Schlag auf Schlag - Myron Bolitar ermittelt - Harlan Coben - E-Book

Schlag auf Schlag - Myron Bolitar ermittelt E-Book

Harlan Coben

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Beschreibung

Für Sportagent Myron Bolitar könnte es gar nicht besser laufen: Sein Schützling Duane Richwood steht bei den US-Open vor seinem ersten großen Sieg, und auch dem ehemaligen Tennis-Wunderkind Valerie Simpson scheint ein großes Comeback zu gelingen. Doch dann wird Valerie ermordet aufgefunden, und ausgerechnet Duane gerät unter Mordverdacht. Der hat zwar ein Alibi, aber warum steht sein Name in Valeries Adressbuch, obwohl er sie angeblich gar nicht kannte? Um Duane zu entlasten, beginnt Myron zu ermitteln. Er stößt auf eine Spur, die in Valeries Vergangenheit führt – und ihn bald selbst auf die Abschussliste mächtiger Gegner geraten lässt ...

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Seitenzahl: 412

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Harlan Coben

Schlag auf Schlag

Myron Bolitar ermittelt

Thriller

Deutsch von Gunnar Kwisinskig

Buch

 

Bei den US-Open wird das ehemalige Tenniswunderkind Valerie Simpson erschossen. Für ihr Comeback wollte sie sich vom New Yorker Sportagenten Myron Bolitar beraten lassen. Bolitar trifft das Unheil gleich doppelt, denn ausgerechnet sein vielversprechendster Klient, der Shootingstar Duane Richwood, gerät in Verdacht, Valerie ermordet zu haben. Zwar stand er zum Zeitpunkt des Mordes auf dem Platz und behauptet auch, Valerie gar nicht gekannt zu haben, doch immerhin fand man seine Telefonnummer in ihrem Terminkalender. Könnte Richwood indirekt verantwortlich sein und jenen glühenden Fan Valeries zu der Tat angestiftet haben, der die junge Frau bereits seit Jahren verfolgte? Für Myron ist das undenkbar.

Mit Unterstützung seines Freundes Win und seiner Mitarbeiterin Esperanza deckt er die Hintergründe für Valeries spektakulären Absturz vor sechs Jahren auf: Ihr Verlobter, der Sohn eines Senators, wurde ermordet, einer der jugendlichen Täter kurz darauf erschossen. Doch als Myron weiter in der Vergangenheit nach Hinweisen und möglichen Verbindungen zur Gegenwart sucht, wollen vom Senator bis zur Mafia alle, dass er seine Ermittlungen einstellt. Und schon bald braucht Myron jede Hilfe, die er bekommen kann, um nicht selbst das nächste Opfer zu werden …

 

 

Autor

 

Harlan Coben wurde 1962 in New Jersey geboren. Seine Thriller wurden in über vierzig Sprachen übersetzt und erobern regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten. Harlan Coben, der als erster Autor mit den drei bedeutendsten amerikanischen Krimipreisen ausgezeichnet wurde – dem Edgar Award, dem Shamus Award und dem Anthony Award – gilt als einer der wichtigsten und erfolgreichsten Thrillerautoren seiner Generation. Er lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in New Jersey.Mehr zum Autor und seinen Büchern unter: www.harlancoben.com

 

 

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

 

 

Die Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel »Drop Shot« bei Dell Publishing, a division of Bantam Doubleday Dell Publishing Group, Inc., New York.

 

 

Neuausgabe Juni 2016 Wilhelm Goldmann Verlag, München Copyright © der Originalausgabe 1996 by Harlan Coben Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2007, 2016 Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Marie-Luise Bezzenberger Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München Umschlagmotiv: © FinePic®, München Th · Herstellung: Str.

eISBN 978-3-641-17839-0V006

www.goldmann-verlag.de

 

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www.penguinrandomhouse.de

 

 

 

 

Für Anne und Charlotte, vom glücklichsten Mann der ganzen Welt

Inhaltsverzeichnis

CopyrightWidmungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48DanksagungÜber den Autor

1

»Cesar Romero«, sagte Myron.

Win sah ihn an. »Das ist nicht dein Ernst.«

»Wir wollen’s doch am Anfang nicht zu schwer machen.«

Die Spieler auf dem Stadium Court waren beim Seitenwechsel. Myrons Klient, Duane Richwood, fegte den an Nummer 15 gesetzten Ivan Irgendwas-okov vom Platz. Er führte 5:0 im dritten Satz, nachdem er die ersten beiden 6:0 und 6:2 gewonnen hatte. Eine beeindruckende US-Open-Premiere des ungesetzten 21-jährigen Senkrechtstarters aus New York, der (im wahrsten Sinne des Wortes) von der Straße kam.

»Cesar Romero«, wiederholte Myron. »Oder weißt du’s nicht?«

Win seufzte. »Der Joker.«

»Frank Gorshin.«

»Der Riddler.«

Anderthalb Minuten Werbepause. Myron und Win beschäftigten sich mit dem geistreichen Spiel »Heiteres Batman-Schurken-Raten«. Nach der Fernsehserie. Dem Batman mit Adam West, Burt Ward und den ganzen »Pow-«, »Bam-« und »Slam«-Blasen. Dem echten Batman.

»Und wer hat den zweiten gespielt?«, fragte Myron.

»Den zweiten Riddler?«

Myron nickte.

Vom Platz lächelte Duane Richwood ihnen frech zu. Er trug eine schrille Pilotensonnenbrille mit neongrünem Rahmen. Der letzte Schrei von Ray-Ban. Duane trug sie immer. Sie war nicht nur ein Erkennungs-, sondern sein Markenzeichen. Ray-Ban war recht angetan.

Myron und Win saßen in einer der beiden Spieler-Logen, die für Prominente und die Entourage der Spieler reserviert waren. Bei den meisten Spielen war diese Loge voll. Bei Agassis Match am vorigen Abend wäre sie fast geplatzt vor lauter Familienmitgliedern, Freunden, Arschkriechern, kreischenden Mädels, umweltbewussten Filmstars und Toupetträgern – eine Aerosmith Backstage-Party konnte nicht schlimmer sein. Bei Duane jedoch saßen nur drei Personen in der Loge: Agent Myron, Finanzberater Win und Trainer Henry Hobman. Wanda, die Liebe seines Lebens, regte sich zu schnell auf und war lieber zu Hause geblieben.

»John Astin«, antwortete Win.

Myron nickte. »Und Shelly Winters?«

»Ma Parker.«

»Milton Berle?«

»Liberace?«

»Chandell der Finger.«

»Und?«

Win sah ihn überrascht an. »Und was?«

»Welchen Schurken hat Liberace noch gespielt?«

»Was soll das? Liberace ist nur in der einen Folge aufgetreten.«

Myron lehnte sich lächelnd zurück. »Sicher?«

Auf seinem Platz neben dem Schiedsrichterstuhl leerte ein fröhlich lächelnder Duane eine Flasche Evian. Er hielt sie so, dass der Name des Sponsors den Fernsehkameras nicht entgehen konnte. Kluger Bursche. Wusste, wie man Sponsoren bei Laune hielt. Erst vor wenigen Tagen hatte Myron für Duane einen simplen Vertrag mit dem Mineralwasser-Giganten ausgehandelt: Duane trank bei den US-Open Evian aus etikettierten Flaschen. Im Gegenzug überwies Evian ihm zehn Riesen. Das waren die Wasser-Rechte. Über Duanes Softdrink-Rechte verhandelte Myron mit Pepsi, über die Elektrolyt-Rechte mit Gatorade.

Aaah, Tennis.

»Liberace war nur in der einen Folge«, verkündete Win.

»Ist das dein letztes Wort?«

»Ja. Liberace war nur in der einen Folge.«

Henry Hobman starrte weiter hoch konzentriert auf den Platz und ließ seinen Blick von rechts nach links wandern. Schade, dass gerade niemand spielte.

»Henry, was meinst du dazu?«

Henry beachtete sie nicht. Auch das kannten sie schon.

»Liberace war nur in der einen Folge«, wiederholte Win trotzig.

Myron machte ein Buzzer-Geräusch. »Tut mir Leid, die Antwort ist falsch. Was haben wir für unseren Kandidaten, Don? Tja, Myron, Windsor bekommt unser Quiz als Brettspiel für zu Hause und einen Jahresvorrat Autowachs von der Firma Turtle. Und herzlichen Dank fürs Mitspielen!«

Win wiederholte ungerührt: »Liberace war nur in der einen Folge.«

»Ist das dein neues Mantra?«

»Bis zum Beweis des Gegenteils.«

Win – mit vollem Namen Windsor Horne Lockwood III. – legte seine manikürten Finger aneinander. Er legte oft die Finger aneinander. Das stand ihm. Win machte seinem Namen alle Ehre. Er war der perfekte WASP, der typische weiße, angelsächsische Protestant. Seine gesamte Erscheinung – das feine blonde Haar, das hübsche Patriziergesicht, die schneeweiße Haut, der näselnde Exeter-Akzent – verströmte Arroganz, Überheblichkeit, ein Flair der Klatschseiten in Town and Country, von Debütantinnen mit Perlenketten, Pullovern mit Monogrammen und Namen wie Babs, von trockenen Martinis im Country Club und von spießigem altem Geld. Allerdings war in Wins Chromosomen trotz zahlreicher Generationen sorgfältiger Zucht irgendeine Anomalie zum Tragen gekommen. In vieler Hinsicht war Win genau das, wonach er aussah. In anderer Hinsicht dagegen – manch recht beängstigender Hinsicht – war er es nicht.

»Ich warte«, sagte Win.

»Du erinnerst dich an Liberace als Chandell der Finger?«, fragte Myron.

»Natürlich.«

»Dann ist dir wohl leider nur entfallen, dass er auch Chandells bösen Zwillingsbruder Harry gespielt hat. In derselben Folge.«

Win verzog das Gesicht. »Das kann nicht dein Ernst sein.«

»Wieso?«

»So was zählt nicht. Böse Zwillingsbrüder.«

»Wo steht das?«

Win reckte sein markantes Kinn auf diese gewisse Art vor.

Die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass man sie als Unterwäsche hätte tragen können, besonders in der stehenden Luft des Stadium Court in Flushing Meadows. Das seltsamerweise nach Louis Armstrong benannte Stadion war im Prinzip eine gigantische Werbefläche, in deren Mitte sich zufällig ein Tennisplatz befand. IBM präsentierte sich über der Geschwindigkeitsanzeige, auf der das Tempo der Aufschläge erschien. Citizen war sowohl für die Uhrzeit als auch für die Dauer des Matches zuständig. Visa hatte sich den Platz hinter der Aufschlaglinie gesichert, Reebok, Infinity, Fuji Film und Clairol hatten ihre Namen an jede noch freie Fläche gepappt. Genau wie Heineken.

Heineken war das offizielle Bier der US-Open.

Die Zuschauer waren bunt gemischt. Die Leute auf den guten Sitzen unten am Platz hatten Geld. In Sachen Kleidung war allerdings alles erlaubt. Manche trugen Maßanzüge mit Krawatten (wie Win), andere etwas legereren Banana-Republic-Stil (wie Myron), man sah aber auch viele Jeans und Shorts. Am besten gefielen Myron jedoch diejenigen, die in Tennisklamotten kamen – Tennishemd, -shorts, -socken, -schuhe, Trainingsjacke, Schweißbänder – und sogar einen Schläger dabei hatten. Einen Tennisschläger. Als wären sie auf Abruf hier. Als würde Sampras, Steffi oder sonst wer plötzlich auf einen Zuschauer zeigen und sagen: »Hey, Sie da mit dem Schläger. Ich brauche einen Doppelpartner.«

Win war dran. »Roddy McDowall«, fing er an.

»Der Bücherwurm.«

»Vincent Price.«

»Egghead.«

»Joan Collins.«

Myron zögerte. »Joan Collins? Aus Denver-Clan?«

»Ich bin nicht bereit, Hinweise zu geben.«

Myron ließ sich diverse Folgen durch den Kopf gehen. Der Schiedsrichter auf dem Platz sagte: »Time.« Die anderthalbminütige Werbepause war zu Ende. Die Spieler standen auf. Myron hätte es nicht beschwören können, glaubte aber, dass Henry geblinzelt hatte.

»Gibst du auf?«, fragte Win.

»Psst. Das Spiel geht weiter.«

»Und du willst Batman-Fan sein.«

Die Spieler nahmen ihre Positionen ein. Auch sie waren Werbeflächen, wenn auch etwas kleiner. Duane trug Schuhe und Kleidung von Nike und benutzte einen Schläger von Head; McDonald’s- und Sony-Logos schmückten seine Ärmel. Sein Gegner war in Reebok gekleidet. Seine Logos waren unter anderem Sharp und Bic. Die Einwegkugelschreiber, -feuerzeug und -nassrasierer-Firma. Als würde sich jemand ein Tennisspiel anschauen, das Logo sehen und sich einen Kugelschreiber kaufen.

Myron beugte sich zu Win hinüber. »Okay, ich geb auf«, flüsterte er. »Wen hat Joan Collins gespielt?«

Win zuckte die Achseln. »Weiß ich nicht mehr.«

»Was?«

»Ich weiß, dass sie einmal mitgespielt hat. Aber ich weiß nicht mehr, welche Rolle.«

»Das kannst du nicht machen.«

Breit grinsend zeigte Win ihm seine perfekten Zähne. »Wo steht das?«

»Du musst die Antwort kennen.«

»Warum?«, widersprach Win. »Kennt Pat Sajak alle Redewendungen in Glücksrad? Muss Alex Trebeck in Jeopardy jede Frage kennen?«

Pause. »Hübscher Vergleich, Win. Echt.«

»Danke.«

Dann sagte eine Stimme: »Die Sirene.«

Myron und Win blickten sich um. Es schien von Henry gekommen zu sein.

»Hast du was gesagt?«

Henrys Mund schien sich nicht zu bewegen. »Die Sirene«, wiederholte er, den Blick immer noch starr auf den Platz gerichtet. »Joan Collins hat die Sirene gespielt. In Batman.«

Myron und Win sahen sich an.

»Klugscheißer sind hier nicht sehr beliebt, Henry.«

Henrys Mund mochte sich bewegt haben. Es mochte ein Lächeln gewesen sein.

Auf dem Platz eröffnete Duane das Spiel mit einem Ass. Der Ball hätte fast noch ein Loch in den Balljungen gebohrt. Auf der IBM-Geschwindigkeitsanzeige stand 128 mph – über 200 Stundenkilometer. Ungläubig schüttelte Myron den Kopf. Ivan Wiehießernoch tat es ihm nach. Duane ging gerade für den nächsten Aufschlag in Position, als Myrons Handy klingelte.

Myron meldete sich schnell. Auf den Tribünen telefonierten ein paar Leute, in den vorderen Reihen war er allerdings der Einzige. Er wollte das Handy schon ausschalten, als ihm einfiel, dass es Jessica sein könnte. Jessica. Bei dem Gedanken erhöhte sich sein Pulsschlag.

»Hallo.«

»Hier ist nicht Jessica.« Es war Esperanza, seine Mitarbeiterin.

»Hatte ich auch nicht erwartet.«

»Natürlich nicht«, sagte sie. »Du winselst immer wie ein Welpe, wenn du ans Telefon gehst.«

Myron versuchte, das Handy mit der Hand abzuschirmen. Das Match ging ohne Unterbrechung weiter, aber die Umsitzenden suchten mit grimmigen Blicken nach dem Verursacher des störenden Klingelns. »Was willst du?«, flüsterte er. »Ich bin im Stadion.«

»Ich weiß. Während das Spiel läuft zu telefonieren. Du siehst garantiert aus wie ein großkotziges Arschloch.«

Jetzt, wo sie es erwähnte …

Die grimmigen Blicke waren zu funkelnden Dolchen geworden. In den Augen der anderen Zuschauer hatte Myron sich einer unverzeihlichen Sünde schuldig gemacht. Wie Kinder belästigen. Oder das Hauptgericht mit der Salatgabel essen. »Was willst du?«

»Sie zeigen dich gerade. Mann, es stimmt wirklich.«

»Was?«

»Im Fernsehen sieht man dicker aus.«

»Was willst du?«

»Nicht der Rede wert. Ich dachte, vielleicht interessiert es dich, dass ich einen Termin mit Eddie Crane gemacht habe.«

»Erzähl keinen Scheiß.« Eddie Crane war eine der größten Tennis-Nachwuchshoffnungen des Landes. Bisher hatte er nur mit den vier großen Agenturen gesprochen: ICM, TruPro, Advantage International und ProServ.

»Das ist kein Scheiß. Du triffst dich nach Duanes Match mit ihm und seinen Eltern am Platz sechzehn.«

»Weißt du, dass ich dich liebe?«

»Dann bezahl mich besser«, sagte sie.

Duane punktete mit einem harten Cross-Court Vorhand-Winner. 30:0.

»Noch was?«, fragte Myron.

»Nichts Wichtiges. Valerie Simpson. Sie hat drei mal angerufen.«

»Was wollte sie?«

»Hat sie nicht gesagt. Aber es klang, als wäre die Eisprinzessin ein bisschen von der Rolle.«

»Nenn sie nicht Eisprinzessin.«

»Yeah, wenn du meinst.«

Myron beendete das Gespräch. Win sah ihn an. »Probleme?«

Valerie Simpson. Ein verrückter, wenn auch trauriger Fall. Das frühere Tennis-Wunderkind war vor zwei Tagen auf der Suche nach einem – irgendeinem – Agenten in Myrons Büro aufgetaucht. »Ich glaub nicht.«

Duane führte 40:0. Drei Matchbälle. Bud Collins, Tennis-Kolumnist extraordinaire, wartete am Spielereingang schon auf das Interview danach. Buds Hose, wie immer ein modischer Hochseilakt in Technicolor, war heute besonders scheußlich.

Duane ließ sich vom Balljungen zwei Bälle geben und ging zur Grundlinie. Er war eine seltene Erscheinung im Tenniscircuit. Ein Farbiger. Und zwar nicht aus Indien, Afrika oder Frankreich. Duane kam aus New York City. Im Gegensatz zu fast allen anderen Spielern der Tour hatte Duane sich nicht sein Leben lang auf diesen Augenblick vorbereitet. Er war nicht von ehrgeizigen Eltern, die Fahrgemeinschaften bildeten, zum Tennisspielen genötigt worden. Er hatte nicht in Florida oder Kalifornien mit den besten Trainern der Welt gearbeitet, seit er alt genug war, einen Tennisschläger zu halten. Duane kam vom anderen Ende des Spektrums: Ein Junge von der Straße, der mit 15 von zu Hause durchgebrannt war und sich irgendwie allein durchgeschlagen hatte. Er hatte auf öffentlichen Tennisplätzen spielen gelernt, wo er den ganzen Tag herumgehangen und jeden herausgefordert hatte, der einen Schläger halten konnte.

Er war drauf und dran, sein erstes Match in einem Grand Slam Turnier zu gewinnen, als der Schuss fiel. Er klang gedämpft, war irgendwo außerhalb des Stadions abgefeuert worden. Die meisten Zuschauer blieben ruhig, nahmen an, dass es ein Feuerwerkskörper oder die Fehlzündung eines Autos gewesen war. Doch Myron und Win kannten das Geräusch zu gut. Sie waren schon auf dem Weg, ehe die Schreie ertönten. Die Menschen im Stadion begannen zu tuscheln. Weitere Schreie folgten; laute, hysterische Schreie. Der Schiedsrichter in seiner unendlichen Weisheit rief gereizt »Quiet, please« ins Mikrofon.

Myron und Win rannten die Metalltreppe hinauf. Sie sprangen über die weiße Kette, die die Ordner vor den Eingang hängten, damit niemand während der Ballwechsel die Tribüne betrat oder verließ, und liefen nach draußen. Ein paar Leute sammelten sich am etwas extravagant benannten »Food Court«. Wenn man viel Arbeit und Geduld investierte, durfte der »Food Court« darauf hoffen, eines Tages das gastronomische Niveau eines Selbstbedienungsrestaurants im Kaufhaus zu erreichen.

Myron und Win drängelten sich durch die Menge. Einige Leute waren richtig hysterisch, andere hatten sich überhaupt nicht gerührt. Man war schließlich in New York. An den Ständen mit Erfrischungsgetränken standen lange Schlangen. Niemand wollte seinen Platz aufgeben.

Die junge Frau lag mit dem Gesicht nach unten vor einem Stand, der für 7 Dollar 50 pro Glas Moët-Champagner verkaufte. Myron hatte sie bereits erkannt, bevor er sich bückte, um sie auf den Rücken zu drehen. Doch als er ihr Gesicht sah, als er dem unabänderlichen toten Blick ihrer eisblauen Augen begegnete, traf es ihn wie ein Stich ins Herz. Er sah Win an. Der verzog wie üblich keine Miene.

»So viel«, sagte Win, »zu ihrem Comeback.«

2

»Vielleicht solltest du es einfach dabei bewenden lassen«, sagte Win.

Er riss seinen Jaguar XJR auf den Franklin-D.-Roosevelt-Drive in Richtung Süden. Das Radio war auf WMXV, 105,1 FM eingestellt, wo etwas namens »Soft Rock« lief. Jetzt spielten sie gerade Michael Bolton; ein Remake von einem alten Klassiker der Four Tops. Schauderhaft. Als würde Bea Arthur ein Remake eines Marilyn-Monroe-Films drehen.

Vielleicht bedeutete Soft Rock einfach nur Wirklich Schlechter Rock.

»Was dagegen, wenn ich eine Kassette reinschiebe?«, fragte Myron.

»Nur zu.«

Mit einem Schlenker wechselte Win die Spur. Wenn man ihm wohlgesinnt war, konnte man Wins Fahrstil als kreativ bezeichnen. Myron versuchte, nicht auf die Straße zu sehen. Er steckte eine Kassette mit der Originalaufnahme von How to Succeed in Business Without Really Trying in den Recorder. Win hatte, genau wie Myron, eine riesige Sammlung von Aufnahmen alter Broadway-Musicals. Robert Morse sang etwas über ein Mädchen namens Rosemary. Doch Myron bekam das Mädchen namens Valerie Simpson nicht aus dem Kopf.

Valerie war tot. Eine Kugel in die Brust. Jemand hatte sie im Food Court des National Tennis Centers der United States Tennis Association während der ersten Runde des einzigen Grand Slam Turniers in Amerika erschossen. Aber niemand hatte etwas gesehen. Zumindest sagte niemand was.

»Du machst wieder so ein Gesicht«, sagte Win.

»Was für ein Gesicht?«

»Dein Ich-will-der-ganzen-Welt-helfen-Gesicht«, sagte Win. »Sie war nicht deine Klientin.«

»Sie wollte es aber gerade werden.«

»Ein großer Unterschied. Ihr Schicksal geht dich nichts an.«

»Sie hat heute drei Mal bei mir angerufen«, sagte Myron. »Als sie mich nicht erreicht hat, ist sie zum Tennis Center gekommen. Und da hat sie dann jemand erschossen.«

»Eine traurige Geschichte«, bestätigte Win, »die dich allerdings nichts angeht.«

Die Tachonadel pendelte bei 130 Stundenkilometern. »Äh, Win?«

»Ja.«

»Die linke Straßenseite ist für den Gegenverkehr.«

Win warf das Lenkrad herum und scherte über zwei Spuren hinweg auf eine Ausfahrt. Nur Minuten später bog der Jaguar in die Kinney-Garage an der 52nd Street ein. Sie gaben Mario, dem Parkplatzwärter, die Schlüssel. Es war heiß in Manhattan. Stadthitze. Selbst durch die Schuhsohlen versengte einem der glühende Gehweg die Füße. Abgase verfingen sich in der stehenden Luft und hingen darin wie reife Früchte an einem Baum. Das Atmen fiel schwer. Das Schwitzen umso leichter. Der Trick war, beim Gehen so wenig zu schwitzen wie irgend möglich und zu hoffen, dass die nächste Klimaanlage einem die Kleider trocknete, ohne dass man sich dabei eine Lungenentzündung holte.

Myron und Win gingen die Park Avenue Richtung Süden entlang zum Gebäude von Lock-Horne-Investments&Securities. Es gehörte Wins Familie. Der Fahrstuhl hielt im zwölften Stock. Myron stieg aus. Win blieb drin. Sein Büro war zwei Etagen höher.

Direkt bevor die Fahrstuhltür sich schloss, sagte Win: »Ich kannte sie.«

»Wen?«

»Valerie Simpson. Ich hatte sie zu dir geschickt.«

»Warum hast du mir nichts davon gesagt?«

»Warum sollte ich?«

»Wart ihr Freunde?«

»Kommt auf die Definition an. Sie stammt aus einer der reichen alten Familien Philadelphias. Genau wie ich. Wir waren in denselben Clubs, denselben Wohltätigkeitsorganisationen und so weiter. Als wir Kinder waren, sind unsere Familien im Sommer gelegentlich zusammen in den Urlaub gefahren. Aber ich hatte seit Jahren nichts von ihr gehört.«

»Und sie hat dich einfach aus heiterem Himmel angerufen?«, fragte Myron.

»So könnte man es ausdrücken.«

»Würdest du es so ausdrücken?«

»Stehe ich unter Eid?«

»Nein. Hast du eine Idee, wer sie umgebracht haben könnte?«

Win stand regungslos da. »Wir reden später darüber«, sagte er. »Erst muss ich mich um ein paar geschäftliche Dinge kümmern.«

Die Fahrstuhltür schloss sich. Myron wartete einen Augenblick, als rechnete er damit, dass sie sich gleich wieder öffnen würde. Dann ging er den Flur entlang zu der Tür mit der Aufschrift MB SportsReps Inc.

Als er sie öffnete, sah Esperanza ihn von ihrem Schreibtisch aus an. »Herrgott, du siehst ja furchtbar aus.«

»Hast du das von Valerie gehört?«

Sie nickte. Falls sie ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie Valerie Simpson nur wenige Augenblicke vor dem Mord Eisprinzessin genannt hatte, konnte sie das gut verbergen. »Du hast Blut an der Jacke.«

»Ich weiß.«

»Ned Tunwell von Nike ist im Konferenzsaal.«

»Dann werd ich wohl zu ihm reingehen. Geknickt durch die Gegend zu schleichen bringt ja auch nichts.«

Esperanza sah ihn an. Ausdruckslos.

»Jetzt reg dich bloß nicht auf«, fuhr er fort. »Ich pack das schon.«

»Ich gebe mir Mühe, nicht die Fassung zu verlieren«, erwiderte sie.

Miss Mitgefühl.

Als Myron die Tür zum Konferenzsaal öffnete, sprang Ned Tunwell wie ein fröhlicher Welpe auf ihn zu. Er lächelte strahlend, schüttelte Myrons Hand und klopfte ihm auf den Rücken. Myron fürchtete schon, er würde ihm auf den Schoß springen und das Gesicht lecken.

Ned Tunwell sah aus wie Anfang dreißig, war also ungefähr in Myrons Alter. Er war ein durch und durch optimistischer Mensch; wie ein Hare-Krishna-Anhänger auf Speed oder, schlimmer noch, wie ein Teilnehmer des Fernsehquiz Familienduell. Er trug einen blauen Blazer, ein weißes Hemd, eine kakifarbene Hose, eine schrille Krawatte und natürlich Nike-Turnschuhe. Die neue Duane-Richwood-Line. Er hatte gelbblonde Haare und einen milchigen Schnurrbart.

Schließlich hatte Ned sich soweit beruhigt, dass er ein Video hochhalten konnte. »Warte, bis du das gesehen hast«, jubilierte er. »Myron, es wird dir gefallen. Es ist fantastisch.«

»Sehen wir es uns mal an.«

»Ich sag dir, Myron, es ist fantastisch. Einfach fantastisch. Unglaublich. Das hätte ich niemals erwartet. Es ist noch viel besser als das, was wir mit Courier und Agassi gemacht haben. Es wird dir gefallen. Es ist fantastisch. Ganz fantastisch, das kannst du mir glauben.«

»Fantastisch« war das Schlüsselwort.

Tunwell schaltete den Fernseher an und schob das Video in den Recorder. Myron setzte sich und versuchte, das Bild von Valerie Simpsons Leiche aus seinem Gedächtnis zu verdrängen. Er musste sich konzentrieren. Das hier – Duanes erster landesweit ausgestrahlter Werbespot – war von größter Bedeutung. Es war nun mal so, dass Werbespots mehr Einfluss auf das Image eines Sportlers hatten als alles andere – einschließlich seines Talents und der sonstigen Medienpräsenz. Die Werbung macht den Sportler. Jeder kannte Michael Jordan als Air Jordan. Die meisten Basketball-Fans wussten nicht, dass Larry Johnson für die Charlotte Hornets spielte, aber jeder kannte seinen Grandma-Charakter. Die richtige Kampagne machte einen Sportler zum Star. Die falsche konnte ihn zerstören.

»Wann geht er auf Sendung?«, fragte Myron.

»Während der Viertelfinale. Wir jagen ihn durch alle Programme.«

Das Band war zurückgespult. Duane stand kurz davor, einer der höchstbezahlten Tennisspieler der Welt zu werden. Nicht weil er Tennisturniere gewann – was allerdings in keiner Weise schaden würde –, sondern durch Werbeverträge. In den meisten Sportarten verdienten die Stars mehr Geld durch Werbesponsoren als durch Gehälter und Einsatzprämien. Im Tennis verdienten sie dadurch viel mehr. Sogar verdammt viel mehr. Die Top Ten machten vielleicht 15 Prozent aus Siegesprämien. Der größte Teil stammte aus Werbeverträgen, Einladungsturnieren und Antrittsgeldern – Geld, das die großen Stars dafür bekamen, dass sie an bestimmten Turnieren teilnahmen, egal, wie sie dann abschnitten.

Das Tennis brauchte frisches Blut, und Duane Richwood war die belebendste Transfusion, die es seit Jahren bekommen hatte. Courier und Sampras waren so aufregend wie Trockenfutter für Hunde. Die Schweden waren durch die Bank Schlaftabletten, und Agassis Nummer wurde auch langsam fad. McEnroe und Connors waren Geschichte.

Vorhang auf für Duane Richwood. Aufregend, komisch, ein bisschen umstritten, aber noch nicht gehasst. Er war schwarz und war auf der Straße aufgewachsen, galt aber trotzdem als »guter« Junge von der Straße, als »guter« Schwarzer – einer, den auch Rassisten unterstützen konnten, um zu beweisen, dass sie gar keine Rassisten waren.

»Guck dir das Schätzchen in Ruhe an, Myron. Ich sag dir, dieser Spot ist, der ist … er ist einfach …« Tunwell sah zur Decke, als suche er dort nach dem richtigen Wort.

»Fantastisch?«, soufflierte Myron.

Ned schnippte mit den Fingern und zeigte auf ihn. »Warte, bis du ihn gesehen hast. Ich krieg einen Ständer, wenn ich ihn mir angucke. Ach was, wenn ich nur daran denke, krieg ich schon einen Ständer. Ich schwöre bei Gott, so gut ist der.«

Er drückte auf PLAY.

Vor zwei Tagen hatte Valerie Simpson in diesem Raum gesessen. Er hatte sie direkt nach seinem Termin mit Duane Richwood empfangen. Was für ein Kontrast. Duane war Anfang, sie gerade Mitte zwanzig, doch während sein Stern gerade aufging, war ihrer am Untergehen und fast schon hinter dem Horizont verschwunden. Mit 24 hieß es von Valerie bereits, sie habe ihre besten Jahre hinter sich, oder gar, sie hätte die in sie gesetzten Erwartungen nie erfüllen können. Sie hatte abweisend und arrogant gewirkt (daher Esperanzas Eisprinzessin-Sarkasmus), war aber vielleicht doch bloß distanziert und abwesend gewesen. Das konnte man nie so genau sagen. Und, ja, Valerie war jung, doch sie hatte nicht gerade – um ein Klischee aufzugreifen – vor Lebensfreude gesprüht. Es klang jetzt ziemlich gespenstisch, aber tot wirkten ihre Augen lebendiger als vorher – so starr und glasig sie auch waren, lag doch mehr Leben in ihnen als ein paar Tage zuvor – als sie ihm in diesem Raum gegenüber gesessen hatte.

Warum, fragte sich Myron, sollte jemand Valerie Simpson umbringen? Warum hatte sie so verzweifelt versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen? Warum war sie zum Tennis Center gefahren? Um sich ihre Konkurrentinnen anzusehen? Oder um Myron zu suchen?

»Guck dir das an, Myron«, wiederholte Tunwell noch einmal. »Es ist so fantastisch, dass mir einer abgegangen ist. Ehrlich, ich schwöre bei Gott. Direkt in die Unterhose.«

»Schade, dass ich das nicht miterleben durfte«, sagte Myron.

Ned juchzte vor Freude.

Endlich fing der Spot an. Duane erschien mit seiner Sonnenbrille und lief auf dem Tennisplatz Bällen hinterher. Viele schnelle Schnitte, immer wieder seine Schuhe. Grellbunte Farben. Stampfender Beat, unterlegt mit dem Ploppen von Tennisbällen, die übers Netz geprügelt wurden. Sah sehr nach MTV aus. Hätte ein Rock-Video sein können. Dann sagte Duanes Stimme:

»Come to my Court …«

Darauf folgten ein paar weitere harte Grundlinien-Schläge und noch mehr schnelle Schnitte. Dann blieb alles stehen. Duane verschwand. Die Farbe wurde ausgeblendet, das Bild schwarzweiß. Stille. Szenenwechsel. Ein Richter starrte streng von seinem Stuhl herab. Duanes Stimme fuhr fort:

»… And stay away from this court.«

Die Rockmusik setzte wieder ein. Die Farbe kehrte zurück und nach einem weiteren Schnitt war auch Duane wieder da, schlug einen Ball, lächelte mit verschwitztem Gesicht, während die Sonne sich in den dunkel getönten Brillengläsern spiegelte. Dann erschienen das Nike-Logo und darunter die Worte: COME TO DUANE’S COURT.

Abblende.

Ned Tunwell stöhnte befriedigt – er stöhnte wirklich.

»Willst du eine Zigarette?«, fragte Myron.

Tunwells Lächeln strahlte mit doppelter Intensität. »Was hab ich dir gesagt, Myron? Na? Fantastisch, oder?«

Myron nickte. Der Spot war gut. Sehr gut. Hip, gut gemacht, verantwortungsbewusste Message, ohne zu sehr zu moralisieren. »Gefällt mir«, sagte er.

»Hab ich doch gleich gesagt. Hab ich’s nicht gesagt? Ich hab schon wieder ’nen Ständer. Mir könnte schon wieder einer abgehn. Gleich hier und jetzt. Mitten im Gespräch.«

»Gut zu wissen.«

Tunwell wurde von einem Lachanfall geschüttelt. Er schlug Myron auf die Schulter.

»Ned?«

Tunwells Lachen wurde langsam leiser, ausgeblendet wie das Ende eines Songs. Er wischte sich die Tränen aus den Augen. »Du machst mich fertig, Myron. Ich krieg mich gar nicht mehr ein. Du machst mich echt fertig.«

»Ja, ich bin echt zum Schreien komisch. Hast du vom Mord an Valerie Simpson gehört?«

»Klar. Im Radio. Ich hab ja mal mit ihr gearbeitet.« Er lächelte immer noch mit weit aufgerissenen, leuchtenden Augen.

»Sie war bei Nike?«, fragte Myron.

»Ja. Und ich kann dir sagen, die hat uns ’ne Stange Geld gekostet. Weißt du, Valerie schien ’ne sichere Geldanlage zu sein. Sie war erst sechzehn, als wir sie unter Vertrag genommen haben, und hatte schon das Finale bei den French Open erreicht. Außerdem sah sie gut aus, war eine typische Amerikanerin und alles, was sonst noch so dazugehört. Und sie war schon voll entwickelt. Keins von diesen niedlichen jungen Mädchen, die im Lauf der Jahre zu Bestien werden. Wie Capriati. Valerie war ein Schatz.«

»Und was ist passiert?«

Ned Tunwell zuckte die Achseln. »Sie hatte einen Nervenzusammenbruch. Scheiße, das stand doch in allen Zeitungen.«

»Und warum hatte sie den?«

»Ach, weiß der Geier. Es gab jede Menge Gerüchte.«

»Zum Beispiel?«

Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. »Hab ich vergessen.«

»Hast du vergessen?«

»Hör zu, Myron, die meisten dachten, dass es ihr einfach zu viel war, weißt du? Der ganze Druck. Valerie ist damit einfach nicht fertig geworden. Schaffen die meisten von diesen Kids nicht. Weißt du, die kriegen alles, werden in riesige Höhen katapultiert und plötzlich, puff, ist die Luft raus. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn man alles so … ääh …« Ned stammelte noch etwas weiter und verstummte. Dann senkte er den Kopf. »Oh, Mann.«

Myron sagte nichts.

»Wie konnte ich das nur sagen, Myron. Ausgerechnet zu dir.«

»Vergiss es.«

»Nein. Also, hör zu, ich könnte jetzt so tun als wär ich nicht voll ins Fettnäpfchen getreten, aber …«

Myron winkte ab. »Eine Knieverletzung ist kein Nervenzusammenbruch, Ned.«

»Yeah, ich weiß, aber trotzdem …« Er brach wieder ab. »Als die Celtics dich gedraftet haben, warst du da bei Nike unter Vertrag?«

»Nein. Converse.«

»Haben die dich fallen lassen? Ich meine, sofort?«

»Ich kann mich nicht beklagen.«

Esperanza öffnete ohne zu klopfen die Tür. Das war normal. Sie klopfte nie. Ned Tunwells Lächeln war sofort wieder zur Stelle. Der Mann kam schnell wieder auf die Beine. Er starrte Esperanza an. Wohlwollend. Auch das war nicht ungewöhnlich für einen Mann.

»Kann ich dich einen Augenblick sprechen, Myron?«

Ned winkte. »Hi, Esperanza.«

Sie drehte sich um und sah direkt durch ihn durch. Eine ihrer vielen Begabungen.

Myron entschuldigte sich und folgte ihr aus dem Zimmer. Auf Esperanzas Schreibtisch standen nur zwei Fotos – eins von ihrem Hund, einem hinreißenden, struppigen Köter namens Chloe, als Sieger in einer Hundeschau. Esperanza mochte Hundeschauen – ein Sport, in dem die Großstadtbevölkerung lateinamerikanischer Abstammung keine sehr bedeutende Rolle spielte, in dem sie sich jedoch gut zu behaupten schien. Auf dem anderen Foto rang Esperanza mit einer anderen Frau. Kein Streit, sondern ein Profi-Kampf. Die hübsche, zierliche Esperanza hatte einmal unter dem Namen »Little Pocahontas, die indianische Prinzessin« als Profi-Catcherin gearbeitet. Drei Jahre lang war Little Pocahontas bei den Fabulous Ladys of Wrestling, die allgemein unter ihrem Akronym FLOW bekannt waren, ein Liebling der Massen gewesen. (Jemand hatte einmal vorgeschlagen, sie die Beautiful Ladys of Wrestling zu nennen, doch die Medien hatten Probleme mit der Abkürzung geltend gemacht und das alte »Fließen« dem »Blasen« vorgezogen.) Esperanzas Little Pocahontas war eine spärlich (meist mit einem Wildleder-Bikini) bekleidete Sexbombe, die von den Fans angefeuert und mit lüsternen Blicken bedacht wurde, während sie es Woche für Woche mit riesigen, bösen, verschlagenen Widersacherinnen aufnahm. Manche behaupteten, es handele sich dabei um ein Moralstück. Eine Adaption des klassischen Kampfes des Guten gegen das Böse. Myron erinnerte es eher an einen Frauenknast-Film. Esperanza spielte die hübsche, naive Insassin von Zellenblock C. Ihre Gegnerin war Olga, die sadistische Gefängniswärterin.

»Duane ist am Apparat«, sagte Esperanza.

Myron nahm das Gespräch an ihrem Schreibtisch entgegen. »Hey, Duane. Was liegt an?«

Er antwortete unverzüglich. »Komm her, Mann. Sofort.«

»Was ist los?«

»Die Cops trampeln mir auf den Zehen rum. Sie fragen alles Mögliche.«

»Worüber?«

»Das Mädel, das heute erschossen worden ist. Sie glauben, ich hab was damit zu tun.«

3

»Gib mir mal den Polizisten«, sagte Myron.

Er hörte eine andere Stimme. »Mordkommission, Detective Roland Dimonte«, bellte die Stimme in reinstem, ungeduldigem Polizistenton. »Wer zum Henker ist da?«

»Ich heiße Myron Bolitar. Ich bin Mr. Richwoods Anwalt.«

»Wieso Anwalt? Ich dachte, Sie sind sein Agent.«

»Ich bin beides«, sagte Myron.

»Wirklich?«

»Ja.«

»Sie sind Jurist?«

»Die Urkunde hängt hier an der Wand, aber wenn Sie wollen, kann ich sie mitbringen.«

Dimonte schnaubte. Wahrscheinlich war es ein unterdrücktes Kichern.

»Ex-Sportler. Ex-FBI-Mann. Und jetzt erzählen Sie mir, dass Sie ein verdammter Anwalt sind.«

»Ich bin sehr vielseitig, man könnte sagen, so eine Art Renaissancemensch«, sagte Myron.

»Ja? Sagen Sie, Bolitar, welche Uni lässt einen wie Sie zum Jurastudium zu?«

»Harvard«, sagte Myron.

»Wow, wir sind aber ein großes Tier.«

»Sie haben gefragt.«

»Also, ich geb Ihnen eine halbe Stunde. Wenn Sie dann nicht da sind, schleif ich Ihren Jungen mit aufs Revier. Klar?«

»Diese kleine Unterhaltung war mir wirklich eine große Freude, Rolly.«

»Sie haben noch neunundzwanzig Minuten. Und nennen Sie mich nicht Rolly.«

»Ich will nicht, dass mein Klient verhört wird, bevor ich da bin, klar?«

Roland Dimonte antwortete nicht.

»Ist das klar?«, wiederholte Myron.

Pause. Dann sagte Dimonte: »Die Verbindung muss gestört sein, Bolitar.« Er legte auf.

Angenehmer Zeitgenosse.

Myron reichte Esperanza den Hörer. »Kannst du Ned für mich abwimmeln.«

»Geht klar.«

Myron fuhr mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss und rannte zur Kinney-Garage. Jemand rief ihm nach: »Lauf, O. J.!« In New York war einfach jeder ein Komiker. Mario warf Myron den Schlüssel zu, ohne von seiner Zeitung aufzublicken.

Myrons Wagen stand im Erdgeschoss. Im Gegensatz zu Win war Myron kein Autonarr. Ein Auto war ein Transportmittel, weiter nichts. Myron fuhr einen Ford Taurus. Einen grauen Ford Taurus. Wenn er damit durch die Straßen der Großstadt kreuzte, wurde er nicht gerade von Mädels umschwärmt.

Als er ungefähr 20 Blocks gefahren war, entdeckte er hinter sich einen himmelblauen Cadillac mit kanariengelbem Dach. Irgendwas daran gefiel Myron nicht. Womöglich die Farbe. Himmelblau mit gelbem Dach? In Manhattan? In einer Rentnerkolonie in Boca Raton, am Steuer ein alter Knacker namens Sid, der ständig links blinkte – kein Problem. Das hätte Myron eingesehen. Aber nicht in Manhattan. Noch wichtiger war jedoch, dass Myron sich erinnerte, diesen Wagen gesehen zu haben, als er zur Garage rannte.

Wurde er beschattet?

Möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich. Sie waren in Midtown Manhattan, und Myron war geradeaus die 7th Avenue entlanggefahren. In einer Kolonne mit abertausenden anderen Wagen. Musste nichts zu bedeuten haben. Hatte es vermutlich auch nicht. Myron speicherte es ab und fuhr weiter.

Duane hatte vor kurzem eine Wohnung Ecke 12th Street und 6th Avenue gemietet. Im John Adams Building am Rande von Greenwich Village. Myron parkte den Wagen ordnungswidrig vor einem chinesischen Restaurant an der 6th Avenue, wurde vom Pförtner durchgelassen und nahm den Fahrstuhl zu Apartment 7G.

Ein Mann, bei dem es sich um Detective Roland Dimonte handeln musste, öffnete die Tür. Er trug Jeans, ein grünes Paisley-Hemd und eine schwarze Lederweste. Außerdem hatte er die hässlichsten Schlangenleder-Stiefel an, die Myron je gesehen hatte – schneeweiß mit lila Tupfen. Sein Haar war fettig. Ein paar Strähnen klebten an seiner Stirn wie an Fliegenpapier. Ein Zahnstocher – ein echter Zahnstocher – steckte in seinem Mund. Die tief liegenden Augen in seinem runden Gesicht sahen aus, als hätte jemand im letzten Moment noch zwei braune Kieselsteine hineingedrückt.

Myron lächelte: »Hi, Rolly.«

»Eins sag ich Ihnen gleich, Bolitar. Ich weiß alles über Sie. Ich weiß über Ihre großen Tage beim FBI Bescheid. Und ich weiß, dass Sie jetzt mit Vorliebe Cop spielen. Das ist mir alles scheißegal. Mich interessiert auch nicht, dass Ihr Klient eine Person des öffentlichen Lebens ist. Ich lasse mich hier nicht von meiner Arbeit abhalten. Ist das soweit klar?«

Myron legte seine Hand hinters Ohr. »Die Verbindung muss gestört sein.«

Roland Dimonte verschränkte die Arme und musterte Myron mit seinem vernichtendsten Blick. Die hohen Absätze der Schlangenleder-Stiefel brachten ihn auf über einsachtzig. Myron war trotzdem zehn Zentimeter größer. Eine Minute später starrte Roland immer noch finster. Dann noch eine Minute. Er kaute auf dem Zahnstocher herum und starrte ohne zu blinzeln weiter.

»Tief im Innersten«, sagte Myron, »zittere ich vor Angst.«

»Lecken Sie mich am Arsch, Bolitar.«

»Das mit dem Zahnstocher ist gar nicht übel. Vielleicht ein bisschen klischeehaft, aber bei Ihnen funktioniert es.«

»Machen Sie nur so weiter, Sie Klugscheißer.«

»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich reinkomme«, fragte Myron, »bevor ich mir in die Hose mache?«

Dimonte trat aus dem Weg. Langsam. Er maß Myron immer noch mit bösem Blick.

Duane saß auf der Couch. Er trug wie immer seine Ray-Ban-Sonnenbrille. Mit der linken Hand strich er sich über den kurz geschnittenen Bart. Wanda, Duanes Freundin, stand an der Küchentür. Sie war groß, fast einsachtzig. Ihre Figur war eher fest oder stramm als muskulös, und dabei makellos. Ihr Blick schoss hin und her wie ein Vogel, der von einem Zweig zum nächsten hüpft.

Das Apartment war nicht sehr groß. Die Ausstattung war Standard für New Yorker Mietwohnungen. Wanda und Duane waren erst vor ein paar Wochen eingezogen. Der Mietvertrag galt immer nur für einen Monat. Es lohnte nicht, sich häuslich einzurichten. Mit dem Geld, das Duane demnächst verdienen würde, konnten sie überall eine Wohnung bekommen.

»Hast du ihnen etwas gesagt?«, fragte Myron.

Duane schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«

»Erzählst du mir, was los ist?«

Wieder schüttelte Duane den Kopf. »Ich weiß es nicht.«

Im Zimmer war noch ein zweiter Polizist. Ein junger Bursche. Sehr jung. Er sah aus wie zwölf. War vermutlich ganz neu bei der Kripo. Er hatte seinen Notizblock aufgeklappt und einen Stift in der Hand.

Myron drehte sich zu Roland Dimonte um. Der hatte die Hände in die Hüften gestützt und Selbstgefälligkeit troff ihm aus jeder Pore. »Was soll das Ganze?«, fragte Myron.

»Wir wollen Ihrem Klienten nur ein paar Fragen stellen.«

»Worüber.«

»Den Mord an Valerie Simpson.«

Myron sah Duane an. »Ich weiß von nix«, sagte Duane.

Dimonte setzte sich bühnenreif. Mindestens König Lear. »Dann haben Sie bestimmt nichts dagegen, uns ein paar Fragen zu beantworten.«

Duane sagte: »Nein.« Das klang allerdings nicht sehr zuversichtlich.

»Wo waren Sie, als der Schuss fiel?«

Duane sah Myron an. Der nickte. »Ich war auf dem Stadium Court.«

»Was haben Sie da gemacht?«

»Tennis gespielt.«

»Wer war ihr Gegner?«

Myron nickte: »Sie sind gut, Rolly.«

»Halten Sie das Maul, Bolitar.«

Duane sagte: »Ivan Restovich.«

»Wurde das Match nach dem Schuss fortgesetzt?«

»Ja. Es war sowieso gerade Matchball.«

»Haben Sie den Schuss gehört?«

»Ja.«

»Was haben Sie getan?«

»Getan?«

»Als Sie den Schuss gehört haben?«

Duane zuckte die Achseln. »Nichts. Ich hab nur dagestanden, bis der Schiedsrichter uns aufgefordert hat, weiterzuspielen.«

»Sie haben den Platz nicht verlassen?«

»Nein.«

Der junge Polizist schrieb mit, ohne zwischendurch aufzublicken.

»Und was haben Sie dann gemacht?«, fragte Dimonte.

»Wann?«

»Nach dem Match?«

»Ich hab ein Interview gegeben.«

»Wem?«

»Bud Collins und Tim Mayotte.«

Der junge Polizist sah einen Moment verwirrt auf.

»Mayotte«, sagte Myron. »M-A-Y-O-T-T-E.«

Er nickte und schrieb weiter mit.

»Worüber haben Sie gesprochen?«, wollte Roland wissen.

»Hä?«

»Im Interview. Was haben die Sie gefragt?«

Dimonte maß Myron mit herausforderndem Blick. Myron nickte ihm herzlich zu und streckte ihm wie ein Pilot die erhobenen Daumen entgegen.

»Zum letzten Mal, Bolitar. Hören Sie auf mit dem Blödsinn.«

»Ich bewundere Ihre Technik.«

»Wenn Sie so weitermachen, können Sie sie aus der Zelle weiterbewundern.«

»Schluck!«

Roland Dimonte warf ihm noch einen finsteren Blick zu und wandte sich wieder an Duane. »Kennen Sie Valerie Simpson?«

»Persönlich?«

»Ja.«

Duane schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Aber Sie sind ihr schon mal begegnet?«

»Nein.«

»Sie kennen sie überhaupt nicht.«

»So ist es.«

»Sie haben nie irgendwelchen Kontakt zu ihr gehabt?«

»Nie.«

Roland Dimonte schlug die Beine übereinander und legte seinen Stiefel aufs Knie. Mit den Fingern streichelte er – es war wirklich ein Streicheln – das lila-weiße Schlangenleder. Als wäre es ein Haustier. »Und Sie, Miss?«

Wanda wirkte überrascht. »Wie bitte?«

»Sind Sie Valerie Simpson je begegnet?«

»Nein.« Ihre Stimme war kaum hörbar.

Dimonte wandte sich wieder Duane zu. »Haben Sie vor dem heutigen Tag je von Valerie Simpson gehört?«

Myron rollte die Augen. Dieses Mal jedoch hielt er den Mund. Er wollte es nicht auf die Spitze treiben. Dimonte war nicht so dumm, wie er sich gab. So dumm war niemand. Er wollte Duane einlullen, bevor er den Vorschlaghammer herausholte. Myrons Aufgabe bestand darin, ihn mit ein paar pointierten Einwürfen aus dem Konzept zu bringen. Doch er durfte es nicht übertreiben.

Myron Bolitar, der Meister des Hochseilakts.

Duane sagte achselzuckend: »Ja, ich hatte von ihr gehört.«

»In welcher Funktion?«

»Sie war früher auf der Tour. Vor ein paar Jahren, glaube ich.«

»Der Tennis-Tour?«

»Nein, der Club-Tour«, unterbrach Myron. »Sie ist in Vegas im Vorprogramm von Anthony Newley aufgetreten.«

So viel zu Mr. Zurückhaltung.

Wieder der finstere Blick. »Bolitar, langsam gehen Sie mir wirklich auf den Sack.«

»Wollten Sie etwa schon zur Sache kommen?«

»Ich nehme mir Zeit für meine Verhöre. Ich lasse mich nicht hetzen.«

»Wäre zu überlegen«, sagte Myron, »ob Sie den Erwerb von Schuhwerk nicht ähnlich angehen sollten.«

Dimonte wurde rot. Er starrte Myron an, während er Duane fragte: »Mr. Richwood, wie lange sind Sie schon auf der Tour?«

»Seit einem halben Jahr.«

»Und in diesem halben Jahr sind Sie Valerie Simpson nie begegnet?«

»So ist es.«

»Gut. Ich möchte das noch einmal rekapitulieren: Als der Schuss fiel, haben Sie noch Tennis gespielt. Sie haben das Match beendet. Ihr Gegner hat Ihnen gratuliert. Ich darf annehmen, dass er Ihnen die Hand geschüttelt hat?«

Duane nickte.

»Dann haben Sie ein Interview gegeben.«

»Genau.«

»Haben Sie vor oder nach dem Interview geduscht?«

Myron hob die Hände. »Okay, das reicht jetzt.«

»Haben Sie ein Problem, Bolitar?«

»Ja. Ihre Fragen sind mehr als idiotisch. Jetzt rate ich meinem Klienten, sie nicht weiter zu beantworten.«

»Warum? Hat Ihr Klient etwas zu verbergen?«

»Yeah, Rolly. Sie sind uns einfach zu clever. Duane hat sie umgebracht. Als der Schuss fiel, haben ihn mehrere Millionen Menschen im Fernsehen gesehen. Ein paar tausend haben ihn direkt im Stadion gesehen. Aber das war er gar nicht. Es war sein eineiiger Zwillingsbruder, der seit seiner Geburt verschollen ist. Sie sind uns einfach über, Rolly. Wir gestehen alles.«

»Darüber mache ich mir auch noch meine Gedanken«, entgegnete Dimonte.

»Worüber?«

»Über das ›wir‹. Vielleicht hatten Sie ja Ihre Finger da drin. Sie und Ihr Freund, dieser Psycho-Yuppie.«

Er meinte Win. Viele Cops kannten Win. Keiner mochte ihn. Beruhte ganz auf Gegenseitigkeit.

»Als der Schuss fiel, waren wir im Stadion«, sagte Myron. »Dafür gibt es zig Zeugen. Und wenn Sie Win wirklich kennen würden, wüssten Sie, dass er aus so kurzer Entfernung niemals eine Waffe benutzt hätte.«

Dimonte zögerte verunsichert. Er nickte. In diesem Punkt musste er dann doch zustimmen.

»Sind Sie mit Mr. Richwood fertig?«, fragte Myron.

Plötzlich lächelte Dimonte. Ein fröhliches, erwartungsvolles Lächeln, wie ein Schuljunge, der am Morgen eines verschneiten Tages vor dem Radio sitzt. Es gefiel Myron nicht.

»Wenn Sie noch einen Augenblick lang Geduld mit mir hätten«, sagte er in scheinheiligem, zuckersüßen Tonfall. Er stand auf und ging zu seinem Partner, dem Notizblock. Der Notizblock schrieb weiter.

»Ihr Klient behauptet, er hätte Valerie Simpson nicht gekannt.«

»Und?«

Der Notizblock blickte auf. Sein Blick war so leer wie der eines Gerichtsschreibers. Dimonte nickte ihm zu. Der Notizblock reichte ihm eine Plastikdose, in der ein kleines in Leder gebundenes Heft zu sehen war.

»Das ist Valerie Simpsons Terminkalender«, sagte Dimonte. »Der letzte Eintrag wurde gestern gemacht.« Das Lächeln wurde breiter. Er trug den Kopf hoch erhoben. Die Brust war gebläht wie bei einem Hahn, bevor er die Henne bespringt.

»In Ordnung, Pokerface«, sagte Myron. »Sag schon, was da steht.«

Dimonte reichte Myron eine Fotokopie. Der Eintrag war ziemlich überschaubar. Quer über die ganze Seite stand:

D. R. 555-8705. Anrufen!

555-8705. Duanes Telefonnummer. D. R. Duane Richwood.

Dimonte schien sich hämisch zu freuen.

»Ich möchte mit meinem Klienten reden«, sagte Myron. »Allein.«

»Nein.«

»Wie bitte?«

»Sie tauchen jetzt nicht ab, wo ich Sie grad in den Seilen hab.«

»Ich bin sein Anwalt.«

»Interessiert mich nicht für ’nen Rattenarsch. Und wenn Sie der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs wären. Wenn Sie das Gespräch beenden, bring ich ihn in Handschellen aufs Revier.«

»Sie haben nichts in der Hand«, sagte Myron. »Seine Telefonnummer steht in ihrem Terminkalender. Das heißt gar nichts.«

Dimonte nickte. »Aber wie sieht das aus? Was soll die Presse davon halten? Und was sagen die Fans dazu? Duane Richwood, der neueste Star am Tennishimmel, wird in Handschellen abgeführt. Wetten, dass es gar nicht so einfach wäre, das den Sponsoren zu erklären?«

»Wollen Sie uns drohen?«

Dimonte legte die rechte Hand auf die Brust. »Aber nein. Würde ich so was tun, Krinsky?«

Ohne aufzublicken sagte der Notizblock: »Nein.«

»Also, da hören Sie’s.«

»Ich zeige Sie wegen unberechtigter Festnahme an«, sagte Myron.

»Und Sie könnten den Prozess sogar gewinnen, Bolitar. In ein paar Jahren, wenn der Fall verhandelt wird. Das bringt Sie dann echt voran.«

Jetzt wirkte Dimonte gar nicht mehr so dumm.

Duane stand auf und ging durchs Zimmer. Er nahm die Ray-Ban ab, überlegte es sich dann aber anders und setzte sie wieder auf. »Hey, Mann, ich weiß nicht, warum meine Telefonnummer bei ihr im Kalender steht. Ich kenn sie nicht. Ich hab nie mit ihr telefoniert.«

»Sie haben eine Geheimnummer, nicht wahr, Mr. Richwood?«

»Ja.«

»Und Sie sind gerade erst eingezogen. Der Anschluss besteht erst seit, na, sagen wir zwei Wochen?«

Wanda sagte: »Drei.« Sie hatte die Arme verschränkt als wäre ihr kalt.

»Drei Wochen«, wiederholte Roland Dimonte. »Wie also ist Valerie an Ihre Nummer gekommen, Duane? Wie kommt es, dass eine Frau, die Sie nicht kennen, Ihre brandneue Geheimnummer in ihrem Terminkalender hat?«

»Ich weiß es nicht.«

Roland übersprang die skeptische Phase und ging direkt zum absoluten Unglauben über. Während der nächsten Stunde bombardierte er Duane mit Fragen, doch der blieb bei seiner Geschichte. Er war ihr nie begegnet, sagte er. Er kannte sie nicht. Er hatte nie mit ihr gesprochen. Er hatte keine Ahnung, wie sie an seine Telefonnummer gekommen war. Myron sah schweigend zu. Es war schwierig, Duane durch die Sonnenbrille einzuschätzen, aber seine Körpersprache sagte alles. Genau wie Wandas.

Mit einem ärgerlichen Seufzer stand Roland Dimonte schließlich auf. »Krinsky?«

Der Notizblock blickte auf.

»Machen wir, dass wir hier rauskommen.«

Der Notizblock schloss den Notizblock und erhob sich.

»Ich komme wieder«, bellte Dimonte. Dann streckte er den Finger aus und fügte hinzu: »Haben Sie verstanden, Bolitar?«

»Sie kommen wieder«, sagte Myron.

»Darauf können Sie sich verlassen, Arschloch.«

»Wollten Sie uns nicht noch darauf hinweisen, dass wir die Stadt nicht verlassen dürfen? Ich bin immer ganz hin und weg, wenn Polizisten das tun.«

Dimonte bildete mit der Hand eine Pistole. Er richtete sie auf Myron und senkte den Daumen. Dann verschwand er mit dem Notizblock durch die Tür.

Ein paar Minuten lang sagte niemand etwas. Myron wollte das Schweigen gerade brechen, als Duane anfing zu lachen. »Dem hast du’s aber gezeigt, Myron. Hast ihm echt den Arsch aufgerissen –«

»Duane, wir müssen –«

»Ich bin müde, Myron.« Er tat so, als müsste er gähnen. »Ich muss mich dringend aufs Ohr hauen.«

»Wir müssen darüber reden.«

»Worüber?«

Myron sah ihn an.

Duane sagte: »Ziemlich eigenartiger Zufall, was?«

Myron wandte sich Wanda zu. Sie stand immer noch mit verschränkten Armen an der Küchentür und sah zur Seite. »Duane, wenn du in irgendwelchen Schwierigkeiten steckst –«

»Hey, erzähl mir von dem Werbespot«, unterbrach Duane ihn. »Wie ist er geworden?«

»Gut.«

Duane lächelte. »Wie seh ich aus?«

»Zu gut. Ich werd mich mit jeder Menge Filmangebote rumschlagen müssen.«

Duane lachte zu laut. Viel zu laut. Wanda lachte nicht. Myron auch nicht. Dann gähnte Duane wieder, reckte sich und stand auf. »Ich muss wirklich ins Bett«, sagte er. »Hab ein wichtiges Match vor mir. Wär Schwachsinn, mich von dem Scheiß ablenken zu lassen.«

Er brachte Myron zur Tür. Wanda hatte sich noch immer nicht von der Stelle gerührt. Irgendwann begegnete ihr Blick Myrons.

»Auf Wiedersehen, Myron«, sagte sie.

Die Tür wurde geschlossen. Myron fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten und ging zu seinem Wagen. Unter dem Scheibenwischer klemmte ein Strafzettel. Er nahm ihn und ließ den Motor an.

Drei Straßen weiter sah Myron den himmelblauen Cadillac mit kanariengelbem Dach.

4

Yuppieville.

Der 14. Stock im Lock-Horne-Investments-&-Securities-Gebäude erinnerte Myron an eine mittelalterliche Burg. Der große Innenraum war nach außen durch eine dicke, Ehrfurcht gebietende Wand abgeschottet – die Büros der Big Producers. Er beherbergte hunderte von Menschen, vorwiegend Männer, junge Männer, Söldner, die schnell geopfert werden konnten und leicht zu ersetzten waren – ein scheinbar endloses Meer von ihnen, das auf und ab wogte und im Bürograu des Teppichbodens, identischen Schreibtischen, identischen Drehstühlen, Computern, Telefonen und Faxgeräten aufzugehen schien. Wie es sich für Soldaten gehörte, trugen sie Uniformen – weiße Hemden mit Button-Down-Kragen, Hosenträger, leuchtend bunte Krawatten, die ihnen die Halsschlagadern abdrückten. Ihre Jacketts hatten sie über die Lehnen der identischen Drehstühle gehängt. Es war laut, man hörte Schreie, Klingeln, sogar etwas, das wie Todesgeheul klang. Alles war in Bewegung. Alle rannten wie in Panik hin und her; sie schienen unter Dauerbeschuss zu stehen.

In gewissem Sinne taten sie das auch, denn dies war eine der letzten Bastionen des wahren Yuppietums, ein Ort, an dem Männer noch die Freiheit genossen, der Religion der Achtziger zu folgen: Gier, rückhaltlose Gier, ohne die Verpflichtung, so tun zu müssen, als hätten sie ein anderes Ziel. Hier gab es keine Scheinheiligkeit. Investmentgesellschaften wollten die Welt nicht verbessern. Ihnen ging es nicht darum, der Menschheit einen Dienst zu erweisen oder etwas zu tun, das für alle von Nutzen war. Dieses Refugium hatte ein einfaches, überschaubares, grundsätzliches Ziel. Geld machen. Punkt.

Win hatte ein großes Eckbüro mit Aussicht über die Park Street und die 52nd Street. Der beste Ausblick für den Mann, der der Firma das meiste Geld brachte. Myron klopfte an die Tür.

»Herein«, rief Win.

Er saß mit gelassenem Gesichtsausdruck im Lotussitz auf dem Boden und hatte Daumen und Zeigefinger jeder Hand zu Kreisen geformt. Meditation. Win meditierte täglich. Ohne Ausnahme. Meist mehr als einmal.

Aber wie so vieles waren bei Win auch die Momente innerer Versunkenheit ein wenig unkonventionell. Zum einen meditierte er im Gegensatz zu den meisten anderen Meistern mit offenen Augen. Des Weiteren stellte er sich keine idyllischen Wasserfälle oder verträumten Lichtungen im Wald vor, sondern sah sich dabei selbst gemachte Videos an – Videos von sich selbst und einem ausgefallenen Potpourri von Freundinnen in diversen Taumeln der Leidenschaft.

Myron verzog das Gesicht. »Könntest du das bitte ausmachen?«

»Lisa Goldstein«, sagte Win, und zeigte auf den Haufen zuckenden Fleisches auf dem Bildschirm.

»Sicher ist sie ganz bezaubernd.«