Schlaf in tödlicher Ruh - Nina Ohlandt - E-Book
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Schlaf in tödlicher Ruh E-Book

Nina Ohlandt

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Beschreibung

Ein Krimi über eine große Liebe und ein schreckliches Verbrechen, der Sie nicht mehr loslassen wird!

Als Lilly Velasco von ihrer Jugendfreundin Sonja eingeladen wird, die Weihnachtstage auf deren Hof im Elisenkoog zu verbringen, freut sich die junge Kommissarin zunächst. Aber die Stimmung unter den anderen Freunden und Familienmitgliedern ist von Beginn an äußerst angespannt - und am nächsten Morgen liegen drei der Gäste tot in der Sauna. Lilly ruft John Benthien und Tommy Fitzen zu Hilfe, um den Tod der drei Männer zu untersuchen, und stößt direkt auf das nächste Opfer. Nach und nach stellt sich heraus, dass jeder einzelne der Anwesenden etwas zu verbergen hat - und dass der Täter ihnen immer einen Schritt voraus ist ...

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!


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Seitenzahl: 217

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Hinweis für die Leser

Personenliste

18. Dezember

25. Dezember

26. Dezember

Zwei Wochen zuvor

24. Dezember, Heiligabend

25. Dezember, erster Weihnachtsfeiertag

25. Dezember, erster Weihnachtsfeiertag, abends

26. Dezember, zweiter Weihnachtsfeiertag

27. Dezember

28. Dezember

29. Dezember

31. Dezember

Leseprobe – Sturmläuten

Über dieses Buch

Als Lilly Velasco von ihrer Jugendfreundin Sonja eingeladen wird, die Weihnachtstage auf deren Hof im Elisenkoog zu verbringen, freut sich die junge Kommissarin zunächst. Aber die Stimmung unter den anderen Freunden und Familienmitgliedern ist von Beginn an äußerst angespannt – und am nächsten Morgen liegen drei der Gäste tot in der Sauna. Lilly ruft John Benthien und Tommy Fitzen zu Hilfe, um den Tod der drei Männer zu untersuchen, und stößt direkt auf das nächste Opfer. Nach und nach stellt sich heraus, dass jeder einzelne der Anwesenden etwas zu verbergen hat …

Über die Autorin

Nina Ohlandt wurde in Wuppertal geboren, wuchs in Karlsruhe auf und machte in Paris eine Ausbildung zur Sprachlehrerin, daneben schrieb sie ihr erstes Kinderbuch. Später arbeitete sie als Übersetzerin, Sprachlehrerin und Marktforscherin, bis sie zu ihrer wahren Berufung zurückfand: dem Krimischreiben im Land zwischen den Meeren, dem Land ihrer Vorfahren.

Nina Ohlandt

Schlaf in tödlicher Ruh

Nordsee-Krimi

beTHRILLED

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Dieses Werk wurde vermittelt durch die agentur literatur Gudrun Hebel.

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Kai Lückemeier

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung von Motiven © shutterstock: J.M.P.M. Seijger | Bastian Kienitz

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-1603-2

Für diesen Krimi konnten unsere Facebook-Fans Titelvorschläge einreichen. Gewonnen hat der Vorschlag von Ramona Beinroth, Katharina Egerdy, Beate Rogge und Jasmin Kerz.

Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erscheinenden Werkes »Sturmläuten« von Nina Ohlandt.

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Redaktion: Dr. Kai Lückemeier

Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Dudarev Mikhail | twoKim | hironai; © plainpicture: David Carreno Hansen; © Arcangel: Katja Kemnitz

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Hinweis für die Leser:Die Kurzromane um John Benthien und sein Teamsind zeitlich vor

Personenliste

Die Kripo aus Flensburg:

John Benthien, Erster Hauptkommissar

Tommy Fitzen, Oberkommissar

Lilly Velasco, Oberkommissarin

Die Gastgeber der Weihnachtsfeier:

Sonja Liebertz, Erzieherin

Julian Liebertz, Architekt

Babette Neumeyer, Sonjas Mutter, psychosozialer Dienst

Die Gäste der Weihnachtsfeier:

Hedi Schuster, Steuerfachangestellte, »Die Fröhliche«

Rose-Marie Heine, Krankenschwester, »Die Pechmarie«

Fredi Osterhage, Sonjas Ex, Galeriebesitzer, »Der Kumpel«

Armin Töpfert, IT-Fachmann, »Der Unheimliche«

Wolfgang Runge, Bankkaufmann, »Der Schmusebär«

Matte Blum, Hausmeister und Faktotum, »Der Zuverlässige«

Andere:

Eric Kantor, »Der Eifersüchtige«

Mona und Florian (Mo und Flo), Sonjas und Fredis Kinder

18. Dezember

Er erwachte, weil jemand in seiner Nähe weinte. Es waren seltsam kindliche Laute, und es dauerte eine Weile, bis er merkte, dass er selbst es war, der diese Laute ausstieß. Das Kissen war unangenehm nass von seinen Tränen. Außerdem war ihm heiß, sein Kopf schmerzte. Er hatte furchtbaren Durst und Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. War es früher Morgen oder später Nachmittag? Wieso lag er angezogen im Bett? Selbst die Schuhe trug er noch an den Füßen. Eine Weile döste er weiter vor sich hin, bis es ihm mit einem Schlag wieder einfiel. Er hatte getrunken, den ganzen Vormittag über, zuerst Weißwein, dann Bier, dazu mehrere Schnäpse. Gefrühstückt hatte er, soweit er sich erinnern konnte, nicht, und auch später hatte er nichts zu sich genommen außer dem Alkohol, an den er nicht gewöhnt war. Irgendwann war ihm übel geworden und schwindlig. Er war ins Schlafzimmer getorkelt, das noch vollstand von unausgepackten Umzugkartons, und wie betäubt aufs Bett gefallen. Kein Wunder, er schlief ja auch kaum in den Nächten.

Er angelte nach einer Flasche Wasser, die auf dem Nachttisch stand, und trank wie ein Verdurstender. Die Anzeige auf dem Wecker sagte ihm, dass es halb vier Uhr nachmittags war. Draußen dämmerte es bereits, und Schneeflocken fielen sanft wie Federn vom Himmel. Vielleicht würde es dieses Jahr endlich einmal weiße Weihnachten geben? Doch dann fiel ihm ein, dass ihm das herzlich egal sein konnte, denn für ihn würde es kein fröhliches Fest geben. Dieses Jahr nicht und vielleicht nie wieder.

Er wusste, er sollte aufstehen, eine Tablette gegen seine Kopfschmerzen nehmen, pinkeln, aber er ließ sich stöhnend wieder in die Kissen sinken. Eigentlich wollte er nur schlafen, nichts denken, nichts fühlen, geborgen sein im großen schwarzen Nichts.

Doch dann fiel sein Blick auf das Nikolauskostüm, das auf einem Bügel am Kleiderschrank hing. Rote Hosen, rote Kapuzenjacke, gesäumt von weißem Kunstpelz, ein weißer Rauschebart. Auf dem Nachttisch lagen ein Paar buschige weiße Augenbrauen, die er im Kostümverleih gefunden hatte. Er war sich sicher, dass ihn in dieser Verkleidung niemand erkennen würde. Sie vielleicht, doch niemand sonst. Allerdings fragte er sich allmählich, was er mit dieser Aktion eigentlich bezweckte? Wäre es nicht besser, einfach als er selbst zu dieser sogenannten Party zu gehen? Warum die Verkleidung? Und was wollte er dort eigentlich? Außer vielen wirren Ideen hatte er keine Strategie. Oder doch? Er hatte es schon des Öfteren erlebt, dass er instinktiv wusste, ohne explizit darüber nachzudenken, was zu tun war, als ob eine innere Stimme ihn denken und handeln ließe. Vielleicht sollte er einfach abwarten und Vertrauen haben?

Er schloss die Augen, lauschte dem Verkehr der Stadt, der im gleichförmigen Rhythmus über die Bundesstraße rauschte. Beinahe wäre er wieder eingedöst, doch dann sprang er aus dem Bett, ging mit einer tranceartigen Zielstrebigkeit zum Kleiderschrank und entnahm der untersten Schublade eine Pistole. Er wog sie in der Hand, fuhr sanft mit dem Finger über den Lauf. Dann steckte er sie in die Tasche der Nikolausjacke.

Er wusste immer noch nicht, was er tun würde.

Er wusste nur, dass ihm die kleine, tödliche Waffe Mut und Selbstvertrauen geben würde … auch wenn er keine Munition dafür besaß.

25. Dezember

Schnee. Nichts als Schnee. Fast schon sibirische Verhältnisse. Zumindest stellte sie sich diese so vor, denn in Sibirien war sie nie gewesen. Die weiße Pracht erstreckte sich über das weite, flache Marschland, über Felder und Viehweiden, unübersehbar, nur der ferne Deich begrenzte den Horizont.

Seit sie vom Spaziergang zurückgekommen waren, hatte es wieder zu schneien begonnen, und alle Fußspuren, die zu dem kleinen Holzpavillon mit der neuen Sauna hätten führen müssen, waren schon wieder unter einer flauschigen Schneedecke verschwunden. Das strahlende Weiß schien rein und unberührt.

Sollte sie sie holen? Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass geraume Zeit vergangen sein musste, seit die kleine Gesellschaft die Sauna aufgesucht hatte. Drinnen im Haus bereiteten Babette und die anderen gerade einen Brunch vor, obwohl sie, wenn sie ehrlich war, nach dem gestrigen Weihnachtsmahl und dem Mitternachtsimbiss noch keinerlei Hunger verspürte.

Sie zögerte, dann streifte sie ihren fellgefütterten Parka über – die Stiefel hatte sie sowieso noch an – und stapfte durch den wieder einsetzenden Schneefall auf den Pavillon zu. Ihre Füße bildeten einen frischen Pfad in dem schneebedeckten Hof, als wäre sie der erste Mensch auf Erden in einer reinen, weißen Welt, am Anfang einer neuen Zeit.

Als sie sich dem Pavillon näherte, fiel ihr auf, wie ruhig es war, geradezu klösterlich still in der kalten Luft. Aus dem Schornstein stieg steil der Rauch nach oben, als setzte er ein unabänderliches Zeichen. Ihr Herz schlug schneller. Sie blieb stehen und atmete tief durch. Behutsam öffnete sie die Tür zum Vorraum; vorsichtig, fast auf Zehenspitzen, betrat sie den Pavillon, der noch immer nach frisch geschlagenem Holz duftete. Die Tür zur Sauna war geschlossen, durch das Fenster konnte sie niemanden sehen.

Sie drückte die Klinke nach unten. Feuchte Hitze schlug ihr entgegen und nahm ihr fast den Atem.

Dann blieb sie abrupt stehen.

26. Dezember

Kurznachricht in der Online-Ausgabe der Küsten-Rundschau:

Niebüll. Ein tragischer Vorfall hat sich am ersten Weihnachtsfeiertag im Elisenkoog zugetragen. Auf einem Hof wurden in einer Sauna drei Tote gefunden. Wie diese zu Tode kamen, ist noch unklar, sie werden zurzeit obduziert. Die Polizei schließt weder einen Unfall noch Fremdverschulden aus.

Wir berichten.

Zwei Wochen zuvor

Tommy Fitzen, Oberkommissar bei der Kripo in Flensburg, kramte aus seinem schier unerschöpflichen Jutesack mit trashiger Weihnachtsdeko ein besonders scheußliches Exemplar hervor – einen obszön die Hüften schwingenden, singenden, albern grinsenden Weihnachtsmann – und stellte es genau in die Mitte zwischen seinem Schreibtisch und dem seines Kollegen.

»Tu das sofort weg!«, kommentierte sein langjähriger Freund aus Kindertagen, Erster Hauptkommissar John Benthien, und betrachtete angeekelt den swingenden Rotrock. »Davon kriegt man ja Ohrenkrebs.«

Fitzen antwortete nicht, sondern präsentierte als nächste Überraschung eine Lichtergirlande aus seelenvollen Engelsköpfen, die er entlang eines staubigen Aktenregals befestigte. Mit kindlicher Begeisterung sagte er: »Schau mal, was passiert, wenn ich das Licht anmache!«

Der stuhlkippelnde Benthien fiel vor Schreck beinahe hintenüber, als die Engelsgesichter anzüglich mit den großen Augen zu klimpern begannen.

»Wo treibst du nur immer diesen scheußlichen Krempel auf?«, echauffierte er sich, aber Fitzen lachte nur.

Es klopfte. Lilly Velasco, die neue Kollegin, die im Frühjahr aus Lüneburg zu ihnen gekommen war, steckte den Kopf herein. Sie schien, jetzt zum Ende der Dienststunden, Lust auf ein Schwätzchen zu haben. Fitzen ging in die kleine Etagenküche und kam mit drei Instant-Cappuccino zurück, Benthien spendierte die Schokostreusel dazu. Man sprach über Weihnachten. Fitzen, der mit seiner Lebensgefährtin Katharina und ihrer gemeinsamen Tochter Jenny zusammenlebte, erzählte, dass er an Heiligabend eine Party geben und einige Freunde dazu einladen wolle. »Wollt ihr nicht auch kommen?«, fragte er. »Lilly, du kennst in Flensburg doch noch nicht so viele Leute. Du bist herzlich bei uns eingeladen.«

»Hattest du nicht vor, zu deinem Vater in die Heide zu fahren?«, fragte Benthien, rutschte auf seinem Stuhl in eine bequemere Position und legte die Füße auf den Schreibtisch neben einen Stapel angestaubter Akten.

»Mein Vater hat beschlossen, dieses Jahr mit einem befreundeten Ehepaar auf Teneriffa wandern zu gehen«, erklärte Lilly und baumelte mit den Beinen. »Und ich überlege gerade, ob ich nicht eine Freundin in der Schweiz besuche. Aber danke für die Einladung, Tommy!«

»Du bist natürlich auch herzlich eingeladen, Partner, das weißt du«, sagte Fitzen, zu Benthien gewandt. Der grinste kläglich, wurde jedoch gleich wieder ernst.

»Ich glaube, dass Karin andere Pläne hat. Partys an Heiligabend sind nicht so ihr Ding. Wahrscheinlich müssen wir wieder zu ihren Eltern nach Holnis. Oder sie kommen zu uns. Sie sollen ja unser neues Haus bewundern.«

Benthien lebte seit einigen Jahren mit einer Physiotherapeutin zusammen, die eine Praxis in Niebüll betrieb. Weil ihr die tägliche Fahrt von Flensburg nach Niebüll zu beschwerlich war, hatten sie vor Kurzem ein Haus in Leck angemietet, sodass nun Benthien jeden Tag die Fahrt über die B 199 nach Flensburg antreten musste. Für Celina, Karins Tochter, hatte die Mutter ein eigenes Zimmer in ihrer Praxis eingerichtet, wo sie sie einigermaßen unter Aufsicht hatte.

»Tja, da muss man sich eben auch mal durchsetzen«, zog Fitzen seinen Freund auf, »spiel den Macho, mach den Chauvi, Jonny-Boy, zeig ihr, wo der Hammer hängt.«

»Fitzen, hast du getrunken? Lass die Sprüche. Und knips diese bescheuerten Engel aus. Die machen mich ganz rammdösig.«

»Ja, schrecklich, man muss unwillkürlich hinsehen, ob man will oder nicht«, meinte auch Lilly.

»Das Zwinkern kann man ausschalten«, sagte Fitzen stolz, »und das Licht bleibt trotzdem an. Raffiniert, was?«

»Warum machst du das nicht gleich?« Benthien war immer noch mürrisch und seine Laune nicht die beste. Doch dann besann er sich und fragte nach Lillys Vater. Genau wie sein eigener war Lillys Vater Witwer, allerdings ein ziemlicher Eigenbrötler, wie er gehört hatte. Sie plauderten noch ein paar Minuten, bis Fitzen wieder anfing, in seinem Nikolaussack zu kramen. Um der nächsten »Überraschung« zu entgehen, sprang Benthien auf, zog seine Jacke an und meldete sich für heute ab in den Feierabend. Auch Lilly verabschiedete sich.

»Ich dekoriere noch ein bisschen«, verkündete Fitzen, nur um Benthien zu ärgern, »damit es hier morgen nicht mehr so kahl aussieht. Lauter nützliche Sachen!« Grinsend stellte er eine Rolle Klopapier auf den Tisch, neckisch bedruckt mit Nikoläusen und zähnebleckenden Elchen.

Um ein Haar wäre Lilly, nachdem sie sich von Kollege Benthien verabschiedet hatte, vor dem Polizeipräsidium in eine Frau hineingelaufen. Sie entschuldigte sich zerstreut und wollte weitergehen, als sie plötzlich eine vertraute, aber seit Langem nicht mehr gehörte Stimme hinter ihrem Rücken vernahm: »Mein Gott, Lilly!«

Sie drehte sich um. »Sonja?«

Es war schwer zu glauben. Lilly hatte Sonja, die sie aus gemeinsamen Kindertagen in einem Dorf in der Lüneburger Heide kannte, mindestens drei Jahre lang nicht mehr gesehen. Und davor auch nur sporadisch. Längst hatten sich ihre Wege getrennt. Lilly war auf die Fachhochschule gegangen und später in Lüneburg in den Polizeidienst eingetreten; Sonja hatte eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht, geheiratet, zwei Kinder bekommen, sich dann wieder scheiden lassen und war nach Süddeutschland gezogen. So weit war Lilly auf dem Laufenden. Aber dann hatte sie ihre Freundin aus den Augen verloren. Und nun stand sie auf einmal vor ihr, in Flensburg, an einem nasskalten Vorweihnachtstag!

»Wolltest du zu uns? Zur Polizei?«, fragte Lilly verblüfft, nachdem sich beide lange umarmt hatten.

»Nein, wirklich nicht«, sagte Sonja lachend. »Ich bin wohl rein zufällig hier gelandet, in Flensburg kenne ich mich noch nicht so richtig aus.«

»Dann wohnst du jetzt hier? Das gibt es doch nicht!«

Sonja zögerte. »Eigentlich bin ich hier, um Weihnachtseinkäufe zu machen. Ich wohne ein ganzes Stück weg von hier, im Elisenkoog.«

»An der Nordsee? In den Marschen? Direkt hinterm Deich? Wie romantisch!«

Sonja schmunzelte. »Ja, kann man so sagen.«

»Aber doch nicht du allein?«

Die Freundin blieb stehen; sie strahlte übers ganze Gesicht. »Nein, natürlich nicht! Ich habe wieder geheiratet, Lilly! Vor ein paar Wochen. Er heißt Julian und ist Architekt. Wir haben gerade unser Haus fertiggestellt, das heißt, wir haben einen alten Hof renoviert und umgebaut. Ach Mensch, ich bin noch ganz durcheinander. Sag mal, hast du nicht ein bisschen Zeit? Gibt’s hier in der Nähe ein Café oder so was? Wo wir reden können?«

Lilly musste lachen. Das war sie, immer noch, ihre leicht chaotische Sonja; das Leben hatte ihr noch nicht die sonnigen, unbekümmerten, impulsiven Seiten austreiben können.

Sie drückte Sonjas Arm. »Ja, ein Café ›oder so was‹ werden wir sicher auftreiben können. Komm einfach hinter mir her und halte dich an meinem Mantelzipfel fest. Wie früher.«

Sie kicherten wie die Kinder. Da Sonja immer etwas zerstreut gewesen war, war sie früher häufiger mal verloren gegangen, war stehen geblieben, um Beeren zu pflücken, in die Luft zu gucken, hinter einem Kaninchen herzulaufen oder einen Maikäfer aufzusammeln.

Ein Café war schnell gefunden. Sie setzten sich an einen weihnachtlich geschmückten Tisch, bestellten Apfelkuchen, und Sonja erzählte von ihrer Hochzeit, die sie, allein in trauter Zweisamkeit, in Dänemark gefeiert hatten.

»Und wo hast du dieses Prachtstück von einem Mann aufgetrieben?«

»Erinnerst du dich? Ich habe dir doch erzählt, dass ich nach meiner Scheidung nach Heidelberg ziehen wollte, das war immer mein Traum gewesen. Leben mit dem Blick auf den Heidelberger Schlossberg!«

»Ja, und danach hast du dich nie mehr gemeldet!«

Sonja machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Lilly, das tut mir wirklich leid! Ich habe in einer Pension gearbeitet, das hatte den Vorteil, dass ich dort mit den Kindern wohnen konnte. Du ahnst nicht, was so ein Hotelbetrieb, selbst wenn es nur ein B&B ist, für eine Arbeit macht. Und dann musste ich mich um meine beiden Rabauken kümmern. Ich bin abends todmüde ins Bett gefallen, für die Kontakte mit Freunden blieb praktisch kaum noch Zeit. Aber … in dieser Pension habe ich Julian kennengelernt, er traf sich da oft mit Freunden. Und jetzt sind wir wieder hier, im Norden. Ach Lilly, ich bin so froh, dich zu sehen! Ich hätte sonst deinen Vater nach deiner Adresse gefragt, ganz bestimmt!«

Sie hat sich kaum verändert, dachte Lilly. Immer noch war sie der helle, sommersprossige Typ mit den Grübchen um die Mundwinkel und den ungefärbten rotblonden Haaren, die sich in widerspenstigen Wellen um ihr Gesicht schmiegten. Keine klassische Schönheit, aber apart und offensichtlich glücklich. Lilly war eigentlich kein neidischer Mensch, aber jetzt fühlte sie doch einen kleinen Stich im Herzen. Ihr Freund Simon war als Kriegsfotograf in den Krisengebieten dieser Welt unterwegs und so leidenschaftlich mit seinem Beruf befasst, dass er noch nicht mal an Weihnachten nach Hause kommen konnte. »Frühestens im Februar«, hatte er verkündet, und Lilly hatte das erst mal verkraften müssen.

Schnell nahm sie, wie zum Trost, ein Stück Kuchen und eine ordentliche Portion Sahne auf die Gabel und ließ beides im Mund zergehen.

»Und was machen deine Kinder?«

Sonja lachte. »Sie werden immer frecher. Sechs und sieben sind sie jetzt. Zum Glück mögen sie Julian, und er kann gut mit den kleinen Rabauken umgehen.« Sie legte ihre Hand auf den Arm der Freundin. »Lilly, ich habe mir vorgenommen, über Weihnachten meine ältesten und liebsten Freunde einzuladen. Ich möchte meine Hochzeit nachfeiern, die Einweihung unseres Hauses, ich will euch meinen Mann vorstellen und so ein richtig schönes, altmodisches Weihnachtsfest feiern, so eins, wo man um den Baum tanzt. Ich würde mich schrecklich freuen, wenn du auch kommen könntest. Was meinst du dazu? Oder hast du schon was anderes vor? Gibt es einen Mann in deinem Leben?«

»Oh … ja … nein, das kommt jetzt etwas plötzlich. Ich …«

An dieser Stelle beschloss Lilly, mit dem Stottern aufzuhören und spontan zuzusagen. Der Elisenkoog war nicht aus der Welt, wenn es ihr zu viel wurde, konnte sie immer noch nach Flensburg zurückfahren. Und überhaupt, warum immer diese ganzen Bedenken?

»Babette wird übrigens auch da sein«, sagte Sonja eifrig, »Julian hat einen alten Ziegenstall für sie zu einem schnuckeligen kleinen Cottage umgebaut. Sie wohnt jetzt bei uns.«

»Ist sie nicht auch mit dir nach Heidelberg gezogen?«

»Ja, aber sie sagt, sie will nicht jedes Mal siebenhundert Kilometer fahren, wenn sie ihre Enkel sehen möchte!«

»Toll, dass dein Mann das alles mitmacht. Die Schwiegermutter in nächster Nähe, damit kommt nicht jeder zurecht.«

Lilly war früher im Haus der Neumeyers ein und aus gegangen und hatte besonders Babette, Sonjas etwas flippige alleinerziehende Mutter, gemocht. Nicht zuletzt deshalb, weil im Dorf gemunkelt wurde, sie habe einmal einen Sommer lang in einer »Kommune« gelebt. Lilly wusste damals nicht so genau, was das war – und niemand hatte sie aufgeklärt –, aber sie hatte den Eindruck gehabt, dass es anrüchig und verboten und irgendwie »pfui!« war … und damit natürlich wahnsinnig interessant.

Vielleicht konnte sie ja jetzt Genaueres darüber erfahren, dachte sie schmunzelnd.

»Ja, Julian ist ein wahrer Schatz!«, sagte Sonja, den Mund voller Sahne. »Lilly, du musst ihn unbedingt kennenlernen, ich würde mich so sehr freuen. Also, abgemacht?«

Lilly lachte und drückte Sonjas Hand. »Du hast einen Klecks Sahne auf der Nase. Ja. Natürlich komme ich, sehr gerne! Auf ein wunderschönes Weihnachtsfest in den Marschen.«

Ihre Freundin hob ihre Tasse mit dem Pharisäer, in dem sich, wie es sich gehörte, ein ordentlicher Schuss Rum befand. »Na dann mal prost!«, sagte sie strahlend und mit rollendem Friesen-R. »Ich freue mich!«

24. Dezember, Heiligabend

Der Tag begann schön, trübte sich dann aber immer mehr ein. An verschneiten Feldern und Wiesen vorbei, auf denen sich die unvermeidlichen Windräder drehten, fuhr Lilly in Richtung Nordsee. Sonjas neues Zuhause lag im Marschland, im Elisenkoog, direkt hinter den Nordseedeichen. Soweit Lilly wusste, bestanden die Marschen, die in Köge eingeteilt waren, aus flachen Salzwiesen, Land, das in Jahrhunderten dem Meer abgerungen worden war, durchzogen von Gräben und Kanälen.

Hinter Niebüll bog Lilly nach Norden ab und fuhr über eine hochgelegene Straße – offenbar auf einem einstigen Deich – in Richtung Elisenkoog. Sie hoffte, dass ihr kein anderes Fahrzeug entgegenkommen würde, denn das Sträßchen dritter Ordnung war schmal, und sie hatte keine Lust, mit dem Wagen in den tiefen Graben neben der abschüssigen Straße zu rutschen. Die Gegend hier schien ziemlich einsam. Lilly sah vereinzelt Häuser in weiter Entfernung, aber nirgendwo Menschen. Auf den Salzwiesen lag Schnee. Ab und zu tauchten Schafe auf, die gleichmütig hinter Lillys Wagen herstarrten.

Das Grundstück, das Sonja und ihr Mann gekauft hatten, lag auf einem kleinen Hügel, einer Warft, die das umgebende Land zum Schutz vor Überschwemmungen um zwei, drei Meter überragte. Es schien ein historischer Hof zu sein, beschattet von alten Eichen und Ulmen, ein lang gestrecktes Haus aus rotem Backstein mit zwei Nebengebäuden. Ein hölzerner Pavillon am Rande des Grundstücks, möglicherweise eine Sauna, schien neu erbaut worden zu sein. Lilly stellte den Wagen auf dem großen, von hohen Bäumen geschützten Hof ab, auf dem bereits vier weitere Pkw standen, und ging zu einer bemalten Friesentür, einer sogenannten »Klöntür«, deren oberen Teil man wie ein Fenster öffnen konnte. Unter dem Giebel prangte der Name des Hauses und eine Jahreszahl: »Sturmwind« 1774.

Lilly wurde von Sonja mit einer herzlichen Umarmung empfangen. Sie schien sich zu freuen, doch Lilly fand auch, dass sie nervös wirkte; hektische rote Flecken bedeckten ihren Hals.

»Du hast sicher viel Arbeit«, sagte sie teilnahmsvoll. »Sind die Gäste denn schon alle da?«

»Fünf, glaube ich, oder sechs?« Sonja lachte. »Aber keine Angst, meine Mutter und mein Mann helfen mir. Ab und zu kocht Julian nämlich ganz gern, und für Desserts ist er Spezialist. Hier kommt er übrigens gerade.«

Julian Liebertz war ein attraktiver Endvierziger mit grau meliertem Haar, künstlicher Bräune und langen, schlanken Fingern. Seine wachen, hellen Augen und die Brille gaben ihm einen intellektuellen Touch.

»Willkommen im ›Sturmwind‹!«, begrüßte er Lilly, während sich seine Lachfältchen um die Augen vertieften und er Lillys Hand eine Sekunde zu lang in der seinen behielt.

»Lilly, Julian zeigt dir jetzt dein Zimmer, und wahrscheinlich wird er dich, wenn du möchtest, auch durchs Haus führen«, sagte Sonja lächelnd. »Er hat es in mühevoller Kleinarbeit und mit viel Liebe zum Detail umgebaut und eingerichtet und ist wild darauf, es jedem zu zeigen. Viel Spaß dabei!«

Ehe Lilly noch etwas sagen konnte, war ihre Freundin verschwunden.

»Wenn ich Sonja etwas helfen kann …«, sagte sie zu Julian, aber der winkte ab.

»Es laufen bereits genügend Weibsen in der Küche herum«, bemerkte er mit seinem charmanten Lächeln, und Lilly folgte ihm etwas irritiert in ihr Zimmer unter dem Dach. Es war bequem eingerichtet, mit Sofa und Sesseln, einem breiten Boxspringbett und einem chinesischen Hochzeitsschrank aus dunkelrotem Holz. Zweifellos hatte hier jemand Geschmack beim Einrichten bewiesen, aber Julian war schließlich Architekt und wohl auch für die Inneneinrichtung zuständig gewesen.

Dass er ungeniert zum Flirten neigte, stellte Lilly fest, als er mit ihr wenig später eine Führung durch das Anwesen machte.

»Ich verstehe ja nicht, wie eine so schöne Frau wie Sie zur Polizei gehen kann«, sagte er gleich zu Beginn des Rundgangs, während er Lilly galant – mit der Hand im Kreuz – durch einen langen Flur geleitete. »Werden Sie da nicht ständig blöd angemacht?«

»Nein, die meisten Kollegen respektieren mich«, erwiderte Lilly spitz und trat einen Schritt zur Seite. Sie mochte solche Anzüglichkeiten nicht. Außerdem fand sie sich nicht schön … Sicherlich recht hübsch mit den bernsteinfarbenen Augen und den glänzenden goldbraunen Haaren, aber für besonders glamourös hatte sie sich nie gehalten. Sie spürte die Absicht hinter Julians Gerede und war bereits jetzt leicht genervt von ihm.

Lilly bemerkte rasch, dass Sonjas Ehemann am liebsten sich selbst reden hörte und im Grunde nur Zustimmung erwartete. Stolz führte er sie von Raum zu Raum, stellte ihr die Gäste vor – zwei Frauen, zwei Männer –, ließ ihr aber kaum Zeit, ein paar Worte mit ihnen zu wechseln, sondern zerrte sie weiter durch das wunderschöne Haus. Lilly hätte die Führung sehr genossen, wenn es nicht Julian gewesen wäre, der ihr das Haus zeigte und den sie recht anstrengend fand. In der Küche deutete er auf den rustikalen Esstisch aus Bruchsteinen, der in der Mitte des großen Raumes errichtet worden war.

»Wie Sie sehen, ist unsere Küche sehr modern ausgestattet, technisch auf dem neuesten Stand, aber dieser wunderbare Tisch aus alten, von Hand bearbeiteten Steinen soll eine Hommage an unseren historischen Hof sein. Wussten Sie, dass er bereits 1774 von einem wohlhabenden Deichvogt erbaut wurde?« Julian machte eine Kunstpause, und Lilly gestand, es nicht zu wissen, in der Hoffnung, dass Julian Liebertz ihr nun nicht die komplette Geschichte des Hofes erzählen würde.

Davon, dass »genug Weibsen« in der Küche waren, konnte keine Rede sein. Lilly entdeckte dort nur Babette, Sonjas Mutter, eine etwas herbe, aber elegante Erscheinung mit grauen, wallenden Haaren in einem weiten, handgearbeiteten Gewand, die neben dem überdimensionalen Herd stand und dabei war, einen Kuchen zu backen. Sie bedachte Lilly mit einem ironischen Zwinkern, das zweifellos ihrem Schwiegersohn und dessen Gehabe galt, bevor sie sie liebevoll umarmte. Lilly kannte Babette Neumeyer so lange, wie sie Sonja kannte, also seit knapp dreißig Jahren, seit sie im Kindergarten gewesen waren. Doch Julian ließ Lilly kaum Zeit, ein paar Worte mit Babette zu wechseln; er führte sie erbarmungslos weiter ins Eheschlafzimmer, dessen besonderer Clou das offene, verglaste Badezimmer war, das er ins Zimmer integriert hatte – offenbar sein ganzer Stolz.

»Das ist jetzt der neueste Schrei«, verkündete er mit geschwellter Brust. »Finden Sie heutzutage auch in modernen Hotels. Was halten Sie von einem offenen Bad?«

»Sehr kreativ, aber ich weiß nicht, ob ich beim Baden oder Duschen unbedingt beobachtet werden möchte.« Und dich, dachte Lilly, würde ich noch viel weniger dabei sehen wollen, Mister Angeber. Sie fragte sich, was Sonja davon hielt.

Julian lachte. »Lilly, da müssen Sie umdenken, das ist nicht mehr zeitgemäß, um nicht zu sagen vorsintflutlich. Sagen Sie, wollen wir uns nicht duzen? Wir sagen hier alle du.« Er legte eine gepflegte Hand auf ihren Arm. »Ehrlich gesagt, wundere ich mich, dass du die Zeit gefunden hast, zu unserer kleinen Party zu kommen. Jemand wie du hat doch sicher einen Freund, mit dem sich was Besseres anfangen lässt, als hier mit einem Haufen unbekannter Leute herumzuchillen? Oder …« – er zwinkerte ihr zu – »… ist der Herr vielleicht verheiratet?«

»Entschuldige mich bitte«, sagte Lilly und lief mit versteinertem Gesicht aus dem Raum. Als sie an der Gästetoilette vorbeikam, erschien ihr diese wie ein Refugium. Aufatmend schloss sie sich ein.

Dies war das erste Mal, dass sie bedauerte, Sonjas Einladung angenommen zu haben.