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Sandor ist ein großer Abendsegler aus Transsilvanien. Eine sprechende Fledermaus mit einem Knick im linken Ohr. Ganz alleine wohnt Sandor in der hintersten Ecke des Klassenzimmers in einem alten Rollokasten. Genau unter ihm sitzt der Junge Jendrik. Er ist kein guter Schüler und wird oft von seinen Klassenkameraden gehänselt. Mit ihm freundet Sandor sich an. Gemeinsam lüften sie gleich ein großes Geheimnis. Ein Dieb hat bei der Burgruine eine glitzernde Truhe vergraben! Sandor und Jendrik finden den Schatz und erleben ein turbulentes Abenteuer!
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Seitenzahl: 58
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„Schon wieder!“, denkt Jendrik. „Wo kommt das bloß her, dieses seltsame Geräusch?“ Jendrik blickt suchend um sich, kann aber nichts entdecken.
Seine Klassenlehrerin Frau Schmidt ermahnt ihn streng: „Jendrik, hör bitte auf mit deinen Fingern zu schnalzen! Melde dich ordentlich, wenn du etwas weißt. Und wenn du nichts zu sagen hast, sei bitte still!“
„Ich war das nicht!“, verteidigt sich Jendrik. Frau Schmidt dreht sich einfach um und führt ihren Unterricht fort.
Jendrik sitzt in der hintersten Bank des Klassenzimmers. Sandor wohnt im alten Rollokasten genau über ihm.
Als Sandor diesen Platz als Schlafplatz aussuchte, wusste er nicht, was er hier noch alles erleben würde. Denn es waren gerade Schulferien. Deshalb war es tagsüber schön leise.
Doch auf einmal war es vorbei mit der Ruhe. Plötzlich klingelte es jeden Tag schon früh morgens und eine Horde quatschender und lauthals schreiender Kinder stürmte in die Schule.
Sofort wollte Sandor wieder ausziehen! Aber dann hörte er es zum allerersten Mal: Dieses ganz besondere, einzigartige und ergreifende Geräusch.
Das Quietschen von Kreide auf der Tafel. Dieses Geräusch geht Sandor durch Mark und Bein. Es kribbelt in seinem Bauch, es juckt in seinen Krallen und es kitzelt bis in seine Flügelspitzen.
So beschloss Sandor weiterhin in der Schule zu wohnen.
„Tss, tss. Klick-klick! Mit den Fingern schnalzen. Was sind das nur für komische Hände, mit denen man nicht fliegen, aber dafür schnalzen kann!“, wundert sich Sandor leise. Kopfüber lugt er durch seinen Spalt über das gesamte Klassenzimmer.
Sandor ist eine Fledermaus. Eine etwas seltsame, aber dafür ziemlich schlaue Fledermaus. Sandor kann lesen und rechnen, atemberaubende Flugkünste darbieten und wunderbare Geschichten erzählen.
Eigentlich will Sandor immer mucksmäuschenstill sein, damit ihn keiner bemerkt. Aber wenn er so döst, passiert es ihm manchmal von ganz allein, dass er seine langen Zähnchen fletscht und Geräusche macht. Die Lehrerin denkt dann jedes Mal, der arme Junge Jendrik würde mit seinen Fingern schnalzen.
Wie Sandor lesen und rechnen gelernt hat, ist ganz einfach zu erklären. Träumend im Halbschlaf oder beim Dösen. Ab und zu zwinkerte er durch seinen Spalt von oben hinunter. Mal mit dem rechten, mal mit dem linken Auge. Lange folgte er so dem Unterricht. Bis er den Lernstoff schließlich auswendig konnte. Da begann ihm die Schule richtig Spaß zu machen, und so schlief er lieber nachts, um am Tag alle im Klassenzimmer zu beobachten.
Von den Kindern mag Sandor Jendrik am liebsten, denn Jendrik kann am besten von allen an der Tafel quietschen. Und außerdem ist Jendrik sehr oft allein. Genau wie er.
„Heute üben wir wörtliche Rede!“, sagt Frau Schmidt. Sie geht durch die Reihen und verteilt ein Übungsblatt.
Jendrik hat keine Ahnung, was er schreiben soll. Immer wenn ein Lehrer ihn anspricht, beginnt Jendriks Herz laut zu pochen.
Sandor sieht sein dunkelblondes Haar von oben. Er beobachtet Jendrik. Er sieht sein leeres Übungsblatt und seine Federtasche, auf der eine Fledermaus abgebildet ist. Das gefällt Sandor.
„Anführungszeichen unten, auch Gänsefüßchen genannt. Hallo, hier bin ich! Ausrufezeichen. Gänsefüßchen oben! Das ist ein Satz in wörtlicher Rede!“, weiß Sandor.
Aber keiner fragt ihn. Niemand weiß von Sandor im Klassenzimmer.
„Los beeilt euch, wir sind total spät dran!“, ruft Jendriks Mutter Freyja wütend. Jendriks kleiner Bruder Tom wollte sich selbst heiße Milch machen, ließ sie aber anbrennen und verbrühte sich noch einen Finger.
Es ist schon wieder fünf Minuten vor acht, als Jendrik und Tom ins rostige Auto springen. „War ja klar, dass die Schrottkarre genau jetzt nicht anspringt“, motzt Jendrik.
Seine Mutter dreht den Schlüssel erneut. Der Motor stottert. Jendriks Mutter Freyja ist alleinerziehend, sein Papa wohnt weit weg in Norwegen. Er besitzt eine eigene Autowerkstatt.
„Sicher könnte er das Auto reparieren“, denkt Jendrik. „Bestimmt ist in Norwegen alles besser und ich hätte nicht die olle Frau Schmidt als Klassenlehrerin.“
Jendrik lehnt den Kopf traurig an die Fensterscheibe. Endlich springt der Motor an. Seine Mutter rast los. Die vertrauten Häuser ziehen vorbei. „Jetzt ist es eh zu spät!“, murmelt er.
Im Sausewind fährt seine Mutter den Hügel hinunter, biegt rechts ab und Knall-Bums, da ist es schon passiert. Sie fährt einem dicken Auto hinten drauf.
„Mist! Mist!“, stöhnt seine Mutter. Ein älterer Herr steigt aus. „Sind Sie wahnsinnig, haben Sie keine Augen im Kopf, hier ist Zone 30.“ Jendrik zieht die Augenbrauen hoch. „Auch das noch!“
„Nein, ich bestehe darauf, dass die Polizei kommt“, hört Jendrik den älteren Herrn draußen sagen. Er holt ein Handy aus der Jackentasche und tippt langsam.
Seine Mutter kommt zurück zum Auto und durchsucht hektisch das Handschuhfach. „Hey, habt ihr meine Brille gesehen? Schnell, ich muss doch beim Autofahren eine Brille tragen.“
Typisch. Sie hat ihre Brille vergessen. Freyja geht zu dem Audi-Fahrer. „Haben Sie zufällig eine Brille?“, fragt sie ihn nervös. Der ältere Herr schaut sie verwundert an. „Wofür brauchen Sie denn eine Brille?“ „Ich muss beim Fahren eine Brille tragen, wenn jetzt die Polizei kommt und ich trage keine, wird alles noch schlimmer.“
Der Mann schüttelt den Kopf. „Junge Frau, warum tragen Sie denn Ihre Brille nicht?“ Er holt eine sehr große, braune Hornbrille aus seinem Audi. „Bitteschön, aber ich will die später wiederhaben.“
Da kommt auch schon die Polizei. „Ihr Name!“, fragt einer der Polizisten. Jendriks Mutter antwortet brav: „Freyja Franke!“ Tom muss grinsen. „Mama sieht voll bescheuert mit der Opi-Brille aus“, flüstert er.
Seine Mutter ist kurzsichtig. Jetzt trägt sie aber eine Brille mit Gläsern für Weitsichtigkeit und ist während des Gesprächs mit der Polizei fast so blind wie ein Maulwurf.
Jendrik schämt sich manchmal für seine Mutter. „Du bist peinlich!“, sagt er dann und wünscht sich nichts sehnlicher, als eine ganz gewöhnliche, normale Mutter, die nicht immer so auffällt wie seine. Aber wenn er sich dann weiter überlegt, er müsste Freyja mit einer anderen Mutter tauschen, will er doch lieber seine Mutter behalten und keine andere.
Der Polizist hält Jendriks Mutter Formulare hin. „Wo soll ich denn unterschreiben?“, fragt sie unsicher. „Hier, hier und hier!“, antwortet der Polizist. Freyja dreht sich ein wenig zur Seite. Sie schiebt die Brille ganz nach vorne auf die Nasenspitze, lugt oben darüber und schaut lange auf das Papier, bis sie schließlich unterschreibt. Endlich dürfen sie weiterfahren.
Freyja flucht und Tom spielt mit seinem Plastikdrachen Draco. „Sind wir durch den Unfall jetzt ganz arm? Haben wir nun kein Geld mehr?“, fragt Tom besorgt.
Nein, eigentlich fragt nicht Tom, sondern sein Spielzeugdrache Draco. Tom hält ihn neben die Kopfstütze seiner Mutter, fuchtelt mit Draco hin und her und verstellt seine Stimme.
„Nimm Draco weg, lenk mich beim Fahren nicht ab. Wir waren schon vor dem blöden Unfall pleite. Was soll’s. Macht euch keine Sorgen.“