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Sammelband: Die ersten drei Fälle für Kommissar Steinböck und seine Katze Frau Merkel in einem Band. Saukatz: Was kommt dabei heraus, wenn eine schwarze Katze die Ermittlungen der Münchner Polizei durchkreuzt und dabei immer wieder die Kollegen an den Rand des Nervenzusammenbruchs treibt? Wenn ein strafversetzter Kommissar, eine eifrige Polizeianwärterin und ein urbayerischer Afroeuropäer im Rollstuhl gemeinsam einen Mordfall aufklären wollen? - Auf jeden Fall ein Mordsspaß. Ist Hauptkommissar Steinböck ein Fall für den Polizeipsychologen, oder schafft er es, alleine mit den nervigen und politisch unkorrekten Kommentaren der Katze klarzukommen? Teufelskatz: Die Ermordung eines ehemaligen Priesters durch einen Profikiller führt Kommissar Steinböck und seine Katze Frau Merkel direkt in die Niederungen der katholischen Kirche. Auf den Spuren des letzten Briefes eines Pfarrers versuchen Steinböck und sein Team, den jahrzehntealten Sumpf aus Mord und Vertuschung aufzuklären. Währenddessen wendet sich Frau Merkel der Kirche des fliegenden Spagettimonsters zu. Und wieder treibt die Katze Steinböck zur Verzweiflung und diesmal direkt in die Fänge des Polizeipsychologen. Glückskatz: Rache ist süß Das Ableben des zwielichtigen Abmahnanwaltes Hasso von Käskopf gleicht zwar einer Hinrichtung, löst in München aber Genugtuung aus. Ein weiterer mysteriöser Mord - und schon spricht man in der Stadt von einem Serienmörder, der Recht und Gesetz in die eigenen Hände nimmt. Viele Verdächtige erschweren Steinböck und seinem Team die Arbeit. Dann taucht plötzlich, zu Frau Merkels Missfallen, eine winkende Porzellankatze aus Japan mit einer geheimnisvollen Botschaft auf. Jetzt ist Steinböck wirklich gefordert.
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Seitenzahl: 779
Kaspar Panizza
Saukatz
Teufelskatz
Glückskatz
Katzenkrimis
Saukatz
Eben erst nach München versetzt, stolpert Hauptkommissar Steinböck schon über den ersten Toten. Zwei Männer aus dem Obdachlosen-Milieu werden ermordet aufgefunden – erschossen und vergiftet. Steinböck und sein in Eile aufgestelltes Team, eine eifrige Polizeianwärterin, ein urbayerischer Afroeuropäer im Rollstuhl und eine schwarze Katze, erweisen sich als unschlagbar. Die erste Spur führt zu Bepal Pharm, einem Münchner Pharmakonzern, der illegale Medikamentenversuche an obdachlosen Probanden durchführt. Im Zuge der Recherchen fallen den Ermittlern Belege über skandalöse Machenschaften bei früheren Pharmaversuchen in der DDR in die Hände. Sind die Mörder der beiden Obdachlosen tatsächlich im Umkreis von Bepal Pharm zu suchen? Welche Rolle spielt der Leiter der Versuchsabteilung? Ein verschwundenes Foto könnte den entscheidenden Hinweis liefern. Doch dann kommt alles ganz anders …
*
Teufelskatz
Der Mord an einem Expriester und der tödliche Unfall von dessen Mutter scheinen für Steinböck und sein Team schnell gelöst zu sein. Doch dann taucht der mysteriöse Abschiedsbrief eines sterbenden Pfarrers auf, der aus Gewissensbissen bereit ist, das Beichtgeheimnis zu brechen. Plötzlich ist nichts mehr so, wie es eben noch schien. Steinböck versucht, den jahrzehntealten Sumpf aus Mord und Vertuschung aufzuklären, doch einige Fragen geben dem Kommissar Rätsel auf. Wieso zum Teufel wird auf einmal der Erzbischof entführt? Als wäre das nicht schon genug, trifft er auch noch auf einen Polizeipsychologen, der seinen Platz sowohl vor als auch auf der Couch zu haben scheint, und die seltsame Gruppe der Pastafaris, Anhänger des fliegenden Spaghettimonsters. Und dann wäre da noch Kommissar Steinböcks Katze Frau Merkel, die die regelmäßigen gemeinsamen Fernsehabende nun lieber mit seiner Nudligkeit auf der Mülltonne hinter dem Haus verbringt. Nichts desto trotz löst er mit Hilfe von Ilona Hasleitner und Emil Mayer jr. auch diesen Fall.
*
Glückskatz
Der Mord an dem zwielichtigen Rechtsanwalt Hasso von Käskopf gleicht einer Hinrichtung. Dennoch stößt sein Ableben in München auf ein gehöriges Maß an Genugtuung und Zustimmung. Als Abmahnanwalt hatte Käskopf sich viele Feinde gemacht, mehr als für einen einzelnen Menschen zuträglich sind. Als ein weiterer Mord an einem dubiosen Schrotthändler verübt wird, spricht man in der Stadt von einem Serienmörder, der Recht und Gesetz in die eigenen Hände nimmt. Steinböck ermittelt fieberhaft. Aber auch privat herrscht Trubel um Steinböck. Die Hausgemeinschaft plant ein großes Fest, und Steinböck beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit der schönen Anna Maria, sehr zum Unmut von Frau Merkel. Logisch, dass sich die Katze kleine, aber gemeine Spitzfindigkeiten gegenüber dem Kommissar nicht verkneifen kann. Als dann noch ein mysteriöses Paket mit einer winkenden Glückskatze und einer geheimnisvollen Nachricht aus Japan eintrifft, ist es um Frau Merkels Zurückhaltung geschehen. Das Viech muss weg.
Kaspar Panizza wurde 1953 in München geboren. Den Autor, der aus einer Künstlerfamilie stammt, prägten Arbeiten seines Vaters, eines bekannten Kunstmalers, sowie die Bücher seines Urgroßonkels Oskar Panizza. Nach dem Pädagogik-Studium machte Panizza eine Ausbildung zum Fischwirt, erst später entdeckte er seine Liebe zur Keramik. Nach abgeschlossener Ausbildung mit Meisterprüfung arbeitete er zunächst als Geschirr-Keramiker und später als Keramik-Künstler im Allgäu. 2004 übersiedelte er nach Mallorca, wo er eine Galerie mit Werkstatt betrieb und zu schreiben begann. Seit 2009 lebt der Autor in Ribnitz-Damgarten an der Ostsee und betreibt dort zusammen mit seiner Ehefrau ein Keramik-Atelier.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Produktion: Mirjam Hecht
Covergestaltung: Susanne Lutz unter Verwendung eines Fotos von: © Dominik Domno
ISBN 978-3-7349-9472-2
Saukatz
Copyright der Originalausgabe © 2016 by Gmeiner-Verlag GmbH
Teufelskatz
Copyright der Originalausgabe © 2017 by Gmeiner-Verlag GmbH
Glückskatz
Copyright der Originalausgabe © 2019 by Gmeiner-Verlag GmbH
Saukatz
Teufelskatz
Glückskatz
Vielen Dank an meine liebe Freundin Bea Fischer, für ihre unermüdliche Unterstützung.
*
Für Lola, die immer durch meine Gedanken schlich und mich zu diesen Buch inspiriert hat.
Genervt nahm Steinböck die letzten Stufen.
Verdammt, dritter Stock ohne Lift, das muss dann schon eine Traumwohnung sein, dachte er und klingelte an der Wohnungstür. Es dauerte fast eine Minute, bis die Tür schwungvoll geöffnet wurde.
»Sie sind spät«, raunzte ihn eine aufgetakelte Wasserstoffblonde an, die die 50 schon deutlich überschritten hatte, und drückte ihm ein Blatt Papier in die Hand.
»Hier, füllen Sie das aus. Ich hoffe, Sie haben einen Stift dabei.«
»Sind Sie die Maklerin?«, fragte er irritiert.
»Natürlich, oder sehe ich wie die Lottofee aus?«, entgegnete sie schnippisch. Steinböck musterte sie noch einmal von oben bis unten.
»Nein, ganz bestimmt nicht. Aber haben wir uns nicht schon mal gesehen?«
»Und wo sollte das gewesen sein?«, fragte sie genervt.
»In der Trio Bar. Haben Sie da nicht vor Jahren an der Stange getanzt?«
»Das ist lange her«, sagte sie kleinlaut. »Füllen Sie jetzt das Formular aus, ich muss mich um die anderen kümmern.«
Sie drehte sich abrupt um und ging den Gang entlang.
»Zumindest die Figur erinnert noch an ihre besseren Zeiten«, murmelte er.
Er war auf Wohnungssuche. Man hatte ihn kurzfristig in die Stadt versetzt. Und das war sein erster Maklertermin. Jetzt wusste er, warum die neuen Kollegen so hämisch gegrinst hatten. In der Wohnung waren mindestens 30 Leute, von denen jeder auf seine Weise versuchte, das Formular auszufüllen. Glücklich diejenigen, die eine Zeitung oder Ähnliches als Unterlage dabei hatten. Die meisten jedoch drückten das Blatt gegen die Wand oder eine Fensterscheibe. Steinböck schob die Tür zum Bad weiter auf. Auf der zugeklappten Toilette saß bereits eine schwangere Frau, dafür war auf dem Badewannenrand noch ein Platz frei. Er setzte sich neben einen jungen Mann, der nur kurz aufsah, dann aber eifrig weiterschrieb. Steinböck suchte vergeblich nach seiner Lesebrille. Also hielt er den Zettel so weit von sich, bis er den Text einigermaßen lesen konnte. Die Schwangere grinste.
Leise vor sich hin murmelnd überflog er den Text.
»Verheiratet, ledig, Bankauskunft, polizeiliches Führungszeugnis, selbstständig – wenn nein, Führungszeugnis des Arbeitgebers. Sind Sie politisch aktiv? Betreiben Sie eine gefährliche Sportart? Wären Sie bereit, einen Teil des Mietzinses im Voraus zu zahlen? Wenn ja, drei Monate, sechs Monate oder zwölf Monate.« Steinböck begann laut zu fluchen. »Was soll die verdammte Scheiße?« Seine Stimme wurde immer lauter.
»›Betreiben Sie eine gefährliche Sportart?‹ Haben die Angst, dass ich mir beim Kegeln das Kreuz breche und dann meinen Rollstuhl im Treppenhaus parke?«
»Genau das«, flüsterte der junge Mann. »Sie machen das heute wohl zum ersten Mal.«
»Was heißt zum ersten Mal!«, fuhr Steinböck ihn laut an. »Ich habe in meinem Leben schon zig Wohnungen gemietet, und noch nie hat mir jemand so eine gequirlte Scheiße untergejubelt.«
Wütend hob er das Blatt Papier hoch, zerknüllte es und warf es hinter sich in die Badewanne. Der junge Mann wich verängstigt zurück. Steinböck blickte ihn verwundert an. Dann grinste er.
»Schon gut, Kleiner, war nicht so gemeint. Viel Glück bei der Wohnungssuche.« Dann stand er auf und nickte der Schwangeren zu, die vor Schreck schon einmal probeweise eine Wehe abgeatmet hatte. Er machte sich auf den Weg zur Ausgangstür, wobei er ein junges Pärchen unsanft zur Seite drückte. Die Wasserstoffblonde, die offensichtlich auf Steinböcks kleinen Wutanfall aufmerksam geworden war, folgte ihm rasch und erwischte ihn gerade noch, bevor er die Wohnung verlassen konnte.
»Gibt es Probleme?«
»Und ob«, dabei deutete er auf die Zettel in ihrer Hand.
»Ist nicht meine Idee«, sagte sie. »Die Macht des Vermieters. Haben Sie eine Visitenkarte für mich? Ich ruf’ Sie an, wenn ich etwas Passendes für Sie habe.«
»Wieso gerade mich?«, fragte er, wobei er ihr eine seiner Karten gab.
»Damals, als ich an der Stange tanzte, die Razzia. Sie haben mich da rausgehalten. Leila vergisst nie. Ich melde mich, sobald ich etwas habe, Kommissar Steinböck.«
Dann schloss sie energisch die Tür hinter ihm.
Obwohl Steinböck sich rühmte, ein gutes Gedächtnis zu haben, konnte er sich partout nicht an diese Razzia erinnern. Na ja, eigentlich hatte er nur ein gutes Gedächtnis für Gesichter, und außerdem war die Sache fast 30 Jahre her. Damals arbeitete er noch bei der Sitte. Irgendwann hatte er sich für die Stelle bei der Mordkommission in Starnberg beworben, und da säße er heute noch, wenn, ja wenn da nicht diese Sache mit dem Minister gewesen wäre. Er hatte wirklich geglaubt, Recht setze sich gegen Politik durch. Ein Irrtum, wie er feststellte. Man hatte ihn einfach weggelobt, ihn befördert und zurück in die Hauptstadt versetzt. Ein klarer Aufstieg bei besserem Gehalt und Aussicht auf baldige Pensionierung. Er war gerade 50, und bei Gott, so schnell würden die ihn nicht loswerden. Zusätzlich war er eine imposante Erscheinung. Er war 185 Zentimeter groß, wog um die 100 Kilo und tat sich schwer, seinen Bauch zu verbergen. Die Haare, die ihm auf dem Kopf fehlten, glich er durch einen grau melierten Dreitagebart aus.
Im neuen Revier hatten sie ihm bisher noch keinen Fall übergeben, und außerdem war sein neuer Partner noch in der Kur.
Er solle sich doch erst mal akklimatisieren, meinte sein Vorgesetzter. Wenn er überlegte, dass er den Burschen vor 20 Jahren ausgebildet hatte. Aber Steinböck hatte sich vorgenommen, sich nicht ärgern zu lassen.
Als er endlich das Ende der Treppe erreichte und auf die Herzogstraße hinaustrat, lehnte er sich erst mal gegen die warme Hauswand und blinzelte in die Sonne. Schließlich griff er in die Brusttasche seines Tweedsakkos, holte ein Päckchen Schwarzer Krauser heraus und drehte sich geschickt eine Zigarette. Er registrierte, dass es hier einige Kneipen in unmittelbarer Nähe gab.
Tacco, Latino-Café, nicht schlecht, dachte er. Aber das wird wohl nichts werden, stellte er frustriert fest. Dann schlenderte er langsam die Straße entlang. An der nächsten Straßenecke zur Fallmerayerstraße wurde er vom Blaulicht mehrerer Einsatzwagen aufgeschreckt. Steinböck näherte sich dem rot-weißen Absperrband, das den Zugang zum Innenhof verwehrte, und als er gewohnheitsmäßig darunter durchschlüpfte, wurde er von einem Polizisten in Uniform aufgehalten.
»Passt schon, Karl, das ist der neue Oberkommissar von der Mordkommission«, sagte eine junge Kollegin, die er flüchtig aus dem Büro kannte. Steinböck ging auf sie zu und blickte kurz auf ihr Namensschild.
»Hallo, Hasleitner! Was ist passiert?«
Der ältere Kollege drängte sich dazwischen und antwortete für sie.
»Schaut nach Mord aus. Ein Mann. Erschossen. Sag mal, so schnell war ja von der Mordkommission noch nie einer am Tatort.« Steinböck zuckte grinsend mit den Achseln.
»Das Haus da im Hof?«, fragte er dann.
»Ja, im Parterre.«
Er stieg die drei Stufen zur Eingangstür hinauf und ging auf die geöffnete Wohnungstür zu, wo ein weiterer Uniformierter stand. Er zeigte kurz seinen Ausweis, dann trat er ein. Eine helle Wohnung mit hohen Decken, vermutlich Ende der 60er Jahre gebaut. Die Einrichtung war ein Mix aus allen erdenklichen Stilrichtungen, aber von guter Qualität. Die Leute von der Spurensicherung waren bereits da. Einer von ihnen arbeitete an der Balkontür, die offensichtlich aufgebrochen worden war. Der andere saß auf einem Stuhl vor der Wohnzimmertür und versuchte sich fluchend eine Mullbinde um seine blutende Hand zu wickeln.
»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Steinböck.
Der Mann im weißen Overall deutete mit dem Daumen der gesunden Hand über seine Schulter.
»Bitte, die Leiche gehört dir. Oskar Hacker. Vermutlich erschossen. Aber ich würde vorsichtig sein, wenn ich du wäre.« Schließlich wandte er sich wieder seiner Mullbinde zu, die er weiterhin ungeschickt um seine Hand wickelte. Steinböck griff sich ein paar Plastiksocken und zog sie sich über die Schuhe. Dann betrat er den Raum. Er hatte in seinem Leben schon viele Leichen gesehen, meistens war es ein recht widerlicher Anblick. Aber dieses Mal musste er lächeln. Der tote Mann lag auf dem Rücken, Hände und Beine weit von sich gestreckt. Ein bisschen wie ein Hampelmann. Aber dies allein hätte ihn nicht zum Schmunzeln gebracht, säße da nicht diese große schwarze Katze auf der Brust des Toten, die Steinböck mit ihren gelben Augen anstarrte. Noch einmal ging er zu dem Mann von der SpuSi und deutete auf dessen Hand.
»War das die Katze?«, fragte er interessiert.
»Sei bloß vorsichtig, die Saukatz ist unberechenbar. Der Hundefänger ist in einer halben Stunde da.«
»Du hast den Hundefänger angefordert wegen einer Katze?«, fragte Steinböck verblüfft.
»Du glaubst gar nicht, zu was dieses Biest fähig ist. Ich freu mich schon auf die Vorstellung«, sagte er hämisch und erhob sich, um dem Kommissar zu folgen.
*
»Eindeutig macht der Mann im Tweedsakko einen kompetenteren Eindruck als dieser Hänfling in seinem weißen Schlafanzug. Es wird auch Zeit, dass ich hier runterkomme. Keine schöne Sache, wenn du auf der Brust deines toten Mitbewohners sitzt. Und dann dieses hässliche Loch in der Stirn. Nicht dass ich jetzt sentimental werde, aber ich mochte Oskar wirklich. Schließlich hat er mich mit der Flasche großgezogen. Sicherlich wäre ich auch ohne ihn zurechtgekommen. Auch wenn er immer wieder allen erzählte, wie er mich in dieser Nacht während des schrecklichen Unwetters gefunden hatte. Ohne Mutter, noch blind und mit Nabelschnur. Vermutlich maßlos übertrieben. Wie ich schon sagte, ich hätte es bestimmt auch alleine geschafft. Als mallorquinische Wildkatze. Man möchte sich ja nicht mit irgend so einem dahergelaufenen tibetischen Zimmerpupser vergleichen lassen. Womöglich auch noch mit Stammbaum. Bei Gott, jegliche Art von Rassismus liegt mir fern. Aber man spürt doch, wenn man etwas Besonderes ist. Gerade als Migrant. Ich hatte ja auch keine Wahl. Oskar hat mich einfach in einen Käfig gesperrt und mich dann in den Flieger gesetzt. Gut, die Mäuse sind in Deutschland fetter. Aber das Wetter! Verdammt, nur ein bisschen Sonne und alles, was zwei oder vier Beine hat, eilt nach draußen. Und das zum Teil im einstelligen Temperaturbereich. Aber was soll man auch von einem Volk erwarten, deren Stammesmitglieder Wurstmasse in Katzendarm pressen und sie dann mit süßem Senf essen. Zumindest zeigt der Neue etwas Respekt. Hoffentlich versteht er auch sein Fach. Irgendjemand hat Oskar getötet, und ich habe keine Ahnung, wer. Und dieser seltsame Geruch aus seinem Mund.«
In diesem Moment griffen kräftige Hände nach ihr und hoben sie hoch. Widerstandslos ließ sich die Katze von Steinböck auf den Arm nehmen. Mit dem Kopf stupste sie gegen seinen Dreitagebart und begann laut zu schnurren.
»Das kann doch nicht wahr sein«, keifte der Mann von der SpuSi und hob seine eingewickelte Hand der Katze vors Gesicht. Sekunden später hing sie mit ihren Krallen in der Mullbinde, und mit ihrem Fauchen gab sie ihm eindeutig zu verstehen: »Du nicht, Hänfling.« Der Kommissar hakte vorsichtig die Pfote aus dem Verband und stellte bewundernd fest, dass die Krallen es wieder bis zur Haut geschafft hatten.
»Oh diese verdammte Saukatz, ich bring sie um.«
»Jetzt mal langsam, eine Leiche reicht im Moment«, sagte Steinböck grinsend.
»Wie meinst du das?«, giftete er zurück.
»Ganz ruhig, Brauner, da kommt der Gerichtsmediziner. Lass dir von ihm deine Hand verbinden und dann sag dem Hundefänger ab, sonst machst du dich zum Gespött des gesamten Reviers.« Dann wandte er sich ab und schlurfte, die Katze immer noch auf dem Arm, zurück zur Leiche. Steinböck ging in die Hocke und betrachtete den Toten genauer.
»Einschuss mitten auf der Stirn, erstaunlich wenig Blut. Die Kugel ist offenbar nicht wieder ausgetreten. Keine Kampfspuren«, murmelte er vor sich hin. Dann beugte er sich nach vorne und roch am Mund des Toten.
»Seltsamer Geruch!«
»Sprichst du mit der Katze?«, fragte eine Stimme hinter ihm.
Steinböck richtete sich auf und grinste Thomas Klessel an.
»Das ist normal in meinem Alter.«
Klessel fuhr der Katze über den Kopf und kraulte sie hinter den Ohren.
»Sie hat Staller so zugerichtet?«, fragte er lachend und deutete dabei mit dem Kopf nach hinten.
»Ist es denn so schlimm?«
»Wie ich Staller kenne, lässt der sich zwei Wochen krankschreiben.«
»Mensch, Thomas, schön, dich zu sehen. Du bist bisher der einzige Lichtblick in diesem Haufen.«
»Du hast dich ja in der letzten Zeit in den höheren Etagen nicht besonders beliebt gemacht.«
»Ich habe nur versucht, meinen Job zu machen.«
»Und bist dabei den falschen Leuten auf die Füße getreten.«
»Das passiert eben, wenn die auf zu großem Fuß leben«, sagte Steinböck verbittert.
»Okay, dann überlass mir mal den Toten. Irgendetwas, worauf ich achten soll?«
»Er riecht so komisch aus dem Mund. Vielleicht kannst du das überprüfen.«
Klessel schaute ihn verblüfft an.
»Wie bist du denn darauf gekommen?«
»Keine Ahnung, es war einfach so eine Idee.«
In diesem Moment klingelte Steinböcks Handy. Es war der Dezernatsleiter. Er setzte die Katze auf den Boden und drückte das Handy ans Ohr.
»Hallo, Steinböck. Hasleitner hat mir gerade berichtet, dass Sie schon am Tatort sind. Ich dachte, Sie besichtigen eine Wohnung.«
»Die liegt nahe beim Tatort. Reiner Zufall, dass ich hier bin.«
»Gut, können Sie den Fall gleich übernehmen?«
»Kein Problem, bin schon dabei.«
»Aber ich kann Ihnen im Moment niemanden zur Unterstützung schicken.«
»Was ist mit Hasleitner?«
»Na ja, eigentlich ist die noch ein bisschen jung und steckt mitten in den Prüfungen.«
»Komm schon«, knurrte der Kommissar. »Sie ist ehrgeizig. Ich hab schon andere ausgebildet, und die haben’s sogar zum Dezernatsleiter gebracht. Ein paar Befragungen bei den Nachbarn sind doch kein Problem für das Mädchen.«
Steinböck glaubte zu hören, wie sein Gegenüber mit den Zähnen knirschte.
»In Ordnung, ich ruf Hasleitner an. Sie soll sich bei Ihnen melden.«
Er klappte sein Handy zu und beschloss, sich mit den noch unverletzten Kollegen von der SpuSi zu unterhalten.
Immer, wenn er die Jungs in ihren weißen Ganzkörperkondomen sah, musste er an Woody Allen denken, wie er in dem Film ›Was Sie schon immer über Sex wissen wollten‹ als Sperma verkleidet durch einen überdimensionalen Eileiter lief.
»Was ist mit der Balkontür? Wurde sie aufgebrochen?«
»Schwer zu sagen. Aber ich vermute, die Beschädigung hier ist schon älter. Wahrscheinlich war die Tür offen.«
»Und was ist das da?«, fragte er, wobei er auf ein Teil am unteren Rand der Tür deutete.
»Das ist eine Katzenklappe. Die ist zwar auf Durchgang gestellt, aber ich glaube nicht, dass der Mörder da durchgekommen ist«, antwortete er grinsend. Steinböck ignorierte den leicht spöttischen Tonfall und fragte nach:
»Wer hat die Leiche entdeckt?«
»Die Nachbarin, sie hat einen Schlüssel.«
Der Kommissar wandte sich ab, und der Mann im Ganzkörperkondom fuhr fort, mit seinem Pinsel die Scheibe zu bearbeiten.
*
Auf dem Gang kam Steinböck die junge Hasleitner entgegen.
»Der Chef hat mich angerufen. Ich soll Ihnen bei den Ermittlungen helfen. War des Ihre Idee?«
»Ja warum, passt Ihnen das nicht?«
»Doch, ganz im Gegenteil. Aber normalerweise sind mir für die Zivilen doch lauter Deppen.«
»Passen S’ auf, Hasleitner, im Haus leben sechs Parteien. Ich gehe jetzt zu der Nachbarin, die den Toten entdeckt hat, und Sie befragen die anderen, ob irgendjemand was bemerkt hat.«
»In Ordnung, Kommissar, bin scho unterwegs«, sagte die junge Polizistin sichtlich stolz und machte sich auf den Weg ins Treppenhaus. Steinböck blickte ihr skeptisch nach. Das Mädel war clever und ehrgeizig, aber sie war eindeutig zu fett. Sie musste aufpassen, dass sie nicht gemobbt würde. Schließlich ging er den Gang entlang und blieb vor einer Tür stehen. ›Maxi Müller‹, stand da auf einem Messingschild. Als er den Klingelknopf drückte, glaubte er seinen Ohren nicht zu trauen. Da erklang doch tatsächlich die Mundharmonika aus ›Spiel mir das Lied vom Tod‹. Gleichzeitig spürte er etwas an seinen Beinen. Erschrocken blickte er nach unten und entdeckte die Katze, die schnurrend ihren Kopf an seiner Hose rieb. Er hob sie hoch.
»Schade, dass du mir nichts erzählen kannst. Wahrscheinlich hast du den Mörder sogar gesehen.« In diesem Moment öffnete sich die Tür, und da stand sie vor ihm. Circa 50 Jahre alt mit feuerroten Haaren, die wild nach oben gekämmt waren. Steinböck wusste nicht, ob sie ihn mehr an den Kabarettisten Urban Priol oder an den Pumuckl erinnerte. Für einen kleinen Moment verschlug es ihm die Sprache, dann brummte er:
»Grüß Gott, mein Name ist Steinböck. Ich bin von der Mordkommission. Ich hätte da ein paar Fragen an Sie.«
Maxi Müller sah ihn mit einem umwerfenden Lächeln an und deutete mit dem Finger auf die Katze.
»Und das ist dann wohl Frau Merkel?«
»Steinböck, mein Name ist Steinböck«, wiederholte er. Er hatte die Anspielung auf Peer Steinbrück wohl verstanden.
»Entschuldigung, die Musik ist so laut«, sagte sie lachend und richtete die Fernbedienung, die sie in der Hand hielt, über ihre Schulter nach hinten. Schlagartig verstummte Mick Jagger, und mit ihm die Stones.
»Also doch nicht Frau Merkel«, sagte sie grinsend.
»Keine Ahnung«, erwiderte er schmunzelnd. »Ich hab’ die Katze eben erst kennengelernt.«
»Kommen Sie rein«, sagte sie, drehte sich um und ging in die Wohnung. Der Kommissar folgte ihr, und erst jetzt fiel ihm auf, dass sie ein grünes hautenges Kleid aus glänzendem Satin trug. Als er das Wohnzimmer betrat, erblickte er an der gegenüberliegenden Wand ein überlebensgroßes Poster des jungen Bob Dylan. Trotz des geöffneten Fensters lag der süße Duft von Marihuana in der Luft.
»Möchten Sie eine Tasse Tee?«, fragte Maxi Müller.
»Gerne«, antwortete Steinböck.
»Ich glaub, die Kekse sind nichts für Sie«, sagte sie grinsend und stellte sie auf dem Sideboard ab.
»Was ist, wollen Sie die Katze nicht mehr loslassen?«
Der Kommissar setzte sie auf den Boden und griff nach der Tasse Tee.
»Wie heißt sie?«, fragte er.
»Wer, die Katze? Sie hatte keinen Namen. Oskar nannte sie nur Katze.«
»Kannten Sie ihn gut?«
»Natürlich, wir waren Nachbarn. Außerdem saßen wir des Öfteren abends zusammen.«
»Was hat Oskar Hacker gemacht?«
»Er war Schriftsteller. Nicht besonders erfolgreich. Sein erstes Buch war ein ziemlicher Reinfall. Aber sein neuestes sollte ein Knüller werden.«
»Worum ging es in diesem Buch?«
»Ich habe keine Ahnung. Er hat immer ein großes Geheimnis daraus gemacht.«
»Hatte er Feinde?«
»Oskar? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Er war eine Seele von Mensch«, sagte sie und lächelte verklärt.
»Hatte er öfters Besuch? Irgendjemand, der Ihnen aufgefallen ist?«
»Nein, es gab da niemanden. Bis auf diesen Mann, mit dem er regelmäßig Schach spielte. Oskar hatte mir von ihm erzählt, aber ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen.«
»War er vermögend? Hatte er größere Wertgegenstände in der Wohnung?«
Sie lachte laut und schenkte Steinböck Tee nach.
»Oskar Hacker war notorisch pleite. Er schuldet mir die Miete von drei Monaten.«
»Also dann gehört Ihnen die Wohnung gegenüber.«
»Mir gehört das ganze Haus und noch ein paar andere mehr. Aber ich glaube nicht, dass das so wichtig für Ihre Ermittlungen ist.«
»Warum waren Sie heute Morgen in Hackers Wohnung?«
»Wir wollten zusammen frühstücken. Als er nicht kam, bin ich rübergegangen. Ich habe einen Schlüssel. Und da fand ich ihn.«
»Saß die Katze da auch schon auf seiner Brust?«
»Die Katze saß auf seiner Brust?«, fragte sie erstaunt. »Nein, das Mistvieh war nicht da.«
»Sie mögen sie nicht?«
»Sie ist mir unheimlich. Manchmal spricht sie mit mir.«
»Sie spricht mit Ihnen?«, fragte Steinböck verblüfft.
»Na ja, ich bilde mir ein, sie spricht mit mir.«
Der Kommissar warf einen Blick auf die Kekse. Dann erhob er sich und ging zur Tür.
»Vielen Dank. Ich glaube, das wär’s für den Moment.«
Maxi Müller folgte ihm.
»Es war mir ein Vergnügen, Herr Kommissar. Sie sind immer willkommen«, sagte sie lachend.
In der Tür drehte sich Steinböck plötzlich um.
»Sie haben nicht zufällig eine freie Wohnung für mich?«
»Natürlich, Sie können Oskar Hackers Wohnung haben.«
»Klingt gut. Es wird wohl noch eine Zeit dauern, bis Hackers Erben die Wohnung ausgeräumt haben. Aber egal, ich kann auch noch ein paar Wochen länger in der Pension wohnen.«
»Oskar hat keine Erben, und die Wohnung wird möbliert vermietet. Er kam mit einem Koffer und einem Karton, und ich glaube, mehr wird auch jetzt nicht zusammenkommen. Es liegt also nur an der Polizei, wie schnell die Wohnung frei wird.«
Das ging jetzt auch für Steinböck etwas zu schnell. Krampfhaft überlegte er, was er sagen sollte.
»Da wär noch eine Kleinigkeit. Wie hoch ist die Miete?«
»Kommen Sie heute Nachmittag noch einmal vorbei und überlegen Sie sich bis dahin, wie viel Sie zahlen möchten.«
Der Kommissar schluckte.
»Gut, gegen fünf Uhr.«
»Ach übrigens unter einer Bedingung. Sie übernehmen nicht nur die Möbel, sondern auch die Katze.«
Steinböck blickte an seinem Hosenbein hinunter, an dem sich die Katze wieder rieb.
»Sie wissen ja, ich mag die Katze nicht. Sie redet zu viel. Und Oskar hätte von mir erwartet, dass ich mich um sie kümmere.«
Der Kommissar bückte sich, nahm die Katze auf den Arm und warf noch einmal einen Blick auf den Keksteller, der immer noch auf dem Sideboard stand. Dann seufzte er tief.
»Also dann bis fünf Uhr.«
Nachdem Hasleitner offensichtlich noch mit den Befragungen beschäftigt war, beschloss Steinböck, zurück ins Büro zu fahren. Vor dem Haus traf er den überlebenden Kollegen von der SpuSi, der gerade seine Ausrüstung im Auto verstaute.
»Habt ihr einen Laptop oder Computer gefunden?«, fragte ihn Steinböck.
»Weder noch, die ganze Wohnung ist bis auf ein paar Klamotten und zwei Dutzend Bücher leer.«
Der Kommissar verabschiedete sich und machte sich auf den Weg zur nächsten Trambahn-Haltestelle. Er mochte es nicht besonders, mit U- oder S-Bahn zu fahren. Steinböck zog es vor, über der Erde zu bleiben. Diese anonyme Menge von Menschen, die sich wie ein Wurm durch unterirdische Gänge und über endlose Rolltreppen durch die verschiedenen Etagen schlängelte, machte ihm Angst. Irgendetwas veranlasste ihn dazu, sich noch einmal umzudrehen. Aber da war nichts. Nur die Katze saß auf der Mauer und blickte ihm nach.
*
Als Steinböck schließlich gegen ein Uhr das Revier erreichte, waren die meisten Kollegen in der Mittagspause.
Man hatte ihm ein geräumiges Büro am Ende des Gangs überlassen, dessen einziges Fenster einen Blick über die Dächer der Stadt und auf die Frauenkirche zuließ. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und schaltete den PC an. In diesem Moment klopfte es. Die Tür öffnete sich, und Hasleitner steckte den Kopf herein.
»Derf ich reinkommen?«, fragte sie.
»Klar, wir sind doch jetzt Kollegen«, antwortete Steinböck mürrisch.
»Ich kann auch später noch mal kommen«, sagte sie schüchtern.
»Schmarrn, jetzt komm schon rein. Was hast du rausbekommen?«
Er deutete auf den Stuhl in der Ecke.
»Ich steh lieber. Also das Pärchen aus dem ersten Stock ist im Urlaub in den USA. Ihr Nachbar, ein Student aus Kenia, ist gerade in seiner Heimat. Im zweiten Stock leben der Onkel und die Tante der Besitzerin Maxi Müller, beide um die 70. Gegenüber in der kleinen Wohnung eine junge Rumänin, die sich um die beiden kümmert und nebenbei noch putzen geht. Also kurz gesagt, außer den beiden Alten war niemand zu Hause. Sie kannten Oskar Hacker gut, aber sie haben nichts bemerkt. Ich hab auch schon alle am Computer überprüft.«
Steinböck musterte sie. Sie hatte halblange blonde Haare und ein ausgesprochen hübsches Gesicht. Aber sie war mindestens 30 Kilogramm zu schwer.
»Also Hasleitner, hast du auch einen Vornamen?«
»Ich heiß Ilona«, sagte sie etwas verlegen.
»Gut, du nennst mich entweder Steinböck oder Chef. Und ansonsten kannst du mich duzen.«
»Jawohl, Herr Steinböck.«
»Lass den blöden Herrn weg, und jetzt erzähl mir, was du bei der Personenüberprüfung herausbekommen hast.«
»Also zuerst mal zum Opfer«, dabei durchsuchte sie den Stapel Blätter, den sie in der Hand hielt.
»Stopp, stopp. Wann hast du das alles recherchiert?«, fragte Steinböck entnervt.
»Na ja, als ich mit der Befragung fertig war, bin ich gleich ins Revier gefahren und hab’ die Namen durchlaufen lassen.«
Steinböck schüttelte den Kopf und sagte: »Also gut, Ilona, fang mit Oskar Hacker an.«
»Das Opfer ist am 8. Juli 1968 in Herrsching geboren. Gymnasium und Abitur in Weilheim. Zivildienst und anschließend Studium der Germanistik in München. Nachdem die Mauer aufg’macht hot, is er für zwoa Jahr nach Berlin ganga.«
»Halt, Ilona, du kannst gern deinen Dialekt sprechen, aber wenn du einen Bericht abgibst, dann versuchst du bitte, hochdeutsch zu reden.« Die junge Frau schluckte verlegen, dann fuhr sie etwas gestelzt, aber gut verständlich fort.
»Dann verliert sich seine Spur. Vermutlich war er im Ausland. 2005 hat er bei der deutschen Botschaft in Marokko seinen Pass verlängern lassen. Später hat er vermutlich auf Mallorca gelebt. 2011 veröffentlichte er bei einem kleinen Verlag in Berlin seinen ersten Roman, »Die Tränen der Sklaven«.Ich hab bei Amazon mal kurz die Inhaltsangabe gelesen. Es handelt sich um zwoa, Entschuldigung, um zwei marokkanische Brüder, die hier in Deutschland ums Leben gekommen sind.«
Steinböck überlegte krampfhaft, wie viel Zeit er bei Maxi Müller und in der Trambahn verbracht hatte. Diese junge Frau verblüffte ihn immer mehr.
»Weiter«, flüsterte er heiser.
»Seit dem Erscheinen dieses Buches ist er hier in München gemeldet. Wovon er lebt, ist unklar. Sein Konto ist hoffnungslos überzogen, und mit vereinzelten Einzahlungen hält er es bei um die 5.000 Miesen.«
Dann berichtete sie über die anderen Bewohner des Hauses, die aber alle unauffällig waren.
»Und jetzt zum Schluss: Maxi Müller. Sie ist die Besitzerin des Hauses und noch von drei anderen hier in München, die aber um einiges größer sind. Sie ist 52 Jahre und hat hier eine ganze Latte von Anzeigen.« Dabei tippte sie mit dem Finger auf das Blatt Papier.
Steinböck blickte verdutzt auf.
»Zeig mal her«, sagte er und griff nach dem Zettel.
Er begann zu grinsen. Sechs Anzeigen wegen Landfriedensbruch. Hatte sich bei Demos angekettet und wegtragen lassen. Dreimal wegen Beamtenbeleidigung. Und dreimal wegen Drogenbesitzes. Dafür hatte sie auch eine sechswöchige Haftstrafe absitzen müssen.
»Mann oh Mann, einmal drei Gramm Marihuana, einmal 2,3 Gramm; und beim dritten Mal waren es nur 0,8 und ein abgeernteter Stängel mit fast drei Gramm. Ein Hoch auf die bayerische Polizei«, sagte er sarkastisch.
»Aber Chef, Beamtenbeleidigung und Landfriedensbruch, des sind doch keine Bagatelldelikte. Vor allem so oft.«
»Grad, weil’s so oft war, zeigt, dass die Frau Charakter hat.«
»Des versteh ich jetzt nicht.«
»Macht nichts«, sagte der Kommissar. »Verbuchen S’ das unter Altersweisheit.«
»Aber Chef, jetzt hast mich wieder gesiezt.«
»Ist schon gut. Du gehst jetzt zum Hausmeister und lässt noch einen Schreibtisch hier reinstellen, und dann sollen die von der Technik dir einen Computer anschließen.«
»Für mich?«, fragte sie verdattert.
»Klar, wir sind doch jetzt Partner.«
*
Gegen zwei Uhr kam Ilona Hasleitner mit dem Techniker im Schlepptau ins Büro.
»So, ihr wollts also an zweiten Anschluss«, sagte dieser. »Des macht aber jetzt Krach.«
»Schon gut«, sagte Steinböck, »ich geh ja schon.«
Er erhob sich, griff nach seinem Sakko und ging zur Tür. Dort blieb er kurz stehen.
»Wie schauts aus, Ilona, hast du heute schon Mittag gemacht?«
»Na, dazu hab ich keine Zeit gehabt.«
»Komm mit, ich lad dich ein, sozusagen zum Einstand.«
»Aber ich kann doch jetzt nicht weg.«
»Geh nur zu«, sagte der Techniker lachend. »Ich bin die letzten 20 Jahre auch ohne dich ausgekommen.«
Verlegen folgte die junge Polizistin ihrem Chef.
In der Pizzeria zwei Straßen weiter fanden sie einen leeren Tisch im Biergarten. Der Ober brachte zwei Karten und nahm die Getränke auf.
»Hast richtig Hunger?«, fragte Steinböck.
»Ich hab immer Hunger, sieht man des nicht?«, antwortete Ilona und machte dabei einen eher unglücklichen Eindruck.
»Gut, was hältst davon, wenn wir beide jetzt einen großen Salatteller mit Putenstreifen essen und dazu ein Pizzabrot?«
»Das hört sich gut an«, antwortete sie lachend.
»Chef, was ist eigentlich mit dieser Maxi Müller? Die hat doch auch kein Alibi, und einen Schlüssel zur Wohnung hat sie auch.«
Steinböck überlegte kurz, dann sagte er: »Aber zu jedem Mord brauchst du auch ein Motiv. Und bei ihr seh ich im Moment keines.«
»Genau, und wenn einer bei mir Mietschulden hätt, dann bring ich ihn nicht um, sondern ich hoffe, dass er irgendwann mal zahlen kann«, sagte sie nachdenklich und nahm einen Schluck von dem Mineralwasser, das der Ober inzwischen gebracht hatte.
»Somit gibt’s bis jetzt noch kein Motiv.«
»Das würd’ ich nicht sagen. Maxi Müller hat mir erzählt, dass Hacker an einem neuen Buch geschrieben hat, das ein absoluter Knüller werden könnte. Aber worum es ging, hat er geheim gehalten. Und wie schreibt man heutzutage ein Buch?«, fragte Steinböck.
»Also bestimmt nicht mit der Hand. Entweder auf einem Computer oder eher noch auf einem Laptop. Haben wir aber beides nicht gefunden. Vermutest du, dass ihn der Mörder mitgenommen hat?«
»Richtig. Wir schließen Maxi Müller für den Moment aus. Also müssen wir rausfinden, was Oskar Hacker so den ganzen Tag getrieben hat, und über was er geschrieben hat. Wenn wir mit dem Essen fertig sind, gehst du zurück an deinen Computer und schaust, ob du noch irgendetwas recherchieren kannst.«
»Und was machst du, Chef? … Tut mir leid, des geht mich eigentlich nix an.«
»Ich hab einen Besichtigungstermin für eine Wohnung. Ach noch was, der Tatortreiniger soll sich heut noch um die Wohnung vom Hacker kümmern.« In diesem Moment brachte der Ober das Essen, und für Steinböck war die Unterhaltung beendet.
*
Als Steinböck am späten Nachmittag zum Tatort zurückkam, stand der alte VW-Bus des Tatortreinigers mit eingeschalteter Warnblinkanlage in der Einfahrt zum Hof. Der Kommissar stieg die drei Stufen zum Eingang empor, ging den Gang entlang und blieb kurz vor Hackers Wohnungstür stehen. Die Polizeisiegel waren durchgeschnitten, und er entschloss sich, kurz nach dem Rechten zu sehen. Schließlich handelte es sich um seine neue Wohnung. Im Hausflur stand ein ganzes Bataillon von Kübeln, Besen und Schrubbern. Im Wohnzimmer kniete ein hagerer Mann im blauen Overall auf dem Boden und schrubbte mit einer Bürste an der Stelle, an der der Tote gelegen hatte, das Parkett. Als er Steinböck bemerkte, blickte er kurz auf. »Was wollen Sie hier? Das ist ein Tatort.«
»Ich weiß«, sagte der Kommissar grinsend und zog seinen Ausweis aus der Sakkotasche. »Steinböck. Mordkommission.«
Der Hagere erhob sich, wischte sich die Hände am Overall ab und griff mit spitzen Fingern nach dem Ausweis.
»Nie von Ihnen gehört. Sind Sie neu?« Dabei drehte er noch einmal den Ausweis und betrachtete interessiert die Rückseite.
»Brandneu sozusagen. Wann sind Sie fertig?«
»Das dauert schon noch ein bisschen«, sagte der Hagere und ließ sich wieder auf die Knie nieder. »War schließlich ’ne ganz schöne Sauerei.«
Steinböck musste grinsen.
»Genau, ein wahres Massaker.«
Der Tatortreiniger murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, dann fragte er noch: »Was soll ich mit dem Schlüssel machen?«
»Lassen Sie ihn einfach von außen stecken.«
Der Kommissar verließ die Wohnung, überquerte den Hausgang und klingelte an Maxi Müllers Tür.
»Kommen Sie rein, die Tür ist offen«, hörte er sie gedämpft aus der Wohnung. Er trat ein und ging in Richtung Wohnzimmer. Wieder umgab ihn der Duft von frischem Marihuana. Das Zimmer war leer.
»Hier draußen auf der Terrasse.«
Er folgte der Stimme durch die geöffnete Tür. Steinböck betrat einen Wintergarten, einen wahren Dschungel. Unzählige Töpfe mit allen möglichen Pflanzen reichten zum Teil bis an die Decke. Nur in der Mitte stand ein kleiner runder Korbtisch mit einer Glasplatte. Der ganze Raum war von oben bis unten verglast. Eine Tür, die in den Garten führte, war weit geöffnet. Der Kommissar erblickte auf Anhieb die drei kräftigen Hanfpflanzen, die sich in einer Ecke hochrankten.
»Setzen Sie sich, ich habe frischen Tee gemacht. Das hier ist mein Reich.« Sie zögerte kurz. »Und möchten Sie die Wohnung immer noch mieten?«
Steinböck setzte sich vorsichtig in einen der Korbsessel, der verdächtig knarzte, sich aber ansonsten seinem Gewicht anpasste. Maxi Müller hatte sich umgezogen und trug ein langes, rotes Kleid, eine Art indischen Sari, der über und über mit silbernen Pailletten bestickt war.
»Wenn wir uns einig werden, warum nicht?«
»Sie haben doch sicherlich über mich recherchiert?«, fragte sie und griff nach einem der Plätzchen. Steinböck überlegte, es ihr gleichzutun, fasste dann doch in die Jackentasche und zog sein Päckchen Tabak heraus. Er blickte sie fragend an.
»Rauchen Sie nur. Also was haben Sie über mich herausgefunden?«
»Nichts, was mich davon abhalten würde, hier einzuziehen.«
»Und mein Wintergarten?«
»Schön grün, aber ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung von Pflanzen«, antwortete er lächelnd, wobei er sich eine Zigarette drehte.
»Also gut, 950 Euro warm, und den Strom bezahlen Sie natürlich selbst. Zur Wohnung gehören ein Stellplatz auf dem Hof und der kleine Garten vor Ihrer Terrasse. Rasenmäher ist im Schuppen«, erklärte Maxi Müller und legte einen vorbereiteten Vertrag vor ihn hin. Steinböck zündete sich seine Zigarette an und überflog den Text.
»Der Vertrag läuft aber erst ab nächstem Monat? Ich würde gern sofort einziehen.«
»Kein Problem, von mir aus können Sie heute schon rein. Bezahlt wird ab nächstem Monat.«
»Und was machen wir mit Hackers Sachen?«, fragte der Kommissar.
»Was halten Sie davon, wenn wir morgen alles in einen Karton packen, und Sie tragen ihn dann in den Keller. Sie können die Sachen auch gerne mit aufs Revier nehmen, wenn Sie möchten. Außerdem könnte ich Aurelia, unsere rumänische Mitbewohnerin, fragen, ob sie die Wohnung einmal durchputzt. Sie nimmt zwölf Euro die Stunde. Natürlich schwarz. Aber nur, wenn es Ihnen recht ist.«
»Schon gut. Es ist mir sogar sehr recht.« Er griff nach dem Kugelschreiber, gab seine Daten ein und unterschrieb den Vertrag. Dann nahm Maxi Müller den Stift und unterschrieb ihrerseits.
»Und vergessen Sie nicht, Sie übernehmen die Katze.«
»Wo ist sie eigentlich?«
Die Frau mit den roten Haaren deutete auf einen Hocker, der unter einer mächtigen Yuccapalme stand.
»Sie liegt dort auf den Kissen und beobachtet uns.«
»Hat sie wieder mit Ihnen gesprochen?«, fragte er grinsend und blickte dabei auf die Plätzchen. Für einen Moment sah es so aus, als wenn sie auf seine Frage antworten wollte. Doch dann griff sie nach Steinböcks Vertrag und drückte ihn sich an die Brust.
»Ist das klar mit der Katze?«, fragte sie noch einmal eindringlich.
»Geht klar«, sagte er lächelnd und griff nach dem Vertrag.
»Soll ich sie gleich mitnehmen?«
»Sobald Sie eingezogen sind, kommt sie von selbst.«
»Woher wissen Sie das?«
Maxi Müller zuckte mit den Schultern. Dann stand sie auf.
»Hier sind Ihre Schlüssel. Ich bring Sie jetzt zur Tür.«
Steinböck rollte den Vertrag zusammen, steckte seinen Tabak in die Tasche und folgte ihr. Bevor sie die Tür hinter ihm schließen konnte, drehte er sich noch einmal um.
»Oskar Hacker – hatte er einen Computer?«
»Ja, so eine Art Koffer mit einem Käsegesicht drauf.«
Steinböck sah sie zweifelnd an.
»Was meinen Sie mit Koffer?«
»Na ja so ein Teil, bei dem man den Bildschirm hoch und runter klappen kann. Ich habe keine Ahnung von den Dingern und will es auch den Rest meines Lebens nicht mehr lernen.«
»Also einen Laptop«, stellte Steinböck fest.
»Von mir aus auch Laptop. Haben Sie ihn nicht gefunden?«
»Nein, offenbar hat ihn der Mörder mitgenommen.«
»Übrigens«, sagte Maxi Müller noch einmal ernst. »Die Katze – sie frisst nur Futter von Aldi.«
*
Zurück zu seiner Pension leistete sich Steinböck ein Taxi. Es war kurz nach 18 Uhr. Er packte seine beiden Koffer zusammen und beglich die Rechnung. Dann holte er seinen alten VW-Käfer aus der Tiefgarage und fuhr zu seiner neuen Wohnung. Dort stellte er das Gepäck ab und entschloss sich erst einmal, seine neue Umgebung zu erforschen. Der Münchner Süden war eine extrem teure Gegend, und ihm wurde immer klarer, was für ein gigantisches Schnäppchen er mit dem Abschluss des Mietvertrages gemacht hatte. Die Mietpreise in München waren seit Jahren die höchsten im ganzen Land, und das würde sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern. Steinböck hatte einen kleinen Gasthof entdeckt und genehmigte sich einen vorzüglichen Schweinebraten. Schließlich beschloss er, in seine neue Wohnung zurückzukehren.
Von dem kleinen Blutfleck war nichts mehr zu sehen. Er inspizierte kurz das Schlafzimmer. Die Matratze sah ordentlich aus. Er nahm sich vor, am nächsten Tag Bettzeug und dazugehörige Wäsche zu kaufen.
Steinböck entschloss sich dazu, die Nacht auf dem Sofa zu verbringen. Er holte die Flasche Single-Malt-Whisky aus dem Koffer, die ihm die Kollegen aus Starnberg zum Abschied geschenkt hatten. Er durchforstete die Küche nach einem brauchbaren Glas. Hacker pflegte offensichtlich einen sehr minimalistischen Lebensstil. Außer einem zumindest sauberen Weinglas fand er nichts. Er nahm sich vor, in den nächsten Tagen bei Ikea vorbeizuschauen. Im Kühlschrank entdeckte er eine verschlossene Flasche Mineralwasser ohne Kohlensäure und mehrere Dosen Katzenfutter. Das Wasser und das Glas nahm er mit ins Wohnzimmer. Er schaltete den Fernseher an und war überrascht, dass die alte Kiste noch lief. Sogar die Fernbedienung funktionierte. Steinböck öffnete andächtig die Flasche. Ein 21 Jahre alter Lagavulin. Er wusste, dass die Flasche ein kleines Vermögen gekostet hatte, also goss er sich nur einen Fingerbreit ein und gab etwas von dem Wasser dazu. Trotzdem hatte er eine Stunde später ein Drittel der Flasche leer getrunken.
Sein Blick schweifte durch das Wohnzimmer. Die hohen Decken der Altbauwohnung erinnerten ihn an seine Wohnung in Starnberg. 20 Jahre hatte es gedauert, bis er die Wohnung abbezahlt hatte. Erst das Haus in Pöcking, das er seiner Ex überlassen hatte, und jetzt die Wohnung. Anfangs dachte Steinböck daran, täglich zu pendeln, aber dann entschloss er sich doch, nach München zu ziehen. Also packte er zwei Koffer, schloss die Wohnung ab, setzte sich in seinen Käfer und fuhr nach München. Seit drei Wochen war er nicht mehr dort gewesen. Ihm fehlte der See. Schließlich schlief er ein. Steinböck träumte vom Segeln auf dem Starnberger See, von seinem Büro, von seiner Arbeit. Plötzlich schwebte Ilona Hasleitner an ihm vorbei. Sie war nackt und nur mit einem durchsichtigen Vorhangstoff bekleidet. Sie winkte ihm zu und verschwand dann am Horizont. Von der Seite näherte sich eine weitere Gestalt, die ein langes rot-weißes Band in der Hand schwenkte. Aha, rhythmische Sportgymnastik,dachte er bei sich. Aber bald war ihm klar, dass es sich um Staller von der SpuSi handelte, dessen abgewickelte blutige Mullbinde wellenförmig hinter ihm her wehte. Aber Staller tanzte nicht. Sein Gesicht war furchtverzerrt. Er floh vor der übergroßen Katze, die ihn in eleganten Sprüngen in Zeitlupe verfolgte. Staller kam auf ihn zu und rief um Hilfe. Dicht vor ihm stürzte er. Die Katze sprang auf ihn und riss das Maul auf, als wenn sie den armen Kerl verschlingen wollte. Dann begann sie zu schnurren.
In diesem Moment öffnete Steinböck die Augen. Das Biest saß auf seiner Brust, den Kopf nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Sie musterte ihn mit ihren bernsteinfarbenen Augen. Dann gähnte sie. Der Kommissar verzog angewidert das Gesicht.
»Mein Gott, du riechst wie ein Müllschlucker.«
Die Katze richtete sich auf, machte einen Buckel und streckte sich. Schließlich drehte sie sich um, zeigte Steinböck das Hinterteil und schlug noch mal ihren Schwanz in sein Gesicht, bevor sie auf den Boden sprang. Erwartungsvoll blickte sie ihn an.
»Du hast Hunger?«, das war mehr eine Feststellung als eine Frage. Gleichzeitig stand Steinböck vom Sofa auf und schlurfte in die Küche. Er holte eine Dose aus dem Kühlschrank, füllte die Hälfte davon auf einen kleinen Teller und stellte diesen auf den Boden. Die Katze schaute ihn erwartungsvoll an.
»Was ist damit nicht in Ordnung?«, fragte er leicht entrüstet. »Hast du Durst?« Er durchsuchte den Küchenschrank. Dort fand er eine offene Schachtel mit Trockenfutter und einige Schälchen. Er füllte eines davon mit dem Futter, das andere mit Wasser und stellte sie ebenfalls auf den Boden.
»Bitte schön, Frau Merkel, Ihr Dinner«, sagte er sarkastisch und blickte höhnisch grinsend auf die Katze. Diese zuckte einige Male mit Hintern und Schwanz, was dem Kommissar einen aggressiven Eindruck vermittelte. Schließlich kauerte sie sich nieder und begann, vom Nassfutter zu fressen. Steinböck wandte sich zufrieden ab und nahm wieder seinen Platz auf dem Sofa ein. Er mixte sich einen neuen Drink, dann drehte er sich eine Zigarette. Anschließend schaltete er den Ton des Fernsehers stumm und stellte fest, dass Klaas und Yoko eindeutig gewannen, wenn man sie nicht hören konnte. Wenige Minuten später kam die Katze aus der Küche, setzte sich ihm gegenüber auf den Sessel, betrachtete ihn kurz und begann dann sich zu putzen. Interessiert – und unter deutlichem Einfluss des Malt-Whisky – sah er ihr dabei zu. Schließlich klappten ihm trotz des faszinierenden Schauspiels die Augendeckel zu, und er driftete wieder ab in die Welt der nackten Ilona Hasleitner. Die Katze bemerkte, wie der Kopf des Kommissars nach unten kippte. Daraufhin hörte sie auf sich zu putzen und betrachtete ihn eindringlich.
»Mein Gott, jetzt hab ich einen Träumer gegen einen Säufer eingetauscht. Wenigstens trinkt er keinen Fusel wie der arme Kerl unter der Brücke. Zumindest bis jetzt noch nicht. Er hat mich doch vorhin tatsächlich ›Frau Merkel‹ genannt. Allein der Gedanke, ihr nur irgendwie ähnlich zu sehen, könnte einen ungeheuren Depressionsschub bei mir auslösen. Nur diese idiotische Maxi Müller konnte auf so eine saudumme Idee kommen. Eigentlich das beste Beispiel, wie schnell ein dummes, unüberlegtes Wort zu einer Katastrophe führen kann. Sollte sich der Name ›Frau Merkel‹ weiterverbreiten, werde ich ihre drei Marihuanapflanzen innerhalb von zwei Tagen zu Tode urinieren.
Hätte eigentlich nicht damit gerechnet, dass der Typ gleich einzieht. Andererseits, bei der Wohnungssituation hier in München würde es mich auch nicht wundern, wenn der eine oder andere Tod eines Singles ein verdeckter Mord wäre, um endlich wieder freie Wohnungen auf dem Markt zu schaffen. Eigentlich die geniale Idee für einen Krimi. Die einen klauen Gullydeckel, die anderen killen Singles.
Ob jemand nur Oskars Wohnung wollte? Wohl kaum. Bei unserer Späthippie-Vermieterin weißt du eh nicht, wen sie nehmen würde. Ihre Entscheidungen hängen sowieso nur davon ab, wie viele Marihuanaplätzchen sie intus hat. Eigentlich konnte ich nie verstehen, was Oskar an ihr fand. Obwohl sie alle Voraussetzungen hat, etwas Besonderes zu sein. Sie ist eine der wenigen, die mich hören kann. Aber sie fürchtet sich davor. Oskar hatte diese Gabe nicht. Schade, aber das hätte ihn auch nicht davor bewahrt, erschossen zu werden. Ich habe leider nichts davon mitbekommen. Aber ich werde den Mörder finden. Schließlich habe ich jetzt den Bullen, der den Fall bearbeitet, als Mitbewohner. Auch wenn er ein Säufer ist. Und wenn wir den Kerl haben, kann ich mich immer noch mit einem der Singlemörder in Verbindung setzen.«
Steinböck erwachte gegen sieben Uhr morgens mit schrecklichen Kopfschmerzen auf dem Sofa. Irgendwann in der Nacht musste er die Hosen ausgezogen haben. Er betrachtete die Flasche mit dem sündhaft teuren Whisky. Sie war tatsächlich halb leer. Für einen kurzen Moment dachte er daran, einen kleinen Schluck zu nehmen. Er starrte auf seine Hände und stellte fest, dass er das Zittern noch kontrollieren konnte. Zufrieden griff er nach dem Schwarzen Krauser und drehte sich eine Zigarette. Nach zwei Zügen drückte er die Kippe angewidert aus und entschloss sich, erst einmal ausgiebig zu duschen. Die Dusche machte keinen besonders sauberen Eindruck, aber dafür war das Wasser heiß, und er bildete sich ein, dass er damit auf gewisse Weise die Wanne desinfizieren würde. Er drückte sich eine große Menge Zahnpasta auf die Bürste, stellte sich unter den warmen Strahl und versuchte, den ekelhaften Geschmack in seinem Mund wegzuputzen. Für einen Moment glaubte er, den Schatten der Katze vor der Duschwand zu sehen, aber als er die Tür zurückschob, konnte er nichts entdecken.
Steinböck entschloss sich, heute mit dem Wagen ins Kommissariat zu fahren, da er am Nachmittag noch Verschiedenes für die Wohnung besorgen wollte. Die Katze hatte sich bisher noch nicht blicken lassen, so hinterließ er ihr einen gefüllten Napf mit Trockenfutter. Sein Stellplatz war hinter dem Haus, und als er in den Wagen steigen wollte, kam Maxi Müller aus ihrem Wintergarten und winkte ihm zu.
»Guten Morgen, Kommissar. Wann haben Sie heute Zeit, um Hackers Sachen zu packen?«, fragte sie. Maxi Müller merkte, dass er nicht bei der Sache war, und fuhr fort: »Wenn es Ihnen recht ist, packe ich die Sachen zusammen, und Sie tragen die Kisten heute Abend in den Keller. Aurelia kommt gegen zwölf Uhr und würde dann die Wohnung putzen.«
Steinböck hob erleichtert den Daumen.
»Perfekt, ich bezahl sie dann heute Abend.«
»In Ordnung«, sagte sie grinsend, wobei sie bemerkte, wie die Katze gerade hinter Steinböcks Rücken in dessen Auto sprang. »Wie geht es eigentlich Frau Merkel?«
Der Kommissar blickte sie etwas verständnislos an und stieg dann in seinen alten VW-Käfer.
»Bis heute Abend«, brummte er und fuhr langsam mit ein paar Fehlzündungen vom Hof.
*
Als Steinböck gegen 8.30 Uhr das Kommissariat erreichte, stellte er befriedigt fest, dass ihm nach seiner Beförderung zum Ersten Hauptkommissar wenigstens ein eigener Parkplatz zustand. Er stellte den Motor ab, und als er das Auto verlassen wollte, hörte er ein Schnurren, das er aufgrund seiner Kopfschmerzen nicht sofort zuordnen konnte. Er sah in den Rückspiegel und blickte in das Gesicht von Frau Merkel. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl, dass die Katze heruntergezogene Mundwinkel hatte. Verstört schloss er kurz die Augen.
»Kruzifix, wie bist du hier reingekommen?«, fluchte er. »So eine Scheiße, was mach ich jetzt mit dir? Am liebsten würd ich dich im Auto lassen. Aber wie ich dich kenne, kackst du mir dann mit Fleiß auf den Fahrersitz. Aber ich kann dich auch nicht hier rausschmeißen, mitten in der Stadt. Und dass ich dich jetzt zurückfahre, das kannst du vergessen.«
Steinböck griff sich die Katze und schlug die Wagentür zu. Obwohl er sie ziemlich unsanft unter den Arm geklemmt hatte, schnurrte sie unaufhörlich weiter.
»Ich glaub, das hast du mit Absicht getan. Dafür werde ich dich ab jetzt Frau Merkel nennen. Ich weiß, dass du den Namen nicht magst.« Schlagartig hörte sie zu schnurren auf. Der Beamte an der Pforte grüßte freundlich, rief dann aber, als er die Katze in Steinböcks Armbeuge sah:
»Tiere sind im Kommissariat nicht erlaubt, Herr Hauptkommissar.«
»Das geht schon in Ordnung. Die Katze ist Augenzeuge eines Mordes und zur Vernehmung da. Außerdem muss sie ein Phantombild machen«, brummte er und ließ den Beamten einfach stehen. Endlich erreichte er sein Büro. Er öffnete die Tür und setzte die Katze unsanft auf den Boden.
»Morgen, Chef, Kaffee?«, fragte eine gut gelaunte Ilona Hasleitner. Steinböck sah sie verdutzt an. Es roch nach frisch gebrühtem Kaffee, und es dauerte einen Moment, bis er wieder klar denken konnte. Mein Gott, er hatte sich mit dem Whisky fast sämtliche Erinnerungen an den gestrigen Tag weggesoffen. Er blickte auf den zusätzlichen Schreibtisch und den zweiten Bildschirm. Auf dem Regal stand eine Kaffeemaschine, an die er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte. Er deutete darauf.
»Haben wir so etwas hier auf Lager?«, fragte er die junge Polizistin.
»Die hab ich von daheim mitgebracht. Ist es dir nicht recht?«, fragte sie kleinlaut.
»Spinnst du, das ist eine super Idee. Wenn du jetzt noch eine Butterbrezen hättest, wär der Morgen gerettet.«
»Eine oder zwei?«
»Was meinst du?«
»Eine oder zwei Butterbrezen?«
Steinböck schaute sie verdattert an. Dann hob er die Hand und spreizte zwei Finger nach oben.
Hasleitner stand auf, goss ihm eine Tasse Kaffee ein und stellte sie vor ihm auf den Tisch. Dann sagte sie ernst.
»Sei ehrlich, Chef, du hast gestern gesoffen?« Der Kommissar schaute sie verblüfft an.
»Wie kommst du jetzt darauf?«
»Ich bin alleine bei meinem Vater aufgewachsen, weil die Mutter bald nach meiner Geburt gestorben ist. Er hat jeden Abend gesoffen, und du schaust heut genauso aus wie er jeden Morgen«, sagte sie traurig.
»Ich glaub nicht, dass dich das etwas angeht«, sagte er mürrisch. Ilona drehte sich um und ging mit hängenden Schultern zur Tür.
»Ich hol’ jetzt die Butter aus dem Kühlschrank.«
Steinböck schaute verblüfft hinter ihr her. Eigentlich wollte er richtig wütend werden, schaffte es aber nicht. Diese empfindlichen Antennen hätte er der jungen Frau nicht zugetraut. Am meisten ärgerte er sich über sich selbst. Er blickte auf die Katze.
Sie sah ihn vorwurfsvoll an, und er war sich nicht sicher, ob sie nicht gerade Arschloch zu ihm gesagt hatte. Dann drehte sie sich um, sprang auf den Stuhl und von dort auf einen Stapel Akten, der auf dem Fensterbrett lag. Sie schaute aus dem Fenster und zeigte Steinböck ihren Hintern, wobei sich ihr Schwanz leicht zuckend hin und her bewegte.
»Frau Merkel«, äffte er in ihre Richtung. Das Zucken des Schwanzes wurde schlagartig stärker, aber sie ignorierte ihn weiterhin. Vorsichtig hob er die bis zum Rand gefüllte Kaffeetasse an die Lippen. Gerade als er trinken wollte, klopfte es. Genervt stellte er die Tasse zurück. Die Tür öffnete sich, und der Leiter des Kommissariats Paul Mögele betrat das Büro. Mögele war Anfang 40, kahlköpfig und trug ständig einen dieser hässlichen Trachtenanzüge. Aus irgendeinem Grund hatte er es geschafft, so jung bereits zum Leiter der Münchner Mordkommission aufzusteigen. Steinböck hatte ihn tatsächlich vor 20 Jahren mit ausgebildet. Schon damals hatte er die Münchner Eigenart, sich mit den meisten Kollegen zu duzen. Selbstverständlich duzte er Mögele weiter, auch wenn dieser versuchte, etwas Distanz zu schaffen, indem er Steinböck plötzlich siezte. »Gibt’s schon was Neues zum gestrigen Mordfall?«, fragte er und ließ seinen Blick durchs Büro streifen.
»Mir sind dran. Ich warte noch auf die Untersuchung der KTU und des Pathologen.«
»Gut, ist gerade gekommen«, sagte er und hob einige Akten hoch. »Schauen Sie sich das an, und dann geben Sie mir bis Mittag einen vorläufigen Bericht.«
»Schon gut«, brummte Steinböck. Mögele legte die Akten auf den Tisch. Dann blickte er auf den zweiten Schreibtisch und die Kaffeemaschine.
»Kommen Sie mit der Ilona Hasleitner zurecht oder möchten Sie, dass ich mich nach jemand anderem umschaue?«
Steinböck blickte erschrocken auf.
»Wie kommst du jetzt da drauf? Die Ilona ist schon in Ordnung.«
»Umso besser. Ihr Partner kommt nämlich so schnell nicht. Er ist noch mal für sechs Wochen krankgeschrieben.«
»Was fehlt ihm denn?«
»Burn-out-Syndrom.«
»Ja, dann ist es besser, wenn er sich noch erholt«, sagte Steinböck zufrieden und überlegte ernsthaft, wie es möglich war, bei der Münchner Polizei einen Burn-out zu bekommen.
»Übrigens möchte ich das morgendliche Briefing jetzt jeden Tag durchführen. Das heißt, alle Teams treffen sich morgens um neun im Gruppenraum. Es schadet nichts, wenn die anderen auch einen Überblick über die Fälle ihrer Kollegen haben.«
»Des ist eine gute Idee«, knurrte er und starrte dabei stur auf seinen Kaffee.
»Ist das der Augenzeuge, der ein Phantombild machen soll?«, fragte Mögele grinsend, wobei er auf die Katze deutete. Der Kommissar schaute kurz auf Frau Merkel, die ihm noch immer den Hintern zudrehte und ihn sowie auch Mögele ignorierte.
»Genau«, sagte er und hob die Kaffeetasse erneut an den Mund, fest entschlossen, sie nicht mehr abzusetzen, bevor er nicht einen ordentlichen Schluck genommen hatte.
*
Gerade als Paul Mögele Steinböcks Büro verließ, kam ihm Hasleitner auf dem Gang entgegen. Schnell versteckte sie die Tüte mit den Brezen und die Butter hinter ihrem Rücken.
Der Amtsleiter blieb kurz stehen und sah die junge Frau an.
»Kommen Sie zurecht mit Ihrem neuen Chef?«
»Ja freilich«, antwortete sie erstaunt.
»Also dann passen Sie gut auf. Von dem Steinböck können Sie eine Menge lernen, auch wenn seine Methoden a bisserl seltsam sind.«
Ilona Hasleitner nickte stumm, dann verschwand sie im Büro. Sie ging zu ihrem Schreibtisch, holte ein Messer aus der Schublade und schnitt zwei Brezen auf, die sie dick mit Butter bestrich. Erst jetzt warf sie einen vorsichtigen Blick zu Steinböck hinüber, der in einen der Berichte vertieft war. Leise stand sie auf und stellte ihm einen Teller mit den Butterbrezen auf den Tisch.
»Wegen vorhin, des tut mir leid«, sagte sie leise.
Steinböck legte den Bericht beiseite, dann schaute er sie streng an.
»Du brauchst dich bei mir nicht zu entschuldigen. Außerdem hast du recht gehabt. Ich hab gestern gewaltig gesoffen, und jetzt brummt mir der Schädel.«
»Möchtest du eine Tablette?«
»Hast du etwa eine?«, fragte er. Sie nickte bejahend und grinste. Ilona holte ihre Handtasche hervor, kramte eine Zeit lang darin herum und brachte schließlich einen Streifen Aspirin zum Vorschein. Sie drückte eine heraus, blickte kurz zu ihm hinüber, sah seine beiden erhobenen Finger und drückte dann auch noch eine zweite auf den Tisch. Mit einem mitleidigen Blick legte sie sie auf den Teller neben die Brezen. Steinböck reichte ihr die Berichte, die Mögele gerade mitgebracht hatte.
»Hier, lies das durch, und dann sagst du mir, was drin steht.« Lachend fügte er hinzu: »Ilona, das könnte der Anfang einer wunderbaren Beziehung sein.«
»Aber nicht, wenn du so weitersäufst«, sagte sie streng und griff sich die Akten. Der Kommissar aß genüsslich die Brezen, und zum Schluss spülte er die beiden Aspirin mit dem letzten Schluck Kaffee runter. Er lehnte sich zurück an die Wand, blickte kurz zur Katze, die offensichtlich schlief, und beobachtete Ilona Hasleitner, die in die Berichte vertieft war.
Was für ein hübsches Gesicht, dachte er bei sich. Warum achtet das Mädel nicht mehr auf ihre Figur? Steinböck hatte Lust auf eine Zigarette, war aber zu faul, um vor die Tür zu gehen.
»Hat er dich geschlagen?«, fragte er leise.
Ilona las weiter in den Akten, und er hatte nicht den Eindruck, als ob sie ihn gehört hätte. Er musterte sie eindringlich.
»Ja«, sagte sie plötzlich, ohne aufzublicken.
»Oft?«
»Fast jeden Abend, wenn er besoffen war.«
Steinböck schwieg. Hasleitner starrte weiterhin auf den Bericht.
»War da sonst noch was?« Plötzlich herrschte eisige Stille.
Dann hob die junge Polizistin langsam den Kopf, die Augen voller Tränen.
»Ja, da war auch sonst noch was«, sagte sie mit zitternder Stimme und schaute ihren Chef traurig an. Steinböck spürte, wie ihm schlecht wurde. Er hatte sich in eine Situation hineinmanövriert, in der er im Moment nicht wusste, wie er weitermachen sollte. Und dann war sie wieder da, diese verdammte Katze, wieder genau im richtigen Augenblick. Sie sprang über beide Schreibtische zu Ilona Hasleitner und stupste laut schnurrend ihren Kopf in ihr tränennasses Gesicht.
»I glaub, die Katz mag mich«, schluchzte sie und lachte gleichzeitig dabei. »Ist des die Katze von gestern?«, fragte sie dann.
Er nickte und antwortete: »Ich hab mich schon gewundert, warum du nichts gesagt hast, als ich sie heute Morgen mitgebracht habe.«
»Ich dachte, du wirst schon wissen, was du tust.« Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und kraulte der Katze den Kopf. »Wie heißt sie?«
»Angeblich nur Katze. Aber ich nenne sie Frau Merkel.«
Ilona Hasleitner sah die Katze an und spürte ihre Reaktion.
»Ich glaub, sie mag den Namen nicht. Ich werd sie Katze nennen. Warum ist sie hier?«
»Ich hab die Wohnung vom Hacker übernommen. Die Bedingung war, dass ich die Katze mit übernehme. Sie gehört sozusagen zum Mobiliar. Heute Morgen hat sie sich heimlich ins Auto geschlichen, und jetzt ist sie hier.«
Ilona stand auf, nahm ihr Sitzkissen, legte es aufs Fensterbrett und setzte die Katze darauf ab.
»Das Halsband, das ist nicht gut für die Katze. Es ist aus Leder.«
»Warum?«, fragte Steinböck erstaunt.
»Katzen schleichen gern durch Zäune oder Büsche, und dann kann es passieren, dass sie hängen bleiben und nicht mehr wegkommen. Wenn es elastisch ist, können sie den Kopf rausziehen. Bei dem hier könnte sie elendiglich umkommen. Ich mach ihr das ab.«
Er zuckte nur mit den Schultern. »Wenn du meinst«, sagte er.
Hasleitner nahm Frau Merkel das Halsband ab und ging zurück zu ihrem Schreibtisch. Sie setzte sich, klappte die Akten zu und sah den Kommissar gespannt an.
»Soll ich jetzt den Bericht für dich zusammenfassen?«
Steinböck nickte, schloss die Augen und lehnte sich zurück an die Wand.
»Also laut Spurensicherung ist die Balkontür nicht aufgebrochen worden. Entweder war sie offen, oder der Mörder kam durch die Eingangstür und hat sie dann geöffnet. Keinerlei Spuren von einem Einbruch. Dann hat Hacker den Mörder wohl hereingelassen und somit auch gekannt. Dafür spricht, dass es keine Abwehrspuren gibt. Das Opfer wurde vermutlich aus etwa einem Meter Entfernung getroffen. Es sieht so aus, als wäre nix gestohlen worden, also kein Raubmord.«
Steinböck unterbrach sie.
»Übrigens, Maxi Müller meinte, Hacker hatte einen Laptop. Sonst irgendwelche Briefe oder ein Notizbuch?«
»Nein, nichts, nur ein paar Mahnungen für die Stromrechnung. Er war nicht mal krankenversichert.«
»Todeszeitpunkt?«
»Sonntagabend zwischen 18 und 20 Uhr.
»Fingerabdrücke?«, fragte der Kommissar, ohne die Augen zu öffnen.
»Eine ganze Menge. Die meisten von Hacker selbst und Maxi Müller. Alle anderen sind nicht registriert. Bis auf diejenigen, die auf dem Schachbrett und den Figuren gefunden wurden. Ein gewisser Klaus Görschi. Geboren 1960 in Potsdam. Vorbestraft 1984 wegen Einbruchs in Berlin. Dort hat er auch zwei Jahre abgesessen. Von da an verliert sich seine Spur. Ich werde gleich noch im Netz recherchieren. Und nun der Bericht des Pathologen: Todesursache war eindeutig die Kugel in den Kopf, Kaliber 22. Deshalb ist die Kugel auch nicht wieder ausgetreten. Bericht von der Ballistik liegt noch nicht vor. Und jetzt wird’s interessant. Im Körper wurden Spuren einer unbekannten Glykosid-Verbindung gefunden. Es könnte sich dabei um ein Medikament handeln. Klessel möchte noch genauere Untersuchungen anstellen und sich dann bei dir melden.«
Sie sah ihn erwartungsvoll an.
»Hab ich etwas vergessen?«
»Sehr gut«, brummte Steinböck, »trotzdem haben wir nichts. Wir müssen diesen Klaus Görschi finden. Er war in der Wohnung, und wenn er mit Hacker Schach gespielt hat, dann muss er ihn auch gekannt haben.«
»War der Bericht so in Ordnung?«, fragte Ilona noch mal nach, wobei sie das Halsband der Katze nervös durch die Finger gleiten ließ.