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SCHLUSSLÄUFER unterhält mit einer formal wie inhaltlich sehr breit gefächerten Sammlung an satirischen Betrachtungen. Über viele Jahre als regelmäßige Kolumne im Fachmagazin LAUFSPORT Marathon erschienen, beleuchten die Texte aus unterschiedlichsten Perspektiven ein Thema: LAUFEN. Die Inhalte umfassen, satirisch überhöht oder gnadenlos nivellierend, das gesamte Spektrum eines Läuferdaseins: Ergebnis - Erlebnis - Überleben. Vieles an den beschriebenen Szenarien innerhalb der Bandbreite "Sofasurfer bis Ultraläufer" ist autobiografisch, daher zutiefst authentisch. Zum Jubeln wie zum Schämen. Manches resultiert aus der journalistischen Neugierde des Autors an Erfolg und Scheitern, an legalen wie zumindest moralisch bedenklichen Sportsensationen und dem Umgang mit den Tatsachen. Einiges gehört ausschließlich ins Reich der Dichtung. Fiktive Schale, wahrer Kern. Das Ansinnen: LACHEN. Herz, Hirn und Humor verbinden. Augenzwinkernd "andere" Blickwinkel entdecken und den Finger abwechselnd voller Mitgefühl und Verständnis an den Puls, aber auch gnadenlos schmerzhaft in Wunden legen. Intensives Tun und exzessives Unterlassen aufzeigen. Das Bemühen um Veränderung und Verbesserung bis hin zur stets angestrebten, doch ewig ausbleibenden "Erlösung". Laufen, ob im Hobbybereich oder als Profi betrieben, ist im Grunde stets ein Spiegel: Wie im Innen, so im Laufen. Eine Parabel auf das "richtige" LEBEN. Lesen Sie die Geschichten häppchenweise. Dosiert. Kreuz und quer. Fühlen Sie sich angesprochen. Informiert oder ertappt. Bestenfalls verstanden und motiviert. Stellenweise richtig gut unterhalten. Werden Sie fündig, ab und an, auf der Suche nach dem tieferen Sinn im höheren Unsinn des Laufens. Stimmen Sie zu oder winken Sie ab. Humor ist, wenn man trotzdem läuft!
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Seitenzahl: 492
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Der SCHLUSSLÄUFER unterhält mit einer formal wie inhaltlich sehr breit gefächerten Sammlung an satirischen Betrachtungen. Über viele Jahre als regelmäßige Kolumne im Fachmagazin LAUFSPORT Marathon erschienen, beleuchten die Texte aus unterschiedlichsten Perspektiven ein Thema:
LAUFEN.
Die Inhalte umfassen, satirisch überhöht oder gnadenlos nivellierend, das gesamte Spektrum eines Läuferdaseins: Ergebnis - Erlebnis - Überleben. Vieles an den beschriebenen Szenarien innerhalb der Bandbreite Sofasurfer bis Ultraläufer ist autobiografisch, daher zutiefst authentisch. Zum Jubeln wie zum Schämen. Manches resultiert aus der journalistischen Neugierde des Autors an Erfolg und Scheitern, an legalen wie zumindest moralisch bedenklichen Sportsensationen und dem Umgang mit den Tatsachen. Einiges gehört ausschließlich ins Reich der Dichtung. Fiktive Schale, wahrer Kern. Das Ansinnen:
LACHEN.
Herz, Hirn und Humor verbinden. Augenzwinkernd „andere“ Blickwinkel entdecken und den Finger abwechselnd voller Mitgefühl und Verständnis an den Puls, aber auch gnadenlos schmerzhaft in Wunden legen. Intensives Tun und exzessives Unterlassen aufzeigen. Das Bemühen um Veränderung und Verbesserung bis hin zur stets angestrebten, doch ewig ausbleibenden „Erlösung“. Laufen, ob im Hobbybereich oder als Profi betrieben, ist im Grunde stets ein Spiegel: Wie im Innen, so im Laufen. Eine Parabel auf das „richtige“
LEBEN.
Lesen Sie die Geschichten häppchenweise. Dosiert. Kreuz und quer. Fühlen Sie sich angesprochen. Informiert oder ertappt. Bestenfalls verstanden und motiviert. Stellenweise richtig gut unterhalten. Werden Sie fündig, ab und an, auf der Suche nach dem tieferen Sinn im höheren Unsinn des Laufens. Stimmen Sie zu oder winken Sie ab. Humor ist, wenn man trotzdem läuft!
Wichtiger Hinweis: Obwohl in männlicher Form abgefasst beziehen sich, besserer Lesbarkeit geschuldet, sämtliche Satiren natürlich explizit auf Akteure jeglichen Geschlechts.
„
LAUFEN.
LACHEN.
LEBEN.
Für Karina
Läufer mit Biss oder:
„Er tut ja nichts, er spielt doch nur!“
Triathlon im Wohnzimmer
Hupf in Gatsch
Olympia, Ostarrichi, Färöer
Renn-Tiere
Punkt-Strich-Punkt oder: Die Einsamkeit des Langläufers
Der Marat(h)oni – eine Typologie
High noon!
Laufen, Lust und Libido
Hurra, gewonnen! Oder: Nicht endlagern, nicht recyclen, nein – verlosen!
Bescheid III-Str.Verk.3839/VA/97/B/G
Über Training, Übertraining und den Mythos immerwährender Immunität
Läufer läuft, Rubel rollt
Willkommen im Club
Lasset uns dopen!
Tria-Tipps für Anfänger
Und täglich grüßen wir das Murmeltier
(Ge-)Heimtraining oder: Radl verpflichtet
Laufen und laufen lassen
Trost & Rat
Gegendarstellung
O Sohle mio
Lauft!
Männer ohne Nerven
Liebes Tagebuch!
Lauf, Hase, lauf!
Das Ziel ist das Ziel
Land der Lächler
Olympia – Spielplatz der Helden
Qualifiziert
Wertvoll wie ein kleines Steak
Der kritische Punkt
Oben ohne
24 Stunden rennen
Gold-Hamster
Traum-Lauf
Windschattenschnorrer
Jogger
Schein und Sein GmbH & Co KG
Krummes Ding
Begnadigte Körper
Paula rennt
Loipenregeln
Hoch hinaus
Marathon, lebenslang
Böse unter der Sonne
Schein(h)eilig
Lebens Lauf
Voll die Härte
Marat(h)öne
Vom Winde verweht
Berufsrisiko
Mensch, ärgere Dich nicht!
Totgelaufen
Alles fleect
Hart am Limit: Hero oder Zero
Schlapp
Himmelsstürmer
Hawaii, mon amour
VIP
Mensch, Mayer!
Eine Ruh‘, bitte!
High Tech
111
Papa ante Pörtschach
Gebrauchen Weisung
CSI Marathon
Frühling, gefühlt
Just do it – yourself!
Nicht doch!
Runderneuert
Team intim
„Überall!“ / No pain, no gain!
Absonderlich
Konfusius fragt
Mehr Sport!
Gedanken, freilaufend
Ausweitung der Komfortzone
Fitnessstudium
Berg(l)auf-ABC
Humor ist…
Wollen können sollen
Lauf, Freund!
Auf Sendung
Hunger(r)ast
Adiós und Grüezi
Werbung wirkt
Zahlen, bitte!
Läuft nicht
Auf die Plätze, fertig – Flirt!
Platz da!
Sport aktuell
Ich klage an
Baum, Strauch, Gartenzwerg und Dixi
Hello, Paula! Hi, Haile!
Come back!
P.E.C.H.
Best of Binsen
Rhythmus, der mitmuss
Rechts vor links
Der Überläufer
Wladimir, wir danken Dir!
Tausendundeine Frage
Auf die harte Tour
Werbung wirkt
Müde, sterbensmüde
Wahrlich, wahrlich!
Das erste Mal
A long way home
Freiwild
Der Haken mit dem Hunger
Hunger reloaded
Juniors Marathon
Geht doch!
Im Plan
Zwei Seelen
Startup
Winters Freuden
Schimpf, Schmach und Schande
The winner takes it all
Businessrun
Guten Morgen
Endspurt
Der Tag danach
Trail & error
Urlaub
Über den Autor
Stellen Sie sich vor: Frauerl oder Herrl wirft ein Stöckchen, und das artige Hunderl apportiert schwanzwedelnd einen Laufschuh. Und sogar der Besitzer steckt noch drin. Läufer-Alptraum oder tägliche Realität?
Zwei natürliche Feinde hat der Läufer: Da ist zum einen der oft und viel zitierte innere Schweinehund. Das träge Alter Ego, lästiger und lästerlicher Einflüsterer in den hintersten Hirnwindungen, der den Athleten, das Ziel vor Augen - „Rein oder nicht rein, das ist hier die Frage?!“ – unaufhörlich zwingt, über Aufgeben oder Weiterlaufen zu sinnieren. Und zum anderen gibt es die real existierenden Vierbeiner. Hunde. Haarig, sabbernd, zähnefletschend. Für den Läufer ist dabei unerheblich, ob es sich um einen kläffenden Rasierpinsel oder ein knurrendes Kalb handelt, jeder Vertreter der Gattung Hund, der imstande ist, sein Gebiss über den Rand eines Laufschuhs zu heben, ist potenziell gefährlich.
Dabei hat der Mensch den Hund gezähmt. (Und dieser den Menschen dressiert.) Er hat ihn domestiziert, aus ehemals reißenden Bestien sind Schoßhündchen geworden, deren gesamter Lebensinhalt auf die möglichst sofortige Triebbefriedigung ausgerichtet ist: Fressen, schlafen und öffentliche Anlagen mit Ausscheidungen verzieren. Und für den Fall, dass urzeitliche Reste des Jagdtriebs mit dem vierbeinigen Liebling durch gehen, gibt es die freie Natur und – Läufer. Hasi und Rehlein sind tabu, Läufer sind „Such, such, da is’ er, da!“ Die Feinspitze unter den Hunden haben längst erkannt, dass der Biss ins feinfaserige Muskelgewebe eines durchtrainierten Läufers schmackhafter ist als das Schnappen nach den feisten Waden Junkfood-gemästeter Rolltreppenfahrer. Wettrennen und Verfolgungsjagden zwischen Mensch (= panischer Zweibeiner) und Hund (= siegreicher Vierbeiner) laufen nach denkbar simplen Schemata ab.
Fall 1: Der Läufer zeigt seine Angst und beschleunigt unkontrolliert den Schritt. Folge: Er wird blau, der Hund holt ihn ein – und beißt ihn genüsslich ins Bein.
Fall 2: Der Läufer unternimmt einen Verhaberungsversuch samt wenig überzeugendem, weil zittrigem Streicheln: „Ja, lieb is’ er, so ein Braver!“ Folge: Der Hund beißt ihn erst in die Hand, dann ins Bein.
Fall 3: Der Läufer erstarrt wie ein Kastanienbaum. Folge: Der Hund identifiziert ihn als solchen – und hebt das Bein, um ihn zu markieren. Wer nicht markiert werden will und sich bewegt, der wird gebissen.
Kurzfassung
Ergo: Vierbeiner beißt Zweibeiner. Umgekehrte Fälle sind nicht dokumentiert. Die kinetische Energie des Zweibeiners reduziert sich nach der Arretierung des animalischen Kiefers im Humangewebe sprunghaft gegen Null. Anders ausgedrückt: Nichts läuft mehr – außer Blut! Je größer die Anzahl der Stiche, die im Anschluss an den Biss, nach chirurgischer Entfernung des Fremdkörpers Hund aus der Wunde, zur Schließung derselben erforderlich ist, desto heftiger fällt nach einem Comeback die Anerkennung in Läuferkreisen aus. Der erste Biss bedeutet die Initiation. Wer zweimal und öfter gebissen wurde, der gehört endgültig und unwiderruflich dazu. Nur wer jede Woche gebissen wird, dürfte selbst daran schuld sein und sollte sein Deo oder öfters die Wäsche wechseln. So es aber passiert ist, hilft nur positives Denken: Zwangspausen bewahren vor Übertraining, die Tetanusimpfung läuft niemals ab und zumindest der Laufsporthandel freut sich über zerrissene Tights und zerbissene Laufschuhe.
Die ultimative Lösung : Wechseln Sie die Fronten, legen Sie sich selbst einen Hund zu und lassen Sie ihn dort von der Leine, wo Sie früher selbst zu trainieren pflegten. Studieren Sie vor dem Spiegel ein freundliches, mit unschuldigem Augenaufschlag gesäuseltes „Er tut ja nichts, er spielt doch nur!“ ein und Hetz und wilde Jagd können losgehen. Läufer haben keine Schonzeit, Läufer haben immer Saison. Halali!
Dass der Mensch von Natur aus träge, ja sogar faul sei, ist schlichtweg Unsinn. Wahr ist vielmehr, dass gewisse sportliche Aktivitäten nicht als solche erkannt, anerkannt und gewürdigt werden.
Die Schlachten an den Weihnachts- und Silvesterbuffets sind geschlagen, rund und träge ragen die Bäuche in den Raum. Für die einen ein Bild mit meditativem Charakter, für die anderen, die, die’s ohnehin schon immer gewusst und gewarnt haben, Ausdruck von Verfall und Faulheit. Faul! Das ist ein Vor- und Anwurf, der den Adressaten zumeist schwer trifft, aber nur in den seltensten Fällen auch tatsächlich zutrifft. Denn besonders die Zahl jener Athleten nimmt ständig zu, die wochenends ebenso wie feiertäglich und feierabendlich (inter-)aktiv und exzessiv dem Breitensport Wohnzimmer-Triathlon frönen: Schauen, schlucken, schlafen.
Wohnzimmer-Triathleten gehen an ihre Trainings- und Wettkampfplanung professionell und penibel heran. Gewappnet mit der Inventarliste des übervollen Kühlschrankes sowie Fernsehprogramm und Fernbedienung überlassen sie nichts dem Zufall. Kissen und Decken vervollständigen die Ausrüstung. Da gewisse Genussmittel und Filme den Pulsschlag lebensgefährlich absenken, respektive erhöhen können, ist selbstredend auch der Pulsmesser ein Muss. Kalten Füßen - aufgrund langandauernder Extrembelastung des Kreislaufes die häufigste Nebenwirkung - beugt man mit Schafwollsocken vor. Hansaplast verhindert die Blasenbildung an den Fingerkuppen, Stützverbände schützen vor dem gefürchteten Chips- und Flaschenarm.
Wohnzimmer-Triathleten als Ultra-Tschecheranten, Channel-Surf-Süchtler oder Langstreckenschläfer zu verunglimpfen, zeugt von mangelnder sportlicher Einstellung und Kompetenz. Im Gegenteil, Wohnzimmer-Triathleten sind eine überaus angenehme Spezies von Sportlern.
Zu Winters Zeiten produzieren sie weder Staus an Schiliften noch Krater auf den Pisten wie die unzähligen Möchtegern-Amateurprofiweltcupsieger. Sie zertrampeln keine frischgespurten Loipen mit dilettantischen Skating-Schritten, Lawinen dienen sie nicht als Ausrede für deren Abgang. Sommers kleben sie sich keine Hundstrümmerl unter die Sohlen und tragen diese kilometerweit mit sich herum. Sie kollabieren nicht zu Dutzenden bei sogenannten Volksläufen. Ihretwegen sind keinerlei Straßensperren vonnöten. Wie alle Sportler greifen sie gerne nach den Sternen - besonders wenn diese, nur eine Armlänge entfernt, in der Hausbar vom Etikett einer Flasche funkeln. Und sie schätzen die Wohltat eines Platzes am Stockerl, wenn sie ihre Beine darauf hochlagern. Für sie macht es weiters keinen Unterschied, ob der Kater am nächsten Morgen in den Muskeln steckt oder im Kopf. Beides zeugt wertungsfrei von außergewöhnlichen Anstrengungen.
Wohnzimmer-Triathleten sind durch die (Fernseh-)Bank austrainierte Sportler, die ihrer Leidenschaft meist im Verborgenen frönen. Noch müssen sie auf Siegerehrungen, Warenpreisverlosungen und Medienrummel verzichten, denn bislang ist aus unverständlichen Gründen, insbesondere wenn man die Verbreitung dieser Sportart bedenkt, dem Wohnzimmer-Triathlon jegliche Anerkennung von offizieller Seite verwehrt geblieben. Eine Verbandsgründung wäre hoch von Nöten und an der Zeit. Allerdings hat man auch in Hawaii einmal klein angefangen und ist heute olympisch. Doch Hawaii hin, Olympia her: Der weltweite Siegeszug des Wohnzimmer-Triathlons hat begonnen.
Längst nützt eine eingeschworene Gemeinde die eigenen vier Wände sowohl zu Trainings- als auch zu Wettkampfzwecken, frei nach dem Motto My home is my Kastl/Kasten/Kissen, das auf die Objekte und Stätten ihres sportlichen Strebens gemünzt ist: den Fernseher, den Eiskasten und das Sofa.
Schlamm ist nicht schlimm; Schlamm ist auch nicht bloß Schmutz oder Gatsch. Schlamm ist heilsam, Gatsch macht schön. Und einmal im Jahr werden sogar die Staatsmeister im Gatschtreten gekürt. Der Name der Disziplin: Crosslauf.
Schlamm ist heilsam, Gatsch ist gut. Das wissen wir mittlerweile. Das weiß längst auch die Medizin, von diesem Wissen leben unzählige Kuranstalten und Schönheitssalons. Doch weshalb viel und gutes Geld für Moorbäder und Schlammpackungen hinblättern, wenn dasselbe Ergebnis ungleich günstiger und vor allem direkt vor der Haustür zu erzielen ist? Die Freiluftalternative zum Wannenschlammbad im Kurzentrum heißt - Crosslauf. Überall dort, wo das Schmelzwasser den Boden aufweicht, kann der ambitionierte Läufer durch den Schlamm schlittern, er kann bis zu den Waden im Gatsch waten, sich nach Lust und Laune längs hinlegen und wie ein Dragee-Keksi wieder aufstehen.
Doch nur wenige, das Schlagwort vom dreckigen Dutzend nimmt dort seinen Ursprung, wissen, dass man es mittels rascher Fortbewegung im schlüpfrig-rutschigen Element sogar zu Cupsieger- oder Staatsmeisterehren bringen kann. Sofern man die Fortbewegungsformel im Gatschtreten beherrscht: Zwei Schritt vor, ein Schritt zurück. Wer den Rückschritt am kürzesten halten kann, stolpert aufs Stockerl, wer vom Schritt nach vorn, dem Fortschritt also, nichts oder zu wenig versteht, landet im geschlagenen Feld.
Das Besondere am Crosslauf: Trotz unterschiedlicher Zeiten und Platzierungen sind nach dem Rennen alle Läufer gleich. Gleich dreckig nämlich. Crosslauf hat unverkennbare Ähnlichkeiten mit dem Staffellauf: Denn nicht nur Läufer, die sich zu viel zugemutet haben, werden durchgereicht, sondern auch der Gatsch als kleinster gemeinsamer, breiiger Nenner: Rasenstücke, Steine und Erde, mit Wasser vermengt, viel Wasser und verlorenem Schuhwerk.
Crossläufer sind erdverbundene Naturen. Der unter den Füßen festgeklumpte Lehm und die Schmutzspritzer in Ohrläppchenhöhe zeugen davon. Unerhört und unverschämt erscheint da das Verbot: „Mit dem Dreck kommst mir nicht ins Haus!“ Wer erinnert sich dabei nicht an mütterliche Aufschreie, an elterliche Strafpredigten, wenn man sich als Kind wieder einmal nach Herzenslust im selbst angerührten Sandkisten-Schlammbad gesuhlt hatte und zur Strafe mit Schimpfwörtern wie „Schmutzfink!“ oder „Schweinderl!“ sowie Zutrittsverbot zum Domizil belegt worden war.
Wo aber findet nun der solcherart ausgesperrte und von Obdachlosigkeit bedrohte Läufer während der Cross-Saison Unterschlupf? Bei Gleichgesinnten, wo die gesamte Familie aus eingefleischten Gatschhatschern, also Schmutzfinken und Schweinderln, besteht; oder zieht er ins Luxushotel, wo man die Schuhe abends vor die Tür stellt und morgens blitzblank wieder in Empfang nimmt, riskiert damit aber gleichzeitig den finanziellen Ruin? Bleibt eigentlich nur das Betreten der Wohnräume durch die Garage, nachdem man sich der Schmutzspuren per Hochdruckreiniger entledigt hat; in Ermangelung eines leistungsstarken Gerätes kann man natürlich auch mit der getrockneten und gehärteten Kruste gegen einen Laternenmast oder eine Wand laufen. Mehrfach, damit sich alle Schichten lösen. Im Optimalfall führt der Nachhauseweg durch eine Autowaschanlage.
Jüngste wissenschaftliche Forschungen haben ergeben: Der Sprung in den Gatsch ist auch aus biologischer Sicht unbedenklich. Sogar die Athleten sind langfristig zu 100% abbaubar. Das heißt: Der Crosslauf wird boomen. Bauern werden ihre Felder freiwillig zur Verfügung stellen und Schrebergärtner ihre Mistbeete, denn niemand pflügt und ackert so gründlich wie mit Spikes gerüstete Querfeldeinläufer, die das Land durchfurchen. Der Bauer oder Kleingärtner muss hinter den Athleten nur noch säen und eggen, später ernten.
Weil Wiederholung gerade im Sport nützt und gefällt: Gatsch ist gut. Und: Gatsch staubt nicht!
Der Anlass: Olympia zu Atlanta, 1996. Olympische Spiele sind ein zutiefst heidnisches Fest, überwiegend von Personen zelebriert, die sich spärlich bekleidet unter dem Deckmantel des Sports exhibitionieren. Deshalb wurde Olympia auch 393 nach Christus in dessen Namen verboten. Allerdings ohne das Vorliegen seiner expliziten Zustimmung! Erst 1896 gelang es einem gelangweilten Adeligen namens Pierre de Coubertin, das Olympische Feuer in den Herzen und Börsen der neuzeitlich Mächtigen und unter den Hintern hunderter Athleten wieder zu entzünden.
Das Niveau der Spiele ist seither kontinuierlich gestiegen, das finanzielle - analog zum olympischen Credo citius, altius, fortius - augenscheinlich schneller, höher und stärker als das sportliche. Kein Wunder, ist doch die menschliche Muskelkraft begrenzt, während ökonomische Skalen nach oben hin offen sind. Sei’s, wie’s ist: heidnisch eben. Aber Gott und dem Geld sei Dank nicht mehr zu verbieten. Der Sport braucht den Zaster, und umgekehrt leistet der Zaster alle vier Jahre seinen olympischen Eid auf den Sport, um das Werkel in Gang zu halten.
Wer anno 1896 in Athen noch zu Unsterblichkeit und Heldentum emporstieg, dürfte heute bestenfalls noch die Sprunggrube umgraben oder die umgefallenen Hürden und Läufer wieder aufstellen. Kontinuierliche internationale Vergleichsmöglichkeiten fehlten vor 100 Jahren, wer schnell wirkte, der war möglicherweise gar nicht schnell, sondern der einzig gerade greifbare Schnelle und wurde bei den Spielen von den Besseren schnell eines Besseren belehrt. Dass Schnelligkeit eine zutiefst relative Größe ist, demonstrieren zwei Siegerzeiten des Jahres 1896, die heute zum Repertoire jedes ambitionierten Durchschnitts-Österreichers zählen: Heimische Hausfrauen laufen 100 Meter in 12,00 Sekunden, wenn sie von einem Schlussverkauf mit bis zu 70% Preisnachlass erfahren. Marathon in 2:58:50 Stunden, bewältigt von einem Schafhirten, ist da schon etwas schwieriger. Weniger aufgrund der Zeit, aber es gibt kaum noch laufambitionierte Schafhirten in Österreich.
Respekt und Anerkennung gebührt jenen, die den Athleten eine Olympiateilnahme erst ermöglichen: den Funktionären. Sie leben am konsequentesten nach dem olympischen Motto „Dabeisein ist alles“. Sie, die stets Erst- und immer Fixqualifizierten, bürden sich selbst die schwerste aller Aufgaben auf, indem sie Limits festsetzen, hinter denen die Athleten dann herzuhetzen haben. Eine zutiefst unbedankte Gratwanderung. Denn legen sie die Latte zu hoch, geraten sie in den Verdacht, die Athleten runtermachen zu wollen. Außerdem stehen die Funktionäre in diesem Fall allein mit ihrem Hofstaat bei den Spielen. Was irgendwie blöd ausschaut, wenn sie dann von den Journalisten nach ihren Leistungen befragt werden und in einer fremden Sprache gehörig ins Stottern kommen. Oder lautstark schweigen. Lassen sie jedoch Gnade walten, so reist halb Amateur-Österreich auf Verbandskosten an. Als ginge es tatsächlich zum Spielen in einen Ferienclub oder fröhlich zum Karneval nach Rio. Funktionäre und Sportler sind dann in der Masse nicht zu unterscheiden und man blamiert sich kollektiv trotz chicer Mannschaftsdress vor Ort bis auf die Unterwäsche. Weil es irgendwie noch blöder ausschaut, wenn plötzlich jeder zuständig ist und auf der Suche nach seinen 15 Minuten Ruhm ein Interview geben will. Ultima Ratio für den leidgeprüften Funktionär: Er schnappt sich frisch vom Treppchen weg frech eine Goldmedaille, ungeachtet der Nation des dranhängenden Sportlers, und ehe sich dieser versieht, hat er einen österreichischen Pass. Und seinen Platz in der nationalen Medaillenbilanz. In bürokratischer Rekordzeit, ohne Schubhaft und Abschiebegarantie.
Ein renommiertes Meinungsforschungsinstitut versuchte kürzlich bei Herrn und Frau Österreicher die Einschätzung der österreichischen Medaillenchancen zu erkunden. Das Ergebnis: Herr Österreicher hat dazu derzeit keine Meinung, da ihm seine Augen noch von den Übertragungen der Fußball-EM und vom Tennis aus Wimbledon wehtun. Und außerdem: Ist Atlantis nicht vor kurzem untergegangen? Frau Österreicher ist der Ansicht, die Athleten sollten lieber zu Hause bleiben, denn 1000 Jahre Ostarrichi wäre ungefähr zehnmal so viel wie 100 Jahre Olympia; außerdem hätten wir da historisch jene 9.96 urkundlich bestätigt, denen wir sportlich ein weiteres Millionium erfolglos hinterherlaufen müssten. Zusatzfrage der Forscher: Droht unseren Teilnehmern in Atlanta ein olympisches Färöer? Antwort, unisono: Niemand weiß, wo Färöer liegt!
Sie zählen zu einer aussterbenden Spezies: Renn-Tiere. Mit immer ausgefeilteren Methoden und Gerätschaften rücken ihnen Trainer, Techniker, Prognostiker und Wissenschaftler zu Leibe und schränken sie damit sukzessive in ihrem natürlichen und gewohnten Lauf- und Lebensstil ein. Unser Appell: Rettet die rotgesichtigen, schnaufenden Renn-Tiere, lasst sie laufen, wie es ihnen entspricht! Ungezähmt, unkontrolliert, wild drauflos!
Wissenschaft und Zivilisation sind die Feinde aller wildlebenden Wesen. Alles wird erforscht, katalogisiert, in die rechten Bahnen gelenkt. Doch auch der gezähmte Körper will noch gefordert, Fleisch und Fett wollen gepeinigt sein. Selbst wenn die - besonders Sommers - zahl- und wahllos unbedeckt in der Gegend herumliegenden und -schlurfenden Schwabbelbäuche das Gegenteil zu suggerieren versuchen. (Nivellierung als besonders hinterhältige Finte der Zivilisation.) Doch Faulheit stinkt: nach Sonnenöl und verschüttetem Bier. Sie schändet und verschandelt die menschliche Anatomie. Gestählt wird letztere ausschließlich im ungestümen Training: durch laufend hervorgerufene Qualen und aktiv selbstzugefügten Schmerz. Erst deren regelmäßige Wiederholung und verächtliche Überwindung adeln den Athleten und befriedigen, ja stärken die Wildheit des Renn-Tieres in ihm.
Niemand weiß das besser als das Renn-Tier selbst. Doch wozu sollte es sich darüber hinaus noch als Versuchskaninchen für Scharlatane wie Mediziner, Physiotherapeuten, Leistungsdiagnostiker und Ernährungsexperten hergeben? Schnickschnack, vertane Zeit! Wahre, vollblütige Renn-Tiere sind Praktiker und Puristen, die, während all die Theoretiker noch in ihren Tabellen und Testreihen kramen, bereits längst die ersten Trainingseinheiten hinter sich gebracht haben. Dabei lässt sich ihre Methodik auf einen simplen Nenner bringen: Ein Renn-Tier läuft, was das Zeug hält. Hält das Zeug, ist’s o.k.; hält das Zeug nicht, na dann spürt man’s eh. Wozu braucht man da eines jener Armbanduhr-High-Tech-Dinger am Handgelenk, das lospiepst wie ein Feuermelder, sobald man einmal ordentlich die Sohlen rauchen lässt? Unnütz! Wie das Tachometer am Auto. (Zugegeben, klettern bei beiden die Werte über 230, so ist das Zuschauen schon einigermaßen spannend.) Wozu sich das Ohr zum blutigen Aderlass zerstechen lassen, wenn man bereits Ohrring oder Flinserl hat? Damit man sich später den Kopf über einer Unmenge von Papier, Zahlen und Tabellen zerbrechen muss. Und sich von den blutsaugenden Besserwissern etwaige Fehler in Training oder Wettkampf vorhalten lassen. Unsinn! Das einzige, was Renn-Tier lesen und unterscheiden können müssen, sind die Zahlen auf dem Siegertreppchen. Und sagen lassen sie sich sowieso nichts. Spürt man ohnehin alles. Denn: Was sie nicht umbringt, war nicht hart genug.
Renn-Tiere sind wilde, ungezähmte Naturen, selten am Limit, meist darüber, bewusst eigensinnig und unvernünftig. Denn Eigensinn und Unvernunft gestalten das läuferische Renn-Tier(er)leben erst so richtig spannend. Alles ist dem Zufall überlassen: Fällt mir der Sieg zu, lasse ich mich zurückfallen, oder fall’ ich am Ende doch wieder um? Nichts ist bis ins letzte Detail durchgecheckt, die Natur hat ihre Freude und hin und wieder fordert sie auch ihren Tribut. Dann nämlich, wenn dem Renn-Tier alles zum Hals raushängt, die Zunge ebenso wie die letzte Mahlzeit. Was übrigens auch von Sprintern wiederholt überliefert wurde und darauf hindeutet, dass ihre Domestizierung doch nicht zur Gänze gelungen ist. Klotzen bis zum Kleckern. Renn-Tiere brauchen das. Dass der Körper wieder abgibt, was er offensichtlich nicht braucht. Dass die Augen aus ihren Höhlen treten, wenn der Druck im puterrot gefärbten Kopf zu stark wird. Dass lautstarkes Japsen, Schmerzen und Krämpfe anzeigen, dass noch alles funktioniert. Wie beim Auto: Solange es noch rumpelt, kracht und knackt, deutet alles auf Bewegung hin. Wozu sich also Gedanken oder gar Sorgen machen? Und das beste Indiz für vollbrachte Leistungen ist nach wie vor ein tierischer Muskelkater, der solange bleibt, wie er ausreichend Milchsäure vorfindet. Und weil Renn-Tiere zügellos in ihrem Vorwärtsdrang sind, ist der Kater gern gespürter Dauergast. Letzten Endes sind Renn-Tiere flotte Hirschen, allerdings beim Wett-Hirschen öfters flott am Ende. Daher freuen sie sich ganz besonders, wenn das Ende, die Deadline, dann und wann ident ist mit der Ziellinie.
So manchen Stern muss man reißen, um selbst einer zu werden. Von Haus aus ein Naturtalent, vom Temperament - Selbstüberschätzung gepaart mit grenzenlosem Wagemut: Ein narrischer Kombinierer, habe ich mich aufgemacht, im Langlauf Geschichte zu schreiben. Doch es kann der Motivierteste nicht in Frieden laufen, wenn...
Meine ganze Liebe gilt gänzlich dem Laufen. Leider ist diese Liebe mit der Zeit und durch schlechte Zeiten etwas erkaltet. Ein klein wenig schal geworden ist sie, so wie ein frisch angerührtes Müsli, wenn es ein paar Tage auf dem Fensterbrett oder in der Abwasch stehengelassen wurde. Dabei laufe ich wirklich gerne, lange Strecken laufe ich besonders gerne, und noch gerner laufe ich lieber noch längere Strecken. Und so habe ich nach langwieriger Suche eine neue, artverwandte Leidenschaft entdeckt: das Langlaufen. Seit kurzem pflüge und skate ich auf schmalen Brettln über und durch die heimischen Loipen und drücke ihnen meinen Stempel auf. Rückblickend auf die eigenen Spuren im Schnee entziffere ich das hochkomplizierte Alphabet des Langlaufs. Punkt-Strich-Punkt bedeutet, dass auf jeden Sturz eine mehr oder minder lange Phase der Sturzfreiheit folgt. Die Grundregeln beherrschend, geht es an den Feinschliff. Denn Koasa und Wasa und Dolomiten und Tauern, alle locken sie und rufen nach einer neuen Schneekanone, nach mir. Ergo: Auf zur Trainingswoche in eines der zahllosen hoch herumliegenden Gebirgstäler mit noch viel zahlloser in der Landschaft herumliegenden Loipen. Doch leider hatte ich nicht mit den Prügeln gerechnet, die dort zeitenweise ganz schön tief zwischen des Spitzenläufers flinke Beine fliegen. Auszüge aus meinem Langlauf-Tagebuch:
Tag:
Angekommen. Hatte unter dem Namen Dählie, Vorname: Björn, gebucht. Kleiner Scherz zum Einstand. Die Trachtenmusikkapelle verweigerte den Aufmarsch für das Willkommensständchen, der Bürgermeister die Grußworte. Fand ich stark überzogen. Ziemlich humorlose Mimosen, die Eingeborenen. Muss schnell in Form kommen. Haben gesagt, sie wollen, sie werden mich kriegen.
Tag:
Wanderkarte gekauft. Wollte - zum An- und Eingewöhnen, zur Orientierung - ein wenig durch die verschneite Provinz wild- und weitwandern. Wild war es, bloß weit gekommen bin ich nicht. In tiefes Schneeloch gefallen; Schneeloch ist örtliche Kläranlage. Haben allesamt keinen Plan von maßstäblich exaktem Planzeichnen. Verstehe nun, warum jeder Gebirgler Liftwart ist. Habe mich beschwert! Haben gedroht, mich wieder ins Schneeloch zu stecken.
Tag:
Anarchie total auf der Loipe; wurde von einheimischem Fußgänger mit Gamsbart rechts überholt und aus der Spur, der Kurve und dem Rhythmus gedrängt. Folgenschwere Folge: Habe unberührte Natur berührt.
„Flurschaden“
, sagte der Gamsbärtige und verlangte Geld sowie die Herausgabe meiner Langlaufski. Habe verweigert, fand mich in arbeitsteiligem Biathlon wieder: Ich lief vor ihm weg. Er schoss hinter mir her. Hundsmiserabler Schütze. Sollte an seiner Trefferquote arbeiten, ich an meiner Kurventechnik.
Tag:
Erneut Orientierungsprobleme. Suchte die
Abenteuer-Loipe
, geriet in Lawinenhang. Das losgetretene Schneebrett verschüttete mich, und zusammen verschütteten wir den Talausgang und den einzigen Schneepflug. Hatte die Ehre, die Herren von der heimischen Bergrettung kennenzulernen. Urige Typen, schlampige Bergung. Rettungsseil wurde nicht fachgerecht angelegt, hatte unter extremer Atemknappheit und starken Halsschmerzen zu leiden. Gehört sich so, sagten sie. Traue ihnen nicht. Retter waren schwach auf der Brust, wollten sich im Wirtshaus laben. Musste, im Akja festgeschnallt, draußen warten. Schlechtes Wirtshaus, schleichende Bedienung, musste sehr lange warten.
Tag:
Offene Anfeindungen nehmen zu.
„Loipenverbot!“
sagte der Fremdenverkehrsobmann.
„Jawoll!“
, assistierte der Gemeindegendarm. Spitzensportlerschicksal. Behindern meine Karriere, sind mit dem Traktor über meine Langlaufski gefahren. Mehrmals, vor und zurück.
„Gemeinheit“
, sagte ich.
„Getriebeprobleme“
, meinten sie. Habe ersatzhalber wieder meine Laufschuhe ausgepackt.
Tag:
Diebe! Räuber! Meine Schuhbänder sind weg, die Thermo-Unterwäsche auch. Niemand hat jemand anderen oder nichts gesehen, keiner will‘s gewesen sein. Habe genug, reise ab. Die Trachtenmusikkapelle spielt.
Nichtsdestotrotz: Langlaufen macht unheimlichen Spaß. Mir zumindest. Ich habe eine neue Liebe gefunden. Und ich lasse nicht nach und schon gar nicht locker. Auch wenn diese die Inbrunst meines Sehnens und Bemühens noch nicht so recht erwidert, und ich in den Weiten der Loipenlandschaft manchmal doch recht einsam und – verirrt - verloren bin. Aller Anfang ist nun mal schwer wie nasser Neuschnee, und auch der Anfeindungen sind viele. Doch wer ein großer Langläufer werden will, der muss auch mit ein bisschen Einsamkeit fertig werden. Muss er. Müsste er. Gott, bin ich einsam...
Der Konfuse steht eine Woche vor der Veranstaltung pünktlich zur angegebenen Zeit am Start, hängt enttäuscht über die mangelhaften Verkehrssperren sowie die geringe Teilnehmerzahl die Spikes an den Nagel, ersteht ein Mountainbike und meldet sich zur Österreichradrundfahrt an.
Der Gemütliche lernt bei der Kaiserschmarrn-Party jede Menge netter Leute kennen, verplaudert sich ein wenig und bleibt bis zur Siegerehrung beim Rathauspersonal hängen.
Der Pessimist verlässt als letzter den Startraum, um der Schmach des Überholtwerdens zu entgehen, läuft gänzlich unmotiviert bis zur nächstgelegenen U-Bahn-Station und fährt nach Hause.
Der Optimist wankt nach 500 Metern, auf Weltrekordkurs liegend, mit zitternden Knien und rasselnder Lunge von der Strecke, schiebt die Schuld auf den Umstand, dass er allein die gesamte Führungsarbeit leisten musste und beschließt, für den nächsten Marathon mindestens zwei Wochen zu trainieren und es endgültig allen zu zeigen.
Der Simulant gewinnt durch einen Zwischenspurt 100 Meter Abstand zur Spitzengruppe, erleidet in Führung liegend eine sehenswerte Herzattacke, präsentiert sich wenige Tage später spontangeheilt und pumperlgsund in einschlägigen Talk-Shows und reklamiert den Siegerscheck für sich.
Der Profi hat 5.000 Trainingskilometer in den Beinen, spürt diese bei Kilometer 10 und gibt auf.
Der Neuling verirrt sich zur Hälfte der Strecke und kehrt nach drei Tagen halbverhungert und erschöpft mit dem Taxi an den Start zurück. (Passiert ausschließlich Männern. Denn Mann fragt nicht nach dem Weg. Mann kennt ihn.)
Der Sonntagsläufer trägt Wollsocken, Daunenjacke und eine Pudelmütze, verwechselt rechte und linke Wienzeile, wird in der Folge als Geisterläufer überrannt und später disqualifiziert.
Der Aufreißer sucht die Nähe einer hübschen Läuferin, erzählt ihr unterwegs von seinen sportlichen Erfolgen und Vermögensverhältnissen, bringt ihr den richtigen Laufstil bei und erreicht eine Stunde nach ihr das Ziel.
Der Ungustiöse trägt ordentlich vorgeschwitzte Wäsche am vorgeschwitzten Körper, hat insgesamt seine Körperfunktionen nur sehr schlecht im Zaum und ist am ausreichend vorhandenen Abstand zu seinen Konkurrenten identifizierbar.
Der Glücklose besteigt nach halber Strecke die U-Bahn, um ein Stück des viel zu langen Weges abzukürzen, steigt mehrfach falsch um und wird in Startnähe ohne gültigen Fahrschein aus dem Zug geholt.
Der Nörgler kommt eine halbe Stunde zu spät zum Start, beschwert sich beim Veranstalter, dass nicht gewartet wurde, bewältigt zeternd die Strecke in sieben Stunden und beschimpft die Arbeiter, die das Ziel abgebaut haben.
Der Zufallssieger läuft unschlüssig und unauffällig in der Spitzengruppe mit, ehe er bei Kilometer 42 entscheidet, Führungsarbeit zu leisten und so ungewollt als erster die Ziellinie passiert. Er entschuldigt sich wiederholt beim Veranstalter, dem Nächstplazierten sowie den Zuschauern und verspricht, seine Taktik zu ändern.
Der Schnorrer wandert mit einem großen Rucksack und Kanister von einer Verpflegungsstation zur nächsten und wartet - im Ziel angelangt - auf das Ende der Veranstaltung, um die Reste einzupacken.
Gebrauchsanweisung: Diese Typologie versteht sich, wenngleich in maskuliner Form abgefasst, geschlechtsneutral. Zwingende Ausnahme: Neuling und Aufreißer. Bei folgenschwerem Wiedererkennungstrauma wenden Sie sich vertrauensvoll an den Rennarzt, die Telefonseelsorge oder Ihren Apotheker.
„Du, Johnny“, hatte schon seine Mutter dereinst zu ihm gesagt, „brauchst kein Pferd. Du, Johnny, wirst laufen! Flinker als dein Schatten, schneller als der Wind! In ledernen Strümpfen wirst du Wüsten durchschreiten, die Rockies überqueren und mit Kojoten, Eilbriefen und Gewehrkugeln um die Wette laufen. Und dies noch, Sohn: Hüte dich vor dem Lusthaus.“ Gute alte Mum!
Ein Windstoß fegte durch den Canyon und kräuselte die trüben Wellen des Rio Vienna, der als dünnes Rinnsal gemächlich stadteinwärts floss. An seinen Ufern schossen langmähnige Graujacken vom Stamm der Vokuhilas freihändig silberne Pfeile hin und her. Aus der Ferne hallte der gequälte Schrei eines zum Äußerln gezwungenen Dackels. Johnny kniff die Augen zusammen und lächelte mitleidig. Sein Blick flog in die Runde und traf auf verschlagene Narbengesichter mit Nasen wie Schürhaken, so krumm. Auf ihren kantigen, eingefallenen Wangen wucherte stoppeliges Gestrüpp. Gringos! Glorreiche Halunken! Wilde, verwegene Männer, jeder einzelne ein erfahrener und gefürchteter Kilometerkiller. So mancher trickreich und heimtückisch als Mannweib verkleidet. Bereit, für eine Handvoll Dollar durch die Hölle eines Sommerschlussverkaufes zu preschen.
Unschlüssig und unheilvoll brannte die mexikanische Sonne auf das fremdländische Kaff. Sie hasste es, ihren Job auch außerhalb Mexikos erledigen zu müssen. Und sie verabscheute zutiefst die erhöhte Konzentration von Testosteron und den Glanz von Ganzkörperschweiß.
Am Horizont kreisten gurrend Galgenvögel. Plötzlich blitzte eine Waffe. Eine Blonde hielt sie mit beiden Händen. Johnny zuckte zusammen. Sein Blut gefror zur Konserve, das Herz schlug ihm bis in den Oberschenkelhals. Er traute der Blonden nicht. Man munkelte, dass sie zu Red Mike’s Leuten gehörte, der anno ’97 in der Stadt zusammen mit einer Handvoll Schwarzer das Regiment führte.
Da hatte sie auch schon abgedrückt. Dumpf bellte der Lauf, das Echo des Schusses wetterte durch den Canyon, wurde vom Winde verweht und sämtliche Glieder sämtlicher Männer erbebten. In wilder Stampede, wie Bullen in Panik vor der schwachsichtigen Magd und ihren kalten Händen, setzte sich die Masse in Bewegung. Dumpf brodelnder, männlicher Hufschlag ließ die mit Teer festgestampfte Erde erzittern. Westwärts, in Richtung Stadtgrenze, rapid hinaus in die Hütteldorf Highlands führte der Kriegspfad den galoppierenden Troß. Johnny blieb keine Zeit nachzuprüfen, ob die Blonde getroffen hatte. Er selbst war unversehrt.
Staub wirbelte auf und verdunkelte die Sonne. „Verdammt, verflucht und Halleluja“, dachte diese auf mexikanisch und stieß einen ebensolchen Fluch aus. „Kusch!“ antwortete die krächzende Stimme eines knorrigen Einheimischen, der neben Johnny lief. Johnny vermied es, ihn anzusehen. Es mochte ein Wappler sein, und Wappler waren unberechenbar, gefährlich und gemein. Johnny kannte diese Sorte Mann aus den unzähligen Absteigen, in denen er bisher untergekrochen war. Besser, man gehorchte den sonoren Anordnungen von Housemaster’s Voice, man haute sich über die Häuser und suchte sein Heil in den Weiten der Prärie.
Johnny lief, wie es ihm seine Mum gesagt hatte: Flinker als sein Schatten, schneller als der Wind, Meile um Meile, ohne sich umzublicken. Nur hin und wieder kratzten ihn seine Lederstrümpfe ein wenig. Im engen Vienna Valley drehten sich Wind und Weg und der Kriegspfad wies wieder gen Osten, wo die Stadt und der johlende Mob warteten. Am Straßenrand standen nutzlos die bleichen Gerippe blecherner Planwagen.
Johnny lief durch Betonschluchten, überquerte Brücken und Eisenbahnschienen, widerstand den berüchtigten Burenhautbuden und prügelte sich stattdessen an den Wasserstellen mit maskierten Headhuntern in beschlagenen, bei jedem Schritt höllisch hallenden Stiefeln und Kojoten um einen Schluck Wasser und ausdörrende Früchte. Die Sonne brannte immer noch mörderisch-mexikanisch auf seinem Skalp. Seine krummen Beine und die Kraft drohten ihn zu verlassen. Doch Johnny gab sich gnadenlos die Sporen.
Am späten Vormittag erreichte er Prater County, südöstlicher Sonntags-Auslauf der biederen Bürger von Vienna. Am Ende, nahe der Cry-Au-Koppel, lag, idyllisch wie ein rosa Plüschsofa, breit und verführerisch wie ein Pferdehintern, das berüchtigte Lusthaus, vor dem ihn seine Mum so oft gewarnt hatte. Im Schatten des vorspringenden Freudenhausdaches saßen lustlos dickbäuchige Halunken, schütteten Bier in sich hinein und rülpsten grölend schmutzige Zoten aus sich heraus. Wer hier stehenblieb, der war verloren, ein Fressen für die Geier. Johnny hielt sich an den Rat seiner Mum, er wendete und lief davon. Mount Earth, eine hügelige Gegend, wo der Wind seine staubigen Melodien weithin hörbar durch die alten Häuser pfiff und ein Mann sehr rasch in Gefangenschaft geraten konnte wie dereinst Rick Lionel Heart, setzte ihm noch einmal gehörig zu, ehe er die Zügel schießen ließ und dem finalen Countdown am Vorplatz der City Hall zustrebte.
Da rückte plötzlich ein Wappler auf, um den Anschluss nicht zu verlieren. „Hombre, ich werde dich hängen lassen!“ zischte er Johnny zu. Seite an Seite bogen sie in die letzte Gerade ein. Die Menge johlte, Johnny rang um Luft. Er war flinker als sein Schatten, schneller als der Wind. Aber im Duell gegen einen Wappler bestehen? „Was nun?“, fragte er sich. „High noon!“, murmelte die Sonne Mexikos und deutete auf ihre Uhr. Johnny fröstelte. Nahe St. Steven’s schlug eine Glocke an. Wie Revuegirls zogen die berührenden letzten Worte eines sterbenden Indianerhäuptlings an Johnny‘s Luchsohren und seinem geistigen Adlerauge vorüber: „Winnetou hört Kirchenglocken.“
Sollte Johnny‘s Trail hier enden? Für immer? Schlapper als sein Schatten, verstummt im ewigen Wind? Erledigt von einem Wappler? Der Wappler ballte die Fäuste, in der Tasche seiner speckigen Shorts sprang scharf das Bowiemesser auf. Da ereilte ihn, gleich dem heftigen Tritt eines räudigen Maultiers, ein fürchterlicher Wadenkrampf und Johnny gewann das Duell um Brusthaaresbreite. Ganz wie es der listig im Hinterhalt lauernde Leser von einer Legende erwartet.
Ende
Vorfreudige Erregtheit, den Körper durchzieht ein Zittern, bedingungslose Hingabe, Keuchen und Stöhnen, gekonntes Zusammenspiel der Schenkel, Euphorie und Ekstase bis zur Ohnmacht, totale Erschöpfung und das lustvolle Wiederauftauchen daraus, dann die kritische Selbstprüfung: „Wie war ich, war es gut?“ Zweifellos: Laufen ist super. Sex auch.
Laufen schrumpft den Speck und hebt den Po, auftretende Fliehkräfte straffen die Haut, steter Schritt stärkt und stählt die Muskeln und selbst die hartnäckigste Cellulite verschwindet bei regelmäßiger Bewegung. Laufen macht sichtbar sexy. Und die spärlichen Stoffteilchen, die die Laufsportindustrie als Dress verkauft, tragen unsichtbar das Ihre dazu bei. Es steigert spürbar die Lebensfreude. Und die Libido. Die höchste Stufe libidinöser Entladung, quasi paradiesische Urständ’, verkörpern die Flitzer, die allen textilen Ballast abwerfend, kindlich-hemmungslos der nackten Lust am Laufen frönen, bis sie abrupt und gewaltsam gestoppt werden. Zumeist von züchtig uniformierten Organen, denen Freikörper(un)kultur dieser Art - Flitzers Fritz flitzt fix in aller Frische - das krasse Gegenteil von Lust bereitet, nämlich Anstrengung und Arbeit. Flitzer verstoßen durch ihre anstößigen Auftritte gegen jegliche Zucht und Ordnung, jedem anständigen Bürger treiben sie die Schamesröte ins Gesäß. Mit starrem Blick suchen diese das Ärgernis zu bannen, doch vergeblich, der Flitzer gehorcht seinem Trieb und flitzt weiter. Zukunft hat das Flitzen nicht, denn weder wird dieser Sport jemals olympisch werden, noch kann er mit Unterstützung seitens der Bundessportorganisation oder der Heeressport- und Nahkampfschule rechnen. Hüllenlos auf Helgoland, e.V. ist als Lobbyist zu schwach.
Wohin also mit der laufend angesammelten Lust, die hartnäckig ihr Recht auf Abfuhr einfordert?
Alternative 1, die brutale: Man läuft am Stück so lange weiter, bis man nicht mehr kann und somit sich und die Sache in einem erledigt hat.
Alternative 2, die künstlerisch-sublimierende: Man verströmt die angesammelten Energien in Melodien und Versen à la Hansi Hinterseer: „Erst lauf i rum, dann steh i do und hob a Riesen-Libido.“ Refrain: „Du hast mich heut’ noch nicht geküsst!“
Alternative 3, die altbewährte kalte Dusche: Je stärker die Leibeslust, desto kälter der Wasserstrahl. Mit einer schneidigen Lungenentzündung verfliegt selbst der letzte Funke lüsterner Hitze.
Alternative 4, der reife und auch in der Sportartikelwerbung vielfach propagierte Weg: Just do it! Man gibt nach, lässt sich gehen, gibt sich her und gibt sich hin. Der läuferisch wie sexuell versierte Athlet ist kein simpler Heinzi-hupf-in-die-Hapfen, er praktiziert Sex nicht in Form des altbekannten Wettlaufs zwischen Hase und Igel: Egal, was der eine auch unternimmt, der andere kommt stets vor ihm. Er täuscht auch nicht Schwäche vor und überrumpelt dann mit einem starken Finish.
Ein verschämter Schlüssellochblick in das Schlafgemach verrät den erfahrenen Er-und-Sie-Läufer. Denn auf dem Nachtkastl finden sich: Pulsmesser mit Erregungsquotientencheck, Hirschtalg, Vitamintabletten, Ginseng oder eine Krenwurzen, reizende und funktionelle Wäschestücke nach Vorliebe aus Gummi, Lack, Leder, Goretex oder Neopren sowie als unerlässliche Lektüre: Trainingstagebuch und das Kamasutra, dreibändig für Anfänger, Fortgeschrittene und Könner. Wer es gerne exotisch oder in der Gruppe hat, widmet sich zusätzlich den fünf Tibetern. Herrscht wider Erwarten einmal tote (Lauf-)Hose, so holt er sich stimulierende Anregung bei intensivem Studium der Entwicklungen in der Laufmode anno 1888 bis heute. Einen quicken Sprint meistert er einerseits ebenso flott, wie er anderntags voll Masochismus einem Marathonprogramm frönt, (Des-)Orientierungsläufe - „Will man noch? Soll man noch wollen? Wenn ja, warum und vor allem wie oft? Und was spielt es eigentlich im TV?“ - bremsen ihn genauso wenig wie die Hürden eines unrhythmischen, zwischengeschlechtlichen Hindernislaufes: „Ja?“ - „Nein!“ - „Nein?“ - „Ja!“ - „Also doch Ja?“ - „Nein!“ Kurz: Das gesamte läuferische Repertoire hilft ihm libidinös auf die Sprünge.
Der leidlich lustorientierte Läufer hingegen nimmt es pragmatisch. Niemals wird ihm Sex das Laufen ersetzen, da soll’s schon lieber umgekehrt sein: Vorspiel in Form eines leicht verklemmten Dauerlaufes; seine Höhepunkte erlebt er am Busen der Natur, am höchsten Punkt des Berglaufes, wenn er das Ziel erreicht; Auslaufen und Stretching sowie Selbstmassage als kokett-spielerische, zärtliche Nachbereitung. Und hinterher gibt es zur Belohnung anstatt einer Zigarette Wollsocken, Tee und einen Müsliriegel. Gelegentliche Exzesse wie ein Quickie in der strengen (Kraft-)Kammer sowie der Austausch von Körperflüssigkeiten in der überbelegten Sauna sorgen für verschämt genossenes Wohlbefinden. Aber das behält er lieber für sich...
Warnung des Sportministers: „Sex während eines Wettkampfes kann Ihre sportliche Leistung gefährden.“
Kein blöder Blondinenwitz, sondern Tatsache und Schwerstarbeit: Wenn eine Hellhaarige, frisch aus dem Solarium, frei aus dem Kopf beliebige Startnummern nennen muss, damit ihr väterlicher Veranstalterfreund Sachpreise aushändigen kann. Doch letztlich ist der Modus egal. Hauptsache, es gibt Handfestes mitzunehmen. Ein Lobpreis auf den Lospreis.
Fürwahr, eine nette Geste des Veranstalters, wenn nach gelungener Durchführung eines Laufes die Sieger angemessen honoriert, sprich: in Wein, Schokolade, Kernöl oder Erdäpfel aufgewogen, den Weg vom Podest zurück in die Niederungen des gewöhnlichen Fußvolkes angetreten haben und in weiterer Folge auch den Platzläufern die Chance eingeräumt wird, abzuräumen. Warenpreisverlosung nennt sich dieses Unterfangen und die ungebrochene, unausgesprochene Hoffnung, dass zwar das Rennen, nicht jedoch der angebrochene Tag samt dazugehörigem Warenpreis verloren sein möge, lässt viele von den hinteren Rängen bis zum dicken und bereichernden Ende ausharren. Der Gedanke, weiterhin auf der (Verlierer-)Strecke zu bleiben, auch diesmal nicht das große Los zu ziehen und letztlich als Letzter nicht bloß mit müden Beinen, sondern zusätzlich mit leeren Händen loszuziehen, wird weggesteckt wie zuvor die Krise vom Start bis ins Ziel.
GROSSE Warenpreisverlosung, so steht es in der Ausschreibung. Ein würdiger und vor allem lohnender Abschluss der Plackerei, versuchten da nicht spitzfindige Organisatoren, das für sie höchstpersönlich Nützliche mit dem für die Läufer vermeintlich Angenehmen zu verbinden: die kostengünstige Entsorgung unsortierter Ladenhüter aus diversen Schuh-, Sport-, Bekleidungs- und Elektrogeschäften sowie von Werbepräsenten und ausrangierten Laufutensilien aus privater Hand, von privatem Kopf, Fuß, Oberkörper oder Hintern. Geschickt platziert zwischen durchaus attraktiven und wertvollen Lospreisen, der Begriff dafür, manch’ Mann erinnert sich an die beste Zeit seines Lebens, das Militär, lautet: Tarnen und Täuschen. In ausgeklügeltem Wechselspiel vergeben bzw. entsorgt finden sich:
Laufschuhe samt eingelegter orthopädischer Laufhilfe, wenig gebraucht. Alles ist relativ, der frühere Besitzer Ultraläufer.
Ein Haarfön, für die Form danach, stufenlos regulierbar. Weil keine der Stufen funktioniert.
Sonder- und Restposten an Trainingsanzügen. Grau aus ebensolcher Vorzeit, als die Menschen aufrecht laufen lernten. Die/der mittels Aufschrift und Logo bezeichnete Sippe/Clan/Verein dürfte, zu langsam für Angriffe von Mammut und Säbelzahntiger, vorzeitig ausgestorben sein.
Spikes. Ein Prototyp, d.h. mit überdimensionierten Stahlstiften genagelte Schuhe, Größe 37 und vom
Turnschuhüberprüfungsverein - TÜV
für den traktorlosen Ackerbau zugelassen. Bei entsprechender Lagerung wird der museale Wert eines Tages ins Unermessliche steigen. Das spontane, lächelnde Mitgefühl des Veranstalters für den „glücklichen“ Gewinner, geschätzte Schuhgröße 43:
„Sie werden schon noch hineinwachsen!“
Massenweise Müsliriegel sowie Isotonisches im Sechserpack. Ablaufdatum überschritten, Ware in Ordnung.
Weltspartagreste dreier Regionalbanken aus den letzten zehn Jahren: Schraubenzieher, Kugelschreiber, Kugelschreiberschraubenzieher
Ein Paar Jeans, als unumstrittener Höhepunkt. Oversized und zeitlos unmodern, Marke Hauszelt; nicht inbegriffen sind die Stangen zum Aufstellen. Kann man aber sicher bei einer anderen Verlosung andernorts abstauben.
Lospreise können nur an Anwesende ausgehändigt werden. So steht es in der Ausschreibung, und so mancher übt sich vorsichtshalber und mit eingezogenem Kopf lautlos in Nicht-Anwesenheit. Mit dem nötigen Glück geht der Preis, die Peinlichkeit, der Problemstoff, vorüber. Krampfhaft festgeklemmt unter dem Arm des neuen Besitzers, der - gerührt, hochrotkopfert - unter den gegebenen widrigen Umständen die vollste und aufrichtigste Anteilnahme der Umstehenden genießt: „Wer kein Glück hat, der hat auch noch Pech!“ Unentschieden ist die Situation, verfahren die Lage: Man möchte eigentlich schon, bloß nicht dies und auch nicht jenes, zwischendurch fällt sogar das Wort „Ramsch“, und dann - das Unvermeidliche: Man hat gewonnen! Die eigene Startnummer wurde gezogen, nein, auswendig ausgerufen aus dem inwendigen Hirn der Hellhaarigen, aufgerufen vom Sprecher. Ein T-Shirt. Unisex und grau in grau. Erster Eindruck: Zatopek-Look, Nurmi-Fashion.
Eine Woche später, man fasst sich ein Herz sowie den Gewinn und liest nach am Etikett: Size L, 100% Cotton, extra fine combed Jersey. Nach Konsultation des Wörterbuches steht unverrückbar fest: Die Nummer des Misttelefons ist nicht vonnöten, Asbest-Entwarnung, Schutzhandschuhe ausziehen, Schutzbrille absetzen. Hurra, gewonnen! Etwas Tragbares! Zugegeben, kein Mobiltelefon, aber immerhin nicht das 79. lila Leuchtstirnband, auch kein Fußpuder oder eine Gummiente für die Badewanne.
Tipp: Sollten Sie nach vielen Jahren in der Szene eines Tages den Spaß am Laufen und an den alle ergötzenden Warenpreisverlosungen verlieren bzw. die diversen Gewinne und ausgemusterten Laufutensilien zwischenzeitlich das Fassungsvermögen ihrer Wohnung übersteigen, so organisieren Sie einen Lauf durch Ihr Stiegenhaus mit Zwischenverlosungsziel Dachboden. Danach ab in den Keller zur abschließenden Siegerehrung samt Warenpreisverlosung. Einer GROSSEN, versteht sich. Es soll schließlich für alle reichen!
„Gemäß § 1 des Wiener Verwaltungsabgabengesetzes 1985, LGBl. Nr. 49/84, in Verbindung mit Ziffer 42 lit.a des Tarifes I zur Verordnung der Wiener Landesregierung, ausgegeben am 14.10.1994, LGBl. Nr.53, ist für die Erteilung dieser Bewilligung eine Landesverwaltungsabgabe in der Höhe von € 30,00 zu entrichten.“ Alles klar! Straße frei! Auf die Plätze, Startschuss, los! Schön wär’s!
Am Anfang stand eine Idee. Grandios stand sie da: Wir tun was. Wir laufen. Von A nach B laufen wir. Um die Wette. So richtig mit Start, Ziel und Zeitnehmung. Mit allem Drum und Dran. Über Grenzen hinweg. Völkerverbindend. Durch zwei Bundesländer. An der Peripherie der Bundeshauptstadt. Hoch über Wien laufen wir. Vom Leopoldsberg Richtung Westen. Nach Neuwaldegg. Mitten durch den Wienerwald. Auf der öffentlichen Straße. Der Höhenstraße. Durch den öffentlichen Park. Den Schwarzenbergpark. Mittendrauf, mittendrüber, mittendurch. Läufer sind eine unübersehbare Bewegung. Wir kommen. Wir laufen uns frei. Laufen uns gesund. Wir machen publik: Wettlauf. Demnächst. In 14 Tagen. Man wird uns lieben. Man wird uns überrennen. Die Idee ist grandios. Bestens. Wir machen uns an die Arbeit. Wir organisieren den Höhenstraßenlauf. Mit straffer Hand. In einer Woche sind wir fertig. Wir machen das. Wir schaffen das.
Es wird was kosten. Wir brauchen ein bisschen Geld. Also schreiben wir. Persönliche Briefe. Bittbriefe. Unterstützungszusagen bleiben aus. Wir schreiben wieder. Bettelbriefe. Schildern unsere grandiose Idee. Den enormen gesundheitlichen und gesellschaftlichen Wert. An Politiker schreiben wir. Weil die ein Spesenkonto haben und Spenden von der Steuer absetzen können. An große Firmen. Weil wir haben, was diese suchen: Ein Publikum. Konsumenten. Kunden. Käufer. Wir bitten: Um Pokale. Sachspenden. Geld. Die Rücklaufquote stagniert. Und schreiben kostet Zeit. Nerven auch. Egal. Wir glauben an unsere Idee. Unbeirrbar. Wir verschieben den Lauf um eine Woche. Vorsichtshalber zwei Wochen. Man weiß ja nie. Und wir strecken vor. Geld vom privaten Konto. Fürs Porto. Auch die Post möchte nicht sponsern.
Wir sind ordentlich. Wir gehen aufs Verkehrsamt und melden an: Höhenstraßenlauf. In einem Monat. Bitte. Ersuchen um Genehmigung. Keine Autos für die Dauer von zwei Stunden. Funkstille. Wir verschieben den Lauf. Um einen Monat. Vorsichtshalber zwei Monate. Man weiß ja nie. Wir reichen nach: Stempelmarken, Streckenbeschreibung. Wir nehmen teil: An Lokalaugenscheinen. An Verhandlungen. Wir verschieben den Lauf. Auf unbestimmte Zeit. Wir warten. Auf Sponsoren. Wir hoffen: auf einen Bescheid. Einen baldigen. Einen positiven. Es verhandeln: zwei Bezirksvorstehungen, die Wiener Verkehrsbetriebe, die BH Wien-Umgebung, das Landesgendarmeriekommando für NÖ, der Gendarmerieposten Klosterneuburg, die Bundesforste, die Magistratsabteilungen 6, 28, 46 und 68, I. D., das Büro für Personen- und Objektschutz, die Abt. III, G.I.-Ref.1a, die Verkehrsabteilung, die Polizeikommissariate Hernals und Döbling. Man ringt sich durch. Die Behörden genehmigen. Mittels Bescheid. Samt Spruch, Begründung, Rechtsmittelbelehrung. Wir haben Glück: Kein Wasser in der Nähe. Keine Kompetenzen für Wasserrechts- und Schifffahrtsbehörde.
Wir dürfen: organisieren. Einladen. Laufen! Unter Einforderung von Startgeld. Der Kontostand verlangt es. Neuer Termin: Ein Jahr nach Erstanlauf. Einschränkung: Auflagen. Wir erfüllen. Wir schaffen an: Hinweisschilder. Absperrungen. Wir rekrutieren: Hilfspersonal. Streckenposten. Wir zahlen: Für den Bescheid. Sicherheitsgebühren für 30 Polizisten und 6 Einsatzfahrzeuge. Aufstell- und Wegräumgebühren für Halte- und Parkverbotsschilder. € 727,00 Ausfallskosten an die Verkehrsbetriebe. Porto für 800 Ausschreibungen. Die Post sponsert noch immer nicht. Und: € 36,00 an den ÖLV. Für effiziente Wettkampfkoordinierung. Insgesamt finden fünf Wettkämpfe am gleichen Tag statt. An anderen Orten. Der Pegel des Kontos fällt weiter. Ins Bodenlose. Sponsoren zieren sich. Nerven liegen blank. Wer hatte diese grandiose Schnapsidee? Wir können nicht zurück. Fliehen nach vorne. Wir markieren: Strecke und Straße. Papierstreifen lösen sich allzu rasch. Wir stellen um. Stellen auf: Schilder, richtungsweisende. Damit sie wie von Geisterhand verschwinden. Verdreht werden und umgeworfen. Ein lustiges Volk, die Wienerwaldwanderer. Wir pinseln: Pfeile. Mit Innendispersion, wasserlöslich. Das Prüfamt wird aktiv. Fordert eine Probe. Prüft. Erklärt für unbedenklich. Dann: Gefahr, grün, aus dem Wald. Der Oberförster tritt auf den Plan. Weiß von nichts. Wurde nicht informiert. Protestiert. Will Bäume fällen. Im Park. Mitten auf die Laufstrecke. Will den Bescheid sehen. Spruch. Begründung. Rechtsmittelbelehrung. Halbe Stunde vor Beginn. Sieht. Liest. Lenkt ein. Freut sich. Gesundheitsbewusste Bewegung in seinem Park. Tolle Idee. Applaudiert.
Leopoldsberg. Endlich: Start. Am Ziel der Anstrengung. Vorfreude, verfrühte. Inkognito und Mappe unterm Arm dräut Unheil. Beamtete Gefahr. Magistratsabteilung 4 - Allgemeine Finanz- und Wirtschaftsabgaben. Allzu gemein. Misst Transparente. Begutachtet Absperrbänder. Zählt Begrenzungsfähnchen. Ergebnis: Wo Werbung, da Abgabe. € 7,27 pro Laufmeter Transparent. € 0,07 pro Fähnchen. € 22,00 für bunt bedruckten Lautsprecherwagen. Gesetz ist Gesetz. Nerven liegen blank. Werden weggeschmissen. Ein Beamter flieht ins Unterholz.
Nachspiel für den Organisator: „Wir wollten doch nur etwas tun. Für den Sport, die Volksgesundheit. Einen Lauf organisieren. Es hätte schön sein können, so schön. Wo soll ich unterschreiben? Herzog ist mein Name, nicht mein Beruf. Ich bin Präsident des WLV. Und nicht ich werde 50 nächstes Jahr, sondern der Höhenstraßenlauf. Ihr Protokoll ist nicht richtig ausgestellt. Selbstverständlich bezahle ich sämtliche Abgaben. Nein, Sie müssen mein Haus nicht versteigern...“
Der Idealfall: Körper, Geist, Seele und Laufschuh bilden eine harmonische Einheit. Der Regelfall: Gemischte Gefühle, wirre Gedanken, unselige Zustände und Schotter in den Schuhen beein- oder –zwieträchtigen einander. Ursache: Die Dosis bestimmt, was los ist.
Das Ergebnis der Evolution: Dereinst stiegen unsere Vorfahren von den Bäumen, um sich zu entwickeln. Heutzutage lässt man sich hingegen ununterbrochen in Dinge verwickeln, die einen regelmäßig zurück auf die Palme bringen. Doch man hat gelernt sich zu arrangieren. Irgendwo zwischen Totstellreflex und zappelphilippischen Leistungsexzessen krebst und fuhrwerkt man dahin. Und hat es dabei echt nicht leicht. So hin- und her geschmissen zwischen Erfolgsrun und Sich-gehen-lassen. So seltsam strampelnd und strudelnd zwischen beruflichem Kampf und privatem Krampf, respektive umgekehrt. Weil ohne Schweiß und Fleiß halt so gar nix läuft. Apropos! „Laufen? Einen ganzen Kilometer? Ohne Auto, zu Fuß? Wirklich nicht!“ Wer dieses Empfinden als funktionierende Abwehrkräfte und intaktes Immunsystem bezeichnet, der hat leider einiges missverstanden. Und bietet dem nächstbesten grippösen Infekt eine ideale Spielwiese. Das einzige, was dann mit Sicherheit noch läuft, ist die Nase.
Muss nicht sein! Sofern man gezielt etwas dagegen tut! Doch Ziele rufen unweigerlich Pläne auf den Plan, denn Planung bestimmt bekanntlich das halbe Leben und garantiert den halben Erfolg. Allerdings bedeutet sie auch nur den halben Spaß. Und wo bleibt zwischen all den akribischst geplanten ABC-Übungen, Messungen, Tests und Fahrplanspielen Raum und Zeit für das spontane und kreative Chaos? Noch dazu, wo man sowieso niemals Zeit fürs Lauftraining hat. Das allerdings konsequent immer. Und wie soll man erst an ein Wörterbuch kommen, um die Bedeutung von regenerativ, koordinativ oder Hungerast herauszufinden? Schluss mit der gesundheitsapostolischen Bevormundung, man ist schließlich anatom autonom: „An meinen Fuß mit seinen 26 Knochen, 33 Gelenken und 112 Bändern lasse ich nur Wasser, Fußpuder und den Orthopäden meines Vertrauens!“ Und auch sonst steht es einem jederzeit frei, Longjogs und Bergaufläufe durch Long Drinks und Berge von Aufläufen zu ersetzen. Revolution und Auflehnung frei nach dem Motto: „Komm du mir mit einem Trainingsplan und ich sage dir, wohin du ihn dir stecken kannst.“
Von wegen ein Saisonhöhepunkt, wer sind wir denn – Ministranten oder Mönche in fliegenden Kutten auf der Flucht vor dem Beichtvater? Nein, Höhepunkte haben immer Saison. Folglich kann auch die Saison ungehindert und ungehemmt getrost deren viele haben. Und warum müssen diese zwangsläufig mit dem Laufen zusammenhängen? Der Kreis schließt sich, nichts hat sich bewegt, man ist wieder beim Ausgangspunkt, dem Infekt! Und von Effekten für den Kreislauf keine Rede! Schicksalsgläubig könnte man es dabei belassen.
Doch gesetzt den umgekehrten Fall: Man tut es! Treibt es mit Doppelknoten in den festgezurrten Schuhbändern, gibt Gummi mit rauchenden Sohlen und besorgt es seinem Immunsystem, bis es sich räkelt und schnurrt vor Wohlbehagen. Einmal so richtig autoimmun werden: Man hat seine Karre stehengelassen und ist hemmungslos zu Fuß gegangen. Man hat nachgegeben, ist mit dem Strom geschwommen, im Rudel gelaufen. Hat sich, den vermeintlichen Erfolg vor dem schweißtrüben Auge, stur wie ein Esel Kilometer um Kilometer die Hufe abgelaufen.
Und dann? Nach härtester Trainingsperiodisierung, nach Fluchen, Raunzen, Schmerzen und zahllosen Tests (vielleicht noch ehelich abgeschoben infolge einer zwischendurch eingeschobenen Scheidung, da nie da), fühlt man sich dennoch gerädert, als hätte einen ein Autobus gestreift? [Exkurs: Was nur dann tatsächlich der Fall sein dürfte, wenn sich die persönliche Marathon-Bestleistung zwischen 2:10 Stunden und 2:15 Stunden bewegen würde, da österreichische Buslenker ihrem Kollegen Max Wenisch, 5-facher Marathonstaatsmeister, bisweilen Schützenhilfe zu leisten versuchen.]
Man ist schlaff und dauerschläfrig. Wiederholt eingeknickt und eingenickt, mitunter mitten im mitternächtlichen Dauerlauf, der um jeden Preis noch sein musste. Und schon wieder steckt eine handfeste Grippe im (Trainings-)Anzug. Lässt einen parasitär den Schrittmacher spielen, indem sie dranbleibt, bis man seine Ressourcen mit kraftraubenden Einheiten selbst so weit untergraben, geschwächt und sabotiert hat, bis sie einem umgehend und spielerisch leicht den ohnehin bereits schweren Atem abdrückt. Das hätte man weitaus billiger haben können... Siehe oben.
Desaströses Dilemma? Vielleicht. Der simple Ausweg, sofern konsequent umgesetzt: Kontrollierte Dosierung. Wer sich keinen Haxen ausreißt, wird fett und braucht bald keinen mehr, weil er künftig durchs Leben rollen kann. Wer sich einen oder gar beide ausreißt, fällt dauernd auf die Schnauze. Wer hingegen beide gleichzeitig und mit Hirn einsetzt, hat die besten Chancen, fit am weitesten zu kommen. Und das mit Sicherheit nicht als Sklave seiner Müslis, seiner Trainingspläne, Leistungskurven und Tabellen. Wer weiters nicht bloß fasziniert und hingerissen dem Klange der eigenen Stimme lauscht, sondern auch mal auf die Signale seines Körpers hört, kann und wird dabei Erstaunliches entdecken. Erkenntnisse, für deren Interpretation auch etliche „Experten“, echte wie selbstbewusst Selbstberufene, zur Verfügung stehen: Trainer, Ärzte, erfahrene Kollegen, Kolumnisten...
Weiters sollte ein Marathonläufer hin und wieder seinen Blickwinkel überprüfen: Denn während der Optimist halbzeitlich nur noch einen Halbmarathon vor sich sieht, hat der Pessimist gerade mal einen solchen hinter sich gebracht.
Und nicht zu vergessen, das beste aller Dopingmittel: Lachen! Selbst, oder erst recht, wenn einmal mehr eine Ergebnisliste eigentlich Anlass zum krassen Gegenteil gibt.
Laufen. Lachen. Leben.
Schweigen und Staunen mit gläubig gesenktem Blick, es herrscht Andacht ohne Ende. Überwältigt vom Glanz (und Preis) der auf Kunststoffaltären farbenfroh drapierten Herrlichkeiten bahnt man sich in feierlicher Prozession seinen Weg durch den Läuferhimmel, der – den Heiligen Wolfgang und Konrad sei es gedankt – alljährlich für einige Tage sein Zelt in den irdischen Gefilden zu Wien aufschlägt. Erquickung vor dem langen Bußweg gen Marathon.
Salbungsvoll und lockend wie Engelschoräle tönen die Worte der Verkaufsberater, die Ministranten gleich herumwieseln und hemmungslos ablasskrämerisch – Seligkeit gegen knisternden Zaster - völlige Absolution versprechen: Von Entzündungen, Blasenbildungen, Hammerzehen und wilden Bestien wie etwa weidwunden Wölfen... Nasenpflaster, Blasenpickerl, Stirnband, Schweißband, Schuhband, Hirschtalg, Franzbranntwein und sonstige Essenzen zur finalen Ölung der müden Gebeine. Broschüren, Bücher, Zeitschriften, kurz: geistiger Blattsalat für den Marathonsportler. Zwischendurch Müsli en masse, Manna in Schnitten und Elektrolyte zum fröhlichen physischen Frohlocken bis in alle Ewigkeit. Alles da, alles gut, alles prima.
Propheten allüberall, die wie verspätete Christkindln auf dem Wiener Rathausplatz den finalen Feinschliff preisen. Billig. Günstig. Gratis bis geschenkt. Zum Beispiel Enthaarungscrémes für die nötigen Zehntelsekunden pro Kilometer, ein Computer rechnet blitzartig hoch. Tabellarisch heilversprechend spuckt er es aus: Bestzeitgarantie! Kleine Ursache, große Wirkung. Nur glatte Beine sind schnelle Beine. Einen Schritt weiter, gleich nebenan, geht es zur Faszination Fußanalyse: Man stellt sich an, stundenlang, eine willkommene Überprüfung der Ausdauer. Schließlich hat man das trainiert. Endlich, unendlich ergriffen, beugt man zweifach das Knie. Zum einen aus Dankbarkeit, trotz elender Unwürdigkeit dranzukommen, zum anderen um den Testschuh zu schnüren. Dann läuft man an, drei, vier lange Schritte, die Auswertung dauert etwas. Zwischendurch murmelt der Verkäufer ausdauernd seinen Psalm vom wundersamen Messe-Rabatt. Das Ergebnis: 1. Man hat zwei Füße, einen linken und einen rechten. So verkündet es der Monitor verzückt flackernd. Und 2. Welch‘ absoluter Glücksfall, für exakt diese beiden ist das neukonzipierte Modell wie geschaffen. „Als hätten Sie – gepriesen sei der Messerabatt! – dafür Modell gestanden. Wahrlich, wahrlich ich sage Ihnen, dafür haben Sie sich sogar den Spezial-Messerabatt verdient, nur hier, nur heute! Aber sagen Sie es bitte, bitte nicht weiter, denn viele fühlen sich berufen, doch nur Sie sind erwählt.“ Man sucht, fegefeurig erhitzt von allzu viel Erlösung auf einmal, sein Heil in der Weite.
Alle sind versammelt: Gurus und Hohepriester des Laufsports. Sie reden, erzählen viel, predigen und lesen dem neugierigen Neuling einfühlsam und gütig die Leviten, um ihn vom Kardinalsfehler der Selbstüberschätzung zu erlösen. Indes bieten grazile, vestalisch-anmutige Erscheinungen den andächtig Lauschenden bunte Ansichtsmaterialien im Dutzend dar. Ein Gewinnspiel hier, eine Gratisprobe da. Man trinkt und isst, kostet und testet sich durch. Selbst kleine Häppchen und winzige Schlückchen machen – in Massen genossen - auf Dauer richtig satt.
Heilversprechend auch die Präsentation einer Universalreibe für den täglichen Bio-Salat, die gleichzeitig universalistisch universell als Hornhautraspel verwendet werden kann. Als Draufgabe gibt es den integrierten Schuh- und Esslöffel in einem gleich kostenlos dazu. Wartungsfrei, rostfrei, TÜV-geprüft und wertbeständig. Einmal kaufen und dann garantiert nie wieder. So wie den Messehit: Ein Beißkorb, federleicht, voll falt- und toll tragbar, haut- und umweltverträglich. Einfach reinkraxeln und kein Hund kann einem künftig etwas anhaben. Rundherum luftig-lockere Gewänder, edle Tuche, transparente Stoffe zur Erleichterung der Transpiration, modisch modern, exquisit und exklusiv. Allemal eine Versuchung wert. Doch es bleibt beim Versuch, denn ein Schielen auf das Preisschild stürzt den potentiellen Käufer unaufhaltsam in eine tiefe existentielle Krise von Schein und Sein. Denn je kleiner der Fetzen, desto größer der Schein, den man dafür hinzublättern hat.
Bereits leicht irritiert von den sündigen Anfechtungen des Konsums geht es endlich zielstrebig zur Selbstabholung: „Unter welchem Namen krieg‘ ich meine Startutensilien?“ Doch unerwartet, überfallsartig plötzlich: Körperfettbestimmung. Gratulation, alles o.k., hervorragende Werte! Doch den kritisch-ungläubigen Geist befallen Zweifel ob der Seriosität, kein vermeintlicher Experte soll ihm, dem Dahergelaufenen, so mir nichts dir nichts von Lipiden reden. Und so flitzt er samt seinen Zweifeln zum nächsten Würstelstand, kauft sich die fettigsten Fritten, die er kriegen kann und lässt nach deren Verzehr erneut messen. Wiederum alles o.k., was denn doch alles andere als o.k. scheint und nach einer ausgedehnten sachlichen wie fachlichen Erörterung verlangt.
Die folgenden Tage sind geprägt von Unrast und Unruh‘, ob man denn der Messe das Maximum an Heil und Erlösung abgewonnen hat. Wurde auch kein Schnäppchen ausgelassen? Hätte man die Gratis-Verkostungen nicht exzessiver nützen sollen? Wurde die Anmeldung zu den esoterischen Einkehrtagen, Titel: „Laufen, gehen, kriechen - 40 Tage in der Wüste Gobi“ oder dem Weitwettwandeln über den See Genezareth richtig ausgefüllt? Und wie verhält es sich nun tatsächlich mit den Körperfetten angesichts triefender Fritten?
Fazit: Messebesuche erfordern hartes Training und jede Menge Routine. Damit bei der x-ten Neuauflage des Tanzes um das Goldene Kalb letztlich alles seiner Bestimmung gerecht werde: Läufer läuft, Rubel rollt. In alle Ewigkeit. So sei es!
Nach hartem erstem Saisonhöhepunkt, einem ganz und gar nicht frühlingslüfterlleichten Marathon, lechzt der Körper samt Eigentümer nach Erholung. Was liegt da näher, als ein Abstecher in paradiesische Fernen, um sich das Stehvermögen für neue Aufgaben zuzulegen?
Die Wahl ist rasch getroffen, sie drängt sich quasi von selbst auf: Ab in den Club Med. Med wie Medizin. Weil die millionenfachen, mikroskopisch winzigen Wehwehchen, die Körper und Psyche nach einem Marathon quälen, professioneller pauschalierter Therapie bedürfen. Atlantik, Pazifik, Karibik und wenn es denn sein muss, weil das erhoffte Preisgeld ausgeblieben ist, sogar das bescheiden-mittelmäßige Mittelmeer. Alles ist verlockender als die heimische Eckdusche oder die überbelegte Vereinssauna, wo jeder zum x-ten Mal seine Version des Rennverlaufes erörtert und vor allem bestätigt wissen will. Nein, aus, Schluss, Finish! Mit Fortezza und luftig-leichtem Gepäck sucht man sein Heil in der Flucht.
Die imaginierte All-inclusive-Phantasie vor Buchung und Abflug: Endlos-Longjog auf einem noch viel endloseren, still-verträumten Strand, paradiesisch menschenleer. Nur hin und wieder paddelt ein neugieriger Delphin heran, um ein freundliches „Aloha!“ zu fiepen und wieder abzudrehen. Mit einem entspannten „Selber Aloha!“ auf den Lippen setzt man regenerativ, braungebrannt und bloßfüßig sorgenfrei Schritt um Schritt in den jungfräulich-weißen Sand. Die Muskeln jauchzen und vibrieren. Der geschundene Kadaver jubiliert und man weiß sich auf dem richtigen Weg. Das Leben ist schön, so schön...