Schützenmaske - Ralf Weißkamp - E-Book

Schützenmaske E-Book

Ralf Weißkamp

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Beschreibung

Eine merkwürdig gekleidete Leiche in einem Gelsenkirchener Park unterbricht abrupt die sportlichen Ambitionen des frustrierten Dozenten und Hobby-Detektivs Robert Werner. Die Witwe des Toten beauftragt ihn mit Ermittlungen, um Licht in das seltsame Ableben ihres Mannes zu bringen: War es Mord? Hat er sich selbst umgebracht? Ist er Opfer seiner sexuellen Vorlieben geworden? Bei seinen Recherchen stößt der Detektiv schnell an seine Grenzen – bis er selbst in den Fokus der Fahnder gerät.Zusammen mit seinem alten Kumpel, dem Taxifahrer Manni, und dem Besitzer einer Schwulenbar, Jan, ermittelt er in Gelsenkirchen und Iserlohn. Weitere Leichen und skurrile Zeitgenossen machen ihnen die Arbeit nicht leicht. Erst als sie einer verschworenen Bruderschaft auf die Spur kommen, klären sich alle Verstrickungen.

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Schützenmaske

Ralf Weißkamp

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in

der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Auflage 2016

 

Copyright © 2016

Lente Verlag

Inhaberin Annette Meißner

[email protected]

www.lente-verlag.com

 

Satz und Gestaltung:

Lente Verlag

Coveridee- und Gestaltung:

Michael Meißner und Ralf Weißkamp

 

 

Alle Rechte vorbehalten, wie Nachdruck oder

Vervielfältigung, das Abdruckrecht für Zeitungen und

Zeitschriften, das Recht zur Gestaltung und Verbreitung

von gekürzten Ausgaben, Funk- und Fernsehsendungen.

Auch Nachdruck einzelner Teile nur mit schriftlicher

Genehmigung des Verfassers.All rights reserved.

 

 

All rights reserved.

ISBN: 978-3-946468 54-7

E-ISBN: 978-3-946468-56-1

Schützenmaske

 

 

Ralf Weißkamp

 

Kriminalroman

Privatdetektiv Robert Werner stolpert förmlich über seinen ersten großen Fall. Beim Spaziergang durch einen Park sieht er einen toten Sauerländer in einem Gebüsch liegen. Der ist mit einer seltsamen Maske bekleidet.

Was hat das zu bedeuten?

 

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden.

Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden, bereits verstorbenen oder realen Personen wären rein zufällig

 

 

 

 

 

Ralf Weißkamp, geboren in Gelsenkirchen, lebt heute in Iserlohn. Die Liebe zum Schreiben bestimmt seinen beruflichen Weg. Die meisten Jahre arbeitete er als freiberuflicher Journalist. Eine Ausbildung zum Infografiker am Journalistenzentrum „Haus Busch“ in Hagen erweiterte die textliche und die grafische Komponente. Heute betreibt er neben seiner Brot-und Halbtagsstelle sein Journalistenbüro „Ruhr-Presse“ (www.ruhr-presse.de). Weitere Infos unter:

www.ralfweisskamp.de

Für Andrea

Kapitel 1

Robert Werner fühlte sich wie ein alter Mann. Diese verdammten Rückenschmerzen!

So, wie ich hier durch den Park krauche, fehlt nur noch der Rollator, dachte er sarkastisch.

Und die Schmerztablette zeigte auch noch keine Wirkung. Wie jedes Jahr im Frühling hatte er sich vorgenommen, mehr Sport zu treiben, zu laufen, abzunehmen, fitter und schlanker zu werden, sich besser zu fühlen. Wie jedes Jahr wollte er dem kleinen Bauchansatz beweisen, dass er sich gegen ihn wehren würde. Der unbedingte Wille dazu hatte ihn heute Morgen mit dem festen Vorsatz aufstehen lassen, seine Laufklamotten endlich wieder nicht nur vor dem Fernseher zu tragen.

Leider hatte sich der gute Wille auf dem Weg ins Bad in Schmerzen aufgelöst. Ein eingeklemmter Nerv hatte die sportlichen Träume begraben. Aber einfach aufgeben wollte er nicht, und so machte er zumindest einen ausgedehnten Spaziergang.

Die nächste Runde würde sicher schon flotter werden, die gute alte Ibu 800 brauchte immer eine Zeit, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Trotzdem genoss er diesen herrlichen Frühlingstag. Das Laufen hätte ihn wahrscheinlich sowieso nur frustriert, weil ihm nach wenigen hundert Metern die Luft weggeblieben wäre.

Aber bevor er sich der nächsten Runde widmete, musste er erst mal pinkeln. Robert sah sich kurz nach Spaziergängern und den Obdachlosen um, die oft auf einer Parkbank in der Nähe ihr Bier tranken.

Keine in Sicht. Also näherte er sich dem Busch, den er sich für sein Geschäft ausgesucht hatte, öffnete den Reißverschluss seiner Hose und sah zu Boden. Er stutzte.

Unter den Blättern des Busches sah er ein graues Hosenbein mit einem schwarzen Lederschuh. Wahrscheinlich doch ein Penner, der im Gebüsch den Rausch ausschlief, den er sich an der Bude am Ückendorfer Platz im Schweiße seines Angesichtes angesoffen hatte.

Roberts Neugier siegte. Vorsichtig bückte er sich, wobei er mehr Angst vor den Schmerzen als vor dem Unbekannten hatte.

„Hey, Kaffee ist fertig, kannst aufstehen!“, feixte er.

Nichts.

„Hey, komm hoch, wir essen zeitig!“, versuchte er es erneut.

Wieder nichts.

Robert warf einen Blick auf die Hose. Wider Erwarten wirkte sie sauber und gepflegt. Er griff nach ihr, um den Inhaber zu schütteln und zu wecken. Doch etwas war merkwürdig. Das Bein war steif und kalt, ziemlich kalt.

Vorsichtig richtete sich Robert auf und blieb kurz stehen, um sich zu sammeln. Mit einem langsamen Luftholen schob er dann die dichten Zweige des Busches zur Seite.

Die Augen des Mannes auf dem Boden waren geöffnet und sahen Robert starr an. Sie blinzelten und bewegten sich nicht. Es war kein Leben in ihnen.

Scheiße, der ist tot!, durchfuhr es Robert.

Das Gesicht des Mannes konnte er nicht sehen. Der Tote trug eine schwarze, lederne Hundemaske.

Kapitel 2

Kriminalhauptkommissar Hollunder starrte mit offenem Mund auf den Kopf des Toten. Die Maske ließ nur die Augen und die Nasenlöcher frei, das schwarze Leder reichte über den Hals bis zum Schulteransatz. Auf dem Kopf waren Ohren geformt, über den Nasenlöchern des Toten wölbte sich eine Hundeschnauze. Am Hals, zum Rand der Maske, waren Ösen angebracht, ähnlich wie bei einem Hundehalsband. Ein silbrig glänzender Reißverschluss führte von der Stirn mittig über den Schädel bis zum Nacken - bequem konnte das Ding nicht sein.

Der Kommissar war morgens auf dem Weg zum Dienst durch den Anruf eines Polizisten von der Wache am Zentralbad alarmiert worden.

„Da liegt ein toter Hund im Ückendorfer Park“, war die erste, knappe Nachricht.

„Hören Sie, Herr Hauptwachtmeister, ich bin von der Kripo, zuständig für Mord und Totschlag - bei Zweibeinern!“

„Kann auch ’n Toter mit ’nem Hund sein, die Verbindung ist schlecht, auf jeden Fall was für die Kripo.“

Dann war das Gespräch beendet.

Der Hauptwachtmeister brachte Hollunder mit seiner Gleichgültigkeit immer wieder auf die Palme. Aber was da vor ihm lag, fiel eindeutig in seine Zuständigkeit - es sei denn, der Mann mit der Maske hatte sich freiwillig zum Sterben unter den Busch gelegt. Dagegen sprachen die dunkelroten Striemen direkt unter dem Rand der Maske.

Der Bereich um den Busch war mittlerweile abgesperrt worden, zwei uniformierte Kollegen hielten einige schaulustige Rentner und Fahrradfahrer fern, die den Park auch am frühen Morgen als Abkürzung zwischen Wattenscheid und Ückendorf nutzten.

„Der da hat den Toten gefunden“, informierte Obermeister Kasimke Kommissar Hollunder.

Der sah sich den Finder aus einigen Metern Entfernung mit professioneller Neugier an. Etwa 1,75 groß, fast schlank, Oberkörper leicht gebeugt, braune Haare, etwas wirre Frisur mit einigen lichten Stellen oberhalb der Stirn. Er schätzte ihn auf etwa Mitte 40, die Kleidung war gepflegt aber leger, Jeans, kariertes Hemd und eine sandfarbene Jacke.

Er ging zu ihm hinüber. „Kommissar Hollunder von der Kripo“, stellte er sich vor und hielt seinen Ausweis in die Höhe.

„Werner“, entgegnete der Mann knapp.

„Sie haben also den Mann gefunden“, stellte Hollunder fest. „Was haben Sie denn abseits des Weges an dem Busch gemacht?“

„Ich musste pinkeln.“

„Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?“

„Außer einer Leiche mit einer Ledermaske nix.“

Gesprächig ist er nicht gerade, dachte Hollunder mit aufkommender Ungeduld.

„Ich meine, haben Sie jemanden gesehen? Lag noch etwas in der Nähe herum? Haben Sie etwas gehört?“

„Nein, gar nichts, da war nur der Mann im Gebüsch.“

„Gut, dann nimmt der Kollege jetzt Ihre Personalien auf und Sie melden sich am Montag um zehn bei mir im Kommissariat.“

„Zehn geht in Ordnung, nur Montag nicht. Dienstag.“

Hollunder seufzte. „Gut, dann am Dienstag.“ Auf eine unbestimmte Art mochte Hollunder diesen Werner nicht.

„Wo wohnen Sie denn, junger Mann?“

„Flöz Sonnenschein 37, 45886 Gelsenkirchen.“

„Name, Beruf?“, fragte Kasimke.

„Robert Werner, freiberuflicher EDV-Dozent. Warten Sie, ich gebe Ihnen meine Karte.“ Er zog sein Portemonnaie aus der Jacke und fingerte eine Visitenkarte heraus.

Der Beamte behielt die Karte und schrieb die Daten auf. Mittlerweile waren einige Leute angerückt, die die Spuren sicherten und diesen Teil des Parks, der jetzt ein Tatort war, fotografierten. Und dazu noch mehr Rentner, die sich das Spektakel ansahen.

Kommissar Hollunder hörte nicht mehr weiter zu. Er bückte sich zu dem Toten hinunter, nachdem dieser von allen Seiten fotografiert worden war. Schuhe und Hose waren von guter Qualität und stammten mit großer Sicherheit nicht aus dem Kaufhaus, in dem er seine Sachen kaufte. Etwas unpassend war die Oberbekleidung, sie bestand nur aus einer sehr engen schwarzen Lederweste und ließ den Blick auf einen gut genährten, aber muskulösen Oberkörper frei. Papiere hatte er keine bei sich, wäre auch zu schön gewesen.

Hollunder begann, den Reißverschluss der Maske in Richtung Nacken zu ziehen. Haare verhedderten sich darin.

Muss eine ziemliche Tortur gewesen sein, sich das Ding an- und auszuziehen, dachte er, während er langsam die lederne Maske vom Kopf nahm. Er sah in das Gesicht eines etwa 60-jährigen Mannes, gebräunte Haut, blaue Augen und gepflegte, kurze graue Haare. Der Mund stand auf. Keine Zeichen von Verletzungen im Gesicht, nur am Hals zeichneten sich deutliche Striemen ab.

Hollunder richtete sich auf und trat zurück. Dann taten die Männer der Spurensicherung wieder ihre Arbeit.

Kapitel 3

Robert Werner konnte den Leichnam von seiner Position aus nicht erkennen. Also machte er sich auf den Weg nach Hause, Richtung Bochumer Straße. Trotz des Fundes hatte er Hunger, was ihn etwas verstörte. Doch seinem Magen schien der Tote ziemlich gleichgültig zu sein, also steuerte er den nächsten Bäcker an.

Hier am Park zeigte sich die Bochumer Straße recht ansehnlich und ließ noch etwas erahnen von der Prachtstraße, die sie früher einmal gewesen war. Hinter dem Schulzentrum standen noch viele alte, mehrgeschossige Häuser. Die Straße hatte, wie ganz Gelsenkirchen, während des Krieges einiges abbekommen. Die Gussstahlwerke weiter oben waren ein häufiges Angriffsziel gewesen. Bis 1984 war hier noch produziert worden, seit 1995 war im ehemaligen Verwaltungsgebäude des Werkes das Arbeitsgericht untergebracht. Der Rest der Bauten war platt gemacht worden, man hatte Platz für die Internationale Bauausstellung gebraucht.

Die ehemaligen Direktoren-Villen an der Bochumer Straße waren zum großen Teil auch heute noch in gutem Zustand und mit Geschmack und Geld renoviert worden. Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger hielt sich in diesem Abschnitt in Grenzen. Der weitere Teil der Straße, bis hoch zur Neustadt, wurde von den Ückendorfern schon lange „Klein-Ankara“ genannt. Mittlerweile hatten sich dort auch einige russische Landsleute niedergelassen und Geschäfte eröffnet.

Arbeiten musste Robert Werner heute, am Samstag, nicht. Erst ab nächsten Montag war er wieder für das GEIBAZ im Einsatz, das „Gelsenkirchener Institut für Bildung, Arbeit, Zukunft“. Hinter dem hochtrabenden Namen verbarg sich ein privater Bildungsträger, der ausschließlich von Aufträgen der Agentur für Arbeit und des örtlichen Jobcenters lebte. Arbeitslose sollten geschult, qualifiziert oder einfach nur wieder in die Spur gebracht werden. Oder für eine Weile aus der Statistik verschwinden. Kundschaft gab es in Gelsenkirchen genug.

Robert schulte dort Anfänger und auch Leute, die meinten, mit einem Computer umgehen zu können, in den gängigen Office-Programmen. Außerdem versuchte er ihnen beizubringen, wie man einen der DIN-Norm entsprechenden Brief schreibt. Bei manchen reichte es auch schon, ihnen die Angst vor dem Gerät zu nehmen und somit das Gefühl, etwas kaputt machen zu können. Und er versuchte, die Leute von der Notwendigkeit ordentlicher Bewerbungsunterlagen zu überzeugen. Montag begann ein neuer Kurs, sechs Wochen lang. Das Honorar war schon verplant.

Selbst diese eine Woche ohne Auftrag konnte er sich kaum leisten. Zumindest war die Miete durch die Aufträge der GEIBAZ gesichert.

Neben seinem Dozentenjob versuchte er, als Detektiv Fuß zu fassen, bislang ziemlich erfolglos. In den letzten drei Monaten zwei Einsätze im örtlichen Kaufhaus und eine - vergebliche - Observation bei einer Scheidung, das war’s. Diesen Beruf hatte er dem Kommissar verschwiegen. Er hatte das Gefühl gehabt, dieser Hollunder würde ihn dann noch misstrauischer betrachten.

Er machte sich Frühstück und holte das Anzeigenblatt aus dem Briefkasten. Der Eingang zu seiner Wohnung lag im Hof. Er wohnte Parterre, ein kleiner Garten war dahinter, den er manchmal nutzte. Er kümmerte sich um den Rasen und hatte einige Blumen angepflanzt. Früher machte die alte Nachbarin die Gartenarbeit, aber sie litt seit Jahren unter ihrer Gicht - und unter ihrem Mann.

Der schwerhörige Gatte gehörte einer christlich-fundamentalen Sekte an.

Manchmal, wenn die Gichtanfälle seiner Frau ihr besonders zu schaffen machten, brüllte er sie an, sie solle Gott auf den Knien um Verzeihung bitten.

 

Die Morgenzeitung am Montag überflog Robert nur kurz, wie üblich war er spät dran. Der unbekannte Tote war ihm das ganze Wochenende nicht aus dem Kopf gegangen, aber jetzt musste er sich wieder auf den Alltag konzentrieren.

Er startete seinen altersschwachen Golf Kombi und nahm Kurs auf das GEIBAZ. Die etwas künstlich wirkende Fröhlichkeit im Aufenthaltsraum der Mitarbeiter am frühen Morgen war nicht seine Sache, er brauchte immer reichlich Anlauf, um fit und gesprächig zu werden.

Robert drückte seine Selbstgedrehte aus und machte sich mit einem Seufzen auf in Richtung Unterrichtsraum.

 

18 neue Teilnehmer warteten auf ihn. Wie immer wusste Robert von ihnen nur, ob sie vom Jobcenter oder der Bundesagentur für Arbeit kamen. Die Kunden der Agentur waren in den meisten Fällen motivierter, wollten mehr lernen und schnell zurück in den Job. Die vom Jobcenter, dem Arbeitsleben meistens schon länger mehr oder weniger freiwillig entwöhnt, brauchten immer etwas länger. Sie waren ihm lieber, denn sie bedeuteten mehr Ruhe für ihn.

„Wat soll ich denn noch hier, dat kann ich doch schon allet!“

Ganz klar einer von der Agentur.

„Ich bau’ zuhause Computer selbst zusammen, wat wollen Sie mir denn noch zeigen?“

Am liebsten den nackten Hintern, wollte Robert antworten, sagte stattdessen jedoch nur: „Wir werden sicher noch etwas finden, das für Sie interessant ist. Und vielleicht kann ich ja auch was von Ihnen lernen.“

Der so umgarnte Teilnehmer grunzte warm und dunkel, ließ seinen beträchtlichen Bauch noch etwas tiefer in den ausgeleierten Drehstuhl rutschen und schwieg.

Erste Schlacht gewonnen.

Der Rest der Bande war ganz umgänglich, die Vorkenntnisse wieder so unterschiedlich wie nur möglich. Der dicke Computer-Supermann hatte Schwierigkeiten, den Rechner unfallfrei einzuschalten, eine andere, schüchterne und auf reife Art noch sehr schöne Frau entpuppte sich als wahre Spezialistin für Textverarbeitung und Tabellenkalkulation. Robert freute sich auf die Arbeit mit ihr.

 

Die üblichen Spielchen zu Anfang eines neuen Kurses ließen nicht lange auf sich warten. Der erste Teilnehmer kam natürlich verspätet aus der Zigarettenpause zurück und balancierte wie selbstverständlich eine Tasse Kaffee in den EDV-Raum. Von der Tasse grinste Robert ein Smiley an.

„Wir dürfen hier drin keinen Kaffee trinken, das wissen Sie doch.“

„Woher soll ich das denn wissen und warum überhaupt?“

„Das steht in der Hausordnung, die sie unterschrieben haben, Essen und Trinken ist im EDV-Raum untersagt.“

„Quatsch, ich pass auf, da passiert nix!“

Wieder so einer, immer der gleiche Käse. Robert hatte keine Lust, diese Diskussion zu einem Machtspielchen werden zu lassen. Er wartete, bis alle wieder Platz genommen hatten.

„Ich muss Sie noch mal darauf hinweisen, dass das Essen und Trinken hier drinnen verboten ist“, hob er an. „Und das aus gutem Grund.“

Die ersten drehten sich gelangweilt wieder den Monitoren zu.

„Es passiert immer wieder, dass eine Kaffeetasse umfällt und dann ist die Tastatur hin!“

„Na und, ihr habt doch noch mehr von den alten, versifften Dingern.“ Der Spaßvogel erhielt sein erwartetes zustimmendes Gelächter.

„Stimmt, und die werden Sie dann bezahlen!“ Noch bevor sich jemand empören konnte, schickte Robert hinterher: „Außerdem haben Sie das unterschrieben. Oder zählt Ihre Unterschrift nichts mehr?“ Die türkischen Männer bekam er mit dieser Masche immer. Bei den anderen würde er noch in den nächsten sechs Wochen um Verständnis und ein gutes Miteinander werben müssen. Und er wusste genau, dass spätestens morgen wieder einer mit einer Kaffeetasse in der Hand hier reinlatschen würde.

Die Spielchen waren eröffnet. Wie immer.

 

Die meisten seiner Teilnehmer hatten von dem Toten im Park gelesen oder davon im Lokalradio gehört. In den Berichten war es nicht um Details gegangen, die behielt die Polizei für sich, und so machten die wildesten Gerüchte die Runde. Eine aufgeregte Dame wusste ganz genau, dass der Tote ein schwarzverbranntes Gesicht hatte, eine andere meinte: „Das war doch ’n Neger, so‘n Schwatter!“ Auch eine ganz normale Leiche kam in den Erzählungen vor.

Robert schwieg dazu, er wollte sich nicht in den Mittelpunkt stellen. Außerdem hatte er keine Lust auf die vielen Fragen und auf das, was später daraus werden würde.

 

Der erste Tag mit den neuen Teilnehmern war fast vorüber. Es war ganz gut gelaufen, die Meute war ruhig geblieben, und auch das Thema Kaffee hatte sich tatsächlich für heute erledigt. Robert fotokopierte noch einige Arbeitsblätter und verteilte sie dann unter den Kursmitgliedern. Sie enthielten Übungsaufgaben unterschiedlichsten Niveaus, diese sollten die Leute morgen früh selbständig bearbeiten.

Während seines Termins bei Kommissar Hollunder mussten die Leute beschäftigt sein. Die Verantwortlichen vom GEIBAZ sahen es zwar nicht gerne, wenn die Gruppe unbeaufsichtigt blieb, aber gegen einen Termin bei der Kripo konnten sie nichts machen. Auch nicht der zuständige Lehrgangsbetreuer, dem Pünktlichkeit über alles ging. Hauptsache, die Leute waren von 8 bis 15 Uhr anwesend - was sie in dieser Zeit machten, juckte ihn nicht. Robert rechnete eher damit, dass ihn vor allem die dicke Verwaltungskraft - „Ich bin nur etwas stark um die Hüfte!“ - löchern würde, was denn die Kripo von ihm wollte, auch wenn sie ihn nicht leiden konnte. Aber er würde schweigen und ihre brennende, ungestillte Neugier genießen.

 

Die angemieteten Räume des GEIBAZ lagen in einem alten Gebäude der Zeche Holland. Dort war bis in die 80 er Jahre des vergangenen Jahrhunderts Kohle gefördert worden. In Wattenscheid sah man schon von weitem den imposanten und restaurierten Förderturm der Anlage. Um ihn herum lagen die ehemaligen Verwaltungsgebäude der Zeche, die jetzt als Büro- und Gewerberäume dienten. Direkt nebenan befand sich das Lohrheidestadion, in dem die heimische SG Wattenscheid 09 schon wieder einem weiteren Abstieg entgegenkickte.

Robert fühlte sich hier in den alten Zechengebäuden heimisch, in der Nähe jener Industriegeschichte, die diese ganze Region und ihre Menschen so sehr geprägt hatte. Auf dem Ückendorfer Teil der Zeche, der bereits 1963 die Förderung der Kohle eingestellt hatte, standen Doppel-Malakowtürme, die einzigen in ganz Europa.

Kurz vor zehn betrat Robert das Polizeigebäude an der Overwegstraße. Der Verwaltungsbau aus den 70er Jahren lag hinter dem Zentralbad, zumindest, wenn man aus Richtung Innenstadt nach Gelsenkirchen-Horst blickte. Das Büro von Kommissar Hollunder war im ersten Stock, mit Blick auf die Overwegstraße. Robert klopfte und trat ein.

Der Kommissar saß hinter seinem Schreibtisch, dem der Sperrmüll gedroht hätte, würde er nicht zum Polizeiinventar gehören.

„Ah, guten Morgen, nehmen Sie Platz, Herr Werner.“

Robert setzte sich. So bequem, wie das Sitzmöbel war, meldete sich gleich sein Rücken und mahnte ihn, das Gespräch nicht in die Länge zu ziehen.

„So, Herr Werner, ich bin noch mal alles durchgegangen. Einige Besucher des Parks haben wir befragt, aber außer Ihnen hat niemand den Mann bemerkt.“

Sonst hätte ja auch ein anderer die Bullen gerufen, dachte Robert, nickte aber nur.

„Können Sie mir noch einmal kurz erklären, warum Sie zu diesem Gebüsch gingen? Es liegt ja doch etwas abseits des Weges.“

„Wie schon am Samstag gesagt, ich musste pinkeln, und dazu sucht man sich ja bekanntlich keinen Busch, der direkt am Hauptweg steht.“

„Haben Sie bei dem Toten etwas gefunden? Eine Brieftasche? Lagen irgendwelche Papiere bei ihm?“

Der will wissen, ob ich ihn beklaut habe! Für wie doof hält der mich?

„Wenn Sie wissen möchten, ob ich den Mann durchsucht habe, warum fragen Sie es dann nicht? Nein, hab ich nicht, mir reichte es, dass er da lag. Ich hab nicht so viel Übung im Leichenfinden.“

„Ist Ihnen noch etwas aufgefallen? Gegenstände, die im Bereich des Toten lagen, und seien es Sachen, die Ihnen wie Müll erschienen?“

Erstens erscheint mir nichts, ich bin bei bester Gesundheit, und zweitens herrscht im Von-Wedelstedt-Park weiß Gott kein Mangel an Müll, dachte Robert.

„Nein, gar nichts. Weiß man denn nichts über den Toten?“

„Er hatte keine Ausweispapiere bei sich, und die gestrige Obduktion ergab eine Strangulation, aber nicht unbedingt einen Hinweis auf Fremdverschulden. Zumindest nicht am Fundort. Aber das werden weitere Untersuchungen klären. Deshalb sind wir auch auf kleinste Spuren angewiesen.“

Robert fragte sich, wie der sich denn da selbst stranguliert haben sollte? Eine Hundemaske aufsetzen, feste zuschnüren, sich ins Gebüsch hocken und dann auf den Tod warten? Bei allen möglichen Todesursachen hielt Robert diese nicht für die wahrscheinlichste.

„Tut mir leid, ich habe wirklich nichts gefunden, und durchsucht habe ich den Mann auch nicht.“ Robert bemühte sich, versöhnlicher zu klingen.

„Manchmal übersieht man Kleinigkeiten, weil sie selbstverständlich sind, man nimmt sie nicht mehr wahr, etwa eine zerknüllte Packung Zigaretten auf dem Boden.“

„Sorry, da war wirklich nichts. Ich würde Ihnen gerne helfen, Herr Kommissar, aber ich fürchte, mehr kann ich Ihnen nicht sagen.“ Und wollte er auch nicht mehr. Im Zweikampf Rücken gegen Stuhl war eindeutig das Sitzmöbel der sichere Sieger.

 

Robert trat aus dem Kommissariat auf den Gehsteig der Overwegstraße. Vor ihm rauschten die Autos in Richtung Innenstadt. Es war ein warmer Frühlingstag, die Sonne hatte bereits genug Kraft, um seinen Hunger auf ein Eis zu wecken. Gegessen hatte er noch nichts.

Himbeereis zum Frühstück. Spontan fiel ihm die Schnulze aus dem Jahr 1977 ein. Er wusste noch genau, wann dieser unsägliche Song in den Radios rauf und runter gedudelt worden war. Das Duo „Hoffmann & Hoffmann“ traktierte mit dieser deutschen Version des Hits der Bellamy Brothers sein Gehör. Er hatte ihn schon damals zum Würgen gefunden, aber Sylvia hatte ihn toll gefunden, und er hatte Sylvia toll gefunden.

Statt sich sofort auf den Weg zum GEIBAZ zu machen, ging er Richtung Hans-Sachs-Haus. Bald würde von dem Rathaus nicht mehr viel übrigbleiben. Nur die Fassade würde stehenbleiben, ansonsten sollte es komplett neu gebaut werden.

Mal wieder ein Millionengrab, aber Gelsenkirchen geht’s ja besser als München, dachte er.

In der Nähe fand er einen kleinen Italiener, eine Eisdiele. Er nahm zwei Kugeln im Hörnchen, Joghurt-Mandarine und Stracciatella. Die warme Sonne, der zwischen dem Verkehrslärm gelegentlich zu hörende Gesang der Vögel und die frischen Farben der Blätter und Blumen brachten ihn in eine leicht heitere, sorglose Stimmung. Von den Frauen sah er sich nur die hübschen an. Die in bunten, farbenfrohen und luftigen Kleidern, mit langen, wehenden Haaren und einem Lächeln auf den Lippen.

Herrlich, dieser Frühling! Robert fühlte sich jung und leicht.

Kapitel 4

Sylvia Behnke parkte ihr schwarzes Mercedes Cabrio auf dem Besucherparkplatz der Polizeihauptwache Iserlohn. Sie ging mit wehendem Mantel bis zum Haupteingang an der Friedrichstraße. Sie war gekommen, um eine Anzeige aufzugeben. Ihr Mann war verschwunden.

„Ich möchte meinen Mann als vermisst melden.“ Direkt und mit unbewegtem Gesicht sah sie Hauptwachtmeister Piepenkötter in die Augen. Er war ein erfahrener Beamter in den Fünfzigern, mit leichtem Bauchansatz und rötlichem Gesicht. Diese Färbung hatte er weniger der sauerländischen Mittelgebirgssonne zu verdanken als einem leichten Bluthochdruck.

Die Frau, die ihn ansah, wirkte sehr kontrolliert und elegant, mit langen braunen Haaren und einem scharf geschnittenen, makellosen Gesicht. Ihre Kleidung war dezent und farblich gut abgestimmt. Trotz ihrer sehr souveränen Erscheinung hatte sie warme braune Augen. Ihr Gesicht zeigte keine Regung, und das machte Piepenkötter stutzig.

Wenn hier irgendjemand einen anderen als vermisst meldete, geschah das meist unter vielen Tränen, Schreien, Wimmern und Verzweiflung. Am schlimmsten war es natürlich bei vermissten Kindern, aber das war in Piepenkötters Karriere erst sechs Mal vorgekommen, und alle sechs Racker hatten sich selbst eine kleine Auszeit gegönnt. Wenn die Eltern ihre Kinder anschließend auf der Wache wieder abholen konnten, spielten sich Dramen ab, in denen die Kinder abwechselnd geküsst und angebrüllt wurden.

Aber diese Dame, und das schien ihm der passende Begriff, war jenseits aller Gefühlsregungen.

„Wie lange vermissen Sie ihn denn schon, Frau ...“

„Sylvia Behnke, Entschuldigung. Ich habe ihn vor zwei Tagen zum letzten Mal gesehen.“

„Und wie ging es Ihrem Gatten da?“ Der Begriff „Gatte“ schien für die Dame angemessen.

„Er verabschiedete sich, weil er sich an diesem Abend noch mit einem Schützenbruder treffen wollte. Es war eine informelle Vorbesprechung des nächsten Schützenfestes.“

Bei dem Namen Behnke hatte es gleich bei Piepenkötter geklingelt, er konnte ihn nur nicht sofort einsortieren. Also gehörte der Gatte auch dem inneren Kreis jenes Schützenvereins an, der einmal im Jahr dieses große Volksfest organisierte.

„Gut, dann werde ich jetzt eine Vermisstenanzeige aufnehmen. Sie wissen vielleicht, dass wir bei einer solchen Anzeige lediglich den Aufenthaltsort ermitteln dürfen, falls Gefahr für Leib und Leben besteht, durch einen Unfall etwa oder Selbsttötungsabsicht.“

Zum ersten Mal zuckte der Mundwinkel der Dame. „Nein, das wusste ich nicht. Ich dachte, ich gebe die Anzeige auf und Sie ermitteln dann.“

„Nein, da ihr Mann erwachsen ist, kann er jederzeit seinen Aufenthaltsort selber bestimmen, sofern er denn körperlich und geistig gesund ist. Ist er das, dürfen wir nichts unternehmen. Sollte eine Gefahr für Leib und Leben vorliegen, ermitteln wir natürlich. Das heißt aber nicht automatisch, dass Sie erfahren, wo er ist.“ Piepenkötter versuchte, den Sachverhalt korrekt aber nachvollziehbar zu erklären. „Finden wir ihn und er behauptet, freiwillig an diesem Ort und gesund zu sein, haben wir ihn ermittelt. Aber wir dürfen Ihnen das Ergebnis nicht sagen.“

„Aber ich bin seine Frau!“

„Das spielt vor dem Gesetz keine Rolle.“

Sylvia Behnke schwieg. Dann sagte sie: „Er ist knapp über sechzig und hat Probleme mit dem Herzen.“

Sie hatte verstanden. Piepenkötter setzte sich an den Computer und rief die entsprechende Eingabemaske des Programms „Inpol“ auf. Er gab die Daten ein.

„Wenn Sie ihn vor zwei Tagen zum letzten Mal gesehen haben, warum kommen Sie dann jetzt erst?“

„Ich nahm an, er sei nach dem Treffen vielleicht noch zu einem Jagdausflug, das macht er gelegentlich. Wir telefonieren nicht ständig miteinander.“

Also ist die Ehe im Arsch, dachte Piepenkötter. „Haben Sie denn schon versucht, mit dem Schützenbruder Kontakt aufzunehmen?“

„Ich habe ihn heute erst erreicht, mein Mann war tatsächlich nur an diesem Abend bei ihm. Weil er was getrunken hatte, ließ er seinen Wagen stehen. Er wollte zu Fuß nach Hause gehen.“

Und ist dann im Puff gelandet, führte Piepenkötter den Gedanken weiter. „Haben Sie ein Foto von ihm dabei?“

„Ja, es ist ziemlich aktuell, erst vor wenigen Wochen bei einem Fest aufgenommen worden.“

Piepenkötter betrachtete das Bild. Es zeigte einen etwas rundlichen Mann mit kurz geschnittenen grauen Haaren, einer randlosen Brille über wachen blauen Augen, brauner Gesichtsfarbe und einer geraden Nase. Für einen Mann um die 60 ein Allerwelts-Gesicht.

Trotzdem meinte er, Behnke schon einmal in der Zeitung gesehen zu haben, aber er konnte sich nicht mehr genau erinnern.

„Also, Frau Behnke, wenn wir ihn ermitteln können und Ihr Mann sein Einverständnis gibt, werden wir uns so bald wie möglich bei Ihnen melden.“ Die Frau des Vermissten bedankte sich und verließ das Präsidium.

Kapitel 5

Robert hatte gerade erst seine Wohnungstür aufgeschlossen, als das Telefon klingelte. Er stellte seinen Rucksack auf den Küchentisch und nahm den Hörer ab.

„Kriminalkommissariat Gelsenkirchen, Hollunder. Wir haben den Toten identifizieren können“, kam der Kommissar gleich zur Sache.

Geht mich zwar nichts an, aber schön zu wissen, dachte Robert.

„Wer ist denn der Mann?“

„Geht Sie zwar nichts an, aber ich sag’s Ihnen trotzdem. Aber nur, weil die Witwe sie kennen lernen möchte.“

Jetzt konnte sich Robert gar keinen Reim mehr auf die Sache machen.

„Wieso möchte die mich denn kennen lernen? Ich kann ihr doch auch nicht weiterhelfen.“

„Das habe ich ihr auch gesagt, möchte sie aber trotzdem.“

Idiot, dachte Robert.

„Er heißt Siegfried Behnke und stammt aus Iserlohn. Die Nummer finden Sie im Telefonbuch, er hatte dort auch einen Laden für Bäder und Armaturen. Viel Spaß mit der Witwe.“

Hollunder legte auf. Robert notierte sich den Namen und nahm sich vor, heute noch die Telefonnummer zu suchen. Obwohl er sich kaum vorstellen konnte, was sie von ihm wollte, wurde er sehr neugierig.

 

Robert schnappte sich die Zeitung und setzte sich an seinen Küchentisch. Das Lokalblatt berichtete wiederholt in großer Aufmachung über den Toten im Park. Mangels tatsächlicher Fakten wurden Anwohner befragt und die Historie der Morde in Ückendorf aufbereitet. Allzu viele waren es nicht - der letzte war eine Beziehungstat gewesen. Ein Mann hatte seine Frau erschossen und dann sich selbst.

Offenbar hatte die Pressestelle der Polizei kaum Informationen weitergegeben. Weder von der Maske noch von den Striemen war etwas zu lesen. Nur eine vage Personenbeschreibung, ein Foto des Parks und die genaue Lage des Fundortes der Leiche kamen in dem Artikel vor. Und natürlich die Bitte um Mithilfe der Bevölkerung. Die Zeitung war ihm keine große Hilfe bei der Suche nach Informationen.

Robert überlegte, wie er mehr in Erfahrung bringen könnte. Er wollte präpariert sein für das Gespräch mit der Witwe. Aber sein einziger Kontakt zur hiesigen Polizei beschränkte sich auf den normalen Streifendienst.

Er warf seinen schon etwas älteren Computer an, um im Internet zu recherchieren. Wenn er schon über den Mord nicht viel wusste, konnte ja das Opfer Spuren im weltweiten Netz hinterlassen haben. Vielleicht hatte er für sein Armaturen- und Bädergeschäft eine eigene Seite. Robert bemühte eine Suchmaschine und gab dort den Namen ein. Der erste Treffer verwies gleich auf das Geschäft von Siegfried Behnke, die anderen Links bezogen sich auf einen Schützenverein. Zuerst klickte er auf den Verweis für den Laden und sah sich auf der Webseite um.

Eine Wanne und ’ne Dusche aufstellen reicht heute nicht mehr, dachte Robert, es müssen sofort ganze Welten rund um die Kloschüssel erschaffen werden.

Offensichtlich handelte es sich bei dem Mann um einen Handwerksmeister, der seinen eigenen Laden aufgebaut hatte. Er bediente mit seinem Angebot eine durchaus besser gestellte Klientel, sprich, die gut verdienende Mittelschicht. Und wie es sich für einen Sauerländer gehörte - alles unterhalb von Unna gehörte für Robert zum Sauerland - war er auch Mitglied in einem Schützenverein, offenbar dem größten am Ort.

Robert musste plötzlich an seine Kindheit denken, das Sauerland und Schützenvereine gehörten zu den Urlaubserinnerungen, die er hatte. Seine Eltern waren mit ihm und seinem Bruder in den wenigen Urlauben meist in kleine Orte in der Umgebung Brilons gefahren. Sie wohnten dann in einer Pension und spazierten durch die Wälder. An viel mehr konnte er sich nicht erinnern. Nur an einen Onkel, den sie dort gelegentlich besuchten, aber der war schon lange tot. Später war Robert noch gelegentlich am Wochenende mit dem Motorrad auf den Sauerländer Landstraßen unterwegs, Urlaub hatte er dort jedoch keinen mehr gemacht.

Er zwang sich, wieder an seiner Recherche zu arbeiten und nicht Kindheitserinnerungen nachzuhängen. Die Seiten des Schützenvereins gaben nicht viel her. Behnke war viele Jahre aktiv im SSV, dem „Sauerländer Schützenverein - Abteilung Iserlohn“ gewesen. Er hatte irgendeinen militärischen Titel getragen und war auf manchen Fotos zu sehen. So siehst du also ohne Maske aus, mein Freund, dachte Robert. Gerade noch lustig mit den Schützenbrüdern einen heben, und dann in Ückendorf unter einer blöden Maske elendig verrecken. Wärst Du mal zuhause geblieben.

 

Mehr brachte er über den Toten nicht in Erfahrung. Da Sylvia Behnke ihn kennenlernen wollte, entschloss sich Robert, sie sofort anzurufen. Das Gespräch war kurz. Sie verabredeten sich für den nächsten Freitag. Sylvia Behnke nannte ihm die Adresse eines Cafés, in dem sie sich um 16 Uhr treffen wollten. Obwohl sie nur kurze, knappe Sätze sprach, empfand er ihre Stimme als sehr angenehm. Robert hatte ein Bild von ihr vor Augen. Freitag würde er wissen, ob es seiner Phantasie entsprach.

Da Robert immer noch kein Navigationssystem besaß, druckte er sich die Strecke mittels eines Routenplaners am Computer aus. Weit war es nicht, nur 60 Kilometer, das würde sein Wagen schon schaffen. Seit einigen Tagen ruckelte der Motor während der Fahrt ab und zu. Robert wusste nicht, warum. Er wollte es auch gar nicht wissen, es klang wie ein teures Ruckeln.

Direkt nach dem Unterricht, kurz vor 15 Uhr, fuhr er los auf die A 40 Richtung Dortmund. Trotz des Freitagnachmittäglichen Verkehrs hatte er nur bei Bochum-Stahlhausen etwas Stau, dann ging es zügig weiter. Am Autobahnkreuz Dortmund-West fuhr er auf die A 45. Bis hierhin hätte er es auch ohne Routenplaner geschafft. Später wechselte er auf die A 46 und musste feststellen, dass Iserlohn mehr als eine Autobahnabfahrt hatte. Bei „Zentrum“ fuhr er runter. Dank des Routenplaners hatte er kein Problem, die Adresse zu finden.

Statt der erwarteten Fachwerkhäuser sah er im Stadtzentrum einen grässlichen Betonklotz, als er rechts auf den Kurt-Schumacher-Ring einbog. Eigentlich waren es zwei - ein Kino-Komplex und ein Elektronikmarkt samt Parkhaus. Da die beiden gleich hässlich waren, nahm Robert sie als Einheit wahr.

Er fuhr in eine kleine, schmale Seitenstraße, die in der örtlichen Fußgängerzone endete. Prompt kam ihm ein Wagen entgegen, es war kaum Platz für beide Autos, die Außenspiegel berührten sich fast bei dem Manöver.

Robert fluchte und fragte sich, wo er hier parken sollte. Er hatte noch zwölf Minuten bis zu dem Treffen. Links ging es zu einem beschrankten Parkplatz. Er zog ein Ticket und stellte sein Auto ab. Das Café lag gegenüber, ein paar Tische und Sonnenschirme standen davor.

Er wartete am Eingang.

„Herr Werner?“ Fast perfekt, dachte Robert, als er Sylvia Behnke sah. So hatte er sie sich vorgestellt. Ihre Züge waren nicht so weich, wie er sie in seiner Phantasie gesehen hatte, ihre Wangenknochen und ihre Nase waren betonter. Und ihre Haare waren länger, sie fielen leicht gewellt auf ihren Blazer. Sie gefielen ihm besser, als in seiner Vorstellung. Was ihm nicht gefiel, waren ihre Augen. Sie wirkten stumpf, ihre Mundwinkel leicht hängend. Nicht typisch für eine Frau, die um ihren Mann trauerte. Sie sah aus, wie eine Frau, die um sich selbst trauerte.

Beim Betreten des Cafés starrten einige der Gäste und die Bedienungen sie an. Da Robert weder besonders auffällig gekleidet und auch sonst eher unscheinbar war, galt die Aufmerksamkeit seiner Begleitung. Man schien sie hier zu kennen und offensichtlich wussten die Gäste auch, dass sie seit Kurzem Witwe war. Das Café wirkte sehr bieder. Plüschig fiel Robert als Beschreibung ein. Beim Blick auf die Karte rechnete er schnell nach, ob er genug Geld dabei hatte, günstig war es nicht.

„Waren Sie schon mal in Iserlohn?“, fragte ihn Sylvia Behnke.

„Nein, ich bin heute zum ersten Mal hier. Als Kind war ich mal in der Nähe, in der Dechenhöhle. Die musste sich wohl jedes Kind im Ruhrgebiet ansehen.“ Robert gelang ein leichtes Lächeln.

Sylvia Behnke schwieg, ihr Gesicht blieb ausdruckslos.

Robert gefiel die Situation nicht. Er beschloss, direkter zu werden. „Warum wollten Sie mich sprechen?“

„Sie haben meinen Mann gefunden und ich will wissen, wie er starb. Für die Polizei ist die Sache erledigt, sie behaupten, er sei nicht ermordet worden. Er sei erstickt, sagen sie, vielleicht ein Unfall, wahrscheinlicher sei ein Selbstmord. Aber das ist Unsinn, niemals hätte er sich umgebracht!“ Ihre Augen waren jetzt klarer, ihre Stimme hob sich leicht. „Und ich möchte wissen, was er in Gelsenkirchen gemacht hat. … Und warum er diese merkwürdige Maske trug.“ Vor dem letzten Satz zögerte sie etwas. Er schien ihr peinlich zu sein.

„Deshalb wollte ich Sie sprechen. Ich sammle Informationen, weil ich denke, die Polizei will den Fall möglichst schnell zu den Akten legen. Ach, und entschuldigen Sie, ich habe mich noch gar nicht für Ihr Kommen bedankt.“ Ein leichtes, aber kein verlegenes Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht.

„Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich ihn bei einem Spaziergang zufällig unter einem Busch gesehen habe.“ Dass Robert ihren toten Gatten fast angepinkelt hätte, behielt er lieber für sich. „Was wollte Ihr Mann denn in Gelsenkirchen?“

„Ich nahm an, es sei geschäftlich, bin mir aber nicht mehr so sicher. Es sind so viele Fragen aufgetaucht seit seinem Tod, so viele Ungewissheiten. Von der Polizei werde ich scheinbar keine Antworten bekommen, deshalb werde ich wohl einen Privatdetektiv beauftragen, weitere Informationen zu sammeln. Ich muss mich jetzt noch mehr als bisher ums Geschäft kümmern, mir fehlt die Zeit!“

Bei Robert klingelten sämtliche Alarmglocken. Jetzt bloß nicht aufdrängen oder ungeschickt sein. „Vielleicht kann ich Ihnen helfen, ich bin freiberuflicher Detektiv.“ Scheiße, genau den Satz wollte er nicht sagen!

„Ich hatte Sie überhaupt noch nicht gefragt, was Sie beruflich machen“, erwiderte Sylvia Behnke nur.

„Nun, für den Grund unseres Treffens ist das ja auch nicht von Bedeutung, Sie wollten Informationen von mir als Zeuge.“

„Verfügen Sie denn über entsprechende Verbindungen, um mir behilflich sein zu können? Nur aus Gelsenkirchen zu sein ist vielleicht nicht ganz ausreichend.“

„Nun, ich habe schon bei mehreren Wirtschaftsdelikten erfolgreich ermittelt. Daraus ergeben sich Kontakte in alle sozialen Schichten. Und natürlich auch zur Polizei.“ Er versuchte, sich die sich anschleichende Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Außerdem waren Ladendiebstähle genau genommen Wirtschaftsdelikte. Und Hollunder war schließlich bei der Polizei und er kannte ihn. „Ich gebe Ihnen meine Karte, Sie können es sich dann in Ruhe überlegen.“

„Wie hoch ist Ihr Honorar?“

Leichte Panik kam auf. Robert hatte immer genommen, was ihm geboten wurde. „Üblich sind 60 Euro pro Stunde plus Fahrzeug und andere Spesen, etwa Observationsmaterial. Aber bei einem längeren Einsatz biete ich Ihnen eine Pauschale an.“ Ihm wurde schwindelig.

„Gut, Herr Werner, ich überlege es mir.“ Mit diesen Worten stand Sylvia Behnke auf.

Das Gespräch war beendet. Robert verabschiedete sie, ging zur Kuchentheke und zahlte. Sein Geld reichte noch.

Während der Rückfahrt musste er seine Gedanken sortieren. Ein Auftrag als Detektiv in einem Tötungsdelikt, eine schöne Frau, Geld, das er verdienen konnte und dringend brauchte - und wo war die Autobahnauffahrt? Scheiße, gepennt. Egal, hier geht’s nach Hagen, die grobe Richtung stimmt. Und ein Hinweisschild zur Dechenhöhle, mein Gott, wie lange ist das her, Ende der 60 er, Anfang der 70 er.

Seine Gedanken schweiften von seinem Auftrag in die Vergangenheit ab. Mit der Grundschulklasse machten sie einen Ausflug, die Höhle war damals Pflichtprogramm. Generationen von Kindern wurden dort hingekarrt. An mehr konnte er sich nicht erinnern. In Letmathe dann das Schild zur Autobahn, jetzt schnell zurück nach Gelsenkirchen. Da die Autobahn schnurstracks geradeaus führte, versuchte er sich beim Fahren eine Zigarette zu drehen.

Wie viel ihm dieser Auftrag einbringen würde, nahm in seinen Überlegungen sehr viel mehr Raum ein, mehr als die Frage des „ob“. Aber dieses „ob“ klopfte immer lauter an.

Konnte er tatsächlich Ermittlungen in einem Todesfall leisten? Er fragte sich, wie man da vorgeht. Bei seinem Broterwerb stand die Dozententätigkeit ganz vorne an. Als Detektiv hatte er nur Erfahrungen in einem Gelsenkirchener Kaufhaus - er kannte den Geschäftsführer.

Zuhause angekommen, recherchierte er im Internet. Die Homepage seines Detektiv-Berufsverbandes gab die Empfehlung, mit Fachkräften zusammen zu arbeiten oder den Auftrag abzulehnen. Ersteres kam nicht infrage, weil dann nichts für ihn übriggeblieben wäre. Und ablehnen? Auch wenn Robert Bedenken hatte, es war eine Chance - nicht nur finanziell. Er beschloss, erst einmal spazieren zu gehen und nachzudenken.

 

Noch vor dem Essen und nach dem zweiten Bier stand sein Entschluss fest. Er würde den Auftrag annehmen. Falls ihm Sylvia Behnke den denn überhaupt noch anbot. Um ihr die Entscheidung zu erleichtern, würde er ihr ein Angebot unterbreiten und noch heute verschicken. Blieb noch die Frage des Honorars. Und die Zeit. Er hatte ja noch seinen Einsatz beim GEIBAZ, den er auf keinen Fall verlieren wollte.

Der Reihe nach.

60 Euro hatte er Sylvia Behnke als Stundensatz genannt, das macht bei einem Acht-Stunden-Tag 480 Euro plus Spesen und Auto. Er würde ihr eine Pauschale vorschlagen von 350 bis 400 Euro pro Tag.

Robert hoffte, der Betrag würde sie nicht abschrecken. Andererseits wollte sie unbedingt herausfinden, wie ihr Mann gestorben war. Und warum er dabei eine Maske getragen hatte. Also würde sie auch 400 Euro akzeptieren. Dass auch ein Anderer hätte ermitteln können, kam Robert schon nicht mehr in den Sinn. 400 Euro. Basta!

Jetzt noch das GEIBAZ.

Absagen konnte er die Termine nicht, es war die Gruppe, die er erst in der vergangenen Woche übernommen hatte. Außerdem wollte er den Chef des GEIBAZ auf gar keinen Fall verärgern. Das war für die Auftragslage eines Freiberuflers wenig förderlich und er hatte lange genug gebraucht, um dort fast lückenlos als Dozent gebucht zu werden. Das Honorar war auch nicht schlechter als bei anderen Bildungsträgern, und mit der Zeit hatte er sich einige Freiräume erarbeitet.

Möglicherweise ließ sich Herbert Wittkowski, der Chef des GEIBAZ, auf eine Teilzeitlösung ein. Das hatte Robert schon einmal gemacht, als er mehr Zeit für seinen erkrankten Vater gebraucht hatte. Vormittags hatte er unterrichtet und nachmittags, wenn er weg war, hatten die Teilnehmer Übungsaufgaben bekommen, um das Gelernte zu vertiefen.

Wittkowski hatte sich damals wenig begeistert darauf eingelassen. Aber es hatte gut funktioniert, keiner war unzufrieden gewesen oder hatte sich bei der Arbeitsagentur beschwert. Montag würde er zu Wittkowski fahren. Sein Vater hatte es damals nicht überlebt.

Robert machte ein Angebot fertig und schickte es per Mail an Sylvia Behnke. Er blieb bei den 400 Euro pro Tag und spürte, wie sein Herz schneller schlug, als er den „Senden“-Button anklickte. Er hoffte auf eine schnelle Antwort.

Kapitel 6

„Das ist normal hier!“, schrie der Schützenbruder Yüksel zu. „Das ist unser Schützenfest, unser Brauchtum. So wie bei euch der Ramadan!“

Yüksel sah sich das Geschehen an und versuchte, den Lärm zu ignorieren. Solche Feiern gab es in Gelsenkirchen nicht. Zumindest hatte er noch nie eine gesehen.

„Immer wieder herrlich, Spielmannszüge aus aller Welt kommen zu uns. Und sie bringen Musik aus aller Herren Länder mit, wunderschön!“

Aha, das soll also traditionelle Musik sein, dachte Yüksel. Gemacht wurde sie von vielen Männern und Frauen, die alle uniformiert waren: schwarze Hosen, weiße Hemden, grüne Jacketts und schwarze Krawatten. Dazu Mützen, wie sie auch beim türkischen Militär üblich waren. Waren das alles pensionierte Soldaten und Reservisten? Die Wehrpflicht galt wohl auch schon lange für Frauen. Einige von ihnen waren noch recht jung, die meisten, vor allem die Männer, dazu ziemlich dick. Yüksel war schlank, aber er mochte dicke Männer. Starke Männer, wie er sagte.

Der lärmende Lindwurm marschierte weiter durch den Ort, bestaunt von vielen Menschen, die links und rechts an der Straße standen. Es war ein herrlicher Tag, die Sonne schien, die Farben der Blumen und Bäume leuchteten und es war sehr warm. Die Männer und Frauen in ihren Jacken schwitzten sichtlich, ab und zu reichten ihnen Zuschauer kalte Getränke. Meistens Bier.

Vielleicht war das auch ein Brauchtum, denn viele der Zuschauer tranken ebenfalls schon mittags Bier. Dafür haben die Menschen in dieser Gegend sicher einen Grund, nahm Yüksel an. Er würde Siegfried danach fragen. Er hatte gehofft, ihn hier zu sehen, zufällig.

Sie waren nicht verabredet gewesen, das hätte Siegfried nicht gewollt. Und es war auch das erste Mal, dass er Siegfried außerhalb des Vereins treffen würde.

Seine Suche führte ihn weiter durch die Stadt in Richtung Festplatz. Noch hatte er das bekannte Gesicht nicht entdecken können, er hoffte, ihn auf dem umzäunten Gelände zu sehen. Elf Euro kostete das Recht, den Platz betreten zu dürfen. Yüksel hatte Schwierigkeiten, die vielen Männer auseinander zu halten. Sie sahen alle gleich aus, was durch die Uniformen verstärkt wurde. Einen türkischen Schützen hatte er darunter nicht gesehen. An einer Tafel war das Festprogramm für die nächsten Tage angeschlagen; Yüksel studierte es sorgfältig. Am Montag war das Königsschießen, Siegfried hatte ihm erzählt, dass er dabei mitmachen wollte. Am Montag also würde er ihn sehen.

Kapitel 7

Sylvia Behnke rief am Sonntag an. „Herr Werner, wenn Sie die Recherche übernehmen, erwarte ich von Ihnen, dass Sie mich täglich über den aktuellen Stand informieren. Und ich möchte wissen, woher Sie Ihre Informationen haben.“

„Natürlich, Frau Behnke, eine transparente Informationspolitik gehört zu meinem Arbeitsstil.“

„Zu diesem gehört sicher auch eine detaillierte Auflistung der geleisteten Stunden.“ Es war eine Feststellung. Er sprach mit der Geschäftsfrau, nicht mit der Witwe.

„Selbstverständlich!“

„Gut, Herr Werner, ich erwarte Ihren Anruf.“

Das Gespräch war beendet.

Robert atmete tief durch. Er hatte sich auf etwas eingelassen, das ihm eine Spur zu groß vorkam. Wichtig war jetzt planvoll und strukturiert vorzugehen.

 

Wo sollte er am besten anfangen? Welche Fragen waren jetzt wichtig? Als Erstes brauchte er mehr Informationen über Siegfried Behnke, über sein Leben, seinen Freundeskreis, Hobbys, sein Geschäft, einfach alles. Und er musste wissen, was es mit dieser seltsamen Maske auf sich hatte.

Gleich morgen würde er nach Iserlohn fahren und Informationen sammeln, beim Schützenverein, im Stadtarchiv und der örtlichen Zeitung. Robert hoffte, dass dieses Kaff groß genug war, um dort eine Zeitung zu verlegen. Viel wusste er nicht über Iserlohn. Hatte ihn auch noch nie interessiert.

 

Um neun Uhr bog er von der A 46 Richtung Iserlohn-Zentrum ab. Die Abfahrt lag auf einer Anhöhe und bot einen schönen Blick auf die Stadt. Irgendetwas schien heute im Kaff los zu sein, über den Straßen waren grüne und weiße Wimpel-Ketten gespannt.