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Im 19. Jahrhundert war die Literatur der Dreh- und Angelpunkt des gebildeten Lebens. Mit welchem Ingrimm und mit welchem Aufwand die Dichter Karl Immermann, August von Platen und Heinrich Heine aufeinander eingeschlagen haben, war dennoch selbst damals nur schwer verständlich. Der katholische Graf Platen beschimpft Heine als schamlosen Juden, Immermann und Heine wiederum schreiben ganze Bücher, um Platen als Phrasendreschmaschine ohne Substanz abzukanzeln; nebenbei rümpfen sie über seine Liebessonette die Nase, die er jungen Männern widmet. Erstaunlicherweise wurde selbst von jüdischen Zeitgenossen Platens plumper Antisemitismus weniger übel genommen als Heines Schläge unter die Gürtellinie. Dieser Band versammelt die Originaltexte der Kombattanten sowie einige Reaktionen der literarischen Öffentlichkeit und versucht eine Interpretation der Ereignisse aus heutiger Sicht.
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Seitenzahl: 244
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CHRISTOPHER KEPPEL UND JOACHIM BARTHOLOMAE
«SCHLAFFE GHASELEN » UND «KNOBLAUCHSGERUCH »
Platen, Immermann und Heine streiten über freche Juden, warme Brüder und wahre Poesie
Männerschwarm Verlag Hamburg 2012
In den Jahren 1827 bis 1829 tragen drei deutsche Dichter eine Fehde aus, die sich an literarischen Gegensätzen entzündet, jedoch in kürzester Zeit voller Hass persönliche Merkmale ins Visier nimmt: Heinrich Heine ist «getaufter Jude», August von Platen ein unmännlicher «Schönheitsfreund» – die Schläge gehen gezielt unter die Gürtellinie, und das, obwohl die streitenden Parteien einander gar nicht kennen. In einer Zeit, in der politische Auseinandersetzungen von einer autoritären Obrigkeit unterdrückt werden, eskaliert der Streit über wahre Dichtung zu einem unappetitlichen Gemetzel unter Außenseitern. Als Dritter ist Karl Leberecht Immermann als Freund Heines beteiligt. Die Auseinandersetzung findet in aller Öffentlichkeit statt und prägt das Image der Beteiligten bis heute. Es ist diese Gemengelage, die dem Streit seinen besonderen Charakter verleiht und die Kombattanten gewissermaßen in den Rang literarischer Figuren erhebt.
Der Streit beginnt mit der Veröffentlichung einer Xenie Karl Leberecht Immermanns. Solche kurzen Gedichte waren in der römischen Literatur liebenswürdige «Begleitschreiben» zu Gastgeschenken. Goethe wendete diese Bedeutung ironisch ins Gegenteil und bezeichnete seine polemischen Angriffe auf zeitgenössische Dichter als Xenien; zum Ende des 18. Jhdts. war es in der Folge zu einem wahren «Xenienkampf» gekommen, den Immermann wohl allzu gern neu aufleben lassen möchte. Er pflegt seit ein paar Jahren mit Heinrich Heine eine enge Literatenfreundschaft, und im Oktober 1826 hatte ihn Heine darum gebeten, ihm einen Beitrag zum zweiten Band seiner Reisebilder zu senden. Immermann willigt ein.
Fünf Xenien Immermanns sind in den Reisebildern enthalten, gut fünfzehn Dichter werden mit deutlichen Worten polemisch abgefertigt. Offenbar haben die Angesprochenen diese Kritik mehr oder weniger gelassen zur Kenntnis genommen; es sind nur zwei Verse der Xenie Östliche Poeten, mit denen Immermann in ein Wespennest sticht:
Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras
stehlen,
Essen sie zu viel, die Armen, und vomieren dann Gaselen.
Seit der Veröffentlichung von Goethes Westöstlichem Divan im Jahr 1819 war orientalische Literatur in Deutschland in Mode gekommen. August Graf von Platen folgte 1821 mit einen Band Ghaselen und Friedrich Rückert 1822 mit Östliche Rosen. Die Liedform des Ghasels oder der Ghasele entstand im 8. Jhdt. im indisch-persischen Raum. Im Arabischen bezeichnet ghazal das erotische Sprechen in der Lyrik, erst später wurde daraus ein klar definierter Begriff. Das Gedicht besteht aus Verspaaren, wovon der zweite Vers stets auf demselben Reim endet, das Schema sieht so aus: aa – ba – ca – da – ea und so weiter. Viele Dichter, auch Goethe, der es bei wenigen Versuchen in dieser Gattung bewenden ließ, kritisieren die strenge Form des Ghasels als Vergewaltigung der deutschen Sprache und Wortgeklingel ohne tiefere Bedeutung. Ganz in diesem Sinne schildert Immermanns Xenie Platen und Rückert als Diebe, die sich in einem fremden Garten überfressen: Immermann, der wie Heine für eine deutsche Nationalliteratur kämpfte, hatte für Anleihen bei den Kulturen ferner Länder nichts übrig.
Sein Spott trifft exakt ins Zentrum von Platens Anliegen, dem vermeintlichen Verfall der deutschen Literatur strenge Formen entgegenzusetzen. Es ist wohl das Verb «vomieren», also erbrechen, das Platen in Rage bringt. Vor dem vergleichsweise großen Publikum der Heine‘schen Reisebilder werden seine Gedichte «für Gespieenes erklärt» – das verletzt seine Ehre zutiefst, obwohl ihm sicher bewusst ist, dass in der Gattung der Xenie solche Grobheiten erlaubt sind.
Heines Reisebilder mit Immermanns Xenien werden im April 1827 bei Hoffmann und Campe in Hamburg veröffentlicht; Platens Reaktion folgt Anfang 1829 in Gestalt des Lustspiels Der romantische Ödipus bei Cotta in Stuttgart. Darin zeigt er den «Hyperromantiker Nimmermann» bei der Arbeit: Inmitten eines Chores von Heidschnucken arbeitet Nimmermann in der Lüneburger Heide an einer romantischen Fassung des Ödipus. «Publikum» und «Verstand» treten als Personen auf und üben Kritik, woraufhin der Dichter seinen Busenfreund Heine als Retter beschwört, den er als «Petrark des Laubhüttenfests» und «Synagogenstolz» bezeichnet. Schließlich verliert Nimmermann den Verstand.
Immermann, ein sehr produktiver Autor, hatte kurz zuvor mit Cardenio und Celinde die Neubearbeitung eines Stücks von Andreas Gryphius veröffentlicht, das nach einhelliger Meinung der Zeitgenossen – mit Ausnahme Heines – einen Tiefpunkt seines Schaffens darstellte. Platen kannte das Stück, und nach eigener Aussage wählte er deshalb Immermann zum Vorbild seines «Hyperromantikers ». Falls die erhaltenen Briefe Platens ein zutreffendes Bild vermitteln, war der erste Akt des romantischen Ödipus schon geschrieben und die Figur des Nimmermann bereits erfunden, als Platen von Immermanns Xenien erfuhr. Er brauchte also lediglich die schon begonnene Arbeit fortzusetzen und dabei an Schärfe zuzulegen. Da er zu diesem Zeitpunkt bereits in Italien lebte, forderte er seine Freunde auf, ihm Informationen über Immermann zukommen zu lassen. Während Heinrich Heine im Stück beim Namen genannt wird, trägt der «Hyperromantiker» ein wenn auch leicht durchschaubares Pseudonym, und Platen macht sich nicht etwa daran, ein reales Stück Immermanns zu analysieren – er schreibt vielmehr selbst ein Theaterstück im Stil der Romantiker. Seine Stilparodie ist ohne Frage eine amüsante Fingerübung; die hinzugefügte Rahmenhandlung mit ihrer Verächtlichmachung von Immermann und Heine fällt weit weniger amüsant aus und provozierte weitere Reaktionen.
Denn nun wittert in Hamburg Verleger Campe ein Geschäft und fordert Immermann auf, auf diese Attacke zu antworten. Der veröffentlicht noch im selben Jahr die Streitschrift Der im Irrgarten der Metrik umhertaumelnde Cavalier, bestehend aus einer im sachlichen Ton verfassten Kritik an Platens Theaterstück Die verhängnisvolle Gabel und an seinen Gedichten, gefolgt von 22 Spottgedichten, die zunächst Platens Formalismus verhöhnen und mit einer recht drastischen Analmetaphorik enden. Dieses Büchlein wird in den meisten Darstellungen des Dichterstreits unterschlagen, weil Immermann als «minderer» Dichter für die Nachwelt wohl weniger interessant ist. Sein umhertaumelnder Cavalier gehört jedoch ohne Frage zu den ausgesuchtesten Bosheiten der deutschen Literatur.
Den Briefen Platens ist zu entnehmen, dass der sich bereits jetzt geschlagen gibt: Die Rezensenten haben seinen Ödipus recht ungnädig aufgenommen und loben Immermanns Cavalier; dabei hatte er gehofft, dass seine Kritik der romantischen Dichter ein glänzender Triumpf würde. Die öffentliche Meinung hat anders entschieden, was ihn darin bestärkt, ins Land der Deutschen freiwillig nicht mehr zurückzukehren.
Aber der Streit ist noch nicht vorbei; den letzten Schlag führt Heinrich Heine im dritten Band der Reisebilder, dem Abschnitt Die Bäder von Lucca. Heine liebt das Genre der Reisebilder, weil es ihm jede Freiheit der inhaltlichen Gestaltung lässt. In den Bädern von Lucca macht er von dieser Freiheit reichlich Gebrauch, indem er auf Reisebeschreibungen fast gänzlich verzichtet und stattdessen von der Begegnung mit zwei lächerlichen Personen erzählt, dem konvertierten Juden Gumpelino und seinem ebenfalls konvertierten Diener Hyazinth. Gumpelino hat nach der Einnahme eines Abführmittels das lang ersehnte Rendezvous mit einer jungen Dame verpasst und die Nacht stattdessen auf der Toilette verbracht, wo er sich mit die Lektüre der Gedichte des Grafen Platen über die entgangenen Freuden hinweg tröstete. Anders als Immermann setzt Heine die Analanspielung schon als Auftakt seiner Erwiderung, er kann es gar nicht abwarten: Natürlich sei dem Gedichtband olfaktorisch anzumerken, wo er gelesen wurde ... Gern zitiert wird sein Wortspiel, Platens Gedichte zeichneten sich vor allem durch Sitzfleisch aus, und zwar nicht nur aufgrund der investierten Mühe und Genauigkeit, sondern auch «in Betreff des Inhalts».
Mit Gumpelino und Hyazinth demonstriert Heine, dass er durchaus in der Lage ist, Platens Judenklischees um Längen zu überbieten; damit antwortet er auf Platens Kunstgriff, sich selbst im Genre der romantischen Komödie zu versuchen. Schließlich tritt Heine dann aus der Handlung heraus und erklärt dem Leser ex kathedra, wer dieser Graf Platen nun eigentlich sei. Hier finden sich im Wesentlichen die gleichen Argumente wie bei Immermann, den er mehrmals zitiert und dem das Buch zudem gewidmet ist. Nur in einer Hinsicht geht Heine über Immermann hinaus: Er diskutiert offen die Homosexualität Platens. Die Männerliebe ist Gegenstand zahlreicher Sonette und Ghaselen Platens, was von den Rezensenten bisher wenig erfreut zur Kenntnis genommen oder ignoriert wurde. Heine beschränkt sich jedoch nicht darauf, dieses literarische Motiv zu erörtern, er liest die Texte vielmehr als autobiografische Bekenntnisse eines Homosexuellen.
Damit ist der Streit in der Hauptsache beendet; Heine veröffentlicht zwanzig Jahre später im Romanzero noch das Gedicht Plateniden, Platen wiederum verfasst einige Epigramme auf Heine, die er zu Lebzeiten nicht veröffentlicht. Immermann gönnt Platen in seinem berühmtesten Werk, dem Münchhausen, die Ehre, in die Walhalla einzuziehen, während er Heine in einem Brief an seinen Bruder als «Hans Wurst» bezeichnet. Zehn Jahre später wird Heine mit Ludwig Börne einen langjährigen «Mitstrebenden» zu erledigen versuchen. Hatte er sich gegenüber Immermann, dem «Richter» über Platen, als «Scharfrichter» in Szene gesetzt, greift er Börne an, weil dieser in den politischen Ränken des Vormärz als «Dampfguillotine» agiere, während der Feingeist Heine sich «nur» als «gewöhnliche Guillotine» sah.
Wir stellen die literarischen Texte in den Kontext vielfältiger Resonanzen in Form von Briefen, Rezensionen und literarischen Repliken und präsentieren damit ein ebenso lebendiges wie atemberaubendes Stück Literaturgeschichte. Alle Beteiligten zeigen sich wie berauscht von der Möglichkeit, ihre Fehde öffentlich und in hochartifizieller Form austragen zu können, sie radikalisieren sich über die Maßen, obwohl sie kaum etwas voneinander wissen, und ziehen es vor, dem anderen die Ehre abzuschneiden, anstatt zur Sache zu argumentieren. Es ging ihnen um die «wahre Poesie», doch argumentieren sie eher kurzsichtig – weil sie selbst, im Auge des Sturms großer Veränderungen, nicht wussten, wohin die Reise gehen sollte? Manche Merkmale des Streits sind einer Situation geschuldet, in der das Denkmal Goethe und die «Kunstperiode» vor ihrem Ende stehen, die Romantik nur wenig
Perspektiven bietet und das Junge Deutschland noch nicht in Erscheinung getreten ist. Wir stellen fest, dass Platens Angriffe auf den «frechen Juden Heine» nicht auf ihn selbst zurückfielen – der Antisemitismus war zu jener Zeit selbst in den Köpfen aufgeklärter Zeitgenossen tief verankert. Heines Angriff auf den «warmen Schönheitsfreund» Platen galt dagegen als Skandal – das Sexuelle war ein Tabu, man konnte und sollte nicht darüber reden. Unabhängig von diesen Nuancen offenbaren diese drei ebenso selbst- wie sendungsbewussten Herren am Beginn der Moderne vor allem ihre menschlichen Stärken und Schwächen, und deshalb bleiben die Ereignisse auch über einen Zeitraum von zweihundert Jahren faszinierend und rätselhaft.
Um die Lesbarkeit der Texte zu erhöhen, haben wir die Orthografie weitgehend der heutigen Schreibweise angepasst, mit Ausnahme des komplett wiedergegebenen Cavaliers Immermanns, der eine Reihe zeittypischer Eigenheiten aufweist und die Schreibweise jener Zeit auf besonders charmante Weise verkörpert. Auf Fußnoten haben wir verzichtet; wenn auf fremdes Gedankengut zurückgegriffen wurde, sind die benutzten Werke am Ende des jeweiligen Texts aufgeführt.
Zwischen dem Ende des Wiener Kongresses im Jahr 1815 und der französischen Julirevolution von 1830 (und dem Hambacher Fest 1832) scheint die Zeit stillzustehen; die Heilige Allianz aus Russland, Österreich und Preußen hat mit den Karlsbader Beschlüssen ein System der Zensur und Bespitzelung errichtet, das jede politische Meinungsäußerung im Keim erstickt. Wenn auch die Gesellschaft in mancherlei Hinsicht bereits stark im Umbruch begriffen ist, herrscht im geistigen Leben noch weitgehend Stillstand, und es ist Heinrich Heine, der seinen biedermeierlichen Mitmenschen das «Ende der Kunstperiode» verkündet: Nicht allein die Suche nach dem Kunstschönen, sondern die Probleme des wirklichen Lebens sollten die Dichter beschäftigen. Die «bleierne Zeit» endet jedoch erst mit Goethes Tod im Jahr 1832.
Die Situation von Homosexuellen hatte sich zur Zeit der französischen Herrschaft deutlich gebessert, weil der von Napoleon eingeführte Code pénal homosexuelle Handlungen straffrei stellte. Nach der Niederlage Napoleons kehrt Preußen zum Allgemeinen Preußischen Landrecht zurück; das französische Recht bleibt nur in den Rheinprovinzen erhalten. Das Königreich Bayern führt jedoch schon 1813 ein eigenes Strafgesetzbuch ein, in dem Homosexualität nicht mehr erwähnt wird.
Ebenso uneinheitlich ist die Rechtsstellung der Juden in den deutschen Ländern geregelt. Bis durch die Reichsgründung 1871 die jüdischen Einwohner rechtlich gleichgestellt werden, schaffen Länder und Stadtstaaten seit 1815 in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Entschlossenheit alte Sonderregelungen wie jüdische Gemeindeverfassungen, eigene Gerichtsbarkeit, aber auch die Pflicht zur Schutzgeldzahlung ab und führen dafür Wahlrecht, Schulpflicht und Hochschulzugang ein. Wohnberechtigte Juden müssen sich zumeist noch registrieren lassen, und die Zahl jüdischer Familien ist an vielen Orten begrenzt. Die weitestgehenden Integrationsversuche zielen, allerdings erfolglos, auf die Anpassung des jüdischen Kultus an die christliche Lebensweise ab.
Gegen diese starken Emanzipationstendenzen formieren sich 1819 aus Handwerkern und Kaufleuten die sogenannten Hepp- Hepp-Krawalle, in deren Verlauf zwischen Graz und Helsinki in vielen europäischen Städten über Monate hinweg Synagogen und andere jüdische Einrichtungen beschädigt und mit Demonstrationen und körperlicher Gewalt gegen Juden vorgegangen wird, um alte christliche (Berufs-)Privilegien zu verteidigen.
Der «ritterbürtige katholische Adel» unternimmt nach 1815 starke Anstrengungen, um seine alten Privilegien zurückzuerlangen. Als sich diese Bestrebungen auch auf die Restauration kirchlicher Rechte ausdehnen, geht das preußische Königshaus jedoch deutlich auf Distanz. Allerdings behalten diese «pfäffischen Junker » vor allem in München noch einen gewissen Einfluss.
Auf dem Buchmarkt ist eine technische Revolution zu beobachten. 1818 wird die erste Papiermaschine mit Dampfbetrieb gebaut, wodurch der Rohstoff Papier außerordentlich preiswert hergestellt werden kann, wenn auch in sehr schlechter Qualität. Zwar gilt noch bis 1867 das «ewige Verlagsrecht» an literarischen Werken, aber die Durchsetzung dieses Rechts scheitert zumeist an der deutschen Kleinstaaterei: Verlage müssen für jeden einzelnen Staat den Schutz ihrer Rechte meist kostenpflichtig beantragen, Raubdrucke sind an der Tagesordnung. Mehrere Verlage bringen nun preiswerte Klassikerbibliotheken heraus, die zum Teil durch «Drückerkolonnen» am Buchhandel vorbei verkauft werden – in Hunderttausender Auflagen. Auch Lexika und Geschichtswerke werden in hohen Auflagen verkauft – statt wie bisher zu gut eintausend Exemplaren jetzt zu zehntausenden. Lag ein durchschnittlicher Buchpreis bisher bei drei bis vier Talern, sinken die Preise dieser Reihentitel auf 15 bis 20 Silbergroschen (1 Taler = 30 Sgr.).
Jenseits dieser Massenausgaben liegen die Auflagen literarischer Werke zumeist zwischen 600 und 800 Exemplaren. Hauptabnehmer sind die zirka 800 Leihbibliotheken – der Verleger Vieweg erklärt noch 1855 seinem Autor Gottfried Keller: «Das reiche und gebildete Publikum kauft in der Regel in Deutschland sehr selten Romane.» Neben den Leihbibliotheken sind auch Lesegesellschaften verbreitet, die ausgehend von der gemeinsamen Lektüre zu einem wichtigen Faktor des geselligen Lebens werden. Das lesekundige Publikum macht im Jahr 1800 25% der Gesamtbevölkerung aus.
1828 werden in Deutschland 423 neue Romane verlegt, bei gut 4 000 Neuerscheinungen insgesamt. Für das Jahr 1831 sind in Deutschland insgesamt 780 Zeitungen und Zeitschriften nachgewiesen. Die Blätter für literarische Unterhaltung erzielen bei einem Verkaufspreis von 12 Talern im Jahr Auflagen von zirka 600 Exemplaren, während ein Massenblatt wie die Gartenlaube für 2 Taler Jahrespreis seine Auflage von 5 000 Exemplaren im Jahr 1853 auf 382 000 Exemplare im Jahr 1875 steigern kann.
Buchautoren haben die Wahl, ihre Werke in Zeitschriften zu veröffentlichen, im Selbstverlag herauszubringen oder an einen Verlag zu verkaufen. Es ist sicher damit zu rechnen, dass Nachdrucke erscheinen werden, für die es keine Honorare gibt, weshalb die Höhe der Erstauflage eine große Rolle spielt: Ein Nachdruck lohnt sich nur, wenn die Nachfrage nicht bereits durch die reguläre Ausgabe gedeckt ist. Andererseits lässt zum Beispiel Goethe zunächst nur kleine Auflagen drucken, um besser kontrollieren zu können, wie viele Exemplare seiner Bücher tatsächlich in Umlauf geraten – leider ist selbst den Abrechnungen sehr großer und renommierter Verlage nicht zu trauen.
Um einige Vergleichsgrößen zu nennen: Goethe erhält im Jahr 1797 für die Erstauflage von Hermann und Dorothea 1 000 Taler bei einer Startauflage von 6 000 Exemplaren; Klopstock bringt nach schlechten Erfahrungen mit dem Messias die Gelehrtenrepublik im Selbstverlag heraus und macht durch den Verkauf von zirka 3 500 Exemplaren einen Gewinn von 2 000 Talern. Robert Giseke, einer der beliebten Romanautoren jener Zeit, verdient mit seinen zwischen 1850 und 1866 verfassten fünf Romane in 15 Bänden gerade 630 Taler, das entspricht den Lebenshaltungskosten eines bescheidenen Junggesellen für ein Jahr. Lyrik wird dagegen sehr viel großzügiger honoriert. Ferdinand Freiligrath gibt an, bis 1846 insgesamt 10 000 Gulden (zirka 6 650 Taler) Honorar bezogen zu haben. Damit ist die Blütezeit der Lyrik in Deutschland allerdings vorbei, und die Honorare für Lyrik und Prosa gleichen sich an.
Der größte Verlag in Deutschland ist die Cotta’sche Verlagsbuchhandlung in Stuttgart und Tübingen. Geschützt vom ewigen Verlagsrecht sind trotz unerlaubter Nachdrucke die Rechte an den deutschen Klassikern eine unversiegbare Geldquelle; darüber hinaus ist Cotta sehr darum bemüht, durch großzügigen Ankauf von Manuskripten zeitgenössischer Autoren seine Monopolstellung auszubauen.
Julius Campe, der «linke Cotta», leitet die Firma Hoffmann und Campe in Hamburg seit 1823. Heinrich Heine ist gerade in der Gründungszeit einer seiner wichtigsten Autoren. Von ihm erscheinen bei Campe insgesamt zweiundzwanzig Bücher, meist in Auflagen von 3 000 Exemplaren; der erste Band der Reisebilder startet 1826 mit 1 500 Exemplaren, das Buch der Lieder 1827 mit 2 000. 1851 erreicht der Romanzero in vier Auflagen insgesamt 21 000 Exemplare. Auch der heute unbekannte Dichter Raupach, den Platen als «Juden Raupel» verächtlich macht, bringt bei Campe siebenundzwanzig Bücher heraus.
Herder, Klopstock, Schiller, Kleist, Wieland, Claudius und Hoffmann sind seit dem Beginn des 19. Jhdts. gestorben, Eichendorff, Droste-Hülshoff und von Arnim sind alt, Goethe ist sehr alt. Außer heute vergessenen Dichtern wie Houwald, Müllner oder Raupach leben und arbeiten Brentano, Tieck und Grabbe; Georg Büchner beendet gerade die Pubertät. Auch literarisch sind die 1820er Jahre eine Zwischenzeit.
Quellen:
Wilhelm Treue, Deutsche Geschichte, Stuttgart (Kröner) 1965; Elisabeth Fehrenbach (Hg.), Adel und Bürgertum in Deutschland 1770 bis 1848, München (Oldenbourg) 1994; Schwules Museum (Hg.), Die Geschichte des § 175, Berlin (Verlag rosa Winkel) 1990; Shulamit Volkov, Die Juden in Deutschland, München (Oldenbourg) 2000; Manfred Tietzel, Literaturökonomik, Tübingen (Mohr) 1995; Reinhard Wittmann, Buchhandel und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert, Tübingen (Niemeyer) 1982; Reinhard Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, München (C.H. Beck) 1991
1796 in Halle in eine preußische Beamtenfamilie geboren, studiert Immermann Jura und wird 1827 Landgerichtsrat in Düsseldorf. Sein Herz hängt jedoch an der Literatur, dem Theater, der Kunst, der Zeitkritik. Er heiratet erst spät, im Jahr 1839, und stirbt schon bald darauf. Sein ganzes Leben ist durch finanzielle Nöte überschattet.
Als Künstler sieht sich Immermann zwischen Phantasie und Wirklichkeit, als Schriftsteller zwischen Epigonentum und Aufbruch, als Rezensent zwischen Klassik und Romantik, als Bürger zwischen Restauration und Jungem Deutschland, als Mensch zwischen Beruf und Berufung. Künstlerisch ist er einerseits von Ehrfurcht vor Goethe und Schiller erfüllt, andererseits bemüht er sich, aus ihrem Schatten herauszutreten. Zeitanalyse und Zeitkritik werden die Grundzüge seines Werks, in dem seine Literaturkritiken eine große Rolle spielen.
Im Jahre 1819 wird mit Das Thal von Ronceval sein erstes Theaterstück veröffentlicht. Es folgen weitere Trauerspiele, romantische Lustspiele, Erzählungen und ein Gedichtband; 1826 erscheint das Drama Cardenio und Celinde. Bei Campe erscheint 1828 sein Andreas-Hofer-Stück Trauerspiel in Tyrol, im Jahr darauf dann seine Kampfschrift Der im Irrgarten der Metrik umhertaumelnde Cavalier. Immermanns Nachruhm gründet sich in erster Linie auf seinen 1839 erschienenen Roman über den Baron von Münchhausen.
1822 erhält Immermann von einer Zeitschrift den Auftrag, Heines Gedichte zu besprechen. Zwar ist seine Rezension nicht unbedingt überschwänglich, doch Heine fühlt sich von seinem Kritiker verstanden und setzt sich brieflich mit ihm in Verbindung. Die beiden bleiben in Kontakt. Im April 1824 kommt es in Magdeburg zum ersten und einzigen Treffen Heines und Immermanns. Der Briefwechsel zwischen den beiden zeigt trotzdem eine große Verbundenheit, die bis zum Platen-Streit fortbesteht. Nach Heines Attacke auf Platen – die Immermann gewidmet ist – wird Immermanns Ton Heine gegenüber kühler. Die Korrespondenz zwischen den beiden Dichtern kommt bald darauf zum Erliegen.
Auf Heines Rat hin gewinnt Campe den bis dahin wenig etablierten Immermann im Herbst 1826 für seinen Verlag, doch Immermann bindet sich nicht: Seine Werke erscheinen zwischen 1819 und 1849 insgesamt in elf Verlagen, nicht zuletzt gleichzeitig bei den gegnerischen Verlegern Campe und Cotta.
Als Literat verkennt Immermann seine Talente. Seine frühen Werke besitzen nicht genügend Originalität und Eigenständigkeit und geraten bald in Vergessenheit, die Dramen werden schon zu Lebzeiten selten oder gar nicht aufgeführt. Seine dichterische Stärke liegt auf dem Gebiet der Prosa, deren zeitanalytische und kritische Qualitäten Immermann jedoch unterschätzt. Künstlerisch erfolgreich ist er als Gründer und Intendant des Stadttheaters in Düsseldorf, das jedoch nach nur drei Jahren wegen finanzieller Schwierigkeiten schließen muss.
Eine breite Rezeption bleibt seinem Werk versagt. Immermanns erster Gedichtband wird 1822 nur selten und wenig enthusiastisch, seine Prosaveröffentlichungen kaum besprochen. Seine dichterischen Unzulänglichkeiten werden kritisiert, dennoch erfahren seine Trauerspiele im Laufe der Zeit zunehmende Aufmerksamkeit. Wirklich begeistert äußert sich lediglich Heine, 1826 selbst über Cardenio und Celinde, das ansonsten wenig freundlich aufgenommen wird. Immermann gelingt es trotzdem, durch die große Anzahl an Veröffentlichungen und seine Tätigkeit als Literaturkritiker einen gewissen Status auf dem Literaturmarkt der 1820er Jahre zu erlangen.
Quellen:
Peter Hasubek, Das Bild Immermanns und seines literarischen Werkes während seiner ersten Schaffensphase (1821-1826) in der zeitgenössischen Kritik, in: Immermann-Jahrbuch 9/2008, Frankfurt am Main (Peter Lang) 2008, S. 9 ff.; Peter Hasubek, Karl Leberecht Immermann. Ein Dichter zwischen Romantik und Realismus, Köln (Böhlau) 1996; Tilman Spreckelsen, Immermann und seine Verleger, in: Peter Hasubek (Hg.), Epigonentum und Originalität. Immermann und seine Zeit – Immermann und die Folgen, Frankfurt am Main (Verlag Peter Lang) 1997, S. 191ff.; Benno von Wiese, Karl Immermann. Sein Werk und sein Leben, Bad Homburg (Gehlen) 1969
Karl August Georg Maximilian Graf von Platen-Hallermünde wird am 24. Oktober 1796 in Ansbach geboren. Die Familie verfügt über keine nennenswerten Besitztümer, sein Vater arbeitet als königlicher Forstbeamter. Bis zu seinem zehnten Lebensjahr wird er von der streng protestantischen Mutter erzogen, die ihre französisch beeinflusste Bildung an den Sohn weitergibt. Auch später werden Mutter und Sohn ihre Korrespondenz auf Französisch führen. Im Alter von zehn Jahren tritt Platen in eine Kadettenanstalt ein, mit vierzehn Jahren in die königliche Pagerie, auf der militärischen Laufbahn bringt er es bis zum Leutnant. Der raue und inhumane Umgang im Militär macht Platen jedoch zu schaffen. Er flüchtet sich in seine Lektüre, lernt mehrere Sprachen und beginnt zu dichten.
1818 wird er vom Militär beurlaubt, um ein Studium aufnehmen zu können. Er holt das Abitur nach und beginnt in Würzburg Jura zu studieren. Nach einer einseitigen, unglücklich verlaufenen Liebesaffäre mit dem Kommilitonen Eduard Schmidtlein wechselt Platen an die Universität von Erlangen. 1822 bricht er sein Studium ab und widmet sich orientalischen Sprachen, besucht philosophische Vorlesungen und geht auf Reisen.
In seinen Tagebüchern, die er seit dem sechzehnten Lebensjahr detailliert und regelmäßig führt, setzt sich Platen mit seiner Männerliebe auseinander, die er erst langsam erkennt. Frauen interessieren ihn nicht, stattdessen strebt er die idealisierte und innige Männerfreundschaft an. Die platonische Liebe unter Männern ist zu jener Zeit ein verbreitetes Verhaltensmuster, dem die Auffassung zugrunde liegt, dass nur Männer auf die sinnliche Dimension der Liebe zu verzichten in der Lage sind und nur sie das rein geistige Ideal aufrechterhalten können. Vieles spricht für die Annahme, dass Platen sich selbst als rein platonisch Liebenden versteht.
Platen versucht, der Orientierungslosigkeit der Restaurationsepoche als Dichter mit streng eingehaltener klassischer Form zu begegnen; diese Orientierung an der Antike trägt aufgrund seiner Homosexualität auch eskapistische Züge. In einer voranstrebenden Zeit wird ihm die Wendung zu Vergangenem jedoch als überholt und veraltet vorgeworfen.
1821 veröffentlicht Platen zum ersten Mal einen Band Ghaselen bei dem Erlanger Buchhändler Carl Heyder, dem er die Rechte für 38 Freiexemplare verkauft. Im selben Jahr erscheinen die Lyrischen Blätter bei Friedrich Arnold Brockhaus gegen geteilten Gewinn. 1822 bietet Platen die Neuen Ghaselen Cotta an, der sie jedoch ablehnt. Sie erscheinen im Folgejahr im Selbstverlag und ein Jahr später bei Heyder, bei dem 1822 auch die Vermischten Schriften und 1824 außerdem die Schauspiele, 1. Bändchen verlegt werden. 1825 erscheinen die Sonette aus Venedig im Selbstverlag.
Die eher geringen Honorare verschaffen Platen nicht die gewünschte Unabhängigkeit, weswegen er sich weiterhin bemüht, von Cotta verlegt zu werden. Neu geknüpfte Kontakte in Stuttgart lassen ihn 1825 die Hoffnung schöpfen, dass dies bald gelingen möge. Nachdem Gustav Schwab, ein literarischer Berater des Cotta‘schen Morgenblattes und ein Bekannter Platens, dessen Anliegen unterstützt, erklärt sich Cotta bereit, einen Band Schauspiele (Der Schatz des Rhampsinit, Der Turm mit sieben Pforten und Treue um Treue) herauszugeben. Platen zieht 1826 jedoch sein neues Schauspiel Die verhängnisvolle Gabel vor, weil er sich davon einen größeren Erfolg erhofft. Nach Schwabs erneuter Vermittlung ist Cotta auch damit einverstanden. Schwab und Platens Freund Friedrich Graf Fugger übernehmen Korrektur und Revision.
Cotta sichert Platen für zwei Jahre Tantiemen von 1000 Gulden jährlich zu, was diesem eine Reise nach Italien ermöglicht. Es wird jedoch kein Vertrag geschlossen, sodass die Konditionen ungeklärt bleiben. Cottas Zahlungen erfolgen unzuverlässig, oft muss Platen seine Vermittler Schwab, Fugger oder Georg Friedrich Puchta bitten, bei Cotta nachzuhaken, und sich anderweitig Geld leihen. Der Kontakt zu Cotta über Mittelsmänner erweist sich als problematisch und nervenaufreibend, gerade zur Zeit der Veröffentlichung von Platens romantischem Ödipus. Seine Briefe geben davon einen Eindruck (s. S. 41ff).
Nachdem er bei seinem ersten Venedig-Aufenthalt 1824 Italien gewissermaßen als verwirklichte Utopie kennengelernt hatte, verlässt Platen Deutschland am 3. September 1826 endgültig und reist, finanziert durch sein Militärgehalt, Cottas Vorschuss und eine kleine Pension vom König, von nun an durch Italien. Vom Militärdienst ist er bis auf weiteres beurlaubt. Er will den einengenden Verhältnissen in Deutschland entkommen, was jedoch nicht recht gelingt, wie vor allem seine Briefe bezeugen, in denen immer wieder deutlich wird, dass er sich von der literarischen Gesellschaft in Deutschland nicht lossagen kann.
Der Buchausgabe seiner Ghaselen, die einer alten persischen Versform folgen, stellt Platen die Verse voran: «Du, der nie gewagt zu fliegen / Nach dem Orient, wie wir / Lass dies Büchlein, lass es liegen, / Denn es ist Geheimnis dir!» Verschiedene Kritiker, zu denen auch bedeutende Zeitgenossen wie Jean Paul und Goethe zählen, loben Platens Lyrik, doch wird ihm schon jetzt Arroganz vorgeworfen. Auch den ebenfalls 1821 erscheinenden Lyrischen Blättern stellt Platen Verse voran, die ihn Sympathien kosten, da er sich in ihnen mit Petrarca und Camoes vergleicht.
Platen ist verstimmt, weil seine Veröffentlichungen in Deutschland wenig enthusiastisch aufgenommen werden. Die Veröffentlichung des Lustspiels Die verhängnisvolle Gabel jedoch, in der er das Genre der Schicksalstragödie persifliert, bringt ihm endlich den gewünschten Erfolg. Nach der Veröffentlichung seiner Gedichte bei Cotta im Jahre 1828, durch die Platens Lyrik zum ersten Mal einem breiteren Publikum präsentiert wird, kommt Ludwig Robert, ein Freund Heines, in einer sonst positiven Rezension als erster offen – und sehr verächtlich – auf Platens Homosexualität zu sprechen.
Platen hatte seine Kindheit in einer Mietwohnung bei jüdischen Vermietern verbracht und war mit jüdischem Leben bestens vertraut. Seit der Veröffentlichung von Immermanns Xenien richtet sich sein Zorn auf den «schamlosen Juden» Heine. Bald wird jeder, der ihm Schaden zufügt, kurzerhand zum Juden erklärt, selbst sein Verleger Cotta; in Platens Augen ist die deutsche Literatur bereits komplett von Juden unterwandert (s. z.B. S. 47).
Die letzten fünf Jahre seines Lebens verbringt Platen in Italien, wo er im Jahr 1835 – an den Folgen einer falsch behandelten Darmkolik – in Syrakus stirbt.
Quellen:
Werner Bürger, Heine kontra Platen. Eine Dokumentation, in: Ansbach – 750 Jahre Stadt. Ein Festbuch, Ansbach 1971, S. 189-244; Gerhard Hay, Platen als Autor der J.G. Cotta’schen Verlagsgesellschaft, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft, 11. Göttingen (Wallstein) 1967, S. 139-169; Hansgeorg Schmidt-Bergmann, Geschichte meiner Empfindungen – Die Tagebücher des August Graf von Platen, in: August von Platen, Memorandum meines Lebens (hrsg. von Gert Mattenklott und Hansgeorg Schmidt-Bergmann), Frankfurt am Main, (Athenäum) 1988, S 51ff.; Andreas Stuhlmann, «Die Literatur – das sind wir uns unsere Feinde». Literarische Polemik bei Heinrich Heine und Karl Kraus, Würzburg (Königshausen & Neumann) 2010; Hans-Joachim Teuchert, August Graf von Platen in Deutschland. Zur Rezeption eines umstrittenen Autors, Bonn (Bouvier) 1980
Er war der Verfasser von Werken wie dem Buch der Lieder oder Deutschland. Ein Wintermärchen, Emigrant in Paris und Kritiker politischer Zustände, geschmäht oder geliebt – Heinrich Heine hat einen sicheren Platz in der Literaturgeschichte: «Der radikale, emigrierte, jüdische Zeitschriftsteller und Dichter Heine muss nicht nur als Vorläufer, Vorbild oder Prototyp, sondern als einer der ersten modernen Intellektuellen überhaupt angesehen werden. » So schreibt Gerhard Höhn in seinem Standartwerk, dem Heine-Handbuch.
Diese Urteile der Nachwelt ergäben jedoch ein falsches Bild, würde man sie bereits zur Charakterisierung des jungen Heine heranziehen, jenes Heine der Jahre 1826 bis 1830: Welche Rolle spielte er als Schriftsteller, welchen gesellschaftlichen Status hatte er inne, welche Wirkung erzielten seine Veröffentlichungen?
1821 veröffentlicht Heine seinen ersten Band Gedichte, 1823 folgen die Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo, im Jahr darauf weitere Gedichte. 1826 legt er den ersten Teil der Reisebilder-Reihe vor, in der er verschiedene Reisen etwa in den Harz, an die Nordsee, nach Italien zum Anlass nehmend, in einer losen Mischung von Reisebericht, Essay und gelegentlich eingestreuten Gedichten unterschiedliche politische, soziale und persönliche Themen behandelt. Ein Jahr später folgt das Buch der Lieder; ebenfalls 1827 erscheint der zweite Teil der Reisebilder.
Heine betritt die literarische Bühne als geistreicher Kritiker, gefühlvoller Beobachter und scharfer Spötter. Mit den Reisebildern will er angriffslustiger und drastischer werden: In einem Brief an Moses Moser vom 30.10.1827 bezeichnet er sein Buch der Lieder noch als «harmloses Kauffarteischiff», doch der zweite Band der Reisebilder soll ein «Kriegsschiff» und der dritte gar «noch fürchterlicher und schrecklicher ausgerüstet werden, das Kaliber der Kanonen soll noch größer ausfallen».
Mit seinem Verleger Campe ist Heine aufgrund der gemeinsamen politischen Haltung gut befreundet; zudem hat er Mitte der 1820er Jahre als einer der ersten liberalen Autoren das Programm des jungen Verlags entscheidend beeinflusst. Schriftsteller wie Börne, Gutzow, Wienbarg oder Lewald folgen ihm in den Verlag.
Die Reisebilder werden sein erster großer Erfolg, sie kommen als Serie beim konservativen Publikum – trotz der von den Kritikern bemängelten Formlosigkeit und des als frech empfundenen Humors – gut an und sind in der Zeit ihres Erscheinens sogar erfolgreicher als das Buch der Lieder. Ihr erster Teil wird bereits 1830 nachgedruckt.
Heines literarische Karriere verläuft rasant und steil: Als Jude und weitestgehend ohne besondere Beziehungen, die ihm den Eintritt in die literarische Gesellschaft erleichtern, gelingt es ihm dennoch, sich rasch einen Namen zu machen: Sein Talent im Umgang mit der Presse kommt ihm dabei zugute. Heine veröffentlicht seine Werke wie damals üblich meist zuerst in Zeitungen und Zeitschriften; neben den altehrwürdigen Blättern, die den Geschmack der Menge maßgeblich beeinflussen, schießen zu jener Zeit unzählige Neugründungen wie Pilze aus dem Boden. Die Literaturkritik macht er sich zunutze, indem er Bekannte und Freunde um positive Rezensionen bittet. Schon bald nach seinen ersten Veröffentlichungen gilt: Wer aktuell sein will, bespricht Heine. Dies belegt die ungewöhnliche Vielzahl von Rezensionen aus der Feder unterschiedlichster Verfasser, die darauf bedacht waren, Heines Werke gleich nach deren Veröffentlichung zu besprechen.
Die Resonanz seiner Werke ist zuerst noch überwiegend positiv; Provokatives wird mit einer gewissen Lust aufgenommen, Heines Originalität, seine Unkonventionalität und Frische stoßen auf Begeisterung. Schon bald jedoch schlägt diese Begeisterung in Enttäuschung um: Seine stilistischen Neuerungen werden nun als Wiederholung, als Manier kritisiert.
So etwa im Dezember 1826 in den im Literatischen Conversationsblatt erscheinenden Briefen einer Dame zur Almanachliteratur des Jahres 1825, in denen auch Heines im Vorjahr in den Rheinblüten erschienene Kleine Gedichte besprochen werden. Seine Manier wird hier folgendermaßen beschrieben: «Eine schneidende, hohnlachende Ironie lässt kein Gefühl rein anklingen und austönen und stürmt in wilden Kontrasten, mit epigrammatischem Sarkasmus, durch die lyrischen Weisen hin.» Helmut Koopmann kommentiert Reaktionen dieser Art in seinem Aufsatz zu Heines Wirkung im Deutschland des 19. Jahrhunderts folgendermaßen: «Die Individualität der dichterischen Aussage hatte sich dadurch, dass sie sich wiederholte, gleichsam selbst aufgehoben.»
Die literarische Öffentlichkeit steht Heine also zwiespältig gegenüber, doch beim Publikum hält seine Beliebtheit an.
Schneller Erfolg, stetige Präsenz in der literarischen Öffentlichkeit und ein «gewisser Ruf» prägen also das Bild des frühen Heine. Andererseits empfinden ihn viele als unbequem und er bekommt zudem bald Probleme mit der Zensur, was ihn in seiner Selbstwahrnehmung als Außenseiter bestärkt haben mag.
Zu Beginn seiner literarischen Karriere noch weitgehend unpolitisch, verpflichtet sich Heines Werk immer mehr gesellschaftlichen und politischen Idealen. Die Lähmung des politischen Lebens in Deutschland ist für ihn – gerade im Vergleich zu den Entwicklungen in Frankreich – unerträglich. Die Schuld für die «deutsche Misere» und der daraus resultierende «Literaturmisere » sieht Heine bei Adel und Klerus, die er in seinen Werken attackiert. Diese Tendenz seiner Veröffentlichungen führt bereits 1827 dazu, dass der zweite Band der Reisebilder in den preußischen Rheinprovinzen verboten wird.
Heines ökonomische Situation ist zeitlebens schwierig. So ist schon sein beruflicher Werdegang kein erfolgreicher: Ein eigenes Kolonialwarengeschäft muss 1819 aufgrund eines drohenden Bankrotts geschlossen werden, das anschließende Jurastudium bringt in Hinblick auf seine finanzielle Lage keine Verbesserungen, da er wegen seiner jüdischen Herkunft weder für eine Stelle als Advokat noch für eine Lehrtätigkeit infrage kommt. Als Literat ist Heine zwar bereits erfolgreich, doch reicht sein Einkommen nicht aus, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch später noch, in seiner Pariser Zeit, braucht er das Geld des Onkels, um seinen Lebensstil zu finanzieren; zwar verdient er zu diesem Zeitpunkt weitaus besser, er lebt jedoch über seine Verhältnisse. Lediglich als Redakteur von Cottas Neuen allgemeinen politischen Annalen (1828) verfügt Heine für kurze Zeit über ein gesichertes Einkommen. Dass es katholisch-konservativen Kreisen in München gelingt, diese fortschrittliche Zeitschrift vom Markt zu vertreiben, ist für ihn ein großer Rückschlag. Kurz darauf erscheint in der katholisch ausgerichteten Zeitschrift Eos zunächst ein Verriss Heines, in der folgenden Ausgabe dann eine überaus positive Besprechung Platens unter Verweis auf dessen adelige Herkunft. Da sich zudem die Hoffnung auf eine Professur in München nicht erfüllt, fühlt sich Heine von einem «Münchener Klüngel» bedroht, der gegen ihn arbeitet. Zu diesem Klüngel zählt er augenscheinlich auch Platen, der gerade Mitglied der Münchner Akademie der Wissenschaft geworden ist.
Heine ist davon überzeugt, dass seine jüdische Herkunft ihm in vielerlei Hinsicht im Wege steht. Er wurde von seinen Eltern wenn auch nicht streng, so doch im jüdischen Glauben erzogen und lernte jüdisches Brauchtum kennen. Seine Nähe zur jüdischen Kultur zeigt sich in seinem Beitritt zum (kurzlebigen) Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden im Jahre 1822 und seinen Verbindungen zu Kreisen jüdischer Intellektueller. Die prekären Lebensbedingungen der armen Juden in Deutschland wecken sein Mitleid.
1825 lässt Heine sich evangelisch taufen. Nicht jedoch aus religiöser Überzeugung: «Hütet euch, die Taufe der Juden zu befördern. Das ist eitel Wasser und trocknet leicht. Befördert vielmehr die Beschneidung, das ist der Glauben eingeschnitten ins Fleisch; in den Geist lässt er sich nicht mehr einschneiden», formuliert Heine Jahre später. Seine eigenen Beweggründe sind andere: «Der Taufzettel ist das Entréebillet zur europäischen Kultur.» Heines eigener Taufschein versagt in dieser Funktion jedoch, die erhoffte Verbesserung seiner beruflichen Chancen bleibt aus. Und auch als «getaufter Jude» bleibt er antisemitischen Angriffen ausgesetzt – wie etwa durch Platen.
Quellen:
Eberhard Galley /Alfred Estermann (Hg.), Heinrich Heines Werk im Urteil seiner Zeitgenossen, Hamburg (Hoffmann und Campe) 1981-2006; Gerhard Höhn, Heine-Handbuch. Zeit, Person, Werk, Stuttgart (Metzler) 2004; Hartmut Kircher, Heinrich Heine und das Judentum, Bonn (Bouvier) 1973; Helmut Koopmann, Heinrich Heine in Deutschland. Aspekte seiner Wirkung im 19. Jahrhundert, in: Helmut Koopmann (Hg.): Heinrich Heine, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1975, S. 257-287; Ursula Lehmann, Popularisierung und Ironie im Werk Heinrich Heines. Die Bedeutung der textimmanenten Kontrastierung für den Rezeptionsprozess, Frankfurt am Main (Peter Lang) 1976; Andreas Stuhlmann, «Die Literatur – das sind wir uns unsere Feinde». Literarische Polemik bei Heinrich Heine und Karl Kraus, Würzburg (Königshausen & Neumann) 2010; Manfred Windfuhr, Heinrich Heine. Revolution und Reflexion, Stuttgart (Metzler) 1976
Immermann nimmt Heine erstmals im Jahre 1822 zur Kenntnis, als dieser seinen ersten Gedichtband veröffentlicht. Wohlwollend äußert er sich am 11. Juni in einem Brief an die Familie:
Dann las ich die Gedichte von H. Heine (Berlin bei Maurer), einem in Berlin studierenden Jüngling, welche mir sehr bedeutend erschienen sind. Ich lege die von mir verfasste Beurteilung derselben bei. Der Herausgeber der Zeitschrift, worin diese Beurteilung steht, nimmt sich sehr zuvorkommend, ja freundschaftlich gegen mich.
Aus einem Brief vom 8. November 1826 an den Kritiker Karl August Varnhagen von Ense, der auch mit Heine eng befreundet ist, geht hervor, wie sehr Immermann Anteil an Heines Entwicklung nimmt, und wie viel er tatsächlich von ihm hält:
Von Heine erhielt ich vor kurzem einen Brief aus Lüneburg. Seine Verhältnisse scheinen sich noch immer nicht recht solide bilden zu wollen; er ist fortwährend auf der Wanderschaft und, wie es mir vorkommt, auf keiner fröhlichen. Bewegung und Wechsel möchten seinem Naturelle und Talent vielleicht sehr zuträglich sein, nur wünschte ich, dass die Idee der Kunst sich bald ganz rein in ihm ausprägte, zu welcher Vollendung er gewiss berufen ist. Seine Erzeugnisse gehörig zu würdigen, wird eine der schwersten Aufgaben sein.
Auf Platen wird Immermann zuerst 1825 durch Heine aufmerksam, mit dem er mittlerweile freundschaftlichen Umgang pflegt. Den ersten Kommentar zu Platens Gedichten findet man drei Jahre später in einem Brief vom 27. Juli 1828 an seinen Freund, den jüdischen Dramatiker Michael Beer:
Platens Gedichte habe ich durchgelesen. Dieser Dichter hat das Eigentümliche, dass er ohne eigentlichen Inhalt, die Sehnsucht nach der Schönheit poetisch zu behandeln weiß. In den bedeutenderen Sachen klingt fast nur der Wunsch nach Idealität des Daseins, und das Bewusstsein, dieser Idealität würdig zu sein, hervor. Ich halte sehr viel von Platen, nur muss er sich meiner Ansicht, vor einem zu großen Gefallen an besonders künstlerischen Formen in Acht nehmen. Unter den Ghaselen sind offenbar viele, wo der Vers und das Reimgesetz dem Dichter die Hauptsache war.
Ebenfalls in einem Brief an Beer äußert sich Immermann am 22. April 1829 zum ersten Mal zum Ödipus:
Apropos! Von Platen ist ja «der romantische Ödipus» angekündigt; und (incredibile dictu) ich höre von Hamburg aus, er sei eine Satire auf mich. – Noch glaube ich es nicht, wenn es aber wahr ist, so soll’s mich freun, wenn es nur recht witzig geraten ist.
Keine zwei Monate später ist Immermann nicht mehr so gelassen. Der Ödipus ist veröffentlicht und seine Wut auf Platen groß. Die folgenden drei Briefe geben Immermanns Stimmung und Einstellung zu Platen wieder. Am 9. Juni 1829 schreibt er an Beer:
Die Aufregungen, welche eine Zeitlang mich vom Briefschreiben abhielten, bestanden in Folgendem: Das Geschwür, dessen Reifen Sie nach Schadows jetzt erteiltem Berichte schon lange gewusst haben, ist endlich in dem Romantischen Ödipus des Grafen Platen aufgebrochen. Meine hiesigen Freunde haben mich abgehalten, diese Satire zu lesen, nach ihrer Meinung ist sie ein Denkmal von Begeisterung des Hasses, wie es noch nicht in deutscher Sprache früher existiert hat. Ich habe mir daher nur den Gehalt von ihnen erzählen lassen, um die Schlachtordnung des Feindes zu kennen. Mein Gefühl sagte mir bei den früheren Hohn und Schimpfreden, die der literarische Pöbel über mich von Zeit und Zeit ergossen hat, dass es mir zieme, zu schweigen. Diesmal entschied sich mein Gefühl entgegengesetzt, und ich bin dem Gefühle gefolgt. Ich hielt es für geraten, einen aufgeblasenen Metriker nach dem Maße meiner Kräfte für seinen Hochmut zu züchtigen. Die Herren im Süden sollen sehen, dass wenn wir Preußen zu ihren schamlosen Angriffen schweigen, dies wenigstens nicht aus Ohnmacht geschieht. Alles, was ich von dem Treiben einer gewissen Clique in Bayern weiß oder ahne, erfüllt mich eigentlich mit einer unendlichen Verachtung gegen ein so unwürdiges Wesen. Man will München zum zweiten Weimar machen, und um das zu bewirken, muss der getäuschte König seine poetischen Schulexerzitien drucken lassen, werden beschränkte Talente, die aber das Bayerische Indigenat genießen, bis in die Wolken erhoben, und Schriftsteller, die wo anders den Weg ihrer Ausbildung gehen, gehemmt, geneckt und gelästert. – Nun zu Platen zurück. Der gehört auch zu den facticen Größen, und ich habe mir erlaubt, die seinige etwas höher zu beleuchten. Es ist geschehn in einer kleinen prosaischen Vorrede und 22 satirischen Gedichten. Das Ganze heißt: Der im Irrgarten der Metrik umhertaumelnde Cavalier. Eine literarische Tragödie. – Alles Persönliche, Moralische ist streng vermieden. Nur gegen das Ästhetische ist geschrieben, da ist ihm aber auch nichts geschenkt. – Heinen hat er, denken Sie, wegen des Judentums im Romantischen Ödipus verfolgt, desselben Punkts wegen sans rime et sans raison Raupach. Da die Prophezeiungen wieder Mode geworden sind, so will ich auch einmal prophezeien. Ich sage Ihnen also hier voraus: dass jener Mensch noch Gedichte schreiben wird, die in Geist und Richtung neben dem Bahrdt mit der eisernen Stirne stehen werden. Diese Geschichte hat mir also Zeit und Lust zu gemütlicher Mitteilung verdorben. Jetzt habe ich’s abgeschüttelt, und bin zu dem Grundgefühle meines Wesens zurückgekehrt. Wir wollen nun sehn, wer von uns übrig bleibt, Platen oder ich? oder besser, wir wollen an den tollen Hund nicht weiter denken.
(Indigenat: Bürgerrecht / factice: gemacht, künstlich / Sans rime et sans raison: ohne Sinn und Verstand / Bahrdt: kämpferischer evangelischer Theologe)
Und an den Bruder Ferdinand schreibt er zwei Tage später, am 11. Juni 1829:
Nun doch auch noch einige Worte vom dem Platenschen Labdakiden. Ich habe ihn nach dem Rate meiner hiesigen Bekannten nicht gelesen, und werde ihn nicht lesen. So kann ich also ohne Verdienst von meiner Seite bei der Sache leicht in Fassung bleiben. Gemeinheit trifft nur den gemeinen Angreifer, der sich tragisch überbäumende Hass lehrt durch seinen Purzelbaum dem Publico nichts von mir, sondern nur die Positur des Grafen Platen, wo er wirkliche Schwächen meiner Dichtungen berührt haben mag, kann er doch immer nur hinter meiner eignen Selbsterkenntniss zurückgeblieben sein. Du siehst, dass ich meinen Katechismus gut inne habe, und nach vierzehntägiger Aufregung (gegen einen Beichtvater soll man wahr sein) sitzt er mir nicht bloß auf der Zunge, sondern im Herzen.
Die volle Ladung soll aber der Graf Archilochus haben. Ich bin also nicht Deiner Meinung, die Sache hingehn zu lassen. Hier meine Gründe. Ich habe doch gewissermaßen zuerst angegriffen. Ich bin es also dem Grafen schuldig, ihm nach jener lumpigen Fingerterz vom Jahre 1827 in zwölf gehörigen Gängen, wie man zu sagen pflegt, Genugtuung zu geben; oder ihn mit andern Worten von der Prime an durch die Seconde, Seitenterz, Schulter- und Bauchquart, so zu hauen, dass er genug hat. Ich habe deshalb ein Heftlein komponiert, welches den Titel führt: Der im Irrgarten der Metrik umhertaumelnde Kavalier. Eine literarische Tragödie. Es enthält eine prosaische Vorrede, und dann in 22 Gedichten meine Gegenkomplimente an Platen. Ich habe mich streng ans Ästhetische gehalten, in diesem Gebiete ihn aber gehauen, wo und wie es nur menschenmöglich war. – Wenn nun Heine von sein[er Seite, wie] ich nicht zweifle, die nötige Malice besorgt, so [glaube ich, dass] dem antiken Hanswurste wohl auf einige Zeit der Aristophanes ausgetrieben sein wird. – Bei Deiner Äußerung, dass Andre für mich auftreten würden, habe ich mich eines Lächelns nicht enthalten können. Du guter Prämonstratenser!
Ich denke, wir leben in der glücklichen Zeit, wo jeder für sich, und Gott für Alle sorgt.
(Labdakiden: Herrschergeschlecht in Theben, dem auch Ödipus angehörte / Prime, Seconde etc.: Positionen beim Fechten / Prämonstratenser: priesterlicher Mönchsorden mit starkem Engagement in der Seelsorge)
An den jüngeren Bruder Hermann und seine Mutter schreibt er am 12. Juli 1829:
Doch habe ich kürzlich an Üchtritz (dem Verfasser von Alexander und Darius) der als Assessor zum hiesigen Landgerichte versetzt ist, wenigstens Jemand bekommen, mit dem ich ein Interesse, das literarische und poetische – gemein habe. Er ist ein sehr wohlunterrichteter, ernster und honettgesinnter Mann, der mir besonders in der letzten Zeit bei der Platenschen Schmiere, letztre Eigenschaft, nämlich die honette Gesinnung auf eine brave Weise zeigte. Ferdinand schreibt mir, dass Euch nach meinem AntiPlaten verlange. Er wird jetzt gedruckt, und ich werde ihn wohl etwa in 14 Tagen senden können. Dass man seine Zeit an solchen Schuft hat verschleudern müssen, ist das Schlimmste. Wenn man diesen bis zur Manie gestiegnen Hochmut erwägt, so muss Einem um die Haltbarkeit des menschlichen Verstandes im Allgemeinen bange werden – denn Verstand hatte er doch. Indessen habe ich ihn aus allen Registern angeorgelt, und ich hoffe, dass er keinen Fleck am Leibe behalten hat, auf den er nicht Schmiere gekriegt hätte. Heine sitzt unterdessen in Potsdam, und schreibt den dritten Reisebilderband. Er hat, wie er den Romantischen Ödipus gelesen, gesagt: der Graf von Platen sei ihm eben recht gekommen, wie ein Wild, das dem Jäger in den Schuss rennt. – Dieses schrieb mir Campe, der von den loyalsten Gesinnungen beseelt ist, und mir erwiderte, als ich ihm vorschlug, 1000 Exemplare meiner Schrift drucken zu lassen: nicht 1000, sondern 2500! – Du, als ein ehemaliger berühmter Feger und Klopffechter von Bonn bis Göttingen, wirst meinen Grundsatz billigen, dass, wenn man einmal losgeht, man tüchtig losgehn muss. Goethe ist, nachdem er Platen gelesen, sehr böse gewesen, und hat gesagt: er lese nun keine Zeile mehr von ihm. Auf diese Weise pflegt nämlich der alte Herr jetzt in Revisorio gegen Jemand zu entscheiden. (in Revisorio: juristenlateinischer Ausdruck für die zweite Instanz, das Revisionsverfahren)
Diese drei Briefe sind die einzigen, in denen Immermann seinem Zorn auf Platen Luft macht. Später kommt er nur noch selten auf ihn zu sprechen. In der nächsten Zeit gilt Immermanns Augenmerk dagegen Heines Reisebildern III.
An seinen Bruder Hermann schreibt er am 8. Oktober 1829:
Von Heines Reisebildern erscheint im November der 3. Band, darauf freust Du Dich doch auch? – Er soll Platen furchtbar behandelt haben, wie mir Campe schreibt, und hat den jenen betreffenden Abschnitt mir dediziert, was mir nicht lieb ist.
Am 20. Oktober 1829 äußert er sich zu Heines Vorgehen etwas ausführlicher in einem Brief an Beer:
Kampe schreibt mir aus Hamburg, Heines dritter Reisebilderband komme im November. Er schickt mir das Buch per Post, sobald es die Presse verlässt. Soll ich für Sie auch ein Exemplar bei ihm bestellen? Heine ist mit Platen (nach Campes Ausdruck) furchtbar umgegangen. Wenn er sich nur nicht überschlagen hat. Kampe rühmt dagegen meine Milde. Auf diesen Ruhm hätte ich nicht gerechnet, ebenso wenig auf den Beifall der Damen, von dem Sie mir schrieben. Ich sehe also, dass man an keinem Taugenichtse verzweifeln muss.
Am 7. Dezember 1829 nimmt Immermann in einem weiteren Brief an Beer zu einer anonymen Verteidigung Platens Stellung: Aus dem Journal eines Lesers, erschienen im Morgenblatt für gebildete Stände am 21. September1829. Inzwischen weiß man, dass sie von Heinrich Puchta verfasst wurde, aber Immermann, wie auch Heine, schreibt sie Platen selbst zu:
Die Fragmente aus dem Journale des sogenannten Lesers habe ich gelesen. Üchtritz und noch sonst ein Bekannter meinten auch, sie seien von Platen. Da Sie dasselbe glauben, so scheint für die Sache eine gewisse innre Wahrscheinlichkeit zu sprechen. Wenn man in einem Streite dahin gekommen ist, zu sagen: Ich bin vortrefflich, Du aber bist gemein, und jeder, der mich nicht vergöttert, ist auch gemein, so ist man denn freilich bis zu sehr einfachen Kampfmitteln gediehen. Überaus wunderbar ist die Verteidigung gegen Sodomie, deren ihn noch Niemand öffentlich beschuldigt hat. «In den Berliner Jahrbüchern hatte man sich bei allem Tadel der erotischen Gedichte an die Freunde dennoch ausdrücklich dagegen verwahrt, dass man criminell inculpieren wolle.» Als excusatio non petita steht dergleichen Verteidigung wenigstens bei uns Juristen eben nicht in Ansehn.
(inculpieren: beschuldigen / excusatio …: nicht verlangte Entschuldigung)
Immermanns Beurteilung von Heines Reisebilder III deckt sich im Großen und Ganzen mit der Reaktion der Presse (s. S. 229ff.). In einem Brief an Beer formuliert er am 31. Januar 1830 sein Urteil wie folgt:
Heines Reisebilder sind gelesen. Viel Schönes, einzelnes Unübertreffliches, im Ganzen aber tritt die Manier immer stärker auf. Die Hoffnung auf die Durchbildung zum Stil, auf Erringung des eigentlichen Kunst-Meistergrades, der Höhe, auf der man an keinem Einfalle mehr haftet, und aus sogenannten brillanten Stellen sich nichts mehr macht, verliert sich zu meiner Betrübnis. – Die Replik gegen Platen ist, wie Sie dieselbe allenfalls von Heine sich imaginieren können. Päderastie hinten, vorne, oben, unten. Die Saillien oft sehr witzig, der Gegenstand ist aber so ekelhaft, dass der Vorwurf, zumal oft wiederholt, auch ein bisschen eklig wird. Da ich indessen nach meiner Moral meinen Feinden alles gebrannte Herzeleid wünsche, so kann ich den Todesärger, den Platen darüber haben wird, immerhin geschehn lassen.(Saillie: witziger Einfall)
Als er Heine am 1. Februar 1830 seine Meinung zu den Reisebildern III mitteilt, mäßigt er seinen Ton. Nachdem er lobend auf einzelne Aspekte des Buches, etwa bestimmte Figuren, eingegangen ist, schreibt er:
Manch Einzelnes ist wohl, was man weg wünschte – das Gehnlassen! das Gehnlassen, mein lieber Heine! Doch ich will mir das Behagen an dem guten Buche nicht verderben. Bei der Replik gegen Platen hätte vielleicht ein bisschen gespart werden können. Übrigens wird, denke ich, der Effekt unserer beiden Pillen nicht ausbleiben. Eine Zeitlang hilft man sich wohl so durch mit dem faselnden Hochmut, am Ende schlägt die Wahrheit doch durch. Das erste, was wir als Produkt werden zu sehen bekommen, wird wohl ein noch exquisiterer Narrenstreich sein, als die er bisher hat auslaufen lassen, denn er muss doch nun auf Tod und Leben den Beweis führen, dass er ein großer Poet sei, und da hoffe ich, kommt er zum Absurden, woran der Ödipus schon nahe steht. Wolfgang Menzel wird zwischen seiner Verehrung für Sie und für Platen durch das Buch in eine arge Klemme geraten.
Bereits mit einem gewissen Abstand betrachtet Immermann den Streit in einem Brief an seinen Bruder Hermann vom 9. April 1830. Wie für Platen «die Juden», so sind für Immermann die «süddeutschen Schelme» inzwischen offenbar die Macht des Bösen schlechthin:
Dein Urteil über die Heinische Replik kann ich nicht missbilligen. Ich hasse alle Personalitäten, wie den Tod, und habe selbst gezeigt, dass wenn ich auch einmal den Speer der Polemik schwinge, ich mich doch lediglich im Felde des rein Literarischen zu halten weiß. Übrigens muss man um einer solchen Übereilung willen den Menschen nicht verdammen. Auch ich weiß, aus eigner Erfahrung, bis zu welchem Grade man durch das Gesindel aufgebracht werden kann. So würde ich, wenn Menzel und die übrigen süddeutschen Schelme in meine Macht gegeben würden, ohne alles Bedenken die ganze Bande zur Erhaltung guter Justiz auf offenem Markte auspeitschen lassen. Da nun dem Geschmähten zur Zeit noch im literarischen Staate diese Gerechtigkeit versagt ist, so peitscht ein reizbarer Mensch, wie Heine, auf dem Papiere los. Das ist ein großer Fehler, indessen kann ich ihn noch entschuldigen. Ich habe dagegen das System ergriffen, kein Journal mehr zu lesen, und zwar, seit ich wieder im Hesperus Artikel fand, die das Äußerste ekelhafter Frechheit darstellten. So hoffe ich denn durch Unwissenheit jene schöne aristokratische Stimmung früherer Zeit wiederzuerobern, die mir in Düsseldorf, vielleicht durch meinen Umgang mit unselbstständigen, an die Welt und ihre Eitelkeit verlornen Naturen, leider fast abhandengekommen ist.
Zwei Jahre später ist von der anfänglichen Freundschaft zu Heine nichts mehr zu spüren. Am 17. Januar 1833 schreibt er an Bruder Ferdinand:
Von Heine erhielt ich vor kurzem einmal wieder einen närrischen Brief, worin er mich bat, ihn um Gotteswillen weder für einen bezahlten Schuft, noch für einen Vaterlandsretter zu halten. Ferner fragte er mich, ob ich wisse, was Literatur sei? Er verstehe darunter uns beide, und unsre Feinde. Seine französischen Zustände, die jetzt zusammengedruckt sind, lesen sich recht gut. Dagegen warne ich Dich vor den zwei ferneren Bänden der Börneschen Briefe. Ich habe bei dem ersten Drittel, welches ich bezwingen können, eine Neigung zum körperlichen Erbrechen verspürt, es ist nicht möglich, dass ein Mensch noch tiefer fallen kann.
Ein halbes Jahr später wird er noch deutlicher. An Ferdinand schreibt er am 21. Juni 1833:
Die Europe littéraire (das neue universelle Journal) studiere ich fleißig, weil es ein treues Abbild des jetzt in Frankreich herrschenden Geistes in Kunst und Literatur gibt. Von mir wird demnächst darin eine Geschichte der neueren Malerei erscheinen. – Heine ist und bleibt ein Hans Wurst.
Vor Platen hat sich Immermann dagegen einen Rest von Achtung bewahrt. Fast zehn Jahre nach dem Streit erwähnt er diesen in einem Brief, den er in der ersten Junihälfte 1839 an seine spätere Frau Marianne richtet:
Lieb’ Kind, Du hast Recht, es geht bei mir immer hinüber und herüber, ich bin doppelt, töricht und klug, weise und närrisch. Aber ein Bild gebe ich Dir zum tröstlichen Gleichnis. Platen braucht einmal das hübsche Gleichnis von der Wasserlilie, die hin und her ihr Haupt wiegt und dennoch fest auf dem Grunde wurzelt. Auf so einem festen Grunde wurzle ich auch bei allen Schwankungen hinüber und herüber.
Zitiert nach: Karl Immermann: Briefe. Textkritische und kommentierte Ausgabe in drei Bänden. Herausgegeben von Peter Hasubek, München (Carl Hanser Verlag) 1978
Als der Streit beginnt, lebt Platen bereits seit zwei Jahren in Italien. Die Arbeit am Romantischen Ödipus erwähnt er zum ersten Mal am 28. September 1827 in einem Brief an seinen Freund, den Schriftsteller August Kopisch.
Von meiner neuesten (Komödie, Anm. d. Verf.) habe ich den ersten Akt samt der Parabase in zwei Tagen geschrieben, sehe mich nun aber durch diese Briefschaften und meine Reise unterbrochen. (…) Das Stück heißt: Der romantische Ödipus.
Von nun an kommt er in Briefen regelmäßig auf sein neues Theaterstück zu sprechen und kündigt an, bald Proben davon zu verschicken. Aufgrund seiner prekären finanziellen Lage beschwert sich Platen zu dieser Zeit immer wieder über ausbleibende Zahlungen seines Verlegers. Am 27. November 1827 schreibt er an seinen Freund Friedrich Graf Fugger:
Eben komme ich von Torlonia. Cotta hat nicht einen Kreuzer für mich angewiesen. Du musst Dich nun um einen bessern Verleger für die Gedichte und das neue Lustspiel umsehen.
Platens Situation wird in einem weiteren Brief an Fugger, den er am 6. Dezember 1827 aus Rom schickt, besonders deutlich:
Ich muss Dir zum dritten Mal schreiben, ohne Deine Antwort abwarten zu können. Die Not zwingt mich dazu. Ein Freund in Neapel, namens Gündel hat mir 50 römische Scudi vorgestreckt, doch muss ich daran denken, sie bald zurückzubezahlen. (…) Die Oden und Eklogen werde ich sogleich schicken, wenn Du mir Nachricht gibst. Ich werde ein Exemplar der venezianischen Sonette mit den nötigen Korrekturen hinzufügen, und wenn das Paket noch zu gering für den Postwagen sein sollte, will ich den ersten Akt des romantischen Ödipus dazu abschreiben. An Cotta noch einmal zu schreiben und noch einmal zu betteln, habe ich nicht der Mühe wert gefunden. Wenn Du keinen ordentlichen Verleger findest, so könntest Du Dich mit Puchta in Korrespondenz setzen, der vielleicht eher etwas aufzutreiben weiß. Ich jedem Falle müssten mir auch 20-25 Freiexemplare ausbedungen werden. Ohne Hülfe des Königs werde ich doch nie auf einen grünen Zweig kommen.
Am 11. Januar 1828 bittet Platen in einem Brief an seinen Bekannten und Mittelsmann zu Cotta, Gustav Schwab, erstmals darum, ihm Informationen über Immermann zu senden:
In meinem letzten Paket an Fugger, worin ich ihm das vierte Buch meiner Gedichte, welches die Oden, Eklogen und einen Hymnus enthält, geschickt habe, habe ich auch den ersten Akt einer neuen Komödie, der romantische Ödipus, beigelegt. Er könnte auf diesem Wege Cotta vorgelegt werden, wenn von ihm überhaupt noch etwas zu hoffen wäre. Sagen Sie mir doch etwas von dem Dichter Immermann. Ich habe ihn in dieser neuen Komödie als Hyperromantiker benutzt, habe aber nichts von ihm gelesen als Cardenio und Celinde (…). Dieser Mensch vereinigt mit allen erdenklichen poetischen Fehlern auch die größte dramatische Ungeschicktheit. In der letzten Zeit, wie ich höre, soll er viel Aufsehen machen, besonders in Berlin.
Am 18. Februar 1828 schickt Platen Fugger eine Probe aus dem fünften Akt des Ödipus. Inzwischen hat er von den Epigrammen Immermanns in Heines Reisebildern II erfahren:
Was hat man in München zu meinem Ödipus gesagt? Schwab wird ihn dir zu Proben ins Morgenblatt abfordern. Ich habe ihm geschrieben, er könnte nach und nach den ganzen Akt mitteilen; doch scheint es mir jetzt besser, bloß die Expositionsszene bis zum Auftreten Nimmermanns zu geben, und sodann die gegenwärtige Beilage mitzuteilen. Etwas Ähnliches existiert nicht leicht in einer Sprache. Übrigens ist es kein Werk der Rache, und es ward früher geschrieben, als ich von Dir die Epigramme Immermanns erhielt. Der Armselige wird sie teuer bezahlen müssen! Übrigens werde ich auch diese benützen, und auch Heine soll seine Salve bekommen. Doch möchte ich dazu noch Einiges von ihm wissen. Vorzüglich musst Du mir etwas aus Immermanns Andreas Hofer (Platen meint Trauerspiel in Tyrol, d. Verf.) mitteilen, etwas von der Handlung und einigen pikanten Unsinn. Ich brauche es zum Schluss des 5. Akts, wo ich ihn vollkommen überschnappen lasse. (…)
Was den Juden Heine betrifft, so wünschte ich wohl, dass meine Münchener Freunde (denn er ist in München) ihn gelegentlich mystifizierten, und ihn zur Rede stellten, was ihn zu dem Wagestück verleitet einen offenbar Größern, der ihn zerquetschen kann, so unbarmherzig zu behandeln? Er solle sich gnädiger anlassen, und meine Gaselen, die den Beifall Goethes, Schellings und Silvestre de Sacys erhalten, wenigstens nicht ganz verachten usw.
(mystifizieren: täuschen, vorspiegeln – hier offenbar gebraucht im Sinne von einschüchtern)
In einem Brief an seinen Freund Georg Friedrich Puchta vom 23. Februar 1828 beschreibt Platen das Anliegen, das er mit dem Ödipus verfolgt. Dass die «stärksten Stellen» im 5. Akt schon geschrieben waren, als er von den Xenien erfuhr, deckt sich allerdings nicht mit den Angaben des Briefs vom 18. Februar.
Alle poetischen Versuche, die Deutschen auf etwas Vaterländisches zurückzuführen, sind im höchsten Grade verunglückt, und meist noch obendrein lächerlich geworden. Der religiöse Hebel, dessen ich mich in meinen Tragödien bedienen werde, wird fast eben so wenig fruchten, wie wohl etwas mehr, da die Deutschen, trotz ihres über alle Maßen chaotischen Zustandes, doch immer noch keine vollendeten Bestien sind, und unter der Asche ein wenig Religion zurückgeblieben. Im romantischen Ödipus habe ich versucht, was eine unerbittliche sittliche Geißel, und eine zerschmetternde Vernichtung des Abgeschmackten im Stil des Archilochus vermag. Zum Helden des Lustspiels habe ich mir Immermann auserwählt, als Narr der Narren. Erst nachdem die stärksten Stellen gegen ihn im 5. Akt geschrieben waren, habe ich durch Fugger erfahren, dass der Dummkopf in Heines Reisebildern einige Epigramme auf mich gemacht hat (…). Da in der Mehrzahl gesprochen wird, so ist Rückert auch mit gemeint; doch kann er sich darüber freuen; denn vielleicht ist nie ein Epigramm so teuer bezahlt worden. Der Epigrammist wird sich über den Reichtum dieser armen Leute verwundern, und wird das Maul nicht wenig aufsperren, wenn er das ganze Vomitiv ins Gesicht bekommt. Kritiken, wenn auch ganz ungerechte, sind mir gleichgültig und ich weiß sie leicht zu verzeihen; wenn aber ein Pfuscher sich einbildet, über mich herfallen zu können, so wird er es nicht übel nehmen, wenn er von der ganzen Zentnerlast meiner Überlegenheit zerquetscht wird.
Im folgenden Monat, am 12. März 1828, konstatiert Platen jedoch in einem Brief an Fugger, nicht Immermann gelte sein Zorn, sondern Heine:
Noch auffallender ist mir, dass du für Heine Pardon verlangst, nachdem Du mich selbst von seiner Unverschämtheit unterrichtet. Dass die Epigramme auf mich und Rückert gehen, dass wir beide die «kleinen Sänger» sind, unterliegt keinem Zweifel. Dass Immermann sie gemacht, ist verzeihlich, dass aber Heine sie aufnimmt, sie vertritt, dass er Sottisen durch die dritte Hand sagt, ist nicht verzeihlich und nebenbei eine echt jüdische Handlungsweise. Überdies sind die Reisebilder, wie ich höre, ein sehr populäres Buch; er hat also vor ganz Deutschland meine Gedichte für etwas Gespieenes erklärt. Gewiss bist du der einzige von meinen Freunden, der die Strafe für zu hart hält, die ich ihm dafür angedeihen ließ. Ich habe ihn den Petrark des Laubhüttenfests genannt, weil ihn Immermann in seiner Rezension dem Petrarca an die Seite setzt. Es kommt mir vor, als hätte ich ihn weit gelinder behandelt, als er mich. Wenn er Geist und Talent hat, so ist es desto besser für ihn. Was übrigens ein Mensch von mir denkt und urteilt, der einen Pfuscher wie Immermann seinen hohen Mitstrebenden nennt, ist vollkommen gleichgültig. Dass er ein Jude ist oder war, ist kein moralisches Gebrechen; aber ein komisches Ingrediens. Einsichtige werden beurteilen, ob ich es nicht mit aristophanischer Feinheit benützt habe.
In seinem Brief an Fugger vom 21. April 1828 offenbart Platen, dass er Heines Bekanntheitsgrad in Deutschland arg unterschätzt:
Den Heine anonym anzugreifen, wäre wohl ein sehr vergebliches Unternehmen, denn wer würde an ihn denken?
Am 24. Juli 1828 schreibt Platen an Fugger, er habe mit gleicher Post eine Abschrift des Ödipus an Cotta gesandt, auch wenn er dessen «Druckfehlerfabrik» fürchte. Am 14. August 1828 ergänzt er: In jedem Fall würde ich den Ödipus in Augsburg drucken lassen. Du kannst Cotta’n gelegentlich wegen der Satire gegen Heine benachrichtigen; nimmt er daran Anstoß, so suche ich einen andern Verleger für das Stück, wozu ich in Frankfurt Aussichten habe. Gestrichen wird nichts, da Alles reiflich überlegt ist, und der hohe Mitstrebende Immermanns passt zu sehr in die Komödie, um ihn wegzulassen, und, wie es im Stück selbst heißt
Und anzugreifen einen weit Gewaltiger’n
Ist eine That, die sicherlich Verderben bringt.
Sein Brief an Puchta vom 30. August 1828 dokumentiert den Beginn einer Art von antijüdischer Paranoia: