Schlüsselloch Geschichten - Katharina Kuntzer - E-Book

Schlüsselloch Geschichten E-Book

Katharina Kuntzer

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Beschreibung

Stellen Sie sich vor, Sie blicken durch ein Schlüsselloch und sehen und hören eine fremde Lebensgeschichte. Eine Geschichte voller Höhen und Tiefen. Allerdings sehen Sie nur Bruchstücke, wie das eben so ist, wenn man durch ein Schlüsselloch blickt. Die Person die sie sehen ist namenlos. Aber ihre Geschichte ist wahr. Die besten und spannendsten Geschichten schreibt eben doch das Leben selbst. Diese Geschichte beginnt mit dem Tag, an welchem die Erzählerin ihren Glauben verloren hat. Im weiteren Verlauf beschreibt sie den steinigen Weg ihrer Rückkehr. Manches Mal wirkt ihre Geschichte etwas verworren. Aber so ist das eben, mit dem lieben Gott: Seine Wege sind eben unergründlich. Und dann noch mit einem Atheisten zusammen zu leben ist auch nicht gerade einfach.

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Glauben und Wissen sind zweierlei.

Wissen kann niemals zum Glauben führen.

Wenn Wissen zum Kriterium von Glauben

gemacht wird, geht der Glaube verloren.

Glauben ist Risiko.

Inhaltsverzeichnis

Ein paar Worte zuvor

Ich verließ IHN – doch ER mich nicht

Unerwartete Hilfe

Wachsendes Vertrauen

Auf der Suche nach „meinem Weg“

Und kein Blitz hat mich erschlagen

Allerlei Mysteriöses

Von Lust und Schmerz

Alltagssorgen und Erfahrungen

Von Traurigkeit zu Stärke finden

Urlaub mit Folgen

Stille, Zukunftsangst und ein Dialog mit Gott

Starre und Leere, Freude und Sehnsucht

Ich bin nur ein Mensch

Was ist Demut und noch mehr Fragen

Leid, Aufräumen und Blumen im Dezember

Homo Spiritualis, Gott und Laubbläser

Ich bin eine Sünderin

Opfern und Beten – ist gebet ein Opfer?

Glauben ist Kampf

Weihnachtswünsche

Sturm

Barmherzigkeit und Achterbahnfahrten

Hermeneutik des Wohlwollens

Eine ganz besondere Taufe und machtvolle Worte

Vom Pilgern

So, habe fertig

Worte, die mich berührt haben

Danke

Schlusswort: Ermutigende Worte Jesu an Dich

Bereits erschienene Titel

Meine Webadressen

Ein paar Worte zuvor

Stellen Sie sich vor, Sie blicken durch ein Schlüsselloch und sehen und hören eine fremde Lebensgeschichte. Eine Geschichte voller Höhen und Tiefen. Allerdings sehen Sie nur Bruchstücke, wie das eben so ist, wenn man durch ein Schlüsselloch blickt. Die Person die sie sehen ist namenlos. Aber ihre Geschichte ist wahr.

Die besten und spannendsten Geschichten schreibt eben doch das Leben selbst. Diese Geschichte beginnt mit dem Tag, an welchem die Erzählerin ihren Glauben verloren hat. Dann beschreibt sie den steinigen Weg ihrer Rückkehr. Manches Mal wirkt ihre Geschichte etwas verworren. Aber so ist das eben, mit dem lieben Gott: Seine Wege sind eben unergründlich.

Und dann noch mit einem Atheisten zusammen zu leben ist auch nicht gerade einfach.

Ich verließ IHN - doch ER mich nicht

Es war ein heißer Tag im Juni.

So heiß, dass uns die Schule ein Hitzefrei spendierte und uns sogar von jeglichen Hausaufgaben freisprach. Kaum zu Hause, packten wir, meine Schwester und ich, unsere Badesachen und radelten zum Badesee. Dort angekommen, trennten wir uns erst einmal. Ich setzte mich zu der Clique meines Freundes, der wenig später auch ankam, und meine Schwester legte sich ein paar Meter weg. Sie lag alleine, weil sie nur mit dem Nachbarsmädchen wirklich befreundet war und die war ins Freibad gefahren. Wir bevorzugten den Badesee, weil es dort erstens nichts kostete und das Wasser kein Chlor enthielt, ja und weil mein Freund auch immer dort anzutreffen war. Der wohnte ja nur einen Steinwurf entfernt. Wir mussten an die fünf Kilometer weit radeln. Aber das machte nichts. Das waren wir gewohnt. Mama hatte keinen Führerschein. Wie auch immer, wir verbrachten einen schönen Nachmittag, bis auf einmal hinten schwarze Wolken aufzogen. Das Gewitter nahte ziemlich schnell. Zu schnell. Wir radelten so schnell wir konnten, aber schon nach wenigen hundert Metern setzte der Regen ein. Ich blickte mich immer wieder um, ob meine kleine Schwester auch hinterher kam. Ihr Fahrrad, war genau so groß wie meines. Für sie eigentlich noch zu groß. Sie wetzte mit ihren Pobacken immer hin und her. Und sie richtete ihren Blick immer nach unten und nicht nach vorne. Ich hätte hinter ihr fahren sollen! Als ich mich wieder einmal umblickte, war sie nicht mehr da. Ich stieg ab und wartete. Weiter hinten stand ein Traktoranhänger am Straßenrand. Ich dachte, gleich kommt sie dahinter hervor. Aber sie kam nicht. Zwei weitere Radler kamen an und hielten hinter dem Anhänger. Da war mir schlagartig klar, dass etwas passiert sein musste. Ich fuhr zurück und da lag sie. Die Radlerinnen, zwei Klassenkameradinnen von mir, hatten das Rad schon von ihr runter genommen. Sie sagte: „Ruf Mama an, ich spüre meine Beine nicht mehr.“

Niemals vergesse ich diesen Anblick und diesen Satz. Wie der Blitz fuhr ich im inzwischen strömenden Regen in den nahe gelegenen Ort. Handys gab es ja noch nicht. Es gab noch nicht mal das Wort dafür. Bei Bekannten klingelte ich sturm. Wie genau das dann abgelaufen ist, weiß ich nicht mehr. Ich habe mit Mama telefoniert und dann musste ich warten. Sie haben mich nicht mehr zu meiner Schwester gelassen. Ob ich dann abgeholt wurde, oder die Bekannten mich nach Hause gebracht haben, weiß ich auch nicht mehr. Übernachtet habe ich bei unseren Nachbarn. Geschlafen hab ich allerdings kaum. Ich habe gebetet: „ lieber Gott, bitte lass meine Schwester nicht gelähmt sein.“ Er hat mich nicht erhört. Er hat sie sogar besonders schlimm gelähmt werden lassen – vom Hals an. Warum?

Warum tut Gott einer dreizehnjährigen so etwas an? Ich habe das lange nicht verstanden. Bis zu diesem Tag habe ich an Gott geglaubt. Ich war getauft und hatte diese Taufe mit meiner Firmung bestätigt. In dem Ort, wo ich aufgewachsen war, gab es eine kleine Marienkapelle. Innen war es wie in einer Tropfsteinhöhle aber nicht so dunkel. Kleine Fenster tauchten alles in sanftes Licht und direkt vor Maria brannten immer Kerzen. Ich fühlte mich dort immer geborgen. Fast jeden Tag nach der Schule ging ich hinein. An Tagen, an denen eine Probe anstand, betete ich vor der Schule um leichte Fragen. Um Zeit für den Besuch zu haben, rannte ich den Weg davor, weil meine Mama ja wusste, wie lange ich für den Schulweg brauche. Vom Weg abzuweichen oder zu trödeln war nicht erlaubt. Meine Eltern waren keine Kirchgänger. Der Pfarrer kam aber hin und wieder bei uns zu Hause vorbei. Viele Jahre später erfuhr ich den Grund. Meine Eltern waren nicht kirchlich getraut, weil meine Mama geschieden war. Ich denke, sie haben darüber gesprochen. Unser Hund mochte den Herrn Pfarrer nicht. Er brachte diese Abneigung dadurch zum Ausdruck, indem er wirklich bei jedem Besuch vor die Wohnzimmertür gepinkelt hat. Ich kann mich noch gut an die Pfütze erinnern, aber nicht daran, ob der Pfarrer auch reingetreten ist. Jedenfalls hab ich es auch nicht so, mit dem Bodenpersonal. Das lässt doch mancherorts schon sehr zu wünschen übrig. Überhaupt stehe ich der Kirche und den ganzen Religionen sehr kritisch gegenüber. Dennoch sehe ich mich nicht als Atheistin. Irgendwie ist diese Kirchenorganisation ja nicht ganz so schlecht, wie ihr Ruf. Ich gehe inzwischen wieder gerne in die Kirche, weil ich die Orgelklänge darin liebe und gerne singe. Und ich treffe dort auf Gleichgesinnte. Trotzdem ist der Glaubensweg, den ich eingeschlagen habe, in heutiger Zeit, sehr schwierig. Leicht war dieser Weg ja noch nie, aber jetzt, finde ich, ist es noch schwieriger, weil die Wissenschaft ja auch viel weiter ist und deren Argumente gegen einen Gott sind auch nicht so ganz von der Hand zu weisen.

Zum Beispiel schrieb Franz-Josef Kröger:

„Für mich gibt es nur einen Gott - die Natur.“

Streng katholisch aufgewachsen, setzt er sich dennoch seit Jahrzehnten kritisch mit den Themen Glauben, Gott, Religion und Kirche auseinander. Er betrachtet Religion als eine Art Zivilisationskrankheit, die unsere Gesellschaft systematisch unterjocht. Er vergleicht Kirchen mit Zuhältern, die stets versuchen, ihre Mitglieder zu binden und in ihrer Selbstständigkeit einzuschränken. Religiöse Schriften oder Versammlungsorte bezeichnet er als puren Ausdruck von Macht und Unterdrückung. Anhand verschiedener Thesen, Theorien, Fallbeispiele und Erlebnisse verdeutlicht er, dass alle Religionen dieser Welt auf einer Basis beruhen: Erfindung. Weiterhin hinterfragt und entlarvt er diverse religiöse Legenden und Mythen als geschönte Geschichten, die nur ein Ziel haben: Manipulation. Hoffnung und Mythos, Schuld und Schöpfung, Gehorsam und Freiheit sind weitere Themen, die der Autor - locker im Ton, aber ernst in der Aussage ¿ in seinem Buch anschneidet und beleuchtet. <

So ähnlich wie er dachte ich auch sehr lange Zeit. Nun ist es aber so, dass Gott mir mein Leben gerettet hat. Er hat einen Menschen zu mir geschickt, genau in dem Moment, wo ich fast schon tot war. Der Tag an dem ich zum ersten Mal wirklich sterben wollte, war ein Dienstagabend im Januar. Es war mir einfach alles mal wieder zu viel. Todessehnsucht hatte ich schon oft in meinem bisherigen Leben. Das lag an den Depressionen. Das erfuhr ich aber erst viel später. Um das zu erfahren, musste ich mir erst die Pulsadern aufschneiden. Das ist gar nicht so einfach. Ich hatte mir eigens für diesen Zweck eines meiner Skalpelle zurechtgelegt. Eigentlich hatte ich die Dinger immer nur zum Papier schneiden benutzt. Fotos zurechtschneiden geht damit echt super. Jedenfalls wollte ich dieses Mal Haut damit durchschneiden. - Meine Haut.

Wie ich es in Filmen schon oft gesehen hatte, wollte ich es in der Badewanne tun. Ich ließ mir Wasser ein und in der Zwischenzeit trank ich mir noch etwas Mut an. Es war aber am Ende zu wenig Mut, um tief genug zu schneiden und zu viel Alkohol um die richtigen Stellen zu treffen. Schließlich zog mich ein Mitbewohner aus dem Haus aus der Wanne. Er hat mich getröstet und wir kamen uns näher. Am nächsten Tag hat er mich zu seinem Psychodoktor geschleppt. Der war sehr nett, verpasste mir Tabletten und gab mir eine Adressliste der ansässigen Psychotherapiepraxen. Da dachte ich zum ersten Mal an Göttliche Fügung. Das kann doch kein Zufall gewesen sein, dass just in dem Augenblick, wo ich am dringendsten Beistand brauche, mein Nachbar nach Hause kommt, mich weinen hört und rettet. Zumindest meinen Körper. Meine Seele musste erst noch gerettet werden. Das war mir damals aber auch noch nicht so ganz klar. Eine leise Ahnung bekam ich aber, als ich etwa vier Wochen später auf dem Weg in die Stadt durch Zufall „meine“ Psychopraxis fand. Das ging ganz sonderbar zu:

Ich blieb kurz stehen, um mir ein Tempotaschentuch aus der Tasche zu holen. Während ich schnäuzte, drehte ich meinen Kopf und blickte direkt auf ein Praxisschild. Darauf stand:

Praxis für Psychotherapie

Ohne zu zögern drückte ich den Klingelknopf.

Und tatsächlich, es wurde mir aufgetan. Erst wird mir gesagt, es wäre kein Platz mehr frei, aber als ich meine zerschnittenen Unterarme vorzeige, um die Dringlichkeit meines Anliegens zu unterstreichen, da ist nach einem kurzen Blick in den Terminkalender zumindest eine Stunde zum Kennenlernen verfügbar. Gleich die kommende Woche. Ich war sehr gespannt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich dort genau richtig sein würde. Ich dachte: „Endlich wird mir geholfen. Endlich wird mir jemand zuhören und mich auch verstehen.“ Wobei ich mich zu der Zeit ja nicht einmal selbst verstehe. Dann ist es endlich soweit, der große Tag da. Für mich war es das zumindest. Ich sollte schließlich einem wildfremden Menschen mein Innerstes offenbaren. Doch wo sollte ich beginnen? Bei meiner Geburt? Dass ich kein Wunschkind war? Wahrscheinlich werde ich über meine Kindheit ausgefragt. Bei dem Gedanken daran wurde mir doch etwas mulmig. Aber dann war alles ganz anders. Kein unerbittliches Graben nach alten Wunden. Wir redeten auch nicht über meinen Selbstmordversuch. Es war wirklich nur ein Kennenlerngespräch, ein vorsichtiges annähern. Als allererstes haben wir gemeinsam gebetet. Dadurch fühlte ich mich auf Anhieb wohl und bestens aufgehoben, obwohl ich selbst lange, sehr lange, nicht gebetet hatte.

Es kam mir gar nicht sonderbar vor. Viel eher wurde ich von einer wohligen Ruhe durchflutet. Am Ende bekam ich noch folgendes mit auf den Weg: Verlasse dich nicht auf andere Menschen. Menschen enttäuschen einander, sie fügen einander Schmerz zu, sie lassen einen allein.

Gott ist immer da. Maria ist immer da.

Zu ihr fasste ich dann auch als erstes wieder Vertrauen. Sie war mir als Kind schon nahe gewesen. Ich hatte das nur vergessen. Auch weil in der Praxis eine große hölzerne Marienstatue stand. Es gibt Menschen, die mir geraten haben, dort nicht mehr hinzugehen. Beten würde nicht helfen. Mir hat es aber geholfen! So ist das wohl, mit den ungläubigen Thomasen – Männer eben.

Jetzt unterbreche ich meine Erzählerin und frage, warum sie den Umweg über Maria ging und nicht gleich direkt zu Gott.

Sie antwortet: „Klar hätte ich auch direkt zu Gott oder zu Jesus gehen können. Aber Gott war mir noch zu groß. Ich fühlte mich zu klein und Jesus ist auch nur ein Mann. Und mit Männern hatte ich gerade so meine Probleme. Ich lebte gerade in Scheidung und es ging mir damit sehr, sehr schlecht. Ich fühlte mich verlassen, voller Existenzängste und minderwertig, weil ich auf meine Bewerbungen bisher nur Absagen eingeheimst hatte. Ist schon komisch. Wie selbstverständlich ich mich schon in dieser ersten Stunde auf das Gebet eingelassen habe, wo ich doch zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr an Gott glaubte und schon gar nicht an Maria und die unbefleckte Empfängnis. Das hatte ich in der Therapiestunde auch gesagt und folgende Antwort erhalten:

„Wenn Gott allmächtig ist, wieso sollte er dann nicht ein Kind einpflanzen können?“

Ja, wieso eigentlich nicht?

Dasselbe denke dann auch ich.

Die Erzählerin berichtet weiter wie sie in der Folgezeit dann viele Bibeldokus angeschaut hatte. Solche, die besagen, die Bibel sei wahr und auch solche, die alles anzweifeln, ja sogar als Lüge bezeichneten. Und sie erzählt, wie sie regelrecht darüber geschockt ist. Sie weiß nicht mehr ein noch aus:

Und dann ist da auch noch mein Partner, der Atheist. Wobei das noch nicht einmal das Hauptproblem ist. Er ist auch noch spielsüchtig und verfügt über diverse Persönlichkeitsstörungen, kann nicht mit anderen Menschen umgehen und leidet wie ich unter Depressionen. Dreimal war er schon auf Reha gewesen, ohne anhaltenden Erfolg. Ihm ist wohl nicht mehr zu helfen. Beziehungsweise ihm kann nur noch einer helfen. Aber er glaubt ja nicht an Gott und will demzufolge auch keine Hilfe von Ihm annehmen. Es ist schon manchmal ein regelrechtes Kreuz mit ihm.

Womöglich mein Kreuz, das ich zu tragen habe. Ich weiß es noch nicht.

Ich bin gespannt, ob und wie es meiner Erzählerin gelingt, das Dilemma zu beheben oder zumindest in den Griff zu kriegen. Im Moment klingt ihre Situation ziemlich Ausweglos. Eigentlich müsste der liebe Gott da seinen Spaß dran haben. Ich meine damit nicht, dass er da oben sitzt und sich einen ab lacht, sondern dass er nun wirklich wirken kann. Sofern man ihn lässt, tut er das nämlich. Soviel habe ich inzwischen begriffen. Nun denn, Wir werden sehen. Nachdem, was ich bisher gehört habe, kann es eigentlich nur noch besser werden. Ich bin tatsächlich schon sehr gespannt, obwohl wir noch ganz am Anfang stehen. Meine Neugier wurde schon mal geweckt. Wer weiß, vielleicht wird am Ende auch mein Glaube wieder erweckt?

Unerwartete Hilfe

Nur gut, dass ich nach nur Vier Wochen Wartezeit einen festen Therapieplatz bekam. Und in den vier Wochen konnte ich auch jede Woche hingehen. Es waren nur immer verschiedene Tage und Zeiten. Immer dann, wenn gerade jemand anderes abgesagt hatte. Nach Ablauf dieser ersten vier Wochen begannen wir dann auch richtig über meine Probleme zu sprechen. So nach und nach kam dann auch alles wieder hoch. Meine ganze Kindheit und wie ich so geworden bin. Manches ist klarer geworden, vieles aber noch viel verworrener. Im Therapiezimmer hängt eine Collage an der Wand. Darauf sind Schmerzens und Leidenskinder aufgezeichnet.

Ich sollte meinen Schmerz finden. Den Namen meines Schmerzes. Aber wie? Irgendwie fand ich mich in allen “Leidenskindern“ wieder. Ich fühle mich einsam, verlassen, unverstanden, nicht gewollt. Und ich litt immer noch an Heimweh.

Hinzu kamen noch Schuldgefühle.

Die alten, wegen des Unfalls meiner Schwester, die neuen, wegen meiner Trennung. Weil ich meine Kinder bei meinem Mann gelassen habe. Ich konnte sie nicht mitnehmen. Sie sind ja auch schon groß, zu der Zeit; 14 und 16 Jahre alt.

Außerdem wollte ich mich ja weiterhin um sie kümmern. Ihr Vater ließ mich nur nicht. Das hatte er ganz raffiniert eingefädelt. Mein “Großer“ hatte mich zwei Tage vor meinem Selbstmordversuch eine „scheiß Bitch“ genannt. Dem war gar nicht klar, wie gut er es bei seinem Vater hat. Ich hätte den beiden kein eigenes Zimmer mehr bieten können, ganz zu schweigen von einem ganzen Haus. Und finanziell wäre es ihnen bei mir trotz Unterhalt auch längst nicht so gut gegangen.

Bei meinem “Kleinen“ stand die Firmung an, wenn er es überhaupt wollte. Ich hoffte es. Ich machte mir so allerlei Gedanken darum. Zum Beispiel, dass es bestimmt schwierig sein würde, einen Firmpaten zu finden, weil infrage kommende Verwandte seit unserem Umzug viel zu weit weg wohnten. Und mein Mann war schon lange aus der Kirche ausgetreten. Und mich würde er bestimmt nicht haben wollen. Dann wünschte, wir hätten mehr Kontakt. Ich hätte es gerichtlich erzwingen können, aber das wollte ich nicht. Ich konnte es auch gar nicht. Ich fühlte mich immer noch zu schwach für alles. Trotz der Gebete. Hinzu kam dann noch ein ganz neues Problem: Mein Retter und ich waren inzwischen fest zusammen - aber nicht so richtig. Wir wohnten im selben Haus, aber in getrennten Wohnungen. Abends Schlafen gingen wir meist in seiner Wohnung, weil er hatte ein Doppelbett; während ich nur mein altes Jugendbett besaß. Zu der Zeit weiß ich noch nicht so recht, was ich von dieser Beziehung halten soll. Ist das überhaupt eine Beziehung? Dann ist er auch noch Atheist aus Überzeugung. Er lässt mich aber in Ruhe mein Glaubensding machen. Und ich versuche auch nicht, ihn zu bekehren. Obwohl, ich würde schon gerne, jetzt, wo ich merke, wie sehr mir mein Glaube hilft. Dabei bin ich noch ganz am Anfang meines Weges und noch längst nicht zu hundert Prozent überzeugt. Noch ist da nur eine vage Ahnung in mir. Sie bleibt auch vage, bis zu jenem Tag, wo wir in meiner Therapiestunde über Engel sprechen. Jeder Mensch hat von seiner Geburt bis zum Tod einen Engel an seiner Seite. Da musste ich natürlich fragen, wie es dann sein kann, dass manche Menschen trotzdem schlimme Dinge erleiden. Das ist so, weil der Engel zwar da ist, aber nicht eingreifen kann. Man muss ihn auch bewusst wahrnehmen und sich seiner Führung anvertrauen. Nach dieser Therapiestunde fühlte ich mich leicht und beschwingt wie eine Feder. Wieder zu Hause, habe ich sogleich meine Engel Karten gesucht. Die hatte ich mir schon vor Jahren zugelegt. Wie ich dazu gekommen bin, ist auch eine nette Geschichte. In meiner Ehe kriselte es damals schon. Ich hatte mir Jahre davor schon diverse Rategeber zu Hilfe geholt. Darüber, wie Männer so ticken, wie man Partnerschaften wieder in Schwung bringt und so. Ich hatte den ein oder anderen Rat auch ausprobiert und es hatte tatsächlich funktioniert.

Aber nun war ich mit meiner Weisheit am Ende. Mein Mann hatte sich eine Arbeitsstelle in knapp 700 km Entfernung gesucht. Dabei hatten wir hier doch unser Haus gebaut. Die Kinder gingen hier zur Schule, hatten Freunde, spielten im Fußballverein. Und auch ich hatte hier meinen Verein, meine Freundinnen und Verwandte. Ein gutes soziales Umfeld eben. Er hatte das alles nicht. Er hatte nur seine Arbeit. Ich bin nicht mitgezogen, weil es nur für zwei Jahre sein sollte. Und ich hatte ja auch meine Arbeit. Ich brauchte nur noch ein Jahr, dann würde ich unkündbar sein. Das wollte ich nicht verschenken und meinen Anspruch auf Betriebsrente auch nicht. Überhaupt, ich war hier daheim. Er offensichtlich nicht. Eines Tages kam er an und teilte mir lapidar mit, dass er nach Hannover ginge. Da ich aus bereits genannten Gründen nicht weg wollte, führten wir erst einmal eine Wochenendehe, die zu Anfang auch ganz gut lief. Bis auf die Tatsache, dass meine beiden Jungs sich unaufhaltsam der Pubertät näherten und ich mich überfordert zu fühlen begann. Ich wollte es alleine schaffen, meinen Mann nicht mit meinen Alltagsproblemen belasten. Außerdem hätte er dann nur gesagt, ich solle einfach nachkommen. Und das wollte ich ja nicht. Jedenfalls, es war an Sylvester als wir uns um Mitternacht draußen mit den Nachbarn der gesamten Siedlung trafen. Wir machten mit Sektgläsern in der Hand unsere Runde. Und so kam es, dass ich bei zwei meiner Freundinnen im Haus landete. Sie zogen ihre Engelkarten und ich sollte auch eine ziehen. Ich hatte so etwas noch nie gemacht und hielt es für Spinnerei, ähnlich wie Blei gießen. Trotzdem tat ich wie geheißen und dann war ich doch erstaunt. Der Engel passte genau zu meiner damaligen Situation. Noch in der ersten Woche des neuen Jahres legte ich mir auch solche Karten zu und dann zog ich drei Karten. Eine für die Vergangenheit, eine für die Gegenwart und eine für die Zukunft. Und es war wieder die eine von Sylvester dabei. Bei fast 50 Karten erschien es mir als äußerst unwahrscheinlich, dass da nichts weiter dahinterstecken sollte. Das war bestimmt kein Zufall!

Seither ziehe ich meine Engel immer wieder zu Rate. Sie haben mir auch immer geholfen. Trotzdem hatte ich zwischenzeitlich damit aufgehört. Ich weiß gar nicht warum. Nach dieser Therapiestunde, wo wir von Engeln gesprochen hatten, begann ich jedenfalls wieder damit. In Gedanken stellte ich meine Frage nach der Zukunft und hab dann Raguel gezogen. Auf der Karte stand:

Göttliche Ordnung

>Alles ist so, wie es jetzt sein muss.

Schau hinter den Schleier der Illusion und erkenne die eigentliche Ordnung.<

Ich las die Karte wieder und wieder. So oft, bis ich die Botschaft endlich verstand. Ich musste versuchen, den Schleier der Illusion zu lüften. Das würde ich hinbekommen. Aber was war damit gemeint, mit dem Satz:

Alles ist so, wie es jetzt sein muss; es herrschte doch gerade totales Chaos in meinem Leben, in meinem Kopf und in meinem Herzen. Für mich war gerade gar nichts richtig. Meine Gedanken und Gefühle überschlugen sich förmlich. Ich begann wieder unter Schlafstörungen zu leiden. Dann fing ich damit an, meine Gedanken und Gefühle aufzuschreiben. Das half. Sobald ich mir alles von der Seele geschrieben hatte, konnte ich wieder einschlafen. Anfangs schrieb ich nur für mich, später mit dem Hintergedanken, vielleicht einmal ein Buch daraus zu machen. Ich las auch sehr viel. Vorzugsweise Bücher die sich mit Gott und dem Glauben befassten.

Angefangen habe ich mit Pater Kentenich und Anselm Grün. Dann folgten zeitgenössische ganz normale Menschen wie Peter Seewald mit seiner Jesus Biografie und Gabriele Kuby mit ihrem Buch „Mein Weg mit Maria.“

Es ist also doch noch möglich, in der modernen Zeit an Maria zu glauben. Nur mit diesem Beichten, da hab ich es immer noch nicht so recht. Die folgenden Wochen ging es mir dann immer besser. Am ersten April ist mir zum ersten Mal seit langem wieder nach Scherzen zu Mute. Früher habe ich am ersten April immer irgendjemandem einen Streich gespielt. Meist musste in der Arbeit wer dran glauben. Ja, damals war es noch schön auf der Arbeit. Das Betriebsklima passte. Wir waren fast wie eine Familie. Haben auch privat viel unternommen. Rad- oder Wanderausflüge, gemeinsame Abendessen oder Theaterbesuche. Ich dachte daran, in der nächsten Sprechstunde mal die Mobbing-Geschichte, die mir wiederfahren ist, zur Sprache zu bringen. Das hatte ich ja auch immer noch nicht aufgearbeitet. Damals hatte mich mein Hausarzt zwar auch zu einer Therapie geschickt, aber es gab keinen Platz und so hab ich nur Tabletten und einmal im Monat ein 10-Minuten-Gespräch bekommen. Als wir dann weggezogen sind, hab ich die Tabletten noch zu Ende genommen, sie dann aber abgesetzt, was im Nachhinein ein schwerer Fehler war. Aber ich konnte ja nicht ahnen, wie schlimm es wirklich um mich stand. Meine Engelkarten hatten mir ja geholfen. Und wahrscheinlich auch mein ganz persönlicher Engel. Wir machen jetzt, wo ich weiß, dass er immer da ist, alles gemeinsam.

Wir gehen gemeinsam durch die Stadt, arbeiten gemeinsam im Garten, freuen uns gemeinsam und trauern auch gemeinsam. Und nachts wacht mein Engel über meinen Schlaf. Ich habe diesen Engel auch schon gemalt. Ist jetzt kein Rembrandt geworden, aber doch irgendwie schön. Auf diese Weise fühle ich meinen Engel nicht nur, ich kann ihn auch sehen. Ich glaube nämlich, dass mir sein Aussehen von Gott selbst durch den Heiligen Geist eingegeben wurde.

>Eine schöne Vorstellung. Ich überlege ernsthaft, mir auch solche Engel Karten von Doreen Virtue zu besorgen. Sie ist eine hellsichtig begabte Psychotherapeutin, die sagt: „Erzengel sind sehr reale, machtvolle, konfessionslose Wesen. Sie sind direkte Boten des Schöpfers und helfen uns in allen Bereichen des Lebens.“ Als Einstieg in den Glaubensweg vielleicht gar nicht mal so schlecht. Ich glaube jedenfalls, dass es so für mich einfacher wird, als über Maria. Jetzt bin ich erst einmal gespannt, wie es weiter geht.

Wachsendes Vertrauen

Mein Vertrauen in Gott wächst kontinuierlich, doch dann erfahre ich, dass meine Therapiestunden bald um sind. Ich erschrecke. Aber ich kann Langzeittherapie beantragen. Das mache ich und sie wird genehmigt. Gott sei Dank! Das Beten tut mir gut. Dennoch tu ich es nicht regelmäßig. Irgendwie schaffe ich es nicht, das Gebet in meinen Alltag zu integrieren. Was ich aber inzwischen schaffe, ist, mehr Vertrauen in Gott zu setzen, wenn mich mal wieder die Existenzangst packt. Das Vertrauen geht inzwischen sogar so weit, dass ich den Sprung in die Selbstständigkeit wage. Wenn mich keiner haben will, dann arbeite ich eben für mich selbst. Und ich fange an, meine Tabletten zu reduzieren. Ich nehme ja Antidepressiva – zwei verschiedene, welche für die Nacht, zum Schlafen und welche für Tags zum Aufputschen. Die für Tags lasse ich inzwischen weg. Nachts brauche ich sie noch, weil sonst meine Gedanken nicht aufhören zu kreisen. Vielleicht sollte ich es da auch einmal mit beten versuchen. Obwohl ich nicht wirklich glaube, das Gott mein Geschäft zum Laufen bringen wird. Andererseits hat er mir nicht den Mut gegeben? Und meine Kreativität? Ich nähe Taschen aus alten Jeanshosen. Das mache ich schon viele Jahre. Aber bisher nur für mich selbst und Freundinnen. Meine Taschen waren als Geschenk sehr gefragt. Auf einem Adventsmarkt hatte ich dann sogar einmal welche verkauft. Also könnte es doch funktionieren, mit meinem Home Store, dachte ich. Ich machte mir dann auch noch eine Homepage für den Internetverkauf. In der Folgezeit ging es mir ganz gut. So gut dass wir in den Therapiestunden längst nicht mehr über meine Psychischen Probleme, sondern fast nur noch über Gott redeten. Inzwischen hatte ich mir eine kleine Marienstatue gekauft. Die steht jetzt da zwischen zwei kleinen Vasen, in der einen sind getrocknete Kräuter und Lavendel in der anderen getrocknete Rosen, davor ein kleines Teelicht und ein kleiner sitzender Engel.

Ich betete jetzt auch öfter, aber immer noch nicht täglich. Irgendwie fehlte mir die Zeit dafür. Immer war mir etwas anderes gerade wichtiger. Zum Beispiel das Buch von Peter Seewald. Es ist eine Biografie über Jesus. Ich finde es wunderschön weil es in Worten geschrieben ist, die auch ich verstehe. Es sind auch Auszüge aus der Bibel darin, die ich erst mal nicht verstehe.

Aber der Autor versteht es, alles zu erklären, im wahrsten Sinne des Wortes. Am Ende sehe ich wirklich klar. Besonders schön fand ich, wie er das "Vaterunser" quasi entschlüsselt. Und auch die in der Bibel enthaltene Zahlensymbolik, hat mich sehr fasziniert. Peter Seewald hat die Orte, an denen Jesus war, auch selbst bereist und beschrieben, wie er sich dort gefühlt hat und zwar so gut, dass ich es direkt mitfühlen konnte. Fast so, als wäre ich selbst dort gewesen. Alle meine Zweifel waren auf einmal nicht mehr da. Egal, welche Fakten diese ganzen Atheisten noch anbringen, die gegen Jesus und Gott sprechen, sie kommen nicht gegen die Fakten aus diesem Buch an. Ich wünschte ich könnte auch so schreiben und alles so gut erklären. Vielleicht kommt das ja noch. Es liefert viel Gesprächsstoff für meine Therapiestunden. Irgendwie ist es tröstlich für mich, dass ich jetzt einfach all meine Sorgen und Nöte bei Maria abladen kann. Sie ist meine Mittlerin und Ansprechpartnerin, weil sie, genau wie ich, eine Frau, und vor allem Mutter ist. Sie versteht meinen Schmerz darüber, dass mein Ex-Mann mich meine Kinder nicht sehen lässt. Er stellt sich jetzt nicht direkt dagegen, er will sie nur nicht zum Umgang mit mir zwingen und wenn sie nicht wollen, dann ist das ihre Entscheidung. Er redet nicht gegen mich, das behauptet er jedenfalls, aber auch nicht für mich. Das macht mich fertig und zugleich zornig. Wieder so ein zwiespältiges Gefühl, fast schon paradox. Ich mag dieses Gefühl nicht!

Es soll weggehen! Beten half mir immer nur kurzzeitig. Also holte ich mir weitere Bücher.

Als nächstes wieder eines von Seewald:

“Als ich wieder zum Glauben fand.“

Na das passt ja wie die Faust aufs Auge!

Ich tauchte förmlich darin ein. Dieses Buch hat mich darin bestärkt, dass auch ich es schaffen kann. Ich musste dazu keine Heilige oder Märtyrerin werden. Schön.

Dann las ich: "Die kleine Teresa“

Auch ein schönes Buch, aber mit Teresa kann ich mich nicht identifizieren. Mit Peter Seewald durchaus. Er ist ein ganz normaler Mensch und ein Zeitgenosse. Und er hat, wie ich, ganz von vorne angefangen. Katholisch aufgewachsen, als Erwachsener Gott ad acta gelegt und jetzt wieder neu entdeckt. Und jeden Tag gibt es auch für mich etwas Neues zu entdecken. Vor allem lege ich meinen Fokus auf die schönen Dinge und die Wunder, die um mich herum geschehen. Egal, was die Wissenschaft wieder mal neues entdeckt, irgendwie fehlt immer die allerletzte Erklärung, die mich in dem Glauben bestärkt, dass da doch ein Gott seine Finger im Spiel hat. Doch schon wenige Tage später kommt der erste große Rückschlag. Es übermannten mich Zweifel, nur weil ich wieder so einen Bericht auf YouTube angeschaut hatte. Daher fing ich dann an Bibelfilme anzuschauen. Ich finde sie schön und bombastisch aber auch beängstigend. Vor allem die über das Alte Testament. Wir sprachen in meiner Therapie darüber. Sehr geduldig wurde mir erklärt, dass Gott tatsächlich früher sehr zornig und strafend gewesen ist. Aber dann hat er Jesus auf die Welt geschickt und wurde ein gütiger und verzeihender Gott. Nur wie lange wird er sich dieses Chaos hier auf Erden noch ansehen?

Wenn das, was in der Bibel steht wirklich stimmt, dann ist eine erneute Sintflut längst überfällig.

Die ganze Welt ist ein Sodom und Gomorra.

Warum lässt ER das überhaupt zu? Das ganze Leid, den Hunger, die Kriege, die Seuchen?

Oder hat er uns das Ganze gar selbst geschickt?

Ist das schon der Anfang der Apokalypse?

Es gibt Menschen, die sagen, ja, das ist es!

Ich fühlte mich wieder klein und hilflos. Wie sollte ich allein mit meinen Gebeten die Welt retten?

Und überhaupt, wieso sollte Gott ausgerechnet mir helfen? Ich gehe nicht in die Kirche, ich bete nur sporadisch und führe auch sonst kein besonders Christliches Leben. Jedenfalls nicht so christlich, wie ich denke, dass ich sein sollte. Irgendwie gottesfürchtiger, liebender, gebender. An den Bettlern gehe ich immer vorüber, schaue weg, wie so viele. Es sind auch so viele geworden inzwischen. Ich kann nicht jedem was geben. Ich müsste mich entscheiden. Das einzige, was ich tun kann, ist für diese armen Menschen zu beten. Wenn ich jetzt, wo ich darüber erzähle so nachdenke, dann scheint Gott wohl doch für sie zu sorgen. Es sind immer die Selben und wirklich verhungernd schaut keiner aus. Obwohl ich meine, es dürfte gar keine Bettler geben und auch keine Obdachlosen. Hier, mitten im reichen Europa! Es gibt alleine hier in meiner Stadt so viele leerstehende Gebäude. Und da bauen die Containerdörfer für Asylanten?! Einmal habe ich einem jungen Mädchen zehn Euro gegeben. Sie war gerade einmal 14 Jahre alt. Sie hat mir erzählt, dass sie von ihrer Mutter rausgeworfen wurde. Sie hatte keinen Schulabschluss und demzufolge auch keine Chance auf eine Lehrstelle. Was wohl aus ihr geworden ist?

>Jetzt muss ich den Redefluss meiner Erzählerin unterbrechen und frage warum sie meint, kein christliches Leben zu führen, wo sie doch augenscheinlich alles dafür tut.

Sie antwortet, dass sie eben nicht wirklich alles dafür tue. Das läge unter anderem daran, dass sie speziell mit einem Gebot so ihre Probleme hätte, nämlich dem Keuschheitsgebot.

„Die Körperliche Liebe ist für mich genauso wichtig wie Essen und Trinken“, sagt sie.

Was mich zu der Frage bringt:

„Sex & Glaube; geht das überhaupt zusammen?“

Und sie antwortet, dass sie sich dieselbe Frage auch ständig gestellt hat. Sie hatte auch schon lange vorgehabt diese Frage einmal in ihrer Therapiestunde zu stellen, hat sich aber nie getraut. Sie hatte gehofft doch noch, ein passendes Buch, zu finden, was diese, doch etwas delikate, Frage klären würde.

Auf der Suche nach „meinem Weg“

Ein Buch habe ich mal mitgenommen, weil es von einer Frau geschrieben wurde, die in meinem Alter war und die von den selben Zweifeln wie ich, geplagt wurde. Und sie lebt in Bayern. Ich nicht mehr. Vielleicht fühle ich mich deswegen sofort mit ihr verbunden. Ich musste fast lachen, als sie ihre erste Wallfahrt beschreibt, wie sie im Bus sitzt und denkt: „was mach ich hier eigentlich?“ Wie sie ihr erstes Beichtgespräch schildert. All das berührte mich in der Tiefe meiner Seele. Und es hat mich inspiriert, selber meinen Glaubensweg aufzuschreiben.

Es hat ein wenig länger gedauert, bis ich damit durch war, weil ich nach jedem Kapitel erst einmal nachdenken musste. Und immer versuchte ich Parallelen zu meinem Leben zu ziehen. Das war ganz leicht, weil es sich bei der Verfasserin wie bereits erwähnt, um eine Zeitgenossin mit ähnlichen Problemen handelte. Als ich dieses Buch von Gabriele Kuby dann zu Ende gelesen hatte, musste ich alles, wie zuvor auch schon, erst mal wieder sacken lassen. Und dann kam ich zu dem Fazit, dass wirklich und wahrhaftig zu glauben, und aus tiefstem Herzen auf Gott zu vertrauen, ein Kampf ist, der jeden Tag aufs Neue ausgefochten werden muss. Ich habe für mich beschlossen, dass mir ihr Weg doch zu radikal ist und ich meinen eigenen Weg finden musste. Was ich immer schon mal tun wollte, aber aus zeitlichen Gründen immer noch nicht geschafft hatte, war: pilgern.

Seit ich "Ich bin dann mal weg" gelesen hatte, wollte ich das tun. Ich hatte auch schon seit Jahren eine Jakobsmuschel und auch einen Pilgerpass. Die Geschichte, wie ich an die Muschel kam, ist ganz witzig. Eigentlich dachte ich zu diesem Zeitpunkt gar nicht ans pilgern. Ich war auf Heimaturlaub und besuchte einen alten Arbeitskollegen und Freund. Er führte mich durch seinen Garten und auf einmal, sah ich zwischen den Steinen, die ums Haus lagen, eine Jakobsmuschel. Und wie ein Blitz durchfuhr es mich, dass ich sie aufheben und mitnehmen sollte. Für ihn war sie nur Müll. Es lagen noch mehrere mehr oder weniger unversehrte Muscheln herum. Aber diese eine war noch ganz und sie hat genau die richtige Größe. Gleich nach meiner Rückkehr aus diesem Urlaub, habe ich ein Loch hindurch gebohrt und eine Lederschnur durchgezogen, um sie mir umhängen zu können, wenn es denn endlich so weit wäre.

Irgendwann sprach ich dann meinen Pilgerwunsch auch mal in meiner Therapiestunde an. Ich hatte mir zwischenzeitlich einen Film über den Jakobsweg besorgt und mehrmals angesehen. Er ließ meinen Wunsch, diesen besonderen Weg endlich selber zu laufen, mit jedem Mal weiter anwachsen. Gleichzeitig war mir aber auch bewusst, dass ich lieber erst einmal klein anfangen, und nicht gleich den großen Jakobsweg gehen sollte. Das bekam ich dann auch in meiner folgenden Therapiestunde zu hören. Von unserem Dom aus sei letztes Jahr ein alter Jakobsweg wieder erneuert worden und neu beschildert worden. Da dachte ich dann auch ernsthaft darüber nach. Eigentlich musste ich nur noch meine Wanderschuhe anziehen und losgehen. Aber immer wieder fand ich Gründe, warum es gerade jetzt nicht geht. Gerade jetzt ist es noch zu kalt. Morgen beginnt die Fastenzeit. Pilgern zu Ostern wäre zwar schön und passend, aber bestimmt wären mir zu viele Menschen unterwegs. Da musste ich noch viele Nächte drüber schlafen. Und dabei vergingen Wochen und Monate. Ich bin dann nicht gepilgert. Noch nicht. Irgendwie fand ich, war es noch nicht an der Zeit dafür. Der richtige Tag würde schon noch kommen.

Stattdessen habe ich dann ein neues Buch angefangen. Schon die ersten Seiten haben mir die Augen geöffnet: ich werde es nicht alleine schaffen…. und… Ich muss das auch gar nicht!