Alexandrina - Michael Hug - E-Book

Alexandrina E-Book

Michael Hug

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Beschreibung

Michael Hug schreibt vom Reisen. Dabei reist er nicht mit dem Strom. Genauso schreibt er keine Reiseberichte für den Mainstream. Und doch sind seine Reportagen pure Unterhaltung. Genauso sind sie aber auch spannend und informativ. Im Sinne des «Gonzo-Journalismus» schrieb der Autor mit «Alexandrina» bereits sein sechstes Buch in sechs Jahren. Er weiss um die Subjektivität seiner Eindrücke - und drückt sie ganz bewusst auch subjektiv aus. In seinem amüsanten, anregenden und leicht verständlichen Stil schreibt Michael Hug in «Alexandrina» von einer Reise in zwölf Tagen um die Welt. Kaum wieder in seiner Heimat zog es den Autor schon wieder hinaus - nach Südindien, in eine Ayurveda-Klinik. Der Name «Eden Garden» verspricht viel und hält fast alles. Als das Jahr fast um ist, fährt Michi nach Alexandria und dann den Nil hinauf. Doch hier endet das Buch - aber nicht die Reise. In «Alexandrina» hat der Autor seinem Leben neue, vergnügliche, manchmal schräge Episoden hinzugefügt und berichtet uns darüber.

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Alexandrina

Michael Hug

e-book 2020

copyright 2020

verlag grippedbäg

verlag grippedbäg & Michael Hug

Degersheim, Schweiz

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, photomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisem Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.Die Schweizerische Nationalbibliothek verzeichnet diesePublikation.Dieses Buch enthält Textstellen der freien Enzyklopädie Wikipedia und anderen Quellen. Etwelche Fehler aus diesen Quellen wurden nicht korrigiert.ISBN: 9783752135442Verlag grippedbäg

Korrektorat: Olivia M. Hug

Cover & Fotos: Michael Hug/Gerdi Poschung

Nur zahme Vögel träumen vonFreiheit.

Wilde Vögel fliegen.

gepackter koffer

Für alle anderen

Enteisung

Ich sitz‘ ohne Scham imfall, weil kompensiert, wieder mal im Flieger. Noch fliegt er nicht, sondern steht, und zwar auf dem Vorfeld im Flughafen Zürich-Kloten. Üblicherweise ist Zürich der Startflughafen für meine Trips. ZRH im Fliegerjargon, «Tsöri» in unserem Jargon. Kein Mensch sagt «Kloten». Where dä fögg is Kloten? Kloten ist einfach nur eine Stadt beim Flughafen wie andere auch, Bülach, oder Glattbrugg, oder Opfikon. Neben mir sitzt Olivia, Tochter, gerade 30 geworden, deren Schwesters Schrebergärtchen nur ein paar hundert Meter westlich von uns liegt. Wenn man gut sehen könnte, könnte man den Flecken sehen, jedenfalls hört man den Flughafen, wenn man im Gärtchen sitzt. Wir aber also sitzen jetzt im Flieger und fliegen nach Athen, mein Geburtstagsgeschenk an sie, Olivia, nicht ihre Schwester (die mit dem Gärtchen).

Aber, genau gesagt, wir fliegen nicht. Wir schauen zum Fenster raus, wie man das so tut, wenn der Flieger, in dem man sitzt, übers Vorfeld in Richtung Startpiste (10/28 im Jargon) rollt. Aber unser Flieger rollt nicht. Er steht. Und wartet. Man wartet. Es ist September, heute Nacht ist es ziemlich kalt geworden und damit Herbst und somit hat der Flieger, wohl alle Flieger, die heute Morgen den ersten Flug machen, Eis angesetzt. Unser Flieger, ein Airbus sowiso, muss also erst mal enteist werden. Er stellt sich, d.h. der Pilot stellt ihn, in die Warteschlange der Flieger, die für den Start bereit sind, also wären, aber erst enteist werden müssen. Auf dem Weg zur Startpiste müssen alle Fliegers einen kleinen Umweg zum Enteisungsplatz machen. Natürlich bekommen wir davon erst mal nichts mit, wir rollen halt und stehen dann und wissen nicht warum, bis der Co-Pilot sich unser aller Nichtwissens erbarmt und durchgibt, dass wir erst enteist werden müssen. Also der Flieger.

Das Sitzen im Flieger hat es ja so an sich, dass man nicht weiss, was vor einem geschieht, also vor dem Flieger, nicht auf dem Sitz vor einem, weil man ja nur seitlich raussieht, und auch das relativ beschränkt, je nach Sitzplatz. Und deshalb ist man ziemlich ahnungslos, wenn man erst rollt, also der Flieger, und wieder anhält, und wieder rollt bis er abhebt, wobei man aber dann auch in der Luft nicht mehr nach vorne sieht und damit eigentlich den Flugkünsten der Piloten total ausgeliefert ist und man ihm nicht reinreden kann wie beim Autofahren. Aber ausgeliefert wäre man, genau betrachtet, so oder so, auch wenn man nach vorne sehen würde, also als Passagier («Pax» im Jargon; gemäss Wiki eine «Hilfsmasseinheit»), weil man ja nicht nach vorne gehen kann, um dem/den Piloten reinzureden, weil man ist ja angebunden und hat ohnehin keine Ahnung vom Fliegen, immerhin die wenigstens unter uns, nicht wie beim Autofahren, wo ja jede/r am besten weiss, wie es geht.

Wenn es nun am Boden schon nur stockend vorwärts geht, ist man als Pax folgerichtig geneigt zu vermuten, dass da was nicht stimmt. Aber wer schon denkt im September, dass ein Flieger enteist werden muss und warum grad der, in dem man sitzt. Vielleicht ist es ja auch nur der Reif, der runtergespült werden muss, aber Reif ist doch harmlos, denkt man, also ich, wobei ich mir schon vorstellen könnte, dass Eis bestimmte bewegliche Teile am Flieger, wie die Klappen am Flügel, blockieren könnte, womit der Flieger schlecht oder unsteuerbar und ziemlich sicher runterfallen oder gar nicht hochkommen, was die EinwohnerInnen des Quartiers Riedmatt bei Rümlang wohl nicht wirklich freuen würde, sind sie doch schon durch den Lärm der in ZRH verkehrenden, also startenden und landenden Flugzeuge arg gestresst. Aber Reif?

Wir rollen nun wieder ein paar Meter und stehen dann wieder eine Weile. Rechts vom Flieger, auf unserer Seite also, wobei links wohl auch, aber da sehen wir nicht raus, weil vier Sitze dazwischen sind und ebensoviele Köpfe, also rechts von uns rollen zwei Lastwagen heran, beide mit einem ca. 10-Kubikmeter-Tank hintendrauf und darauf eine Hebebühne. Der eine Lastwagen rollt zum vorderen Teil unseres Fliegers, der andere stellt sich hinter dem Flügel in Position. Nun steigen die beiden Fahrer je auf ihre Hebebühne und heben sich mittels Fernsteuerung in die Höhe. Mit einer Lanze, System Kärcher, spritzen beide ihre Hälfte des Fliegers mit Flüssigkeit, vermutlich Gift, voll. Dabei liegt der Flügel besonders in ihrem Interesse, die Klappen, und ein wenig auch die Seiten des Rumpfs, aber nicht höher als bis unter die Fenster. Wir, die wir hinter ebendiesen Fensterscheiben kleben, schauen dem Treiben zu.

Um die Lastwagen weiter nach vorne, bzw. weiter nach hinten zu bewegen, müssen die Männer nicht erst runtersteigen und es ist auch kein zweiter Mann da, der die Lastwagen fährt. Die beiden Enteiserpersonen können die Lastwagen mit der Fernsteuerung bedienen. Sieg der Technik. Zwei Mitarbeiter eingespart, mindestens. Das Fahrzeug, das für den hinteren Teil des Fliegers zuständig ist, wird nun von seinem Fahrer auf der Hebebühne fünf Meter über dem Boden mittels Joystick nach hinten bewegt, derweil legt er die Giftlanze in einen Halter. Dann nimmt der Mann seinen Sprühjob wieder auf und sprüht eifrig kärchermässig voran. Ebenso will der Mann und Fahrer des Fahrzeugs, der für die Enteisung des vorderen Teils unseres Fliegers zuständig ist, sein Fahrzeug mittels Fernsteuerung bewegen, aber dieses bewegt sich nicht. Gleich, wie energisch der Mann auf der Hebebühne mit der Lanze in der Linken den Joystick mit der Rechten hin- und herhebelt - sein Arbeitsgerät bewegt sich nicht. Ich denke: vielleicht müsste er wie sein Kollege erst mal die Lanze zur Seite legen, weil vielleicht lässt sich die Karre nur mit beiden Händen bewegen. Ich verwerfe indes diesen Gedanken und denke: der Mann wird schon wissen, was er tut, bzw. zu tun hat. Der Mann, wohl ein wenig konsterniert, klettert nun von der Hebebühne, die sich ganz offensichtlich auch nicht mehr bewegen lässt, aus fünf Metern Höhe auf das Dach des Führerhauses und dann in dieses und dreht und hebelt am Zündungsschlüssel.

Aber nichts passiert. Totaler Blackout. Selbst das Blinklicht auf dem Führerhaus, das vorher noch geblinkt hat, blinkt nicht mehr. Totaler Systemausfall, ein Shutdown regelrecht, ein Kurzschluss an der richtigen, bzw. falschen Stelle und das ganze Fahrzeug macht keinen Mucks mehr. Vielleicht ist Enteisungsgift in die Elektronik gelaufen, sage ich zu meiner Tochter mit meinem bekannten Grinsen auf den Lippen. Aber das Grinsen vergeht mir. Denn mir schwant Übles. Der Lastwagen, der sich nicht mehr bewegen lässt, steht vor dem Flugzeugflügel. Der Flieger kann also nicht mehr vorwärtsrollen. Und rückwärtsrollen kann ein Flieger auch nicht, weil er nämlich keinen Rückwärtsgang hat. Ein Flieger rollt mit der Schubkraft der Triebwerke und die richtet sich normalerweise nach vorne (bzw. exakt technisch ausgedrückt: nach hinten, sog. Rückstossprinzip) und selbst die sogenannte Schubumkehr ist kein Rückwärtsgang, sondern nur eine Motorenbremse.

Die Kacke ist also am Dampfen, bzw. unser Flieger wieder dabei, einzufrieren. Der Flieger kann nicht vorwärts, das Hindernis macht keinen Wank, nichts geht mehr und nur die Minuten vergehen. Der Co-Pilot gibt durch, dass es ein Problem gäbe, erwähnt aber nicht, welches, dabei hat es die rechts sitzende Hälfte der Passagiere (Seats E/F/G) längst erkannt. Er meint, dass ein technisches Problem ausserhalb des Flugzeugs bestehe und man Hilfe bestellt habe. Draussen versuchen zwei Männer, hastig mit einem Flughafenunterhaltsfahrzeug herangefahren, das Problem ausserhalb des Flugzeugs zu lösen, indem einer seinen Kopf in den geöffneten Motorraum des abgeschossenen Fahrzeugs steckt und der andere am Zündschlüssel hebelt. Nach fünfzehn Minuten unwissendem Warten, das Enteisungsfahrzeug steht immer noch vor dem rechten Flügel, geht ein Ruck durch unseren Flieger. Ein Teil der Passagiere japst, der andere Teil schaut doof drein, und die, die öfters fliegen und sich darum für sogenannte sophistizierte Pax (oder Passagierinnen, aber eher selten) halten, wissen, dass der Ruck von einem Pusher, der unter das Bugrad des Fliegers geschoben, erzeugt wurde. Der Pusher ist der Flugzeugschlepper (bzw. im strengen Sinne übersetzt eigentlich ein Flugzeugstosser), der die Flugzeuge vom Gate weg stösst, da, siehe oben, Flugzeuge ja nicht rückwärtsfahren können (ranfahren ans Gate können Flieger selber). Der Pusher pusht uns, bzw. den Flieger, nun rückwärts bis er (der Flieger) ausserhalb des Nahbereichs des Enteisungswagens steht und wird dann abgekoppelt (jedenfalls vermuten wir, dass es so ist, weil sehen tun wir ja, siehe oben, nicht, was vorne geschieht). Im gleichen Moment rast auch ein Fahrzeugabschleppfahrzeug daher und schleppt nun das totalausgefallene Enteisungsfahrzeug weg. Nun muss der Pusher noch weg. Womit unser Flieger nun freie Bahn und eine Stunde Verspätung hat. Und weil jetzt auch die Sonne sanft und zögerlich durch die herbstigen Wolken dringt, muss unser Flieger offenbar nicht mehr weiter enteist werden und kann zur Startpiste rollen. Jetzt fliegen wir also endlich. Nach Athen!

Eulen nach Athen tragen

Eulen nach Athen tragen bedeutet soviel wie «etwas Überflüssiges tun». Es ist nämlich überflüssig, Eulen nach Athen zu tragen, da sie nämlich selber fliegen können (Ähnliches lässt sich auch vom «Wasser in den Rhein schütten», oder, derb, «Nutten nach St. Pauli bringen» sagen). Demgegenüber steht der Massnahmenplan der EZB (Europäische Zentralbank) in den frühen Zehnerjahren, wobei Milliarden von «Eulen» nach Athen transferiert wurden. Auf der griechischen 1€-Münze ist nämlich eine Eule eingeprägt.

Malaga

Blogpost: Malaga 25.12.

Posted by michl on 26/12/16 on http://www.grippedbag.ch

Weihnachten ist in Spanien ein Halleluja auf die Erfindung der LED («Light Emitting Diode» / erfunden schon 1927 vom Russen Oleg Losev, aber mangels geeigneter Anwendungen von der Welt erst mal wieder vergessen). Jedenfalls kommt mir das so vor, wenn ich, wie gestern Abend um etwa fünf Uhr durch die verkehrsfreien Gassen von Malaga wandle. Gestern war der 25. Dezember. Der erste Weihnachtstag. Bei uns wird das normalerweise (seit es an Weihnachten keinen Schnee mehr gibt) in der Familie verbracht. Feiernderweise allenthalben (was immer man unter Feiern/feiern versteht). Es wird gegessen (ziemlich opulent), gestritten (ziemlich oft) und ferngesehen (ziemlich viel). Wenn das Wetter einigermassen vielversprechend ist (abgesehen vom Fehlen des Schnees), geht man nach dem Mittagessen oder Brunch gschnell raus spazieren oder in den Tierli Walter (Walter Zoo Gossau/Schweiz). Spätestens aber wenn die Sonne sich hinter die Voralpen duckt, so um vier Uhr nachmittags, ist fertig mit Flanieren. Dann kehrt der/die SchweizerIn in sein/ihr Heim zurück, schaut zu, dass der Besuch sich endlich verdrückt und Ruhe ist in der Hütte. Keinesfalls aber geht der Schweizer (und die Schweizerin) nochmals raus wenn es dunkel ist und/oder kalt. Warum auch, es ist eh nichts los. Die Wirtshäuser sind zu, die Skilifte stehen still (weil kein Schnee und/oder Feierabend) und es ist kein Mensch mehr auf der Strasse. Die verkehrsfreien Gassen der Klein- und Grossstädte sind leergefegt und bieten ein himmeltrauriges Bild.

Das ist hier z’Spanien ganz anders. Um halb Sieben zur Nacht wird die Weihnachtsbeleuchtung angemacht. Darauf hat mich der Concierge schon beim Einchecken (um 16 Uhr) hingewiesen. Die «Plaza de la Constitucion» sei der place to be, ein Haufen Leute seien da und Lichter überall. So war es denn auch. Um genau halb Sieben wird die Weihnachtsbeleuchtung eingeschaltet. Der Christbaum aus verkabeltem Eisengitter beginnt zu brennen, äh, zu leuchten, und taucht den Platz in grelles LED-Licht. Samichläuse sprechen «Hohoho!» und Luftballonsverkäufer verkaufen Kindern (bzw. deren Eltern) bunte Luftballons. LosverkäuferInnen verkaufen Lotterielose und PistazienverkäuferInnen Knabberpistazien. Und wie gesagt – es sind ziemlich viel Leute unterwegs. Kind und Kegel, Pärchen, Alte, Junge, Eltern, Nichteltern, ein paar Touristen, ich und der eine und andere Hund. Es ist ein Gedränge von mir an einem 25. Dezember selten gesehenen Ausmasses. Als ob der Heiland niedergestiegen ist und Handyabos verschenkt.

Doch kein Heiland lässt sich blicken, obwohl die Stadt (oder der Quartierverein oder die Interessengemeinschaft Zentrum oder sonstwer) sich ziemlich Mühe für einen spektakulären Empfang gemacht hat. Vom erleuchteten Stahlgitterweihnachtsbaum, ca. 10 Meter hoch, auf der Plaza de la Constitucion wäre er zumindest ziemlich beeindruckt und beim würdevollen Gang durch, also unter dem triumphal gebogenen LED-Himmel über der Calle Marqués de Larios, der Shoppingmeile Malagas, bekäme er zumindest einen Dopaminschub, wenn nicht gar einen stillen Orgasmus. Der Himmel, 100 Meter lang mindestens, kann spektakulär die Farben wechseln, ausserdem kann man ihn partiell aus- und anmachen, blinken lassen oder gleich blitzen, ähnlich den Lichtorgien bei einem Rockkonzert, es fehlen eigentlich nur die Trockeneisschwaden. Man könnte dem Ding sogar eine Lichtchoreografie programmieren, aber das scheint noch niemand zu beherrschen, also lässt man den Zufallsgenerator arbeiten und der arbeitet dann irgendwie, so dass es wirr und irr lichtorgelt, aber enad trotzdem noch recht bemerkenswert aussieht. Dazu lassen sie dann auch Musik laufen: sinnigerweise «Last Christmas» (Komponist/Autor tot), ebenso sinnigerweise «The Show must go on» (Autor auch tot) und eher nicht sinnigerweise, aber nachvollziehbar, weils einfach gut tönt, «O fortuna» aus der Oper «Carmina burana», deren Komponist (Karl Orff) ebenfalls tot ist. Das Spektakel ist sehr lebendig, dauert ca. zehn Minuten und wird stündlich wiederholt. Wie lange, bringe ich nicht in Erfahrung, vielleicht bis die Anwohner reklamieren: «¡Se acabó!» («Jetzt langetz aber!»), doch das dürfte sehr spät sein.

Aber der Heiland schreitet nicht nur nicht würdevoll, sondern gar nicht unter dem LED-Himmel hindurch und so schreiten die Malagesen und -innen halt selbst und haben Dopamin- und ev. sonstwelche Schübe dabei. Jeder und Jede, der und die Beine hat, ist auf der Piste. Aber wirklich jeder und jede. Die Terrassen der Beizen in der Altstadt füllen sich und die Menschenschlange vor dem Eingang zur «Catedral de la Encarnación de Málaga» wird immer länger (im Endstadium um ca. 19:30 Uhr ca. 60 Meter). Drin findet aber nicht etwa eine Messe statt, sondern ist eine sehens- und/oder bemerkenswerte Krippe aufgebaut. Die jetzt Jeder und Jede unbedingt sehen, ev. auch anbeten oder fotografieren, will, deshalb die Warteschlange, die eben nur zu bestimmten Zeiten zugänglich ist, nämlich von 17 bis 22 Uhr, also jetzt, was für mich trotzdem kein Grund ist, mich in die Warteschlange zu stellen, denn Krippen sind nicht mein Ding und ausserdem vollkommen überbewertet.

Meine Kathedrale ist das Café Viktoria und meine Krippe ist die Bar. Mein Jesuskindlein ist eine ración de jamon iberic, dazu reicht mir die schöne Mutter Maria una copa de Rioja und ich freue mich des Abends.

Blogpost: Malaga 26.12.

Posted by michl on 27/12/16 on http://www.grippedbag.ch

Es sei ja Winter, imfall. Auch hier in Malaga ist der Winter ausgebrochen, obwohl ich, als genuiner Mitteleuropäer, davon nicht viel spüre. Dieser sogenannte Winter fühlt sich hier an wie Frühling. Um die 20° Celsius ist es am Mittag, ein laues Lüftchen weht vom Meer her, man kann problemlos auf den Terrassen sitzen und zu Mittag speisen. Nachts wirds dann etwas kühl, man zieht sich ein Jäckchen über, dennoch sitzt man draussen und geniesst den Znacht in der Beiz, derer es im Centro genug gibt. Und sie sind alle gut besetzt, bei einigen muss man sogar anstehen, das tun sie dann auch, die Esswilligen, weiss der Kucker warum sie das tun, ich würde einfach in ein anderes Lokal gehen und/oder morgen wieder kommen. Oder übermorgen. Übermorgen ist ja auch noch Festtagsbrücke und überhaupt, zum Essen in der Beiz muss man ja nicht unbedingt arbeitsfrei haben.

Doch ein wenig Winter wollen sie schon haben, die Malaguenos, am besten so wie im Norden, da wo das Rentier herkommt und es in ihrer Vorstellung Schnee hat. Darum rennen hier, bzw. stehen hier vor Kaufhäusern oder in deren Schaufenstern Rentiere aus Kunst- und anderen stoffen oder aus LED-Ketten. Auch Schnee gibt es, allerdings aus Watte, denn um echten Schnee zu produzieren, der dann auch hält und liegenbleibt, ist es definitiv zu warm. Findige Schneersatzbeschaffer haben sich bei uns technische Lösungen einfallen lassen, man blicke nur ins obere Toggenburg oder nach Engelberg. Aber echter Schnee braucht echten Regen und echte Kälte und die gibt es hier nicht. Hier gibt es Kunststoff. Spanische Erfinder haben eine Schlittelbahn aus Kunststoff gebaut. Sie steht vor einem Warenhaus in dessen Namen etwas von Engländern erwähnt wird und wird rege benutzt. Lustig ist das, den aufgeblasenen Lastwagenradschlauch raufschleppen und mit ihm als Unterlage runterfetzen. Für Kinder ein Riesenspass, für Kindgebliebene ebenso. Neben der Schlittelbahn oder Gummischlauchbahn haben sie eine kleine Eislaufbahn aufgestellt. Mit echtem Eis. Sie ist so begehrt, dass sie total überfüllt ist und man fast nicht auf die Schnauze fallen kann, wenn mans Eislaufen nicht kann.

Und dann gibts auch noch ein Karussell, einen Kletterpark, beides für Kinder gedacht, sowie eine Selfie-Ecke mit Kunststoffschneemann und Kunststofftannenzweigen (für alle gedacht) und knuddelige Rentiere aus Plastik. Alles ist gratis und natürlich nicht von der Stadt zur Verfügung gestellt, sondern vermutlich, so vermute ich, vom Kaufhaus mit dem Engländer im Namen («der englische Schnitt»), auf dessen Vorplatz das Ganze steht. Weil das Kaufhaus und alle anderen Läden auch am 2. Weihnachtstag bis mindestens 21 Uhr offen haben, wird das dargebotene Vergnügen auch rege bis in den späten Abend benützt. S’ischjo wägg de Chind, gell! Bei uns jammern sie (die Wintersporttouristiker), weil es keinen Schnee hat. Kommt her und schaut‘ euch das an, man muss halt bitzli Ideen haben!

Blogpost: Malaga 27.12.

Posted by michl on 28/12/16 on http://www.grippedbag.ch

Während ich auf einem Landgut im dicken grauen Nebel der südfranzösischen Haute-Garonne hocke, raffe ich mich auf, die Berichterstattung von meinem Kurztrip nach Südspanien weiterzuführen. Ich war ja eben noch gschnell am Strand von Malaga. Das wunderbar herausgepützelte und geupdesingte Quartier heisst «La Malagueta», was crude übersetzt «das kleine Malaga» bedeuten könnte, wenn es denn übersetzt werden würde oder müsste. Nichts zu tun hat das Strandquartier von Malaga mit dem «pimienta de malagueta», das eine Bezeichnung für ein Gewürz aus Westafrika, das ziemlich scharf und bei uns als «Paradieskörner» bekannt ist, nicht nachvollziehbar warum man dem Zeug diesen Namen gegeben hat. Das einzig Scharfe im Paradies war doch Eva, was antifeministisch und ausserdem sehr sexistisch ist, aber trotzdem wahr (hätte sein können).

Die Malagueta von Malaga ist nicht scharf, aber schön (wie Eva :). Es ist die Meile der drei «F’s»: Flanieren, Fressen, Freizeit verbringen. Es locken «La Playa» (der Strand), «Muelle uno» (Mole eins, Fressmeile) und die «Plaza de Toros» (Stierkampfarena). Die Plaza de Toros de la Malagueta ist ein runder Bau aus rotem Backstein, erbaut 1874 im Neomudéjar-Stil von Joaquín Rucoba (im Baustil der Mudejaren («Mudéjares»), der einstigen moslemischen Einwanderer und deren Arbeiter bzw. Sklaven wurden im Mittelalter auf der iberischen Halbinsel viele Kirchen und andere öffentliche Gebäude gebaut, der Nachfolger im 19. Jh. hiess dann «Neomudéjar-Stil» (s. auch Postgebäude von Zaragoza oder «Arc de Triomf« in Barcelona)).

«La Malagueta» steht natürlich längst unter Schutz, was nicht bedeutet, dass sie nicht genutzt wird. Es finden darin Stierkämpfe, z.B. an Ostern und zum «Feria di agosto» im August statt, aber nicht nur, natürlich kann in einer Arena wie dieser, gebaut für 9’000 Zuschauende, auch anderes stattfinden, was es auch tut. Zum Beispiel für Konzerte aller Art, Messen, Ausstellungen, und man kann sie natürlich auch privat mieten, für Hochzeiten oderso, klickt dies wenn Ihr dort heiraten wollt: www.malagueta.es. Man kann die Stierkampfarena auch fotografieren, allein schon weil sie einfach so wunderschön aussieht (man muss sie ja nicht gleich dissen, nur weil darin Tiere getötet werden).

Blogpost: Malaga 28.12.

Posted by michl on 29/12/16 on http://www.grippedbag.ch

Die «Fortuny», die hier im Hafen von Malaga auf ihre Abfahrt wartet, ist ein kleines Ungetüm. 172 Meter lang, 27’000 Tonnen schwer (vollbepackt), 4 Wärtsilä-Motoren à je 10’000 PS, max. 21.6 Knoten, max. 80 Lastwagen und 336 Personenwagen, max. 972 Passagiere, 748 Betten. Ein sogenanntes Ro-Ro-Passenger Ship, so genannt, weil man mit Fahrzeugen rauf- und runterfahren kann (roll-on-roll-off). Aber eigentlich ist sie ganz einfach eine Fähre. Sie fährt täglich 14h30 von Malaga in fünfeinhalb Stunden nach Melilla. Melilla ist eine der zwei Exklaven Spaniens an der Küste von Marokko, bekannt geworden in letzter Zeit durch die illegalen Grenzzaunüberwindungsversuche junger Afrikaner.

Es ist anzunehmen, dass mit dieser Fähre schon der eine oder andere bei Melilla glücklich über den Zaun Gekletterte nach Europa kam. «Ich bin drin!» (wie weiland Boris Becker in einem Werbesport, allerdings gings da ums Internet, in einem Zeitalter vor der Jahrtausendwende, als der Vorgang, um ins Internet zu kommen, noch eine halbe Minute brauchte und dies für eine deutsche Telekommunikationsfirma werbend am TV kundtat) wird er gerufen haben. Denn wer drin ist, ist in der Tat erst mal drin (in der EU), da können die Spanier noch so hohe Zäune bauen, drin ist drin und man, also die Flüchtenden können nicht mehr zurückgeschickt werden (sofern sie einen Asylantrag stellen oder illegal abtauchen). Da passt der Name des Vehikels ja ganz gut (Fortune – Schicksal). Interessant ist auch die schiere Grösse der Fähre, die auf einen regen Personen- und Warenverkehr mit der kleinen Exklave (85’000 Einwohnende) hinweist.

Nun, der Zweck der Fortuny ist ja nicht das eigentlich Bemerkenswerte an ihr. Viel aufsehenerregender ist der Begriff «Trasmediterranea» an ihrer Seite. Der Begriff steht für «Compañía Trasmediterránea, S.A.», gegründet exakt heute vor 100 Jahren in Barcelona (heutiger Hauptsitz ist in Madrid). Natürlich weckt so eine Fähre immer Sehnsüchte in mir. Wie gerne wäre ich gschnell nach Afrika rüber gefräst. Hätte ich nur früher über dieses Malaga und seine Möglichkeiten recherchiert, oder hätte ich meinen Weiterflug verschoben oder hätte hätte…. oder käme ich mal wieder hierher. Mal sehen. Bemerkenswert, nicht zuletzt und überhaupt ist doch aber die Tatsache, dass hier auf der Backbordseite dieses imposanten Schiffs ein Schriftzug prangt, der anderswo auch schon mal für ein Reisebuch verwendet wurde: Mediterranea.

Blogpost: Malaga 29.12.

Posted by michl on 30/12/16 on http://www.grippedbag.ch

«Todo una vida junto a ti», daneben ein Herz, in dem «A+I» steht, und noch eine Inschrift: «Te amo». Da scheint jemand doch recht verliebt. Der Liebesschwur – oder ist es ein Liebeswunsch? – muss harte Stürme überstehen. Und hat schon, wie man an der verwitterten Schrift sieht. Der Schreiber, die Schreiberin, hat einige Meter daneben schon mal einen Versuch gewagt, den aber abgebrochen, vielleicht einen Moment später dann das Definitivum geschaffen. Vielleicht hat er, sie, es sich nochmals überlegt, erst mal eine Nacht darüber geschlafen. Aber vielleicht hat er, sie, sich doch noch zuerst mit dem, der Angesprochenen abgesprochen: «Meinstu wir bringen das hin?» Es im Liebesrausch hinzuschreiben oder das Leben zusammen zu leben und sich dabei auch noch permanent zu lieben, sind zwei verschiedene Hosenbeine.

Ich glaube eher, dass der, die, Schreibende darauf aufmerksam gemacht wurde, dass man es so, wie er, sie, es im ersten Versuch hingesprayt hat, nur mit massiven Kopfverrenkungen oder mit einer Kameradrohne lesen kann. Darauf hat er, sie, nochmals begonnen und der Schwur, den Wunsch, die Feststellung oder was immer er, sie, damit meinte, so hinzutaggen, dass man, also die Passanten, die Touristen, die ganze Stadt, ich, es vom Ufer aus bequem lesen können. Das Geschriebene steht nämlich auf dem betonierten Grund des Flusses Guadalmedina, der Malaga mittig durchfliesst und in zwei Teile teilt. Nun ist der Begriff «fliessen» hierbei nicht jederzeit angebracht. Die meiste Zeit fliesst der Guadalmedina nämlich nicht, nicht ein Tropfen, nicht mal als Rinnsal, denn gäbe es so eines, wäre es auf der Strecke aus den Bergen in Malagas Hinterland längst auch vertrocknet.

Das war nicht immer so. Einst teilte der Guadalmedina die Stadt nicht nur metasymbolisch in zwei Teile: Am rechten Ufer wohnten die armen Schlucker, am linken hauste die Oberschicht (in Fliessrichtung betrachtet, bzw. von Nord nach Süd, es ist wie erwähnt, die meisten Zeit nicht zu erkennen, in welche Richtung das Wasser fliessen würde, so es denn fliesst). Das ist zwar immer noch so, aber zahlreiche Brücken verbinden links und rechts, der einst feuchte Graben des Guadalmedina ist kein Hindernis mehr, in die obere Schicht auf- oder in die Unterschicht abzusteigen. Dass ein trockenes Flussbett keinen guten Eindruck macht, schon gar nicht auf die Touristen, die man ja unbedingt anlocken will (siehe auch Abfalldeponien, pardon, ausgetrocknete Flussbette in Afrika oder Indien (oder Ex-Jugoslawien)), hat man auch in Malaga gecheckt.

Deshalb hat man in den vergangenen Jahren das Bett des nicht vorhandenen Flusses einem Urbanisierungsprogramm unterzogen. Man hat es eingedohlt, teilweise begrünt, in Abschnitten betoniert, mit Treppen zugänglich gemacht. Damit ist zusätzlicher öffentlicher Raum für Freizeit, Sport und eventuell auch Kultur entstanden, man kann jetzt im Bett flanieren, Fussball spielen, Party machen oder Hunde scheissen lassen. Die grünen Abschnitte werden künstlich bewässert (nicht zurzeit, ob der Jahreszeit wegen oder aus Geld- oder Wassermangel, habe ich nicht in Erfahrung gebracht), die betonierten Flächen sauber gehalten (von den Benutzenden), so dass die ganze Sache in der Tat einen erfreulichen Eindruck macht. Und Touristen staunen und/oder die Seele schnaufen lässt. Einen Kontrapunkt zur Enge in der Altstadt setzt.

Bleibt letztlich die Frage, ob das Pärchen, das sich hier die lebenslange Treue geschworen, gewünscht oder geträumt hat, von hüben oder drüben oder aus beiden Stadtteilen stammt. Wenn letzteres, wäre hier eine weitere symbolische Brücke geschlagen mit der Hoffnung, dass sie ein Leben lang hält. Oder zumindest bis es mal wieder richtig regnet im Hinterland. Da kann man nur hoffen, dass der Farbspray ein wasserfester war.

Blogpost: Malaga 30.12.

Posted by michl on 31/12/16 on http://www.grippedbag.ch

Meinen letzten Blogpost aus Malaga könnte man, also ich, etwa so betiteln: Ausschluss vom Paradies. Auch wenn ich grad nicht allzuviel falsch gemacht habe, keinen verbotenen Apfel vom Baum geholt habe oder garament Vegetarier bin, fühle ich mich ausgeschlossen. Es gibt nicht sehr viele begehrenswerte Orte auf der Welt, an denen ich wirklich gerne eine Weile wäre und gleich in alles hineinbeissen wollte – spanische Delikatessengeschäfte («tiendas de comestibles finos») gehören dazu. Doch es ist wohl der Touristen Los, von bestimmten Dingen, die im Reich der Einheimischen liegen, ausgesperrt zu sein. Das ist in vielen Fällen gut so (auch wenn es gewissen Touris nicht passt), aber in diesem Fall ist es seelische Qual.

Klar, ich könnte jetzt da rein und meine Shoppingliste abhaken. Reinlassen (und wieder raus) würden mich die da bestimmt. Die Aussperrung ist eher eine gefühlte, imaginäre, ja illusorische, denn eine reale. Und das hat allein damit zu tun, dass ich praktisch von allem, was hier drin zum Verkauf angeboten wird, keine Ahnung habe, bzw. nicht weiss, wie das Zeug heisst. Ja, es ist fast alles Fleisch (ausser ein Gestell mit Weinen und eins mit Zuckerbackwaren), und alles schmeckt köstlich (vermutlich). Aber man, also ich, kann ja nicht gleich alles zusammen kaufen, nur weil mir bei jedem Stück, jeder Wurst und jeder Terrine gleich das Mundwasser zusammenläuft. Selektionieren heisst die Devise, aussuchen, bestimmen, bestellen, erst aber probieren. Dann kaufen. Doch jetzt beginnt das Problem: Wie sage ich es der Dame hinter der Vitrine?

Mein Hirn denkt: «Ich möchte dies und das, und jenes auch, was ist das, was ist da drin, was ist der Unterschied zwischen dem und derer, ist es scharf, mild, gekocht, geräucht, roh, eingelegt», … undsoweiter. Und jetzt? Alle diese Fragen auf Spanisch stellen ginge ja noch so einigermassen – aber die Antworten! Nichts von allem würde ich verstehen, was in dieser Wurst ist, warum dieser Schinken und nicht jener, aus was die schöne bleiche Terrine gemacht ist und aus was die schwarze. Nichts von allem, was die Dame mir freundlich entgegnen würde, würde ich checken und wäre darum genauso gescheit wie am Anfang. Blind etwas kaufen? Einfach mal irgendwo anfangen? Eine Wurst vielleicht? Aber wenn ich die falsche erwische? Wäre die daneben nicht doch leckerer gewesen? Und wenn sie lecker ist, wie war jetzt wieder der Name? Kriege ich die allenfalls zuhause auch?

Und: Woher kriege ich Messer, Gabel, Teller, Brot, Rioja? Hätte ich nachher vielleicht keinen Hunger mehr und würde eine andere Spezialität in einer Beiz verpassen? Soll ich die Wurst (welche, wieviel?), die Terrine (welche, wieviel?), den Jamon Iberico (einen ganzen? Gibtz den auch halb?) ins Gepäck packen? Wieviel darf ich zuhause einführen? Würde es das Teil, die Teile überhaupt bis zum Schweizer Zoll schaffen, hätt‘ ich sie nicht vorher verspiesen, z.B. beim Warten in der Wartehalle auf dem Aeropuerto? Keine(r) weiss mir eine Antwort darauf. An der Theke dieses Ladens bin ich der einsamste Mensch in Malaga. Deshalb gehe ich gar nicht hin zur Theke und steh‘ dann da wie der Esel am Berg. Doof und im Selbstmitleid mich alsdann von dannen machend. Deshalb fühle ich mich an solchen Orten immer irgendwie ausgeschlossen. Das Paradies vor Augen – doch ich lasse mich selbst nicht hinein.

So ganz aussichtslos ist die Lage nicht, es gibt einen Ausweg aus der Misere: Das Stehtischchen beim Eingang. Es ist nämlich genau dazu da, das Zeugs im Laden auszutesten (und/oder den kleinen Mitternachtshunger zu stillen). Einfach an die Vitrine stehen, die Hände sprechen lassen und dazu ein Glas Roten bestellen: «Una copa de Rioja, por favor». Und dann nochmals hinstehen, die Hände sprechen lassen und Begeisterung zeigen. Nach dem vierten Copa de Rioja fällt das Problem der Kommunikation dann ohnehin weg und der Laden ist zu.

Heute ist der letzte Tag des Jahres 2015. Ich fliege mit der Transportes Aéreos Portugueses / TAP Air Portugal nach Lissabon (AGB to LIS) und fliege nach zweieinhalb Stunden weiter nach Toulouse (LIS to TLS). Es gäbe auch Direktflüge (Vueling), aber ein Umsteigeflug ist billiger. Seltsame Flugwelt. Ein Glas Douro und ein Schinken-Tapa in der überfüllten Transferhalle im Lissabonner Flughafen liegt auch noch drin (horrende 19.10 €). Auf dem Flughafen von Toulouse, der Blagnac heisst, werde ich von Madame abgeholt. Sie bringt mich aufs Land. Wohin - ich habe keine Ahnung.

Post scriptum: Ich bin dann drei Jahre später doch noch in Melilla gewesen. Im Juli wars, ich habe nicht mit der Fähre «Fortuny» übergesetzt, sondern bin mit dem Flieger nach Tanger geflogen, mit einem Taxi nach Tétouan gefahren, dann wieder mit dem Flieger nach Al Hoceima, einem kleinen marokkanischen Fischerhafenstädtchen, geflogen und schliesslich mit der italienischen 16-Meter-Ketch «Mediterranea» nach Melilla gesegelt (worden). Mediterranea? Das hatten wir doch schon mal!

Winter auf Goueillario

Na toll. Das warme Wasser aus dem Hahnen im Bad ist kalt. Madame hat mich gewarnt, dass irgendwas mit der Heizung nicht stimmt. Aber dass irgendwas immer nicht stimmt, bzw. die Heizung eigentlich total sanierungsbedürftig ist, hat sie nicht gesagt. Vielleicht unterschätzt sie ja das Problem oder hat sich daran gewöhnt und/oder duscht gerne morgens mit laukaltem Wasser, jedenfalls scheint sie die Lösung des Problems vor sich her zu schieben. Ich ziehe mir diverse Kleider an, gehe runter, lasse Fritz und Vuelo zur Erledigung ihres Morgengeschäfts raus und gehe in fremden Finken über den Hof zum Gebäude, wo die Heizungsanlage ist. Das rote Lämpchen am Brenner brennt rot. Ich drücke das rote Lämpchen, das auch ein Knopf ist und dann den Knopf für den Brennerstart und warte. Der Lüfter im Brenner heult auf, aber sonst passiert nichts, ausser dass das rote Lämpchen wieder brennt und der Lüfter sich wieder ausschaltet. Ich warte zehn Sekunden, drücke den Lämpchenknopf, dann den Startknopf, Lüfter heult auf, Brenner zündet nicht. Rote Lampe. Ich warte zehn Sekunden, drücke die Knöpfe wie gehabt. Der Brenner zündet nicht, rote Lampe, alles aus. Ich warte zehn Sekunden, haue mit der rechten Faust auf den Brenner, drücke die Knöpfe wie gehabt, Lüfter heult auf, Brenner zündet nicht. Rote Lampe. Ich warte. Drücke die Knöpfe wie gehabt, Brenner heult, ich haue die rechte Faust auf das Brennergehäuse. Brenner zündet. Auf die Reihenfolge der Bedienungsschritte kommt es also an.

Es ist scheisskalt draussen. Ich gehe zurück, nehme die Hunde, die mir nachgelaufen sind, wieder mit ins Haus, drinnen warten zwei Katzen, die, als sie Vuelo bemerken, in zwei Himmelsrichtungen davon stieben. Hier drin ist es etwa halbscheisskalt. Ich schalte den elektrischen Ofen in der Küche auf «Max». Mit einem Esslöffel schaufle ich den Inhalt einer 500-g-Dose Katzenfutter «Whiskas» in den Katzennapf. Ebenso schaufle ich je die Hälfte einer 1-kg-Dose «Pedigree» in zwei Hundnäpfe. Fülle Wasser in zwei Wassernäpfe. Gehe nach draussen auf die gedeckte Terrasse und schaufle den Inhalt einer weiteren 500-g-Dose «Whiskas» in den leeren Napf für die namenlosen Katzen der weiteren Umgebung. Auch fülle ich den Napf (eine alte Salatschüssel) für das Trockenfutter auf. Die Katzenfressstelle indoor befindet sich auf der Küchenkombination, dieselbige outdoor auf der Theke der Terrassenbar. Ziemlich unhygienisch, hüben wie drüben, aber eigentlich nicht mein Problem. Ich gehe in die Küche zurück, schalte das Internetradio ein («Deep Jams Radio» from USA) und setze Fritz die Spritze. Il n‘est pas amusé. Er hat Diabetes und braucht seine tägliche Dosis Insulin, die ich ihm mittels Einwegspritze intramuskulär verabreichen muss. Ich wasche meine Hände mit kaltem Wasser und stelle fest, dass es doch schon etwas wärmer geworden ist, das Wasser. Ich lasse mir einen Nespresso «Volluto» aus dem Maschinchen, wobei ich erst mal Wasser auffüllen muss ins Maschinchen, merde, muss man eigentlich alles selber machen hier, und lese meine Zeitung online. Draussen ist es jetzt Tag. Es ist vollkommen klar und ich sehe die Spitzen der französischen Pyrenäen. Ich ziehe mir meinen Fleece über und setze mich an den Tisch auf der Terrasse. Es ist angenehm warmkühl und vollkommen still.

Ein sehr seltsames Flugzeug taucht plötzlich aus Südwest auf und fliegt relativ laut relativ tief über mich und die Villa in Richtung Nordnordost. Ich hole mir das Compüterli und schaue auf flightradar24.com, um was es geht. Es ist ein Airbusfrachter A300-600ST «Beluga» (A3ST/F-GSTC) auf dem Anflug nach Toulouse. In Toulouse schraubt «Airbus Industries» Airbusse zusammen und lässt sich dafür die Einzelteile aus ihrer Fertigung in Hamburg einfliegen, und zwar mit einem Riesenkrach, aber auch mit einer bemerkenswerten Vorstellung, denn so einen Beluga im Flug gefühlte 100 Meter oder 200 oder vielleicht doch etwas mehr über einem sieht man ja auch nicht alle Tage. Toulouse ist etwa eine knappe Fahrstunde von hier entfernt.

Madame‘s Gestüt

Goueillario d‘en haut, so heisst die Flur, die jetzt ein Landhaus ist und früher ein Bauernhof. Madame hat hier nach ihrer Auswanderung aus der Innerschweiz ein Pferdegestüt aufgebaut. Total günstig habe sie das riesengrosse Grundstück gekauft, damals, als kein Bauer mehr in dieser einsamen Gegend bauern wollte, bzw. wahrscheinlich das Grundstück für einen Bauern eher doch keine Existenz versprach und pacht- oder kaufwillige Nachbarn nicht soviel Geld hatten wie Madame. Jedenfalls hat Madame mit ihrem goldenen Händchen und ihrem guten Riecher mit ihrer Rennpferdezucht, bzw. Samenhandel, ziemlich viel Geld gemacht. Ausserdem hat sie nicht mit Franzosen, sondern mit Libyern geschäftet, die damals noch viel Geld hatten und die einst berühmten edlen Araber mit einer eigenen Zucht in ihrer Heimat wieder aufbauen wollten. Zum Glück, als in Libyen das Land zusammenbrach, hatte die talentierte Rennpferdezüchterin, bzw. Rennhengstezüchterin genug Geld beisammen für einen sorgenlosen Lebensabend.

Nun aber hat Madame auf parship einen Liebhaber kennengelernt, einerseits, und andererseits hat sie die Nase voll von der Einsamkeit in der Haute Garonne. Sie will also das Gut für etliche Millionen Euro (es ist noch zu haben, imfall!) verkaufen, in die Innerschweiz ziehen und sucht deshalb nach KäuferInnen. Das braucht jedoch seine Zeit, die sie sich verkürzt mit diversen Unternehmungen mit dem Liebhaber, da dieser, Schweizer, zurzeit längere Zeit krankgeschrieben ist infolge Burnouts. Somit verbringt dieser Mann etliche Zeit bei Madame in Südfrankreich oder aber Madame geht mit ihm auf Reisen, wobei das Ziel, bzw. der Weg dorthin, von Madame bestimmt und vermutlich auch bezahlt wird. So also reist das total verliebte Paar nach Wien zum Opernball, zu den Pferderennen nach Deauville oder eben, wie grad, sieben Tage mit dem Jaguar quer durch Spanien. Dass ältere Frauen noch soviel Lebenslust aufweisen, finde ich gut, denn mir ermöglicht es ein paar ungestörte Tage in entspannter Atmosphäre ohne Störung von aussen, ausser eben dass ab und an ein Beluga über mich fliegt.

Madame hat also einigen Besitz und keine Nachkommen oder sonstwie in Betracht kommende Personen im Freundes-, bzw. Bekanntenkreis, die die Aufgabe, die ich zurzeit zu erfüllen gedenke, übernehmen könnten. Madame hat mich engagiert, bzw. unsere freundschaftlichen Beziehungen aktiviert und mich gebeten, während ihrer Abwesenheit eine gute Woche lang ihr Haus zu bewohnen. Im gleichen Zug, da ich ja schon mal da bin und völlig kostenlos in fremdem Besitz residiere, wäre ebendieser zu bewachen, sowie ihr Hund und diverse Katzen am Leben zu erhalten, bzw. zu füttern. Ansonsten sind absolut keine weiteren Aufgaben zu erfüllen, vom gelegentlichen Herausfischen von Laub aus der piscine hors-sol, die auch wintersüber voll Wasser steht und automatisch chemisch behandelt wird, damit das Wasser nicht grün wird und kippt, mal abgesehen. Ein unaufwendiger, um nicht zu sagen Flooner-Job («Flooner»: ein Mensch, der nicht viel arbeitet/ floonen: faulenzen (aus dem Walliser Dialekt; siehe: www.heida.ch wenntznödglobsch)). Abgesehen von der Schwere der Verantwortung für ein ganzes Haus, bzw. Landhaus, wird man, also ich, bei der Erfüllung der anfallenden Arbeiten nicht wirklich müde.

Das mit den Belugaanflügen hält sich hoffentlich in Grenzen die nächsten Tage, denke ich, also hoffe ich. Es hält sich. Es herrscht Ruhe die nächsten Tage. Und es hat keinen Schnee und es scheint die Sonne und es ist weit über null Grad. Es ist das Paradies. Ein Paradies mit kaltem Wasser und kalten Böden, zumindest am Vormittag. Ich putze mir die Zähne und gehe mit den Hunden spazieren. Später dusche ich endlich heiss und fahre mit dem PKW nach Carcassonne. Jeder nun folgende Tag verläuft, zumindest am Vormittag, analog diesem ersten Tag, allerdings mit etwas weniger Heizungsärger, da ich ja jetzt die Reset-Prozedur kenne. Nachmittags lockere ich meine Tage mit diversen Erkundigungsfahrten auf. Ich fahre wie erwähnt nach Carcassonne, das im Übrigen eineinhalb Stunden mit dem Auto von hier, Goueillario d‘en haut (bei Saint Julien), entfernt und jetzt im Winter fast völlig touristenverlassen ist. Was ich als sehr erfreulich empfunden habe, gestern, denn ich war im letzten Sommer dort, da gibt es fast kein Durchkommen mehr in den Gassen der alten Stadt. Ausserdem ist es im Sommer zu heiss und zur Mittagszeit muss man um die Plätze in den Restaurants kämpfen. Carcassonne im Winter ist also ein erfreuliches, bzw. empfehlenswertes Erlebnis. Ausserdem fahre ich auch nach Mirepoix, wo es jeweils montags einen wunderschönen Wochenmarkt gibt, wo ich zwar nichts kaufe, ausser einer deftigen Salami (die übrigens auch in Frankreich Salami heisst), jedoch mich an den diversen zur Degustation angebotenen Würsten und Käsen sowie an einem Pastis im Café «Les Castignolles» erfreue. Dann fahre auch nach Nailloux, wo es ein Outlet Village, in dem es jedoch für mich nichts Gescheites, gibt, ausser einen «Body Shop», in dem aber alles etwa die Hälfte teurer ist als in dem in St. Gallen. Dann fahre ich noch nach dem Örtchen Carla Baile, was ein Künstlerdorf ist, wo aber fast alle Künstler nur im Sommer leben, wodurch es im Winter total verlassen ist, weil sie dann heizen müssten, die Künstler, was ihnen wohl zu teuer ist, da ihre Ertragsbilanz mangels Kundschaft im Winter eh schon negativ ist.

Dann fahre ich nach besagtem Toulouse, was die viertgrösste Stadt Frankreichs und die Hauptstadt der neuen «Région Occitanie», die anfangs 2016, aus den Regionen Languedoc-Roussillon und Midi-Pyrénées zusammenfusioniert worden ist, ist. Doch der Laden, den mir Madame zum allfälligen Kauf von schönen Hemden empfohlen hat, hat wegen Weihnachtsferien zu. Schliesslich fahre ich noch nach Lézat-sur-Luze, wo es einen Supermarché («Carrefour») gibt, in dem ich ein paar Grund- und ein paar weitere Nahrungsmittel, z.B. Rotwein (aus Bordeaux) und Pommes Chips (welche hier einfach «Chips» heissen, weil, wenn man Pommes Chips verlangen würde, käme keine/r draus oder würde allenfalls empfehlen, selbst Äpfel zu schnipseln; aber das ist in einem Selbstbedienungsladen eh nicht nötig, da man (als Ausländer) Pommes Chips leicht als solche erkennt (bzw. sie sind auch hier in roten bzw. orangenen Plastiksäcken verpackt) imfall) kaufe. Jeweils zwischen diesen Ausflügen per PKW - eine andere Möglichkeit fortzukommen gibt es hier in der Pampa der Haute Garonne nicht, es sei denn zu Fuss aber dann kommt man nirgendswohin in nützlicher Zeit - lege ich einen Ruhetag ein, an dem ich schreibe und die Augen reibe und bei Bedarf Laubblättchen aus der piscine hors-sol fische.

Apropos Wein. Madame hat einen kleinen Rebberg, aus dem sie jedes Jahr ein paar Flaschen Rotwein gewinnt. Mittlerweile liegen gemäss ihrer Meinung 5000 Flaschen an Lager, wobei ich sie nie gezählt habe, aber es sind viele. Aus diesem Keller dürfe ich mich ungeniert bedienen, sagte Madame, und das tue ich auch, aber ab und zu werte ich mein einsames Dasein mit einer guten Flasche Bordeaux aus dem Carrefour auf. Vom Wein aus Madames Keller bekomme ich zwar kein Kopfweh, jedoch einen flauen Magen, doch zu meinem Glück habe ich nach ein paar Tagen herausgefunden, in welchem Gestell die Weine, bzw. der Jahrgang liegt, der mir am wenigsten flaue Mägen beschert und somit erhöhten Genuss. Interessanterweise erweist sich dieser Wein als der, den ich als einzigen nicht nehmen sollte, was mir Madame aber erst nach ihrer Rückkehr mitteilt. Ich gebe mich doof und sage, dass ich diesen Wein ausgesucht habe, weil er eine rote Kappe an der Flasche hat und die anderen nicht. So hätte ich ihn am besten wieder gefunden (da die Flaschen keine Etiketten haben) in diesem ziemlich grossen Weinlager. Als ich abreise nach zwei Wochen, schmeisst mir Madame einen Karton Wein ohne rote Kappen in den Kofferraum, zum Dank für den Homesitting-Dienst.

Es wird also nach getaner Arbeit viel Zeit für das Schreiben (um die Jahreswende beginne ich jeweils mit der Niederschreibung des Manuskripts für das neue Buch, was natürlich nach einer Woche nicht abgeschlossen ist, aber die ersten Schritte sind getan und das gibt hinsichtlich des Termins der Drucklegung Ende August doch ein recht gutes Gefühl) bleiben, ebenso für das tiefe Sinnieren, das erfreuliche Kontemplieren, das gedankenlose Betrachten der Landschaft, wobei besonders die Nordseite der französischen Pyrenäen zu nennen ist, sowie das masslose Essen vieler ausgesprochen guter Dinge, derer es in Frankreich eine ganze Reihe mehr gibt als in meiner Heimat, bzw. leichter zu bekommen sind (versuch mal in der Ostschweiz frische Austern zu bekommen!), noch dazu um die Hälfte oder mehr günstiger, und das noch masslosere Trinken einheimischen Weins. Und/oder nötigenfalls das sinnentleerte, dröge, faule Herumhängen. Und/oder ebenso dröges, ödes Betrachten der verfügbaren Fernsehprogramme, unter deren vielen, dank sei der Satellitenschüssel im Garten, auch die heimischen und deutschen bzw. österreichischen figurieren. Das dabei hervorgerufene lästige Herausreiben externer Partikel in meinen Augen hat jedoch mit den TV-Programmen nichts zu tun (ob drögem, ödem Fernsehprogramm die Augen zu reiben, haben wir uns ja schon längst abgewöhnt, da nutzlos), doch davon später.

Zum Ausschlafen bleibt jedenfalls keine Zeit. Zwei Gründe verhindern ebendieses: 1. Hund Fritz. Der alte Hund Fritz hat die Angewohnheit, am frühen Morgen erbärmlichstens zu heulen. So, als stünde er aufgrund eines Aufmerksamkeitsdefizits kurz vor dem Ableben. Dieses Heulen kann man, also ich, aus meinem Schlafzimmer im ersten Stock überaus gut vernehmen, aber nicht beeinflussen, zumal der Hund, auf seinem Lager, einer alten Couch, im Salon sich von nichts beeinflussen lässt, es sei denn von der Anwesenheit und/oder Zuwendung eines Menschen. Da ich der einzige verfügbare Mensch im Haus bin, bin ich halt auch der, der nun dem armen Hund die Haustüre öffnet, zwecks Blasenentleerung, und dann das Frühstück zubereitet, das, nebenbei, siehe oben, in einer Dose Hundefutter «Pedigree» besteht. Diese Prozedur findet jeden Tag morgens um ca. 07:30 Uhr statt, also in aller Herrgottsfrühe und Dunkelheit. Da um diese Zeit auch die ca. 4 Katzen von Madame zwecks Erwartung des Frühstücks um das Haus bzw. in der Küche herum streunen, plus mein eigenes Haustier Vuelo unmissverständliches Interesse an «Pedigree» bekundet, lohnt sich, objektiv betrachtet, mein frühes Aufstehen, da ich mit meinem selbstlosen Tun zumindest sechs Existenzen glücklich mache (plus noch ein, zwei wildernde Katzen, über deren Herkunft, Besitzerschaft oder Aufenthalt Madame nicht allzu viel weiss).

Der zweite Grund, der ein gepflegtes Ausschlafen verhindert, ist die Raum- und die Wassertemperatur. Beides beruht auf einer zeitweise defekten Heizungsanlage. Die Heizungsanlage, im Nebengebäude stationiert, bzw. der Brenner, hat das Problem, dass er feuert, bis das Wasser im Kessel heiss genug ist, und dann auf Standby geht, also das Feuern einstellt. Derweil versorgt die Umwälzpumpe den Boiler mit heissem und mittels Mischventil die Bodenheizung in den Parterreräumen mit lauwarmem Wasser. Bis die Kesseltemperatur unter den am Thermostat eingestellten Wert fällt (man nennt diese Funktion «Hysterese», eine Eigenschaft, über die jeder mechanische Thermostat von Natur aus verfügt und durchaus im Sinne des Erfinders ist, worauf ich aber an dieser Stelle nicht näher eingehe, weil es ist kompliziert) und den Brenner wieder feuern lässt. Und hier beginnt das Problem: So ungefähr jedes dritte, vierte, manchmal sechste Wiedereinschalten floppt und der Brenner geht auf Störung, was er mit einem roten Lämpchen kundtut. Wovon die Umwelt aber nichts erfährt, denn weder das rote Lämpchen noch der Brenner noch die Heizungsanlage sind von den bewohnten Räumen aus einsehbar, da, wie oben erwähnt, im Nachbargebäude, einem ehemaligen Schweinestall, lokalisiert.

Nun hält so ein voll aufgeheizter Boiler ca. sechs Stunden, sofern kein Heisswasser gebraucht wird, was bedeutet, dass das Warmwasser, z.B. zum Duschen, am frühen Morgen nur noch lauwarm bis kalt ist. Die Temperatur des Kesselwassers sinkt damit noch schneller, womit die Temperatur in den Vorläufen der Bodenheizungsschlange nach der erfolgten Brennerstörung irgendwann mitten in der Nacht ebenso ziemlich schnell sinkt. Was bedeutet: im Haus wird es wenige Stunden nach dem Auftreten der Heizungsstörung kalt. Ist es kalt am Morgen, drängt sich mein Aufstehen folgerichtig auch aus völlig eigennützigen Gründen geradezu auf. So also gilt meine Aufmerksamkeit noch vor der Fütterung der Tiere, und auch noch vor dem ersten Nespresso, der Steigerung der Raum- und Wassertemperatur, wobei letzteres eine halbe Stunde beansprucht und ersteres einen halben Vormittag.

Damit sind meine ersten zwei Stunden dieser Tage im alten Jahr völlig ausgefüllt: Erhebung vom Nachtlager und Einkleidung, Resetting der Heizungsanlage im Nachbargebäude, Fütterung des tierischen Personals in der Küche, Aufdrehen des Thermostaten des Elektroofens in der Küche auf «Max», Zubereitung und Genuss des ersten Espresso in der Küche und anschliessendes Studium der heimischen Zeitungen online ebenfalls in der Küche, da dies zu dieser Zeit, dank des Elektroofens, der wärmste Raum im Haus ist. Dann erstmaliges Reiben beider Augen infolge von Katzenhaaren. Dann Duschen (wegen der Katzenhaare bzw. der Pflege des Körpers). Dann Spaziergang mit Vuelo und Fritz (letzterer kehrt nach halber Strecke selbständig um), dann bei der Rückkehr Verabreichung der Spritze an Fritz, der im hohen Alter Diabetiker geworden ist. Dann erneuter Genuss eines Nespresso, diesmal auf der Terrasse, da es hier infolge des erfolgten Sonnenaufgangs auch recht angenehm warm geworden ist und es drinnen etliche Katzenhaare in der Luft hat.

Die Störungen der Heizung sind ein wenig ärgerlich, um nicht zu sagen, richtig Scheisse. Diesbezüglich bekomme ich aber die Situation langsam in den Griff. Nachdem ich die Anlage etliche Male näher untersucht und diverse Dinge an und in ihr mit völlig unzureichendem Werkzeug de- und remontiert sowie diverse Einstellungen versuchsweise verstellt und nebenher eine Sauerei mit ausgeflossenem Heizöl produziert habe, zündet der Brenner immer noch nicht zuverlässig, doch zumindest habe ich das Problem nun recht eng eingegrenzt und es fehlt jetzt eigentlich nur noch der finale Eingriff in die mechanische Zündvorrichtung. Doch dieser Eingriff wird vermutlich ein ziemlich schmutziger und es besteht die Gefahr, dass etwas kaputt geht dabei, deshalb lasse und überlasse ich es Madame, bzw. dem Liebhaber, so er denn wieder da ist. Vorläufig stelle ich die Kesseltemperatur auf das Maximum, womit ich erreiche, dass der Brenner länger brennt und damit weniger oft ausfällt. Wobei dies eine Hypothese ist und nicht wirklich zutrifft und ausserdem verbrennt man sich beim Duschen die Haut, da das Ventil in der Mischbatterie in meinem Bad auf der höchsten Stufe festhängt, bzw.

---ENDE DER LESEPROBE---