Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente. Band 12 - Friedrich Hölderlin - E-Book

Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente. Band 12 E-Book

Friedrich Hölderlin

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Beschreibung

Mit dieser Ausgabe schließt der Herausgeber, der als einfacher Leser begann, seine Arbeit ab. Sie enthält auf 3.000 Seiten das Resultat der 1974 begonnenen Arbeit, die für ihn von Anfang an keinen anderen Zweck hatte als den hier vorgelegten, gegenüber allen früheren und noch im Handel erhältlichen Ausgaben wesentlich erweiterten und korrigierten Text …

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Inhaltsverzeichnis
 
XII
 
1806
28. Januar. Charlotte von Kalb an Jean Paul.
30. April. Konsistorialprotokoll.
11. Juni. Konsistorialprotokoll.
3. August. Isaak von Sinclair an Johanna Christiana Gock.
28. August. Quittung Sinclairs:
12. September. Sinclairs Mutter, Wilhelmine von Proek, an Jakob Zwilling.
26. September. Einschränkungen der Hessisch-Homburgischen Hofhaltung durch ...
26. September. Isaak von Sinclair - der sich zwischen dem 11. und 17. September ...
30. September. Rezeptbuch des Autenriethschen Klinikums.
9. Oktober. Bericht des Staatsministeriums.
12. Oktober. Randvermerk.
16. - 21. Oktober. Rezeptbuch des Autenriethschen Klinikums.
28. Oktober. Ausgabenliste.
8. November. Quittung von Hölderlins Mutter; dazu der Vermerk von Kammerrat ...
1806 belaufft es 400 6
 
1807
13. Januar. Friedrich Weißer in Morgenblatt für gebildete Stände.
30. Januar. Neue Leipziger Literaturzeitung. Verfasser unbekannt
7. Februar. Leo von Seckendorf an Justinus Kerner.
1. April. Karl Philipp Conz in Allgemeine Literatur-Zeitung, Halle.
23. Mai. Isaak von Sinclair an Georg Wilhelm Friedrich Hegel.
23. Mai. Amadeus Wendt in Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung.
13. August. Leo von Seckendorf an Justinus Kerner.
 
1808
27. Februar. Achim von Arnim an Bettina.
 
1809
 
Copyright
XII
Hölderlin: Scardanelli.
 
Je nachdem, wie das Ohr ihn hört, klingt es im Gegenklang des erfundenen Namens wie zerbrechendes Glas, wie spöttisch zerrissene Ketten. Chr. Theodor Schwab, sein erster
Herausgeber, vernimmt ihn 123 Wochen vor seinem Tod.
Das Kind war so alt, als sein Vater starb und seinen Namen sagen hört als den eines Toten.
 
Sein Name auf dem Anstieg zum Ruhm. Zum Zenith des
Bogens, der in der Krise gleichsam zerbricht. So der Bericht des Boten in der Antigone, weitab vom Text des Sophokles:
Und lange blieb es so, bis auseinanderbrechend Der Sonne Kreis sich bükte grad herab Vom Aether, und der Brand erglühte.
So war es am 22. Juni, am Tag, da ihn Apollo geschlagen, wie er schrieb (in der Gestalt eines Knechts, wie den Patroklos von hinten). Die sezierenden Ärzte konnten sich die verhärtete Stelle im Haupt nicht erklären. Aber sprechend ist der rätische Name des Orts, an dem dies geschah, den er in seinen verwandelt: Undicht, erstarrt, gering geworden. Mit einem Wort nicht mehr derselbe.
 
Al rovescio geht auch das Werk. Von In lieblicher Bläue... über die späten Oden zu den Hyperion-Fragmenten. Der Spaziergang, in der Form des Liedes Diotima, übernimmt gar Schillers Titel. Dessen Lied An die Freude wird samt den Tübinger Hymnen ironisiert durch Das fröhliche Leben. Im Rhythmus anscheinend identisch, doch nicht dem Ton nach, der die Musik macht. Auf Beethovens Melodie nicht zu singen. Und wonach der Geist ihm lustig fraget, ist über alle Rede vom Sein an sich, anschaulich und nicht leer. Es ist das Ge-ist, wie das Ge-äst der Bäume, worinn Inneres bestehet, bis Auflösung diesem taget. Und dieses Naturbild steht ausdrücklich gegen anderes: die Figur des Baches, der - als wie in dem Ge-mache, schleicht durch’s Ufer wild und hohl. Schließich das unterschiedliche Licht der Jahreszeite. Der Lapis, der unerkannt in der Asche liegt.
 
Und überhaupt - die unermeßliche Kluft zwischen ihm und der ganzen Menschheit, wie Wilhelm Waiblinger sagte.
 
Daß er dieses Asyl fand; unter Guten, für weniges Geld. Sich selbst geweissagt, ein wenig ähnlich dem Häuslein, das übrigblieb von der unlängst gesprengten Brücke über den hier vereinigten Rhein, am Garten von Reichenau, wo er im dunkeln Epheu saß -
Will einer wohnen, So sei es an Treppen, Und wo ein Häuslein hinabhängt Am Wasser halte dich auf. Und was du hast, ist Athem zu hohlen.
1806
14. Januar. Konsistorialprotokoll. Eingabe der Mutter. Pfarrwittwe fälschlich. Pfarrwittwe Gockin um ein Gratial pro filio, stip. Hölderlin wegen Kränklichkeit.
Auszusetzen.

28. Januar. Charlotte von Kalb an Jean Paul.

Ich las vor einigen Tagen die Briefe von Hölderlin wieder, die drei, so ich mir bewahrte. Einst gab ich sie Ihnen zu lesen, Sie haben sie nicht geachtet, wie ich meine. Dieser Mann ist jetzo wütend wahnsinnig; dennoch hat sein Geist eine Höhe erstiegen, die nur ein Seher, ein von Gott belebter haben kann - ich könnte viel von ihm sagen. Der Mann kann es noch weniger ertragen, als das Weib, wenn er seinesgleichen um sein Thun nicht findet; aber ein jeder wird arm und ist beklagenswert in der Öde und Leere. Ein Chaos wartet auf die Liebe des Geistes.

30. April. Konsistorialprotokoll.

Verwittwete CammerRath Gock bittet um Unterstüzung für ihren Sohn, den krancken stipendiarium M. Hoelderlin.
Concl:
Ad acta.

11. Juni. Konsistorialprotokoll.

Die verwittwete CammerRäthin Gock bittet um Unterstüzung für ihren kräncklichen Sohn M. Hoelderlin.
Concl: ex post:
Ihn dem K. O. F. Depart: zu 100 Thlrn wenigstens zu empfehlen, um sodann ein gemeinschl: Anbringen machen zu können.

3. August. Isaak von Sinclair an Johanna Christiana Gock.

Homburg d. 3ten August. 1806.
Hochzuverehrende Frau Kammer Räthinn!
Die Veränderungen, die sich leider! mit den Verhältnissen des Herrn LandGrafen zugetragen haben, die Ihnen auch schon bekannt sein werden nöthigen den Herrn LandGrafen zu Einschränkungen, und werden auch meine hiesige Anwesenheit wenigstens zum Theil aufheben. Es ist daher nicht mehr möglich, daß mein unglücklicher Freund, dessen Wahnsinn eine sehr hohe Stufe erreicht hat, länger eine Besoldung beziehe und hier in Homburg bleibe, und ich bin beauftragt Sie zu ersuchen, ihn dahier abhohlen zu lassen. Seine Irrungen haben den Pöbel dahier so sehr gegen ihn aufgebracht, daß bei meiner Abwesenheit die ärgsten Mishandlungen seiner Person zu befürchten stünden, und daß seine längere Freiheit selbst dem Publikum gefährlich werden könnte, und, da keine solche Anstalten im hiesigen Land sind, es die öffentliche Vorsorge erfodert, ihn von hier zu entfernen.
Wie sehr es mich schmerzt, können Sie glauben, aber der Nothwendigkeit muß ein jedes Gefühl weichen, und in unsern Tagen erfährt man nur zu oft diesen Zwang. Ich werde mir es auch für die Zukunft zur Pflicht machen, für Hölderlin möglichste Sorgfalt zu tragen, die Umstände aber erlauben mir izt nicht, mich hierüber bestimmt zu äußern.
Empfangen Sie von meiner Mutter und mir nebst den Ihrigen die Versicherung unserer hochachtungsvollen Freundschaft, mit welcher ich zu verharren die Ehre habe
Euer Wohlgebohren geh. Dr. I. v. Sinclair.

28. August. Quittung Sinclairs:

Nach producirter Berechnung sind von Herrn KammerRath Bausch für H. Bibl. Hölderlin funfzig Gulden als der Betrag der Besoldung vom 1ten Apr. bis ult. Jun. d. J. richtig zu desselben Nuzzen in die Casse desselben bezahlt worden. Homburg d. 28ten Aug. 1806
I. v. Sinclair.

12. September. Sinclairs Mutter, Wilhelmine von Proek, an Jakob Zwilling.

...des Hölderlins Zustand ist immer derselbe doch reinlicher ist er, und der Hüte Tausch würde keinen bösen Eindruck machen.
 
Vmtl. am 13. September. Landgräfin Caroline von Hessen-Homburg in einem am 11. September begonnenen Brief an ihre Tochter Marianne, Prinzessin von Preußen.
 
Le pauvre Holterling a été transporté ce matin pour être remis à ses parens. Il a fait tout ses efforts pour se jetter hors de la Voiture, mais l’homme qui devoit avoir soin de lui repoussa en Arrière. Holterling crioit que des Harschierer l’amenes, et faisoit de nouveaux efforts et grata cet homme, au point, avec ses Ongles d’ une longueur énorme qu’ il etoit tout en sang.
16. September. Ausgabenliste. d 16 Sebt ReisKosten von Homburg nach Tübingen 137.
 
16. - 21. September. Rezeptbuch des Authenriethschen Clinicums, Tübingen. Autenrieths Hd: d. 16. Sept.
M. Hölderlin
Rc. HB. belladonnae gr.vj. hb. digitalis purpureae gr.ij. infunde cum
Aq. chamomillae anisatae Uz. ij.
Colat. D. S. Täglich 3 mahl einen Löffel voll zu geben.
Kerners Hd: d. 17. u. 18. Sept.
Reitr. M: Hölderlen mixtr: d. 16. Sept: pr.
D. S. Täglich 4 Eßlöffel voll
Autenrieths Hd: 18. Sept. Hölderlin.
Einen Schoppen Wein auf 2 Tage.
Kerners Hd: M. Hölderlend. 21. Sept.
Reit: Mixtr: d 16 Sept: pr.
D. S. ut ante.
Autenrieths Hd: d. 21. Sept: Hölderlin
Rc. tr cantharidum Scr. ij. mercurii dulcis gr. xvj. opii puri gr. iv. Sacchari albi Dr. 12 M. Div. in VIII part. aq. Dent. ad chart. diss Täglich 4 mahl ein Pulver zu geben.
Vmtl. im Frühherbst. In Seckendorfs Musenalmanach für das Jahr 1807 erscheinen Die Herbbstfeier, Die Nacht und Die Wanderung.

26. September. Einschränkungen der Hessisch-Homburgischen Hofhaltung durch Erbprinz Friedrich Josef.

...wegen des ohnehin von hier abgegangenen Hofbibliothekars Hölderlin mit dem Ende dieses Monats wegfallende Besoldung.

26. September. Isaak von Sinclair - der sich zwischen dem 11. und 17. September im Kreis Brentanos und Tiecks in Frankfurt aufgehalten hatte und vmtl. am 20.aus Homburg abgereist war - an Prinzessin Marianne von Preußen.

Ew. Hoheit sind so gütig gewesen sich Hölderlins zu erinnern. Die Änderungen in Homburg haben seinen längeren Aufenthalt dort unmöglich gemacht. Er ist noch vor meinem Abgang dort abgereist nach Tübingen, wo ihn ein geschickter Arzt in die Kur nehmen wird. Übrigens hat es mich sehr gefreut, daß seine litterarische Celebritet so zunimmt, daß im Fall der Wiederherstellung es sehr zu seinem Fortkommen beitragen wird, und es gewiß auch bei der Nachwelt für einen Ruhm des Herrn Landgrafen HFD sein wird, sich seiner im Unglück angenommen zu haben. Ich habe kürzlich die Bekanntschaft von Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck, und Clemens Brentano gemacht. Alle diese Männer, die Ew. Hoheit gewiß dem Ruf nach als ausgezeichnete Köpfe bekannt sein werden, sind die größten Bewunderer Hölderlins und weisen ihm eine der ersten Stellen unter den Dichtern Teutschlands zu. Vielleicht wird dies I.D. die Prinzeß Auguste freuen zu erfahren, die immer viel Gnade für Hölderlin hatte und die ich in langer Zeit nicht mehr das Glück hatte zu sprechen.
Dieser edlen und unübertrefflichen Princess wegen bin ich izt ein wenig in Sorgen. Sie hat den großmüthigen Entschluß gefaßt bei Ihrer Frau Mutter H.G.D. zu Homburg zu bleiben. Ich fürchte aber daß es nicht von guten Folgen für sie selbst und für die Durchlauchtigte Familie sein kann, da sich, selbst nach einigen bereits von Franzosen geschehenen Äußerungen Falle denken ließen, ähnlich denen der Prinzeß von Bayern, was dann allemahl übel ablaufen müßte. An des Herrn LandGrafen Stelle würde ich Sie gezwungen haben Homburg zu verlassen und Ihre gewiß übermäsige delicatesse aufzuopfern.

30. September. Rezeptbuch des Autenriethschen Klinikums.

Kerners Hd: M. Hölderlen d. 30. Sept
Reitr. pulvis d. 21. Sept: pr:
D. S. ut: ante:
Vmtl. 30. September. Gustav Schoder an Immanuel Hoch (unter dem verschriebenen Datum 3. September, aus der Krankenstube des Stifts).
Uhland studirt izt Schelling u. Kerner hilft den gefallenen Titanen Hölderlin im Klinikum laxiren u. macht ihm einen bösen Kopf. Dadurch will Autenrieth die Poesie u. die Narrheit zugleich hinausjagen.
 
Vmtl. Anfang Oktober. Ausgabenliste:
For 1 überrock u Bein Kleider samt macherlohn 31. 30

9. Oktober. Bericht des Staatsministeriums.

Euer königlichen Majestät ist es allergst gefällig gewesen, von dem Königl:
StaatsMinisterium über die Bitte der verwittibten Kammerrath Gock in Nürtingen um einen allergsten Beitrag zu den auf ihren kranken Sohn M. Hoelderlin zu verwendenden Kosten, AUst Bericht zu erfordern.
Gehorsamst Subsignirte haben hierauf nach der bei dem Königl. OberConsistorium eingezogenen Erkundigung AUst anzuzeigen: M. Hölderlin hatte von Jugend an, wegen seiner Talente gute Hofnungen von sich gegeben. Nach wohl zurükgelegter akademischer Laufbahn nahm er als Stipendiat mit Erlaubniß einige Hofmeister-Stellen im Auslande an, und kehrte dann im Jahr 1804. in das Vaterland zurük. Aber bald zeigten sich bei ihm Anfälle einer Nerven-Krankheit und periodische traurige Spuren einer zerrütteten Einbildungs-Kraft, und zwar, nach dem beigelegten Zeugniß seines Arztes in Nürtingen - als Folgen von angestrengten Studien Arbeiten bei Nacht und Unterlassung der nöthigen Bewegung; und es ist, nach eben diesem Attestate, zu befürchten, daß er schwerlich ganz werde wiederhergestellt werden. Seine Mutter hat innzwischen alle Mittel zu Wiederherstellung der Gesundheit ihres Sohnes aufgeboten, ist aber nun - da auch sein väterliches Vermögen aufgezehrt ist, in dem Falle, Euer Königl. Majestät um eine gste milde Unterstüzung anflehen zu müssen.
Das Königl. OberFinanzDepartement trägt nach mehreren ähnlichen Vorgaängen von armen und unglüklichen Stipendiaten auf eine jährliche Unterstüzung von 150 fl. in so lange an, bis Hölderlin wieder hergestellt seyn werde; Und AUst. Subsignirte legen diesen Antrag der höchsten Gnade Euer Königl. Majestät submissest vor.

12. Oktober. Randvermerk.

Seine Koenigliche Majestaet wollen dem M. Hoelderlin zu Nürtingen die von dem Königl:en StaatsMinisterio AUntgst: in Antrag gebrachte Unterstüzung von 150 f, bis zu dessen Wiederherstellung gnädigst verwilligt haben.
Dat: Stuttgart den 12ten October 1806. Friderich

16. - 21. Oktober. Rezeptbuch des Autenriethschen Klinikums.

Kerners Hd: Hölderlin d. 16. octr:
Reitr: pulvis d. 21. Sept: pr: D. S. ut: ante:
Autenrieths Hd: d. 17. octr: Hölderlin
Rc. Gummi aloes succotrinae Dr. 12. tart. vitriolati. Dr. iij. Sacchari albi Unz. j12. Aq. chamomillae anisatae Unz. j12. Aq anisi Unz. iij. A. D. S. Alle 2 Stund einen Löffel voll zu nehmen
Hd Autenrieths: d. 21. octr. Hölderlin
Spazierengehen

28. Oktober. Ausgabenliste.

d 28 octobr Kostgeld im Klinico 75. dem Krankenwärter Prasand u Weingeld u andere Klein. 18. -
 
Aus Johann Heinrich Ferdinand Autenrieth, Krankengeschichten aus dem Klinikum, Tübingen; Nachschrift vmtl. von Fr. Xaver Güntner.
Die Arten von Manie die im Clinico vorkommen theilten sich im Allgemeinen in 3 Classen, die eine bestand in Aufhebung der Urtheilskraft und des richtigen Bewußtseyns, hier verhielten sich die Kranke wie acute Kranke in einem Fieberdelir, sie waren ganz weg, selbst für ihre Narrheit hatten ihre Ideen und Handlungen keine Zusammenhang, die Aehnlichkeit mit dem Fieberdelir gieng so weit, daß die Anfälle bald mit vollkommener intermiss abwechselte, wie bei intermitt Fieber, und entweder völlige thierische Narrheit da war, oder keine Spur von Verruktheit. Diese Classe war unheilbar. Bei einer andern Art war es nicht völlige Intermission, sondern nur remiss, wie bei acut Fieber, und hier zeigten sich die Kranke heilbarer, doch wo der Umstand gänzlich litte, war auch bei dieser Classe nichts von daurender Heilung zu erwarten.
Jeder Kranke der im Clinico hergestellt worden, wurde sobald es entschiedene Manie war blos hergestellt, wen ein Fieber zu erweken war. Umgekehrt aber wurde nicht jeder Maniac hergestellt, bei dem man auch mit einem Fieber zu Stande kam, wenngleich jeder während des Fiebers anscheinend gebessert war.
Ist nun eine Zeitlang so verfahren worden, und hat man dann mit mercur entweder allein oder in Verbindung mit äußerlicher Entzündung ein Fieber erregt, so sind dan drastica indicirt, namentl der Gebrauch von Aloë, oder was in solchem Fall ähnlich wirkt, der Gebnrauch von hellebor niger, und zwar wurden die Kranke am vollkommensten hergestellt, bei denen dann ohne viel vorausgehendes Laxiren fast sogleich etwas Blut mit den Stuhlgängen kam. In diesen Fällen trat nun aber sogleich eine Schäche ein, von der oben schon die Rede war, und die wirklich zuweilen einen gefährlichen Anschein hatte.
...beständiger Gebrauch von angenehmen Reizmitteln, bald von etwas Caffee, bald von Wein, Zuspruch etwas Nahrung zu nehmen, Aufheiterung des Gemüths selbst, machen, daß dieser gefährlich scheinende Zustand in einem biß 2 Tagen vorübergeht. Von da an ist der Kranke dann körperlich genesen, dem ohngeachtet aber noch nicht ganz verständig, weil jetzt erst die Seele der närrischen Vorstellungen sich wieder entwehnen muß, und das Nervensystem Zeit erhalte, sich herzustellen. Zuweilen und sogar öfter gelingt diese Methode nicht auf einmal, sondern der Kranke ist eine Zeitlang gebessert, aber verschlimmert sich wieder. Dann bedarf es einer Wiederhohlung des ganzen Verfahrens, nur daß man Wochenlang aussezt mit Fieber erregenden Mitteln, in der Zwischenzeit blos auf die oben beschriebene Art praeparatorisch verfährt, im ganzen aber sich an eine 4 wochentliche periode hält, welche den haemorrh krankheiten fast so gut als den menstr Beschwerden zu Grunde ligt.
Wo mit bellad oder digit purp das Nervensyst bei Mania betäubt wird und diese Mittel schienen etwas zur Heilung beigetragen zu haben, waren es vielleicht immer Fälle der Art, wo während dieser Betäubung eine körperliche Ursache durch andere Mittel entfernt werden konnte. Namentl in dem Fall, wo neben dem innerlichen Gebrauch der belladonna Setacea in Nacken gesezt wurde, die auf der andern Seite wohl schweerlich viel nutzte, wenn nicht die Metastase irgendeines patischen Stoffes dem Uibel zu Grunde lag, wenigstens ist es sonst allgemein, daß narcot nichts weniger thun als eine Manie heben.

8. November. Quittung von Hölderlins Mutter; dazu der Vermerk von Kammerrat Bausch: NB: 50 f. sind in vorhergehender Quitung schon enthalten. Bausch.

100 fl. sage Ein Hundert Gulden sind mir für meinen Sohn den Landgräfflichen Hessen Homburg Hoffbibleothekar Hoelderlin als die vom 1.ten Appril biß Septembr. l. J. demselben gnädigst außgesezte Besoldung laut der von H. CamerRath Bausch darüber gestelten u richtig befundener Rechnung richtig übermacht worden. welches mit eigenhändiger unterschrifft bescheinige.
Nürtingen d. 8. Novemb. 1806. / J. C. Gockin verwittibte Cammerräthin.
 
Im Spätherbst; Friedrich Weißer in Bibliothek der redenden und bildenden Künste über Seckendorfs Musenalmanach für das Jahr 1807.
Herr Hölderlin, der immer aufs neue, und immer vergeblich sich martert, in seinen Gesängen das Unaussprechliche zu verkünden, eröffnet die Sammlung mit einem Gedicht: Die Herbstfeyer, das so beginnt:
Wieder ein Glück ist erlebt!...
Man sieht Herr Hölderlin sinkt zuweilen von seiner Höhe ein wenig herab. Wenigstens hat an den Ausruf: Wieder ein Glück ist erlebt! und an die Stelle: Offen steht jetzt wieder ein Saal, und gesund ist der Garten die Prosa mehr Anspruch, als die Poesie. Das Thal, das hoch von Gewächsen rauschet, ist Unsinn, und wo man das Reich des Gesangs, wohin sich alle gebundene Fittige wagen, zu suchen hat, mag der Himmel und Herr Hölderlin wissen. Soviel von diesem Poeten.
 
Jahreswechsel; Ausgabenliste.

1806 belaufft es 400 6

Nachdem hier das bürgerliche Schuldbuch des Dichters geschlossen wurde und weder Ausgabenliste noch Testament der Mutter nur das Soll, nicht aber das Haben vermerken - die Bevollmächtigten der Hölderlinschen Kinder bei der Erbteilung in Lauffen jedoch die sicher verzinste Anlage des Vermögens und Kontrolle hierüber der Stadt Nürtingen zuwiesen - ist hierauf mit wenigstens 4% zu verzinsende Kapital und weitere nicht vermerkte Eingänge hinzuweisen. Das Kapitel Geld wird hiermit geschlossen. Es wird nur noch am Rande, in den überlieferten Briefen und Abrechnungen des ehrbaren Kostherrn Ernst Zimmer erscheinen. Bei der Gegenüberstellung wird zu glatten Beträgen auf- und abgerundet.
1807
Aus Johann Heinrich Ferdinand Autenrieth, Krankengeschichten aus dem Klinikum.... so läßt sich einsehen, warum fast immer der Conflux einer psychischen und einer physischen Ursache dazu gehört um Manie zu erzeugen...
 
Vmtl. Anfang Januar. Justinus Kerner an einen Unbekannten, Entwurf.
HE. Hölderlin ist noch fast schlim, war heute bey ihm, sprach er da nichts als vom Conflux und anders verwirrtes Zeug das mir gar traurig war anzuhören. Fast gar erbärmlich fällt es daher daß Vetter Weisser ihn noch in s. Unglük so elendiglich verfolgt und ihm nach s. Weise den Verstand abspricht den er doch noch beym Verstand hatte. Hab seine Rec. gelesen in der Dyckischen Bibliothek.
 
Emma Niendorf, Lenau in Schwaben, 1853; Zitat eines Briefs von Justinus Kerner vom 1. November 1844.
 
„Gott sei gedankt und gepriesen, daß es mit Niembsch wieder gut geht,‟ läßt sich Kerner vom 1. November gegen mich vernehmen. „Je heftiger solche Anfälle sind, je eher lassen sie nach. Bei Hölderlin war es, als er nach Tübingen kam, doch ganz anders. Ich mußte ja damals sein Krankentagebuch führen und weiß es wohl noch...‟

13. Januar. Friedrich Weißer in Morgenblatt für gebildete Stände.

Einige der größthentheils ungenannten Verfasser dieses Musenalmanachs haben sich durch die bekannten, den Helikon umflatternden, Irrwische auf Abwege führen lassen, und sind daher auch richtig, statt auf den Parnaß, in Sümpfe gerathen. Schade für die Anlagen, die in einigen ihrer Versuche durchblicken. Doch an guten Köpfen darf man nie verzweifeln, und wir hegen daher auch die angenehme Hoffnung, daß die Gesänge dieser, ohne Zweifel noch sehr jugendlichen, Dichter dereinst keine Spur mehr von ihrem jetzigen Tone verrathen werden.

30. Januar. Neue Leipziger Literaturzeitung. Verfasser unbekannt

... Daß wir diese Idee zum Eingang der Anzeige des vorliegenden Musenalmanchs gewählt haben, kommt freylich daher, weil wir die meisten der hier sich findenden Gedichte für nicht viel mehr als unreife Versuche von Leuten ansehen können, welchen die ersten Elemente der grossen Kunst, die sie treiben wollen, noch nicht bekannt zu seyn scheinen, wenn sie sie nicht, durch falsche Beyspiele geleitet, wieder vergessen haben. Das letztere dünkt uns der Fall zu seyn, bey Hölderlin, einem Manne, der durch seine frühern Versuche wirklich zu nicht gemeinen Hoffnungen berechtigte; in den hier mitgetheilten aber so viel Verworrenheit, gesuchtes Dunkel, Kostbarkeit und zugleich Nachlässigkeit in dem technischen Theile der Poesie zeigt, daß man durchaus keine Freude bey dem Lesen derselben finden kann.

7. Februar. Leo von Seckendorf an Justinus Kerner.

Hölderlins Schiksal geht mir sehr nahe, aber wie in aller Welt soll er ohne Umgang, ohne Aufsicht, ohne Befriedigung für sein gequältes Herz durch Erquickungen der Freundschaft zurecht kommen? Das ist sehr traurig - gerade die tödende Einsamkeit, das ewige Brüten hat ihn so zerstört! Grüßen Sie ihn doch recht herzlich von mir, wenn er der Erinnerung empfänglich ist - kan er vernehmen und Antheil nehmen? Er weiß nichts, daß von seinen Gedichten etwas im Almanach gedruckt ist, denn als ich Sinclairn davon schrieb, war er unzugänglich. Ich habe sie, mit Schonung, aber doch hie und da verändern müssen, um nur Sinn hineinzubringen.

1. April. Karl Philipp Conz in Allgemeine Literatur-Zeitung, Halle.

Von Hölderlin finden sich aus seiner früheren Periode einige glückliche poetische Erzeugnisse, unter denen Rec. die Wanderung mit reinem Interesse gelesen hat, das nur durch eine Rücksicht getrübt wurde, die er hier nicht weiter andeuten will.
 
Aus Johann Heinrich Ferdinand Autenrieth, Ueber die im Clinicum in Tübingen getroffene Einrichtungen für Wahnsinnige, 1807.
In einem gewöhnlichen Zimmer liess ich aus dem Schloss der Thüre den Drücker ausheben, und die Thüre auf der innern Seite mit wohlangenageltem starkem Eisenblech, bey uns sogenantem Sturz, überziehen; über die Angeln der Thüre liess ich von dem Rahmen, welcher die Thüre einfasst, von der sogenannten Thürenverkleidung aus, kleine duttenförmige wohl angeschraubte Kappen von Eisenblech laufen, damit an ihnen kein Punkt seye, wo ein Strick, mit dem der Kranke sich erhängen könnte, haften könnte. Die Entfernung des Drückers von dem Schlosse, und das Ueberziehen des Schlosses von innen mit der Sturzlage, welche die äusserlich unverändert bleibende Thüre vor dem Durchtreten sichert, bewerkstelligt eben dieses an der ganzen Thüre. Um das düstere Ansehen einer mit Eisen überzogenen Thüre zu vermeiden, liess ich sie mit weißer Oelfarbe anstreichen. In einer weitern Entfernung von dem Ofen und dem Fenster, als der Arm reicht, wurden Pallisaden in Halbcirkeln herumgestellt, welche die Annäherung des Irren zum Ofen und Fenster unmöglich machten. Diese Pallisaden stehen 4 Zoll weit von einander, damit der Kranke den Kopf nicht durchstecken kann; jede hat die ganze Höhe des Zimmers, ist im Durchmesser 3 ½ Zoll stark, und ganz rund und glatt gearbeitet. Sie dürfen nicht aus dicken Balken geschnitten seyn, an welchen sehr häufig Risse und Splitter mit der Zeit entstehen, sondern sie müssen von jungen Tannen dieser Grösse genommen, und nur oberflächlich glatt gemacht werden, damit auch an ihnen kein Strick haftet, sondern bis auf den Boden herabglitschen würde; ich liess diese Pallisaden mit weisser Oelfarbe anstreichen, was zur Heiterkeit etwas beiträgt. Eigentlich Wahnsinnige zeigen übrigens selten oder nie Lebensüberdruss, und Neigung zum Selbstmord, im Gegentheile meistens grosse Furcht vor dem Tode; bloss Schwermüthige, deren Urtheilskraft weniger, als ihr Gemeingefühl zerrüttet ist, sind in dieser Hinsicht zu bewachen, aber um so mehr, als der Anfall oft bloss periodisch ist. Tannenholz ist zu zähe, als dass der stärkste Mann eine solche Pallisade zerreissen könnte; ich habe alle meine Pallisaden, so wie sie befestigt waren, zur Sicherheit von 4 bis 5 starken Männern versuchen lassen, ob sie durch ihre vereinigte Kräfte zerrissen werden könnten, und es geschahe nicht -
Ich liess eine Maske von Schuhsohlenleder machen, welche unten mit einer Art von Boden auch das Kinn umfasste, dem Munde gegenüber einen weich ausgepolsterten Wulst von feinem Leder auf ihrer innern Seite hatte; ich schnitt nun in diese Maske eine Oeffnung für die Nase und zwey für die Augen. Zwey horizontallaufende Riemen, die an der Maske angemacht waren, befestigten sie, über und unter den Ohren weglaufend, am Hinterkopf, während ein dritter breiter Riemen, der durch lederne Bügel an der Seite der Maske herauf lief, unten queer den Boden der Mundhöhle fasste, und oben auf den Wirbel geschnallt, das zu weite Oeffnen des Mundes hinderte, dessen Lippen durch den weichen Wulst zugedrückt wurden. Die Hände band ich dann mit weichem baumwollenen Garn auf den Rücken, und liess so die Person eine halbe oder ganze Stunde herumgehen. Der Aerger, dass ihr Eigensinn doch überwunden worden seye, wegen welchem sie gewiss lieber alle Plagen ausgestanden hätte, machte sie anfangs ganz unerträglich; aber kaum sahe sie ein paarmahl, daß auch diese Aeusserung des Eigensinnes fruchtlos gemacht werden könne, so unterliess sie dieses Schreyen in der Folge von selbst. Ich würde diese unschuldige Maske in jeder Irrenanstalt als nothwendigen Hausvorrath vorschlagen. Das englische Hemde fand ich immer weit zu beschwerlich, um es einem Tollen, der sich wehrt, anzulegen; er ist überdiess in demselben nicht bequemer, als wenn ihm blos die Hände an, den Rücken kreuzweise mit einem Strange von baumwollenem Garne gebunden werden. Selten ist es nöthig, dieses, so wie das Tragen der Maske länger als eine Stunde währen zu lassen; wenigstens sind es dann Pausen von mehreren Stunden und halben Tagen, wo man auch, selbst im eigentlichen oft mehrere Tage oder ganze Wochen lang dauernden Paroxismus ungezwungene Ruhe von dem Kranken erlangt.
Studirt der Arzt nicht jeden einzelnen seiner Kranken, nicht bloss in Absicht auf seine körperliche Beschaffenheit, sondern auch auf seinen Seelenzustand (denn nie, möchte ich wenigstens meinen Erfahrungen nach sagen, entsteht Wahnsinn aus körperlichen Ursachen allein, und eben so wenig aus Seelenleiden allein; er entsteht nur dann, wenn unglücklicherweise beydes zusammentrifft); giebt er sich nicht bey jedem neuen Kranken wieder die nehmliche Mühe, seinen Eigensinn in jeder Hinsicht zu besiegen, und den Kranken zu überzeugen, seine des Arztes Zwecke werden alle, auch troz des Sträubens des Kranken erreicht; beschäftigt er sich nicht persönlich mit dem Kranken, um selbst, wenn das körperliche Uebel gehoben ist, die Gewohnheit der Seele, nur unvernünftig zu denken, wieder auszulöschen, und durch Uebung die durch Unthätigkeit geschwächten Seelenkräfte wieder zu erheben; so kann keine Rede von Wiederherstellung seyn.... Daher die Seltenheit von Wiederherstellung der Unglücklichen in den gewöhnlichen Irrenhäusern, in denen man nur den, nach vielen Versuchen für unheilbar Erklärten, und den aufbewahren sollte, der bey noch ziemlich richtigem Verstande durch unüberwindliche Triebe, wie Blutdurst etc. für die öffentliche Sicherheit gefährlich wird. Der Raum in diesen Anstalten würde hinreichen, wenn sie bloss auf diese zwey Classen eingeschränkt würden.
Laut fordert also die Menschlichkeit, die Irren vertheilt zu lassen, und nur wenige auf einmal oder in Zwischenräumen, wo der Arzt selbst sich wieder erholen kann, einem einzelnen Arzte zur Besorgung zu übergeben, was schon durch das Vertheiltbleiben der Wahnsinnigen im Lande erreicht würde.
Der Arzt kann sich und andern nicht genug einprägen, dass Verwirrte meistens eigensinnigen übelgezogenen grossen Kindern gleichen, und wie diese zwar oft mit Strenge gebessert, aber nie grausam behandelt werden müssen. /Ist die Autorität des Arztes gegründet, wozu vorzüglich gehört, dass der Kranke dem Arzte nicht den Schutz eines angesehenen Familiengliedes oder einer andern Person als Hülfsmittel gegen die dem Arzte eingeräumte Gewalt, welche dem Kranken immer ungerecht erscheint, entgegenstellen kann: so ist ein zweytes Erforderniss ein schicklicher Plaz, wo der Kranke, wenn man ihn seiner Freyheit nicht überlassen kann, aufbewahrt wird. Nie vielleicht wird ein Wahnsinniger im Schoosse seiner Familie wieder hergestellt; weil der Kranke, ergriffen anfangs von einer unbestimmten Verstimmung, häufig in seinen Umgebungen die Ursache aufsucht, die doch in seinem Innern liegt, immer wieder durch den Anblick und den Umgang mit diesen Gegenständen erinnert wird an seine falsche Vorstellungen; bald den Widerspruch seiner Verwandten, welche ihm seine verwirrten Ideen ausreden, und durch Zanken, Gebett oder Ueberredung ihn zur Vernunft zurück bringen wollen, und ihn hindern, unsinnige Handlungen zu begehen, unerträglich findet; und einen um so grösseren Hass auf sie wirft, als er gerade von ihnen hoffte, sie sollen ihm helfen, das Ziel seiner ihn beherrschenden Neigungen zu erreichen. Er kennt ihre kleinen Fehler genauer, als die anderer Menschen, wirft sie ihnen im Unmuth vor, und setzt leichter, so lange er noch ein Gefühl für öffentliche Schande hat, die gewöhnliche Achtung für sie bey Seite, als gegen einen Fremden. Er ist auch hierin das ungezogene grosse Kind, das zur Noth in öffentlicher Gesellschaft sich noch anständig aufführt, während es unerträglich zu Hause ist.
 
Nach dem 3. Mai. Clinikum, Jahresrechnung.
Magister Hölderlin aus Nürtingen vom 15n 7br. biß 3n Maj 1807. auf 231. Tage à 24 x. 92. f. 24. x.
 
Drittel eines Folioblatts; spätere Federproben von Ernst Zimmers Hand und auf der Rückseite dessen Abschrift der alkäischen Strophen An Zimmern.
Was ist Gott? unbekannt, dennoch
Voll Eigenschaften ist das Angesicht
Des Himmels von ihm. Die Blize nemlich
Der Zorn sind eines Gottes. Jemehr ist eins
Unsichtbar, schiket es sich in Fremdes. Aber der Donner
Der Ruhm ist Gottes. Die Liebe zur Unsterblichkeit
 
Das Eigentum auch, wie das unsere,
Ist eines Gottes.
Chr. Th. Schwab, 1846, II.
Anfangs entzog man Hölderlin wo möglich die Gelegenheit, sich schriftlich zu äußern, da es ihn immer aufregte; später, da er überhaupt ruhiger wurde, war dieser Hang nicht mehr so stark und man konnte ihn befriedigen, ohne etwas zu befürchten.
 
Auf der letzten Seite eines Briefs von Suzette Gontard-Borckenstein. Vmtl. folgte auf das vorhergehende Gedicht der von Schwab berichtete Papierentzug, und Hölderlin griff darum auf die im Geheimfach seines Reisekoffers verborgenen (von der Mutter und Schwester schon 1802 entdeckten) Briefschaften zurück. Sie wurden etwa zwanzig Jahre später aufgefunden, als, auf Wunsch der Mutter, dieses Relikt früherer Tage durch ein kleines Sopha ersetzt wurde. Die Eingangsfragen wiederholen den Beginn des ersten, mit dem genauen Entstehungsdatum, 1784, d. 12. Nobr. versehenen Knabengedichts Herr! was bist du, was Menschenkinder?
Was ist der Menschen Leben? ein Bild der Gottheit.
Wie unter dem Himmel wandeln die Irrdischen alle, sehen
Sie diesen. Lesend aber gleichsam, wie
In einer Schrift, die Unendlichkeit nachahmen und den Reichtum
Menschen. Ist der einfältige Himmel
Denn reich? wie Blüthen sind ja
Silberne Wolken. Es regnet aber von daher
Der Thau und das Feuchtere. Wenn aber
 
Das Blau ist ausgelöschet, das Einfältige, scheint
Das Matte, das dem Marmelstein gleichet, wie Erz,
Anzeige des Reichtums.

23. Mai. Isaak von Sinclair an Georg Wilhelm Friedrich Hegel.

Siegfried Schmidt, den du als meinen u. Hölderlins Freund kennen wirst, u. den ich würklich für eines der ersten poetischen Talente halte, lebt jezt dort in großer Dürftigkeit...
Von Hölderlin weiß ich auch nichts, als daß ihn Dr. Autenried zu Tübingen in der Kur hat. Mit welchem Erfolg weiß ich nicht. In Seckendorfs Taschenbuch stehen aber einige Sachen von ihm, in seinem izzigen Zustand verfertigt, die ich aber für unvergleichlich ansehe, u. die Fr. Schlegel u. Tieck, die ich voriges Jahr darüber sprach, für das höchste in ihrer Art in der ganzen modernen Poesie erklärten. Wollte Gott, alle diese abscheulichen Schicksale wären einmahl vorüber.

23. Mai. Amadeus Wendt in Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung.

Zuletzt erwähnen wir der wirklich eigenen Elegien von Hölderlin, in welchen ein Nachklang aus Latium und Hellas tönt. Ton, Form und Inhalt nähert sich jenem alten Style. Der Dichter, dessen poetisches und vorzüglich elegisches Talent schon durch Hyperion beurkundet worden ist, lebt ganz in jener fremden Welt und Sprache der alten Dichtung; daher sein Ausdruck oft zu dunkel wird, und es scheint als ob die zarte Bildung seiner Phantasie, und die Freyheit der Empfindung sich an der Schwere des Wortes brächen. An Klarheit der Darstellung fehlt es besonders in der Elegie: Die Herbstfeyer S. 10 und 11 und in einigen Stellen der zweyten Elegie: Die Wanderung. Die Sonderbarkeit des Ausdrucks ist zuweilen auffallend, wie z.B. das scharfe Geschlecht, die gefährliche Dürre geneset u.s.w. Die letzte Elegie Die Nacht enthält eine sehr lebendige Schilderung.

13. August. Leo von Seckendorf an Justinus Kerner.

Sinclair sandte mir neulich ein paar ältere Gedichte von Hölderlin, und fragt theilnehmend nach ihm. Ich fürchte er ist unheilbar! Der sonderbare Mensch! also hatte er doch die Aurora nicht vergessen. Es ist wahr, vor mehr als 4 Jahren empfing ich Gedichte von ihm für diese Zeitschrift, statt prosaischer Aufsäze, die ich verlangt hatte. Mein Arrest folgte darauf, u. die Aurora ging ein. Von Honorar war nie die Rede, ich wollte ihn nur zur Arbeit vorbereiten. Trüge der Almanach Honorar, ich würde es ihm wahrlich am ersten ganz überlassen - und redlich soll alles geschehn, was ich für ihn zu bewirken vermag - aber erst muß ich meine Kräfte wieder brauchen können.
 
Vmtl. im Frühherbst. In Seckendorfs Musenalmanach für das Jahr 1808 erscheinen Patmos, Der Rin und Andenken.
1808

27. Februar. Achim von Arnim an Bettina.

In Seckendorfs Musenalmanach für 1808 manches Schöne von Hölderlin.
 
In lieblicher Bläue... Wie sein Tagebuch belegt, erhielt der siebzehnjährige Wilhelm Waiblinger diesen abschließenden Gesang schon bei seinem ersten Besuch am 3. Juli 1822 und gibt ihn ans Ende seines 1823 erschienenen, Hölderlins Schicksal gewidmeten Romans Phaëton offenbar wortgetreu, im Satzspiegel des Drucks wieder. Lediglich die Fugen zwischen den drei Strophentriaden (3 x 12-12-15) sind beibehalten. Einleitend heißt es: Alles, was er bekommen konnte von Papier, überschrieb er in dieser Zeit. Hier sind einige Blätter aus seinen Papieren, die zugleich einen tiefen Blick in den schrecklichen Zustand seines verwirrten Gemüthes geben. Im Original sind sie abgetheilt, wie Verse, nach Pindarischer Weise.
Das ganze Gedicht ist, bei aller innerern Bewegung, im betrachtenden, erinnernden Ton gehalten, ein Wunder des durchwobenen Stils, der Entsprechungen und der der Sprache - die gleichsam auf der anderem Seite des Wassers liegende Vollendung der hesperischen Gesänge. Wie in diesen, werden auch hier die dichterischen Töne durchmoduliert. Dies beginnt mit dem Bild des Kirchturms, der Abbild des Nürtingers und unendlich viel mehr ist. Bild des Institutionellen, dessen Blech die Sonne färbt, dessen Parolen dem Geiste stumm sind. Umschwebt vom Geschrei des Lebendigen nicht schwer zu verstehen. Und um der Thürme Kronen sanfter Schwalben Geschrei - so heißt es in Tinian. Im Winter des Zeitgeists klirren die Fahnen - so in Hälfte des Lebens. Doch aus dieser Ferne sind jene Entgegensetzungen fast schon unwirklich geworden. Der so spricht, will nicht mehr hoch hinaus, sondern geht abwärts, wie es sich auf dieser Seite des Lebensbogens gehört. An manches aber ist nicht ohne Gemütsbewegung zu rühren; an manches, der realexistierenden Menschenwelt wegen, nur ironisch, in kühner Verrückung oder in vorgeblicher Metapher. Daß Reiche mit der Freude auch die Tugend haben - daß man in der Ichform besser Komet statt Prophet sagt - und schon gar nichts von unterdrückter Sinnlichkeit… Deswegen gilt jetzt - im Purgatorium des Geisteszustands - Reinheit für Schönheit.
In lieblicher Bläue blühet mit dem metallenen Dache der Kirchturm. Den umschwebet Geschrei der Schwalben, den umgiebt die rührendste Bläue. Die Sonne gehet hoch darüber und färbet das Blech, im Winde aber oben stille krähet die Fahne.
Wenn einer unter der Gloke dann herabgeht, jene Treppen, ein stilles Leben ist es, weil, wenn abgesondert so sehr die Gestalt ist, die Bildsamkeit herauskommt dann des Menschen. Die Fenster, daraus die Gloken tönen, sind wie Thore an Schönheit. Nemlich, weil noch der Natur nach sind die Thore, haben diese die Ähnlichkeit von Bäumen des Walds. Reinheit aber ist auch Schönheit. Innen aus Verschiedenem entsteht ein ernster Geist.
 
So sehr einfältig aber die Bilder, so sehr heilig sind die, daß man wirklich oft fürchtet, die zu beschreiben. Die Himmlischen aber, die immer gut sind, alles zumal, wie Reiche, haben diese, Tugend und Freude. Der Mensch darf das nachahmen. Darf, wenn lauter Mühe das Leben, ein Mensch aufschauen und sagen: so will ich auch seyn? Ja. So lange die Freundlichkeit noch am Herzen, die Reine, dauert, misset nicht unglüklich der Mensch sich mit der Gottheit. Ist unbekannt Gott? Ist er offenbar wie der Himmel? dieses glaub’ ich eher. Des Menschen Maas ist’s. Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnet der Mensch auf dieser Erde. Doch reiner ist nicht der Schatten der Nacht mit den Sternen, wenn ich so sagen könnte, als der Mensch, der heißet ein Bild der Gottheit.
 
Giebt es auf Erden ein Maaß? Es giebt keines. Nemlich es hemmen den Donnergang nie die Welten des Schöpfers. Auch eine Blume ist schön, weil sie blühet unter der Sonne. Es findet das Aug’ oft im Leben Wesen, die viel schöner noch zu nennen wären als die Blumen. O! ich weiß das wohl! Denn zu bluten an Gestalt und Herz, und ganz nicht mehr zu seyn, gefällt das Gott? Die Seele aber, wie ich glaube, muß rein bleiben, sonst reicht an das Mächtige auf Fittigen der Adler mit lobendem Gesange und der Stimme so vieler Vögel. Es ist die Wesenheit, die Gestalt ist’s. Du schönes Bächlein, du scheinest rührend, indem du rollest so klar, wie das Auge der Gottheit, durch die Milchstraße. Ich kenne dich wohl, aber Thränen quillen aus dem Auge. Ein heiteres Leben seh’ ich in den Gestalten mich umblühen der Schöpfung, weil ich es nicht unbillig vergleiche den einsamen Tauben auf dem Kirchhof. Das Lachen aber scheint mich zu grämen der Menschen, nemlich ich hab’ ein Herz. Möcht’ ich ein Komet seyn? Ich glaube. Denn sie haben die Schnelligkeit der Vögel; sie blühen an Feuer, und sind wie Kinder an Reinheit. Größeres zu wünschen, kann nicht des Menschen Natur sich vermessen. Der Tugend Heiterkeit verdient auch gelobt zu werden vom ernsten Geiste, der zwischen den drei Säulen wehet des Gartens. Eine schöne Jungfrau muß das Haupt umkränzen mit Myrthenblumen, weil sie einfach ist ihrem Wesen nach und ihrem Gefühl.
 
Myrthen aber giebt es in Griechenland.
 
Wenn einer in den Spiegel siehet, ein Mann, und siehet darinn sein Bild, wie abgemahlt; es gleicht dem Manne. Augen hat des Menschen Bild, hingegen Licht der Mond. Der König Oedipus hat ein Auge zuviel vieleicht. Die Leiden dieses Mannes, sie scheinen unbeschreiblich, unaussprechlich, unausdrücklich. Wenn das Schauspiel ein solches darstellt, kommt’s daher. Wie ist mir’s aber, gedenk’ ich deiner jetzt? Wie Bäche reißt das Ende von Etwas mich dahin, welches sich wie Asien ausdehnet. Natürlich dieses Leiden, das hat Oedipus. Natürlich ist’s darum. Hat auch Herkules gelitten? Wohl. Die Dioskuren in ihrer Freundschaft haben die nicht Leiden auch getragen? Nemlich wie Herkules mit Gott zu streiten, das ist Leiden. Und die Unsterblichkeit im Neide dieses Lebens, diese zu theilen, ist ein Leiden auch. Doch das ist auch ein Leiden, wenn mit Sommerfleken ist bedekt ein Mensch, mit manchen Fleken ganz überdekt zu seyn! Das thut die schöne Sonne: nemlich die ziehet alles auf. Die Jünglinge führt die Bahn sie mit Reizen ihrer Strahlen wie mit Rossen. Die Leiden scheinen so, die Oedipus getragen, als wie ein armer Mann klagt, daß ihm etwas fehle. Sohn Laios, armer Fremdling in Griechenland! Leben ist Tod, und Tod ist auch ein Leben.
1809
Nicht alle Tage nennt... Ernst Zimmer teilt die alkäische Strophe am 22. Dezember 1834 mit und setzt hinzu, er machte vor ein paar Jahren folgenden Vers auf ihn selbst. Wahrscheinlich scheute er sich, dem Adressaten, vmtl. Adolf Friedrich von Schack, die so lange zurückliegende, in der Nähe der ihm gewidmeten Ode einzuordnende alkäische Strophe mitzuteilen.
Nicht alle Tage nennet die schönsten der, Der sich zurüksehnt unter die Freuden wo Ihn Freunde liebten wo die Menschen Über dem Jüngling mit Gunst verweilten.
Um 1809. An Zimmern. Von einem Menschen sag ich…Von dessen Hand auf der Rückseite des früher entstandenen Was ist Gott.... Dieser Umstand spricht für eine relativ frühe Entstehung dieser und der folgenden, formal gleichen alkäischen Ode. Das Faktum der Abschrift zeigt an, daß wenistens in den ersten Jahren (in denen Hölderlin noch nicht zu Briefen an die Mutter bereit war) den vierteljährlichen Abrechnungen Proben der um jene Zeit entstandenen Gedichte beigelegt wurden. Die von Ernst Zimmer aufbewahrten Papiere wurden von Hölderlins Arzt Ferdinand Gmelin im Juni 1838 Eduard Mörike anvertraut. Erhalten blieb davon nur dieses Blatt und das gleichfalls im Brief an Hermann Kurz vom 26. Juni 1838 zitierte Freundschaft, Liebe Kirch...
An Zimmern.
Von einem Menschen sag ich, wenn der ist gut Und weise was bedarf er? Ist irgend eins Das einer Seele gnüget? ist ein Haben, ist Eine gereifteste Reb’ auf Erden
 
Gewachsen, die ihn nähre? Der Sinn ist deß Also. Ein Freund ist oft die Geliebte, viel Die Kunst. O Theurer, dir sag ich die Wahrheit. Dedalus Geist und des Walds ist deiner.
In ihrem lyrischeren Ton kontrastiert die,epigrammatische’ Ode Der Frühling der hier vorangestellten An Zimmern. Im Hinblick auf die noch fließendere Diktion der
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Umschlag: R·M·E / Roland Eschlbeck Alle Rechte vorbehalten.
eISBN : 978-3-641-01124-6
 
Leseprobe
 

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