34,99 €
Magisterarbeit aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Deutsch als Fremdsprache, DaF, Note: 1,15, Universität Augsburg (Lehrstuhl Deutsch als Zweit- und Fremdsprache und seine Didaktik), Sprache: Deutsch, Abstract: „Erzählen ist eine Allerweltstätigkeit. Man kann etwas erzählen, man kann von etwas erzählen, und es gibt nichts auf der Welt, das nicht zum Gegenstand des Erzählens werden könnte.“ (Weber 1989: 42) Erzählen gehört zu den zentralen kommunikativen Fähigkeiten des Menschen. Die Erzählung als Textsorte eignet sich aus zwei Hauptgründen für eine empirische Untersuchung der sprachlichen Kompetenz: Zum einen ist Erzählen eine Diskursform, zum anderen hat die Diskursform sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen eine große Bedeutung, da dadurch solche kommunikativen Funktionen wie Informationsvermittlung, Unterhaltung oder psychische Entlastung erfüllt werden (vgl. Bitter Bättig 1999: 11). Das Wort „Erzählung“ stammt vom Verb „erzählen“ und wird im Deutschen ganz auf den Akt des Erzählens konzentriert (vgl. Fludernik 2006: 9). Erzählen gehört zu den grundlegenden Kommunikationsformen des Menschen. Ein großer Teil der menschlichen Kommunikation besteht aus Erzählungen. Erzählt wird überall: im Alltag, in der Literatur und im Unterricht. Erzählt wird unter vier Augen und vor einem großen Publikum. Erzählt wird sowohl von realen und fiktiven Ereignissen als auch von selbsterlebten und fremden Erfahrungen. Vielfältig sind die Situationen, in denen erzählt wird, ebenso die Inhalte, die beim Erzählen wiedergegeben werden, und auch die Motive, aus denen heraus erzählt wird (vgl. Boueke 1989: 13). Kaum eine andere sprachliche Verständigungsform ist derart allgegenwärtig wie das Erzählen, und keine ist innerhalb von Interaktionsprozessen unterschiedlichster Art so vielseitig verwendbar. (ebd.) In der Alltagskommunikation erzählt man von sich selbst oder von den Geschehnissen, zu denen man in einem bestimmten beispielsweise emotionalen Verhältnis steht. Erzählt wird monologisch und dialogisch, mündlich und schriftlich. Ursprünglich war die gesprochene Sprache die einzige Form der Kommunikation, und es wurde nur mündlich erzählt. Mit der Verbreitung der Schriftsprache setzten sich die schriftlichen Erzählformen immer mehr durch. Die Rolle des Erzählens für die menschliche Kultur war und ist nach wie vor sehr bedeutend. Die Ursprünge der Schriftkulturen finden sich bereits in Mythen. Auch die Leistungen der Vorfahren und die Fortschritte der Menschheit werden als Geschichten bzw. Erzählungen im kulturellen Gedächtnis niedergelegt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Impressum:
Copyright (c) 2013 GRIN Verlag GmbH, alle Inhalte urheberrechtlich geschützt. Kopieren und verbreiten nur mit Genehmigung des Verlags.
Bei GRIN macht sich Ihr Wissen bezahlt! Wir veröffentlichen kostenlos Ihre Haus-, Bachelor- und Masterarbeiten.
Jetzt beiwww.grin.com
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Zur Einführung
1.2 Aufbau, Gegenstand und Zielsetzung der Magisterarbeit
2 Die Begriffe „Erzählen“ und „Erzählung”
3 Mündliches versus schriftliches Erzählen
4 Besonderheiten der Schriftsprache
5 Stellung des Erzählerwerbs innerhalb des Spracherwerbsprozesses
6 Erzähltheoretische Grundlagen
6.1 Strukturmodelle in der Erzählforschung
6.2 Das Strukturmodell von Boueke u. a.
7 Erzählanlässe und Textstimuli
7.1 Empirische Befunde
7.2 Erzählen nach einer Bildergeschichte
8 Erst-, Zweit- und Fremdspracherwerb
8.1 Linguistische Theorien zur Erklärung des Zweit- bzw. Fremdspracherwerbs
8.2 Interdependenz- und Schwellenhypothese
9 Methodische Grundlagen
9.1 Datenerhebung und Probanden
9.2 Transkription der Erzählungen
9.3 Zeichen und Bezeichnungen in Beispieltexten
10 Untersuchungen zur Textlänge
11. Aufbau der Erzählungen
11.1 Realisierung von einzelnen Komponenten
11.2 Fazit
12 Analyse der affektiven Markierungen
12.1 Affektive Markierung der Plötzlichkeit
12.1.1 Verwendung der affektiven Markierungen der Plötzlichkeit
12.1.2 Fazit
12.1.3 Lokalisierung der affektiven Markierungen der Plötzlichkeit
12.1.4 Fazit
12.2 Affektive Markierung der psychologischen Nähe
12.2.1 Fazit
13 Analyse der Strukturtypen
13.1 Ergebnisse zu Strukturtypen
13.2 Fazit
14 Untersuchungen von Erzählsystemen
14.1 Erzählformen
14.2 Erzählverhalten
14.3 Erzählperspektive
14.4 Fazit
14.5 Erzähltempus
14.5.1 Fazit
15 Untersuchungen zur Referenz auf Aktanten
15.1 Einführung der Aktanten
15.2 Ergebnisse zur Einführung der Aktanten
15.3 Fazit
16 Resümee und Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
„Erzählen ist eine Allerweltstätigkeit. Man kann etwas erzählen, man kann von etwas erzählen, und es gibt nichts auf der Welt, das nicht zum Gegenstand des Erzählens werden könnte.“
(Weber 1989: 42)
Erzählen gehört zu den zentralen kommunikativen Fähigkeiten des Menschen. Die Erzählung als Textsorte eignet sich aus zwei Hauptgründen für eine empirische Untersuchung der sprachlichen Kompetenz: Zum einen ist Erzählen eine Diskursform, zum anderen hat die Diskursform sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen eine große Bedeutung, da dadurch solche kommunikativen Funktionen wie Informationsvermittlung, Unterhaltung oder psychische Entlastung erfüllt werden (vgl. Bitter Bättig 1999: 11). Das Wort „Erzählung“ stammt vom Verb „erzählen“ und wird im Deutschen ganz auf den Akt des Erzählens konzentriert (vgl. Fludernik 2006: 9). Erzählen gehört zu den grundlegenden Kommunikationsformen des Menschen. Ein großer Teil der menschlichen Kommunikation besteht aus Erzählungen. Erzählt wird überall: im Alltag, in der Literatur und im Unterricht. Erzählt wird unter vier Augen und vor einem großen Publikum. Erzählt wird sowohl von realen und fiktiven Ereignissen als auch von selbsterlebten und fremden Erfahrungen. Vielfältig sind die Situationen, in denen erzählt wird, ebenso die Inhalte, die beim Erzählen wiedergegeben werden, und auch die Motive, aus denen heraus erzählt wird (vgl. Boueke 1989: 13).
Kaum eine andere sprachliche Verständigungsform ist derart allgegenwärtig wie das Erzählen, und keine ist innerhalb von Interaktionsprozessen unterschiedlichster Art so vielseitig verwendbar. (ebd.)
In der Alltagskommunikation erzählt man von sich selbst oder von den Geschehnissen, zu denen man in einem bestimmten beispielsweise emotionalen Verhältnis steht. Erzählt wird monologisch und dialogisch, mündlich und schriftlich. Ursprünglich war die gesprochene Sprache die einzige Form der Kommunikation, und es wurde nur mündlich erzählt. Mit der Verbreitung der Schriftsprache setzten sich die schriftlichen Erzählformen immer mehr durch.
Die Rolle des Erzählens für die menschliche Kultur war und ist nach wie vor sehr bedeutend. Die Ursprünge der Schriftkulturen finden sich bereits in Mythen. Auch die Leistungen der Vorfahren und die Fortschritte der Menschheit werden als Geschichten bzw. Erzählungen im kulturellen Gedächtnis niedergelegt.
Im Zuge der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung wird immer mehr elektronisch kommuniziert. Die korrekte Erzähl- und Schriftkompetenz ist zur Voraussetzung des Erfolgs geworden, sie zeugt doch auch von einer guten Ausbildung und dem sozialen Status. Dementsprechend ist das schriftliche Erzählen auch gesamtgesellschaftlich von großer Relevanz. Schriftliche Erzählkompetenz muss im Unterricht vermittelt und erlernt werden. Daher ist deren Behandlung sowohl in der Schule als auch in anderen Ausbildungseinrichtungen und insbesondere im frühen Spracherwerb notwendig.
Die vorliegende Magisterarbeit befasst sich mit den schriftlichen Erzählungen bei Erst-, Zweit- und Fremdsprachenlernern und ist in einen theoretischen und einen empirischen Teil gegliedert.Im ersten Teil werden zunächst zentrale und relevante Begriffe der Arbeit wie „Erzählen“, „Erzählung“ und „Schriftlichkeit“ erklärt. Nachfolgend werden typische sprachliche Mittel, mündliche und schriftliche Formen der Erzählungen erörtert. Im nächsten Kapitel werden Besonderheiten der Schriftsprache beschrieben. Daraufhin wird auf den Stellenwert des Erzählerwerbs innerhalb des Spracherwerbsprozesses eingegangen. Ferner werden erzähltheoretische Grundlagen und der Stand der Forschung dargestellt. In diesem Zusammenhang sind theoretische und empirische Arbeiten, die narrative Entwicklungsprozesse beschreiben, von besonderem Interesse. Das Strukturmodell von Boueke u. a., welches die Grundlage für die nachfolgende empirische Untersuchung darstellt, ist Inhalt des nächsten Kapitels. Danach wird auf den Erst-, Zweit- und Fremdspracherwerb eingegangen. In einem darauf folgenden Kapitel werden die Interdependenz- und Schwellenhypothese beschrieben, die spezifische Bedingungen und Prozesse des Zweit- bzw. Fremdspracherwerbs zu ermitteln versuchen. Unterschiedliche Schreibanlässe und Textstimuli sind Inhalt des nächsten Abschnitts. Eine Bildergeschichte als Erzählanlass schließt den theoretischen Teil ab.
Der empirische Teil beginnt mit der Darstellung der Untersuchungskonzeption sowie deren methodischen Grundlagen. Danach erfolgt eine detaillierte Analyse der Erzähltexte. Dabei findet sowohl eine qualitative als auch quantitative Auswertung folgender Aspekte statt: Untersuchungen zur Textlänge, zum Aufbau der Erzählungen, Analyse der affektiven Markierungen und deren Lokalisierung, Ermittlung der Strukturtypen, Untersuchungen zu Erzählsystemen. Die Analyse der Referenz auf Aktanten rundet den empirischen Teil ab.
Zum Schluss werden die Ergebnisse der Analysen zusammengefasst und erzählerwerbstheoretische bzw. didaktische Rückschlüsse daraus gezogen. Ein Literaturverzeichnis und ein zusammengestellter Anhang mit Originaltexten der Probanden und deren Transkriptionen sowie den Auswertungstabellen, die die Arbeit und die durchgeführte Auswertung transparent machen, vervollständigen das Werk.
Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sind schriftliche Erzählungen bei Erst-, Zweit- und Fremdsprachenlernern. Das Ziel der Arbeit ist es, eine Analyse der schriftlichen Erzählungen vorzunehmen und einen Vergleich in Bezug auf den Spracherwerb und das Bildungsniveau der Probanden zu ziehen.
Es soll zwei zentralen Fragen nachgegangen werden:
1. Welche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede lassen sich in Erzählungen bei Erst-, Zweit- und Fremdsprachenlernern beobachten?
2. Welche spracherwerbstheoretischen bzw. didaktischen Rückschlüsse können daraus gezogen werden?
Um diese Fragen zu beantworten, wurden zwei Hauptthesen erstellt:
1. Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der schriftlichen Erzählfähigkeit der Probanden und ihrem Erwerb der deutschen Sprache.
2. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der schriftlichen Erzählfähigkeit der Probanden und ihrem Bildungsniveau.
Erzählungen können alltäglich und literarisch, mündlich und schriftlich, monologisch und dialogisch sein. Der Begriff Erzählen ist sehr vielfältig, weshalb man in der fachwissenschaftlichen Literatur keine allgemeingültige Definition findet.
Labov (1978: 64) definiert die Erzählung
als eine Methode, zurückliegende Erfahrung verbal dadurch zusammenzufassen, daß eine Folge von Teilsätzen (clauses) eine Folge von Ereignissen zum Ausdruck bringt, die [...] tatsächlich vorgefallen sind.
Drei Merkmale kennzeichnen Labovs Definition:
zurückliegende Erfahrung,
Mündlichkeit der Wiedergabe und
Tatsächlichkeit des Geschehenen.
Ehlich (1983: 129) unterscheidet zwischen „erzählen1“ und „erzählen2“. „Erzählen1“ ist ein Oberbegriff und entspricht der alltagssprachlichen Verwendung. Er umfasst sprachliche Tätigkeiten wie Berichten, Mitteilen, Schildern, Beschreiben, Wiedergeben und Darstellen, die von Ehlich als Subklassen dieses Erzählbegriffs bezeichnet werden. Unter „Erzählen2“ versteht er ein Erzählen im engeren Sinne, das distinktive charakteristische Funktionen und Strukturen besitzt und sich auf das Erzählen der selbsterfahrenen Ereignisse begrenzt. „Erzählen1“ ist durch Darstellungen kontinuierlicher Ereignisabläufe kennzeichnend und wird als „Weitergabe von Geschehenem“ verstanden. „Erzählen2“ zeichnet sich durch das Vorkommen einer Diskontinuität innerhalb des Geschehensablaufs aus und bedeutet das Erzählen einer Geschichte im Sinne der „Herstellung einer gemeinsamen Welt“ (ebd.: 138).
Eine ähnliche Unterscheidung findet sich auch bei Wagner (1986: 144). Er geht von Ehlichs Unterscheidung aus und teilt das Erzählen in einen Oberbegriff und einen Unterbegriff ein. Der Oberbegriff wird von ihm als Wiedergabe vergangener Ereignisse mit einer bestimmten Zeitstruktur charakterisiert. Der Autor versucht, den Unterbegriff „erzählen2“ genauer zu fassen, und unterscheidet noch zwei weitere Typen der Alltagserzählung, die Höhepunkt- sowie die Geflecht-Erzählung. Unter Letzterer versteht er die dialogisch angelegte Form des gemeinsamen Von-etwas-Erzählens. Zwei oder mehrere Gesprächspartner erzählen ohne strenge temporale Strukturierung von Ereignissen, die beiden bekannt sind. Die Höhepunkt-Erzählung ist dagegen monologisch angelegt, wesentlich komplexer und schwieriger und somit Grundlage für die Erzählforschung.
Bei Otto F. Best (1994: 160) ist der Begriff Erzählung breiter ausgelegt. Er definiert die Erzählung als eine „bereits durch Reihung von tatsächlichen oder erfundenen Geschehnissen entstandene epische Kurzform“ und erweitert diesen Begriff um Erfundenes.
Knapp (1997: 59) greift die Definition von Ehlich auf und erweitert sie hinsichtlich dreier Aspekte:
1. Teilhabe bzw. Selbsterfahrung an dem erzählten Ereignis, weil „auch Erfahrungen erzählt werden können, die nicht selber erlebt, sondern von denen die erzählende Person erfahren hat“. Entscheidend ist dabei nicht, dass die erzählende Person am Geschehen selbst teilhatte, sondern dass sie so erzählt, als hätte sie daran teilgenommen.
2. Erfundenes, da eine Erzählung auch erfunden sein kann.
3. Schriftlichkeit, da man mündlich und schriftlich erzählen kann.
In diesem Zusammenhang spricht Knapp (ebd.: 62) von einer Schulerzählung. Es muss also zwischen „Erzählen im Alltag“, „Erzählen in der Literatur“ und „Erzählen in der Schule“, also zwischen der „Alltagserzählung“, der „literarischen Erzählung“ und der „Schulerzählung“ unterschieden werden.
Erzählungen, die im Rahmen dieser Studienarbeit untersucht werden, sind weder Alltags- noch literarische Erzählungen und werden als Schulerzählungen, alternativ als Lernererzählungen bezeichnet. Sie lassen sich in einigen Punkten von literarischen und Alltagserzählungen abgrenzen, weisen aber Merkmale von beiden auf. Somit muss im Folgenden bestimmt werden, was unter einer Lernererzählung zu verstehen ist.
Nach Ludwig (1984: 15) sind folgende Merkmale für eine Schulerzählung kennzeichnend:
1. Die Schriftlichkeit, da die schriftlichen Erzählformen in der Schule dominieren und die mündlichen Erzählungen meist als Vorstufe zum schriftlichen Erzählen angesehen werden.
2. Die Entfunktionalisierung, da es „nicht deutlich wird, welche Funktion das Erzählen als Erzählen hat (wem der Schüler erzählt und wozu)“ (ebd.: 16).
Das bedeutet natürlich nicht, dass die Erzählung überhaupt keine Funktion hätte; es bedeutet nur, dass sich die Funktion der Erzählung nicht bzw. nicht aus einem übergeordneten Handlungsschema ergibt und insofern auch nicht im Zusammenhang mit dem erzählten Sachverhalt steht. (Gülich 1980: 355)
Die Funktion des Erzählens ergibt sich nicht aus einer Kommunikationssituation heraus wie bei der Alltagserzählung (vgl. ebd.: 349). In der Schule wird nicht primär erzählt, um etwas mitzuteilen oder andere zu unterhalten (Rath 1982, Fritz 1982: 295). Das Erzählen dient vor allem einer günstigeren Beurteilung und zum Üben des schriftlichen Ausdrucks. Es hat somit eine mediale Funktion, ist ein Lernmedium und dient zur Lernzielkontrolle (Frietzsche 1980: 58).
3. Syntagmatische Betrachtungsweise, was mit der Schriftlichkeit zusammenhängt. Die Schulerzählung wird in erster Linie unter syntagmatischen Gesichtspunkten betrachtet, allenfalls unter semantischen. In der didaktischen Literatur von Erzählen bzw. Erzählungen steht nicht die sprachliche Handlung im Mittelpunkt, sondern das Ergebnis des Erzählens: die Erzählung als solche. Erzählen als eine pragmatische Kategorie tritt in den Hintergrund (vgl. Ludwig 1984: 15).
4. Einfachheit der Struktur, da der Grad der Komplexität begrenzt ist.
5. Dreigliedriger Aufbau, da in der Schule das literarische Erzählen angestrebt wird. Wert wird dabei auf einen dreiteiligen Aufbau (Einleitung, Hauptteil, Schluss) und sprachliche Mittel (zum Beispiel Präteritum als Erzählzeit oder Einsatz der wörtlichen Rede) gelegt.
6. Bestimmte Stilformen wie Kürze, Genauigkeit, Deutlichkeit und Anschaulichkeit (ebd.: 17).
Wie bereits erwähnt, kann sowohl mündlich als auch schriftlich erzählt werden. Jede der Erzählarten ist eine eigenständige Erzählweise und weist ihre spezifischen Merkmale auf. Das mündliche Erzählen ist mit der Erzählsituation sehr eng verwoben (vgl. Frommer 1992: 23). Es ist durch die Zeitgleichheit in der Vermittlung gekennzeichnet, das schriftliche Erzählen zeichnet sich dagegen durch die Zeitverzögerung aus. Erzählen ist keine einseitige Angelegenheit, denn wer erzählt, braucht einen Zuhörer. Das Gleiche gilt auch für schriftliches Erzählen. Denn wer schreibt, will auch gelesen werden. Für das mündliche Erzählen ist der direkte Kontakt zwischen dem Erzähler und dem Zuhörer charakteristisch. Beim mündlichen Erzählen geht es vor allem um Partnererzählen, denn der Erzähler hat meist einen Zuhörer, dem er etwas erzählt. Es ist mit den Beiträgen des Zuhörers verwoben (vgl. Frommer 1992: 23). Der Zuhörer kann jederzeit in die Erzählung eingreifen, zwischen- und nachfragen und ein spontanes bzw. begleitendes Feedback geben. Er kann an der Erzählung mitwirken. Sowohl der Erzähler als auch der Zuhörer sind an der Produktion der Erzählung beteiligt. Beim schriftlichen Erzählen ist der Rezipient dagegen nicht anwesend, weshalb kein aktiver Austausch zwischen Erzähler und Rezipienten stattfindet. Dies bedeutet allerdings, dass man so erzählen muss, dass die Erzählung ohne Kommentar verständlich und nachvollziehbar ist. Das Kennzeichnende für das schriftliche Erzählen ist ein zusammenfassendes, nachgeschobenes Feedback. Beim mündlichen Erzählen muss man meist spontan erzählen, beim schriftlichen Erzählen kann man sich den Erzählplan vorab mental konstruieren. Das mündliche Erzählen ist mit der Körperlichkeit des Erzählers und seinem äußeren Erscheinungsbild verwoben (vgl. ebd.). Der Erzähler kann seiner Erzählung durch Mimik und Gestik eine besondere Bedeutung sowie das Erzählwürdige verleihen und die Erzählung dadurch beeinflussen. Durch Erzählen‚mit Händen und Füßen‘erhält die Erzählung sozusagen eine besondere Wirkung. Beim Erzählen generell kommt eine große Bedeutung nicht nur den sprachlichen Formulierungen, sondern auch den außersprachlichen Aspekten zu. Beim mündlichen Erzählen kann man bestimmte Ereignisse, Informationen und Gedanken mit Hilfe der paralingualen Elemente wie Stimmhöhe, Intonation, Betonung, Sprechtempo und Sprechpausen zum Ausdruck bringen.
Frommer (ebd.) spricht in diesem Zusammenhang von der Kunst des Nachmachens. Es gibt „ein Arsenal von Kunsttechniken, die speziell an die mündliche Äußerung gebunden sind.“ (Fuchs 1984: 188). Beim schriftlichen Erzählen gibt es diese Möglichkeit nicht. Der Erzähler kann nicht auf dramaturgische Gestaltungsmittel zurückgreifen. Dafür werden im schriftlichen Erzählen sprachliche Mittel wie sprechaktbezeichnende und handlungsqualifizierte Verben sowie differenzierende Adverbien und Adjektive verwendet und nicht zuletzt bedarf es bestimmter Satzzeichen und Konventionen.
An die Stelle der Kunst des Nachspielens tritt die Kunst der sprachlichen Darstellung, die Sprache wird zum nachwachsenden Organ, das dem Erzähler die verlorene Körperlichkeit ersetzt. (Frommer 1992: 26)
In der Schule haben schriftliche Erzählungen nicht ohne Grund Vorrang, denn „schriftliches Erzählen will gelernt sein, das mündliche dagegen[...]lernt sich von selbst“ (Frommer 1992: 14). In diesem Kapitel soll gezeigt werden, worin die Besonderheiten der Schriftsprache liegen und welche Schwierigkeiten sich daraus für die Sprachenlerner ergeben können – insbesondere für Sprachenlerner, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.
Wygotski (1986: 224) misst der Schriftsprache eine doppelte Abstraktion von Laut und Gesprächspartner zu. Die Abstraktion der Lautseite besteht in der Eliminierung der Intonation und dementsprechend des musischen, expressiven und lautlichen Charakters der gesprochenen Sprache. Der Sprachbenutzer soll von der sinnlichen zur abstrakten Sprache übergehen. Diese benutzt nicht Wörter, sondern Vorstellungen von Wörtern. „In dieser Hinsicht unterscheidet sich die schriftliche Sprache von der mündlichen ebenso wie das abstrakte Denken vom anschaulichen“ (ebd.).