Schafft die Stühle ab! - Renate Zimmer - E-Book

Schafft die Stühle ab! E-Book

Renate Zimmer

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Beschreibung

Renate Zimmer beschreibt in Ihrer anschaulichen Sprache und zupackenden Art, warum Bewegung und Wahrnehmung für die kindliche Entwicklung so extrem wichtig sind und wie wir die notwendigen Frei-Räume zum Weltentdecken durch Toben und Spielen konkret schaffen. Das Buch wirbt dafür, Kinder in ihrem Bewegungsdrang zu akzeptieren, und zu verstehen, warum es für die kindliche Entwicklung wichtig ist, in Pfützen zu springen, sich beim Spielen komplett einzusauen - und eben auch, mal unbeobachtet zu spielen. Eine kurzweilige, stichhaltige und so überzeugende wie anregende Lektüre.

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Einführung

Wir sitzen – auf einer Bank, einem Autositz, im Fernsehsessel, ­auf einem Büro-, Esstisch- oder Gartenstuhl – Stühle bestimmen unsere Wohnkultur. Ein Wohnzimmer, ja sogar ein Kinderzimmer ganz ohne Stühle – undenkbar!

Das Sitzen ist die ungesündeste aller Körperhaltungen, die es gibt. Es ist die Ursache für viele Zivilisationserkrankungen. US-amerikanische Forscher gehen davon aus, dass nur zwei Stunden ununterbrochenes Sitzen die Risken für Herzerkrankungen, Diabetes, Bluthochdruck, Rücken- und Nackenschmerzen sowie andere Zivilisationserkrankungen erhöht. Der Mediziner James A. Levine behauptet sogar, Sitzen sei gefährlicher als Rauchen (Levine 2014).

In diesem Buch wird das Sitzen problematisiert und seine Folgen thematisiert – für die Gesundheit, die körperliche Leistungsfähigkeit, für das allgemeine Wohlbefinden, die Aufmerksamkeit – vor allem für die Entwicklung von Kindern.

Ganz abschaffen wird man die Stühle nicht können, daher werden in diesem Buch Alternativen zum Sitzen und Möglichkeiten für alternatives Sitzen aufgezeigt, für Kinder wie auch für Erwachsene.

Lassen Sie sich inspirieren – für einen bewegten

Alltag, für sich selbst und für Ihre Kinder.

Inhalt

Einführung

Sitzen – Kulturgut oder Zivilisationsübel?

Evolution – der Mensch ist ein Läufer

Sedentarismus – vom Homo sapiens zum Homo sedens

Selbstständigkeit – leitet sich aus dem Selber stehen ab!

Die Wandelhalle – Stätte zum Philosophieren

Ein Volk von Sitzenbleibern – Studienergebnisse der DKV

Sitzen – Auswirkungen auf Körper und Psyche

„Sitzen ist das neue Rauchen“

Wege aus der Sitzfalle

Pulverfass Bewegungsmangel

Wie viel Bewegung brauchen wir? – Empfehlungen der WHO

Barfußlaufen – die Sinne kitzeln und die Muskeln stärken.

Fallen will gelernt sein – Sturzprophylaxe durch Koordination und Balance

In Balance bleiben

Zu viel Sitzen – zu viel Gewicht

Alternatives Sitzen und Alternativen zum Sitzen

Aktives Sitzen – gibt es das? Vom statischen zum dynamischen Sitzen

Alternative Sitzgelegenheiten

Bewegungspausen mit dem Stuhl

Bewegungspausen

Runter vom Sofa – Raus aus dem Sessel! Wie Sie die ganze Familie auf Trab bringen

Räumt die Stühle raus – lasst Bewegung rein! Die bewegte Kita

Für jedes Kind einen Platz auf dem Stuhl und am Tisch?

Räume laden zur Bewegung ein

Die Stühle machen „Urlaub“

Bewegte Rituale

Wer sich nicht bewegt bleibt sitzen – Bewegte Schule

Sitzen in der Schule hat eine lange Tradition

Alternativen zu Tisch und Stuhl

Bewegt lernen in einer „Bewegten Schule“

Bewegtes Klassenzimmer – ein Konzept der Waldorfschulen

Grünes Klassenzimmer

Walking Bus – ein bewegter Weg zur Schule

Verwendete Literatur und Tipps zum Weiterlesen

Die Autorin

Sitzen prägt unseren Alltag, das ist schon bei den Kindern so: Sie sitzen bei den Mahlzeiten am Tisch, im Bus oder Auto auf dem Weg zur Kita oder zur Schule; in der Kita gibt es einen Sitzkreis, und in der Schule prägen Stühle das Klassenzimmer, Hausaufgaben werden im Sitzen erledigt. Selbst die Freizeit ist durch eine sitzende Haltung geprägt: Fernsehen, Playstation, Smartphone – alles ist mit Sitzen verbunden.

Ja, sogar Spielen ist im Sitzen möglich – und bei vielen Eltern sogar erwünscht.

Aber eigentlich hassen Kinder nichts mehr als Stillsitzen. Voller Bewegungsfreude wollen sie die Welt erobern, und den Stuhl benutzen sie allenfalls als Klettergerät. Aber schon Kleinkinder werden in den Hochstuhl gesetzt, am Tisch wird Stillsitzen verlangt. Kommt das Kind dann in die Kita, gibt es bald für jedes Kind einen Stuhl am Tisch, und von den Eltern wird erwartet, dass Kinder in der Kita das Stillsitzen als Vorbereitung für die Schule lernen.

Auf den folgenden Seiten wird beschrieben, wie ein aktiver Lebensstil schon von klein auf eingeübt werden kann, wie wir der Sitzfalle entgehen, wie Bewegungspausen im Alltag aussehen können. Praktische Anregungen zeigen, wie auch auf kleinstem Raum in der Familie Bewegung möglich ist, wie in Kindergärten „die Stühle in Urlaub geschickt“ werden können und wie selbst in Schulen das Sitzen vermieden und stattdessen ein bewegter Schulalltag mit vielen bewegten Pausen stattfinden kann.

Raus aus der Sitzfalle!Schickt die Stühle in den Urlaub!

Sitzen – Kulturgut oder Zivilisationsübel?

Sitzen gilt als zivilisierte Haltung, die meisten gesellschaftlich hoch bewerteten beruflichen Tätigkeiten werden im Sitzen ausgeführt. Und schließlich finden erfolgreiche Bildungswege von der Schule bis zur Universität vor allem in Klassenräumen und Hörsälen mit Bestuhlung statt. Je länger man dort sitzt, desto höher wird die gesellschaftliche Position einmal sein. Das Sitzen findet in unserer westlichen Kultur meist auf Stühlen statt. Dies ist nicht in allen Kulturen so.

In vielen modernen Ländern (Indien, Korea, Japan) ist das Sitzen auf Stühlen im privaten Umfeld eher unüblich. Beim Essen und beim geselligen Beisammensein „sitzt“ man auf Kissen an ganz niedrigen Tischen.

Sitzen bestimmt auch die frühen Bildungseinrichtungen, die Kinder besuchen. Das Erste, was ein Kind bei seiner Einschulung lernen muss, ist, seinen Körper zu disziplinieren.

So schrieb der Philosoph Immanuel Kant in seiner Schrift „Über Pädagogik“ 1803:

„Wildheit ist die Unabhängigkeit von Gesetzen. Disciplin unterwirft den Menschen den Gesetzen der Menschheit, und fängt an, ihn den Zwang des Gesetzes spüren zu lassen. Dieses muß aber frühe geschehen. So schickt man z. E. Kinder Anfangs in die Schule nicht schon in der Absicht damit sie etwas lernen sollen, sondern damit sie sich daran gewöhnen mögen, still zu sitzen und pünktlich das zu beobachten, was ihnen vorgeschrieben wird, damit sie nicht in Zukunft jeden ihrer Einfälle würklich auch und augenblicklich in Ausübung bringen mögen.“

Also scheint es auf den ersten Blick ganz normal, dass Kinder früh an das Sitzen gewöhnt werden – schließlich bestimmt das Sitzen auf Stühlen doch auch unser Erwachsenenleben. Und aus den quicklebendigen Kindern, die nichts lieber tun als zu rennen, zu springen, auf Mauern zu klettern und über Pfützen zu springen – sollen schließlich zivilisierte Erwachsene werden, die vor allem fit sind im Umgang mit elektronischen Medien, die in Zukunft noch mehr unser Alltagsleben bestimmen werden. Und diese Medien werden vorwiegend im Sitzen bedient.

Ein ernstes Problem sind allerdings die gewaltigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die mit dem Dauersitzen zumeist auf Stühlen einhergehen. Das Sitzen auf einem Stuhl widerspricht völlig dem Aufbau und der Funktionsweise des menschlichen Körpers. ­Dies hat zunächst einmal orthopädische Gründe. Unsere Wirbelsäule mit der doppelten S-Form eignet sich nicht zum Sitzen. Das Becken kippt beim Sitzen, was die Wirbelsäule in eine unnatürliche C-Form zwingt. Auf Dauer verkümmert auch die Rücken- und Bauchmuskulatur.

Darüber hinaus muss bedacht werden: Der Mensch ist von Natur aus auf Bewegung – nicht auf Stillsitzen – angelegt. Dies trifft für uns Erwachsene zu (selbst im Schlaf ändern wir ständig unsere Liegeposition), viel mehr noch gilt es für Kinder, die in ihrer Entwicklung ausgewogene Bewegungsreize brauchen, um ihr Knochensystem, ihren Haltungs- und Bewegungsapparat, ihre Muskulatur und ihr Herz-Kreislauf-System zu stärken.

Sitzen auf Stühlen ist keineswegs so „unschuldig“ und unverdächtig, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint.

Evolution – der Mensch ist ein Läufer

Eigentlich ist der Mensch von Natur aus ein Läufer. In der Steinzeit mussten unsere Vorfahren sich täglich auf die Suche nach Nahrung begeben. Sie liefen oft 15 Kilometer täglich auf der Jagd nach Wild, sie sammelten Beeren und Früchte, sie rannten, um vor Raubtieren zu fliehen, und kämpften gegen wilde Tiere. Man bezeichnete sie als „Jäger und Sammler“. Sie setzten sich nur selten hin – z. B. am Feuer oder bei den Mahlzeiten –, und selbst dann hockten sie eher, um immer bereit zu sein, schnell aufzuspringen, wenn Gefahr drohte.

Unser Erbgut ist also darauf programmiert, sich zu bewegen, körperlich aktiv zu sein.

Die Zeit der „Jäger und Sammler“ wurde durch die zunehmende Sesshaftigkeit des Menschen abgelöst, die Erfindung der Landwirtschaft hatte aber immer noch harte körperliche Arbeit zur Folge. Mit Beginn der industriellen Revolution wurden den Menschen ­die körperlichen Tätigkeiten mehr und mehr abgenommen. Zunehmend ersetzten Maschinen den Menschen in seinen schwierigsten Aufgaben, erleichterten ihm seine Arbeit und ermöglichten es ihm, mit weniger Aufwand mehr zu schaffen. Die Büroarbeit entwickelte sich ebenso wie die Technisierung und Motorisierung des Alltagslebens. Und mit dieser Entwicklung trat das Sitzen auf Stühlen immer mehr in den Vordergrund.

Der Evolutionsbiologe Daniel Lieberman weist darauf hin, dass viele körperliche Leiden auf Fehlanpassungen an die Moderne beruhen. So seien etwa Schuhe schlecht für den Rücken, und in zu engen Räumen werde man kurzsichtig (Lieberman 2022).

Sitzen ist die Zivilisationskrankheit des 21. Jahrhunderts. Jeder Stuhl müsste im Grunde genommen mit dem Warnsiegel „Vorsicht – Sitzen schadet Ihrer Gesundheit!“ versehen werden, analog der Warnung auf den Zigarettenschachteln.