Schöne Aussicht - Jürg Amann - E-Book

Schöne Aussicht E-Book

Jürg Amann

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Beschreibung

Wir hatten den Gipfel im Auge. [...] Wir freuten uns auf die Aussicht. Sie war der Grund und der Motor unseres Gehens. Für sie nahmen wir alle Mühen des Aufstiegs in Kauf. So läßt Amann mit viel ironischem Zweckoptimismus die Titelgeschichte dieser Sammlung von Prosastücken beginnen. Um sie, ein paar Seiten später, abrupt mit der ernüchternden Feststellung zu beenden: "Aber als wir den Gipfel endlich erreichten, war es ein Abgrund." Zwischen diesen Vermessungspunkten von extremer Höhe und extremer Tiefe, von Gipfel und Abgrund, entwirft der Stilist Jürg Amann seine heiter-melancholische Topographie der Vergänglichkeit und Vergeblichkeit. Jürg Amanns Prosastücke, die manchmal auch Stücke in Prosa sind ("Mikrodramen"), sind Gleichnisse unserer Existenz.

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Seitenzahl: 97

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Jürg Amann: Schöne Aussicht

Jürg Amann

SCHÖNE AUSSICHT

Prosastücke

© 1997

HAYMON verlag

Innsbruck-Wien

www.haymonverlag.at

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7099-7622-7

Umschlagbild: Aus einem Skizzenbuch von Anton Christian („Haus im Grünen“)

Umschlaglitho: Laserpoint, Innsbruck

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.haymonverlag.at.

SCHÖNE AUSSICHT

Wir hatten den Gipfel immer im Auge. Von Anfang an. Auch dann, wenn wir ihn gar nicht sahen. Wir freuten uns auf die Aussicht. Sie war der Grund und der Motor unseres Gehens. Für sie nahmen wir alle Mühen des Aufstiegs in Kauf. Wir, das sind wir. Wir alle zusammen, die wir dabeiwaren.

Frühmorgens waren wir aufgebrochen, aus dem Dorf, in dem wir genächtigt hatten. Wir hatten uns unseren Weg vorgestellt. Aus dem Tal hinaus, das einsanftes, liebliches Tal war, auf dessen Sohle, am Bett des Flusses, das Dorf lag, über die Hügel, die es seitlich begrenzten, welche rundlich, rückenartig geformt waren, in die Bergflanken hinein, in die sie unmerklich übergingen, durch die Wälder hinauf, die ihren Fuß bedeckten, aus dem Wald hinaus, an den letzten Bäumen vorbei, durch welche ihr oberer Rand markiert war, an den Baumkrüppeln, welche die dünner gewordene Luft anzeigten, der Baumgrenze entlang, über die Baumgrenze hinaus, durch die Geröllhalden hindurch, die der Kampf zwischen Kälte und Wärme in den schon zurückliegenden Jahrtausenden geschaffen hatte, durch die Geröllhalden hinauf, der Gletscherzunge entlang, die das Gebirge leckte, die zwischen dem Moränenschutt und Moränengerümpel linkerhand unter uns lag, bis an den Grat aus Granit heran, bis auf den Grat aus Granit hinauf, und auf dem Grat höher, ohne nach links oder rechts zu schauen, immer weiter hinan, über alles hinaus. Die Sonne hatte geschienen.

Aber nun regnete es. Alles war ein wenig beschwerlicher, als wir es uns vom Bett aus in unseren Träumen gedacht hatten. Der Weg durch das Tal war naß. Die Nässe fraß am Leder der Schuhe und am Leder der Seelen. Über der Erde und über den niedrigen Wiesen lag ein gallertiger Film. Zwischen den Moosen und Gräsern hatte sich ekliger Schleim gebildet. Von den Büschen und Sträuchern, an die wir streiften, tropfte es zäh und giftig. Das Wasser der Bäche und Rinnsale, die sich überall durch die Schrunden und Öffnungen im Boden zwängten, hatte sich grün gefärbt. Das Wasser des Flusses war gelb. Die Flüssigkeit, die uns trotz der zum Schutz über die Köpfe gezogenen Kapuzen als eine ätzende Mischung aus kaltem Regen und kaltem Schweiß aus den Haaren hervor und über die Stirnen und Wangen herab bis in die Krägen hineinlief, griff die Gesichtshaut an.

Wir hielten den Blick auf den Weg gesenkt. Wir wachten über jeden unserer Schritte. Schon der erste Anstieg am Ende der Talsohle war schwierig zu nehmen. Die Wurzeln und Strunkenden, die in die Wege hinein und über die Wege liefen, waren glitschig. Auf den Steinen und Steinplatten, auf die wir traten, wo immer wir konnten, zwischen den Lärchenstrünken, rutschten wir aus. Wir setzten einen Fuß hinter den anderen. Wir gingen auf Händen und Füßen. Auf Händen und Knien. Als wir über die letzten Bäume hinauskamen, ging der Regen in Schneeregen über, der uns auf den Gesichtern brannte. Der Boden der Alp, die wir durchquerten, in den wir einsanken bis über die Knöchel, bis unter die Knie, erinnerte uns an einen riesigen Kuhfladen. Nur daß es ja keine Kühe mehr gab. Und schließlich begann es zu hageln. Offensichtlich war die Warmfront da oben, weit über uns, hoch über unseren Köpfen, auf eine Kaltfront gestoßen. Hagelkörner schlugen uns ins Gesicht. Zerschlugen uns unsere Haut. Wie sehr wir die Köpfe auch senkten. Wie sehr wir die Köpfe auch zwischen die Schultern nahmen und uns nach vorne beugten. Blitze fuhren uns um die Ohren und schlugen links und rechts von uns und vor und hinter uns ein. Unter den Kapuzen, die wir um die Gesichter zusammenzogen, so gut wie wir nur konnten, standen uns, obwohl sie ein einziger Brei waren, die Haare zu Berge. Hageleier schlugen uns durch die Kapuzen hindurch Beulen auf Nacken und Hinterkopf. Der Gletscher dampfte. Dunkelgraue Wolken verhüllten uns unser Ziel.

Wir sprachen von Umkehr. Einige sagten es laut, was alle schon lange dachten. Aber dazu war es schon längst zu spät. Das sagten wir uns. Der Weg zurück wäre weiter gewesen als der Weg hinauf. Womöglich gefährlicher. Das mußten wir glauben. Die Hütte auf dem Berg war uns als eine sehr schöne, sehr gute, sehr sichere Hütte geschildert worden. Einer hatte es vom andern gehört.

Welcher von wem zuerst, wußten wir nicht mehr. Aber der mußte es ja gewußt haben. Die Hütte auf dem Gipfel kam uns verlockender vor als die Hütte im Tal, von der wir aufgebrochen waren. Die Aussicht von ganz da oben stellten wir uns ins Unendliche vor. Das zog uns weiter hinan. Sie war die Strapazen des Weges wohl wert. Das redete jeder sich selber und einer dem anderen ein. Da genügte es, daß jetzt ein Anflug von Sonne für einen Augenblick durch eine der schwärzesten Wolken brach.

Wir kletterten weiter. Einer hinter dem andern. Der Weg war schmal geworden. Über die Felsplatten hinauf. Durch die Schnee- und Eisfelder hindurch. Bis hinaus auf die Krete. Aber als wir den Gipfel endlich erreichten, war es ein Abgrund.

MAUERSCHAU, LÄNDLICH, NOVEMBER

Ein langer Blick aus dem Fenster, ins Dunkel, ins Nichts. Das Nichts ist nicht nichts. Je länger der Blick sich ans Nichts gewöhnt, desto mehr gewinnt das Nichts an Konturen. Es ist eine Mauer, von Bildrand zu Bildrand, quer durch das Fenster, hinter die Fensterkreuze gespannt, von den Fensterkreuzen zerschnitten. Vermutlich rauhe Strukturen. Dunkle und helle Flecken. Mörtel, von Backsteinen geblättert, Nässe, Feuchtigkeit, Flechten irgendwelcher Gewächse. Oben von einer Art Himmel begrenzt, mit dem die Mauer durch schwarze Baumzacken und Widerhaken verzahnt ist, von dem etwas wie Efeuranken über ihr Gesimse und stellenweise bis an ihr Fußende herunterfällt. Das Fußende ist eine Straße oder ein Gehweg, der an ihr entlanggeht, oder der Gehsteig der Straße. Darauf eine Sitzbank, genau in der Mitte, die sich jetzt durch die Spur eines Schattens als etwas Plastisches von der Umgebung abhebt. In einigen Pfützen, schön über die Breite des Bildes verteilt, sammelt sich erstes Licht, das irgendwo hinter dem Haus, hinter dem Rücken hervorquillt. Der Schatten der Bank bewegt sich. Vielleicht ein Arm, vielleicht ein Bein, das gestreckt wird. Ein Umriß, der links aus dem Blickfeld verschwindet, bevor das Licht über die Pfützen hinaus auf die Welt fließt. Von rechts tritt ein anderer Mensch auf, wahrscheinlich ein Mann, vielleicht eine Frau, er hat es eilig, ihr Mantel wischt durch das Bild, die Pfützen, die das Licht nicht mehr halten, vermeidet er, sie tritt links wieder ab. Es kommt etwas Wind auf. Der Himmel, der heller wird, gibt die Bäume aus der Verzahnung frei. Sie stehen jetzt hinter der Mauer und vor dem Himmel. Die Wipfel der Zedern und Tannen bewegen sich. Das Efeu, das grüner wird, streicht, wenn das keine Täuschung des Auges ist, über den Stein. Jetzt wird ein Fahrrad hereingeschoben, von rechts her, vorerst nur zur Hälfte. Das Mädchen, das neben ihm hergeht, ist stehengeblieben. Es bückt sich, aus dem unteren Bildrand hinaus. Vielleicht um sich an der Kette des Fahrrads zu schaffen zu machen. Vielleicht um etwas aufzuheben. Vielleicht nur um das Pedal zu richten. Mit Schwung steigt es auf, das Fahrrad kommt ganz ins Bild, aber fährt auf der anderen Seite sofort wieder hinaus. Rot bleibt die Linie, die das Schlußlicht gezogen hat, noch für den Bruchteil einer Sekunde auf dem Grau der Mauer zurück. Dann wieder nichts. Das Nichts, das nicht nichts ist, sondern das Bild. Dann sehr lange Schatten, plötzlich, von vorne, über den Gehweg, schmal, zwei, dicht nebeneinander, schräg auf die Mauer zu, unvermittelt mit einem Knick im Winkel zwischen Gehweg und Mauer die Mauer hinaufschlagend und über die Mauer zuckend, die anzeigen, daß die Mauer von Süden nach Norden geht, und aus der rechten Bildecke ruckartig verschwinden. Dazwischen und jetzt danach etwas wie Sonne, sehr dünn, sehr kalt, sehr blau nach dem Blau der Schatten, sehr flach über die Mauer verteilt. Darin ein Loch, eine hellere Öffnung, ein Durchbruch, direkt über der Bank, kreuzförmig vergittert, ein Durchblick auf Gräber. Autodächer bilden jetzt plötzlich, von Lidschlag zu Lidschlag, den unteren Bildrand. Männer in Schwarz und mit Hüten, Frauen mit Schleiern treten zwischen ihnen hindurch, zuerst nur bis zu den Schultern, dann bis zu den Schuhen sichtbar, auf den Gehsteig und gehen, alle in eine Richtung, nach rechts an der Mauer entlang. Von links trägt eine Frau, die sehr schnell geht, einen Kranz durch das ganze Bild. Eine andere Frau hat auf dem Gepäckträger des Fahrrads ein Gebinde aus Blumen und Tannenreisig befestigt. Einen Moment lang ist Ruhe. Dann läuft ein Hund herein, die Schnauze am Boden, dreht aber gleich wieder um, um seinen Herrn zu holen, der ihm noch nicht bis ins Bild gefolgt ist, und erscheint wieder bei Fuß eines Mannes, der dunkel gekleidet und im Kreuz etwas hohl ist und in der Hand lässig die Leine schwingt und zu ihm redet. Einen kurzen Augenblick bleiben sie stehen, bevor der Hund seinen Herrn auf der anderen Seite aus dem Bild wieder hinauslockt. In der Öffnung der Mauer zieht, in der Gegenrichtung, eine dunkle Musik vorbei, die einen langsamen Marsch bläst. Draußen rennen johlend, an der Mauer hinaufspringend, schnell durch die Öffnung hineinschauend, den Schulranzen am Rücken, Kinder vorbei. Drinnen folgen ernst getragene oder unter der Last der Trauer gesenkte Köpfe dem Sarg. Dann ist wieder Ruhe. Der leise Wind hat sich auch wieder gelegt.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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