Mediterranea - michael hug - E-Book

Mediterranea E-Book

Michael Hug

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Beschreibung

Michael Hug schreibt vom Reisen. Dabei reist er nicht mit dem Strom. Genauso schreibt er keine Reiseberichte für den Mainstream. Und doch sind seine Reportagen pure Unterhaltung. Genauso sind sie aber auch spannend und informativ. Im Sinne des «Gonzo-Journalismus» schrieb der Autor mit «Sakartwelo» bereits sein fünftes Buch in vier Jahren. Er weiss um die Subjektivität seiner Eindrücke - und drückt sie ganz bewusst auch subjektiv aus. In seinem amüsanten, anregenden und leicht verständlichen Stil schreibt Michael Hug in «Mediterranea» von Reisen mit der «Hydra» ums Horn von Afrika, von einer enthaltsamen Erfahrung auf der Mönchs-Insel Athos, von einem besonderen Winter bei Chaosmam und Schlummmami. Zurück in seiner Heimat, ordnet der Autor sein Dasein neu. In «Mediterranea» hat der Autor seinem Leben neue, vergnügliche, manchmal schräge Episoden hinzugefügt und berichtet uns darüber.

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Mediterranea

Michael Hug

verlag grippedbäg


e-Book 2020

Copyright 2020

Verlag grippedbäg & Michael Hug Degersheim, Schwei Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, photomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisem Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

Die Schweizerische Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation.Dieses Buch enthält Textstellen der freien Enzyklopädie Wikipedia und anderen Quellen. Etwelche Fehler aus diesen Quellen wurden nicht korrigiert.Verlag grippedbäg

Korrektur: Oliva M. Hug

Cover & Fotos: Michael Hug/Gerdi Poschung

Manchmal ist es gut,

man versteht nicht alles und manchmal ist es besser,

man versteht gar nichts.

Für meine längst erwachsenen Kinder

InhaltMahnung!

Ein Downgrading der Lebensumstände kommt in einem normalen Leben vermutlich eher selten vor. Als ich um die Fünfzig war und das letzte meiner drei Kinder aus meinem Alleinerziehungshaushalt entliess, öffnete sich für mich eine neue Lebens-Welt: Die Welt der Unabhängigkeit und Pflichtenlosigkeit. Ich habe den Sprung in meine neue Welt damals auf Empfehlung meiner Grossmutter mit einer Retraite in einem griechischen Kloster eingeleitet. Da zeigte sich, dass das stetige Neuausrichten mein künftiger Begleiter sein würde. Schon nach einem Tag zog ich aus jenem Kloster wieder ab und von da an gestaltete ich jeden Tag meines Lebens neu und ohne Empfehlungen, Gutmeinungen oder Anordnungen von aussen.

Meine Erlebnisse aufzuschreiben, hält meine Seele in der Balance. Dieses Buch fasst nennenswerte Erlebnisse auf meinen dienstlichen und privaten Reisen während eines bewegten Jahres zusammen. Die Handlung ist nicht frei erfunden und die vorkommenden Personen existieren real. Sie sind im Sinne der Relevanz in die Erzählung miteinbezogen worden und erhielten neue Namen. Es ist mir wichtig, dass meine Lebensbegleiter möglichst unbefangen betrachtet werden und dass kein Groll gegen jene entsteht, die in den Schilderungen keine gute Figur machen. Es waren mir wichtige Wegweiser, die ich oft verdammt und verflucht habe und öfters auch gerne abgeschraubt hätte. Doch Wegweiser muss man achten und beachten sowie dankbar und unversehrt zurücklassen, damit sie auch anderen Wandernden den Weg weisen können, wenn sie diesen im Gestrüpp ihres Lebens nicht mehr erkennen.

Ich habe die Krise

10. Mai 2009, 106.9 kg, abends,

‚... seit mittwoch schmeckt mir mayonnaise nicht mehr. seit donnerstag esse ich wieder zwei mal im tag. seit gestern weiss ich, was ein gräzist ist. fühle mich wohl...‘

Das mit dem Gräzisten tut eigentlich nichts zur Sache. In meinem Tagebuch steht viel Bemerkenswertes und noch viel mehr weniger Bemerkenswertes. Im Wissen, dass der wirkliche Wert der notierten Vorkommnisse sich oft erst später einstufen lässt, schreib‘ ich erst mal alles rein ins Diary. Zum Zweiten muss ich festhalten, dass zwei Mal richtig essen pro Tag ja nichts Erwähnenswertes ist, da es bei den meisten Menschen das normale Verhalten ist. Für mich war das nicht normal. Normal war hundert Mal essen pro Tag. Was heisst: Ich ass eigentlich ständig. Frustessen nennt sich das und ich war mir dessen voll bewusst. Bewusst war ich mir dessen über viele Jahre, sah aber keinen Grund, diesen Bewusstseinszustand zu ändern. Raucher wissen auch, dass Rauchen unsexy ist und tun es trotzdem. Essen ist eben auch etwas Lustvolles und darum tat ich es exzessiv. Damit will ich nicht suggerieren, dass Rauchen etwas Lustvolles ist, denn was stinkt, kann nicht lustvoll sein. Essen stinkt nicht, normalerweise, Essen ist Lustbefriedigung und Frustlinderung zugleich und ich habe in meinem Leben vor der Sache mit dem Gräzisten immer vom einen wie vom anderen genügend zu befriedigen, beziehungsweise zu lindern gehabt.

Bleibt die Frage nach dem Grund des Frustbefindens. Keine Ahnung, sag‘ ich da, ich hatte wirklich keine Ahnung, warum sich der Frust tief in mein Unbewusstsein eingegraben hat. Vielleicht war es die Mitte-Lebens-Krise. Sinn-Krise. Woher komm‘ ich, wohin geh‘ ich. Kennen wir ja alle. Sinnkrisen hat jede und jeder, aber die meisten Mitmenschen sinnen nicht lange darüber nach und wurschteln weiter an ihrem Lebensplan. Ihre Sinnkrisen sind abgesichert durch Kündigungsfristen, zweite und dritte Säulen. Wenn ich eine Krise habe, betrifft das immer meine Lebensaufgabe. Deren Sinn ist im Endeffekt das Geldverdienen durch die Früchte meines denkenden Hirns. Also, wenn ich eine Sinnkrise habe, ist das existenziell, und zwar unmittelbar. Kurzum: Eine Sinnkrise ist eine Existenzkrise ist eine Fundamentalkrise. Eine Mitte-Leben-Krise ist eine Katastrophe. Ist Essen.

Der 10. Mai 2009 jedoch brachte die Wende. Ich hatte Tri getroffen, zufällig, Tri heisst eigentlich Trimml, aber das wissen nur Insider, alle anderen nennen ihn Tri. Tri erfuhr als Erster von meiner Krise, weil er an jenem Tag rein zufällig der erste von mir angetroffene und akut von meiner Fundamentalkrise betroffene Mensch war. Also ich erzählte sozusagen im Vorbeigehen Tri Trimml von meiner Krise, natürlich ohne Hoffnung auf irgendein brauchbares Feedback, denn Tri ist ja kein Lebensberater, sondern war an jenem Tag einfach das erste bedauernswerte Opfer, und mal rauslassen die ganze Sinnkacke tat allemal gut. Ohne Erwartung irgendeiner Lösung trat das Unerwartete ein. Tri, locker vom Hocker, sprach simple, aber wirkungsvolle Worte: «Du kannst doch etwas, sonst hättest du nicht diesen Medienpreis bekommen!»

Nach diesem ultrakurzen, zufälligen und augenweitöffnenden Dialog ging‘s meiner Krise an den Kragen und mit mir bergauf. Es war, als hätte der Herr Gott ein Fass kaltes Wasser über mich gekippt. Ohne mein bewusstes Zutun besserte sich meine Laune schlagartig. Seither esse ich nur noch zwei Mal pro Tag und schmiere keine Mayonnaise mehr auf alles, was beschmier- und essbar ist. In den folgenden Monaten fällte ich weitere, längst anstehende Entscheide und stellte Weichen, liess los, was eh schon längst aufs Loslassen wartete. Mit dem unspektakulären und ernüchternden Resultat, dass sich mein Leben vorläufig nicht allzu aufsehenerregend änderte. Das kam später. Die Fundamentalkrise jedoch schien vorläufig überstanden, und das mit der Mayonnaise war für mich spektakulär genug. Ich bin Tri, diesem überzeugten Überlebenskünstler und bezüglich seiner Wirkung auf mich komplett ahnungslosen Überlebensberater, ziemlich dankbar. Werd‘s ihm dann mal kommunizieren bei Gelegenheit. Oder besser: Ich werde ihm zwecks Darstellung der Hintergründe dieses Buch schenken.

Drei Tage später gab ich mein Zeitschriften-Projekt auf. Das «allepaarmonatekulturmagazin» hatte mich sechs Jahre und 25 Ausgaben lang Herzblut und Hirnschweiss und Abertausende von Franken Reisespesen gekostet. Seine Zeit war abgelaufen, die Luft war draussen. Die Lesenden haben’s wohl gespürt und darum kam es kommerziell nicht mehr vom Fleck. Der Entscheid fiel von innen heraus gegen den Kopf. Herz gegen Hirn, für einmal hat dasjenige gewonnen, das sonst immer verliert. Aber noch immer veränderte sich mein Leben nicht derart aufsehenerregend, dass es hier erwähnenswert wäre. Ausser, dass ich etwas mehr Zeit zur freien Verfügung hatte, die ich in den kommenden sechs Monaten mehr oder weniger sinnlos aber fröhlich durchbrachte.

In diesen sechs mehr oder weniger sinnlos verbrachten Monaten ging der Sommer 2009 vorüber. Das Haus, in dem ich wohnte, wurde verkauft. Die Antipathie zum neuen Besitzer war gegenseitig. So kam es, wie es kommen musste: Er warf mich ohne Angabe von Gründen aus der Wohnung. Seltsamerweise beunruhigte mich das nicht und ich sah mich überhaupt nicht genötigt, dagegen etwas zu unternehmen, obwohl ich, wär‘ ich ein Hundsfott, die Kündigungsfrist unter Beizug von juristischer Beratung noch Jahre hätte hinauszögern können. Ich hatte das Gefühl, dass das richtig ist so, und ausserdem wollte ich ja schon lange raus aus der Bude. Ich dachte: Hätte mir dieser Typ nicht den Tritt in den Arsch verpasst, hätte ich vermutlich noch lange nichts an meiner Wohnsituation geändert. Ich hätte ihm eigentlich dankbar sein müssen dafür. Das heisst, eigentlich war ich es ja auch, aber gesagt habe ich es ihm nie und werde es auch nie. Es sei denn, er läse in einem Anfall von geistiger Verwirrung oder aus Unwissenheit darüber, dass der Autor und sein ehemaliger Mieter ein und derselbe sind, dieses Buch. Eher unwahrscheinlich. So vergingen zehn Kündigungsfristwochen des gegenseitigen Sich-Anödens, in denen ich entweder eine Beschwerde beim Mieterschutz hätte einreichen oder wenigstens eine neue Bleibe hätte suchen müssen. Konventionell denkende Menschen machen das so, aber da ich ein unkonventionell, beziehungsweise querdenkender Mensch bin, tat ich nichts und wurde trotzdem nicht nervös.

Eines schönen Septembertages im Jahr 2009 war mir dann plötzlich klar, was zu tun ist. Ich sandte Colgata ein Mail:

„Verdammt, ich glaub‘ jetzt gehts los mit Athos!“

Colgata schrieb sofort zurück:

WOW, ATHOS, JA JETZT, GOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOO!

Dieser kryptisierte Auftrag muss erklärt sein, dafür muss ich eine Rückblende machen: Ein gutes Jahr zuvor traf ich zufällig Colgata. Colgata ist ein Medium, das heisst sie (oder es?) spricht täglich mit den Kräften und Mächten der Unterwelt, Oberwelt oder Zwischenwelt. Irgendeiner Welt eben, die nicht unsere ist und darum viel schlauer. Colgata sagte, dass sie es seit Kurzem geschafft habe, mit Verstorbenen Kontakt aufzunehmen, aber sie habe noch nicht viele Kunden, die das interessiere, weshalb sie etwas üben wolle. Nimm mich zum Training, sagte ich, ich habe eh grad die Krise (man beachte, wie lange die Krise schon dauerte!) und das gibt doch bestimmt ein probates Übungsfeld. Also machten wir einen Übungstermin aus. Aus der Probe wurde eine Premiere. Ohne Publikum. Am 27. August 2008 schrieb ich folgenden bemerkenswerten Eintrag in mein Tagebuch:

‚...habe heute mit meiner grossmutter anna gesprochen... habe sie gefragt, was ich tun soll um meine schreibhemmung aufzuheben...‘

Meine Grossmutter ist vor zirka 30 Jahren auf natürliche Weise verstorben. Nun soll dieses Buch nicht mein bisweilen ziemlich langfädiges, wie erwähnt, an manchen Stellen total unbemerkenswertes Tagebuch von vorne nach hinten wiedergeben. Der Grossmutter-Eintrag war aber wieder einer jener bemerkenswerten Einträge, deren Aussagekraft ich erst viel später erkennen konnte. Auch wenn ein Tagebucheintrag über ein Gespräch mit einer Toten an sich schon bemerkenswert ist, war in diesem Fall der Inhalt des Gesprächs aus bestimmten Gründen noch um einiges bemerkenswerter und darum soll davon im Folgenden die Rede sein.

Meine Grossmutter Anna sagte an jenem Tag, beziehungsweise liess über mein Medium Colgata ausrichten: «Geh doch mal zwei Wochen zu Dir. Ich sehe da ein Kloster!» Meine liebe Grossmutter Anna habe ich in meinem Leben vielleicht vier Mal getroffen, als Bub, und ich habe sie nie richtig beachtet, weil als zwölfjähriger Bub, man möge mir das nachsehen, sitzt man der Grossmutter nicht mehr auf die Knie, da interessieren einen die Nichten, die bei so einem Grossmutterbesuch an Geburts-, Mutter- oder Ostertagen auch noch da sind, schon etwas mehr. Meine Grossmutter war viel älter als eine normale Grossmutter, sie war um die 90, als sie starb, da war ich in der Pubertät. Sie hatte 17 Kinder, wovon mein Vater eines der ältesten war. Ich hatte – und habe einen Teil davon immer noch - rund 32 Tanten und Onkel, und, über den Daumen gepeilt, rund 60 oder 70 Vettern und Basen (Cousins und Cousinen). Unmöglich für mich, da durchzublicken, ich meine, ich muss meine Grossmutter bewundern, wenn sie da den Durchblick noch hatte, denn es gab ja auch noch eine ganze Reihe Urenkel und Urenkelinnen. Ich war also schon ziemlich überrascht, dass mir Colgata meine Grossmutter vorstellte, die mich sogleich erkannte und die dann auch noch Dinge sagte, die mehr als nur eine Zithersaite in mir anklingen liessen. Die Botschaft, die mir mitgeteilt wurde, traf mich tief und mir war klar, dass ich diesen etwas entrückten Rat annehmen würde, da ich, angesichts meiner Krise, ja gar keine andere Wahl hatte. Das heisst, ich hatte schon eine Wahl, ich hätte ja auch zum Psychiater gehen können oder zu einem New-Age-Guru oder zu einer Heil-Klang-Körper-Seele-Therapeutin. Davon versprach ich mir aber nichts, obwohl die Krankenkasse Ersteres bezahlt und Letzteres vielleicht mein Gewissen beruhigt hätte. Ich hätte auch einfach gar nichts tun können und mich den Rest meines Lebens von grösseren zu kleineren Krisen und umgekehrt schleppen und warten können, bis ich tot umfallen würde. «Verstorben in der Mitte-des-Leben-Krise die bis an sein Lebensende angedauert hat» wäre dann in der Todesanzeige zu lesen gewesen. Aber ich hätte es ja wohl selber draufschreiben müssen, denn mein Umfeld wusste nichts von der Krise. Oder doch?

«Ok, wann?» Ich müsse noch ein paar Monate warten, sagte Grossmutter Anna, vielleicht eineinhalb Jahre, so genau könne sie das nicht ausdrücken, weil man da, von wo sie jetzt spreche, keinen Zeitbegriff kenne. Nun denn, einerseits wollte ich nach jenem Gespräch angesichts meiner sich anbahnenden Fundamentalkrise gleich aufbrechen, aber andererseits müsste ich meiner lieben Grossmutter gehorchen, sagte ich mir, wenn ich es bei ihrem Sohn schon nur selten getan habe. Zu mir gehen sollte ich, gab Anna mir auf den Weg, «weil wenn du bei dir bist kannst du alles machen!» Ich habe Bedenken, sagte ich, ausserdem, wer bezahlt mir zwei Wochen Arbeitsausfall? Dazu sagte Oma Anna nichts und Colgata zeigte mit ernster Miene Verständnis.

Grossmutter Annas Rat war konkret und ungenau zugleich, wie das so ist in Gesprächen mit einem Medium. Die vermittelten Botschaften sind immer extrem klar und gleichzeitig extrem kryptisch formuliert. Im Süden, nicht weit weg, stände das Kloster und es werde dort ein Sprache gesprochen, die ich nicht beherrsche. Anna, beziehungsweise Colgata, konnte das Bild vermitteln, aber nicht den Namen dieses geheimnisvollen Ortes. Mit Colgatas Vorstellung und meinen genialen Recherchierkünsten fanden wir tags darauf mittels Internet heraus, dass es das Kloster Simonos Petras auf dem Berg Athos in Griechenland sein müsste. «Es besteht kein Zweifel!» teilte mir Colgata ein paar Tage später mailisch mit. Nun denn, somit ist ja alles klar, dachte ich mir, ich werd‘ dann schon spüren, wann es Zeit ist.

Und so war es dann auch.

Nach exakt elf Monaten und 28 Tagen schrieb ich Colgata jenes «Verdammt, ich glaub‘, jetzt gehts los mit Athos!»-Mail. Danach beschäftigte ich mich mit den Einreiseformalitäten für die Republik der Mönche und startete damit mein «Projekt Athos». Doch der Beginn war ein Rückschlag. Man sei für das nächste halbe Jahr ausgebucht, beschied mir der Mann vom Pilgerbüro in Thessaloniki am Telefon. Ich hakte nach und da riet der Büro-Mönch mir, in einer Woche nochmals anzurufen, vielleicht sage jemand ab und ich könnte einspringen. Nach einer Woche rief ich nochmals an und siehe da: Der kurz angebundene Mann gab mir den 10. November als Einreisetermin. Ich tat, wie mir geheissen, sandte die Kopie meines Reisepasses per Fax nach Griechenland und liess mir am nächsten Tag den Termin telefonisch bestätigen. Nun hatte ich die Einladung im Sack, allerdings nur mündlich, etwas Schriftliches war dem wortkargen Sekretärmönch nicht abzuringen. Die haben es nicht nötig, auf Pilger (Touristen) zu warten, dachte ich, scheinen keinen Finger zu viel krümmen zu wollen.

Der Berg ruft

Sechs Wochen später, am 8. November 2009, vierzehneinhalb Monate nachdem mich meine Grossmutter selig so geheissen und zweiundzwanzig Tage bevor ich meine Wohnung zu räumen habe, lasse ich mich um fünf Uhr (in Zahlen: 05h00) nicht als Mensch, sondern als Pilger elektronisch wecken und besteige nach Genuss von reichlich selbstgebrautem Milchkaffee um 06h13 den Zug nach Mailand. Ein ordentlicher Pilger plant nichts und weiss darum nicht, wann er ankommt, er weiss nur, dass er ankommt. Wo auch immer, der Weg ist das Ziel. Ich bin kein ordentlicher, weil planender Pilger und weiss, wann ich wo ankommen werde. Ziel und Ankunft sind definiert, mein Ziel ist also das Ziel und nicht der Weg. Der aber führt über Milano.

Mir fällt auf: Über das Zurückkommen wird im Zusammenhang mit der Pilgerei nie gesprochen oder geschrieben. Hunderttausende rennen nach Santiago de Compostela und erzählen dann zuhause in reichlich Worten, manchmal auch in Bildern und Büchern, was sie auf dem Weg dorthin so alles erlebt haben. Aber keine/r erzählt, wie er/sie zurückgekommen ist. Ich vermute mal, dass die meisten nicht auf demselben Weg zurückkommen, den sie gegangen sind und die Bequemlichkeit wählen, nämlich Zug oder Flugzeug. Ausdrücklich erwähnen sie dann ihre Erkenntnisse: «Ich habe erfahren, dass ich noch viel weiter kann, auch wenn ich glaube, ich kann nicht mehr.» Oder: «Ich habe erfahren, dass der Weg zu Gott viel wichtiger ist, als jeder andere Weg.» Schön ist auch diese Erfahrung anzuhören: «Ich habe ganz viele liebe Menschen kennengelernt, die auf dem gleichen Weg sind wie ich.» Bei diesem Massengewandere quer durch und über die Pyrenäen wundert mich das nicht.

Heute Morgen um 05h00 bin ich mit mir allein. Niemand da zum Kennenlernen. Niemand da zum Adieusagen. Ich weiss nicht, wann und wie ich zurückkomme. Denn auch die Möglichkeit, dass ich gar nicht zurückkomme, besteht. Doch wenn ich zurückkomme, habe ich kein Zuhause mehr. So unbekannt war mir meine Zukunft noch nie und so egal meine Vergangenheit ebenso nicht. Doch nicht alles ist mir egal. Wo ich hingehe, interessiert mich sehr.

de.wikipedia.org weiss:

Der Heilige Berg Athos (im Griechischen meist Ágion Óros, „Heiliger Berg“) ist eine orthodoxe Mönchsrepublik mit autonomem Status unter griechischer Souveränität in Griechenland. Er befindet sich auf dem gleichnamigen östlichen Finger der Halbinsel Chalkidikí in der Verwaltungsregion Zentralmakedonien in der Region Makedonien. Das Territorium umfasst rund 336 km² und zählt 2262 (mönchische) Einwohner, zuzüglich von Verwaltungsangestellten, Polizisten, Geschäftsbesitzern und einer saisonal wechselnden Zahl von zivilen Arbeitern.

Im allgemeinen Sprachgebrauch steht der Begriff „(Berg) Athos“ entweder für die ganze Halbinsel Athos mit dem Mönchsstaat oder auch nur für den eigentlichen Berg an der Südost-Spitze der Halbinsel, der 2.033 Meter hoch ist.

Die 20 Großklöster der orthodoxen Mönchsrepublik sind Teil des UNESCO-Welterbes. Das erste Kloster, die Große Lavra, wurde 963 vom byzantinischen Mönch Athanasios Athonites gegründet. Bis zu diesem Zeitpunkt siedelten auf dem Athos bereits Mönche, die sich an den Vorbildern der asketischen Mönche im Alten Ägypten orientierten. Bald gründeten bulgarische, rumänische, russische, georgische und serbische Mönche weitere Großklöster auf dem Berg Athos. Es gab auch italienische Gemeinden, z.B. die der so genannten Amalfitaner (nach der Stadt Amalfi) südlich des Klosters Karakallou, welche jedoch im 12. Jh. aufgelassen wurden. Heute gibt es 20 Großklöster, davon sind 17 griechisch, eines serbisch (Kloster Chílandar), eines bulgarisch (Kloster Zografou) und eines russisch (Kloster Panteleímonos).

Neben den Klöstern gibt es auf dem Athos die Siedlungsform der Skiten (gr. σκήτες), die jeweils von ihrem Mutterkloster abhängen, somit keine eigenständigen Rechte in Regierung und Verwaltung der Mönchsrepublik besitzen. Skiten, rund um einen klösterlichen Zentralbau angelegt, der in Gebäuden und Funktionen den größeren Klöstern gleicht, sind dörfliche Siedlungen, deren Bauten in Kalívia (gr. καλύβια ‚Hütten‘), Wohnbauten für mehrere Mönche, und Kelliá (gr. κελλιά ‚Zellen‘), Hütten für einen Bewohner, unterschieden werden. Außerdem siedeln an den schwer zugänglichen Hängen des eigentlichen Berges Athos Mönche in Eremitagen (gr. ησυχαστήρια, Hesychasterien), zumeist Kleinstbauten und Höhlen.

Berühmt sind die Malerwerkstätten des Athos, deren große Tradition der Ikonenmalerei bis ins Hochmittelalter zurück reicht.(www.mountathos.gr)

Dieser Berg Athos ist nicht am Ende der Welt. Mit unserer National-Fluggesellschaft wäre ich problemlos in einem Tag dort gewesen. Dass meine Ankunft in Thessaloniki infolge ungünstigen Flugplans um 01h45 Ortszeit erfolgt wäre, hätte ich als Kollateralproblem weggesteckt. Als währschafter Pilger hätte ich die 2‘000 Kilometer natürlich auch zu Fuss gehen können, was vermutlich weniger problemlos rausgekommen wäre. Nun habe ich den Mittelweg zwischen Airbus und meinem Paar Füssen gewählt und erfahren müssen, dass die Planung der Logistik etwa gleich wichtig ist, wie das Entwickeln fortgeschrittener Fähigkeiten bezüglich der Exegese von verbaler, nonverbaler, analoger und digitaler Kommunikation, vor allem ab dem Zeitpunkt, wo ich im Hafenstädtchen Igoumenitsa bei leichtem Nieselregen griechischen Boden betrete und infolge meiner Orientierungs- und Kommunikationsprobleme schier den einzigen täglichen Bus nach Thessaloniki verpasse.

Vorwärtskommen erfordert in Griechenland eine flexible Auffassungs- und Auslegungsgabe gegenüber den vorhandenen und nicht vorhandenen Informationen, die sich für uns Westeuropäer geschrieben als Geheimzeichen darstellen, gesprochen als ein von nichts Bekanntem abzuleitendes Idiom. Kurzum: Ich verstehe kein Wort und kann auch keines lesen. Doch ich habe mich ja reisetechnisch vorbereitet und erst nach tagelangem Studium der Internet-Fahrpläne der Schweizerischen Südostbahn, des Cisalpino, der Ferrovie dello Stato, der Fährlinie Minoan Lines, der ΚΤΣΛ (Gesellschaft für Überlandbusse auf der Chalkidiki) und der ΟΑΣΘ (Gesellschaft für Nahverkehrsbusse in Thessaloniki) die Dienstleistungen ebendieser Dienstleister in Anspruch genommen. Nun stehe ich nach mehr oder weniger reibungs- und schlaflos verlaufenen achtunddreissigeinhalb Stunden Reise an der Endstation der KTEL-Buslinie Thessaloniki - Ouranoupoli im Zentrum des ehemaligen Fischer- und jetzigen Touristendorfs Ouranoupoli auf der bei Mitteleuropäern nicht sonderlich beachteten Badedestination und Halbinsel Chalkidiki. Zufälligerweise - zufälligerweise? - befindet sich gegenüber der Bushaltestelle das kleine Hotel Pyrgos. Es brennt Licht im Inneren und man hat ein freies Zimmer. Sehr gut. Alle anderen Hotels sind nämlich bereits geschlossen, sagt der Hotelier. Es ist November, remember, es ist etwa 8 Uhr abends und es ist dunkel.

Dass der Hotelbesitzer Englisch spricht, wenn auch holprig, tut gut. Denn als Kosmopolit und multilingualer Schweizer (elwetós), bediene auch ich mich öfters und oft mehr schlecht als recht des Englischen. Doch damit kommt man im ländlichen Griechenland nicht sehr weit. Ich komme schon bei ganz profanen Schildern wie ΑΝΔΡΏΝ, was üblicherweise an Türen zu Männertoiletten steht, oder simplen Ortsnamen in Schwierigkeiten. ΔΑΦΝΙ ist so ein Ortsname, er bezeichnet Daphni, den Hafen des Athos-Berges, oder Καρυές, was nichts mit Zahnproblemen zu tun hat, aber in unserer Schriftsprache trotzdem Karyés bedeutet und hier der Name für das Hauptstädtchen der Mönchsrepublik Athos ist. Da befinde ich mich also in Europa und habe grösste Probleme, mich zu orientieren. So mir bleibt die Erkenntnis: Man wär‘ hier ziemlich am Arsch, wenn man s‘Maul nicht aufbrächt‘. Doch nebenbei bemerkt, und auch das ist eine meiner, wenn auch schon etwas älteren Erkenntnisse: Manchmal ist es gut, man versteht nicht alles, und manchmal ist es besser, man versteht gar nichts. Manchmal, nicht diesmal. Ein Problem der Sprache liegt nun vor, ein ebenso eminentes wie akutes Problem, so scheint’s, und die Relevanz der genannten Begriffe zwingt mich, dieses Problem anzugehen, am besten, überleg‘ ich mir, mit fröhlichem Pragmatismus.

Nun sitze ich also an diesem frischen Novemberabend in diesem Zipfel der Welt namens Ouranoupoli, esse Fischsuppe und studiere tumbe Werbebotschaften zwecks Aneignung des griechischen Alphabets. Ich habe die ganze Beiz für mich, kein weiterer Gast und vor allem seh‘ ich keinen einzigen Touristen weit und breit. Es ist das unbeheizte Schlaraffenland. Ich denke keinen Moment darüber nach, was morgen und in den nächsten Tagen kommt. In der Raucherzone auf der geschlossenen Veranda sitzen ein paar einheimische Männer vor einem Fernseher. Es läuft ein Fussballspiel der griechischen Liga, leider habe ich keine Ahnung, wer da gegen wen kickt, weil ich die Einblendungen auf dem Bildschirm nicht interpretieren kann. Die Männer haben dieses Problem nicht und schauen sich das Spiel an, wie es südländische Männer eben tun: Sehr engagiert.

Die Saison sei vorbei, erklärt mir der Wirt in angeeignetem Touristenenglisch, darum seien rundherum nicht nur fast alle Hotels, sondern auch fast alle Restaurants geschlossen. In drei Wochen lasse auch er für drei Monate die Läden runter. Er scheint etwas ausgelaugt von der vergangenen, vermutlich strengen Urlaubssaison. Ich aber liebe die Zwischensaison, die Zeit zwischen den Zeiten, wenn die Ruhe zurückgekehrt, aber noch nicht endgültig Schluss ist und die Reste noch weg müssen. Eigentlich müsste jeder Abend so sein: Fischsuppe, Fernblick und Fussball, Ouzo und die ganze Aufmerksamkeit der Beizerfamilie. Internet im Hotel. Tagsüber warm und abends kühl. Verflohte Katzen um die Beine und prall behängte Orangenbäume auf der Veranda. Kein Schnee, dellinomol, kein Schnee! Waischwieguet! Miesmuscheln und Weisswein und Schaffleisch und den PIN zur Kreditkarte geläufig, denn selbst zum Unterschreiben bin ich zu faul. Und der Blick auf die Quittung bleibt mir dabei sogar noch erspart. Hier bleiben und die Ewigkeit beschreiben oder das seltsame Wesen der Pilgerei und dabei nicht darüber nachdenken müssen, was mich das alles kostet. Warum morgen in die Enthaltsamkeit gehen, wenn’s doch heute hier so schön ist? Warum sollte ich die nächsten zwei oder drei Wochen, Monate oder Jahre nicht gleich hier verbringen? Warum muss ich, sollt‘ ich, will ich eigentlich da hinüber auf diese Halbinsel der Klostermänner?

Am nächsten Morgen stehe ich pünktlich um etwa 8h30 vor dem Büro der Athos-Behörde. Die Türe ist verschlossen, davor stehen ein paar schwarzgekleidete Mönche und ein paar normal gekleidete Männer. «No boat today», gibt einer zu verstehen. Warum, frage ich, «Storm», antworten sie. Tatsächlich geht der Wind nicht unschwach, von Sturm würde ich aber noch nicht sprechen. Da kann man nichts machen, die werden schon wissen, wie viel Wind zu viel Wind ist. Was nun, frage ich. „Tomorrow!“ sagt ein Mönch. Also zurück auf Feld eins, denke ich, gehe ins Hotel zurück und erkläre dem Besitzer, dass ich noch eine Nacht bleibe, wegen Sturm undso. Für ihn sei das kein Problem, meint der Chef, und ausserdem entnehme ich seiner Miene, dass er schon längst weiss, dass kein Boot geht heute. Ich verbringe den geschenkten Tag mit Essen und Trinken sowie Nachdenken.

Am nächsten Morgen stehe ich wieder pünktlich beim Büro der Mönchsbehörde, das heute wegen nachgelassen habendem Wind offen ist, reiche einem jungen Büro-Mönch meinen Reisepass über den Tresen, worauf er nach kurzer Konsultation einer Liste im Computer und nach Einzug von 30€ mein Visum, das «Diamonitirion», aus dem Drucker lässt. Ich habe keine Ahnung, was da drauf steht, das Papier sieht aber wichtig aus. Wie ein Diplom, eine Ehrungsurkunde oder ein Wirtepatent. Da noch etwas Zeit ist bis zur Abfahrt der Fähre, genehmige ich mir in aller Ruhe eine Tasse Milchkaffee. Als die «ΑζΙΟΝ ΕСΤΙΝ» anlegt, steige ich wie alle anderen erst ein und dann auf das Dach, um mich an der Aussicht zu erfreuen. Diese Aussicht beschränkt sich noch eine gute halbe Stunde auf die Umgebung des Miniaturhafens von Ouranoupoli und den Bug des Schiffes, das, wie erwähnt, eine Fähre ist und deshalb nebst Passagieren auch mit Fahrzeugen und Waren aller Art beladen wird.

Der Mönchsrepublik scheint es nicht an Geld zu fehlen. Kräftige, gut erhaltene Allradfahrzeuge, von Mönchen gesteuert, wollen auf das Schiff. Darunter ein zünftiger Unimog, beladen mit Leergut für Obst oder Gemüse. Ein zweiter Unimog ist durch eine Blache vor Einsicht geschützt, nur zwei dicke Dielenbretter ragen vorne heraus. In der Führerkabine sitzen drei schwarzgewandete und bebartete Mönche. Weil das Schiff, das nur einmal täglich die Halbinsel bedient, gestern wegen des Sturms nicht auslief, kommt, so scheint es mir, heute doppelt so viel Fracht zusammen und das führt zu Verzögerungen. Doch was auf der langen schmalen Mole wie ein Chaos aussieht, ist gut organisiert, irgendwie kommen die die Fähre verlassenden Fahrzeuge an den einzuschiffenden vorbei. Und während ich mir anmasse zu überlegen, wie man das besser machen könnte, komme ich zum Schluss, dass es nicht anders geht. Es gibt ganz einfach keinen Warteplatz, wie man es von Fährenanlegestellen gewohnt ist. Das Dorf besetzt jeden freien Quadratmeter am Ufer, deshalb wird, was an Strassen vorhanden ist, vom wartenden Verkehr besetzt. Dann kommt auch noch der Bus aus Thessaloniki, der will auch noch irgendwie gewendet werden, dann kommt die Post mit einem Lastwägelchen, dessen Inhalt will auch auf die Fähre, dann kommen Fischer auch mit ihren Lieferwägelchen, die den Aussteigenden frische Fische verkaufen wollen (wann denn sonst, es ist sonst den ganzen Tag über nichts mehr los an der Mole), und zu guter Letzt kommt noch ein fetter Benz aus Bulgarien, dem ein Leibwächter (jedenfalls vermute ich, dass es einer ist, anders kann ich den grobschlächtigen Typen nicht einordnen) und einer, der aussieht wie ein Geschäftsmann, entsteigen. Dann steht auf der Mole noch ein zweiter fetter schwarzer Benz, dessen Chauffeur auf einen Chefmönch gewartet hat, der dann nach einem Handytelefonat und Begrüssungszeremonie (Umarmen und Küssen) im Wagen verschwindet. Doch erstmal muss er warten, bis die Mole frei wird, was nicht eben zügig geschieht. Dafür kann er nun im klimatisierten Mercedes sitzen und Musik hören oder weitertelefonieren.

Dann, irgendwann, legt das Schiff ab. Wir fahren der steilen Küste entlang gegen Süden, wo in einiger Entfernung der Berg Athos seinen Kopf in einen Dunstnebel streckt. Auf Deck sind ausschliesslich Männer, rund zweihundert, meine ich, also doppelt so viel wie üblich, weil ja zu dem Kontingent von heute noch das von gestern gekommen ist. Ich denke nicht darüber nach, ob die Klöster gewappnet sind für den Doppelansturm, sondern sehe mir die Küste an. Neben mir unterhalten sich zwei deutschsprechende Pilger (bzw. Bergsteiger oder Abenteurer oder Touristen) über die nächsten Tage und wie man wohl von hier nach da kommt ohne ÖV. Zwei junge Mönche werfen Brotkrümel nach Möwen und ein dritter fotografiert sie dabei. Es wird nicht viel gesprochen, die wenigsten kennen einander, die meisten schauen teilnahmslos vor sich hin. In zwei Stunden werde ich jenen Berg betreten, zu dem mich meine Grossmutter selig in einem geheimnisvollen Gespräch geschickt hat.

Innert einer Viertelstunde hat die «ΑζΙΟΝ ΕСΤΙΝ» im kleinen Hafen von Daphni zweihundert Pilger, diverse Kleinlastwagen, Kleinwagen, etliche Pick-ups sowie zwei Unimogs ausgespuckt und damit die kleine Mole zu einem Ameisenhaufen gemacht. Kaum ist die Fähre wieder weg, sind auch Mensch und Ware verschwunden. Ein Fahrzeug nach dem anderen und zwei am Quai wartende Busse, die den Grossteil der Pilger aufgenommen haben, sind nach Norden, nach Kariés abgefahren. Niemand aber will nach Süden fahren, wo das Kloster Simonos Petras steht, mein Reiseziel. Ich erkundige mich bei einem älteren Mönch, der mit einem Handy am Ohr auf der Mole herumtigert. Der Mann mit wehendem Bart schaut mich ziemlich prüfend an und erwidert in lückenhaftem Englisch, dass ich mit ihm kommen könne, er fahre zum Simonos Petras. Er hat seinen fast neuen Mercedesbus etwas abgelegen parkiert und daneben drei Pilger zwischengelagert, offensichtlich fehlt ihm ein angemeldeter Gast, darum die Telefoniererei. Ich frage ihn, wie er heisst, er sagt Montelarios, und ich entnehme seiner Wortkargheit, dass sein Wortschatz in Englisch arg beschränkt ist. Leider ist meiner in Griechisch noch viel beschränkter, bzw. inexistent, deshalb wird die Fahrt zum Kloster zu einer verschwiegenen Fahrt.

Ich jedenfalls bin nicht dieser erwartete und nicht erschienene Gast. Niemand weiss, dass ich hier bin (ausser der Computer im Pilgerbüro in Ouranoupoli). Wie ich später erfahre, sei es üblich und erwünscht, dass man sich beim Kloster, das man zu besuchen beabsichtigt, direkt telefonisch anmeldet, man würde dann registriert und die diversen Chauffeurmönche könnten einen am Hafen empfangen. Hätte ich das getan, hätte ich mir überhaupt keine Sorgen wegen des Transfers machen müssen. Wär‘ aber langweilig gewesen. Egal, jetzt bin ich unangemeldet da und sitz‘ auf dem Beifahrersitz und die drei Angemeldeten hinten auf den Bänken. Dabei nehme ich zur Kenntnis, dass ich zu Fuss gute drei Stunden gebraucht hätte bis zu diesem Simonos Petras. Warum also gehen, wenn man fahren kann, warum sich selbst kasteien? Ich sollte noch früh genug erfahren, was Selbstkasteiung ist. Nur momentan weiss ich das noch nicht, ausserdem geht hier offensichtlich kein Mensch zu Fuss, obwohl das Gehen an sich ja ein explizites Charakteristikum des Pilgerns ist und die 200 soeben Angekommenen ja alle Pilger sind. Ausser mir, denn wenn ich mich recht erinnere, bin ich nicht wegen des Pilgerns hier, sondern wegen einer Schreibhemmung. Also habe ich erst recht ein Recht auf motorisierten Transport und geniesse die holprige Fahrt.

Der gute Montelarios, geschätzte sechzig Jahre alt, fährt mich und die drei Schweigsamen hinter mir auf einer Kiespiste von Null auf 280 Meter über Meer. Ein wunderbarer Nachmittag, eine wunderbare Aussicht, eine wunderbare Landschaft, alles wunderbar. Wunderbar ist auch der Empfang durch den Gästemönch, er offeriert Wasser, Tsipuro, was nicht Sirup ist, sondern ein zünftiger Likör und Loukoumi, was gezuckerte und zähe Früchtegeleestücke sind. Der Gästemönch empfängt im Laufe des Nachmittags noch weitere so genannte Pilger und mit allen spricht er eine Sprache, die offensichtlich alle verstehen, nur ich nicht. Der Mann bemerkt dies und spricht fortan Englisch mit mir, das kann er besser als ich, was an sich auch nicht schwer ist. Er wetzt ständig zwischen dem Empfangsraum und seinem Hinterzimmer hin und her, bringt immer wieder Tablette mit gefüllten Gläsern und gibt Anweisungen betreffs Gästebucheintrag. Zwischendurch will er von allen das Diamonitirion sehen. Mittlerweile haben sich um die 20 Pilger eingefunden. Ich schreibe meinen Namen und die Nummer meines Passes in das Gästebuch und genehmige mir meinen Schnaps. Sofort werde ich von den erfahreneren Mitpilgern durch Gestikulieren darauf aufmerksam gemacht, dass nach dem Schnaps das Wasser getrunken und erst dann der Zuckermocken verspeist werden soll. Als der Gästemönch alle erwarteten Pilger auf der Liste (ausser mir, da ich ja nicht angemeldet war) abgehakt hat, erklärt er das weitere Vorgehen, wobei ich abermals kein Wort verstehe.

de.wikipedia.org weiss:

Das Kloster Simonos Petras (Ιερά Μονή Σίμωνος Πέτρας, ‘Heiliges Kloster des Felsen Simons‘, auch kurz Simonópetra Σιμωνόπετρα) ist ein griechisch-orthodoxes Kloster auf der Halbinsel Athos, Griechenland. In der Klosterhierarchie des Athos belegt es den dreizehnten Rang. Es wurde im 13. Jh. der Legende nach durch Simon den Athoniten gegründet und 1364 durch den serbischen Despoten Jovan Uglješa erweitert. Manche Historiker halten den serbischen Fürsten für den eigentlichen Gründer. Nach einem Brand im 16. Jh., welches das Kloster stark zerstörte, wurde es durch den rumänischen Fürsten Michael dem Tapferen erneuert. In der ersten Jahrhunderten waren die meisten Mönche Serben. Unter der späteren osmanischen Herrschaft ging das Kloster beinahe unter, bevor griechische Mönche aus Kleinasien kamen, von denen das Kloster in den letzten Jahrhunderten traditionell bewohnt wurde. Zuletzt galt es als Zufluchtstätte für Mönche der Meteora-Klöster, die vor dem dortigen Tourismus und der nationalistischen Vereinnahmung durch die Militärjunta geflohen sind.

Das Kloster liegt in mehr als 200 Meter Höhe auf einer recht steilen Felskuppe an der Westküste des Athos und erinnert aufgrund seiner Bauweise an tibetische Klöster. Der Bau verfügt über zehn Stockwerke mit einer Gesamthöhe von etwa 40 Metern. Das Kloster ist der Geburt Christi geweiht.

Als alle anderen auf geheimnisvolles Geheiss verschwunden sind, widmet sich der Gästemönch mir und fragt mich nach meiner Herkunft. Dann erklärt er auch mir, rudimentär, was weiter geschieht: Um 15 Uhr versammle man sich vollzählig im Katholikon im Klosterhof zum Church Service, dann werde eine Messe vollzogen, dann würde unmittelbar anschliessend im Refektorium das Abendessen gemeinsam eingenommen, wobei er den Zeitpunkt des Abendessens nicht erwähnt, wohl mit dem Hintergedanken, dass ich den Gottesdienst sonst einfach auslassen könnte. Nach dem Abendessen gäbe es noch eine Introduction im Empfangshaus und dann dürfte ich, also man, frei über seine Zeit verfügen. Beziehungsweise sollte ich, also man, am besten ins Bett gehen, denn der nächste Tag begänne schon früh, sehr früh, genauer um drei Uhr (in Zahlen: 03h00).

Weil es schon bald Zeit für den Church Service ist, bleibt nicht viel Zeit, irgendetwas anderes zu tun, als im zugewiesenen Zimmer im Gästehaus ein Bett als das meinige in Beschlag zu nehmen, beziehungsweise meine Siebensachen darauf zu deponieren und das Bett so zu markieren. Ich merke, dass ich hier der einzige Nichtgrieche bin, oder wenigstens der einzige Unorthodoxe, der Unerfahrenste dazu und wohl auch der Ungelenkigste, was das Aneignen der Klosterregeln betrifft. Ich bleibe nicht im Schlafzimmer, inspiziere stattdessen das Kloster, soweit das möglich ist, denn viel ist nicht möglich, weil fast alles nämlich abgeschlossen ist. Jedoch hat man von der terrassenförmig angelegten Umgebungsanlage eine wunderbare Aussicht auf das Meer und der Nachmittag ist von relativ angenehmer Witterung. Also geniesse ich ein paar Minuten das Dasein, viel mehr gibt es nicht zu tun.

Wo immer ich hintrete, ist verbotener Boden, geschlossene Türen, Hinweisschilder in Englisch und Griechisch. Alles ist geregelt und vieles verboten. Die Regelitis gipfelt gar in der unmissverständlichen Aufforderung des Gästemönchs, meinen Ohrring zu entfernen. Eigentlich, so fährt’s mir durch den Kopf, sollte ich derartige Akkommodierungsprobleme doch von meiner Militärzeit kennen, auch da kam ich mir in den ersten Tagen permanent wie ein Delinquent vor, der nicht weiss, worin seine Delinquenz besteht. Im Militärdienst damals habe ich den erforderlichen Grad an Willenlosigkeit jeweils durch reichliche Einnahme von Alkohol erreicht, das scheint hier weder angesagt noch durchführbar, es gab ja nur dieses eine Gläslein und die Flasche habe ich nicht zu Gesicht bekommen. Ausserdem frage ich mich, wie ich hier meine Neugierde befriedigen soll, ohne sämtliche Klostergesetze zu übertreten. Immer wieder drängen sich Vergleiche mit meiner zwar recht weit zurückliegenden, aber immer noch gut in schlechter Erinnerung gebliebenen Militärkarriere auf, und ich stelle dabei erschreckt fest, dass der einzige, aber nicht unwesentliche Unterschied darin besteht, dass ich freiwillig hier bin.

Ich fühle mich gefangen und ein Wegkommen scheint unmöglich. Kein Klostertaxi fährt mehr runter zum Hafen, kein Schiff legt mehr ab. Jede andere Bleibe auf dieser ruppigen Halbinsel ist mehr als drei Fussstunden entfernt. Und es wäre dann auch nur ein Kloster. Alternativ gäbe es noch die ein oder andere Einsiedelei. Es gibt keine Hotels auf Athos, keinen Flughafen und keine Taxis oder Schlepper, die einen auf verschlungenen Pfaden über die grüne Grenze im Norden bringen könnten. Es gibt nur dieses weite Meer, diese unüberwindbaren Felsen, diese sicht- und unsichtbaren Klostermauern, diese aschfahlen, gefühllosen und ferngesteuerten Mönche. Und diese milde, Trost spendende Herbstsonne im Westen. Mir ist schlecht.

Um 15 Uhr beginnt der erste Drill. Alle Pilger und eine Handvoll Mönche versammeln sich im kleinen Katholikon. Es ist peinlich still, als wir nacheinander durch einen Nebeneingang in das Kirchlein eintreten und uns freie Plätze in den zahlreichen Stehsesseln suchen. Bis ins Innerste, das Sanktuarium, werden wir gewunken. Die meisten der Sitz-, beziehungsweise Stehgelegenheiten sind schon durch bis auf das Gesicht verhüllte Mönche belegt. Da ich an westeuropäisch konzertbestuhlte Kirchenschiffe gewöhnt bin, sieht das Ganze ziemlich geisterhaft aus. Düster ist es und muffig. Von der Decke hängt viel Messing mit brennenden Kerzen darauf, an den Wänden ist jeder freie Fleck mit Ikonen belegt, die Fenster sind winzig und überall um mich herum kleben steif schwarzbetuchte Männer an den Wänden. Mir kommt es vor, als seien die Männer Bestandteil einer theatralischen Szenerie, an die Mauern gelehnt wie eine Rolle schwarzer Stoff. «Der Name der Rose», fährt’s mir durch den Kopf.

Aus jeder dieser aufgestellten Stoffrollen hängt ein Bart und eine Kette, daran ein Kruzifix. Im bisschen Rest, das ein bleiches, lebloses Gesicht erkennen lässt, steckt bei den meisten eine billige Brille aus der Zeit, als Brillengestelle aus Horn die Massenproduktion erreichten. Einer der parkierten Mönche winkt mich zu einem leeren Stehsessel. Da lebt ja was, denke ich. Es ist stickig still und düster dunkel im Kirchlein, Geisterstunde, man steht regungslos, wartend darauf, dass die Zeit anhält. Schon wieder denke ich ans Militär.

In den nächsten zehn Minuten tröpfeln noch weitere Pateres herein. Pünktlichkeit ist hier wohl kein Thema, obwohl keiner dieser Typen mehr als hundert Meter Kirchweg zurückzulegen hat. Sie huschen lautlos herein und küssen als erstes die verschiedenen Ikonen an den Säulen und Wänden, wenigstens die Hauptikonen, soweit ich das beurteilen kann, und nicht alle küssen alle Bilder, hier geht die Lust scheinbar vor der Regel, oder gilt der Zufall. Nach dem Küssen kommt das Bekreuzigen, mit gesenktem Kopf geht man dann an einen freien Stehplatz. Auch die meisten Pilger tun das, offensichtlich geübt in kirchlichen Dingen. Ich bin nicht geübt und darum wundere ich mich permanent über die Dinge, die hier geschehen. Ich wundere mich auch, weil es schon längst drei Uhr gewesen sein muss, und es scheint noch nicht angefangen zu haben.

Als dann irgendwann nach etlichen zehn Minuten offenbar alle eingetroffen sind und absolute Stille herrscht, beginnt jemand im Vorraum zu sprechen, es ist vielleicht ein Gebet, ein Gruss, ein Gedicht, ich weiss es nicht, ich verstehe, wie schon seit Stunden, kein Wort. Irgendwann öffnet sich ein Vorhang zwischen Vor- und Hauptraum, darunter macht sich ein Durchgang breit, der eigentlich das Betreten des Hauptraumes viel einfacher, weil direkter, gemacht hätte, doch offensichtlich ist das Durchschreiten dieses Durchgangs verboten, bevor die Messe begonnen hat. Ein Mönch, der sich von den anderen durch eine rote Schärpe über den Schultern und seine viel kleinere Postur unterscheidet, tritt, ununterbrochen sprechend, ein. Alle in ihren Sesseln stehenden Pateres beugen sich mehrmals vor und bekreuzigen sich dabei. Es wird in der folgenden Stunde die einzige, aber dafür reichlich wiederholte Bewegung der an den Wänden Stehenden sein.

Ein sehr alter und grosser Mönch tritt zum Gästemönch und flüstert ihm etwas zu. Der Gästemönch kommt zu mir und fragt mich, ob ich orthodox sei. Ich sage nein, darauf schickt er mich in den Vorraum des Katholikon. Ist das blamabel für den Gästemönch oder für mich, denke ich. Ich gehe die wenigen Schritte zum Eingangsraum zurück und stelle mich in einen freien Stehsessel. Ich fühle mich nicht dazugehörend, was irgendwie befreiend wirkt. Auch im Vorraum stehen steif einige Mönche in Stehsesseln, von denen einer zum Sitzen umgebaut wurde. Darin sitzt einer, der sehr alt und sehr ehrwürdig aussieht. Im Vorraum ist es noch düsterer. Warum es Mönche gibt, die im Vorraum die Messe mitmachen, und sogar welche im Vor-Voraum, bleibt mir ein grosses Geheimnis, wie vieles andere, das noch folgt. So habe ich mir nach meiner Heimkehr beispielsweise die Regeln einer Liturgie nach byzantinischem Ritus - im aktuellen Fall die heilige und göttliche Liturgie des Johannes Chrysostomos - aus den Tiefen des Internets herausgesucht:

I. Proskomidie (Gabenbereitung): Die Proskomidie findet im Verborgenen hinter der geschlossenen Ikonostase statt, am Tisch der Prothesis.

1. Innere Vorbereitung der Zelebranten

Gebet vor der Ikonostase

Eintritt in das Heiligtum

2. Äußere Vorbereitung der Zelebranten

Anziehen der liturgischen Gewänder

Händewaschung

3. Bereitung der Opfergaben

Zurüstung des Brotes

Bereitung des Weines

Gedächtnis der Heiligen, der Lebenden und der Verstorbenen

Verhüllung und Inzens (Beweihräucherung) der Gaben

Gebet der Zurüstung

Entlassung

Der kleine Einzug mit dem Evangelienbuch

II. Liturgie der Katechumenen

1. Beginn der öffentlichen Liturgie

Eröffnungslobpreis

Friedensektenie (Litanei); die Litaneien während der Liturgie werden vom Diakon gesungen, wenn dieser fehlt vom Priester selbst.

Stillgebet und Erste Antiphon

Kleine Litanei, Stillgebet und Zweite Antiphon

Christus-Hymnus

Kleine Litanei, Stillgebet und Dritte Antiphon

Kleiner Einzug mit dem Evangeliar

2. Gebete

Troparion und Kondakion

Trishagion

Zeremonie des Thrones

3. Schriftlesungen

Prokimen

Epistel

Alleluja

Evangelium

(Homilie (Predigt) - kann auch nach dem Ambongebet gehalten werden)

Inständige Litanei für die Gläubigen

Litanei für die Verstorbenen

Litanei für die Katechumenen

Entlassung der Katechumenen

Der große Einzug

III. Liturgie der Gläubigen

1. Darbringung der Gaben

Litanei für die Gläubigen

Litanei für die ganze Welt

Offertorium

Vorbereitungsgebete

Großer Einzug mit den Opfergaben

Bittlitanei

Friedensgruß

Nizäno-Konstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis

2. Anaphora (Hochgebet)

Einleitungsdialog und Präfation

Sanctus

Einsetzungsbericht

Gedächtnis und Darbringung

Epiklese

Gedächtnis der ganzen Kirche

3. Kommunion

Bittlitanei zur Vorbereitung auf die Kommunion

Vater unser

Hauptneigungsgebet

Erhebung des „Lammes“

Brotbrechung, Vermischung und Zeon

Kommuniongebete

Segen und Entlassung

Kommunion der Zelebranten (Priester und Diakon)

Kommunion der Gläubigen

Dankgebet nach der Kommunion

4. Schluss

Schlusslitanei

Ambongebet (Segensgebet über die Gemeinde)

Reinigen der Gefäße

Segen und Antidoron

Private Danksagungsgebete

Ich habe nicht den Eindruck, dass Grossmutter selig wusste oder gar wollte, dass ich das hier mitmache. Oder doch?

Nun bin ich noch keine drei Stunden in diesem Kloster und beginne schon arg zu zweifeln an meinem Unternehmen. Ich bin über die Regeln hier nicht böse, vielmehr bin ich verärgert über mich selbst. Die freiwillige Teilnahme an einem völlig unersichtlichen, meinen Sinnen und meinem Intellekt vollends verschlossenen Ritual, zu dem ich nichts beitragen kann und noch weniger darf, ist Selbstgeisselung. Hier wird Gott angebetet, sehr intensiv und langfädig, das schliesse ich aus der Logik der Begleitumstände und aus dem Groove, der sich in die drei Räume dieses Katholikons schleicht und damit meine ich nicht nur den wunderbar riechenden Weihrauch. Das Unverständnis für die vielen monoton vorgetragenen Gebete, abwechselnd gesungen und gesprochen, lässt mir die Gelegenheit, über mein Unternehmen nachzudenken, und schon beginnt mein bis dahin fester Wille zu bröckeln. Dennoch ertrage ich aufgrund fehlender Fluchtmöglichkeiten bzw. Mutes vorerst stoisch die momentane Situation ebenso wie die langsam und schmerzhaft sich in mein Bewusstsein drängenden, am Stehvorgang beteiligten unteren Körperteile. Mit verstohlenen Blicken auf das Handydisplay checke ich in steigender Kadenz die aktuelle Zeit und muss feststellen, dass ebendiese im Stehen noch sehr viel langsamer vergeht.

Nach guten zwei Stunden ist der Gottesdienst fertig. Alle strömen zum Ausgang, uns Pilger weist man in das direkt gegenüberliegende Refektorium.

---ENDE DER LESEPROBE---