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Im VW Bus zu den schönsten Surfspots am Atlantik Ein Jahr raus aus dem Alltag und tun, was gefällt – das wagt Martin Röhrig gemeinsam mit seinem schlumpfblauen Bulli "Smurfy". Von Hamburg aus brechen die beiden in Richtung Atlantik auf, um der drohenden Midlife-Crisis zu entfliehen. Als Board-Sport-Enthusiast sucht und findet Martin Röhrig dabei die schönsten Surf- und Kite-Spots in Frankreich, Spanien und Portugal – und mittendrin auch sich selbst. Schrauben. Schlafen. Surfen. Eine Geschichte für Aussteiger und solche, die es werden wollen. Martin Röhrig entdeckt in seinem Sabbatical allerdings nicht nur neue Freunde, traumhafte Campingplätze und die besten Küstenabschnitte zum Kite-Surfen. Mit viel Humor und entwaffnend direkt erzählt er auch von Pannen und Patzern. Denn sein VW T2 hat schon etliche Kilometer auf dem Buckel und verlässliche Bulli-Werkstätten sind auf der Reiseroute durch Frankreich, Portugal und Spanien eher rar gesät. So wird im Laufe der Reise "Murphy's Law" zu "Smurfy's Law". Begleiten Sie den Autor und seinen geliebten VW Bus während ihres Sabbatjahrs: • Reisetagebuch mit vielen Anekdoten, humorvoll erzählt • Reich bebildert mit über 100 Farbfotos • Für Fahrer und Surfer: Tipps zu Stellplätzen, Kite-Spots und Aussichtspunkten Schrauben. Schlafen. Surfen. Mein Bulli Sabbatical am Atlantik ist das richtige Buch für Bulli-Fans, Kite-Surfer, Aussteiger und alle, die mindestens eines davon werden wollen. Fahren Sie mit Martin Röhrig und "Smurfy" auf eine Reise voller Abenteuer und Erfahrungen und legen Sie das Buch für Ihren eigenen Roadtrip ins Handschuhfach!
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Seitenzahl: 205
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PROLOG:NUN IST SABBAT
01FRANKREICHS ATLANTIKKÜSTE
02SPANIENS ATLANTIKKÜSTE
03PORTUGAL
04SPANIENS MITTELMEERKÜSTE
05ZURÜCK DURCH FRANKREICH
»Lieber ein schlechter Tag auf dem Wasser als ein guter Tag im Büro.«
Die Einladung zu meinem 40. Geburtstag hatte ich mit »Zu alt für den Strich, zu jung für den Sarg« betitelt. Jetzt, mit 44, stehe ich mitten im Leben, wenn ich mal optimistisch voraussetze, dass ich 88 Jahre alt werde. Auch im Berufsleben habe ich statistisch gesehen die Hälfte geschafft. Die Midlife-Crisis liegt hinter mir. Das weiß ich mit Sicherheit, da ich mich auf diese Herausforderung mithilfe eines entsprechenden Männer-Hobbys akribisch vorbereitet hatte, sodass jeder schon von Weitem erkennen konnte: »Nun hat es ihn auch erwischt.« Die Wahl war mir nicht leichtgefallen, da ich eigentlich schon jeden Unfug ausprobiert hatte, von Motorradfahren, Golfen und Kiten bis hin zu exzessivem Segeln. Mit Blick auf meinen Job in einem Hamburger Luftfahrtunternehmen blieb als logische Konsequenz mit dem richtigen Nervenkitzel nur die dritte Dimension. Und so fand ich mich wenig später in einem Gyrocopter wieder, einer Mischung aus Hubschrauber und Flugzeug. Gefühlt saugefährlich – egal was die Hersteller behaupten –, aber immerhin männergemäß. Nach zwei Jahren habe ich das Gerät wieder verkauft, bevor ich damit vom Himmel plumpsen würde, und meine Midlife-Crisis offiziell für beendet erklärt.
Als Ingenieur und Führungskraft bin ich in einer sehr komfortablen Jobsituation; als Single habe ich genügend Zeit, allen erdenklichen Beschäftigungen ausführlich nachzugehen, und seien sie auch so behämmert wie das Gyrocopterfliegen. Mein Leben könnte also, nüchtern betrachtet, ohne große Sorgen bis zum Ende meines (Berufs-)Lebens weitergehen. Aber wer betrachtet das Leben schon gern nüchtern? Bedeutet eine Fortsetzung der Vergangenheit weiterhin das große Feuerwerk oder wird mein Leben über die Jahre immer mehr zum Knallbonbon verkümmern, wenn ich so weitermache?
Ich sitze in meinem schicken Vorzeigebüro beim Coaching-Gespräch mit einem Studenten. Eines meiner Coaching-Highlights ist das Zeichnen der Lebenszykluskurve auf dem Flipchart. Alles auf dieser Welt hat eine Entstehungs-, Wachstums-, Reife-, Sättigungs- und Alterungsphase … und ein unvermeidliches Ende. Erfolgreiche Menschen unterscheiden sich von den erfolglosen darin, dass sie diese Lebenszykluskurve in ihr Handeln einbeziehen und genau wissen, wann etwas seinen Zenit überschreiten wird. Und sie haben den Mut, rechtzeitig loszulassen, auch wenn es gerade am schönsten ist. Der Student hört sich alles höflich und geduldig an. Hoffen wir mal, dass er es auch geschnallt hat. Zumindest zieht er nicht als erste Amtshandlung nach dem Coaching das Handy aus der Hosentasche. Nach dem Gespräch lehne ich mich in meinem Schreibtischstuhl zurück und starre auf das Flipchart. Seit sechs Jahren sitze ich nun auf diesem Stuhl. Jedes Jahr war auf eine andere Art und Weise spannend. Der Job ist klasse, das Team großartig – aber wo auf der Kurve befinde ich mich? »Du bist irgendwo da oben. Vielleicht schon dort, wo es langsam bergab geht, aber auf jeden Fall bist du dran!« Mein Blick schweift durch das schicke Büro, als nähme er Abschied.
31. Mai 2016: Der Rahmen, den die Compliance-Richtlinien für eine Abschiedsveranstaltung zulassen, reicht kaum über eine Tasse Kaffee und ein Stück Butterkuchen pro Nase hinaus. Meine Vorstellungen von meinem letzten Arbeitstag sind da anders, und so beschließe ich, das Thema auf die eigene Kappe zu nehmen und noch einmal richtig die Kuh fliegen zu lassen, als Dankeschön, und weil ich schon immer Lust hatte, eine Beachparty zu veranstalten. Gestern hat es noch wie aus Eimern geschüttet, und auch jetzt stehe ich hier am Strand von Krautsand an der Elbe mit der großen Sorge aller Open-Air-Veranstalter: Wird es trocken bleiben? In gut zwei Stunden rücken über 80 Gäste an. In meiner zurückhaltenden Art habe ich quasi die komplette Beach-Bar nebst Personal gemietet: wenn, dann richtig. An dieser Stelle weist die Elbe Richtung Nordwesten und mündet recht bald in die Nordsee. Im Sommer geht die Sonne nahezu über dem Fluss unter, was von dem Strand aus, auf dem ich gerade stehe, ein beeindruckender Anblick ist – sofern es nicht regnet. Mein neues Lieblingswort heißt »Sabbatical«. Ein ganzes Jahr liegt vor mir, in dem ich tun und lassen kann, was ich möchte. Danach sichert mir die Firma eine adäquate Tätigkeit zu – entspannter könnten die Rahmenbedingungen nicht sein.
Ich bespreche letzte Details mit der Gastronomie, rücke die Liegestühle und Strandkörbe zurecht und mache einen Soundcheck mit der gullydeckelgroßen Bassbox – läuft! Einfach wohlfühlen am Strand: Das ist mein Plan für die nächsten Monate, und ihr seid alle herzlich eingeladen, kurz mitreinzufühlen! Mit fortschreitender Zeit öffnet sich die Wolkendecke immer weiter, und die Sonne kommt wie verabredet zum Vorschein. Kein Lüftchen kühlt die warmen Sonnenstrahlen ab, stattdessen sorgen die zurückgebliebenen Wolken für ein irres Farbspektakel am Himmel – perfekte Bedingungen bereiten die Bühne für den letzten Auftritt.
Alle Freunde, Mitarbeiter und Geschäftspartner, die mir über die Jahre lieb und wichtig wurden, sind hier, und alle sind sie gut drauf. Die Schuhe fliegen in die Ecke, es wird kubikliterweise Bier und Aperol Spritz serviert. Für den Hunger gibt es Mini-Burger und Fischbrötchen, und wer immer noch nicht genug hat, stürmt die Eistheke. Große Containerschiffe fahren an uns vorbei, hinaus in den Sonnenuntergang und die weite Welt – ein Bild, das gerade hier und jetzt eine große Anziehungskraft auf mich ausübt. Zu chilliger Musik verschwindet die Sonne spätabends in einem bunten Potpourri aus Farben in der Elbe, wie es nur nach einem verregneten Tag möglich scheint. Kurz vor Mitternacht rücken die letzten Gäste ab. Allein zurückgeblieben, setze ich mich auf das Geländer der Seebrücke, die hier gut 30 Meter in die Elbe hinausragt, und genieße die Ruhe und die sommerliche Wärme, während sich in meinem Kopf eine zufriedene Leere einstellt. Der letzte Vorhang ist gefallen.
Abschlussparty im Bistro Strandzeit.
1. Juni: Start in ein neues Leben.
Mein T2-Bulli »Smurfy« stand die ganze Feier über ziemlich direkt vor der Beach-Bar und hat von repräsentativer Stelle aus das Spektakel mitangeschaut. Gut, ich wollte auch mit ihm angeben und gezielt signalisieren: Auf die Innenmaße dieses Bulli werde ich ab morgen mein Leben beschränken. Ich habe es alles gehabt, jetzt reduziere ich auf das Maximum.
Der erste Tag meiner neu gewonnenen Freiheit: Ich wache im aufgestellten Dach von Smurfy auf und öffne die Reißverschlüsse des Seitenfensters. Die Sonne scheint mir direkt ins Gesicht. Ich blinzele und schaue von meinem Platz aus direkt über den Strand auf die Elbe, über der fast mittig die Sonne steht. Groß anziehen mag ich mich als Neuarbeitsloser nicht, weswegen ich nur meinen blauen Onesie anziehe und an den Strand gehe. Ein Onesie – oder auch Jumpsuit – ist quasi Kapuzensweatshirt und Jogginghose in einem. Kein Mensch macht darin eine gute Figur, aber er ist saubequem. Zufälligerweise ist er blau wie der Bus, sozusagen ein Tarnanzug, wenn ich davorsitze. Es muss ungefähr 9 Uhr sein, die Uhr habe ich im Auto liegen gelassen.
Langsam spaziere ich den einsamen, breiten Strand entlang, an dem wir gestern noch gefeiert haben. Es fühlt sich leicht an, unbeschwert, und doch spüre ich, dass ich ganz viel zurückgelassen habe. All diese Menschen, einen sicheren Job, einen geregelten Tagesablauf und eine sinnvolle Aufgabe. Nichts davon ist mehr da – nur Wasser, Strand und Weite. Und wenn es nach meinem aktuellen Plan geht, wird sich das zumindest in den nächsten drei Monaten nicht nennenswert ändern. Ich setze mich auf einen Stein und beginne ganz unbewusst mit dem ersten Ritual meines neuen Lebensabschnitts: atmen. Ich atme tief und bewusst, ein–aus, ein–aus. Mit jedem Atemzug fällt es mir leichter zu akzeptieren, dass jetzt alles anders ist, mit jedem Atemzug werden meine Augen feuchter, bis sich schließlich die ganze Erleichterung ihren Weg bahnt. So sitze ich dort bestimmt eine Stunde lang. Zeit spielt ab heute ohnehin keine Rolle mehr, sie ist einfach ausreichend vorhanden.
Rückblick: Bullis fand ich immer schon klasse – aber welcher Mensch zwischen fünf und 100 Jahren tut das nicht? Bullis, das sind für mich die Modelle T1 bis T3 von Volkswagen. Wenn er liebevoll herausgeputzt ist, auch der T4, dann hört es aber auf. Der Rest sind Transporter oder Lifestyle-Wohnmobile, doch sie alle sind besser als diese großen weißen Plastikkisten. Vor Jahren las ich in einem Surfmagazin, dass man in Cornwall T2-Bullis mieten könne. Nun war mein Patenkind Nummer eins zu diesem Zeitpunkt gerade in England auf der Schule. In Kombination mit einem Besuch könnte da ein Schuh draus werden, dachte ich mir. Wenige Wochen später befand ich mich vor einer Scheune irgendwo in Cornwall, neben mir mein Patenkind, vor uns »Morrison«, ein oranger T2. Ein Bulli hat immer einen Namen, sonst ist er kein Bulli. Die Reise durch Cornwall wäre eine separate Geschichte wert, aber long story short: Von diesem Zeitpunkt an war ich angefixt, »Bulli-bitten« sozusagen. Das entspannte Reisen und die positive Wahrnehmung durch die Umwelt – einfach herrlich. Das unvermeidliche Übel bei so einem Auto: Es geht permanent etwas kaputt. Aber Morrison war ja nur gemietet, und so konnten wir ihn nach drei Tagen wieder abgeben – inklusive einiger schlauer Tipps, was alles zu reparieren wäre. Wohl dem, der das nicht selbst an der Hacke hat!
Im folgenden Sommer war ich zum Polterabend von Freunden eingeladen. Im Garten hatte sich eine Wagenburg aus Bullis und Wohnmobilen gebildet. Ich hatte bis dato keinen Plan, wo ich schlafen sollte. Nach Hause zu fahren, war nach einem Polterabend gar keine Option. Inzwischen war in der Wagenburg schon eine kleine Konkurrenzparty entstanden. Auch ich wollte an diesem Abend nur zweimal lang hinschlagen und in meinem Bettchen landen. Da kam der Wunsch erneut mit aller Macht in mir hoch: Ich will dabei sein, ich will einen Bulli! Und das Ganze nicht irgendwann, sondern sehr bald, um jeden Preis noch im kommenden Sommer.
Mary, Morrison and me in Cornwall.
Zurück in der Gegenwart: Die Suche beginnt. Und »um jeden Preis« ist das auch gar kein Thema. Karosserie vergammelt: 10.000 €, Auto knapp fahrbereit: 20.000 €, Auto gut dabei: 30.000 €, Auto top dabei: 40.000 €. Natürlich gibt es den T2 auch günstiger, aber ich habe inzwischen konkrete Vorstellungen: Ein Westfalia-Ausbau mit Aufstelldach soll es sein, und 70 PS möchte ich auch haben, denn ich habe keine Lust, hinter den Lkws herzuzuckeln. Mit meinen Freunden Kai und Jan mache ich mich auf die Suche, bis wir in Bremen fündig werden. Toller Zustand, alles klingt plausibel, also verabreden wir einen Termin, und los geht’s. Kai und ich sind gerade auf dem Weg von Hamburg nach Bremen, da ruft der Verkäufer an und informiert uns, er habe den Bulli just verkauft. Ich könnte ausrasten: Vor drei Tagen stand der erst drin, und wir haben sofort angerufen. Nun ist er schon weg.
Mit dieser »Ich-will-das-jetzt-sofort-Einstellung« etwas Gebrauchtes zu kaufen, ist der denkbar schlechteste Einstieg in jedwede Verhandlung. Aber genau an diesem Punkt bin ich jetzt angelangt. Zwei Wochen später taucht ein weiteres Angebot aus München auf: ein blau-weißer T2. Im Preis ist er gerade um 4.000 € heruntergesetzt worden, und die Ausstattung entspricht meinen Wünschen – trotz der üblichen Baustellen, die so ein Auto nun mal hat. Die Bremen-Schlappe noch in den Knochen, bitte ich Jan, mit dem Bulli zu einem Gutachter zu fahren, da wir beide keine Ahnung von alten Autos haben. Ich will gar nicht genau wissen, was der Gutachter tatsächlich sagt, aber ich glaube, er rät uns ab. Zumindest ist er mit dem Motor nicht zufrieden und meint, dass der sehr bald kaputt gehen könne. Egal, denke ich, kommt halt ein Austauschmotor rein. Und die Reifen seien sehr alt. Dann kommen halt neue drauf. So rede ich mir alles schön, sogar die Expertise eines Gutachters. Und dann kommen wir an den verhängnisvollsten Punkt im gesamten Kaufprozess: »Wie soll er denn heißen?« Diese Frage ist bei einem alten T2 durchaus gerechtfertigt, aber zu diesem Zeitpunkt völlig deplatziert. Anstatt die Expertenmeinung des Gutachters weiter zu diskutieren, stellen wir fest, dass der Wagen zunächst einen Namen braucht. Ich gehe mit »Schlumpfmobil« ins Rennen. Dies wird ohne Nennung von Gründen oder Alternativvorschlägen sofort abgeschmettert. Ich erhöhe auf »Smurf«, da das Blau-Weiß wirklich schlumpfig aussieht. Jan kontert: »Wenn, dann ›Smurfy‹.« Das Schicksal ist besiegelt. Einen namenlosen Bus einfach wieder zurückzugeben, wäre kein Thema. Aber ein Bulli mit einem Namen ist quasi schon ein Familienmitglied, eine Rückgabe käme einem Verstoß gleich. Ich gebe mir eine Nacht Bedenkzeit – aus Prinzip und vorgetäuschter Professionalität. Willkommen in der Familie, Smurfy! Und wenn der Motor kaputt geht oder die Schuhe neu besohlt werden müssen, dann kriegen wir das schon hin.
Von München nach Hamburg sind es knapp 800 Kilometer – eine zum aktuellen Zeitpunkt unvorstellbar lange Strecke für meinen T2-Bulli. Nun war Smurfy gerade in der Werkstatt, ist durch den TÜV gekommen, und Jan muss da jetzt allein durch. Wird schon schiefgehen. Die Fahrt verläuft zwar flüssig, doch zwischendurch bekomme ich Positionsmeldungen, die alle weit hinter dem von Google Maps berechneten Fortschritt liegen, sodass noch ein Übernachtungsstopp eingelegt werden muss. Es ist Donnerstag, 10:30 Uhr. Positionsmeldung: nahe Seevetal, Statusmeldung: »Nichts geht mehr.« »Gar nichts?«, frage ich Jan. »Überhaupt nichts«, ist die Antwort. »Ich habe den ADAC gerufen.« Wo finde ich jetzt eine Bulli-Werkstatt, in die der ADAC abschleppt? Ich kenne mich mit der Materie doch noch gar nicht aus. Ich gebe die Koordinaten der Werkstatt von Kumpel Schrotti in Hamburg durch und mache mich alsbald selbst auf den Weg dorthin.
Da stehen wir nun: Jan, der immer noch leicht angeschlagen von der kurzen Nacht und der langen Fahrt ist, Schrotti, Smurfy und ich. Schrotti lässt mit der Diagnose nicht lange auf sich warten: »Dritter Zylinder überhitzt, passiert bei den Motoren immer. Kannst dir gleich ’n Austauschmotor besorgen. Was kaufst du dir auch so ’ne alte Karre für so viel Geld.« Ich betrachte meine neue Errungenschaft. Smurfy ist von außen gut im Lack. Auf dem Armaturenbrett prangt ein Schild mit dem Schriftzug »Smurfy«, das Jans Freundin gebastelt hat – wie lieb. Das »Cockpit« ist spartanisch, wie das bei so einem alten Bulli nun mal ist. An den Pedalen vorbei kann man auf die Straße schauen – gewöhnungsbedürftig. Es riecht nach einer Mischung aus Metall, Öl und muffigen Polstern. Es mag an der Kälte liegen oder am leichten Nieselregen, aber ich komme mit der Situation gerade überhaupt nicht klar. Alter Schwede, denke ich so bei mir, das ist kein Selbstläufer. Ich muss hier erst mal weg, nachdenken, Schnaps trinken, einen neuen Motor kaufen und das Auto ummelden. Willkommen im Klub der Oldtimerbesitzer, oder besser: der Leidensgenossen?
Jan gibt mir das TÜV-Gutachten aus München und die portugiesischen Papiere, denn Smurfy kommt eigentlich aus Portugal. Wenn das dem Straßenverkehrsamt mal reicht. Ich übergebe den Fall an einen professionellen Zulassungsdienst, zusammen mit allen Unterlagen. Das Kennzeichen fängt mit HH-VW an – so muss das sein. Smurfy ist jetzt offiziell Hamburger. Jetzt noch fix einen neuen Motor besorgen, und wir können losfahren. Der 50-PS-Motor ist in der Tat für unter 1.000 € zu haben, wir haben aber den 70-PS-Motor – das wären dann 3.000 €. Mir schwant, dass dies kein günstiges Hobby werden wird. Ich reserviere einen Motor bei einem Händler – zufällig aus München – und trinke schon wieder einen Schnaps. Smurfy macht mich noch zum Alkoholiker. Die Schadensdiagnose von Schrotti war irgendwie nicht überzeugend, ich brauche eine zweite Meinung. Inzwischen bin ich dem ADAC beigetreten und stelle unsere junge Zusammenarbeit zum ersten Mal auf die Probe: Der Bulli muss von Werkstatt A im Osten zu Werkstatt B im Westen Hamburgs. »Sie können Ihr Auto jetzt abholen«, tönt es am Nachmittag selbigen Tages aus dem Hörer. Am anderen Ende ist Gerhard Kagerah, mein Retter und neuer Schrauber meines Vertrauens. »Das Schwimmernadelventil hing. Rechnung? Ach was, machen wir nächstes Mal, war nicht der Rede wert.«
Es ist eine Zeitreise. Geiles Gefühl, mehr geht nicht, mehr braucht man nicht. Bulli fahren ist Fortbewegung der Extraklasse: Entschleunigung, gute Laune, pure Entspannung. Blitzartig ist der ganze Stress der letzten Wochen vergessen, und ich fühle mich unsterblich hinter dem großen Truckerlenker. Das Fieber hat mich gepackt. In den nächsten Tagen kaufe ich allen möglichen Kram bei Amazon und eBay zusammen, von dem ich überzeugt bin, dass ich ihn auf meinen zukünftigen Touren brauchen werde: Töpfe, Pfannen, Blechgeschirr, Bluetooth-Lautsprecher, Ladekabel, Lampen, eine Art Notbatterie-Kompressor-Lampen-Kombi-Ding und vieles mehr. Zufälligerweise ist das meiste davon blau. Zu allem Überfluss bestelle ich noch zwei Schlumpfmützen. Besser haben, als brauchen – Amazon macht’s möglich. Die Shoppingphase geht nahtlos in die Bastelphase über, in der der ganze Kram verbaut werden will. Zudem brauche ich noch eine ordentliche Verdunkelung für die Scheiben, natürlich selbst genäht. Ein Riesenaufwand, der allerdings viel Spaß macht. Neue Polster werden auf den Winter verschoben.
Für meine erste Ausfahrt wähle ich Sankt Peter-Ording. Der Strand ist aus meiner Sicht einer der schönsten Parkplätze der Welt: endlos weit und mit einem traumhaften Sonnenuntergang über dem Meer. Es ist Freitag, und wie immer komme ich zu spät aus dem Büro weg. Als ich die A 23 hinter Heide verlasse, steht die Sonne schon über dem Horizont. Es ist Herbst, und ein leichter Nebel breitet sich aus. Je weiter wir Richtung Küste kommen, desto satter liegt der Nebel in den Tälern, zusammen mit der tief stehenden Sonne. Es sieht aus, als schwämmen die Baumkronen in einem weißen Meer aus Wolken – ein atemberaubender Anblick. Die Luft ist so feucht, dass die Windschutzscheibe von außen und von innen beschlagen ist. Der Scheibenwischer mag heute nicht so recht, und auch die Lüftung ist zu asthmatisch. Egal, ich kurbele die Scheibe herunter und lehne mich aus dem Fenster. So überquere ich den Deich und fahre der Sonne entgegen auf den Strand von Sankt Peter. Smurfy quer in vorderster Reihe geparkt, Mucke an, Schiebetür auf, Bier auf – mehr geht nicht!
Das Fahrzeug macht den Fahrer – mit Schlumpfmütze und blauem Onesie.
Die drei Wochen nach der Abschiedsparty am Elbstrand stehen komplett im Zeichen des Bulli-Tunings. In Ermangelung einer vernünftigen Garage passiert dies meist direkt bei mir vor der Haustür, vor dem Verwaltungsgebäude des Bauriesen Bilfinger. Die Angestellten in ihren schicken Klamotten haben sich schon daran gewöhnt und sind gelegentlich für einen Schnack zu haben. Auch meine Stichsägearbeiten auf den Stufen zum Eingang werden erstaunlicherweise toleriert. Ich optimiere jeden Schrank, jede Ecke und baue sogar Geheimfächer ein. Mit Unterstützung meines Onkels in Verden, dessen Tischlerei ich nebst drei Angestellten für 24 Stunden einfach komplett blockiere, werden dann noch das 100-Watt-Solarpanel auf dem Dach montiert und der neue Kühlschrank eingebaut. Klingt alles recht einfach, aber die ganzen modernen Helferlein sollen nicht auffallen und müssen daher originalgetreu verkleidet oder versteckt werden. Zudem ist der Kühlschrank eigentlich viel zu groß für das Auto, ich möchte mich mit der kleineren Version aber nicht zufrieden geben.
Smurfy ist ab jetzt völlig autark, es gibt immer kaltes Bier, sämtliche Geräte werden über 12-Volt- respektive USB-Stecker geladen, sogar der Tintenstrahldrucker, den ich dabeihabe. Abgerundet wird das Ganze von einer Sammlung an »Spielsachen«, die kaum Wünsche offenlässt. In der stilechten Alubox am Heck befinden sich die Kites, ein Gasgrill und ein Campingstuhl. Im Bulli sind zwei Kiteboards und ein Elektro-Skateboard verstaut, das als Fahrradersatz dient. Natürlich kann auch Letzteres autark geladen werden. Vorn im Fußraum liegt ein aufblasbares Stand-up-Paddling-Board. Das Ganze wird abgerundet durch eine Vielzahl an kleinen Spielereien. Zum Abschied habe ich zahlreiche Bücher geschenkt bekommen, von denen ich keines zu Hause lassen mag. Also wird kurzum noch ein Bücherregal in Form einer zweiten Ablage unter dem Armaturenbrett installiert und die Bücher entsprechend drapiert: das hellblaue Buch mit dem Bulli-Umschlag nach oben, daneben das selbstgebastelte Reisebuch von Johann und Marie und das Lonely Planet Travel Journal.
Es ist nahezu alles perfekt, doch wenn ich so weitermache, komme ich nie los. Ich werkele mich an dem Auto noch zu Tode und ertappe mich dabei, wie ich nach Gründen suche, um den Start zu verschieben. Jetzt reicht es aber! Ich lade mich für Montag bei der Verwandtschaft in der Nähe des Ruhrgebiets zum Abendessen ein. Das ist meine Deadline. Smurfy ist technisch und optisch in Bestform – ein Traum in Blau und Weiß.
Mein Plan ist immer noch, meine Hamburger Wohnung für die Dauer des Trips unterzuvermieten – die Miete verfeiere ich lieber, als dass die überteuerte Wohnung leer steht. Nun scheue ich aber Portale, die mir Leute ins Haus bringen, die ich nicht kenne, und habe das Thema daher nicht weiterverfolgt. Aus diesem Grund bleibt die Hütte zunächst leer, vielleicht meldet sich ja noch jemand. Unterschwellig spüre ich, dass es sich sicherer anfühlt, sich diese Rückzugsmöglichkeit offenzuhalten. Also räume ich alle Habseligkeiten beiseite, sodass sich ein Gast spontan wohlfühlen würde. So ordentlich war es hier seit Langem nicht mehr. Ein letzter Kaffee an der Ecke, spätestens um 13 Uhr muss es aber losgehen. Das Gefühl ist mehr als befremdlich, als ich den Platz vor dem Bilfinger-Gebäude räume. Niemand winkt zum Abschied, obgleich die sicher auch froh sein werden, dass sie ihren Eingang wieder in voller Breite nutzen können. Ein letzter Weg führt mich zu meinem Autoschrauber, um noch eine Ladung Ersatzteile mit an Bord zu nehmen, das ist sicherer.
Juniorchef Oliver Kagerah, mein Schrauber, ist der letzte Hamburger, der mich verabschiedet, ehe ich die Stadt verlasse. Er gibt mir das gute Gefühl, dass Smurfy wirklich top in Schuss ist für die lange Reise. Hoffentlich ist er nicht der Erste, den ich wiedersehe, denn dann ist etwas schiefgegangen. Nun gibt es kein Zurück mehr. Ab auf die Autobahn in Richtung Pott. Die Routenplanung habe ich aufgrund meines miserablen Orientierungssinns recht einfach gestaltet: die Atlantikküste in Richtung Süden, bis es nicht mehr weitergeht, dann die Mittelmeerküste Richtung Norden, bis es langweilig wird, dann ab nach Hause. Drei Monate sind für die Tour eingeplant, davon über zwei Monate am Atlantik. Von der Mittelmeerküste erwarte ich nicht viel, ist so ein Bauchgefühl. Auf ein Schmierblatt habe ich einen groben Zeitrahmen gekritzelt, wann ich in etwa wo sein will. Ideelles Ziel der Reise wird Tarifa sein, das Mekka des Kitesurfens im Süden Spaniens. Anfang September wäre erstrebenswert. Das fühlt sich für ein Kite-Pilgerreise so weit ganz gut an. Ansonsten gilt: »Je mehr du planst, desto härter trifft dich der Zufall«. Damit genug der Theorie.
Philipp Dittberners »Das ist dein Leben« dudelt aus meinem nagelneuen Retro-Radio, natürlich mit Bluetooth und Freisprecher. Das Lied wird mich während der ganzen Reise begleiten. Wir rollen auf der Autobahn gen Ruhrgebiet, angespannt höre ich genau auf jedes Geräusch. Der Motor läuft super, aber wird er das auch die nächsten 3.500 Kilometer tun? Was verbraucht Smurfy eigentlich auf 100 Kilometern an Sprit und Öl? Der Kilometerzähler will nicht so recht – egal, die Reparatur spare ich mir für unterwegs auf. Die Kilometer interessieren mich nicht sonderlich, obgleich die Zahl für die Ermittlung des Verbrauchs ganz interessant wäre. Beim nächsten Tanken starte ich meine Runtastic-App, um Geschwindigkeit und Entfernung einzugeben. Schon naht die erste Ernüchterung: Bei der Wahnsinnshöchstgeschwindigkeit von über 110 Sachen – laut Tacho – handelt es sich de facto um gerade einmal knapp über 100 km/h. Dann ist das eben so.
Unzählige Gedanken schießen mir durch den Kopf: Wieso mache ich diese Tour eigentlich? Und wieso allein? Ich hatte doch so tolle Angebote, von Segeln in Rio bis zu Überführungstörns von Privatyachten. Oder wieso hänge ich nicht einfach nur in Hamburg ab, der geilsten Stadt der Welt? Stattdessen sitze ich mir den Hintern auf den Autobahnen Europas platt. Dabei fahre ich überhaupt nicht gern Auto, es ist für mich einfach nur ein Mittel zum Zweck. Aber wen hätte ich denn mitnehmen sollen auf eine Reise zu mir selbst? Und genau das ist es ja schließlich. Zahlreiche Freunde hatten angeboten, mich zu begleiten, doch wie soll ich »in den Tag hineinleben«, wenn ich meinen potenziellen Begleitern Monate vorher Flughafen und Tag für einen Zusammenkunft nennen muss?