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Doppelter Lesespaß für Pferdefans: "Das Pferd des Teufels": „Schaut mal, das Pferd! Sieht es nicht aus, als sei es vom Teufel besessen?" Anna ist verzweifelt. Warum hat Christopherus plötzlich ausgeschlagen und den Marktmeister verletzt? Ihr Rappe ist doch ein braves Pferd – und nun wird er beschuldigt, mit dem Teufel im Bunde zu sein. Anna bleibt nicht viel Zeit, seine Unschuld zu beweisen. Und dabei gerät sie selbst in Lebensgefahr ... "Roter Blitz": Der „Rote Blitz“ scheint das geborene Rennpferd zu sein. Trotzdem verliert er Wettkampf um Wettkampf. Denn Rennen werden nicht nur mit den Beinen gewonnen, sondern ebenso sehr mit dem Herzen. Doch nach und nach erkennt der Stalljunge Tommy, wie man den Siegeswillen des Wallachs wecken kann. Das Geheimnis heißt Freundschaft ... 2 außergewöhnliche Pferderomane
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Doppelter Lesespaß für Pferdefans:
Das Pferd des Teufels:
»Schaut mal, das Pferd! Sieht es nicht aus, als sei es vom Teufel besessen?«
Anna ist verzweifelt. Warum hat Christopherus plötzlich ausgeschlagen und den Marktmeister verletzt? Ihr Rappe ist doch ein braves Pferd – und nun wird er beschuldigt, mit dem Teufel im Bunde zu sein. Anna bleibt nicht viel Zeit, seine Unschuld zu beweisen. Und dabei gerät sie selbst in Lebensgefahr …
Roter Blitz:
Der »Rote Blitz« scheint das geborene Rennpferd zu sein. Trotzdem verliert er Wettkampf um Wettkampf. Denn Rennen werden nicht nur mit den Beinen gewonnen, sondern ebenso sehr mit dem Herzen. Doch nach und nach erkennt der Stalljunge Tommy, wie man den Siegeswillen des Wallachs wecken kann. Das Geheimnis heißt Freundschaft …
2 außergewöhnliche Pferderomane
© Axel Schulten
Astrid Frank wurde 1966 in Düsseldorf als Tochter des Schriftstellers Karlhans Frank geboren, wodurch sie sich schon in frühester Kindheit mit dem Verlagswesen konfrontiert sah. Trotzdem führte sie ihr Weg bereits während ihres Studiums der Germanistik, Biologie und Pädagogik in die gleiche Richtung: Sie war als Lektorin und Rezensentin in mehreren und für mehrere deutsche Verlage tätig und machte außerdem eine Ausbildung zur »Zoobegleiterin des Kölner Zoos«. Nach dem Studium arbeitete sie für ein halbes Jahr in einer Buchhandlung und beleuchtete das Medium Buch damit von einer weiteren Seite. Seit 1996 ist sie freie Lektorin und Übersetzerin, seit 1998 schreibt sie Geschichten (für Kinder). Astrid Frank lebt mit Mann, zwei Söhnen und Hund Aimee in Köln.
Das Pferd Phar Lap und die meisten Personen, die hier beschrieben werden, haben tatsächlich gelebt. Dennoch hat nicht alles, was zwischen diesen Buchdeckeln erzählt wird, genau so stattgefunden. Manches wurde weggelassen, anderes verändert oder hinzugefügt. Und doch vermittelt uns diese weitgehend wahre Geschichte Einblicke in das Schicksal eines außergewöhnlichen und faszinierenden Pferdes.
ASTRID FRANK, FEBRUAR 2006
»… die Guten sterben jung. Er war nur auf der Erde, um von den Menschen verehrt zu werden. Dann wurde er in den Himmel abberufen wie alle guten Dinge.«
FAN AUS ADELAIDE, SÜDAUSTRALIEN
Das junge Pferd zitterte. Überall knackte und knarrte es. Und es war dunkel. Der Jährling konnte kaum etwas sehen. Er spürte lediglich ein ewiges Schaukeln, das ihn hochhob und wieder fallen ließ. Ab und zu rollte etwas geräuschvoll gegen seinen linken Vorderhuf. Aber das Pferd konnte nicht sehen, was es war. Es zog erschreckt den Vorderlauf hoch. Auf drei Beinen konnte es dieses Schaukeln jedoch nicht ausgleichen und so ließ es das Bein wieder sinken.
Manchmal hörte das Pferd auch noch andere Geräusche. Ein Rumpeln oder einen lauten Ruf. Dann zuckte es zusammen, versuchte zu fliehen, doch der Holzverschlag, in dem es stand, war so eng, dass es sofort gegen eine Wand stieß.
Das Pferd hielt sein Maul in den Futtertrog, den es zwar nicht sehen, aber riechen konnte. Der Trog war leer. Schon seit Tagen war er leer. Der Jährling wusste nichts von Tagen, er wusste nur, dass er Hunger hatte. Hunger und Durst. Doch der Wassereimer, der in einer Ecke seines Gefängnisses gestanden hatte, war verschwunden.
Vage erinnerte sich das verängstigte Tier an das metallene Geräusch, als der Eimer umgefallen war. Das Wasser hatte sich über seine Hufe ergossen und war allmählich versickert.
Das Pferd stand mit den Hinterhufen in seinem eigenen Mist, den niemand wegmachte. Es wusste nichts von Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft. Dennoch hatte es dieses Gefühl. Dieses Gefühl, dass sein Leben so nicht lebenswert war. Dass es von jemandem, der sich seiner annahm, erlöst werden musste. Erlöst werden wollte.
Und sei es durch den Tod.
»Wir sind nur einfache Leute, aber wir glauben, er war ein vom Himmel geschickter Engel.«
FAN AUS LAUNCESTON, TASMANIEN
Der Mann grunzte missmutig und zog seinen Hut mit der breiten Krempe tiefer ins Gesicht, um sich vor dem unablässigen Regen zu schützen. Er fror und allmählich schmerzten seine Beine von dem langen Stehen. Wieder und wieder rollte er die Zeitung, die er in den Händen hielt, enger zusammen. Darin hatte er mit Interesse einen Artikel über Bert Hinkler gelesen, einen gebürtigen Australier, der in nur 128 Stunden allein von England nach Australien geflogen war. März 1928 konnte man ganz weit oben am Rand des Papiers von minderer Qualität entziffern. Um das genaue Datum lesen zu können, hätte der Mann die Zeitung auseinanderfalten müssen. Doch das tat er nicht. Er wusste auch so, welcher Tag heute war: der Tag, der sein Leben nachhaltig und für immer verändern sollte.
Das Gedränge um den Anfang Fünfzigjährigen und seinen jungen Begleiter wurde stetig schlimmer, je näher das Auslaufen des nächsten Schiffes heranrückte. Pferdekutschen holperten über das Kopfsteinpflaster und eine korpulente Dame mit Koffer eilte so dicht an ihnen vorbei, dass sie den hageren Mann im Trenchcoat versehentlich anrempelte. Sie wandte sich um und starrte ihn grimmig an, als trüge er die Schuld an dem Zusammenstoß und nicht sie.
»Entschuldigen Sie, Ma’am«, sagte der hagere Mann höflich und tippte an seinen schon leicht ramponierten Hut.
Die Dame schnaubte empört und setzte ihren Weg fort.
Die Falten um seine Mundwinkel wurden tiefer, als der Mann jetzt seine Taschenuhr hervorzog und einen Blick darauf warf. Seit über einer Stunde standen sie nun hier am Kai, um die Lieferung in Empfang zu nehmen. Doch bis jetzt waren lediglich unzählige Container über ihren Köpfen herabgeschwebt. Aber keine Spur von dem, worauf der Mann wartete. Aufgeschreckt durch das Tuten eines der Schiffe, die soeben ausgeladen wurden, schaute er wieder auf. Gerade rechtzeitig, um einen Blick auf das Pferd zu erhaschen, das mit allen vier Beinen in der Luft baumelnd vom Deck des Schiffes auf den Boden herabgelassen wurde und dabei alles andere als glücklich aussah. Ein breiter Lederriemen um seinen Bauch war alles, was es vor einem Absturz aus etlichen Metern Höhe bewahrte.
Die Regentropfen prasselten erbarmungslos in das Gesicht des Mannes und seine Miene zeigte nicht die geringste Gefühlsregung, während er das Tier musterte, das sich wie ein dunkler Schatten gegen den grauen Himmel abhob und in diesem Augenblick angstvoll wieherte. Die Augen seines jungen Begleiters dagegen, der zwischen dem kränklich aussehenden Pferd und dem älteren Mann hin- und herblickte, spiegelten deutlich seine Unsicherheit und Verwirrung wider.
Das Pferd hatte nun festen Boden unter sich und wurde von einem der Arbeiter, die für das Ausladen der Schiffsfracht verantwortlich waren, von dem Lederriemen befreit und weggeführt.
Immer noch sah der junge Mann seinen Gefährten fragend an, aber der blickte stur weiter zu dem gigantischen Schiff empor, als erwartete er, dass von dort ein Wunder käme. Doch nichts geschah. Weder wurden weitere Container ausgeladen noch schwebte ein zweites Pferd aus luftiger Höhe herab. Der junge Mann räusperte sich und wechselte unruhig von einem Bein auf das andere. Er hatte klatschnasse Füße. Die Sohlen seiner Schuhe waren längst durchgelaufen. Selbst die offensichtliche Unruhe des Jüngeren entlockte dem Älteren nicht die geringste Erklärung.
Allmählich ließ das Gedränge am Kai nach. Die Passagiere, die vereinzelten Automobile und die Pferdekutschen, die über den holprigen Boden gerattert waren und hin und wieder Matsch aus einem der unzähligen Schlaglöcher hochgespritzt hatten, waren ebenso verschwunden wie die zu verladende Fracht.
»Sir?« Ein Mann mittleren Alters, der plötzlich wie aus dem Nichts vor den beiden Wartenden auftauchte, wedelte verlegen mit irgendwelchen Papieren, die vom Regen bereits aufgeweicht waren.
Es schien, als müsste der Mann mit dem breitkrempigen Hut erst von weiter Ferne hergeholt werden, so langsam löste er seinen Blick vom Schiff und wandte sich dem Bediensteten der Hafenanlage zu. »Ja?«
»Sind Sie Mr Harry Melforth?«
»Telford«, entgegnete der Angesprochene. »Mr Harry Telford.«
Der Hafenangestellte warf einen Blick auf seine Unterlagen. »O ja, sicher, Sir. Mr Harry Telford. Ihr Pferd wartet dort auf Sie.« Er deutete mit dem Kopf auf eine Lagerhalle in wenigen Metern Entfernung.
Harry Telford legte die Stirn in Falten. »Ach ja?« Er schien zu überlegen, doch schließlich nickte er. »Gut«, sagte er und ging mit ausladenden Schritten voran.
Seinem jungen Begleiter und dem Bediensteten der Hafenanlage blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Im Eingang zur Lagerhalle blieb der Ältere stehen. Zum ersten Mal seit fast zwei Stunden fiel ihm kein Regentropfen aufs Haupt. Er nahm daher seinen Hut ab, strich sich mit der rechten Hand eine nasse Strähne seines grau melierten Haars aus der Stirn und sah sich suchend um. In der Halle herrschte Dämmerlicht. An einem Tag wie diesem, an dem es seit dem frühen Morgen ohne Unterlass geregnet hatte, war die Dunkelheit mit Händen greifbar. Das fehlende Tageslicht schlug aufs Gemüt und machte Mensch und Tier gleichermaßen reizbar.
Im hintersten Winkel der Halle hatte man einen provisorischen Stall errichtet. Etwas Stroh auf dem nackten, kalten Steinfußboden, das kaum die Bezeichnung Einstreu verdiente, und ein rostiger Eimer mit stinkendem, schmutzigen Wasser waren alles, was die Pferde vorfanden, die nach einer langen Reise aus fernen Ländern im Hafen von Sydney ankamen. Auch dem mageren Fuchs, der jetzt mit gesenktem Kopf hinter dem Bretterverschlag ausharrte, erging es da nicht anders. Es sah aus, als würden die Muskeln an seinem dürren Hals nicht ausreichen, das Gewicht des Schädels zu tragen.
Harry Telford, dessen Augen sich allmählich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, musterte das rotbraune Tier. Dass ihn der Anblick nicht erfreute, war offensichtlich. Er ließ seinen Blick auf der Suche nach einem zweiten Stall und einem anderen Pferd durch die Halle schweifen.
Mittlerweile hatten die zwei jüngeren Männer zu ihm aufgeschlossen und blieben neben ihm stehen.
»Und?«, wandte sich Harry Telford an den Hafenbediensteten. »Wo ist mein Pferd?«
»Dort drüben, Sir«, antwortete der Mann etwas verwirrt über diese augenscheinlich überflüssige Frage und wies mit ausgestrecktem Arm auf den Fuchs, dem das Interesse der Menschen an ihm völlig egal zu sein schien.
Harry Telford sog scharf die Luft ein und seinem jungen Begleiter stand vor Schreck der Mund offen. »Das kann nicht sein«, entgegnete Mr Telford. »Sie müssen sich irren.«
»O nein, Sir.« Der Bedienstete wedelte erneut mit den völlig aufgeweichten Papieren in seiner Hand, von denen nun Wassertropfen in alle Himmelsrichtungen spritzten. »Das ist Ihr Pferd. Hier steht es schwarz auf weiß.«
Harry Telford verzichtete darauf, diese Aussage zu überprüfen. Stattdessen schloss er in einem stummen Gebet die Augen und legte den Kopf in den Nacken.
Sein junger Begleiter, der bislang wie ein Schatten hinter ihm gestanden hatte, machte als Erster ein paar Schritte auf das junge Pferd zu. Er blieb dicht vor ihm stehen und musterte es ausgiebig. Aber auch aus der Nähe betrachtet wurde der Anblick nicht besser. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsachen, dass der junge Hengst noch lange nicht ausgewachsen war und dass er gerade eine kraftzehrende Schiffsreise hinter sich hatte, war und blieb er unansehnlich. Sein Gesicht war mit unzähligen Warzen übersät, sein Fell verdreckt und struppig, die Kruppe wetteiferte mit den Rippen darum, wer am eindrücklichsten hervorstand, und die Proportionen des Pferdes waren im besten Falle als merkwürdig zu bezeichnen. Immer noch hielt das Tier den Kopf gesenkt, der tatsächlich für den ausgemergelten Körper zu groß und zu schwer zu sein schien. Die Ohren wiederum waren zu lang und zu dünn und standen zur Seite ab wie bei einem tollwütigen Hund. Die Augen blieben hartnäckig geschlossen, als wollte der junge Fuchs gar nicht sehen, wohin es ihn in seinem jungen Leben verschlagen hatte. Zumindest dafür hatte der junge Mann, der vor dem Gitter stand, angesichts der trostlosen Umgebung, in der sie sich hier befanden, Verständnis. Er musterte gerade die Blesse des Tiers, die ihn an einen Halbmond denken ließ, als das Pferd die Augen aufschlug und ihn direkt anblickte.
Der junge Mann vergaß für einen Moment zu atmen. Die braunen Augen, die seinen begegneten, waren so voller Gefühl, wie er es nie zuvor bei einem Pferd erlebt hatte. Sie zeigten deutlich die Pein, die die geschundene Kreatur empfand, und sie schienen ihn um Hilfe zu bitten. Irgendetwas an diesem Blick berührte den jungen Mann tief in seinem Inneren und er konnte nicht anders, als ein stilles Versprechen zu leisten, dass er tun würde, was in seiner Macht stand, um dem Fuchs mit der außergewöhnlich geformten Blesse beizustehen.
So schnell er gekommen war, so schnell war dieser magische Moment wieder vorbei, als der junge Mann in diesem Augenblick bei seinem Namen gerufen wurde.
»Tommy!«, gellte der Ruf Harry Telfords durch die Halle. »Mach das Pferd fertig und bring es zum Anhänger.«
»Ja, Sir«, antwortete Tommy eilfertig und fingerte bereits an dem Schloss herum, um den Verschlag zu öffnen.
Der Fuchs blieb wie angewurzelt stehen, als der junge Mann zu ihm in den Stall kam. Er schreckte nicht zurück. Entweder weil er zu schwach dazu war oder weil er es nicht für nötig befand. Tommys Hand glitt in seine ausgebeulte Hosentasche und kam mit einem kleinen Stück Zucker wieder zum Vorschein. Er hielt es dem Tier unter die Nüstern und nach einer Sekunde des ungläubigen Zögerns senkte das Pferd die Lippen auf Tommys Hand. Der Stallbursche spürte den warmen Hauch des Pferdeatems und die Weichheit der Nüstern auf seiner Haut, als das Pferd den Zucker erst vorsichtig nahm und dann begierig mit seinen Zähnen zermalmte.
»Komm, Bobby«, sagte Tommy, ohne zu wissen, wie er auf den Namen kam, und der Fuchs folgte ihm ohne die geringste Scheu. Schlimmer konnte es wohl sowieso nicht mehr werden und der süße Geschmack des Zuckers war ein kleiner Lichtblick.
»Das ist nicht Ihr Ernst!« Dem Mann im feinen dunkelgrauen Anzug, der am Zaun der Koppel stand, war sein Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Er begutachtete gerade das Pferd, das gelangweilt am Ende der langen Longe seine Runden drehte. »Ist Ihr Bruder blind? Wie konnte er nur auf dieses Pferd bieten, nachdem er es gesehen hatte?« Insbesondere aus seinem Mund klang der Vorwurf merkwürdig, denn auf dem Nasenrücken des kleinen Mannes saß eine Brille mit auffallend dicken Gläsern. Sie ließen seine Augen stark vergrößert erscheinen und waren ein untrügliches Indiz dafür, dass es um seine Sehkraft nicht gerade rosig bestellt war.
Tommy Woodcock saß, umgeben von einigen anderen Stalljungen und Jockeys, die für Harry Telford arbeiteten, neben seinem jungen Freund Cashy Martin auf dem entgegengesetzten Ende des Zauns. Die höhnischen Bemerkungen seiner Kollegen zu dem Pferd versuchte er zu ignorieren. Er hatte sich große Mühe gegeben, den Fuchs ansehnlicher zu gestalten. Stundenlang hatte er sein Fell, seine Mähne und seinen Schweif mit Kardätsche und Kamm bearbeitet und nun konnte man zumindest sehen, dass das Fell des Pferdes von einem hübschen und außergewöhnlich intensiven Rot war. Obwohl ihm immer noch jeglicher Glanz fehlte und sich selbstverständlich weder an den Proportionen noch an den hässlichen Warzen des Tieres über Nacht irgendetwas geändert hatte.
»Sie werden schon sehen, Mr Davis!«, rief Harry Telford dem feinen Herrn am Rand der Koppel zu, während er das fuchsfarbene Pferd mit seiner Peitsche vergeblich zu einer schnelleren Gangart zu bewegen versuchte. »Nach ein wenig Erholung von der Schiffsreise und anständigem Training werden Sie das Pferd nicht mehr wiedererkennen. Es ist der geborene Champion«, behauptete er, obwohl das Pferd bereits nach den ersten fünf Runden im langsamen Trab schnaufte und schwitzte wie ein altersschwacher Ackergaul.
Die Stalljungen quittierten diese Weissagung mit Gekicher und anzüglichen Bemerkungen, die jedoch aus guten Gründen so leise ausgesprochen wurden, dass Telford sie nicht hören konnte.
»Wissen Sie was?«, fuhr Mr Davis fort. »Sie werden das Pferd so schnell wie möglich verkaufen. Ich weiß ehrlich nicht, was mich dazu verleitet hat, Ihnen blind zu vertrauen und hundertsechzig Pfund für ein Pferd auszugeben, das ich nicht selbst gesehen habe.«
Harry Telford bedeutete Tommy mit einer Kopfbewegung, seine Position einzunehmen. Der Zweiundzwanzigjährige sprang mit einem Satz vom Zaun und ging ruhigen Schrittes zur Mitte der Koppel, wo sein Boss ihm das Ende der Longe in die Hand drückte und anschließend auf Mr Davis zutrat, der mit vor Zorn gerötetem Gesicht auf ihn wartete.
»Hören Sie«, sagte Mr Telford, »Sie müssen mir glauben. Ich habe den Stammbaum dieses Pferdes gründlich studiert. Es hat das beste Blut in sich. Es wird Erfolg haben– es kann gar nicht anders sein.«
»Ich habe gesagt, verkaufen«, beharrte Mr Davis. »Ich werde nicht auch nur einen Penny weiter in diesen Gaul investieren. Oder glauben Sie etwa, ich sehe zu, wie Sie diese Missgeburt trainieren, und bezahle auch noch dafür?«
Auf Telfords Stirn bildeten sich Schweißperlen. »Ich würde Ihnen die hundertsechzig Pfund geben, wenn ich sie hätte. Das können Sie mir glauben! Ein solches Pferd ist das Fünfzehnfache dieser Summe wert. Aber ich habe nun mal keine hundertsechzig Pfund. Sonst hätte ich Sie nicht darum gebeten, das Pferd zu kaufen.« Er seufzte und seine Stimme klang fast flehend. »Aber ich schlage Ihnen ein Geschäft vor: Sie überlassen mir das Pferd für… sagen wir, drei Jahre. Ich trainiere es und komme für alle Unkosten auf. Und danach können Sie entscheiden, es zu verkaufen.« Er machte eine Pause. »Was haben Sie dabei zu verlieren?«
Mr Davis schwieg, während er über das Angebot nachdachte. Er verfluchte im Stillen den Tag, an dem Harry Telford zu ihm gekommen war und ihm von dem Jährling erzählt hatte, den er nach der Beschreibung eines Katalogs ausgewählt hatte. Hundertsechzig Pfund und die Kosten für die Überfahrt aus Neuseeland hatte er in dieses angebliche Wunderpferd investiert. Und jetzt musste er daran zweifeln, auch nur einen Bruchteil dieser Summe jemals wiederzubekommen. Kein vernünftiger Mensch, der dieses Pferd zu Gesicht bekäme, würde auch nur einen einzigen Schein zücken, um es zu erwerben. Selbst Hundefutterfabrikanten würden wohl davor zurückschrecken, dieses von Warzen verseuchte Monstrum in ihre Dosen abzufüllen. Aber Telford hatte recht: Was hatte er jetzt noch zu verlieren? Das Kind war bereits in den Brunnen gefallen und er sah keine Möglichkeit, es dort unversehrt wieder herauszuholen.
Harry Telford wurde es abwechselnd heiß und kalt, während er auf eine Antwort des Pferdebesitzers wartete. Seine einzige Hoffnung bestand darin, dass er sich in dem Leistungsvermögen dieses Pferdes nicht geirrt hatte. Und wenn doch, nun, dann konnte er sich getrost direkt einen Strick nehmen– vorausgesetzt, er brachte das Geld auf, um sich einen zu kaufen. »Wenn es gewinnt, und das wird es«, fuhr er fort in dem Bemühen, Davis– und vielleicht auch sich selbst– zu überzeugen, »dann bekommen Sie jedes Mal ein Zehntel vom Preisgeld, das es einstreicht.«
»Ein Drittel«, antwortete Davis wie aus der Pistole geschossen. Geschäft war Geschäft, auch wenn er nicht im Traum glaubte, dass dieses hässliche und klapprige Pferd jemals bei einem Rennen über die Ziellinie laufen würde. Ob nun als Erster oder als Letzter. Vermutlich fiel es eher nach der Hälfte der Strecke tot um. Aber er streckte Harry Telford zur Besiegelung des Geschäfts die Hand entgegen und der Trainer ergriff sie und drückte fest zu.
Als hätte der Fuchs gehört, dass seine unmittelbare Zukunft soeben gesichert worden war, blieb er ruckartig stehen, stemmte heftig schnaufend alle vier Hufe fest in den Boden und weigerte sich, auch nur einen einzigen weiteren Schritt zu machen. Seine Ohren zuckten missmutig vor und zurück, als die jungen Männer am Zaun in brüllendes Gelächter ausbrachen.
David Davis hatte genug gesehen. Kopfschüttelnd wandte er sich ab und ging zu seinem Automobil zurück, das wenige Meter entfernt stand, während das Lachen hinter ihm immer weiter anschwoll. Er sah sich nicht mehr nach dem Pferd um, für das er hundertsechzig Pfund bezahlt hatte. Hundertsechzig Pfund zu viel.
»Hey, Woodcock!«, rief einer der Stallburschen Tommy zu, als der Motor des Wagens mit lautem Knattern ansprang. »Halt bloß die Longe gut fest, sonst geht dir das Pferd gleich durch!«
Die anderen bogen sich vor Lachen.
»Ja, genau!«, schrie ein Zweiter. »Bei so einem Energiebündel muss man auf alles gefasst sein!«
Die Jungs fielen vor Lachen fast vom Zaun, während Harry Telfords Gesicht erstarrte, als wäre es aus Stein gemeißelt. Doch selbst sein strenges Auftreten, das sonst augenblicklich alle Untergebenen stramm stehen ließ, beeindruckte die jungen Männer in diesem Moment nicht.
»Achtung, der ›Rote Blitz‹ kommt!«, schrie ein Dritter und die anderen schlugen ihm grölend auf die Schultern.
»Vorsicht, meine Damen und Herren, auf der Zielgeraden kommt jetzt der ›Rote Blitz‹, halten Sie Ihre Hüte gut fest!«, tönte der Nächste und tat so, als hätte er ein Megafon vor den Lippen.
Tommy stand in der Mitte der Koppel und hielt Bobby an der Longe. Er lächelte gequält, während er seine Hosenträger zurechtrückte, obwohl sie nicht verrutscht waren, und schwieg. Sein Blick traf sich mit dem seines Freundes Cashy Martin, eines vierzehnjährigen Jockeys, dem der eine oder andere bereits eine große Zukunft auf der Rennbahn vorausgesagt hatte. Auch Cashy schwieg und beteiligte sich nicht an den Scherzen.
Ebenso wenig wie Mr Telford, der stumm neben Tommy stand und zu überlegen schien, wie er diesem respektlosen Treiben Einhalt gebieten könnte. »Hey, Luang!«, rief er schließlich einem zierlichen dunkelhäutigen Jungen zu, der sich ebenfalls ab und zu als Jockey verdingte und jetzt wie alle anderen am Zaun herumlungerte. »Was heißt Blitz in deiner Sprache?«
Der Sohn thailändischer Eltern, die vor etlichen Jahren als Einwanderer nach Australien gekommen waren, weil sie sich hier fälschlicherweise eine bessere Zukunft erhofft hatten, wurde schlagartig ernst. »Phar Lap, Sir«, antwortete er.
»Phar Lap«, wiederholte Telford. »Nun gut, warum nicht? Irgendeinen Namen muss das Pferd schließlich haben. Und Phar Lap ist so gut wie jeder andere.« Er blickte mit starrer Miene in die Gesichter der jungen Männer, denen das Lachen augenblicklich vergangen war. »Tommy«, wandte er sich schließlich an den Stallburschen, der direkt neben ihm stand, »du kannst Phar Lap jetzt zurück in seinen Stall bringen.«
»Ja, Sir«, antwortete Tommy und ergriff das Halfter des Pferdes. Ohne dass Mr Telford es sehen konnte, holte er ein Stückchen Zucker aus seiner Hosentasche und hielt es Phar Lap hin. Sofort setzte sich der Fuchs in Bewegung und folgte dem jungen Mann wie ein gehorsames Hündchen.
»Es regnete eine ganze Woche und ich bin mir sicher, der Himmel weinte seinetwegen…«
FAN AUS ADELAIDE, SÜDAUSTRALIEN
Tommy beugte sich tief über seinen Suppenteller, der offensichtlich bereits mindestens einmal geklebt worden war, und versuchte die Gespräche seiner Kollegen beim gemeinsamen Abendessen zu ignorieren. Immer noch drehte sich alles um das neue Pferd.
»Ich finde, er sieht aus wie eine Kreuzung aus Känguru und räudigem Straßenköter«, sagte einer der jungen Jockeys gerade.
»Auf jeden Fall nicht wie ein Rennpferd.«
»Habt ihr seine Beine gesehen? Wie bei einem magersüchtigen Elefanten!«
»Ja, und genau so hat er sie auch in den Boden gestemmt, als er sein Training für beendet erklärte.«
Die anderen lachten wieder bei der Erinnerung an Phar Laps Verweigerung.
»Ich glaube«, sagte Cashy leise, der neben Tommy saß, »ich glaube, Mr Telford weiß, was er tut. Wenn er sagt, das Pferd kann was, dann kann es auch was.«
»He, hört euch unseren Pferdefachmann an«, scherzte ein anderer. »Kann kaum über den Tellerrand gucken, aber erkennt einen Champion, wenn er ihn nur einmal gesehen hat.«
»Über den Tellerrand kann von euch ohnehin keiner gucken!«, nahm Tommy seinen jungen Freund in Schutz. In der Tat gehörte Cashy selbst unter seinen Kollegen zu den kleinsten. Und natürlich war das für einen Jockey kein Handicap, sondern ein großer Vorteil. Ein Vorteil, auf den Tommy verzichten musste. Er haderte ständig mit seiner Größe und machte weite Bögen um alles, was seinem Gewicht schaden konnte. Doch seine Laufbahn als Jockey schien nun, da er ausgewachsen war, ohnehin am Ende zu sein. Er war zu groß und zu schwer geraten, um auf den Rennbahnen dieser Welt ernsthafte Erfolge feiern zu können.
Nach diesem Ausruf schwiegen die anderen für eine kurze Weile und als Tommy aufschaute, begegnete er Emmas Blick, die ihn über den langen Tisch hinweg ansah. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und stillschweigendes Einverständnis lag in ihren Augen.
Während sich Tommy und seine Kollegen an den Kochkünsten von Emmas Mutter Mrs Bone erfreuten, stand Harry Telford in der Box seiner neuesten Erwerbung. Voll dunkler Gedanken starrte er auf das Pferd, das nur wenige Meilen entfernt, in der Küche der Pension für junge Jockeys, das Hauptgesprächsthema war.
Der Fuchs fühlte sich sichtlich unwohl. Er trat unruhig von einem Lauf auf den anderen, während Mr Telford ihn musterte. Der prüfende Blick dieses Menschen gefiel ihm nicht. Er spürte, dass die Gedanken des Mannes um ihn kreisten, aber von der Wärme, die der Junge ausstrahlte und die ihm ein Gefühl der Sicherheit vermittelte, merkte er bei diesem Menschen nichts. Im Gegenteil. Dieser Mann brachte ihm kein Wohlwollen entgegen. Er wollte etwas von ihm. Aber was? Die Muskeln des jungen Hengstes zitterten, als er die tastende Hand des Menschen auf seinem Fell spürte, und er wandte den Kopf, so weit es ihm möglich war, ab.
Harry Telford seufzte. Er konnte seine Enttäuschung über das Pferd nicht länger verbergen. Er wusste nicht, was genau er erwartet hatte, aber sicherlich nicht diesen heruntergekommenen Klepper, der nicht einmal genug Kraft besaß, seinen eigenen Kopf zu tragen. Was hatte Mr Davis gesagt? Sein Bruder müsse blind sein, wenn er auf dieses Pferd geboten habe?
Nun, er hatte Hugh gebeten, das Pferd auf der Jährlingsauktion zu ersteigern. Und Hugh, sein in Neuseeland lebender Bruder, hatte sich lediglich an seine Anweisungen gehalten. Nicht mehr und nicht weniger. Ihm konnte man wohl kaum einen Vorwurf machen. Oder?
Andererseits hätte er wahrscheinlich selbst nicht auf dieses Pferd geboten, wenn er eine Chance gehabt hätte, es vorher zu sehen. Hugh und er waren schon immer in allem unterschiedlicher Meinung gewesen, was Pferde anging. Vielleicht hatte er tatsächlich einen Fehler begangen, als er sich in dieser Angelegenheit auf das Urteil seines Bruders verließ.
Noch einmal rief sich Harry Telford die Abstammung des Fuchses in Erinnerung, die er vor der Kaufentscheidung tage- und nächtelang geprüft hatte. Insbesondere in der weiblichen Linie hatte es einige Generationen zuvor mehrere Champions gegeben. Nein, er konnte sich einfach nicht derart verrechnet haben. Alles, was das Pferd brauchte, waren Erholung und anschließend ein hartes Training, um seine Disziplin, Ausdauer und Leistungsbereitschaft zu fördern.
Und wenn er sich doch geirrt hatte? Nun, dann war ohnehin alles zu spät. Mr Telford wandte sich ab und verließ den Stall, ohne sich noch einmal nach Phar Lap umzusehen.
Kaum war er gegangen, entspannte sich der Fuchs. Diesen Mann empfand er als Bedrohung und er war froh, dass er nun fort war. Andererseits war er jetzt wieder ganz allein und das Alleinsein gefiel dem jungen Pferd fast ebenso wenig. Seit den Tagen des Hungers, des Durstes und der Dunkelheit, die er hinter sich gebracht hatte, fürchtete er sich davor, allein zu sein, und sehnte sich nach jemandem, dem er vertrauen konnte und der für ihn sorgte. Einen Augenblick lang meinte der Fuchs den süßen Geschmack von Zucker auf der Zunge zu spüren, als ihm der andere Mann einfiel. Doch dann war dieser kurze Moment des Glücksgefühls wieder vorbei.
Cashy drehte unsicher seine Mütze in den Händen, während er darauf wartete, dass Tommy sich von Emma verabschiedete.
»Morgen ist Sonntag«, sagte Tommy. »Nachmittags habe ich frei.«
Emma nickte und lächelte. Ein wenig verlegen löste sie die Schleife ihrer geblümten und verschmutzten Küchenschürze, die sie zum Schutz vor Flecken trug, und faltete sie zusammen. Sie hatten erst letzte Woche gewaschen, also musste sie ihre Kleider bis zum nächsten Waschtag schonen.
Cashy betrachtete währenddessen eingehend die Flecken an der Holzdecke der Veranda.
»Hast du vielleicht Lust auf eine Spazierfahrt?«
Wieder nickte Emma und strich sich eine Strähne ihres kinnlangen, glänzenden Haares aus der Stirn. Ihr Lächeln wurde intensiver.
»Dann hole ich dich um zwei Uhr ab?«
»Zwei Uhr ist gut«, antwortete Emma und reichte Tommy die Hand, der sie etwas länger festhielt, als notwendig gewesen wäre.
Cashy atmete erleichtert auf, als sein Freund endlich neben ihn trat. Doch Tommy wandte sich noch einmal um und winkte Emma zum Abschied zu, bevor er endlich auf sein Motorrad stieg, das vor dem Gasthaus stand.
Die bordeauxrote Indian war sein ganzer Stolz. Sie hatte sogar einen elektrischen Anlasser und der Motor sprang jetzt auf Anhieb an. Während Tommy darauf wartete, dass Cashy hinter ihm Platz nahm, schaute er zu Emma hinüber, die immer noch auf der obersten Stufe der Treppe stand und ihnen hinterherblickte.
Cashy klammerte sich fest, als Tommy Gas gab und die Straße entlangknatterte, als gäbe es kein Morgen. Geschwindigkeit, ob auf dem Rücken eines Pferdes oder auf dem Sattel eines Motorrads, war für beide das Größte. Doch manchmal– so glaubte Cashy in diesem Augenblick– übertrieb sein Freund ein wenig.
Auf jeden Fall war er dankbar, als die kurze Fahrt vorbei war. Tommy stützte das Motorrad mit den Füßen ab, während Cashy herunterkletterte. Dann hob der Jüngere zum Gruß die Hand, bevor er sich umwandte und auf das kleine Haus zuging, in dem er mit seiner Mutter, seinem Bruder und seinen beiden Schwestern lebte.
Nun konnte auch Tommy endlich nach Hause zu seiner Mutter und seinen Geschwistern fahren. Er freute sich immer noch täglich darüber, dass seine Familie, auf die er so lange hatte verzichten müssen, zu ihm nach Sydney gekommen war. Auch wenn das bedeutete, dass er nun nicht mehr wie die meisten seiner Freunde in der Pension von Emmas Mutter wohnte.
Dennoch würde er Emma morgen sehen und sie für ein paar Stunden ganz für sich allein haben. Mit einem zufriedenen Lächeln bockte Tommy das Motorrad nach einer kurzen Fahrt auf und betrat das Haus seiner Mutter.
Als Tommy Emma am nächsten Tag half in den Beiwagen zu klettern, ignorierte er geflissentlich die strengen Blicke von Mrs Bone in seinem Rücken, die ihm ihre Tochter offensichtlich nur äußerst unwillig anvertraute. Doch heute sollte ihm nichts und niemand die Laune verderben! Die Sonne schien vom Himmel und er freute sich auf eine Fahrt durch die Berge mit Emma an seiner Seite.
Nach einer guten Stunde hatten sie die Stadt hinter sich gelassen und Tommy wunderte sich über die vielen Motorradfahrer, die sich vor und hinter ihnen die Bergstraße entlangschlängelten und sie in eine Wolke aus Staub und Abgasen einhüllten.
»Bekommst du etwas von dem Schmutz ab?«, rief er Emma über den Motorlärm hinweg zu.
»Etwas mehr als etwas!«, schrie Emma zurück. »Vielleicht solltest du an den Straßenrand fahren und warten, bis alle vorbei sind?«
»O nein«, antwortete Tommy, »da habe ich eine viel bessere Idee!« Er lächelte Emma zu. »Pass gut auf!«
Emma umklammerte mit festem Griff ihr Wolltuch, das sie sich zum Schutz vor dem Fahrtwind über die Schultern gelegt hatte, als Tommy nun den Gashebel bis zum Anschlag aufdrehte.
Der Motor röhrte, während Tommy mit Emma im Beiwagen einen Motorradfahrer nach dem anderen überholte. Die Indian lag sicher in den Kurven und schien nicht die geringste Schwierigkeit mit dem steilen Anstieg zu haben. Innerhalb kürzester Zeit hatten sie alle anderen hinter sich gelassen. Tommy sah Emma Beifall heischend an und wollte sich soeben erkundigen, ob die Luft nun wieder besser sei, als er vor sich am Straßenrand einen Mann bemerkte, der eine Fahne schwenkte und ihn damit aufforderte anzuhalten. Tommy drosselte die Geschwindigkeit und überlegte, was der Mann wohl von ihm wollte, während er die Indian zum Stehen brachte.
»Welche Nummer habt ihr?«, wandte sich der Mann an Tommy.
»Welche Nummer?«, fragte Tommy verständnislos. »Ich weiß nichts von einer Nummer.«
»Ja, macht ihr denn nicht mit?«
»Wobei? Wovon reden wir hier eigentlich?« Tommy sah fragend zu Emma hinunter, doch die zuckte ebenfalls nur mit den Schultern.
»Beim Rennen!«, erklärte der Mann.
»Was für ein Rennen?«, wollte Tommy wissen.
Der Mann seufzte schicksalsergeben. »Na ja, jedenfalls habt ihr wohl gewonnen.«
»Gewonnen?« Tommy grinste. »Heißt das, wir haben bei einem Motorradrennen gewonnen, ohne überhaupt mitzumachen?«
»Sieht ganz so aus«, sagte der Mann und musterte Tommys Gespann. »Nette Maschine«, meinte er dann.
»Wie ich hörte, hast du am Wochenende mal wieder ein Rennen gewonnen?« Harry Telford schmunzelte, als er Tommy bei den Stallungen traf.
Tommy wunderte sich nur einen Augenblick lang, dass seine Geschichte in so kurzer Zeit sogar bis zum Boss vorgedrungen war. Dann schmunzelte er ebenfalls. »Ja, Sir«, antwortete er und setzte für einen Moment den schweren Hafersack ab.
»Vielleicht hilft uns dein glückliches Händchen ja auch im Fall unseres Neuen«, fuhr Mr Telford fort. »Wenn du hier fertig bist, kannst du Phar Lap für mich satteln.«
Tommy gelang es nicht, seine Verwunderung zu verbergen. »Sie wollen schon mit dem Training beginnen, Sir? Er ist doch erst vor wenigen Tagen vom Schiff gekommen!«
Mr Telford warf Tommy einen strafenden Blick zu. Er hatte es nicht gerne, wenn man seine Anweisungen infrage stellte. »Er wird sich umso schneller erholen, je eher wir seine Muskeln kräftigen, die von der Reise völlig erschlafft sind.«
Tommy hielt die Luft an. Er hatte heute Morgen bereits nach Bobby geguckt und der Fuchs war immer noch in einem völlig desolaten Zustand. Aber schließlich war er nicht der Trainer, sondern nur der Stallbursche, der sich mühsam seinen Lebensunterhalt verdiente, solange kein Rennen für ihn anstand. Und so wie die Sache im Augenblick aussah, konnte er lange darauf warten, dass ihn noch einmal jemand als Jockey für sein Pferd orderte. Also antwortete er: »Jawohl, Sir. Da haben Sie aber schnell ein Trainingsticket für ihn bekommen.« Insgeheim wunderte er sich, woher Telford das Geld für die Erlaubnis hatte, das Pferd auf der Rennstrecke zu trainieren. Nicht nur mahlten die Mühlen der Rennbahnbetreiber, die diese Tickets ausstellten, im Allgemeinen äußerst langsam, sondern sie verlangten zudem auch noch eine Menge Geld dafür, wenn sie Nichtmitgliedern ihre Bahnen zur Verfügung stellten. Und es war kein Geheimnis, dass Mr Telford nicht gerade im Geld schwamm!
Telford schüttelte den Kopf. »Ich habe kein Trainingsticket«, antwortete er. »Damit Phar Lap Muskelmasse aufbaut, ist ein Galopp durch Wasser und Sand genau das Richtige. Vorerst brauche ich keine Rennbahn.«
»Sie wollen mit ihm an den Strand?« Tommy merkte, dass er dabei war, sich um Kopf und Kragen zu reden, und er setzte schnell hinterher: »Er ist in ein paar Minuten für Sie fertig, Sir.« Und wenn ihm das Pferd noch so leidtat, die Zeiten waren einfach nicht so, dass man sich wegen einer solchen Sache um seinen Job brachte.
Phar Lap hob den Kopf, um den Schmerzen an seinem empfindlichen Maul zu entgehen. Doch es nützte nichts. Der Mann auf seinem Rücken hielt die Zügel so fest in der Hand, dass die Trense in seine Mundwinkel schnitt. Er stieß ihm die Sporen in die Flanken und Phar Lap zitterte. Er zitterte vor Anstrengung ebenso wie vor Angst. Die Sporen auf seiner Haut fühlten sich an wie die Zähne eines Raubtieres, die durch das Fleisch dringen. Der Mann trieb ihn immer weiter vorwärts, immer tiefer in die Brandung hinein, bis Phar Lap kaum noch Boden unter den Hufen hatte. Die Peitsche zischte wie eine gefährliche Schlange, als der Mann auf seinem Rücken sie durch die Luft schwang.
Harry Telford hörte das angestrengte Schnaufen des Pferdes, auf dessen Rücken er saß, doch er beachtete es nicht. Wer für ihn arbeitete, musste hundert Prozent seiner Leistung zeigen. Ob Mann oder Pferd, das war egal. Und Phar Lap war weit davon entfernt, die Leistung zu erbringen, die von ihm erwartet wurde. Aber das sollte sich ändern. Das musste sich ändern, wenn sie alle eine Zukunft haben wollten.
Unwillkürlich schüttelte Harry Telford den Kopf und knallte noch lauter mit der Peitsche, als er jetzt an sein Gespräch mit Woodcock zurückdachte. Dieser Grünschnabel glaubte doch tatsächlich, er könnte ihm Ratschläge erteilen, wie er seinen Job zu machen habe! Ihm, Harry Telford, der seit über dreißig Jahren Pferde trainierte! Dabei hatte er von nichts eine Ahnung! Wo hätte er in so kurzer Zeit ein Trainingsticket auftreiben sollen, das ihm erlaubte Phar Lap auf der Rennbahn zu trainieren? Er hatte ihn ja bislang noch nicht einmal als Rennpferd registrieren lassen! Und vor allem: Wovon hätte er die Gebühr bezahlen sollen? Ohne einen Sieg, ohne einen einzigen gottverdammten Sieg war er am Ende!
Wütend ließ Harry Telford die Peitsche auf Phar Laps Kruppe niedersausen. Er würde ihnen allen zeigen, was in ihm steckte. Und was in diesem verfluchten Pferd steckte!
»Wenn es im Himmel einen Platz für Pferde gibt, dann ist er dort.«
FAN AUS ANNANDALE, NEW SOUTH WALES
Phar Lap schlug mit dem Kopf und wieherte. Kaum hatte der Mann im weißen Kittel ihn losgelassen, machte er einen Satz zur Seite. Er schnaubte und prustete, dann stolzierte er breitbeinig zu einem schmalen Streifen saftigen Grüns, das den Weg säumte, und begann zu grasen.
Der Arzt lachte. »Sie können ihm einen Sattel auflegen und ihn nach Hause reiten, junger Mann. Dieses Pferd braucht jedenfalls keine Krankenpflege. Es hat eine erstaunliche Konstitution.«
Tommy Woodcock musste Dr. Doyle beipflichten. Soeben vom Hengst zum Wallach geworden, war der »Rote Blitz« zwar ein wenig beleidigt über die schlechte Behandlung, der man ihn ausgesetzt hatte, jedoch ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen war er deswegen noch lange nicht. Tommy betrachtete den Fuchs nachdenklich, der nur wenige Meter entfernt stand. Viel erinnerte beim Anblick Phar Laps nicht mehr an den ausgemergelten und mit Warzen übersäten Fuchs, den er vor einigen Monaten zum ersten Mal weit über seinem Kopf schwebend gesehen hatte. Der »Rote Blitz« war inzwischen ein stattlicher Zweijähriger, dem der Winteraufenthalt auf einer Farm bei Windsor, nordwestlich von Sydney, sichtlich gut getan hatte. Immer noch keine Schönheit, aber mit einem glänzenden Fell und kräftiger Muskulatur machte er einen gesunden und zufriedenen Eindruck.
»Komm, Bobby! Alter Junge!«, rief Tommy.
Phar Lap hob den Kopf und sah kauend zu dem jungen Mann hinüber. Er schien zu überlegen. Langsam setzte er sich in Bewegung, kam auf Tommy zu und ließ sich willig von ihm zu dem bereitstehenden Transporter führen, der ihn zurück zu seinem Stall nach Randwick bringen sollte.
»Verdammt! Wie kriege ich diesen blöden Gaul bloß dazu, sich zu bewegen?« Luang, der thailändische Stalljunge, stand in Phar Laps Box und zog mit aller Kraft am Führhalfter. Der »Rote Blitz« wirkte nicht einmal angestrengt, als er die Beine in den Boden stemmte und sich dem Zug am Halfter widersetzte. Viel hatte er dabei tatsächlich nicht zu tun, denn Luang war ausgesprochen dünn und von zierlicher Statur.
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