Teufelskatz - Kaspar Panizza - E-Book

Teufelskatz E-Book

Kaspar Panizza

4,0

Beschreibung

Die Ermordung eines ehemaligen Priesters durch einen Profikiller führt Kommissar Steinböck und seine Katze Frau Merkel direkt in die Niederungen der katholischen Kirche. Auf den Spuren des letzten Briefes eines Pfarrers versuchen Steinböck und sein Team, den jahrzehntealten Sumpf aus Mord und Vertuschung aufzuklären. Währenddessen wendet sich Frau Merkel der Kirche des fliegenden Spaghettimonsters zu. Und wieder treibt die Katze Steinböck zur Verzweiflung und diesmal direkt in die Fänge des Polizeipsychologen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 266

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,0 (1 Bewertung)
0
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kaspar Panizza

Teufelskatz

Frau Merkel und das fliegende Spaghettimonster

Zum Buch

Das fliegende Spaghettimonster Der Mord an einem Expriester und der tödliche Unfall von dessen Mutter scheinen für Steinböck und sein Team schnell gelöst zu sein. Doch dann taucht der mysteriöse Abschiedsbrief eines sterbenden Pfarrers auf, der aus Gewissensbissen bereit ist, das Beichtgeheimnis zu brechen. Plötzlich ist nichts mehr so, wie es eben noch schien. Steinböck versucht, den jahrzehntealten Sumpf aus Mord und Vertuschung aufzuklären, doch einige Fragen geben dem Kommissar Rätsel auf. Wieso zum Teufel wird auf einmal der Erzbischof entführt? Als wäre das nicht schon genug, trifft er auch noch auf einen Polizeipsychologen, der seinen Platz sowohl vor als auch auf der Couch zu haben scheint, und die seltsame Gruppe der Pastafaris, Anhänger des fliegenden Spaghettimonsters. Und dann wäre da noch Kommissar Steinböcks Katze Frau Merkel, die die regelmäßigen gemeinsamen Fernsehabende nun lieber mit seiner Nudligkeit auf der Mülltonne hinter dem Haus verbringt. Nichts desto trotz löst er mit Hilfe von Ilona Hasleitner und Emil Mayer jr. auch diesen Fall.

Kaspar Panizza wurde 1953 in München geboren. Den Autor, der aus einer Künstlerfamilie stammt, prägten Arbeiten seines Vaters, eines bekannten Kunstmalers, sowie die Bücher seines Urgroßonkels Oskar Panizza. Nach dem Pädagogik-Studium machte Panizza eine Ausbildung zum Fischwirt, erst später entdeckte er seine Liebe zur Keramik. Nach abgeschlossener Ausbildung mit Meisterprüfung arbeitete er zunächst als Geschirr-Keramiker und später als Keramik-Künstler im Allgäu. 2004 übersiedelte er nach Mallorca, wo er eine Galerie mit Werkstatt betrieb und zu schreiben begann. Seit 2009 lebt Kaspar Panizza in Ribnitz-Damgarten an der Ostsee, wo er zusammen mit seiner Ehefrau bis 2018 ein Keramik-Atelier führte. Seither widmet er sich ganz dem Schreiben.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Immer informiert

Spannung pur – mit unserem Newsletter informieren wir Sie

regelmäßig über Wissenswertes aus unserer Bücherwelt.

Gefällt mir!

 

Facebook: @Gmeiner.Verlag

Instagram: @gmeinerverlag

Twitter: @GmeinerVerlag

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung der Fotos von: © wolive / fotolia.com

und © kwasny221 / fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5532-2

Widmung

Für Johanna und Louis.

Und natürlich für meine Katze Lola, die mich immer noch inspiriert.

Vielen Dank an Christel, Leila und Stefan, für ihre Unterstützung.

Prolog

Als Franz Gruber zur Tür ging, ahnte er natürlich nicht, dass er nur noch wenige Minuten zu leben hatte. Er war bester Laune, denn in nicht einmal zwei Wochen würde er im Flieger nach New York sitzen. Ein Jahr lang wollte er den ganzen Kontinent bereisen. Von der Nordküste Kanadas bis Feuerland. Doch das war alles nur hypothetisch. In Wirklichkeit würde die Anzahl seiner Herzschläge nicht einmal mehr die Tausend erreichen. Aber darüber machte sich Franz Gruber natürlich keine Gedanken. Er überlegte kurz, ob er die Tür überhaupt öffnen sollte. Denn noch erwartete er niemanden. Die Reporterin sollte erst gegen 20 Uhr kommen. Aber vielleicht hatte sie es eher geschafft. Er wollte ihr von dieser Geschichte erzählen, mit der er sich gerade befasste, einer schmutzigen Geschichte, und er hatte nicht mehr die Zeit, sich weiterhin damit zu beschäftigen.

Der Mann vor der Tür war ein Riese. Er trug einen langen hellen Trenchcoat und überragte Gruber, der selbst 1,90 Meter groß war, um einen halben Kopf. Den Mantel hatte er in der Hüfte mit einem Gürtel zusammengezogen, und auf dem Kopf trug er einen Hut. Gruber merkte gleich, wer dort Vorbild war. Eindeutig Humphrey Bogart, nur in XXL. Sein Gesicht hatte während der Pubertät wohl eine schlimme Akne mitgemacht, nichtsdestotrotz machte es einen freundlichen Eindruck auf Gruber, was wohl mit dem Grinsen zu tun hatte, das zwei Reihen perfekter weißer Zähne zeigte.

»Herr Gruber?«, fragte er. »Grüß Gott, mein Name ist Ron Mueller. Ich komme in einer wichtigen Angelegenheit zu Ihnen.« Dann streckte er ihm die Hand hin. Und obwohl der Mann Handschuhe trug, was für diese Jahreszeit, Mitte Mai, ungewöhnlich war, reichte ihm Gruber, ohne zu zögern, die seine. Es war weniger der Stich in der Handfläche, der ihn überraschte, als die Tatsache, dass ihn der Mann mit dem Narbengesicht unsanft zurück in die Wohnung schob. Mit dem Fuß nach hinten tretend, kickte er die Tür zu. Nun war es an Gruber, sich endlich zu wehren. Er riss sich los und versuchte nach dem Mann zu schlagen. Erstaunt stellte er fest, dass seine Hand vollkommen taub war, selbst den Arm konnte er nicht mehr heben. Als er schreien wollte, fühlte er, dass die Taubheit bereits seine Zunge erreicht hatte und jetzt langsam den Hals hinunter zum Herzen kroch. Panik machte sich in ihm breit. Für einen kurzen Moment versuchte er, an etwas Schönes zu denken. Mit der Harley auf dem Highway 66 durch die USA. Nur ein ganz kurzer Gedanke, dann krallte sich eine riesige Pranke um sein Herz, und als der höllische Schmerz kam, wusste er, dass es vorbei war. Der Mann im hellen Mantel fing Gruber auf, bevor dieser zu Boden stürzen konnte, und trug ihn wie ein kleines Kind zum Sofa. Dann ging er zum Tisch hinüber, griff sich Franz Grubers Laptop und steckte ihn in einen weißen Stoffbeutel, den er aus seiner Manteltasche zog. Anschließend machte er einen Rundgang durch die Wohnung und stellte fest, dass es wohl keinen weiteren Computer gab. Einen leicht lädierten Camcorder aus dem Regal packte er vorsichtshalber dazu. Schließlich kehrte er zu Gruber zurück, drückte mit seinen behandschuhten Fingern auf dessen Hals und grinste zufrieden. Kein Puls. Er drehte die Hand des Toten, begutachtete den Einstich und zog die winzige Nadel heraus, die noch immer im Handballen steckte. Aus der anderen Manteltasche holte er ein Wundspray und ein Pflaster. Da er auf keinen Fall seine Handschuhe ausziehen wollte, löste er das Schutzpapier des Hansaplasts mit den Zähnen, desinfizierte die Wunde und klebte das Pflaster darüber. Obwohl er bezweifelte, dass irgendjemand etwas anderes als einen Herzinfarkt diagnostizieren würde, verstaute er alles, was er mitgebracht hatte, sorgfältig in der weißen Stofftasche. Dann glitt sein Blick noch einmal durchs Zimmer, bevor er zur Tür ging. Wie Gruber weniger als tausend Herzschläge zuvor, ahnte auch er zu diesem Zeitpunkt nicht, dass er nur noch wenige Tage zu leben hatte.

Erstes Gebot der Religion des fliegenden Spaghettimonsters

Mir wär’s wirklich lieber, du würdest dich nicht wie ein oberheiliger Heuchler aufspielen, wenn du meine nudelige Güte beschreibst. Wenn irgendwelche Leute nicht an mich glauben, ist das echt okay. Ich bin nicht so eitel. Außerdem: Es geht nicht um diese Leute, also weich nicht vom Thema ab.

Sonntag

Natürlich war Hauptkommissar Steinböck von der Münchner Mordkommission klar, dass es keine gute Idee war, Frau Merkel zu Thomas Klessels Einladung zum Abendessen mitzubringen. Aber Klessel, Pathologe und guter Freund Steinböcks, hatte darauf bestanden, die Katze dabeizuhaben. Schließlich hatte er einen spanischen Abend versprochen und glaubte, dass auch die Katze, die aus Mallorca kam, sich darüber freuen würde. Abgesehen davon, dass ein echter Mallorquiner sich nicht gerade als Spanier fühlte, lebte Frau Merkel schon seit ihrer Katzenkindheit in München und zog die Weißwurst einer Chorrizo vor. Den Namen, den sie von Steinböcks ehemaliger Vermieterin bekommen hatte, konnte sie partout nicht leiden. Und so nannte sie der Kommissar je nach Stimmungslage entweder ›Katze‹ oder ›Frau Merkel‹.

»Mussten wir wirklich hierherkommen?«, schimpfte die Katze. »Klessel hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ich glaube, der schnüffelt an seinem Formalin. Schau dir doch alleine die Vorspeise an. Tomaten mit Mozzarella und Basilikum. Der Kerl ist doch völlig irre.«

»Ich weiß gar nicht, was du hast. Mir hat’s gut g’schmeckt«, antwortete Steinböck lachend.

»Sag mal, bist du genau so doof? Rot, Weiß, Grün, das sind die Farben von Italien. Das ist eine typische italienische Vorspeise. Bis auf den dunklen Balsamicoessig, den er draufgepanscht hat, das ist wiederum typisch deutsch.«

Die Tür zur Küche öffnete sich und Klessel stellte eine kleine Porzellanschüssel auf den Boden.

»Voilà, eine Dose Thunfisch für unseren spanischen Gast!«

»Jetzt spricht er auch noch Französisch«, motzte Frau Merkel und sprang auf Steinböcks Knie.

»Sieh nach, ob der Thunfisch delfinfreundlich gefangen wurde!«

»Sieh doch selber nach«, murrte Steinböck.

»Du sprichst mit der Katze«, stellte Klessel verschmitzt fest.

»So ein Quatsch, kein Mensch kann mit Tieren sprechen.«

Klessel grinste immer noch, als er einen silbernen Flachmann aus seiner Sakkotasche holte und vorsichtig den winzigen Deckel füllte. Dann kippte er den Inhalt genussvoll hinunter und beendete die Zeremonie mit einem Schütteln seiner Schultern.

»Übrigens, der Thunfisch ist von Aldi«, sagte er, während er den Deckel wieder andächtig zuschraubte.

»Sag mal, was hast’ denn diesmal in deiner Pulle?«

Klessel musterte seinen Flachmann.

»Na, Formalin, aber vom Feinsten.«

»Ich hab’s dir ja gesagt, der Kerl ist verrückt«, meinte die Katze, sprang von Steinböcks Knie herunter und machte sich über den Thunfisch her.

»In fünf Minuten ist die Paella fertig«, sagte der Pathologe, drehte sich um und verschwand wieder in der Küche.

»Wetten, jetzt kommt er gleich mit einer Schüssel Risotto«, maulte Frau Merkel, ohne jedoch mit dem Fressen aufzuhören. Die Paella stellte sich jedoch wirklich als eine solche heraus und der weitere Abend verlief durchaus harmonisch, bis dieser ominöse Anruf kam. Klessel lauschte mehrere Minuten, grunzte ab und zu auf die ihm typische Art und schrieb schließlich etwas auf einen Zettel.

»Gut, warte auf mich. Ich bin in einer halben Stunde da.«

Steinböck sah ihn fragend an.

»Ein Freund von mir, Toni, mein Hausarzt. Man hat ihn zu einem seiner Patienten gerufen. Ein Herzinfarkt. Der Mann ist tot und Toni hat Zweifel beim Ausfüllen des Totenscheins. Er hatte den Mann erst vor wenigen Wochen einem Komplett-Check unterzogen, weil dieser eine Reise durch die USA und Südamerika plante. Er sagt, der Mann habe die Konstitution eines 20-Jährigen gehabt. Er möchte, dass ich mir den Toten ansehe. Kommst du mit?«

»Natürlich, was soll ich auch hier allein«, sagte Steinböck und stupste die Katze an, die sich inzwischen auf dem Sofa zusammengerollt hatte. »Ein Notfall, und dich müssen wir wohl oder übel mitnehmen.«

»Was für ein Scheiß-Abend«, raunzte sie und machte einen gewaltigen Buckel.

*

Anja Gruber blickte fasziniert in die Tiefe. Das Gurgeln und Tosen des Wassers hallte von den glatten Felswänden, die nahezu senkrecht nach unten reichten, zurück. Obwohl die Sonne hoch am Himmel stand und zu dieser Jahreszeit eine enorme Kraft hatte, war es zwischen den Felswänden und auf den Wegen, die fast immer im Schatten lagen, empfindlich kühl. Eifrig erklärte sie dem jungen Mann neben ihr die Entstehung der Klamm. Dieser wirkte unaufmerksam. Immer wieder drehte er sich zu seiner Mutter um, die sich fröstelnd in eine sonnige Ecke zurückgezogen hatte. Kein anderer Besucher war im Moment zu sehen. Anja Gruber richtete den Camcorder auf die rothaarige Frau. Bereits am Eingang hatten sich die beiden Anja Gruber angeschlossen. Gerne erklärte sie ihnen die Geschichte und Entstehung der Klamm. Das war schließlich nicht ihr erster Besuch in der Breitachklamm und, wie sie glaubte, sicherlich auch kein Beinbruch, den Fremdenführer für die beiden zu spielen. Das stellte sich jedoch bald als fataler Irrtum heraus, wobei das gebrochene Bein noch eine der harmloseren Verletzungen war, nachdem der junge Mann sie plötzlich nach hinten riss und sie diesen langen Weg nach unten stürzte.

*

Zehn Minuten später waren Steinböck und Klessel auf der Straße. Da beide schon ein paar Gläser Wein intus hatten, beschlossen sie, ein Taxi zu nehmen. Ein junger Mann, vermutlich Student, mit Dreiviertellederhose und einem Wust hochgesteckter Rastalocken, der die Größe eines Basketballs hatte, erwartete sie schon.

»Mei, der Bob Marley für Bergler«, meinte Frau Merkel, die auf Steinböcks Arm saß, sarkastisch.

»Die Katz kimmt ma fei ned in Fahrgastraum. Die kennt’s in Kofferraum sperren«, sagte der junge Mann geschäftig.

Steinböck hielt ihm seinen Polizeiausweis unter die Nase und meinte ernst: »Die Katz ist eine ausgebildete Drogenkatze und bei der Münchner Polizei angestellt. Willst wirklich, dass die den Kofferraum untersucht oder vielleicht sogar deine Klamotten?«

»Ja, ja, typische Polizeiwillkür, immer feste drauf aufs Proletariat«, brummte der Fahrer, als er sich wieder hinters Steuer setzte. »Und dass die Herrn Polizisten des Anschnallen ned vergessen.«

Die Fahrt nach Sendling dauerte eine Viertelstunde. Das Taxi hielt vor einem mehrstöckigen Haus. Zwei Sanitäter stiegen gerade in einen Krankenwagen. Klessel versuchte sie aufzuhalten.

»Mir ham koa Zeit nimmer. Wenn der in die Pathologie muas, dann müsst’s erm selber hinbringen«, sagte der Fahrer, kurbelte das Fenster hoch und fuhr davon. Erst fluchte Klessel, weil die Sanis verschwanden, dann Steinböck, weil es in den vierten Stock ging und wie üblich der Lift außer Betrieb war. Das geräumige Treppenhaus war typisch für die 60er-Jahre: Glasbausteine bis zur Decke und davor der obligatorische Ficus. Die Treppen aus hellem Kunstmarmor und das Geländer aus Schmiedeeisen mit einem breiten hölzernen Handlauf, der sich ideal zum Runterrutschen eignen würde, hätte nicht die Hausverwaltung nachträglich alle zwei Meter eine faustgroße Eisenkugel anbringen lassen. Im zweiten Stock sagte die Katze zum schwer schnaufenden Kommissar: »Lass mich lieber runter, ich versuch, ob ich den Krankenwagen zurückholen kann.«

Einen kurzen Moment überlegte er, ob er Frau Merkel das Treppenhaus hinunterwerfen sollte, dann setzte er sie unsanft vor sich auf den Stufen ab.Klessel war inzwischen schon oben. Als Steinböck endlich den vierten Stock erreicht hatte, ging der Wahnsinn erst richtig los. Da stand Sabine Husup, die Reporterin, die wieder reumütig zu ihrem Onkel und dem Abend-Journal zurückgekehrt war, und neben ihr ein untersetzter Mann Mitte 40, der ein metallenes Nudelsieb auf dem Kopf trug.

»Herr Kommissar, was machen Sie denn hier? Hat der Tod von Herrn Gruber etwas mit einem Verbrechen zu tun?«, flötete sie scheinheilig.

»Und was machen Sie hier?«, stellte Steinböck die Gegenfrage.

»Ich hätte um acht eine Verabredung mit Herrn Gruber gehabt. Und als er die Tür nicht öffnete, traf ich hier zufällig seinen Nachbarn. Er sagte mir, dass Gruber zu Hause sein müsste, und außerdem war Musik zu hören. Herr Keller hat einen Schlüssel, und dann haben wir ihn hier auf dem Sofa liegend aufgefunden.«

»Und Sie haben nichts angerührt?«

Die kleine Frau stemmte die Fäuste in die Hüften, und noch ehe sie etwas sagen konnte, war der Kommissar neben ihr.

»Hat der an Schlag weg?«, fragte er Husup leise und deutete auf den Nachbarn, der versuchte, einen Blick in Grubers Wohnung zu werfen.

»Warum?«, fragte sie.

»Der hat doch ein Nudelsieb auf dem Kopf.«

»Das ist bei den Pastafaris durchaus üblich.«

Steinböck atmete tief durch und schloss dabei die Augen. Entnervt sagte er: »Kommen ’S morgen in mein Büro, dann schau ich, was ich Ihnen für Informationen geben kann. Und kommen ’S bloß ned auf die Idee, a Foto von dem Toten zu veröffentlichen. Sie ham ihn doch bestimmt fotografiert, mit Ihrem Smartphone.« Dabei deutete er auf das Teil, das für ihre kleinen Hände eindeutig zu groß war.

»Natürlich, und ob ich etwas veröffentliche, das bestimme ich immer noch selber.«

»So, wirklich?«, meinte Steinböck und nahm ihr blitzschnell das Gerät aus der Hand. »Morgen, bei mir im Büro können ’S es wiederhaben.«

»Damit kommen Sie nicht durch«, schrie sie wütend.

»Und ob, das ist ein Beweisstück.« Dann schloss er schnell die Tür und ließ die verdutzte Reporterin im Gang zurück. Kurz überblickte er die offen gehaltene Wohnung. So weit das Auge reichte, Bücherregale. Klessel und der Hausarzt waren beide über den toten Franz Gruber gebeugt und untersuchten ihn. Die Katze stand neugierig daneben und schnupperte in die Luft.

»Der riecht komisch, sehr komisch«, sagte sie zu Steinböck.

»Also ich kann auf Anhieb nichts finden«, murmelte Klessel und betrachtete die Unterseite von Grubers Zunge. »Was meinst du, Steinböck, was sagt dein Bauch?« Der Kommissar schaute noch einmal die Katze an, dann brummte er leise: »Wir nehmen ihn mit. Die SpuSi schicken mir morgen hierher. Passt’s auf, dass ihr keine Spuren verwischt. Und Sie!«, sagte er zu Toni, dem Hausarzt, »Kommen ’S bitte morgen im Revier vorbei, damit wir Ihre Fingerabdrücke nehmen können. Thomas, kümmer’ dich um den Abtransport, ich schau nach, ob ich das Nudelsieb noch erwisch.«

Steinböck hatte Glück. »Harry Potter für Arme«, wie er die kleine Reporterin mit dem Bubikopf und der Nickelbrille immer nannte, war bereits verschwunden. Obwohl sie ihm furchtbar auf die Nerven ging, hatte sie doch seinen Respekt verdient. Nachdem sie im letzten Jahr den Mut hatte, den Skandal um eine Münchner Pharmafirma, die dubiose Medikamententests mit ehemaligen DDR-Häftlingen gemacht hatte, in einem großen Magazin zu veröffentlichen, hatte sie sich einige Feinde in der Stadt gemacht.

An der gegenüberliegenden Tür war ein großes glänzendes Messingschild angebracht.

»Mike von Schweinitz«, las er, und darunter stand: »Bruder Tortellini«.

Der Mann mit dem Nudelsieb auf dem Kopf öffnete die Tür, bevor Steinböck den Klingelknopf drücken konnte.

»Herr Kommissar, ich habe Sie schon erwartet. Kommen Sie herein.«

Kurz überlegte Steinböck, was ihn wohl erwarten würde. Vielleicht Poster von Untertassen oder Kugeln aus zusammengeknülltem Alupapier, die von der Decke hingen? Aber nichts davon war zu sehen. Die Wohnung wirkte völlig normal, wenn da nicht der Mann mit dem Nudelsieb gewesen wäre, der sich ihm gegenüber am Küchentisch niederließ.

»Also, Herr Kommissar, was wollen Sie wissen?«

Steinböck deutete mit dem Finger auf den Kopf seines Gegenübers. Dieser lachte laut auf und sagte dann: »Ich bin ein überzeugter Pastafari, und das Nudelsieb ist sozusagen meine religiöse Kopfbedeckung.«

Steinböck hatte das Gefühl, ein äußerst doofes Gesicht zu machen, und beschloss, sich mit dieser Erklärung zufriedenzugeben. Als er die nächste Frage stellte, hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen.

»Ihr Nachbar, Herr Gruber, war der auch ein Pastafari?«

»Nicht unbedingt, aber er stand unserer Idee sehr positiv gegenüber. Er wollte sich auf seiner USA-Reise sogar mit Bob Henderson treffen.«

»Wer bitte ist Bob Henderson?«

»Bob Henderson ist der Gründer der Religion des fliegenden Spaghettimonsters.«

»Des fliegenden Spaghettimonsters«, murmelte Steinböck leise vor sich hin. Dann gab er sich einen Ruck und wechselte das Thema.

»Also gut. Hatte Herr Gruber heute Abend Besuch? Ist Ihnen jemand aufgefallen?«

»Nein, ich bin gegen 19 Uhr nach Hause gekommen. Ich hörte leise Musik aus seiner Wohnung, also bin ich davon ausgegangen, dass er zu Hause ist. Gegen acht klingelte dann die Reporterin. Sie sagte, sie habe einen wichtigen Termin mit Gruber, und fragte, ob ich Näheres über seinen Aufenthalt wisse. Na ja, wir haben dann geklopft und geklingelt. Schließlich hab ich seinen Schlüssel geholt. Wir fanden ihn leblos auf der Couch. Ich hab sofort unseren Hausarzt angerufen.«

»Sie haben einen Schlüssel zu seiner Wohnung?«, unterbrach ihn Steinböck.

»Ja, ich sollte mich um seine Wohnung kümmern, während er durch Amerika reisen würde.«

»Wann haben Sie ihn zum letzten Mal lebend gesehen?«

»Das war heute Morgen, bevor ich das Haus verließ. Wir unterhielten uns kurz und er sagte, dass er noch eine Menge zu erledigen habe. Er erwähnte auch die Reporterin, die ihn heute Abend besuchen wollte.«

»Warum er die Reporterin sprechen wollte, hatte er Ihnen nicht gesagt?«

»Nein, aber es war offensichtlich eine unangenehme Sache. Etwas schien ihn sehr zu bedrückten.«

»Eine Frage noch, was hat das Nudelsieb mit Ihrem Glauben zu tun?«

»Ganz einfach, ich möchte, dass es als religiöse Kopfbedeckung anerkannt wird und ich es auf meinem Führerscheinfoto tragen darf.«

»Aber des ist doch Schwachsinn«, polterte Steinböck.

»Genau, Herr Kommissar, das ist Schwachsinn.«

Nun verstand Steinböck gar nichts mehr. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Gut, können Sie morgen im Laufe des Tages zu uns in die Ettstraße kommen? Dann nehmen wir ein Protokoll auf.«

»Gerne. Übrigens«, dabei rückte er das Spaghetti-Sieb auf seinem Kopf zurecht, »ist es bei der Münchner Polizei üblich, dass die Kommissare zusammen mit schwarzen Katzen, ermitteln?«

Steinböck blickte irritiert auf Frau Merkel, die er die ganze Zeit auf den Armen getragen hatte. Diese grinste und zog die Mundwinkel nach unten.

»Touché«, sagte sie, sprang herunter und lief auf die Tür zu. »Ich laufe lieber, es sind ja schließlich vier Etagen.«

*

Wenn möglich, versuchte der Junge nachts nicht mehr zur Toilette zu gehen. Aber wenn er es nicht vermeiden konnte, schlich er sich barfuß aus dem Schlafraum, um keinerlei Geräusche zu machen. Meist passierte nichts und er huschte danach vorbei an den schlafenden Kommilitonen zurück in sein Bett. Auch diesmal schien alles gut zu gehen. Bis er die Toiletten-Kabine verließ. Plötzlich erlosch das Licht und jemand rief leise seinen Namen. Er hielt den Atem an und hoffte, dadurch unsichtbar zu werden. Vergeblich. Der Lichtstrahl einer Taschenlampe leuchtete ihm direkt ins Gesicht. Der Junge kniff die Augen zusammen, doch bevor er etwas erkennen konnte, hatte ihm der Mann die Kapuze übers Gesicht gezogen. Dann schaltete er das Licht an. Nicht, dass der Junge etwas gesehen hätte – es war mehr die Wärme, die er auf seiner Haut zu spüren glaubte und die ihm die Gewissheit gab, dass es wieder passieren würde. Obwohl der Mann jetzt beruhigend in einer fremden Sprache auf ihn einredete, kam Panik in dem Jungen auf. Er kannte den Ablauf. Ein paar Minuten musste er das Ding des Mannes bearbeiten, dann würde dieser das Licht wieder ausschalten, ihn zum Waschbecken führen, das Wasser aufdrehen und ihm die Kapuze herunterziehen. Dabei würde er weiter in der fremden Sprache sprechen und nur einen deutschen Satz einfügen: »Wenn du ein Wort sagst, wird deine Mutter sterben.« Der Mann würde unerkannt die Toilette verlassen, der Junge sich minutenlang die Hände waschen, um dann zurück in sein Bett zu schleichen und sich in den Schlaf zu weinen.

Doch diesmal war alles anders. Der Mann zog ihm die Schlafanzughose herunter, drehte ihn um und versuchte, in ihn einzudringen.

Schreiend erwachte er aus dem Schlaf. Zehn Jahre hatte er diesen Traum mehrmals die Woche gehabt, und dann wurde es immer weniger. Er dachte, er wäre darüber hinweg. Weitere 20 Jahre hatte er nicht mehr davon geträumt, bis diese E-Mail kam, und mit ihr war auch der Traum wieder da.

*

Montag

Nachdem Steinböck sich eine Zigarette gedreht hatte, setzte er sich mit einer Tasse Kaffee in den Korbstuhl und stellte fest, dass er Maxi Müllers Marihuanapflanzen unbedingt gießen musste. Nachdem Maxi Müller wegen zweifachen Totschlags zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden war, hatte Steinböck auf ihren Wunsch die Wohnung gewechselt, um sich besser der Pflanzen in ihrem Wintergarten annehmen zu können. Dazu hatte man ihre Möbel in seiner ehemaligen Wohnung abgestellt, und er war dafür mit seinen Sachen bei ihr eingezogen. Dafür hatte er versprochen, sich um ihre Pflanzen zu kümmern.

Während er seinen Gedanken und Tagträumen nachhing, war die Katze durch die offene Gewächshaustür hereingekommen, sprang auf den wackeligen Korbtisch und platzierte sich vor Steinböcks Kaffeetasse.

»Verdammt, du sollst nicht immer mit deinen dreckigen Pfoten auf den Tisch springen«, knurrte er und zündete dabei die Selbstgedrehte an.

»Ich hab es heute Nacht getroffen«, sagte sie, ohne auf Steinböcks Vorwurf einzugehen.

»Wen hast du getroffen?«

»Na, es, das fliegende Spaghettimonster.«

»Aha«, sagte er grinsend und nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette.

»Ja, es bestand nur aus einem großen Haufen Spaghetti mit Stielaugen, und dazwischen waren kleine Fleischpflanzerl. Ungefähr wie diese ekligen Köttbullar, die du dir bei IKEA immer reinziehst.«

Steinböck gluckste, verschluckte sich am Rauch der Zigarette und hustete wild.

»Du nimmst mich wohl nicht ernst, und außerdem solltest du nicht so viel rauchen, wenn du es nicht verträgst.«

Steinböck versuchte wieder zu Atem zu kommen, griff sein Feuerzeug und warf es nach der Katze, die aber bereits blitzschnell durch die Tür verschwunden war.

»Gewalt ist auch keine Lösung«, hörte er sie noch rufen.

Steinböcks anfängliche gute Laune war auf den Nullpunkt gesunken. Für einen kurzen Moment dachte er wieder daran, den Polizeipsychologen aufzusuchen.

Spaghetti mit kleinen Fleischpflanzerln, das kann nicht aus meinem Hirn kommen, überlegte er, und somit verwarf er den Gedanken, mit dem Psychologen zu sprechen, zum wiederholten Male. Solange es danach aussah, dass die Katze wirklich mit ihm sprach, sah er keine Veranlassung, an seinem Geisteszustand zu zweifeln.

Pünktlich um 8.30 Uhr verließ er mit seinem alten Käfer, begleitet von einigen Fehlzündungen, den Hof in der Fallmerayerstraße. Er hatte versprochen, seine Kollegin Ilona Hasleitner abzuholen und sie mit ins Kommissariat zu nehmen. Die Katze saß wie immer, wenn sie nicht schlief, vorne auf der Ablage, von wo sie in der Regel ihre Kommentare zu Steinböcks Fahrstil oder dem der anderen Verkehrsteilnehmer zum Besten geben konnte. Diesmal blieb sie still und es hatte auch nicht den Anschein, als ob sie den Verkehr beobachten würde. In der Schellingstraße stieg Ilona Hasleitner zu.

»Morgen, Chef, morgen, Katze, gut geschlafen?«, sagte sie munter und ließ sich in den Beifahrersitz plumpsen. Hasleitner hatte im letzten halben Jahr deutlich abgenommen, so passte inzwischen auch der Sicherheitsgurt des alten Käfers. Steinböck brummte ein kaum verständliches »Guten Morgen«, und Frau Merkel, die Ilona Hasleitner sonst freudig begrüßte, starrte weiterhin schweigend auf die Straße.

»Auweia, dicke Luft bei der Familie Steinböck. Soll ich aussteigen und mit der Tram fahren?«

»Awo, die Katz hat bloß schlecht g’schlafen. Sie hat eine Erscheinung g’habt und jetzt hat sie Bauchweh«, sagte Steinböck feixend.

»So, eine Erscheinung, und was ist ihr erschienen?«

»Ein großer Haufen Spaghetti mit kleinen Fleischpflanzerl.«

»Auweia, und davon hat’s zu viel gefressen?«

Jetzt lachte Steinböck laut.

»Kann scho sein, aber ich glaub’s nicht. Der Haufen Nudeln ist nämlich das fliegende Spaghettimonster und die Gottheit der Pastafari.«

»Du meinst, der Rastafari, Bob Marley und so.«

»Na, na, Pastafari ist schon richtig. Und da des alles mit einem neuen Fall zu tun hat, wirst du im Büro gleich darüber recherchieren.«

»Ein neuer Fall?«

»Ist noch nicht ganz sicher, aber mein Bauch sagt mir, dass es einer wird.«

Ilona Hasleitner schwieg einen Moment und versuchte, das eben Gehörte zu verdauen. Dann schweifte ihr Blick von der Katze zum Kommissar. Der »Chef«, wie sie Steinböck am liebsten nannte, hatte sie vor einem halben Jahr während ihrer Ausbildung zum Streifendienst zur Kripo geholt. Inzwischen hatte sie ihre Prüfung abgelegt und wollte Ermittlerin werden. Steinböck war gemütlich, aber auch genial. Doch sein seltsames Verhältnis zur Katze, die er meist mit ins Büro brachte, stellte sie immer wieder vor neue Rätsel.

»Und woher weißt du, dass dieses Spaghettimonster der Katze erschienen ist? Du kannst also doch mit ihr reden«, stellte sie fest.

»So ein Schmarrn, niemand kann mit Katzen reden«, sagte er energisch. Frau Merkel zog ihre Mundwinkel herunter, und ohne Zweifel schmunzelte sie hämisch. Dann sprang sie von der Ablage auf Ilonas Schoß und rollte sich dort genüsslich zusammen.

*

»Er ist wieder da«, raunte der Beamte an der Information Steinböck zu, wobei er eine geheimnisvolle Miene aufsetzte.

»Wer ist wieder da, Schneehofer?«

»Na, Ihr spezieller Freind«, dabei deutete er mit einem Nicken des Kopfes in Richtung der Katze auf Steinböcks Arm. »Da Staller ist wieder da.«

»Ich dachte, der kommt nicht wieder. Wie lange war der jetzt weg? Vier Monate?«

»Fünf Monat war er in psychiatrischer Behandlung. Aber jetzt soll er wieder in Ordnung sein.«

»Danke für den Hinweis«, murmelte Steinböck und steuerte auf den Aufzug zu.

»Yeah, der Kampf geht weiter«, schnurrte die Katze.

»Untersteh dich, dich ihm auch nur zu nähern«, zischte der Kommissar. Hasleitner, die die ganze Zeit hinter ihm her trottete, äffte Steinböck mit einem breiten Grinsen im Gesicht nach.

»Niemand kann mit Tieren reden.« Dann nahm sie die Treppen, während sich Steinböck mit noch zwei Beamten in den schon vollen Aufzug quetschte.

Im Büro empfing sie Emil Mayer junior, der geschickt mit seinem Rollstuhl zwischen den Schreibtischen herumkurvte.

»Morgen, Chef! Klessel hat angerufen. Er sagte, es war Mord. Du wüsstest schon Bescheid. Der schriftliche Bericht kommt nach. Du könntest auch rüberkommen, wenn du magst.«

»Dacht ich mir doch. Die SpuSi …«

»… hab ich schon losgeschickt«, unterbrach ihn Mayer junior und schob sich in Richtung Kaffeemaschine.

»Seit wann bist du schon da?«

»Seit um sechse«, antwortete Emil Mayer.

»Hast wieder Schmerzen g’habt?«

»Leider ned in die Füß, wenn’s nur endlich wehtun tät, dann wüsst’ ich, dass was passiert. Aber der Arzt hat g’sagt, die Chancen sind gut.«

Dann stützte er sich mit beiden Händen auf die Armlehnen des Rollis, streckte den Kopf nach hinten, bis es hörbar knackte, und ließ sich dann zurück in den Rollstuhl fallen.

»Magst an Kaffee, Chef?«

Steinböck sah ihn an und dachte daran, wie er das erste Mal im Büro aufgetaucht war. Er war mit dem Rollstuhl gegen die Bürotür geknallt. Die Schramme sah man heute noch.

»Emil Mayer junior. Ich bin der neue Kollege. Neger, Rollstuhlfahrer, 60er-Fan«, so hatte er sich damals vorgestellt. Gerade einmal 30, da hatte ihn eine verirrte Kugel in den Rücken getroffen.

»Kaffee oder Kaffee?«, rief er nochmal.

»Kaffee«, antwortete Steinböck und ließ sich in seinen Sessel plumpsen, der gefährlich quietschte.

»Irgendwann a mal kracht’s ihr zwei zamma«, stellte Hasleitner fest und verteilte eine Runde Butterbrezen.

»Also, passt’s auf, ich war gestern Abend beim Klessel zum Essen eingeladen … Was mich jetzt interessiert, ist des Umfeld des Toten. Familie, Beruf, Konten, Hobbys et cetera. Des machst du, Hasleitner. Und du, Emil, suchst alles raus, was du über den Nachbar, die Pastafari und des fliegende Spaghettimonster finden kannst. Ich geh inzwischen zum Klessel, und die Katz nehm ich mit.«

»Warum darf meine schwarze Schwester nicht dableiben?«, fragte Mayer junior grinsend.

»Der Staller ist wieder da«, sagte Steinböck.

»Auweia, dann is besser, wenn du die Kanzleraufsicht hast.«

*

Wie üblich traf er Klessel am Schreibtisch hockend, die Beine auf den Tisch gestreckt und wieder mal selbstzufrieden vor sich hin lächelnd.

»Du darfst mich Genie nennen«, sagte er erwartungsvoll.

»Was ist los, hast du schon wieder von deinem Formalin getrunken?«

»Hä, hä, ich habe den Fall sozusagen schon gelöst.«

»Wo kann ich mich hinsetzen?« Steinböck blickte sich vergeblich nach einer Sitzgelegenheit um, denn er wusste, dass es länger dauern würde. Schließlich setzte er sich auf einen der fahrbaren Seziertische, während die Katze auf Klessels Schreibtisch sprang.

»Ich sag nur ›Chironex fleckerie‹, die mordende Hand.«

»Oh, ich wusste gar nicht, dass ich so gefährlich bin.«

»Red endlich Klartext, sonst nehm ich dir deinen Flachmann weg«, antwortete Steinböck genervt und warf zugleich der Katze einen bösen Blick zu.

»Das Gift der ›Seewespe‹, einer Quallenart die nur im australischen Pazifik vorkommt. Eine kleine Menge davon ist bereits absolut tödlich.«

»Und wie wurde es ihm verabreicht?«

»Folge mir«, sagte Klessel theatralisch und zog den verdutzten Steinböck, der noch immer auf dem Sezierwagen saß, hinter sich zu der Wand mit den Kühlboxen her. Er öffnete eine der Türen und zog die Rollbahre mit Grubers Leiche heraus. »Hier, schau dir die Handinnenfläche an.« Er klappte das Pflaster zurück, und ein geröteter Einstich wurde sichtbar. »Siehst du die glänzende Haut? Der Täter hat die Wunde sogar mit einem Spray desinfiziert und dann ein Pflaster angebracht, um davon abzulenken.«

»Und wer sagt dir, dass es nicht Gruber selbst war? Er könnte sich an dem vergifteten Objekt verletzt und sich dann verarztet haben«, sagte Steinböck, während er vorsichtig vom Sezierwagen rutschte.

»Unmöglich, dazu hatte er keine Zeit mehr gehabt. Außerdem habe ich mit Beck von der SpuSi telefoniert. In der ganzen Wohnung gibt es kein Desinfektionsspray. Und sie haben auch kein Pflaster gefunden. Aber sie konnten einen Plastikstreifen sicherstellen, der ganz offensichtlich von der Rückseite eines Pflasters stammt. Und jetzt tritt Thomas Klessel in Aktion, der genialste Pathologe seit Karl-Friedrich Boerne.«

»Und wer soll das sein?«

»Vergiss es, Klessel, der Kerl guckt doch nur die Teletubbies.«

»Okay, stell dir vor, du hast Handschuhe an und willst die Folie eines Pflasters abziehen. Entweder ziehst du die Handschuhe aus, dann befänden sich Fingerabdrücke auf dem Pflaster, oder du hältst sie mit den Zähnen fest, dann ließen sich vielleicht Spuren von Speichel finden, um die DNA nachzuweisen.«

»Oder du hast Gummihandschuhe an, dann bekommst du sie trotzdem ab.«

»Laut Beck gibt es eine eindeutige Druckstelle, die auf einen Zahnabdruck hinweist«, dozierte Klessel und ignorierte Steinböcks Einwand.

»Wann hast du die DNA-Probe analysiert?«

»Wenn etwas zu finden ist, dann bis morgen.«

»Gute Arbeit, Thomas«, sagte er, packte die Katze unterm Bauch und nahm sie auf den Arm. »Ach, übrigens, wer ist jetzt dieser Karl-Friedrich Boerne?«

*