur Réception und frage nach der Wäsche. Mittlerweile habe ich mit dem dritten Réceptionisten zu tun und erzähle zum dritten Mal die Geschichte von meiner Dreckwäsche. Der Angesprochene ruft den Pagen und schickt ihn ultimativ in die Wäscherei, dann ruft er auch noch dort an. Ich warte in der Lobby, und tatsächlich kommt der Page schon nach vier Minuten zurück. Der Concierge fragt mich, ob ich denn schon bezahlt habe, ich sage ja, ich hätte 100 Dirham vorgeschossen. Eigentlich fände ich 11 Franken für einen Sack Wäsche recht günstig und schreibe das allfällige Rückgeld gedanklich und dann auch wörtlich ab. Der Concierge meint aber, dass das so nicht geht, ruft bei der Wäscherei an und schickt mich mit dem Hinweis, der Page würde mir das Herausgeld aufs Zimmer bringen, aufs Zimmer. Um viertel nach Neun kommt der Page und gibt mir 40 Dirham. Ich gebe ihm zehn, er strahlt, murmelt «Schükran» und verzieht sich. Nun habe ich also meine Siebensachen sauber wieder beisammen und kann beruhigt den Wecker auf sechs Uhr stellen. Sechs Uhr - was für ein grauenhafter Gedanke.

Antoine de Saint-Exupéry

Während der Fernseher läuft, was er eigentlich immer tut, wenn ich mich in einem Hotelzimmer befinde (auch wenn ich mich nicht darin befinde - schützt vor Einbrechern!), denke ich an Antoine de Saint-Exupéry, dessen kleinen Prinzen ich nie gelesen habe (ich habe einige berühmte Bücher nicht gelesen, dafür aber fast alle 72 Karl-May-Bände). Saint-Exupéry hat exakt 59 Jahre und einen Tag vor mir als Antoine Marie Jean-Baptiste Roger Vicomte de Saint-Exupéry (ein Vicomte ist ein Vizegraf, by the way) in der Nähe von Lyon das Licht dieser Welt erblickt. Sein Vater ist gestorben als Klein-Toni vier war, und auch der Tod seines Bruder hat in derart mitgenommen, dass er zeit seines Lebens einer war, der es nirgends lang ausgehalten hat. Viel Zeit verbrachte er darum in der Luft, er war bekanntlich Pilot, ein paar Mal stürzte er dabei ab, ein letztes Mal mit 44 Jahren und zwar ins Meer bei Marseille.

Dieser Antoine de Saint-Exupéry war Flieger und sein erster Job mit 27 Jahren war es, regelmässig die Post von Toulouse nach Casablanca zu bringen. Später sprang er dann für seinen Kollegen ein und bediente den Weiterflug von Casablanca nach Dakar, der Hauptstadt des Senegal. Marokko wie Senegal waren damals französische Kolonien und diese Postflüge stellten die Informationsversorgung sicher. Aus irgendeinem Grund wurde der junge Pilot aber schon bald zum Bodendienst verknurrt und zwar als Flugplatzchef in Tarfaya, was ein Zwischenlandeplatz an der Grenze zwischen der Kolonie Marokko und der Kolonie Spanisch-Sahara war. 18 Monate dauerte der Bodendienst. Wenn sich Saint-Exupéry nicht gerade mit seinem Maschinengewehr gegen aufsässige Berbernomaden wehren musste, schrieb er. Nicht «Der kleine Prinz», den schrieb er erst 1942, sondern «Courrier Sud» (bei dem es um den letzten Flug eines Piloten vor seinem Absturz geht, Liebegeschichte inklusive). Es war nach der Novelle «L‘aviateur» (bei dem es auch ums Fliegen geht, wie übrigens auch im dritten Roman «Vol de Nuit», der den Durchbruch des Pöstlers/Schriftstellers/Gewehrschützen markierte) das zweite Buch des Franzosen.

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